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In diesem Werk, das in einer Reihe steht mit seiner ›Summa Technologiae‹ (1976) und ›Phantastik und Futurologie‹ (1977), unternimmt Stanislaw Lem eine Neuschöpfung der sokratischen Dialoge, sokratischer Dialoge in einer Zeit, in der die traditionellen Themen der Philosophie, Theologie und Gesellschaftstheorie, vor allem unter dem Einfluss der Kybernetik, eine neue Darstellung erfahren. Die in der Zukunft liegenden Konsequenzen, die die weiter fortschreitende Konstruktion von Computern zeitigen werden – von einem eventuell möglichen ewigen Leben des Individuums bis zur Konstruktion neuer Gesellschaftsformationen – suchen diese Dialoge zu explorieren und zu bewerten.
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Seitenzahl: 451
In diesem Werk, das in einer Reihe steht mit seiner ›Summa Technologiae‹ (1976) und ›Phantastik und Futurologie‹ (1977), unternimmt Stanisław Lem eine Neuschöpfung der sokratischen Dialoge, sokratischer Dialoge in einer Zeit, in der die traditionellen Themen der Philosophie, Theologie und Gesellschaftstheorie, vor allem unter dem Einfluß der Kybernetik, eine neue Darstellung erfahren. Die in der Zukunft liegenden Konsequenzen, die die weiter fortschreitende Konstruktion von Computern zeitigen werden – von einem eventuell möglichen ewigen Leben des Individuums bis zur Konstruktion neuer Gesellschaftsformationen –, suchen diese Dialoge zu explorieren und zu bewerten. »Nicht die verschiedenen phantastischen Bücher bildeten den Inhalt meines geistigen Lebens, sondern die Fragen, die ich in den ›Dialogen‹ ausgesprochen habe – Fragen nach den kausalen Ursachen des Lebens, des Bewußtseins und des Todes, nach der Formbarkeit der Intelligenz, nach den Grenzen dessen, was wir zu tun vermögen, danach, ob gesellschaftliche Mängel überwindbar sind oder ob man in den verschiedenen gesellschaftlichen Formationen nur das eine Unglück gegen das andere austauschen kann.«
Stanisław Lem wurde am 12. September 1921 im polnischen Lwów (Lemberg) geboren, lebte zuletzt in Krakau, wo er am 27. März 2006 starb. Nach dem Zweiten Weltkrieg arbeitete er als Übersetzer und freier Schriftsteller. Er wandte sich früh dem Genre Science-fiction zu, verfaßte aber auch gewichtige theoretische Abhandlungen und Essays zur Kybernetik, Literaturtheorie und Futurologie. Stanisław Lem zählt zu den bekanntesten und meistübersetzten Autoren Polens. Viele seiner Werke wurden verfilmt.
STANISŁAW LEM
DIALOGE
Autorisierte Übersetzung aus dem Polnischenvon Jens Reuter
Mit einem Nachwort des Autors
Suhrkamp
Titel der Originalausgabe: Dialogi
eBook Suhrkamp Verlag Berlin 2013
© Stanisław Lem 1957
© der deutschen Ausgabe Suhrkamp Verlag Frankfurt am Main 1980
Deutsche Erstausgabe
Alle Rechte vorbehalten, insbesondere das des öffentlichen Vortrags, der Übertragung durch Rundfunk und Fernsehen sowie der Übersetzung, auch einzelner Teile
Umschlaggestaltung: Willy Fleckhaus
eISBN 978-3-518-74315-7
www.suhrkamp.de
PHILONOUS Sei mir gegrüßt, lieber Freund. Worüber sinnst du nach so ganz allein in diesem schönen Park?
HYLAS Ach, du bist’s? Ich freue mich, dich zu sehen. Diese Nacht habe ich in harter Arbeit einen Gedanken entwickelt, der der Menschheit unendlich viel verheißt.
PHILONOUS Was ist denn das für ein wertvoller Gedanke?
HYLAS Ich bin zur Überzeugung gekommen (die eigentlich Gewißheit ist), daß die Menschen dermaleinst die Unsterblichkeit erlangen werden.
PHILONOUS Hör ich richtig? Wie denn das, du bist doch nicht etwa dem Materialismus untreu geworden, den du bisher gepredigt hast?
HYLAS Nie und nimmer. Mein Gedanke kollidiert nicht im geringsten mit dem Materialismus, ganz im Gegenteil, er geht notwendig aus ihm hervor.
PHILONOUS Ich bin ganz Ohr. Laß hören, mein Freund.
