Diagnostik und Interventionsplanung in der Unterstützten Kommunikation - Tobias Bernasconi - E-Book

Diagnostik und Interventionsplanung in der Unterstützten Kommunikation E-Book

Tobias Bernasconi

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  • Herausgeber: UTB
  • Kategorie: Bildung
  • Sprache: Deutsch
  • Veröffentlichungsjahr: 2023
Beschreibung

Manchmal will konventionelle Kommunikation nicht gelingen. Dann brauchen wir andere Formen, um uns mitzuteilen. Unterstützte Kommunikation (UK) hilft Menschen mit Schwierigkeiten in der Verständigung und Interaktion dabei, individuelle Ausdrucksformen zu finden. Die richtige Diagnose und eine gute Interventionsplanung spielen dabei eine wichtige Rolle. Nach einem systematischem Überblick über Theorien und Anwendungsgebiete der Unterstützten Kommunikation werden konkrete Hinweise für Einsatzgebiete und Zielgruppen unterschiedlicher diagnostischer Verfahren gegeben. Fachkräfte erhalten einen Einblick, wie sie individuell passende Kommunikationssysteme gemeinsam mit unterstützt kommunizierenden Personen und deren Bezugspersonen erarbeiten können.

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Prof. Dr. Tobias Bernasconi ist Lehrstuhlinhaber für Pädagogik und Rehabilitation bei Menschen mit geistiger und komplexer Behinderung an der Universität zu Köln. Er forscht zur Unterstützten Kommunikation, Inklusion sowie zur Bildung und Teilhabe von Menschen mit komplexer Behinderung.

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über <http://dnb.d-nb.de> abrufbar.

UTB-Band-Nr.: 6051

ISBN 978-3-8252-6051-4 (Print)

ISBN 978-3-8385-6051-9 (PDF-E-Book)

ISBN 978-3-8463-6051-4 (EPUB)

© 2023 by Ernst Reinhardt, GmbH & Co KG, Verlag, München

Dieses Werk einschließlich seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne schriftliche Zustimmung der Ernst Reinhardt, GmbH & Co KG, München, unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen in andere Sprachen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Der Verlag Ernst Reinhardt GmbH & Co KG behält sich eine Nutzung seiner Inhalte für Text- und Data-Mining i.S.v. § 44b UrhG ausdrücklich vor.

Printed in EU

Einbandgestaltung: siegel konzeption | gestaltung, Stuttgart

Cover unter Verwendung der Motive von ©istock.com/Maanas und

©istock.com/Mykyta Dolmatov.

Satz: ew print & medien service gmbh, Würzburg

Ernst Reinhardt Verlag, Kemnatenstr. 46, D-80639 München

Net: www.reinhardt-verlag.de E-Mail: [email protected]

