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Ein Zirkus hat sich angekündigt und die 5 Doppelpunkte wollen auf jeden Fall gleich die erste Vorstellung besuchen. Lena freut sich vor allem aufs Ponyreiten, bemerkt dann aber schnell, dass die Ponys schlecht behandelt werden. Die Kinder beschließen ihnen zu helfen und stellen den Zirkusdirektor zur Rede. Als dann eines der Tiere verschwindet und bald danach ein Mädchen aus der Parallelklasse vermisst wird, haben die fünf Doppelpunkte ihren zweiten Fall.
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Veröffentlichungsjahr: 2023
Luke und Lena
sind Zwillinge, aber außer ihrem Geburtstag und den Eltern haben sie nicht viel gemeinsam. Trotzdem verstehen sie sich prächtig und sind nicht nur Bruder und Schwester, sondern auch beste Freund*innen.
Lena und Lukes erste Eltern haben sich getrennt, als die Zwillinge fünf Jahre alt waren. Ihr Vater Marc hat, als die beiden sieben Jahre alt waren, seinen Freund Timo geheiratet. Lena und Luke leben seitdem mit ihren beiden Papas zusammen. Ihre Mutter Svenja ist meistens als Ärztin für Hilfsorganisationen irgendwo in der Welt unterwegs.
Ferrari
konnte von Geburt an ihre Beine nicht benutzen und lernte schon früh, sich mit dem Rollstuhl zu bewegen. „Manche Menschen haben Beine, um sich zu bewegen und manchen haben Räder“, so antwortet sie gerne, wenn ihr wieder mal jemand mit der Frage auf die Nerven geht, warum sie im Rollstuhl sitzt.
Ferrari war in einer Gruppe mit „Kindern mit Rädern“, bevor sie zur Schule kam. Dort haben sie manchmal Rennen mit dem Rollstuhl gefahren und da Ferrari die Schnellste und Geschickteste war und außerdem ihre Lieblingsfarbe immer schon Rot gewesen ist, nannten die anderen Kinder sie Ferrari. Inzwischen weiß fast niemand mehr, wie sie früher einmal geheißen hat.
Abdo
Kam, als er acht Jahre alt war, mit seinen Eltern und Geschwistern in einem Boot über das Mittelmeer nach Europa. Vorher lebte er mit seiner Familie im Sudan in Afrika.
Abdo hat sehr schnell Deutsch gelernt, ist ein guter Schüler und ein großartiger Freund. Manchmal verstehen die anderen nicht alles, was Abdo sagt. Nicht weil er schlecht Deutsch kann, sondern weil er seine ersten Jahre in Deutschland in Stuttgart verbracht hat. Vor allem wenn er aufgeregt ist, mischt er noch immer ein paar Brocken Schwäbisch in das, was er sagt. Abdo fotografiert gerne und gut und hat einen eigenen Blog.
Slash
Wird häufig gefragt: „Bist du ein Junge oder ein Mädchen?“ Slashs Antwort ist dann: „Ja, genau.“
Früher hieß Slash Jan. Mit sieben Jahren erklärte Jan seiner Mutter: „Ich bin kein Junge!“ Die Eltern behandelten ihr Kind nun als Mädchen und nannten sie Jana. An ihrem achten Geburtstag eröffnete Jana der Mutter: „Ich bin kein Mädchen!“ Auf die Frage der Mutter: „Aber was bist du denn nun? Bist du ein Junge oder ein Mädchen?“ antwortete das Kind: „Ja!“ Von da ab nannte es sich mal Jan und mal Jana oder auch Jan/Jana. Weil das den Kindern in der Schule zu kompliziert war, bekam Jan/Jana von ihnen das englische Wort für Schrägstrich, „Slash“, als neuen Namen. Seither nennen alle Jan/a einfach Slash und niemand macht etwas Besonderes daraus.
