Didaktik des Kunstunterrichts - Alexander Glas - E-Book

Didaktik des Kunstunterrichts E-Book

Alexander Glas

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Beschreibung

Kunstunterricht steht vor der komplexen Aufgabe, jungen Menschen Bildungserfahrungen im Feld von Kunst und visueller Gestaltung zu eröffnen. Einen besonderen Stellenwert haben neben zeitgenössischen Formen wie Filmen und Grafik-Design historisch begründete Kulturtechniken wie Zeichnen, Malen, plastisches Gestalten und viele mehr. Ausgehend von den Bildungszielen und ihren Begründungen in allgemeinpädagogischen Diskursen spannen die Autoren den Bogen über die konkrete Didaktik der einzelnen Gestaltungsbereiche bis hin zu Unterrichtsplanung und Methodik. Beginnend beim Vorschulalter bis hin zur Jugendzeit wird eine Kunstdidaktik in ihrer gesamten Breite für alle Schulformen entwickelt. Anhand zahlreicher Beispiele bietet dieses Buch somit eine grundlegende und praxisorientierte Einführung in die Möglichkeiten der kunstdidaktischen Anwendung.

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Inhalt

Cover

Titelei

Vorwort

Kapitel I Grundlagen und Begründung des Faches Kunst

1 Gegenstände und Inhalte des Kunstunterrichts

2 Das Bildungsverständnis der Kunstpädagogik

2.1 Kunstdidaktik und Bildung

2.2 Menschenbild und Kunstauffassung

2.3 Relationalität und Verkörperung

2.4 Kunstdidaktische Folgerungen

Kapitel II Didaktische Strukturen des Kunstunterrichts

Überblick

1 Lehren im Fach Kunst – die künstlerische Lehre

1.1 Das Wesen der künstlerischen Lehre

1.2 Einheit von Schaffen, Betrachten, Kritik und Historie in der Kunst

1.3 Wahrnehmen, Vorstellen, Darstellen

1.4 Inhalt, Handwerk, Gestaltung

1.5 Der Bezug zur Struktur des Kunstunterrichts

1.6 Mimesis, Deixis, Impuls/Energie/Begeisterung

2 Die Linien des curricularen Aufbaus der Lehre

Kapitel III Didaktik der Gegenstandsfelder des Kunstunterrichts

Überblick

1 Inhaltsfelder des Kunstunterrichts

1.1 Inhalte als existenzielle und relationale Sinndimension

1.2 Themenfelder und deren Bearbeitung

1.3 Kunstunterricht als erziehender Unterricht

1.4 Didaktische Folgerungen

1.4.1 Themen relational und komplementär anlegen

1.4.2 Inhaltliche Relevanz zeit- und gattungsübergreifend erfassen und begründen

1.4.3 Orte und Wege der thematischen Einführung variieren

1.4.4 Themen curricular konzipieren

2 Gestaltungsfelder des Kunstunterrichts

2.1 Die didaktische Systematik der Gestaltungsfelder

2.1.1 Körperhaft-räumliche Gestaltungskünste

2.1.2 Flächenhaft-bildliche Darstellungskünste

2.1.3 Konzeptuelle Kunstformen

2.1.4 Übergänge – Zeitkünste und Digitalität

2.1.5 Fazit

2.2 Die einzelnen Gestaltungsfelder und ihre Didaktiken

2.2.1 Zeichnen

2.2.2 Malen

2.2.3 Plastisches Formen

2.2.4 Skulpturales Gestalten

2.2.5 Keramisches Formen

2.2.6 Bauen, Montieren, Konstruieren

2.2.7 Fotografieren

2.2.8 Film und Filmen

2.2.9 Drucken

2.2.10 Werken

2.2.11 Produktdesign

2.2.12 Typografie, Grafik-Design und Kommunikationsdesign

2.2.13 Architektur

2.2.14 Performative Kunstformen

2.2.15 Konzeptuelle Kunstformen

3 Didaktik der Betrachtung, der Kritik und der Historie

Kapitel IV Kunstunterricht planen und durchführen

Überblick

1 Unterrichtsplanung

1.1 Vorbereitung und Planung des Unterrichts

1.2 Sachanalyse und didaktische Reduktion

1.3 Aufgabenkonstruktion

1.4 Fächerverbindendes und fachübergreifendes Unterrichten, Projektunterricht

1.5 Außerschulische Lernorte: Natur, Stadt, Museum

2 Methodik des Kunstunterrichts

2.1 Unterrichtsmethodische Grundfiguren, Organisation des Unterrichts – Einstiege, Übergänge, Vertiefung, Transfer

2.2 Praxisphasen – Verstehen und Helfen

2.3 Beurteilen und Bewerten

2.4 Präsentieren

Kapitel V Was lehrt ein Lehrbuch der Didaktik? Was lehrt es nicht?

Die Selbstbegrenzung der didaktischen Lehre

Kapitel VI Anhang

Literatur

Bildbeiträge

Stichwortverzeichnis

Die Autoren

Alexander Glas, Prof. Dr. phil., von 2006 bis 2021 Professor für Kunstpädagogik/Ästhetische Erziehung an der Universität Passau. Studium der Malerei, Kunstpädagogik, Kunstgeschichte und Philosophie. Tätig als Kunstpädagoge im gymnasialen Lehramt. Mitherausgeber des Lehrwerks KUNST und der IMAGO-Reihe, Zeitschrift für Kunstpädagogik. Arbeitsschwerpunkte: Kinder- und Jugendzeichnung. Relation von Bild – Wort – Text. Begriffs- und Sprachbildung durch Aisthesis.

Jochen Krautz, Prof. Dr. phil., Professor für Kunstpädagogik, Bergische Universität Wuppertal; zuvor Lehrer für Kunst und Latein. Gründungsmitglied kunstpädagogischer Forschungsverbund IMAGO. Arbeitsschwerpunkte: Kunstpädagogik, Kunstdidaktik, Bildungstheorie, Bildungspolitik.

Hubert Sowa, Prof. Dr. phil., 2001 bis 2021 Professor für Kunst und ihre Didaktik an der pädagogischen Hochschule Ludwigsburg; davor 20 Jahre im gymnasialen Lehramt in Bamberg. Mitarbeiter im kunstpädagogischen Forschungsverbund IMAGO; Mitherausgeber von Schulbüchern (Lehrwerk KUNST im Klett-Verlag); Mitherausgeber von IMAGO, Zeitschrift für Kunstpädagogik.

Alexander GlasJochen KrautzHubert Sowa

Didaktik des Kunstunterrichts

Ein Lehrbuch für Studium und Praxis

Verlag W. Kohlhammer

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1. Auflage 2023

Alle Rechte vorbehalten© W. Kohlhammer GmbH, StuttgartGesamtherstellung: W. Kohlhammer GmbH, Stuttgart

Print:ISBN 978-3-17-037595-6

E-Book-Formate:pdf: ISBN 978-3-17-037596-3epub: ISBN 978-3-17-037597-0

Vorwort

Das vorliegende Buch ist eine grundlegende Einführung in das didaktische Denken und unterrichtliche Handeln in der Kunstpädagogik. Es richtet sich an Studierende, Referendare und Lehrende, die das Fach Kunst unterrichten, sowie an die zahlreichen Berufsquereinsteiger aus den vielen fachverwandten künstlerischen Feldern. Es bietet einen systematischen und schulformübergreifenden Überblick über die didaktischen und methodischen Aufgaben, die mit der Vorbereitung und Durchführung von Kunstunterricht in Verbindung stehen. Kern des Buches ist die Gestaltungspraxis: Diese wird in der Vielfalt der fachbezogenen Handlungs- und Gegenstandfelder deutlich gemacht und in ihrer jeweils inhaltlich-bildungstheoretisch und didaktisch-methodischen Ausrichtung erläutert.

Konzipiert wird eine profunde praxisbezogene Kunstdidaktik, die sich aus den gegenwärtigen Hauptsträngen kunstpädagogischer Forschung generiert. Damit reagiert dieses Lehrwerk auf die spezifischen Herausforderungen, die sich dem Fach im aktuellen Bildungsdiskurs stellen. So gehört es zu den Grundlagen künftiger Lehrkräfte, über ein differenziertes Verständnis nicht nur der Kunst zu verfügen, sondern generell des Bildes in den diversen Kontexten und medialen Konstrukten der Gegenwart. Die Kunst selbst soll jedoch bei allen diesen Fragen als orientierende Größe im Mittelpunkt stehen. Mit Hilfe der Kunst lernt man, die Phänomene der Welt in ihren verschiedenen Dimensionen, Zuständen und Veränderungen zu lesen, zu begreifen, zu reflektieren, zu gestalten und auch die Relation zur heutigen Bildpraxis und den damit verbundenen Bildkulturen herzustellen. Seit ihren Anfängen bildet die Kunst bis hin zur Gegenwart das existenzielle anthropologische Fundament; sie ist Spiegel der menschlichen Wahrnehmungs- und Handlungsfelder und hat ihren Ausgangspunkt im Humanum des menschlichen Daseins.