Inhalt

Einleitung

1 Allgemeine Grundlagen der Unterstützten Kommunikation

1.1 Kommunikation und Kommunikationsstörungen

1.2 Zielgruppen der Unterstützten Kommunikation

1.3 Kurzüberblick: Methoden und Medien der UK

2 Spezifika der Diagnostik und Interventionsplanung in der UK

2.1 Zusammenhang von Beratung, Diagnostik und Interventionsplanung

2.2 Stellenwert und Spezifika in der Diagnostik in der UK

2.3 Säulen der Diagnostik in der UK

2.3.1 Menschenbild und Haltung

2.3.2 Orientierungsrahmen und Bezugsmodelle

2.4 Aufgaben und Ziele der Diagnostik in der UK

2.4.1 Diagnostische Zielsetzungen

2.4.2 Aufgaben der Diagnostik in der UK

2.4.3 Fragestellungen der UK-Diagnostik

2.5 Zusammenfassung

3 Diagnostische Verfahren und deren Einbezug in der UK

3.1 Grundfragen

3.2 Allgemeine Methoden der UK-Diagnostik

3.2.1 Anamnese / Gespräch

3.2.2 Beobachtung

3.2.3 Testverfahren

3.2.4 Dokumentenanalyse

4 Spezifische Verfahren der Diagnostik und Interventionsplanung in der UK

4.1 Prozessübergreifende Verfahren in der UK

4.1.1 ABC-Modell

4.1.2 Partizipationsmodell und kooperatives Partizipationsmodell

4.1.3 COCP-Programm

4.2 Auf die Person bezogene übergreifende UK-diagnostische Verfahren

4.2.1 Handreichung UK-Diagnostik

4.2.2 GOALS GRID

4.2.3 Das Kommunikationsprofil

4.2.4 Förderdiagnostik UK

4.3 Diagnostische Verfahren der UK für Personen, die abhängig bis moderiert kommunizieren

4.3.1 Triple C: Checklist of Communication Competencies

4.3.2 DiaKomm (Schreiber / Sevenig 2017)

4.3.3 Kommunikationsmatrix

4.3.4 BKF-R

4.4 Diagnostische Verfahren der UK für Personen, die moderiert bis frei kommunizieren

4.4.1 TASP

4.4.2 Tipp mal

4.4.3 TROG-D

4.4.4 Das Pragmatische Profil

4.4.5 FOCUS-G

4.4.6 Einbezug weiterer sprachtherapeutischer Verfahren

4.5 Auf die Bezugspersonen bezogene UK-diagnostische Verfahren

4.5.1 Soziale Netzwerke

4.5.2 Analyse von Partnerstrategien

4.6 Auf die situativen Rahmenbedingungen bezogene UK-diagnostische Verfahren

4.6.1 Talking Mats

4.6.2 Die Tagesuhr

4.6.3 Weitere Verfahren zur Erfassung der kommunikativen Teilhabe / Interaktion

5 Praktische Gestaltung von Diagnostik und Interventionsplanung in der UK

5.1 Dimension der beteiligten Personen

5.2 Dimension der strukturellen Rahmenbedingungen

5.3 Dimension von organisatorischen Aspekten

6 Interdisziplinäre Interventionsplanung

6.1 Interventionsplanung als Teamarbeit

6.2 Grundlegende Elemente systematischer Interventionsplanung

6.3 Transitionen – Herausforderungen für die Diagnostik

7 Aktuelle Entwicklungen: Tele-UK-gestützte Diagnostik und Interventionsplanung

7.1 Allgemeine Grundlagen und Voraussetzungen

7.1.1 Entwicklung von Tele-UK

7.1.2 Ziele und Zielgruppen

7.1.3 Anwendungsbereich

7.1.4 Technische Voraussetzungen

7.1.5 Zur Frage der Wirksamkeit

7.1.6 Chancen und Grenzen

7.2 Formen der Tele-UK

7.2.1 Tele-UK-Diagnostik

7.2.2 Tele-UK-Interventionen

7.3 Hilfreiche Tools

Anhang: Glossar

Materialien zur Diagnostik und Interventionsplanung

Literatur

Sachregister

Einleitung

Unterstützte Kommunikation bietet Menschen, die sich nicht zufriedenstellend mittels Lautsprache ausdrücken können, Medien und Materialien zur Verständigung und zum besseren Verstehen. Der Begriff Unterstütze Kommunikation (UK) ist das deutschsprachige Äquivalent für den englischen Terminus „Alternative and Augmentative Communication (AAC)“ (Braun 2020).

Die Ziele der Diagnostik in der Unterstützten Kommunikation (UK) gehen über eine Statusdiagnose hinaus und beinhalten die gemeinsame Projektion von langfristigen (teilhabeorientierten) Zielen, eine Interventionsplanung sowie die Evaluation der eingesetzten und durchgeführten Interventionen.

Kobi (1999) nennt verschiedene Diagnostiktypen mit jeweils unterschiedlichen Zielen:

1.Deskriptive Diagnostik (Beschreibung)

2.Klassifizierungsdiagnostik (Zuordnung)

3.Funktionale Diagnostik (Suche nach Zusammenhängen)

4.Kausale Diagnostik (Suche nach Ursachen)

5.Selektions- und Platzierungsdiagnostik (Wegweisung und Zuweisung)

6.Typisierungsdiagnostik (Zuordnung zu einer Gruppe)

7.Bildbarkeit bzw. Förderungsdiagnostik

8.Normalisierungs- und Integrationsdiagnostik

Diagnostik stellt ein „zentrales Aufgabengebiet in den Anwendungsbereichen der Disziplinen Medizin, Psychologie und Pädagogik dar“ (Spreer 2018, 10). Diagnostik, abgeleitet vom griechischen ‚diágnosis‘, was für Erkennen oder Beurteilen steht, stützt sich immer auf Erkenntnisse aus der Beobachtung sowie spezifischer Untersuchungen.

Diagnostik ist dabei in allen genannten Arbeitsfeldern wichtige Grundlage für die Entwicklung professionellen Handelns, Konzeption für die praktische Arbeit sowie für die Überprüfung der eigenen Tätigkeit. Diagnostische Aufgaben und Ziele sind dabei höchst unterschiedlich und sehr von den jeweiligen AkteurInnen mit ihren je eigenen Zielsetzungen in Bezug auf das angestrebte Ergebnis abhängig. Diagnostische Kompetenz wird von Schrader (2001) verstanden als Fähigkeit einer beurteilenden Person, andere Personen zutreffend zu beurteilen.

Allgemein versucht Diagnostik, die Beantwortung von Fragestellungen voranzutreiben, welche sich auf die Beschreibung, Klassifikation, Erklärung oder Prognose beobachtbaren menschlichen Verhaltens und Erlebens beziehen. Die sonder- und heilpädagogische Diagnostik orientiert sich oftmals an der psychologischen Diagnostik und ist in Anlehnung an Schmidt-Atzert und Amelang (2012) charakterisiert durch

•einen Gegenstandsbereich, d. h. Ausgangspunkt, Zielsetzung und die angestrebten Ergebnisse beziehen sich auf eine eingrenzbare Fragestellung.

•Zielorientierung anstelle von Selbstzweck, d. h. im Rahmen diagnostischer Prozesse sollen entweder Maßnahmen zur Verbesserung einer spezifischen Situation ausgewählt oder bestehende Maßnahmen evaluiert werden und

•ein systematisches und von Fachwissen geleitetes Vorgehen, d. h. für den diagnostischen Prozess werden theoretische Modellannahmen und empirisch abgesicherte Erkenntnisse sowie spezifische Methoden eingesetzt.

Grundsätzlich kann Diagnostik präventiv eingesetzt werden, um z. B. mögliche Entwicklungsbesonderheiten frühzeitig zu erkennen. Ferner kann es um die Klärung bestimmter Ursachen für Erkrankungen, aber auch individuelle Entwicklungen gehen. Schließlich hat Diagnostik im therapeutischen Bereich aber auch das Ziel, Therapie und Unterstützungsbedarfe zu identifizieren, Maßnahmen zu planen und selbige schließlich zu evaluieren.

1Allgemeine Grundlagen der Unterstützten Kommunikation

1.1Kommunikation und Kommunikationsstörungen

Im Fachgebiet der Unterstützten Kommunikation (UK) steht als übergeordnetes Ziel die kommunikative Teilhabe von Menschen ohne oder mit schwer verständlicher Lautsprache im Mittelpunkt jedweder pädagogischen und therapeutischen Bemühungen:

„The ultimate goal of AAC is not to find a technological solution to communication problems but to enable individuals to efficiently and effectively engage in a variety of interactions and participate in activities of their choice.“ (Beukelman / Light 2020, 27).