Ferrari langweilte sich. Sie war erkältet und musste zu Hause bleiben. Sie schniefte wirklich sehr und der Husten hatte es in sich. In der Schule hätte sie sicher nur gestört, weil sie die ganze Zeit am Röcheln und Naseputzen war. Trotzdem ärgerte sie sich, dass sie nicht zur Schule durfte. Früher hätte sie sich darüber gefreut, mal ein paar Tage zu Hause bleiben zu können. Aber seit diesem bescheuerten Home-Schooling, wo sie alle wochen- und monatelang, Ferrari kam es eher wie Jahre vor, nicht in die Schule durften, war alles anders geworden. Außerdem war da die Gang, was auf Englisch Bande hieß und wie Gäng ausgesprochen wurde, und sie freute sich jeden Tag darauf, die anderen vormittags in der Schule zu treffen. Mehrere Male in der Woche trafen sie sich auch nachmittags in der Zentrale. Die Zentrale, so nannten sie ihren Treffpunkt, ein kleines Haus aus Holz, das früher einmal eine Werkstatt gewesen war. Es befand sich im Garten des Hauses, in dem die Zwillinge Lena und Luke wohnten. Marc und Timo, die Papas der Zwillinge hatten ihnen erlaubt, das Gartenhäuschen für die Gang gemütlich einzurichten und immer zu benutzen, wann sie es wollten. Das alles war für sie nicht möglich, solange sie krank war. Ferrari rollte zum Fenster. Noch vier lange Tage musste sie durchhalten, bis sie wieder zur Schule gehen und sich mit Lena, Luke, Abdo und Slash, die wie sie selbst zur Gang gehörten, treffen konnte. Eigentlich wollte der Doktor, dass sie noch länger zu Hause bleiben sollte, um sich mal so richtig auszukurieren. Aber Ferrari hatte so lange gebettelt und genölt, bis er nachgegeben hatte.
„Na gut, du Nervensäge. Dann gehst du eben am nächsten Montag wieder zum Unterricht. Früher habt ihr alle auf mich eingeredet, damit ich euch möglichst lange zu Hause lasse. Jetzt gibt es plötzlich nichts Schöneres mehr als die Schule. Verdrehte Welt.“
Ferraris Zimmer lag im Erdgeschoss, weil sie sich hier mit ihrem roten Rollstuhl unabhängig von der Hilfe anderer bewegen konnte, wie sie wollte. Der einzige Nachteil war, dass sie, wenn sie aus dem Fenster sah, direkt gegenüber ins Fenster des Nachbarhauses blickte. Dort waren die Vorhänge fast Tag und Nacht zugezogen. Bestimmt nur deshalb, damit sie nicht hineinsehen konnte, glaubte Ferrari. Todlangweilig, der Ausblick. Lieber hätte sie es gehabt, über die Dächer hinweg in die Ferne zu schauen. Allerdings war das Haus, in dem sie mit ihren Eltern wohnte, dafür sowieso nicht hoch genug. Nicht einmal vom Dachfenster aus hätte sie weiter sehen können, als bis zum nächsten Hausdach.
Zum Haus, in dem Ferrari mit ihren Eltern wohnte, gehörte ein großer Garten. Weil der Rollstuhl auf einer Rasenfläche nur schwer zu lenken gewesen wäre, hatten Ferraris Eltern einen großen Teil davon asphaltieren lassen. Überall standen Kübel mit bunten Blumen verteilt, die Ferrari als sie noch klein war und mit dem Rollstuhl üben musste, zum Slalomfahren genutzt hatte. Ein Stück Grünfläche hatten Ferraris Eltern rings um den Platz aber erhalten. Hier wuchsen Blumen und Büsche, die Bienen und Schmetterlingen Nahrung boten. Manchmal ließ Ferrari den Rollstuhl am Rand der Asphaltfläche stehen und legte sich mitten in die Blumenwiese. Dann lauschte sie dem Summen und Brummen um sich herum oder las in einem spannenden Buch, und manchmal schlief sie dabei auch ein.
Aber heute würde sie in ihrem Zimmer bleiben, denn heute nach der Schule war Fenschterln angesagt. Das war natürlich wieder einmal Abdos Idee gewesen, ihm fiel einfach immer etwas Lustiges ein. Abdo war mit seiner Familie vor ein paar Jahren aus dem Sudan nach Deutschland gekommen. Sie hatten zuerst in Süddeutschland gelebt, bis Abdos Vater eine Stelle als Arzt im Krankenhaus hier in der Stadt bekam. Abdo war in die fünfte Klasse des städtischen Gymnasiums gekommen, als das Schuljahr schon begonnen hatte. Es dauerte aber nicht lange, bis sie Freundschaft schlossen und schon wenige Tage nach seinem Eintreffen war Abdo Mitglied ihrer Gang. Von Abdo stammte auch die Idee, die neu gegründete Gang „Die 5 Doppelpunkte“ zu nennen und nun hatte er das Fenschterln erfunden. Wenn sich andere Kinder bei Zoom-Sitzungen oder einfach im Internet trafen, dann gab es bei den fünf Doppelpunkten das Fenschterln.