Letztlich gilt es, ein solches grundlegendes Verstehen in methodisch-didaktische Vermittlungsprozesse überzuführen und Heranwachsenden in der Erschließung von Wirklichkeit mittels der Kunst und des Bildes eine Leitlinie des Sich-zurecht-findens zu geben. Kunstdidaktik ist eine Lehrkunst auf wissenschaftlicher Basis. Offenheit und Regel werden hier in ein besonderes abwägendes Verhältnis gesetzt. Die Lehre ist dabei immer auf den zu interpretierenden Einzelfall abzustimmen. Das bedeutet: Schülerinnen und Schülern in fruchtbaren Entwicklungsmomenten mit geeigneten Aufgabenstellungen eine größtmögliche Förderung zukommen zu lassen. Neben der theoretischen Fundierung werden daher in diesem Band an Beispielen umfassend praxisorientierte Themenfelder und deren didaktische Anwendung vorgestellt. Ziel ist, hier nicht nur einen Überblick zu geben, sondern die Elemente kunstdidaktischer Begründungs- und Entscheidungsfelder in einer Systematik aufeinander zu beziehen und diese als Gesamtaufgabe wahrzunehmen.

Der Band spiegelt diesen Ansatz in vier Kapiteln wider: Aufbauend auf den beiden einleitenden Kapiteln mit grundlegender Orientierungsfunktion über (I) Grundlagen und die Bildungsziele sowie (II) die didaktischen Strukturen der künstlerischen Lehre spannt sich der Bogen über (III) die Ausfaltung der Gegenstandsfelder bis hin zum (IV) konkreten Planen und Durchführen des Kunstunterrichts.

Die Vorstellung der Gegenstandsfelder in Teil III bildet den Hauptteil des vorliegenden Lehrwerks. Es stellt zunächst die grundlegenden Handlungsfiguren in Bezug auf das Wahrnehmen, Vorstellen und Darstellen vor. Weil es sich um ein grundlegendes Lehrbuch handelt, wird keine Schwerpunktbildung auf eine bestimmte Altersstufe vorgenommen, vielmehr werden die Aufgaben der Kunstdidaktik in ihrer ganzen Breite dargestellt – oft im Vorschulalter beginnend bis zum Ende des allgemeinbildenden schulischen Bildungsweges. Der daraus abzuleitende Abriss zur curricularen Struktur der Lehre und zu den gattungsspezifischen Gegenstandsfeldern wie Plastizieren, Skulptieren, Zeichnen, Malen, Spielen/Performieren etc. bis hin zum Werken und den angewandten Bereichen des Designs werden knapp charakterisiert und im Fokus der didaktischen Anwendung betrachtet.

Das Methodenkapitel (IV) folgt ebenfalls der Logik bildungstheoretischer Begründung und fachdidaktischer Strukturierung. Es entspricht damit der fachlichen Überzeugung, dass kunstpädagogische Theoreme und Modelle sich direkt auf Entscheidungen im methodisch-didaktischen Bereich auswirken. Insbesondere in dieser Konzeption ist das Buch nicht nur als ein Kompendium von Techniken und Methoden des Kunstunterrichts zu verstehen, sondern begründet diese durch Hinweise auf aktuelle Forschungen bis hin zu einer inhaltsorientierten Didaktik mit Themenstellungen, die sich aus dem bildungstheoretischen Rahmen herleiten. Hinweise zu einer Kultur der Aufgabenstellung und zu einem rhythmisierten strukturierten Ablauf des Kunstunterrichts runden schließlich das Kapitel IV zur Planung und Durchführung des Kunstunterrichts ab.

Allen Kolleginnen und Kollegen danken wir ausdrücklich, die Schülerarbeiten zum Abdruck zur Verfügung gestellt haben.

Kapitel IGrundlagen und Begründung des Faches Kunst

1 Gegenstände und Inhalte des Kunstunterrichts

Die Frage nach dem Fachgegenstand und den Inhalten des Kunstunterrichts verlangt von Anfang an eine Präzisierung, denn vorschnell könnte man bei dieser Frage allein auf die Phänomene der Kunst und insbesondere der Bildenden Kunst verweisen. Ein Lehrbuch der Kunstdidaktik wie das vorliegende wäre dann ausschließlich eine Didaktik der Kunst. Gegenstand des Kunstunterrichts sind aber auch die Bereiche der angewandten Gestaltung sowie kulturelle Bildphänomene aller Art, insbesondere auch Bilder der medialen Kommunikation. Folglich kann sich Kunstdidaktik nicht unkritisch als eine Didaktik »der Kunst« verstehen (Krautz 2020, S.15). Vielmehr ist sie die Didaktik dieses ganzen, breiten Gegenstandsfeldes.

Gerade von den angewandten Gestaltungen, aber auch aus der Geschichte der Lehre der Kunst lässt sich zudem lernen, dass der in der Moderne aufgeworfene Zweifel an der Lehrbarkeit von Kunst in der Radikalität unbegründet ist. Und selbst das, was nicht direkt lehrbar ist, ist im Unterrichtsgeschehen durchaus erfahrbar, also etwa Inspiration, individueller Ausdruck, Kreativität (vgl. ebd., S. 17 f.). Insofern wenden wir uns hier den lehrbaren Fachgegenständen und ihren Inhalten zu im Wissen, dass in deren sinnvoll aufgebauter Lehre auch nicht direkt Lehrbares mit vermittelt werden kann. Dies bedeutet, dass die Mittel und Verfahren, mit denen man Werke der Bildenden Kunst und der angewandten Gestaltung hervorbringen kann, den Kernbereich ausmachen. Eine Kunstdidaktik ist daher vor allem eine Didaktik des Zeichnens, Malens, Plastizierens, Performierens usw. Explizit wird dies im Hauptkapitel III dieses Lehrbuches ausgeführt.

Die Frage nach dem Fachgegenstand und den Inhalten erfordert darüber hinaus eine weitere Präzisierung: Kunstpraxis und Kunstwissenschaft begründen das Fach Kunst. Zugleich sind es diese Felder, die das Fach bildungstheoretisch im Projekt allgemeiner Bildung verankern (▸ Kap. I.2). Dem Anteil der Kunstpraxis kommt dabei eine herausragende Stellung zu. Dies konturiert in besonderer Weise das Fachprofil der Kunstpädagogik. Damit rückt aber ein weiterer Kernbereich in den Fokus der Didaktik, nämlich die Gestaltungspraxis der Kinder, Jugendlichen und Erwachsenen mit ihren je eigenen Entwicklungspotenzialen. Ihr Impuls, etwas für sich und/oder für andere darstellen zu wollen, ist immer auf Inhalte bezogen. Daher wird die Frage nach den Inhalten auch wiederholt aufgegriffen (▸ Kap. III.1). Diese sind der motivierende Kern, in dem sowohl die Welterfahrung der Kinder und Jugendlichen als auch die bildende Kunst und die gegenwärtige visuelle Kultur zusammenkommen.

Die Frage nach den Gegenständen und Inhalten des Faches verweist auf ein komplexes Bezugssystem. Im Folgenden versuchen wir, die kunstdidaktische Theoriebildung in der komplexen Bezugnahme auf verschiedene Bezugsfelder zu verorten, die in ihrer wechselseitigen Spannung balanciert werden müssen, um zu einer konsistenten Didaktik des Kunstunterrichts zu kommen.

(a) Der Bezug zu Inhalten

Die Kunst mit ihren unterschiedlichen Bildformen ist traditionell immer auf Inhalte bezogen. Inhalte bilden in den Darstellungsprozessen den anleitenden und motivierenden Sinn. Letztlich sind sie der Entstehungsgrund der Darstellung, in der Regel repräsentiert durch kulturell bedingte Narrative. Inhalte werden so zu einem Impuls der Darstellung, der Menschen dazu antreibt, Bilder und Werke zu schaffen, um anderen Menschen etwas aufzuzeigen oder etwas zu bedeuten. Inhalte können sein: Die kosmische und planetarische Natur, die Pflanzen und die Tiere, die menschliche Person mit ihrem Körper, ihren Gedanken, ihren Empfindungen, die menschlichen Beziehungen und Handlungen, die Affekte, Träume, Hoffnungen, Visionen, Leid und Freude, die Arbeit, die gesellschaftliche Wirklichkeit, die Umwelt, die Geschichte, die Mythen und Erzählungen der Menschen, die Rituale, der Glaube, die Liebe, die Hoffnung und der Tod usw. All diese Inhalte wiederholen sich in je neuer Form in den visuellen Darstellungen der Menschheitsgeschichte in der Plastik, der Zeichnung, Malerei, Fotografie, Film und Video und wurden im evolutionär-kulturellen Rahmen immer wieder von Menschen in ihrer bildhaften Darstellungstätigkeit thematisiert.