Standen zu Beginn der Entwicklung von UK in Deutschland v. a. motorisch beeinträchtige Menschen im Mittelpunkt, so haben sich mit der Erweiterung der Zielgruppen auch Medien, Methoden und Vorstellungen von UK seit Beginn der 1990er Jahre immer weiter ausdifferenziert. Aktuell geht es darum, über die gesamte Heterogenität der Zielgruppen Aktivitäten in allen Lebensbereichen und Alltagssituationen durch Unterstützung der Kommunikation und Förderung der kommunikativen Kompetenz positiv zu beeinflussen (Beukelman / Mirenda 2013b). UK hat dabei das Ziel, „Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen nicht nur besondere Möglichkeiten zum Verstehen und Verständigen anzubieten, sondern auch die gesamte Lebenswirklichkeit in den Blick zu nehmen“ (Wilken 2020, 9). Ausgangspunkt ist dabei die Annahme und Erkenntnis, dass jede Person von Geburt an kommunikative Bedürfnisse, aber auch kommunikative Kompetenzen mitbringt, welche die Grundlage für Entwicklung bilden.

Für potentielle NutzerInnen von UK bestehen keine Mindestvoraussetzungen (Mirenda 1993), d. h. Kinder, Jugendliche und Erwachsene müssen nicht erst über bestimmte Kompetenzen verfügen, bevor Sie UK nutzen können, sondern die Kompetenzen entwickeln sich gleichsam mit, durch und in der Nutzung von UK. Um UK nutzen zu können, „gibt es also keine Grenzen oder Voraussetzungen, kein zu früh oder zu spät!“ (Erdélyi / Mischo 2015, 384). Gleichwohl muss die Entwicklung kommunikativer Kompetenz begleitet, angeregt und unterstützt werden. UK geht es entsprechend nicht lediglich um die Sprach- und Sprechentwicklung im engeren Sinne, sondern um eine Verbesserung der Kommunikations- und Interaktionsmöglichkeiten mit Blick auf die gesamte kommunikative Situation eines Menschen. Dies schließt die Lebenswirklichkeit, Möglichkeiten zur Partizipation und Selbstbestimmung sowie die Vermittlung individueller Lese- und Schreibkompetenzen mit ein (Wilken 2020, 9). Die Möglichkeiten, andere Menschen besser zu verstehen und gleichsam von anderen Menschen besser verstanden zu werden, sind dabei die essentielle Grundlage. Entsprechend stehen Kommunikation und Interaktion zwischen Menschen in der UK im Mittelpunkt. Ausgangspunkt der Bemühungen ist jedoch in der Regel eine als nicht gelingend erlebte Kommunikation bzw. eine wahrgenommene Beeinträchtigung oder Störung derselben. Die Beeinträchtigungen in der Kommunikation sind dabei oftmals so komplex und tiefgreifend, „dass traditionelle Sprachtherapiekonzepte (z. B. Dysarthrietherapie, Artikulationstherapie) nicht erfolgreich angewendet werden können“ (Bergeest / Boenisch 2019, 121).

Kommunikationsbeeinträchtigungen können als fehlerhafte oder mangelhafte Übertragung einer Nachricht von einem Sender zu einem Empfänger bezeichnet werden. Dabei geht es nicht um eine technische Übertragung des Schalldrucks, sondern Nachrichten beinhalten auch weitere Aspekte wie eine Darstellungs-, Ausdrucks-, Appell- und Beziehungsfunktion (Schulz von Thun 2008). Entsprechend bestehen Nachrichten im Kontext von Kommunikation nicht nur aus Lauten bzw. Wörtern und Sätzen, sondern sie enthalten immer auch paralinguistische und nonverbale Elemente, die ihrerseits wichtige Informationen zur Interpretation der Nachricht übermitteln (Büttner / Quindel 2005).

Der Begriff (komplexe) Kommunikationsstörung wird dagegen eher im Kontext der Sprachtherapie verwendet und bezeichnet eine Störung der Sprache, des Sprechens, der Stimme oder der Kommunikation. Bei Menschen mit komplexen Kommunikationsstörungen ist diese oftmals nur ein Aspekt eines umfassenden Störungsbilds mit zusätzlichen kognitiven, motorischen und sensorischen Beeinträchtigungen. Unterschieden werden können dabei neurogene Sprechstörungen und zentral bedingte Sprachstörungen (Liehs / Giel 2020).

Kommunikationsbeeinträchtigungen bzw. Kommunikationsstörungen schränken die Möglichkeiten zu kommunizieren, d. h. Erlebnisse, Gefühle und Ideen mitzuteilen, persönliche Vorlieben, Dinge und Personen zu benennen, Einfluss auf die mittelbare und unmittelbare Umgebung zu nehmen, Erfahrungen auszutauschen und Fragen zu stellen, erheblich ein (Achilles 2015). Sie haben damit vielfältige Auswirkungen auf den Lebensalltag der betroffenen Personen, aber auch ihres Umfeldes, ihrer Familien (Beukelman / Light 2020) sowie im Kontext von Freizeit, Bildung bzw. Ausbildung und Arbeit. Keine bzw. stark eingeschränkte Lautsprache bedeutet in vielen Fällen, dass nur wenig Austausch möglich ist oder die Kommunikation auf eine Art und Weise erfolgt, die nicht direkt verständlich ist. Für die betroffenen Personen kann diese Situation Rückzug, Vereinsamung oder aggressive bzw. selbstverletzende Verhaltensweisen auslösen (Walker / Snell 2013).