Home-Schooling gab es zwar schon lange nicht mehr, aber manchmal schafften sie es nicht, sich nachmittags zu treffen oder jemand von ihnen war krank, wie jetzt Ferrari. Dann war das Fenschterln eine gute Möglichkeit, wenigstens kurz alles Wichtige zu besprechen. Es sei eine alte süddeutsche Sitte, hatte Abdo erzählt. „Wenn sich ein Mann in eine Frau verliebt, dann legt er eine Leiter an ihr Fenster und klettert hoch zu ihr. Oder so ähnlich“, sagte Abdo. „Ganz verstanden habe ich das nicht, warum die sich nicht einfach so treffen. Aber sie tun es eben oder vielleicht haben sie es auch nur früher so gemacht, keine Ahnung. Ich weiß nur, dass man das Fenschterln nennt.“
„Und was hat das nun mit uns zu tun?“, hatte Luke gefragt, während seine Zwillingsschwester Lena und Slash nicht aufhören konnten, kichernd „Fenschschschschterln“ zu sagen.
„Ist doch klar“ sagte Abdo. „Schon mal was von Windows gehört? Windows ist ein Betriebssystem am Computer und Window heißt Fenster.“
„Bin ich doof oder was?“ fuhr ihn Luke an. „Das weiß doch jeder.“
„Lass ihn halt erst mal ausreden“, hatte Ferrari zu vermitteln versucht und wirklich hielt Luke ausnahmsweise einmal die Klappe.
„Also“, begann Abdo mit seiner Erklärung, „also Window heißt Fenster. Wenn wir zoomen starren wir die ganze Zeit durchs Windows-Fenster und unterhalten uns. Kapiert?“
Slash bekam den nächsten Lachanfall.
„Coole Idee“, sagte Lena. „Was dir immer alles einfällt.“
„Fehlt nur noch die Leiter“, lachte Ferrari und nun fiel auch bei Luke der Groschen.
„Mann, Abdo, du wieder“, grinste er. „Okay Doppel-punkte, wir ‚fenschterln‘ ab sofort immer dann, wenn wir uns nicht treffen können.“
„Give me Five“, sagte Lena und alle klatschten sich gegenseitig die Hände ab und sahen sich verschwörerisch an.
„Bleibt aber unser Geheimnis, klar?“ Luke war das wieder, der immer den Ton angeben wollte. Aber die anderen waren einverstanden und beschwerten sich dieses Mal nicht darüber.
„Auf jeden Fall“, sagte Ferrari.
„Versprochen und wird nicht gebrochen.“ Lena war gerne etwas pathetisch.
Nur Slash lachte immer noch. „Das kapiert sowieso kein Mensch. Vor allem wegen dem schschsch.“ Slash schlug Abdo anerkennend auf die Schulter. „Du bist einfach schschschpitze.“
Ferrari sah auf die Uhr, seufzte erleichtert, und rollte zum Schreibtisch. Sie loggte sich ein und schon nach kurzer Zeit erschienen die anderen, eins nach dem anderen, auf dem Bildschirm.