(b) Der Bezug zum anthropologisch und entwicklungsmäßig begründeten Bildbedürfnis von Kindern und Jugendlichen

In der Fachgeschichte der Kunstdidaktik wurde – bis auf wenige Ausnahmen – der Gestaltungspraxis mit unterschiedlichen Begründungen und Konzepten stets ein hoher Stellenwert eingeräumt1. Gegenwärtig wird die Gestaltungspraxis vor allem durch eine in den letzten Jahren eingeleitete Wende hin zur philosophischen und humanwissenschaftlichen Anthropologie begründet. Als eine relativ junge Disziplin beschäftigt sich die Anthropologie mit den Bedingungen des menschlichen Daseins, den Möglichkeiten des Weltzugangs, dem Verlangen, die Phänomene der Welt zu verstehen und sich diese bildlich und sprachlich zu vergegenwärtigen. Diese Rückbesinnung auf die Anthropologie ist insofern bemerkenswert, als dadurch dem homo pictor (Jonas 1994) mit seinem Bedürfnis nach Bildern eine philosophische Fundierung zuteil wird, ein Ansatz, der das Bild in seinen vielfältigen Funktionen als eine in der Menschheitsgeschichte durchgängige Konstante ausweist. Die Besinnung auf die anthropologischen Grundlagen verhindert auch, dass das Fach Kunst sich ausschließlich in gesellschaftlicher und geschichtlicher Aktualität verliert.

Dieser Leitlinie folgend stellt das vorliegende Lehrwerk der Kunstdidaktik die Frage, wie eine bildungsrelevante Vermittlung der Phänomene der Kunst und der Bilder einschließlich ihrer Geschichte und ihrer aktuellen kunsttheoretischen Diskurse für Schülerinnen und Schüler verschiedener Altersstufen, Entwicklungs- und Bildungsvoraussetzungen realisiert werden kann. Im Rahmen dieser Prämisse rückt das individuelle und gemeinschaftliche Bild-‍, Gestaltungs- und Kommunikationsbedürfnis des Menschen in den Mittelpunkt. Dies bedeutet, dass die bildnerisch-künstlerische Praxis der Heranwachsenden einschließlich ihrer reflexiv-theoretischen Kontextualisierung Voraussetzung, Mittelpunkt und Ziel des kunstdidaktischen Handelns sind.

Um zu verstehen, worauf die Didaktik des Kunstunterrichts aufbaut, ist daher die Auseinandersetzung mit der Entwicklung der Kinder- und Jugendzeichnung eine unverzichtbare Größe (Glas 2015a). Die Förderung des Vermögens, sich innere Bilder vorzustellen, in Bildern zu denken und diese auch darzustellen, ist ein grundlegendes Bildungsziel der Kunstpädagogik. In der hier postulierten Wertschätzung des Bildbedürfnisses und der Bildfähigkeit äußert sich der Mensch in seiner Verbundenheit mit den Objekten und Phänomen der Welt und mit seinen Mitmenschen. Erst in dieser Verflechtung entstehen Bilder und Artefakte zwischen Wahrnehmen, Vorstellen und Darstellen (▸ Kap. II.1.3). Bildnerische Prozesse sind dabei stets Prozesse der verstehenden und sinnbezogenen Weltaneignung; sie thematisieren das, was die Menschen immer schon bewegt – mit ihren Biografien, ihrer Lebenswirklichkeit und kulturell-sozial-historischen Kontexten.

(c) Der Bezug zur gestaltungspraktischen Erfahrung

Das Wissen, wie man Bilder herstellt, muss daher ein zentraler Teil allgemeiner Bildung sein. Prinzipiell ist es nicht abtrennbar von anderen Formen der Weltbegegnung wie der Sprache oder den Bedingungen des Handelns und Urteilens. Mit Hilfe von Bildern stellen alle Menschen ihre Wirklichkeit und die unterschiedlichen Formen der Auseinandersetzung vor und dar. Bildhaftigkeit konkretisiert sich u. a. als basales Ausdrucksgeschehen von Gefühl und Imagination, als sinnlich-haptische und ästhetische Erfahrung oder als dialogisches und kommunikatives Geschehen. Letzterem ist mit Blick auf bildungstheoretische und mediale Bedingungen eine gewisse Priorität zuzusprechen, da sich auf der Ebene der gemeinsam geteilten Bildvorstellungen ein gemeinsam geteilter Sinn bildet und darstellt. In der Unterrichtspraxis mit Kindern und Jugendlichen geschieht das immer wieder, besonders dann, wenn sich auf der Basis der eigenen künstlerischen Praxis ein gemeinsames, vertieftes Bildverständnis bildet.

Das Wissen, wie man Bilder herstellt, muss daher ein zentraler Teil allgemeiner Bildung sein. Prinzipiell ist es nicht abtrennbar von anderen Formen der Weltbegegnung wie der Sprache oder den Bedingungen des Handelns und Urteilens. Dieses »Wissen« ist jedoch kein kognitives, sondern ein praktisches, also ein Können. Auch wer weiß, wie Rubens gemalt hat, kann deshalb noch nicht wie dieser malen. Kunstdidaktik als die Frage danach, wie man kunstpraktisches Können lehrt, muss daher Bezug auf gestaltungspraktische Erfahrung nehmen: Nur im retro- und introspektiven Nachvollzug und im genauen Verstehen, was man eigentlich tut, wenn man malt, zeichnet, fotografiert oder eine Performance macht, lassen sich die Schritte herausarbeiten, die man lehren muss, damit anderen dies lernen können. Kurzum: Gestaltungspraktische Erfahrung ist die fundamentale Voraussetzung jeder tauglichen Kunstdidaktik. Gestaltungspraxis lässt sich nicht allein aufgrund kunsttheoretischen oder kunsthistorischen Wissens anleiten.

(d) Der Bezug zu aktuellen Bildkulturen (1): Digitalisierung

Mit dem Stichwort »Digitalisierung« wird ein weiteres Bezugsfeld des neueren kunstpädagogischen Diskurses angerissen. Die Digitalisierung erfasst derzeit alle Lebensbereiche, so auch die Prozesse des Herstellens, Verbreitens und Rezipierens von Bildern. In großer Selbstverständlichkeit unterstützen sich heute wechselseitig analoge und digitale Verfahren und bilden Schleifen in den Produktionsprozessen. In ihrer qualitativen Wertigkeit werden sie in der heutigen kunstpädagogischen Praxis auch kaum mehr gegeneinander ausgespielt. Allerdings plädieren manche besonnene Fachvertreter – nicht nur aus der Kunstpädagogik – für eine schrittweise Näherung und fordern eine aufbauende Didaktik von analogen hin zu digitalen Verfahren. Auch die vorliegende didaktische Theorie folgt weitgehend dieser Maxime und betont explizit fließende Übergänge zwischen den analogen und den digitalen Bildverfahren.

Doch haben die analogen Bildverfahren auch weiterhin ein Eigenrecht und können durchaus in sich selbst sinnhaft sein – man denke an die Handzeichnung oder die Skulptur. Die übergreifenden Fragen im Umgang mit verschiedenen Bildverfahren und Bildmedien sind jedoch immer die: Welche Inhalte sollen mit welchen Mitteln/Verfahren und welchen Gestaltungsformen zur Darstellung gebracht werden? Diese Fragen sind grundsätzlicher Natur und können zunächst unabhängig von digitaler oder analoger Technik betrachtet werden. Daher wird in unserem Lehrwerk den digitalen Verfahren auch kein eigenes Kapitel gewidmet (▸ Kap. III.2.1.4).

(e) Der Bezug zu aktuellen Bildkulturen (2): Globale Medienpräsenz

Das Medium »Bild« hat in den letzten Jahrzehnten aufgrund der von Medien dominierten Kommunikationsprozesse einen enormen Bedeutungszuwachs erfahren. Das Fach Kunst und mit ihm die Kunstpädagogik sieht sich daher heute – bildungstheoretisch betrachtet – mit einer Vielfalt an Herausforderungen konfrontiert. Diese sind nicht nur durch den alltäglich-privaten, sondern vor allem durch den öffentlich medialen Umgang gegeben. Bilder konstruieren ihre eigene Wirklichkeit, interagieren im Kontext, tauchen u. U. im Netz durch fortwährendes Teilen in veränderten Bedeutungszusammenhängen auf, gezielte Bildunterschriften verkehren Aussagen ins Gegenteil, die digitale Technik macht Bildmanipulationen jederzeit möglich etc. Dadurch haben Bilder einen enormen »Machtzuwachs« erfahren und sind heute unverzichtbarer Bestandteil in den öffentlichen und politischen Diskursen. Ihre Funktion als argumentativer Bildbeweis erscheint unverzichtbar. Mehr denn je dienen Bilder der Verifizierung von Wirklichkeit (▸ Abb. 1). Botschaften kommen nicht ohne die begleitende Omnipräsenz des Bildes aus. Was nicht im Bilde ist, was nicht im Datennetz zur Erscheinung gebracht wird, verschwindet im Strom der Nachrichten, kommt nicht zu öffentlichem Bewusstsein. Trotz der oben angedeuteten Problematik gelten Bilder als Garant einer Repräsentation von faktischer »Wirklichkeit«, als Beleg für die Tatsache, dass etwas so und nicht anders gewesen sei. Durch ihre Allgegenwart und Verbreitung stellen sie eine teilnehmende Öffentlichkeit her, die sowohl den privaten Bildgebrauch als auch den der öffentlichen und politischen Diskurse erfasst. Deutlich zeigt dies Abbildung 1, eines der wenigen Bilder, die nach gängiger Lesart erstmals der Pandemie ein Gesicht gaben. Bis heute wird allerdings diskutiert, wie die Situation zustande kam. Auf Anordnung der italienischen Regierung sollten die Corona-Toten verbrannt werden, was als Bestattungsart in Italien unüblich ist und daher zu »Staus« führte. Trotz unsicherer Faktenlage verfehlte das Bild jedoch nicht seine politische Wirkung: Entscheidend war, dass die Pandemie eine bildliche Entsprechung erhielt und dadurch weltweit der Druck auf die Regierungen erhöht wurde. Auch dieses Beispiel zeigt die Tatsache, welch hoher Stellenwert Bildern heute in der öffentlichen Meinungsbildung zukommt.