In diesem Zusammenhang ist es bedeutsam, dass eine Kommunikationsbeeinträchtigung bzw. Kommunikationsstörung nicht als eine personale Eigenschaft einer Person gesehen wird. So wie zur Kommunikation immer ein Sender und ein Empfänger gehören, die beide die Kommunikationssituation gestalten und bedingen, haben auch (komplexe) Kommunikationsstörungen immer einen Bezug zu allen an der Kommunikation beteiligten Personen. Die Entwicklung von kommunikativen Kompetenzen ist also nicht als isolierte Fähigkeit im Sinne des Erwerbs von Sprache bzw. der Feststellung eines spezifischen Sprachentwicklungsstands zu denken, sondern immer in einem engen Zusammenhang mit der motorischen, der sensorischen und der kognitiven Entwicklung sowie bisherigen Erfahrungen und Sozialisationsbedingungen zu sehen (Boenisch 2009).

Kommunikationsstörungen sind demnach ein interpersonales Konstrukt, welches durch unterschiedliche Einflussfaktoren wie individuelle Disposition, Kontextbedingungen, Sozialisationserfahrungen, Haltungen etc. beeinflusst wird. Dies ist auch ein Grund dafür, dass UK sich sowohl in pädagogischen Kontexten als auch in den medizinisch-therapeutischen Disziplinen als Gegenstand findet. Das verbindende Ziel stellt dabei die Verbesserung von Teilhabe und Partizipation in individuellen Kontexten dar. Braun (2020, 21) macht deutlich, dass UK aufgrund der Kontextbezogenheit heute entsprechend nicht verstanden werden kann als Repertoire unterschiedlicher Kommunikationsmodi, verschiedener Medien und (technischer) Hilfen. Die Gesamtheit der Aufgaben, Potentiale und Ziele in der Unterstützten Kommunikation erschließt sich vielmehr erst über einen umfassenden, kontextbezogenen Blick auf die Lebenssituation und „die wechselseitigen Wirkungsprozesse von individueller Schädigung, umwelt- und personenbezogenen Kontextfaktoren und Teilhabemöglichkeiten“ (Braun 2020, 21). UK benötigt damit immer einen mehrdimensionalen Blick, welcher die Perspektiven der potenziellen NutzerInnen, der Bezugspersonen, der Hilfsmittel sowie der Rahmen- und Kontextbedingungen verbindet.

1.2Zielgruppen der Unterstützten Kommunikation

Unterstützte Kommunikation hat sich in Deutschland im Kontext der Förderschulen mit den Förderschwerpunkten körperliche und motorische Entwicklung sowie geistige Entwicklung etabliert und ausdifferenziert (Braun 2020). Mit den Jahren sind jedoch die Zielgruppen und potentiellen NutznießerInnen von UK sowohl mit Blick auf die Anzahl als auch vor allem mit Blick auf die Unterschiedlichkeit in den Voraussetzungen immer weiter gewachsen.

Von Tetzchner / Martinsen (2000) beschreiben die Zielgruppen von UK mit Blick auf die Funktion von Unterstützungsmaßnahmen und unterscheiden dabei drei potentielle Zielgruppen:

1.Menschen, für die UK ein Ausdrucksmittel darstellt, also Personen mit einem guten Sprachverständnis, das durch Hilfsmittel eingesetzt werden kann

2.Menschen, für die UK eine Unterstützung beim Lautspracherwerb darstellt bzw. für die bestehende, aber schwer verständliche oder (noch) nicht komplett entwickelte Lautsprache ergänzt werden kann

3.Menschen, für die UK eine Ersatzsprache darstellt, d. h. bei denen trotz Möglichkeiten zur Produktion von Lautsprache selbige nicht der bevorzugte Weg der Kommunikation ist und UK hier eine Alternative zur lautsprachlichen Kommunikation darstellt

Die Zielgruppenbeschreibung verdeutlicht das breite Spektrum der Personen, die auf UK angewiesen sein können. Dabei existieren sehr viele „unterschiedliche Ursachen, die zu vorübergehenden, lang anhaltenden oder dauerhaften Beeinträchtigungen der Sprechfähigkeit führen oder auch zum Abbau verbaler Fähigkeiten oder deren Verlust“ (Wilken 2020, 10). Ursachen sind dabei einerseits angeborene bzw. erworbene Beeinträchtigungen, z. B. Cerebralparesen, genetische Syndrome wie Trisomie 21, Autismus-Spektrum-Störungen oder Angelmann-Syndrom, aber auch neurologische Erkrankungen, die akut (z. B. Schädel-Hirn-Trauma, Apoplex) oder degenerativ (z. B. MS, ALS) wirken. Andererseits können auch Menschen, die vorübergehend Einschränkungen der Lautsprache mitbringen, z. B. nach Operationen oder Unfällen oder aufgrund von spezifischen psychischen Beeinträchtigungen wie Mutismus oder Hospitalismus, als NutzerInnen von UK in Frage kommen (Erdélyi / Mischo 2015). Eine wachsende Zielgruppe stellen zudem Menschen mit Migrationshintergrund oder Fluchterfahrung dar, deren Erstsprache nicht derjenigen entspricht, die in ihrem Lebensumfeld primär genutzt wird, sowie Menschen, die ohne Lautsprache in mehrsprachigen Kontexten aufwachsen (Lingk 2020).

UK richtet sich somit heute nicht (mehr) ausschließlich an Menschen mit Behinderungen, sondern versteht sich als übergreifendes Angebot für alle Personen, die Schwierigkeiten in der Verständigung und der Interaktion haben. Dies wird v. a. im englischsprachigen Begriff Augmentative and Alternative Communication (AAC) deutlich, welcher begrifflich klarmacht, was Anliegen und Ziel des Fachgebietes ist: eine Alternative oder Ergänzung für die Kommunikation zur Verfügung zu stellen, wenn konventionelle Kommunikation über Lautsprache nicht möglich ist.