„Wie war’s denn in der Schule?“, fragte Ferrari gleich zu Beginn. „Habe ich was Aufregendes verpasst?“
„Alles wie immer“, antwortete Lena. „Englisch war langweilig und in Mathe bin ich fast eingeschlafen.“
„Wir sollen uns ein Buch aussuchen, das wir gemeinsam in der Klasse lesen wollen“, erzählte Luke, die Leseratte. „Ich weiß schon ganz viele Bücher, aber wir müssen uns für eins entscheiden.“
„Da weiß ich schon, was du das Wochenende über machst“, lachte Slash. „Am Montag dürfen wir es in der Deutschstunde vorschlagen und wir sollen dir sagen, du sollst auch eins aussuchen, Ferrari.“
„Okay, ich denke drüber nach“, antwortete Ferrari. „Und sonst so?“
„Ein Zirkus kommt in unsere Stadt!“ Abdo war ganz aufgeregt. Er hatte es gleich zu Beginn erzählen wollen, aber die anderen waren ihm zuvorgekommen. „Da war ein Mädchen in der Schule vom Zirkus, die hat an alle Zettel verteilt. Wer so einen Zettel mitbringt, zahlt bei der ersten Vorstellung nur den halben Eintritt. Wir müssen da unbedingt hin!“
„Ich weiß nicht.“ Luke hörte sich nicht besonders begeistert an. „Zirkus ist doch irgendwie langweilig, finde ich.“
„Spinnst du?“ Lena war da ganz anderer Meinung als ihr Zwillingsbruder. „Zirkus ist cool. Außerdem gibt es Ponyreiten. Ich gehe auf jeden Fall da hin.“
„Ponyreiten? Die laufen bestimmt immer nur im Kreis herum, das ist doch öde“, meldete sich Ferrari zu Wort. „Aber vielleicht gibt es da noch andere Tiere? Elefanten und Löwen und so was?“
„Hoffentlich nicht“, mischte sich jetzt auch Slash ein. „Wilde Tiere gehören nicht in den Zirkus, das ist doch Tierquälerei, finde ich.“
„Genau, Slash hat recht. Außerdem hast du gut reden, Ferrari.“ Lena war verärgert. „Du hast jede Woche therapeutisches Reiten, ich bin schon zufrieden, wenn ich mal auf einem Pony sitzen darf, das im Kreis herumläuft.“
„Tut mir leid, Lena, du hast ja recht.“ Ferrari wollte keinen Streit. „Und das mit den wilden Tieren stimmt auch irgendwie, Slash. Ich habe da noch nie so richtig drüber nachgedacht. Aber es ist halt cool, wenn man Tiger und Löwen und Elefanten sehen kann und wenn die dazuhin noch Kunststücke machen.“
„Glaubst du, die machen das freiwillig? Meinst du, Elefanten haben Bock drauf, auf Stühlchen zu sitzen oder Löwen haben Lust, durch einen brennenden Reifen zu springen? Eigentlich haben die doch total Angst vor Feuer.“ Slash war ziemlich aufgebracht. Schlimm genug, dass es immer noch so was gab, noch schlimmer, dass Ferrari sich noch nie Gedanken darüber gemacht hatte. Wilde Tiere gehörten in den Wald oder in die Steppe. Dahin eben, wo sie in der Natur vorkamen. Aber mit Sicherheit nicht in einen kleinen vergitterten Wagen oder eine Zirkusmanege. Und damit nicht genug. Slash hatte schon viel darüber gelesen und wusste genau, dass es meistens ziemlich schlimme Methoden waren, mit denen man den Tieren die Kunststücke beibrachte.
„Also auf dem Zettel steht nur, dass es Ponys und eine Ziege gibt.“ Abdo nutzte die Pause, die entstanden war, um wieder auf den gemeinsamen Zirkusbesuch zurückzukommen. „Da steht nichts von Löwen oder Elefanten. Ich glaube, das ist ein kleiner Zirkus, aber es gibt Clowns und Artisten und vielleicht sogar einen Zauberer.“
„Also was ist jetzt? Gehen wir hin oder nicht?“ Luke wurde ungeduldig. Er langweilte sich am Computer und wollte endlich raus und mit seinem Fahrrad ein paar Runden drehen. Hausaufgaben gab es heute zum Glück nicht, weil sie nachmittags Unterricht gehabt hatten.
„Wir können ja einen Kontrollbesuch machen und sehen, ob alles in Ordnung ist mit diesem Zirkus“, schlug er vor. „Schließlich wird es langsam Zeit, dass wir wieder mal als Detektive unterwegs sind.“
„Gute Idee.“ Slash war sofort Feuer und Flamme. „Wir sehen nach, ob es wirklich keine anderen Tiere gibt.“
„Und ob sie nett zu den Ponys sind“, fügte Lena hinzu.
„Ich werde alles mit meiner Kamera dokumentieren“, sagte Abdo, der sehr gerne fotografierte und auch fast immer richtig gute Bilder machte.