Die Reflexion der in diesen Prozessen enthaltenen und sich entfaltenden politischen Dimension ist daher ein unverzichtbarer Teil der Kunstpädagogik und damit auch der politischen Bildung: Das Fach steht in der Verantwortung, die Herstellungs- und Wirkmechanismen von Bildern kritisch zu hinterfragen. Im Sinne einer Bildung zur Mündigkeit ist die Kunstpädagogik darum bemüht, die Wirkungsweisen bildkommunikativer Prozesse offenzulegen und einsehbar zu machen.

Verstärkt ist das heute deswegen nötig, weil durch die omnipräsenten Wirkfelder der technisch-digitalen Medien der/dem Einzelnen ein besonderer Verantwortungsbereich zugewiesen wird. Mittels Sozialer Medien ist es heute jedermann möglich, in Kommunikationsprozesse einzugreifen und diese mit Hilfe von Bildern zu steuern und zu manipulieren. Dabei spielen gleichermaßen rezeptive wie produktive Formen der Teilhabe eine gewichtige Rolle. Kunstpädagogik praktiziert, begleitet und reflektiert solche Prozesse, die durch Wissen und Können zu einer verantwortlichen Teilhabe einer visuellen Kultur führen sowie zu einem produktiv wie rezeptiv mündig differenzierten Umgang befähigen (vgl. Bering/Niehoff 2013). Ein dieser Art gefordertes kritisches Medienbewusstsein wird im Kunstunterricht vorrangig durch die eigene Gestaltungspraxis, im Umgang mit allen Gattungen und Fachgegenständen und in der Auseinandersetzung mit den Phänomenen der Kunst gefördert (vgl. z. B. Buschkühle 2017).

Kunstunterricht vermittelt also im Fächerkanon der Schule in der ganzen Breite (a) die historisch gewachsene und (b) die aktuelle gesellschaftliche Bedeutung des Bildes. Hinzu kommt (s. o.): Kinder und Jugendliche wachsen mit einem anthropologisch begründeten Bedürfnis nach Bildern auf. Weil dieses Bedürfnis nach Herstellung und Gebrauch von Bildern besteht, bedarf es auch notwendigerweise einer inter- und transkulturellen Orientierung. In der didaktischen Anwendung geschieht dies durch die enge Verflechtung von bildproduktiven und bildrezeptiven Methoden. Die dadurch sich schrittweise aufbauende Urteilskraft empfiehlt sich als zentraler Schlüssel zur allgemeinen Bildung.

Abb. 1:Massenmediale Bildverwendung: Am 18. 03. 2020 gehen die sog. Bilder von Bergamo um die Welt: Militärfahrzeuge transportieren Corona-Tote ab. Foto: Emanuele di Terlizzi (https://www.sueddeutsche.de/kultur/coronavirus-italien-bergamo-bilder-1.5237063)

(f) Der Bezug zur Kunst (1): kulturstiftende und gesellschaftliche Bedeutung

Doch kommt in der Kunstpädagogik – wie wir nun zeigen möchten – auch der Kunst im traditionellen Sinn eine besondere Bedeutung zu. Aufgrund ihrer paradigmatischen semantischen Dichte und der in ihr aufscheinenden existenziell-menschlichen Dimension setzt die Kunst Maßstäbe, an denen kein verantwortungsvoller Kunstunterricht vorbeikommt. Kunstunterricht ist nicht bloßer »Bildunterricht« und keine bloße Medienpädagogik. In der dezidiert kunstbezogenen Lehre werden Maßstäbe und Prinzipien deutlich, die durchaus auch (wie vorher gezeigt) den kritisch emanzipierten Umgang mit Bildern der Medienkultur fördern können. Das Feld der Kunst in seiner gesamten gesellschaftlichen, kulturellen und kulturübergreifenden Breite soll und muss daher weiterhin ein zentraler Gegenstand des Kunstunterrichts sein. An zwei Beispielen kann dies aufgezeigt werden.

Abb. 2:Eduardo Chillida (2000), Berlin, Bundeskanzleramt, Corten-Stahl, Höhe 5,50 m. Foto: Hans Peter Schaefer

(1) Kunstunterricht hat z. B. die Aufgabe, auf Zeugnisse und Denkmäler des geschichtlich-kulturellen Erbes im öffentlichen Raum hinzuweisen und deren politisch-historische Dimension zu erörtern. So ist der Plastik von Eduardo Chillida vor dem Kanzleramt in Berlin (▸ Abb. 2) – vor allem durch die mediale Berichterstattung in Verbindung mit politischen Themen – ein besonderer Stellenwert zugewachsen. In ihrer Zeichenhaftigkeit und den ineinandergreifenden Formen ist Chillidas Plastik mehr als nur eine Ergänzung zur ihrerseits bedeutungsgeladenen architektonischen Gestaltung des Sitzes eines der höchsten Ämter im Staat: Sie ist zu einem (durchaus auch medienwirksamen) Symbol der (wiedervereinigten) deutschen Nation, auch zum Symbol einer demokratisch gewählten Staatsverfassung und der Notwendigkeit des lebendigen Austauschs in einem demokratischen Staatswesen geworden.

Hinzu kommt die Tatsache, dass die Plastik vor einem deutschen Kanzleramt von einem baskisch-spanischen Bildhauer stammt, was zugleich ihre transkulturelle2 Bedeutung unterstreicht. Es gibt wohl kaum Staaten, die nicht ihr kulturelles Erbe für derartige Identifikationsmomente nutzen und die politische, identitätsstiftende Funktion von Kunstwerken herausstellen. Architektonische Beispiele wären z. B. auch das Kapitol in Washington, der Élysée-Palast in Paris, der Reichstag in Berlin oder die Downingstreet in London usw.

Abb. 3:Venus vom Hohlefels, Mammut-Elfenbein, ca. 35 – 40.000 Jahre. Entdeckt im September 2008 in der Höhle »Hohlefels« im Achtal bei Schelklingen. Foto: Ramessos, CC BY-SA 3.0

(2) Diese Funktion der Kunst, in einer Menschengemeinschaft sinn- und identifikationsstiftende Bezüge zu vereinen, kann man bis in die Ursprünge der Kunst zurückverfolgen. So sieht der Archäologe und Frühgeschichtswissenschaftler N. J. Conard in dem wohl ältesten bisher gefunden Bildwerk, der Venus vom Hohlefels (▸ Abb. 3), vor allem die symbolische und eine gesellschaftsbildende Funktion:

»Auf einer einfachen Ebene können wir die gewaltige Ausbreitung von symbolischem Ausdruck, Informationsspeicherung, Religion und neuen Formen der Kommunikation einschließlich figürlicher Kunst und Musik als den Kitt betrachten, der diese größeren gesellschaftlichen Einheiten zusammenzuschweißen half und der den sozialen Zusammenhalt förderte, welcher das gesamte menschliche Leben kennzeichnet, wie wir es heute kennen« (Conard 2017, FAZ, 08.02., S. N2).

Was Conard treffend als »Kitt« bezeichnet, erweist sich in der weiteren Entwicklung als fundamental für die Herausbildung von Gemeinschaften, Kulturen und die notwendige Kommunikation in einem globalisierten Miteinander. Dazu gehört die Fähigkeit, eine gemeinsame und/oder auch kollektive Vorstellungskraft zu bilden und diese Ausrichtung intentional mit anderen Menschen zu teilen (vgl. Tomasello 2006, 2010; Wulf 2014, 2017; Sowa 2015). Die Ausrichtung auf ein zu verstehendes Kunstwerk schafft dabei eine basale Grundlage für die, natürlich kooperativen Fähigkeiten des Menschen. So lässt sich zeigen, dass schon in der Zeit des Frühmenschen im Jungpaläolithikum die Kunst mit der Herstellung von Objekten und Bildern eine »neue«, nicht zu unterschätzende Werteorientierung und eine Gemeinschaft stiftende Bedeutung erlangte. Experten der Frühgeschichte wie Conard werten das Auftreten solcher Bildwerke als klares Kriterium einer sich entwickelnden Kultur.