Für alle diese Zielgruppen gilt: Ziel ist

„das Erlangen einer effektiven Kommunikation in verschiedenen Settings, die Verbesserung von Autonomie, Partizipation und sozialer Integration sowie des allgemeinen Wohlbefindens und im Falle von intellektueller Beeinträchtigung auch die Förderung der kognitiven und sprachlichen Entwicklung“ (Nußbeck 2016, 199).

Das Aufgreifen individueller kommunikativer Kompetenzen ist dabei Ausgangspunkt der pädagogischen und therapeutischen Unterstützung. Diese Kompetenzorientierung findet sich in einer weiteren Zielgruppenbeschreibung, die Weid-Goldschmidt (2013) liefert. Hier werden vier Gruppen mit individuellen Kompetenzen unterschieden:

1.Menschen, die prä-intentional kommunizieren, d. h. die Person drückt sich noch überwiegend über nicht-intentionale Kommunikation bzw. ungezielte Äußerungen aus. Bei diesen Personen ist eine „bewusste Wahrnehmung der eigenen Person sowie der Umwelt nur sehr eingeschränkt oder gar nicht zu beobachten“ (Weid-Goldschmidt, 31).

2.Menschen, die präsymbolisch kommunizieren, zeigen in vertrauten Handlungen oder bei ritualisierten Abläufen intentionale Kommunikation, allerdings noch ohne symbolische Kompetenzen. Auch Signalwörter werden ohne weitere Unterstützung i. d. R. nur sehr eingeschränkt verstanden. Die Kommunikation ist oftmals auf Inhalte im Hier und Jetzt bezogen.

3.Menschen, die symbolisch kommunizieren, allerdings nicht altersgemäß, sind Menschen, die unterschiedliche Beeinträchtigungen mitbringen, die dazu führen, dass „sprachliche Inhalte nicht (oder nicht mehr) dem entsprechen, was andere Personen im vergleichbaren Lebensalter verstehen können und sagen möchten“ (Weid-Goldschmidt, 62). Die Bandbreite der Kompetenzen ist in dieser Gruppe sehr groß, es können Überschneidungen zur Gruppe 2 und zur Gruppe 4 bestehen. So gibt es Personen, die durchaus Begriffe unabhängig von Zeit und Raum oder das abstrakte Ja-/Nein-Konzept kommunikativ nutzen. Ebenso umfasst diese Gruppe Personen, die weiterhin sehr konkret und situationsgebunden kommunizieren.

4.Menschen, die altersgemäß symbolisch kommunizieren, sind Personen, die im Alltag in ihrem (Sprach-)Verstehen nicht eingeschränkt sind, denen jedoch aufgrund einer zumeist tiefgreifenden motorischen Beeinträchtigung die Fähigkeit fehlt, lautsprachlich zu sprechen. Diese Personen sind zudem meist auf umfassende Hilfe im Alltag angewiesen, besitzen dabei jedoch altersentsprechende kognitive und kommunikative Fähigkeiten (Weid-Goldschmidt).

Das Spektrum der Personen, die im Fachgebiet der UK adressiert werden, geht also von KommunikationsbeginnerInnen bis hin zu NutzerInnen mit umfassenden Kompetenzen im Bereich der altersangemessenen Kommunikation. Um der Heterogenität des Personenkreises gerecht zu werden und sinnvolle sowie passgenaue Unterstützung anzubieten, Maßnahmen in die Wege zu leiten, aber auch spezifische Hilfsmittel auszuwählen und anzupassen, ist eine spezifische Beratung, Diagnostik und Interventionsplanung somit unumgänglich, aber immer auch eine Herausforderung an die diagnostizierenden und begleitenden Personen.

1.3Kurzüberblick: Methoden und Medien der UK

Methoden und Medien der UK haben sich über die vergangenen Jahrzehnte vielfältig und entscheidend weiterentwickelt. Die Wahl des richtigen Hilfsmittels ist im diagnostischen Prozess ein ausschlaggebender Punkt, der letztlich darüber entscheidet, ob eine Person ihre kommunikativen Kompetenzen umfassend und passend für den jeweiligen individuellen Alltag einsetzen kann. Eine sich verstetigte Einteilung der Methoden der UK unterscheidet körpereigene Verfahren und externe Hilfen, die wiederum in nicht-elektronische und elektronische Hilfen unterschieden werden (Sachse / Bernasconi 2022).

Körpereigene Verfahren (unaided) bezeichnen zum einen basale Kommunikationsmöglichkeiten, bei denen in einem sehr weit gefassten Kommunikationsbegriff jedwede Informationsvermittlung als kommunikativer Akt verstanden wird. Dabei spielt es keine Rolle, ob die Kommunikation intentional und auf andere Personen bezogen ist oder ob es sich um nicht-intentionale Äußerungen eines Menschen handelt, welche als Kommunikation verstanden und in die Förderung einbezogen werden. Sogenannte basale Kommunikationsformen haben ihren Ausgangspunkt häufig an der Körperlichkeit einer Person. Es geht auf der vorintentionalen, präsymbolischen Stufe zunächst darum, kommunikative Prozesse und Situationen als solche zu erkennen, sich wahrgenommen zu fühlen, Selbstwirksamkeit zu erleben und Eindeutigkeit in der Kommunikation herzustellen. Dabei können unterschiedliche Konzepte genutzt werden, z. B. aus dem Bereich der Pädagogik bei komplexer Behinderung die →Basale Stimulation (Fröhlich 2015), die →Basale Kommunikation (Mall 2001) oder das aus dem englischen Sprachraum stammende Konzept der →Intensive Interaction (Grans-Wermers et al. 2021, Hansen / Klug 2014, Hewett 2012). Bei aller konzeptionellen und theoretischen Unterschiedlichkeit verbindet die Konzepte, dass sie an der Körperlichkeit der Person ansetzen, dass sie sich als voraussetzungslos beschreiben und dass sie mit Blick auf die Zielgruppen keine Grenzen definieren. Zentral in allen Konzepten ist ferner die Beziehungsgestaltung, der zumeist körperliche Austausch, über den erste kommunikative Erfahrungen und Interaktionsprozesse erlebt werden können.

