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Hier bleibt Ijon Tichy, der Held so vieler lemscher Erzählungen, ausnahmsweise auf dem Boden, das heißt auf der Erde. Es bedeutet allerdings nicht, dass es ihm hier langweilig würde, ganz im Gegenteil: Er wird beschossen, eingefroren, aufgetaut, betäubt, benebelt, beglückt und bekommt schließlich noch einen Rattenschwanz verpasst. Der futurologische Kongreß ist eine der großen Dystopien des 20. Jahrhunderts – allerdings deutlich lustiger als die Konkurrenz von Orwell, Huxley oder Atwood.
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Seitenzahl: 190
Der achte Kongreß zu Nounas in Costricana, an dem auch der weltberühmte Weltraumfahrer Ijon Tichy teilnimmt, steht unter keinem guten Stern. In den Straßen kämpft eine rücksichtslose Militärregierung mit Insurgenten, wobei auch chemische Kampfstoffe eingesetzt werden. Auch die Teilnehmer des Kongresses werden in die Kämpfe verwickelt und müssen sich auf der Flucht, vollgepumpt mit Chemie, in die Kanalisation der Stadt zurückziehen. Ijon Tichy wird nach schweren Verletzungen in Kühlschlaf versetzt und erwacht im Jahr 2039. Mittlerweile ist das Zeitalter der Psychemie angebrochen, der Beeinflussung aller Sinneswahrnehmungen durch chemische Mittel, die die ganze menschliche Existenz durchdringen, so daß es keine Wirklichkeit mehr gibt, die nicht chemisch manipuliert wäre. Wie in den Sterntagebüchern (st 459) betreibt Lem ein Spiel mit der Sprache und schöpft scheinbar mühelos mehr als hundert neue Begriffe aus der Wissenschaft und dem Leben der Zukunft und imaginiert beiläufig die »sprachseitige Zukunftsvoraussage«, d.h. eine Futurologie, die die Zukunft anhand der Umformungsmöglichkeiten der Sprache erforscht.
Stanisław Lem wurde am 12. September 1921 im polnischen Lwów (Lemberg) geboren, lebte zuletzt in Krakau, wo er am 27. März 2006 starb. Nach dem Zweiten Weltkrieg arbeitete er als Übersetzer und freier Schriftsteller. Er wandte sich früh dem Genre Science-fiction zu, verfaßte aber auch gewichtige theoretische Abhandlungen und Essays zur Kybernetik, Literaturtheorie und Futurologie. Stanisław Lem zählt zu den bekanntesten und meistübersetzten Autoren Polens. Viele seiner Werke wurden verfilmt.
Stanisław Lem
Der futurologische Kongreß
Aus Ijon Tichys Erinnerungen
Aus dem Polnischenvon I. Zimmermann-Göllheim
Phantastische Bibliothek
Band 29
Suhrkamp
Titel der Originalausgabe:
Kongres futurologiczny
Umschlagfoto: Roger Ressmeyer / Corbis
eBook Suhrkamp Verlag Berlin 2013
© by Stanisław Lem 1972
Alle Rechte an der deutschen Ausgabe Insel Verlag, Frankfurt am Main 1974
Lizenzausgabe mit freundlicher Genehmigung des Insel Verlags, Frankfurt am Main 1994
Alle Rechte vorbehalten, insbesondere das der Übersetzung, des öffentlichen Vortrags sowie der Übertragung durch Rundfunk und Fernsehen, auch einzelner Teile.
Kein Teil des Werkes darf in irgendeiner Form (durch Fotografie, Mikrofilm oder andere Verfahren) ohne schriftliche Genehmigung des Verlages reproduziert oder unter Verwendung elektronischer Systeme verarbeitet, vervielfältigt oder verbreitet werden.
Umschlag: Göllner, Michels, Zegarzewski
eISBN 978-3-518-74318-8
www.suhrkamp.de
Der Achte Futurologische Weltkongreß fand zu Nounas in Costricana statt. Ehrlich gesagt, ich wäre nie hingereist, aber Professor Tarantoga deutete an, alle Welt erwarte es von mir. Auch sagte er (was mir einen Stich gab), Astronautik sei heute eine Form der Erdflucht. Wer die Sorgen der Erde satt habe, fliege in die Galaxis und gedenke so das Ärgste zu versäumen. In der Tat lugte ich zumal früher auf dem Heimflug von meinen Reisen oft angstvoll durchs Fenster, gewärtig, statt des Erdballs ein Ding wie eine Bratkartoffel vorzufinden. Also sträubte ich mich kaum; ich erwähnte nur, daß ich von Futurologie nichts verstehe. Tarantoga erwiderte, fast niemand verstehe etwas von Schiffspumpen, doch beim Ruf »Alle an die Pumpen« eile jeder an seinen Platz.
Der Vorstand der Futurologischen Gesellschaft hatte Costricana zum Tagungsland gewählt, weil die Übervölkerungs-Springflut und ihre Bekämpfung das Thema bildeten. Costricana hat derzeit den welthöchsten Geburtenüberschuß; unter dem Druck solcher Wirklichkeit sollten wir fruchtbarer debattieren. Nur Lästerer hoben hervor, daß just in Nounas ein neuerbautes Hotel des Hilton-Konzerns meistens leer stand, wohingegen zur Tagung außer den Futurologen ebenso viele Presseleute anreisen sollten. Da sich im Rahmen der Debatten das Hotel in nichts aufgelöst hat, kann ich jetzt ruhigen Gewissens und ohne Furcht vor dem Verdacht der Schleichwerbung feststellen: Es war ein ausgezeichnetes Hilton! In solchen Dingen hat mein Urteil besonderes Gewicht. Ich bin nämlich der geborene Schwelger. Nur aus Pflichtgefühl entsage ich allem Komfort und erwähle mir die astronautische Plackerei.
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