(g) Der Bezug zur Kunst (2): existenzielle und personale Sinndimension

Nicht allein die kulturellen, sozialen und geschichtlichen Bildungsbezüge sind der Grund dafür, dass das Fach »Kunst« sich mit der Sache »Kunst« beschäftigt. Es kommt der wichtige Grund dazu: Die Kunst (und dazu gehören auch die literarischen, musikalischen, theatralen usw. Kunstformen) bringt die existenzielle Energie der Humanität als solche zur verkörperten Erscheinung. Zu Recht haben Philosophen wie Kant, Hegel, Schelling, Nietzsche, Dilthey, Cassirer, Heidegger, Gadamer usw. auf diese tiefe Sinndimension der Kunst verwiesen und sie als zentralen Bildungsinhalt begriffen. Was schon im antiken Denken als der Zuspruch der Götter und Musen galt, was in der neuplatonischen Denktradition als der »emporführende« (anagogische) Sinn des Schönen galt, weist in dieselbe Richtung. In den Künsten – das wurde und wird in dieser Denktradition so verstanden – geschieht das Sich-Finden, das Sich-Positionieren und zugleich das Sich-Transzendieren des Menschen. Deswegen zielt auch ein wirklich guter Kunstunterricht nicht nur auf mediale Bildung, kulturelle Bildung, Kreativität, geschichtliche Bildung, ästhetische Bildung usw., sondern in besonders zentraler Weise auf künstlerische Bildung in dem Sinne, den in der neueren Kunstpädagogik vor allem Carl-Peter Buschkühle (2017) besonders gründlich herausgearbeitet hat – auch in der Nähe zu Religion und Philosophie. Kunstdidaktik – neben all den oben explizierten Bezügen – auf diesen finalen Kunstbezug hin zu durchdenken, ist nicht »rückwärtsgewandt«, sondern emanzipativ, inklusiv, partizipativ und zukunftsweisend.

Nachtrag: Ein kunstpädagogisches Scheindilemma

Die hier vorgelegte didaktische Theorie hat also zum Ziel, die zwei tragenden Säulen des Kunstunterrichtes – einerseits die Kunst/Kunstgeschichte/Kunstwissenschaft und andererseits die Gestaltungspraxis der Schülerinnen und Schüler in ihrer Entwicklung – als gleichwertige Bestandteile zu behandeln. Dieser Hinweis ist insofern entscheidend, als manche der neueren kunstpädagogischen Diskurse den Phänomenen der Kunst – oft eingeschränkt auf die jeweils aktuellsten Erscheinungsformen – einen weitaus größeren Stellenwert einräumen als den Entwicklungsvoraussetzungen im bildnerischen Gestalten der Kinder und Jugendlichen.

Seit den Tagen der Kunsterzieherbewegung und vor allem im Zuge der Reformpädagogik legitimierte sich das Fach gerade umgekehrt, nämlich durch eine primäre (und manchmal sogar ausschließliche) Hinwendung zum Kind. Schon damals geriet das Fach in eine unauflösbare Dilemmasituation, auf die u. a. auch Helene Skladny (2009) in ihrer umfangreichen historischen Studie zur Ideengeschichte des Kunstunterrichts hinwies: »Wenn es so ist, dass Kinder Kunst aus sich hervorbringen und zu Kunstwerken einen unmittelbaren Zugang haben, dann bedürfen sie auch keiner Lehre. Der Kunstunterricht hat quasi sein eigenes Paradox produziert...« (ebd., S. 286). Aus diesem Grund lehnen viele Fachvertreterinnen und -vertreter bis heute eine Didaktik des Kunstunterrichts ab.

Hinzu kommt, dass die Faszination »Kinderzeichnung« nicht nur die einschlägigen Fachvertreter aus Pädagogik und Psychologie erfasste: Auch Künstlerinnen und Künstler blick‍(t)‌en im »Jahrhundert des Kindes« (20. Jahrhundert) immer wieder fasziniert auf kindliche Bilddarstellungen. In der Annahme einer vorgeblich »unverbildeten Ursprünglichkeit« des kindlichen ästhetischen Verhaltens wollten sie oft selbst wieder wie Kinder sein, idealisierten die kindliche »Authentizität«. So gilt bis heute (z. B. bei Klee, Dubuffet, Miró, Wurm, Meese etc.) das kindliche Ausdrucksbedürfnis als Antrieb der Kunst.

Seit der Entdeckung der freien Kinderzeichnung war die moderne Kunstpädagogik mehr oder weniger erfolgreich darum bemüht, die beiden Begründungspfeiler Kind und Kunst in eine stimmige Beziehung zu bringen. Aber was heißt »stimmige Beziehung«? Häufig zeigten sich in der Fachgeschichte Unstimmigkeiten, z. B. eine programmatisch geforderte didaktische Abstinenz und eine romantisch verklärte Bewahrpädagogik kindlicher »Authentizität«, wie etwa bei Gustav Hartlaub, der in der Kinderzeichnung die Gebärde expressiver Wahrheit zu erkennen glaubte. Oder auf der anderen Seite: Naive thematische Übernahmen von vermeintlichen Parallelerscheinungen zwischen den Spielarten der Kunst und kindlichem ästhetischem Verhalten (vgl. Hartlaub 1922, S. 25; Schuster 2000, S. 2). Entsprechende Vorbilder boten sich insbesondere in der klassischen Moderne und aktuellen Kunstrichtungen an. Die Kunst selbst schien hier besonders »kindgerecht« zu sein und lud regelrecht zu ihrer didaktischen Verwertung ein. Themen wie z. B. Malen nach Miró, Dubuffet, Schumacher, Rizzi, Spurensuche, Mapping, Sammeln/Auslegen, Entwickeln von One Minute Sculptures etc. wurden in diesem Sinn, meist beschränkt auf formal bildnerische Aspekte, direkt in den Unterricht übertragen. Allerdings verfehlt ein solcher Unterricht häufig die beabsichtigte Wirkung: Die Schülerinnen und Schüler fühlen sich entweder über- oder unterfordert, da ihr eigentliches Bildinteresse weitgehend unberührt bleibt.

Denn Kinder und Jugendliche folgen in ihrer bildnerischen Auseinandersetzung einem ganz anderen Bildbedürfnis: Sie wollen den von ihnen erlebten Bezug zur Welt mit Hilfe von Bildern in ein kommunikatives, erzählendes und damit auch relationales Verhältnis zu den Mitmenschen bringen (vgl. Krautz 2017). Die Sinnfrage stellt sich dabei nicht im Ausdrucksbedürfnis eines autonomen Subjekts und seiner »künstlerischen« Freiheit, sondern im Bemühen um eine mimetisch-nachahmende und auf Verstehen sowie Mitteilung hin ausgerichtete Weltsicht.

Hinsichtlich der Bildbedürfnisse ist der Entwicklungsprozess von Kindern und Jugendlichen sehr dynamisch angelegt: Die Heranwachsenden selbst verlassen das von den Anhängern des »kindgemäßen Ausdrucks« so gefeierte »spontane, naive und ursprüngliche« Kinderbild und wenden sich unter dem Einfluss von Vorbildern anderen Bildtypen zu, die häufig von diversen aus der Kultur übernommenen Bildschemata gekennzeichnet sind und dann später im Jugendalter oft besonders formelhaft auftreten (vgl. Glas 1999). Insbesondere Jugendliche favorisieren einen realistischen Darstellungsstil, den kunstpädagogische Fachvertreter oft als manieristisch, symbolgeladen oder klischeehaft missbilligen, der für die Heranwachsenden jedoch eine ernsthafte Auseinandersetzung mit Bildern ist. Wenn dieses dynamisch sich fortentwickelnde Bildbedürfnis nicht angemessen pädagogisch aufgegriffen und didaktisch erfolgreich gefördert wird, kann auch im Kindesalter schon sehr früh das Interesse am Zeichnen und anderen bildnerischen Verfahren nachlassen oder ganz zum Erliegen kommen. Die Kinder nehmen bei sich selbst enttäuscht wahr, dass Darstellungsabsichten nicht gelingen, ihr Können schnell an Grenzen stößt und dass es auch in der Mitwelt auf kein Interesse stößt.