Zu den körpereigenen Kommunikationsformen gehören ferner Handzeichen, Gesten und Gebärden. Viele Kinder nutzen von sich aus im Laufe ihrer kommunikativen Entwicklung Handzeichen bzw. individuelle, selbstentwickelte Gesten (Appelbaum 2016). Über Gesten hinaus wird innerhalb der UK spezifischer zwischen unterschiedlichen Gebärdensystemen differenziert. Diese unterscheiden sich vor allem hinsichtlich des Grades ihrer Komplexität, der anvisierten Zielgruppen sowie der Voraussetzungen zum Einsatz (Lüke / Vock 2019). So gibt es eher einfache Gebärdensysteme (Lautsprachunterstützende Gebärden – LUG, lautsprachbegleitende Gebärden –LBG oder spezifische Systeme wie „Schau doch meine Hände an“ – SDMH), mit denen Schlüsselworte gebärdet werden oder bei denen der Gebärdeneinsatz primär parallel zur Lautsprache geschieht. Daneben existiert die Deutsche Gebärdensprache – DGS, welche mit eigener Syntax und Grammatik die seit 2002 anerkannte Muttersprache der gehörlosen Menschen in Deutschland darstellt. Vorteile von Gebärden sind ihre visuelle Wahrnehmbarkeit, die Möglichkeit, die Ausführung leicht zu korrigieren und dass sie weniger flüchtig als Lautsprache sind. Demgegenüber stehen motorische Anforderungen, welche zum Teil für Menschen mit Körperbehinderungen eine Hürde darstellen können, ihr teilweise abstrakter Gehalt, der erst erlernt werden muss, sowie der Umstand, dass KommunikationspartnerInnen benötigt werden, die Gebärden verstehen bzw. einsetzen können.

Externe Hilfen (aided) bezeichnen alle Medien der UK, welche nicht direkt über oder mit dem Körper einer Person realisiert werden. Hier wird häufig noch die Unterscheidung in elektronische und nicht-elektronische Hilfen getroffen.

Nicht-elektronische Hilfen sind Hilfsmittel, die ohne Batterie bzw. Strom funktionieren (Hüning-Meyer / Bollmeyer 2010). Dazu gehören zum einen greifbare Symbole, z. B. verkleinerte Darstellungen von Objekten oder reale Objekte, die als Zeichen für einen Realgegenstand oder eine Situation verwendet werden. Diese Ankündigungszeichen oder Ankündigungsobjekte sind ebenfalls bereits auf einer sehr frühen Stufe der kommunikativen Entwicklung einsetzbar. Greifbare Symbole sind zudem besonders geeignet für Sehbehinderte oder blinde Personen. Den umfangreichsten Teil der nicht-elektronischen externen Hilfen stellen grafische Symbole beziehungsweise Symbolsysteme dar. Das Spektrum an Möglichkeiten, das hier gegeben wird, ist sehr breit und reicht von einfachen Bebilderungen bis hin zu komplexen wortschatzstrukturierenden Medien mit umfangreichen Symbolsammlungen. Die Symbole können z. B. auf Kärtchen oder in kleinen Mappen angeordnet werden, wobei Zeichnungen, Piktogramme oder auch abstrakte Symbole eingesetzt werden können. Des Weiteren existieren auf grafischen Symbolen basierende Therapie- und Unterstützungssysteme, z. B. das ursprünglich als verhaltenstherapeutische Maßnahme konzipierte →PECS – Picture Exchange Communication System (Bondy / Frost 1998) oder das mittlerweile über den Kontext der Begleitung von Menschen mit Autismus-Spektrum bekannte und genutzte →TEACCH-Konzept (Häußler 2012). Dieses setzt einen besonderen Fokus auf die Visualisierung von unterschiedlichen Inhalten mittels Symbolen und die Strukturierung von Kommunikations-, Interaktions- und anderen Alltagssituationen.

Externe elektronische Hilfen bezeichnen unterschiedliche Geräte, mit denen Nachrichten und Kommunikationsinhalte abgespielt und ausgetauscht werden können. Das Spektrum reicht hier von einfachen Tastern, welche mit Verbalsprache besprochen werden und die dann von den u. k. Personen (unterstützt kommunizierende Personen) abgespielt werden können, bis hin zu komplexen elektronischen Hilfen mit einem umfänglichen Vokabular und vielfältigen syntaktischen und grammatikalischen Funktionen. Insbesondere im Bereich der elektronischen Hilfen sind in den letzten Jahren viele Entwicklungen entstanden, welche das Spektrum der elektronischen Hilfen maßgeblich erweitert und verbreitert haben. Auch Tablet-gestützte Kommunikationshilfen, die z. B. auf iPad-Basis funktionieren und bei denen über eine App Wortschatzstrukturierung, Ansteuerung und Sprachausgabe realisiert werden, haben in den letzten Jahren eine immer größere Verbreitung gefunden.

Elektronische Hilfen bieten damit vielfältige Möglichkeiten zur Kommunikation und zur Individualisierung der Kommunikationshilfen. Eine strukturierende und systematisierende Übersicht findet sich z. B. bei Boenisch et al.(2020).