HYLAS Wie dir bekannt ist, existiert über die Materie hinaus nichts. Diese Wolken, diese herbstlichen Bäume, diese blaßgelbe Sonne, wir selbst schließlich – all das sind materielle Gegenstände, das heißt Ansammlungen von Atomen; die verschiedenartigen Eigenschaften der Körper jedoch entspringen dem Unterschied ihrer atomaren Strukturen. Denn es sind die gleichen Sauerstoff-, Kohlenstoff- oder Eisenatome, ob sie sich nun in Steinen, Blättern oder unserem Blut befinden. Diese Gebilde unterscheiden sich einzig und allein durch ihren Aufbau, durch die unterschiedliche Position ihrer Teilchen, das heißt durch ihre Struktur. Daher kann man ganz generell sagen, daß einzig Atome und ihre Strukturen existieren. Also habe ich mir die Frage vorgelegt, was die Ursache dafür ist, daß ich mich trotz all der Jahre, die inzwischen vergangen sind, immer noch als der gleiche Hylas fühle, der hier als kleiner Junge gespielt hat. Ist dieses Gefühl der individuellen Identität – fragte ich mich – durch die Identität des Baustoffs meines Körpers hervorgerufen, das heißt der Atome, aus denen er zusammengesetzt ist? So kann es jedoch keinesfalls sein. Denn es ist ja aus den Naturwissenschaften bekannt, daß sich die Atome unseres Körpers dank der Speisen und Getränke, die wir zu uns nehmen, und der Luft, die wir atmen, unaufhörlich erneuern. Knochen, Nerven- und Hautzellen wechseln ihre Atome pausenlos aus, und zwar so schnell, daß alle materiellen Teilchen, aus denen mein Organismus zusammengesetzt war, jeweils nach Ablauf einiger Wochen in den Wellen eines Flusses oder in den Wolken schweben; ich aber existiere gleichwohl weiter und spüre die Kontinuität meiner Persönlichkeit. Wem verdanke ich das? Ganz sicher meiner nicht veränderten atomaren Struktur. Bedenke nur, daß die neuen Atome meines Körpers nicht dieselben sind, die noch vor einem Monat in ihm steckten, sie sind jedoch die gleichen, und das genügt voll und ganz. So statuiere ich also: Die Identität meiner Existenz hängt von der Identität meiner Struktur ab.
PHILONOUS Einverstanden. Und weiter?
HYLAS Die Menschen der Zukunft werden bessere und immer getreuere Kopien von den atomaren Strukturen aller materiellen Produkte der Schöpfung anfertigen. Schon jetzt können sie künstliche Diamanten herstellen oder Saphire, künstlichen Harnstoff und sogar künstliches in Retorten synthetisiertes Eiweiß. Zweifellos werden sie eines Tages die Kunst beherrschen, zunächst die Moleküle des lebenden Körpers und dann ihn selbst – aus Atomen zu bauen. In diesem Moment haben sie die Unsterblichkeit gewonnen, denn sie werden in der Lage sein, jeden Verstorbenen ins Leben zurückzurufen, und zwar durch die perfekte Anordnung der Atome entsprechend der Struktur, die sein Körper zu Lebzeiten aufwies. Dieser Prozeß der Auferstehung wird – wie ich meine – im Inneren einer Maschine vor sich gehen, in die das entsprechende Schema eingegeben wird, eine Art Bauplan, das heißt die Strukturformel eines bestimmten Menschen, nach der die Maschine aus Atomen Eiweißmoleküle baut, Zellen, Sehnen, Nerven – und schon tritt dieser Mensch aus der Maschine heraus, froh und munter sowie bei bester Gesundheit. Na, was sagst du dazu?
PHILONOUS Ich sage, daß man das Problem von allen Seiten erörtern muß.
HYLAS Was gibt es da noch zu erörtern? Eine derartige Maschine vermögen wir heute noch nicht zu bauen, der Fortschritt der Wissenschaften gibt uns jedoch die Gewißheit, daß sie einmal gebaut werden wird, und für uns Philosophen ist es nicht wichtig, ob das in tausend oder einer Million Jahren der Fall sein wird. Wie ich bereits sagte, in der Natur kannst du über die Atome und ihre Strukturen hinaus nichts finden. Es gibt insbesondere keine unsterbliche Seele, die, den Toten verlassend, ins Jenseits entschwebt. So wird folglich derjenige, der die Kunst beherrscht, die Atome längst vermoderter Körper wieder gemäß ihrer Struktur zusammenzusetzen, eo ipso diese Körper in ihrer ursprünglichen Gestalt und ihren Funktionen ins Leben zurückrufen können. Wer aber den Körper eines bereits verstorbenen Menschen erneut aus Atomen zusammengesetzt hat – der wird ihn vor sich haben in der Fülle seines Lebens, obwohl jener bereits vor Jahrhunderten zu Grabe getragen wurde ...
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