Aus genannten Gründen ist daher das Interesse einiger heutiger Fachdidaktiker, die Entwicklungslinien der Gestaltungspraxis in angemessener Weise didaktisch zu begleiten und in Orientierung an den Lernenden zu fördern, als eher gering einzuschätzen. Die didaktische Orientierung findet häufig nicht an den Kindern und Jugendlichen, sondern überwiegend an den (meist aktuellen) Phänomenen der Kunst statt. Die Folge ist, dass die Lernenden häufig nicht in der Lage sind, auf das kunstpädagogische Angebot wirklich einzugehen, weil entsprechend resonante Kontexte bezüglich ihrer Lebenserfahrung nicht vorhanden sind, auch weil Kenntnisse kunsthistorischer Entwicklungslinien, erweiterter Bildformen usw. fehlen, ästhetische Empfindungen für radikale künstlerische Ausdrucksformen aber noch nicht nachvollzogen werden können usw.

Das oben erwähnte kunstpädagogische Dilemma zeigt sich in der didaktischen Nichtbeachtung entwicklungsbedingter Voraussetzungen oft in fast tragischer Weise – man denke etwa an die bedauernswerten Grundschulkinder, die sich auf Anweisung von Lehrpersonen als »Minutenskulptur« kopfüber in den Papierkorb stellen müssen, um sich Erwin Wurms Kunst »anzueignen«.

Literaturauswahl

Buschkühle (2017); Glas/Heinen/Krautz/Miller/Sowa/Uhlig (2015); Jonas (1994); Krautz (2020); Paul (2016); Sowa (2015 f, 2016, 2019)

2 Das Bildungsverständnis der Kunstpädagogik

Schon Aristoteles dachte den Zeichenunterricht als Teil der allgemeinen staatsbürgerlichen Erziehung und Bildung (Politik, 1337b23 ff.), also nicht nur als die bloße Lehre der Fähigkeit zum Zeichnen. Seit den Anfängen des modernen Schulfaches »Kunsterziehung« hat sich dieses Verständnis verstärkt: Wie in anderen Schulfächern auch wird die künstlerische Lehre nicht vorrangig als Unterricht in einer Kulturtechnik verstanden, sondern als Bildungsprojekt von größerer Tragweite. In dieser Hinsicht ist »künstlerische Bildung« mehr als die Vermittlung von Können und Wissen, was auch an das Projekt »Kunstdidaktik« mehr als nur technische Anforderungen der Wissensübertragung stellt. Die Klärung dieses fachlichen Bildungsverständnisses steht daher am Anfang der systematischen Darstellung der fachlichen Didaktik.

2.1 Kunstdidaktik und Bildung

Kunstdidaktik als Lehre der Kunst (▸ Kap. I.2) fragt nach dem Wie des Lehrens: Wie lehrt man den breiten Bereich von Kunst, Bild und Gestaltung (▸ Kap. I.1)? Diese Frage ist jedoch nur sinnvoll zu beantworten, wenn geklärt ist, warum man diese Gegenstände lehren sollte. Erst wenn die Begründungen und Ziele des Kunstunterrichts klar sind, kann man begründet sagen, wie die einzelnen Bereiche zu unterrichten sind (Krautz 2020).

Diese Gründe gewinnt man einerseits aus den gesellschaftlichen Kontexten (▸ Kap. I.1), aus der Sache der Kunst selbst (▸ Kap. I.2) und aus der Entwicklungspsychologie des bildnerischen Gestaltens. Doch reicht dies nicht aus: Um ein Fach in der öffentlichen Schule zu rechtfertigen, muss geklärt werden, was es zur allgemeinen Bildung des Menschen beiträgt. Es genügt nicht, bestimmten gesellschaftlich-ökonomische Forderungen nachzukommen oder zu zeigen, wie schön und wichtig die Kunst selbst ist. Auch Kunstunterricht muss vielmehr in Hinsicht auf die Bildung des Menschen begründet sein. Erst daraus lassen sich didaktische Schlüsse ziehen.

Bildung meint dabei einen Vorgang, in dem wir uns Gegenstände der Kultur, also etwa Kunst und Gestaltung, nicht nur äußerlich als Wissen und Können aneignen, sondern in dem diese für uns bedeutsam werden, uns angehen und uns womöglich verändern (Dörpinghaus/Poenitsch/Wigger 2013). Erst unter dieser Bildungsperspektive erhalten Bilder, Kunst, Gestaltung einen Sinn für die Schülerinnen und Schüler. Sie sollen diese Dinge nicht deswegen lernen, weil sie im Lehrplan stehen oder um eine gute Note zu erhalten. Vielmehr muss Kunstunterricht ihnen eine Sinnperspektive eröffnen: Kunst, Bilder, Gestaltung sind etwas, dem man einen persönlichen und überindividuellen Sinn abgewinnen kann. (Eben darum haben die meisten Kunstpädagoginnen und -pädagogen selbst Kunst studiert.) Das Kulturgut Kunst und Gestaltung wird so in der sich bildenden Person verlebendigt und individuell neu gedeutet. So können Bilder, so kann Gestaltung lebensbedeutsam werden, weil sie nicht äußerlich bleiben, sondern uns angehen.

Das kann Unterricht nicht erzwingen – aber durch eine sinnorientierte Didaktik ermöglichen oder etwa als »kompetenzorientierte« auch verhindern. Denn Fähigkeiten und Fertigkeiten, die heute als »Kompetenz« beschrieben werden, zielen nicht notwendig auf Bildung. Doch sind anderseits fachliches Können und Wissen sehr wohl Voraussetzung von Bildungsprozessen: Wer nicht gestalten kann und Bilder nicht versteht, kann auch keine qualifizierten Bildungserfahrungen machen.

Daher ist es zentrale Aufgabe einer Kunstdidaktik, die auf Bildung zielt, mit dem vermittelten kunstfachlichen Können und Wissen in Gestaltung und Betrachtung den Schülerinnen und Schülern zugleich Wege zu eröffnen, diesem einen persönlichen und kulturellen Sinn abzugewinnen, der sie mit anderen und anderem in Bezug setzt, auf diese Weise potenziell neue Sichten auf sich selbst, die anderen und die Welt eröffnet und so ihr Leben bereichern kann.

2.2 Menschenbild und Kunstauffassung

Dazu ist es gerade im Feld der Kunst wesentlich zu klären, von welchem Menschenbild und welcher Kunstauffassung man ausgeht. Oft gilt gerade die Kunst vor allem als innerer Ausdruck eines autonomen Subjekts, das sich im ästhetischen Erleben und bildnerischen Tun selbst verwirklicht. Dem entspricht die romantische Auffassung vom »Künstlerkind«, das sich am besten in Freiheit und ohne Anleitung selbst entfalte. Auffassungen wie diese prägen den Kunstunterricht bis heute stark.

Im Anschluss an umfangreiche Forschung (Krautz 2017) wird hier davon ausgegangen, dass der Mensch immer schon in Beziehungen zu anderen Menschen und in Bezügen zur Welt existiert, die ihn nicht in seiner Freiheit einschränken, sondern diese erst ermöglichen. In Beziehung zu anderen und im Bezug zur Welt findet der Mensch erst ein Verhältnis zu sich selbst – nicht in direkter »Selbstverwirklichung«.

Damit erhalten auch Kunst und Gestaltung einen anderen Stellenwert: Sie sind gerade nicht vorrangig innerster Ausdruck isolierter Subjektivität, sondern die bildgewordene Form menschlicher Selbst-‍, Mit- und Weltverhältnisse. Im bildhaften Gestalten deutet der Mensch diese Bezüge aus. Die Bilder der Kunst und visuellen Kultur waren immer schon und sind auch heute Versuche des Menschen, seiner Existenz einen Sinn zu geben – das gilt von der Höhlenmalerei bis zum Instagram-Post.

Bildung in der Kunstpädagogik meint demnach ein Sich-bilden an den Gegenständen von Kunst und visueller Kultur im Horizont der aus der gemeinsam geteilten Existenz erwachsenden Beziehungen und Bezogenheiten und der daraus resultierenden Verantwortung (Krautz 2020).

2.3 Relationalität und Verkörperung

Diese Verhältnishaftigkeit unseres Lebens und der Kunst beschreibt der Begriff der Relationalität (Krautz 2017). Das damit angesprochene dialogische Verhältnis zeigt sich gerade in Kunst und Gestaltung: Im eigenen Gestalten wie im Betrachten von Bildern erschließen wir uns die Welt nicht nur, sondern wir werden von ihr auch erschlossen. Das gestalterische Tun resultiert nicht allein aus unserem Impuls, sondern antwortet immer schon auf Sicht- und Wahrnehmbares, auf Vorgestelltes und Gedachtes. Etwas, das nicht wir selbst sind, spricht uns an und bringt uns auf eine Idee, veranlasst uns, zu Stift, Pinsel, Kamera oder Holzblock zu greifen und zu gestalten. Gestalten und Bildverstehen stehen insofern in einem Antwortverhältnis: Was wir sinnlich wahrnehmen, spricht uns an, mit unserer Gestaltung und unserem Verstehen antworten wir darauf – und wir stehen mit dieser Antwort auch in einer Verantwortung. Es ist eben nicht rein subjektiv und beliebig, was wir wie gestalten und wie wir ein Bild verstehen. Denn unsere gestaltete oder verstehende Antwort stellen wir ja wieder in die gemeinsame Welt, weshalb wir sie verantworten müssen.