Grundsätzlich gilt in der UK, dass nicht lediglich eine Kommunikationsform für eine Person ausgewählt wird, sondern ein individuelles Kommunikationssystem ausgearbeitet werden sollte. Dieses multimodale System kann dabei verschiedene Kommunikationsformen umfassen und so für unterschiedliche Situationen jeweils passende Kommunikationsformen und -modalitäten zur Verfügung stellen. Entsprechend reicht es oftmals nicht aus, lediglich die Versorgung mit einem Hilfsmittel in die Wege zu leiten, sondern eine Verbesserung der kommunikativen Situation wird erst dann möglich, „wenn mit der unterstützt kommunizierenden Person ein in allen Komponenten ganz individuell auf sie abgestimmtes Kommunikationssystem erarbeitet wird“ (Pivit 2010, 01.005.001). Um eine weitreichende, unmissverständliche und schnelle Kommunikation in allen Lebenslagen zu ermöglichen, können demnach selbstverständlich Aussagen mit einer elektronischen Hilfe durch körpereigene Signale ergänzt oder Gebärden zusätzlich zu Bildkarten eingesetzt werden. Dies gilt dabei nicht nur für die u. k. Person, sondern auch die lautsprachlichen KommunikationspartnerInnen sollten im besten Sinne eines Modells möglichst unterschiedliche Kommunikationsformen und -modalitäten nutzen, jeweils passend zur Situation und dem kommunikativen Kontext, um positive Erfahrungen in der Kommunikation sowie Lerneffekte mit unterschiedlichen Kommunikationsformen zu ermöglichen.

2Spezifika der Diagnostik und Interventionsplanung in der UK

2.1Zusammenhang von Beratung, Diagnostik und Interventionsplanung

UK-Interventionen bezeichnen das „geplante und systematische Unterstützen einer nichtlautsprachlich kommunizierenden Person bei der Erweiterung ihrer kommunikativen Unabhängigkeit und Partizipation“ (Sachse / Bernasconi 2020, 204). Der Fokus der Interventionsplanung liegt dabei nicht alleine auf der Person ohne Lautsprache, sondern auf dem gesamten Lebensumfeld und der individuellen Lebenssituation. Ziel ist gelingende Alltagskommunikation sowie die Erweiterung der individuellen kommunikativen Kompetenz.

Interventionen im Kontext der UK zielen entsprechend auf

•die Auswahl von benötigten individuellen Kommunikationshilfen,

•die Unterstützung aller am Interventionsprozess beteiligten Personen,

•Fragen nach dem konkreten Einsatz der Kommunikationshilfen Alltag (Sachse 2010).

Zusätzlich werden weitere inhaltliche, organisatorische und methodische Aspekte wie Vokabularauswahl, Fragen der Ansteuerung, Netzwerkaktivierung sowie Fragen rund um den Versorgungsprozess etc. bedacht.

Interventionen werden im Kontext der UK oftmals innerhalb einer Triade aus Diagnostik, Beratung sowie Zielformulierungen gesehen und sind damit übergreifendes und zentrales Thema (Boenisch / Sachse 2007). Fundament der Zielformulierung (Interventionsplanung) sind dabei die Ergebnisse aus der Diagnostik, aber auch die weiteren Informationen aus der Beratung, die den Blick auf den individuellen Lebensalltag erweitern. Ferner ist im Sinne eines prozessorientierten Vorgehens die Evaluation bisheriger Maßnahmen Ausgangspunkt weiterer Interventionen.

Interventionsplanung kann entsprechend als enger gefasster Begriff für den Prozess der Entwicklung von Zielen und Maßnahmen auf Grundlage der Ergebnisse von Diagnostik und Beratung verstanden werden. Demgegenüber bezeichnen UK-Interventionen die gesamte Triade aus Diagnostik, Beratung und Interventionsplanung (Abb. 1).

Abb. 1: Triade der UK-Interventionen

Das Vorgehen folgt einem allgemeinen förderdiagnostischen Prozess, bei dem von einem Ist-Zustand ausgegangen und gleichsam ein Ziel-Zustand beschrieben wird, der durch die Intervention erreicht werden soll (Bundschuh / Winkler 2019). Diese Vorgehensweise beruht „auf einer vermuteten Kette logischer Zusammenhänge zwischen Diagnostik, Grobzielgestaltung, Arbeitsmodell […], Feinziel, Fördermaßnahmen und Abschlussevaluation“ (Pretis 2019, 121). Interventionsplanung soll zudem eine effektive Förderung ermöglichen, steht jedoch andererseits im Spannungsfeld zwischen zielgerichteter Arbeit und zu eng geplanten Maßnahmen, die die Vielzahl menschlicher Lern- und Verhaltensmöglichkeiten zu sehr verengen (Schuhmacher 2004). Hinzu kommt, dass gerade zu Beginn der Diagnostik oftmals darauf fokussiert wird, „was eine Person (noch) nicht kann und nicht die Bedingungen adressiert werden, warum eine Person einer Anforderung nicht gewachsen ist“ (Bernasconi 2020, 126). Eine ausschließlich personengebundene Einschätzung von aktuellen Schwierigkeiten löst jedoch das kommunikative Problem in der Regel nicht. Zudem werden professionellen und privaten Bezugspersonen nur eingeschränkte Handlungsmöglichkeiten gegeben, da die Grunderkrankung der Person mit Bedarf an UK häufig nicht veränderbar ist.