Kreativität resultiert in einem solchen relationalen Verständnis daher nicht allein aus unserem subjektiven Inneren, sondern aus diesem Antwortverhältnis: Kreativ sind wir im Finden gestalterischer und verstehender Antworten (Krautz 2020, Fröhlich/Krautz 2021).

Dabei ist dieser gestaltend-verstehend antwortende Weltbezug keineswegs rein kognitiv-intellektuell: Wir nehmen sinnlich mit dem ganzen Leib wahr und gestalten und verstehen ebenso gesamthaft leiblich. Wir verkörpern also diese Selbst-‍, Mit- und Weltverhältnisse (Etzelmüller/Fuchs/Tewes 2017). Das ist beim Plastizieren mit Ton, beim Werken oder bei einer Performance (▸ Kap. III.2.2) unmittelbar einsichtig: Wir stehen mit unserem Körper gestaltend in direkter Resonanz zum »Weltstoff«. Doch ist das beim Malen, Zeichnen, Fotografieren und Filmen nicht anders: Farbdarstellung resultiert aus der Resonanz auf Farbempfindungen und übersetzt diese in eine eigene malerische Logik. Jede Zeichnung ist ein verkörperter Akt kreativer Übersetzung eines kontinuierlichen Wahrnehmungseindrucks oder einer Vorstellung in diskontinuierliche Linien: Hier ist Linie, dort nicht; so umreißen wir eine Form. Das geübte Setzen von Schraffuren resultiert aus Darstellungsformeln, die in der Hand und im ganzen Körper verankert sind: Wir überlegen nicht jeden Strich einzeln, sondern folgen dem motorisch verankerten Ausführungswissen der Hand. Und noch die Regler im Bildbearbeitungsprogramm übersetzen solche leiblichen Wahrnehmungsverhältnisse in die virtuelle Darstellung. Kunst, Gestaltung und Bildverstehen sind insofern verkörperte Selbst-‍, Mit- und Weltbezüge (Krautz 2020).

2.4 Kunstdidaktische Folgerungen

Dieses non-egologische (nicht ichbezogene) personale Menschenbild und die daraus resultierende Auffassung von Kunst, Bild und Gestaltung haben fundamentale kunstdidaktische Konsequenzen, die sich in den einzelnen Lehrbereichen konkretisieren werden.

Grundsätzlich steht damit auch Kunstdidaktik vor der Aufgabe, sowohl der Sache der Kunst als auch dem Bildungsbedürfnis der Schülerinnen und Schüler gerecht zu werden, denn »Bildung ist, didaktisch gesehen, nur zureichend definierbar als die vermittelnde Kategorie zwischen den Ansprüchen der objektiven Welt und dem Recht auf Selbstsein des Subjekts.« (Blankertz 2000, S. 45).

Damit ist zunächst ausgeschlossen, dass Kunstunterricht vor allem subjektives ästhetisches Erleben und Sich-ausdrücken in den Mittelpunkt stellt oder auf Anleitung verzichtet, weil dies Kinder verderben würde, oder einem unscharfen Verständnis von Kreativität folgt, das jedes Matschen und Basteln als irgendwie originell interpretiert. Genauso wenig ist damit ein Kunstunterricht vereinbar, der vor allem formale Bildmittel und Techniken einübt (Farbenkreis, Drucktechnik etc.), aber vergisst, diesen Mitteln in einer Darstellung einen relationalen Sinn zu geben; und genauso wenig löst den Bildungsanspruch ein sog. »kompetenzorientierter« Unterricht ein, der Kriterienlisten abarbeitet, ohne nach deren Bedeutung für die Person der Schülerinnen und Schüler zu fragen. All das ist durchaus übliche Praxis im Kunstunterricht.

Es geht dagegen um einen mittleren Weg, der nicht nur als Mitte zwischen den Extremen zu verstehen ist, sondern die Ansprüche der Sachen – Kunst, Bild, Gestaltung – mit dem Bildungsrecht und Sinnbedürfnis der Schülerinnen und Schüler verbindet. Dazu ist entscheidend: Ansprüche an Schülerinnen und Schüler in Hinsicht auf ihr Gestalten und Verstehen zu stellen ist kein Widerspruch zu deren Selbstsein als Subjekte. Nicht der Verzicht auf kunst- und gestaltungsgemäßes Arbeiten zugunsten scheinbar »ursprünglichen« Ausdrucks oder naiven Bastelns bildet, sondern eine didaktisch strukturierte Lehre, die Schülerinnen und Schüler ermöglicht, ihre Darstellungswünsche und Sinnbedürfnisse fachlich angemessen und ihrem Alter entsprechend zu verwirklichen.

Dementsprechend werden im Weiteren die einzelnen Felder kunstdidaktischer Lehre (▸ Kap. III) so aufgeschlossen, dass deren relationale Qualität für ein bildendes Lernen als verantwortliche Gestaltung der Selbst-‍, Mit- und Weltbezüge deutlich wird. Dazu gehört ganz zentral eine in der Kunstdidaktik eher ungewohnte Orientierung der Didaktik nicht an Techniken oder Ausdrucksformen, sondern an den Inhalten der Gestaltung. Erst kulturell und individuell relevante Themen und Inhalte geben überhaupt eine Motivation, eine bildnerische Gestaltung anzugehen oder ein Bild verstehen zu wollen. Nur über altersadäquate Themen kann den Schülerinnen und Schülern ein Sinnhorizont eröffnet werden, der bildende Wirkung haben kann.

Dazu gehört aber auch, dass die künstlerisch-gestalterischen Gattungen und Techniken auf ihre relationalen Qualitäten befragt und in dieser Weise unterrichtet werden. Ebenso hat das relationale Paradigma wichtige Folgen für die Methodik des Kunstunterrichts und dessen Planung. So kann etwa die verbreitete Skepsis gegenüber dem Zeigen und Nachahmen als Lehr- und Lernform korrigiert werden, denn relational verstanden sind dies die zentralen Unterrichtsformen eines verkörperten Teilens und Mitteilens von bildhaften Vorstellungen.

Kurzum: Eine relational verstandene Kunstdidaktik holt Kunst, Gestaltung und Bildverstehen aus der isolierten Subjektivität oder technisch-kritischen Distanz zurück in den sozialen Raum geteilter Welterfahrung, worin die Kunst erst ihren Sinn entfaltet und ihn historisch gesehen immer auch hatte. Diese geteilte Welterfahrung wird dabei im gemeinsamen Arbeiten im Kunstraum ganz anschaulich deutlich.

Abb. 4:Relationale Bildung in der Kunstpädagogik (Krautz 2020, S. 58)

Der Zusammenhang lässt sich in einer Grafik systematisieren (▸ Abb. 4) und als Ausblick für die nachfolgenden Kapitel zusammenfassen:

·

Das Fach Kunst ist in den Relationen von Kunst, Mensch und Gesellschaft begründet und bestimmt hieraus seine Ziele (▸ Kap. I).

·

Aufgrund der relationalen Sinnorientierung des kunstpädagogischen Bildungsanspruchs wird didaktisch die Frage der Themen und Inhalte zentral (▸ Kap. III.1).

·

Wahrnehmen, Vorstellen und Darstellen sind als relationale Fähigkeiten im relationalen Gestalten und Bildverstehen zu bilden (▸ Kap. II.1.3).

·

Kunst und Gestaltung sind geprägt von der Relation von Inhalt, Handwerk und Gestaltung, weshalb deren Bezug für die Konzeption kunstdidaktischer Aufgabenstellungen maßgeblich ist (▸ Kap. II.1.4 und ▸ Kap. IV.1).

·

Lehren und Lernen selbst ist ein soziales und relationales Geschehen, weshalb die kunstdidaktische Lehre entsprechend anzulegen ist (▸ Kap. II.1.6).

·

Die Gestaltungsdomänen des Faches sind nicht als reine Techniken zu verstehen, sondern didaktisch als je eigene verkörperte, relationale Weltverhältnisse auszulegen und didaktisch zu konzipieren (▸ Kap. III.2 und ▸ Kap. III.3).

Literaturauswahl

Blankertz (2000); Dörpinghaus/Poenitsch/Wigger (2013); Etzelmüller/Fuchs/Tewes (2017); Fröhlich/Krautz (2021); Krautz (2017, 2020).

Endnoten

1Die vorliegende Didaktik wendet sich ausschließlich didaktischen Fragestellungen zu. Einen Überblick über die verschiedenen Konzepte der Kunstpädagogik bis zur Gegenwart geben etwa Peez (2018) und Legler (2011).