Im Kontext von UK-Interventionen stehen deshalb nicht Maßnahmen im Fokus, die kommunikative Schwierigkeiten über die Person selbst zu verändern versuchen, sondern es setzt sich zunehmend die Erkenntnis durch, dass insbesondere die Anpassung der Umweltbedingungen zu einem Abbau von kommunikativen Schwierigkeiten führt (Light / McNaughton 2015, Sachse / Bernasconi 2020). In Teilen kann hier ein Widerspruch zwischen in der Theorie geforderter Offenheit und in der Praxis gestalteter Diagnostik entstehen. Hilfreich erscheint eine Loslösung von der Frage nach dem „Was kann er oder sie noch nicht?“ hin zu einem „Warum besteht diese kommunikative Schwierigkeit?“. Eingeschränkte kommunikative Kompetenzen haben nicht nur einen Bezug zu einem Gesundheitsproblem, sondern häufig z. B. zu Krisen oder besonderen Umständen in der Familie, zu kritischen Lebensereignissen oder bisherigen Erfahrungen mit Kommunikation und Interaktion. Verfügt ein Individuum noch nicht über die notwendigen kommunikativen Kompetenzen, so „sollte zuerst gefragt werden, ob es genügend Gelegenheiten gehabt hatte, diese zu erwerben“ (Hollenweger 2019, 36).

2.2Stellenwert und Spezifika in der Diagnostik in der UK

Bei der Begleitung, Unterstützung und Förderung im Kontext der UK hat die Diagnostik seit jeher einen hohen Stellenwert, denn „UK braucht Diagnostik, Diagnostik braucht UK“ (Leber 2009a, 1). Die differenzierte Diagnose der Entwicklung einer u. k. Person zielt dabei auf die Gestaltung kommunikationsfördernder Bedingungen, die Ableitung von Förderbedarfen sowie die Einordnung des kommunikativen Entwicklungsstandes (Wilken 2021b).

Da die drei zentralen Bereiche der UK Diagnostik, Interventionsplanung und Beratung immer eng miteinander verzahnt sind, ist das eine nicht ohne das andere zu denken, und die Diagnostik hat hier in dem Sinne keine isolierte Stellung, sondern ist selbstverständlicher und unabdingbarer Bestandteil jedweder UK-Arbeit (Boenisch / Sachse 2007). Da UK-Diagnostik fast immer auch mit Interventionen verbunden ist, sind auch alle Maßnahmen und Prozesse der Diagnostik von einer pädagogischen oder therapeutischen Zielsetzung geleitet, bei der die erfolgreiche Kommunikationsentwicklung als übergeordnetes Ziel im Mittelpunkt steht (Garbe / Herrmann 2020). Gleichwohl besitzt Diagnostik in der UK einige Besonderheiten, welche ein spezifisches Vorgehen erforderlich machen (Boenisch 2009, Appelbaum 2019). In der UK wird aufgrund der Komplexität und Heterogenität der Zielgruppen nicht von einem Modell ausgegangen, bei dem aus der Diagnostik immer gleichbleibende, kausale Ziele und Maßnahmen abgeleitet werden können, sondern vielmehr muss die Diagnostik umfassend neben den individuellen Fähigkeiten einer Person auch deren Lebenswelt beleuchten und einbeziehen. Dabei steht letztlich die Frage im Mittelpunkt, welche Fähigkeiten, zu erwerbenden Kompetenzen und anzuleitenden Maßnahmen die kommunikative Kompetenz einer Person mit komplexer Kommunikationsstörung nachhaltig verbessern könnten.

Ausgangspunkt in der Diagnostik in der UK ist demnach stets das Individuum mit seinen Interessen, Möglichkeiten der Partizipation und immer eingebettet in das jeweilige Umfeld (Erdélyi / Mischo 2015). Dabei werden diagnostische Erkenntnisse auch für Entscheidungsprozesse in unterschiedlichen Settings sowie im Bereich der Hilfs- und Heilmittelversorgung herangezogen oder eingefordert. Entsprechend liegt hier eine große Verantwortung für die ausführenden Personen, da die diagnostischen Ergebnisse und Erkenntnisse für die betreffenden Personen und ihr Umfeld eine besondere Tragweite mit Blick auf die individuelle Förderung und Unterstützung, aber auch die Lebensqualität und Teilhabemöglichkeiten haben.

Insgesamt stellt UK-Diagnostik eine besondere Herausforderung dar, weil

•nahezu keine standardisierten Verfahren existieren, die die Komplexität der Kommunikationssituation einer Person ohne Lautsprache umfassend betrachten,

•vorhandene (standardisierte) Verfahren oftmals durch eine spezifische Fokussierung den Blick auf die Gesamtheit der Kompetenzen einer Person verengen bzw. nur Teilaspekte betrachten und

•standardisierte Testverfahren, die den Entwicklungsstand über die Lautsprache erfassen, i. d. R. nicht eingesetzt werden können und auch nonverbale Testverfahren sich oftmals aufgrund der vielfach existierenden motorischen Beeinträchtigungen der Zielgruppe nicht anbieten.

Entsprechend erfordert die UK-Diagnostik

•intensives Fachwissen zu Entwicklungsverläufen unter den Bedingungen von körperlicher oder kognitiver Beeinträchtigung, Grundwissen zu Beeinträchtigungen im Bereich von Motorik, Wahrnehmung, Sozialisation etc.,

•Fachkenntnisse über spezifische Behinderungsbilder wie Cerebralparese, ASS, ALS etc. sowie die entsprechenden Entwicklungsverläufe und Besonderheiten,

•Kenntnisse mit Blick auf den regulären Spracherwerb sowie Veränderungen beim Spracherwerb ohne Lautsprache und letztlich

•dezidierte allgemeindiagnostische Kompetenzen mit Blick auf die Gestaltung von Diagnostik sowie das Methodenrepertoire hinsichtlich allgemeiner sowie spezifischer Materialien.