2Die aktuelle Fachdiskussion behandelt gegenwärtig diese Thematik unter dem Begriff der Transkulturalität. Hier zeigt sich, dass Kunst generell ein Feld ist, um transkulturelle Beziehungen aufzuzeigen. Museen (▸ Kap. IV.1.5) sind dazu Orte mit bestmöglichen Voraussetzungen. Sie stellen Erfahrungsräume bereit, die wertvolle Einsichten in formale und inhaltliche Zusammenhänge gewähren (vgl. Beyer/Dolezalek 2021, S. 344 ff).

Kapitel IIDidaktische Strukturen des Kunstunterrichts

Überblick

Das ist's ja, was den Menschen zieret,Und dazu ward ihm der Verstand,Daß er im innern Herzen spüret,Was er erschafft mit seiner Hand.(Friedrich Schiller, Das Lied von der Glocke)

Um Kunstunterricht planen und durchführen zu können, muss man verstehen, was die grundlegenden Strukturen des Lehrens und Lernens im Feld von Kunst und Gestaltung sind. Diese abstrakten Strukturen konkretisieren sich dann im lebendigen Unterrichten.

Das Abstrakte, mit dem wir hier beginnen, ist ein Grundschema, das nicht nur jedem einzelnen konkreten Unterricht, sondern allen möglichen Konkretisierungen von Kunstunterricht als »didaktische Struktur« zugrunde liegt. Es ist also eine Richtschnur, an der sich die konkrete Planung orientieren kann. Somit handelt es sich nicht um ein Patentrezept für alle Unterrichtsstunden, sondern die Grundstruktur des Schemas ist so variabel, dass es den vielfältigen Gegenständen und den unterschiedlichen Schülerinnen und Schülern angepasst werden kann – und muss. Doch wenn man mit Hilfe der folgenden abstrakten Grundstrukturen plant, dann hat die Planung aller Erfahrung nach relativ große Erfolgsaussichten, auch guten Kunstunterricht zu generieren.3

Eine schematische Vorstellung des Vorhabens und seiner Probleme hilft also dabei, sich vorgreifend zu orientieren und herauszufinden, worum es überhaupt geht. So fangen wir hier in Kapitel II mit diesen allgemeinen Strukturen an. Worum es dann konkret geht, wird in Kapitel III expliziert: um die Lehre der einzelnen bildenden und angewandten Künste.4

1 Lehren im Fach Kunst – die künstlerische Lehre

Wir gehen davon aus, dass eine Fachdidaktik im Grunde der Logik ihres eigenen Faches folgen muss: Fachliches Lehren leitet sich aus fachlichem Können ab. Und umgekehrt: Fachliches Können wird durch fachliches Lehren und Lernen erzeugt. In unserem Fall bedeutet dies: Kunstlehre leitet sich von Kunstkönnen ab und umgekehrt (vgl. Sowa 2020b). Nun wirkt diese Aussage heute auch irritierend: Zu oft hört man, dass Kunst ohne Können auskomme, niemand genau wisse, welches Können zur Kunst gehöre, oder gar, dass Kunst überhaupt nicht lehrbar sei.

Wir halten diese Behauptungen für zwar verbreitete, aber irrige Meinungen, die erst im Laufe der Moderne entstanden sind. Tatsächlich wurde nachweisbar seit der Antike mit der Kunst zugleich die Kunstlehren tradiert. Es waren die Künstler selbst, die begannen, Lehrwerke zu entwickeln, um ihr Können weiterzugeben. Sobald man aber beginnt, das eigene Können zu durchdenken, um es anderen zu vermitteln, beginnt die Didaktik. Die Didaktik der Kunst setzt an mit dem Fragen danach, woraus denn ein Können besteht und wie man dieses schrittweise am besten lehren kann: durch Zerlegung (Analysis) und Re-konstruktion (Synthesis) eines gegliederten und zugleich organisierten Könnens.

Was in der Antike sehr konkret für die Ausbildung in Handwerker- und Künstlerwerkstätten entwickelt wurde, tritt heute in den Kontext allgemeiner Bildung, in dem es nicht um die Ausbildung von Künstlerinnen und Künstlern geht, sondern um Beiträge des Faches Kunst zur Erziehung und Bildung aller Heranwachsenden. Doch auch diese Idee findet sich schon beim griechischen Philosophen Aristoteles (384 – 322 v. Chr.): Er hielt das vom Können (Techne, ars, Kunst) her kommende Wissen der Künstler und Handwerker für so stark, wichtig und eigenständig, dass er dessen Lehre für jedermann als notwendig erachtete, weil ja jedermann in der von Handwerkern und Künstlern geschaffenen »technischen«5 Kultur leben und entscheiden müsse. Genau deswegen forderte er einen allgemeinbildenden Zeichenunterricht für alle Bürger, denn dort lerne man das Denken der Künste durch eigenes Tätigsein kennen (vgl. Aristoteles, Politik 1337b23 – 27, 1338a17 – 19, 1338a40-b2).

Diese Argumentation hat in unserer heutigen von Bildern und Gestaltung geprägten Welt massiv an Bedeutung gewonnen. Unser Fach kann sich dadurch ermutigt fühlen, die Eigenständigkeit des Könnens, das wir Kunstlehrerinnen und -lehrern vermitteln, in die Mitte unseres schulischen Faches zu stellen: Es geht in unserem Fach um poietisches, also werkschaffendes Können und Wissen. Die Poiesis (griech.: Machen, Schaffen, Herstellen) ist ein Merkmal, das das Fach Kunst mit den Fächern Musik und Sprache/Literatur, mit Tanz, Werken/Technik, Theater teilt. Doch das unterscheidende Spezifikum (das »proprium«, das Eigenste) unseres Faches »Bildende Kunst« ist das die visuellen Künste prägende poietische Können/Wissen – das Können und Wissen, das man braucht, um Werke der bildenden und angewandten Künste zu schaffen. Dabei wird im Fach nicht nur über Bilder und Gestaltungen gesprochen, sondern sie werden selbst geschaffen.

Abb. 5:Pierfrancesco Alberti, Kunstakademie, Kupferstich, 1600 – 1638. An dem Bild ist zu erkennen, wie sich in der Lehrwerkstatt künstlerische Arbeit und künstlerische Lehre in einem mimetischen Resonanzraum entwickeln, einem Raum der kooperativen Vorstellungsbildung. Es wird gleichermaßen gearbeitet, betrachtet, gezeigt, verglichen, nachgeahmt, geforscht – allein oder in Gruppen, im Einzel-‍, oder Gruppenunterricht wie im selbstständigen Lernen. Fertige Werke, Modelle, Naturobjekte usw. bilden das selbstverständliche Umfeld der Unterrichtung.

1.1 Das Wesen der künstlerischen Lehre

Die Abb. 5 zeigt die klassische Lehrsituation der Kunstunterrichtung, so wie sie aus den handwerklich-künstlerischen Werkstätten stammend in die späteren »Kunstakademien« überführt wurde und im Prinzip auch im normalen schulischen »Kunstraum« (oder »Zeichensaal« oder »Werkstattraum«) stattfindet.

In der hier gezeigten Lehrwerkstatt wird das komplexe künstlerische Können und Wissen– und das ist das Wesen der künstlerischen Didaktik – in verschiedene Phasen und Lernaspekte zerlegt (Analysis), um verschiedene Teilfertigkeiten gezielt einzuüben und anzueignen. In im Raum verteilten Lehr-Lernsituationen findet eine Konzentration auf verschiedene Teilaspekte statt – hier des malerischen und zeichnerischen Schaffens: Anatomie, Perspektive, Geometrie, Plastizität, Licht und Schatten usw. Dabei werden verschiedene Lernstationen in einer Reihe durchlaufen (»Curriculum«). Die einzelnen Fähigkeitsbereiche sollten dann aber selbstverständlich wieder im Werk zusammengeführt werden (Synthesis).

Der Lernweg durchläuft didaktisch gut durchdachte Stationen: vom Nachzeichnen von Vorlagen (vorne rechts) über das Zeichnen nach Gipsabgüssen (vorne links) bis zum forschenden Untersuchen der Natur (hinten links). Es galt also die prinzipielle Lehr-Lern-Struktur, das komplexe Wissen und Können des Malers in einzelne Teilfähigkeiten zu zerlegen und entsprechende, aufeinander aufbauende Lernsituationen zu schaffen.

Damit wird das genuine fachdidaktische Prinzip der Kunstdidaktik sichtbar: Didaktik der Kunst bedeutet das Auseinandernehmen und Zusammensetzen von Könnensvollzügen, um sie lehren zu können. Im Entwickeln der didaktischen Strukturen achten die Lehrenden immer darauf, woraus denn ein Werkprozess besteht, um ihn entsprechend schrittweise anleiten zu können. Das wiederum setzt voraus, dass man das selbst beherrscht und ausprobiert, was man andere lehren will. Und dann gilt es, diesen Prozess im Unterricht so anzulegen, dass er für die Schülerinnen und Schüler zu einer sie selbst bildenden Erfahrung in der Auseinandersetzung mit der Sache, der Welt und sich selbst werden kann. Das ist das Spezifische der künstlerischen Didaktik.