„In Ordnung. Ich werde ein Auge auf die Ponys haben, ob sie gesund sind.“ Ferrari wollte ihr Unwissen bezüglich der Tierhaltung im Zirkus wiedergutmachen. „Außerdem überprüfe ich, ob der Zirkus für Menschen mit Rädern geeignet ist.“
„Gut, dann ist das klar: Wir besuchen zusammen den Zirkus“, ergriff Luke wieder das Wort. Er konnte einfach nicht anders. Er war zu ungeduldig, um eine gemeinsame Entscheidung abzuwarten. Die anderen nahmen ihm das manchmal übel und oft machten sie sich über sein Machogehabe, wie sie das nannten, lustig. Luke versuchte eigentlich es sich abzugewöhnen, aber in diesem Moment war es ihm egal. Er wollte nur schnell eine Entscheidung, um endlich aufs Fahrrad zu kommen.
„Der Boss hat gesprochen“, lachte Ferrari. „Also sehen wir uns nächste Woche den Zirkus mal näher an.“
Luke, Slash und Abdo loggten ich aus, nur Lena blieb noch, um mit ihrer Freundin zu quatschen und online Spiele zu spielen.
Am Montag durfte auch Ferrari wieder zur Schule und die Gang traf sich kurz vor Unterrichtsbeginn auf dem Pausenhof. Sie verabredeten gleich ein Treffen für den Nachmittag.
„Fünfzehn Uhr mit den Fahrrädern in der Zentrale“, schlug Lena vor und alle waren einverstanden. Heute wollten sie schon einmal das Terrain sondieren, wie Luke das nannte.
„Was soll das denn heißen?“, fragte Abdo, der diesen Ausdruck noch nie gehört hatte.
„Wir schauen uns mal an der Stelle um, an dem der Zirkus sein wird“, erklärte Slash. „Wenn sie am Mittwoch auftreten wollen, dann müssen sie ja vorher schon alles aufbauen. Vielleicht sind sie sogar schon da und wir können zusehen, wie sie das Zelt aufstellen.“
Der Platz, an dem der Zirkus ein paar Tage bleiben wollte, lag draußen vor der Stadt. Um nicht zu viel Zeit zu verlieren, würden sie die Räder nehmen. Da Ferrari an Ostern ihr lang ersehntes Handbike bekommen hatte, konnte sie nun endlich mit den anderen zusammen Radfahren. Ferrari war nach Ostern stolz mit dem Rad zur Zentrale gefahren, obwohl sie den kurzen Weg locker mit dem Rollstuhl geschafft hätte. So hatte sie es bisher ja schließlich immer gemacht.
„Schaut euch meine neue Rennmaschine an“, sagte sie stolz, als die anderen Mitglieder der Gang bewundernd um sie herumstanden. „Leider gab es das Handbike nicht in Rot.“
Ferraris Rollstuhl war knallrot lackiert, weil das ihre Lieblingsfarbe war. Deshalb und weil sie so schnell fahren konnte, hatte sie auch den Spitznamen Ferrari bekommen. An dem roten Rollstuhl wurde nun vorne das Handbike befestigt, ein einzelnes Rad, von dem aus an einer Stange entlang eine Kette hoch zum Lenker führte. Statt wie die anderen mit den Füßen in die Pedale zu treten, konnte Ferrari das Fahrrad durch eine Kurbel mit den Händen bewegen.
„Aber schwarz ist auch nicht schlecht, finde ich. So eine rot-schwarze Rennmaschine hat doch was.“ Sie strahlte. „Endlich kann ich mit euch Touren machen.“
Alle durften sie das Fahrrad mit Handbetrieb einmal ausprobieren. Jedes Kind fuhr eine Runde, aber allen taten die Oberarme weh, als sie zurückkamen.
„Ganz schön anstrengend, mit den Händen zu fahren“, stöhnte Lena, als sie das Rad an Slash weitergab.
Ferrari lachte. „Du hast wohl Pudding in den Armen. Das geht doch ganz leicht.“
„Du hast ja auch Muskeln wie ein Gewichtheber“, sagte Lena fast ein bisschen neidisch. Sie wusste natürlich, dass Ferrari nicht von allein so stark geworden war. Durch das fortwährende Antreiben ihres Rollstuhls hatte sie so durchtrainierte Arme bekommen. Lenas Stärke waren dagegen die Beinmuskeln, weil sie seit Langem im Fußballverein spielte.
Heute nun wollten sie gemeinsam mit den Rädern zu dem Platz am Stadtrand fahren, wo in wenigen Tagen die Zirkusvorstellungen beginnen sollten.
Pünktlich um drei Uhr nachmittags versammelten sich alle Mitglieder der Gang vor dem Gartenhaus. Wie üblich setzte sich Luke an die Spitze. „Los geht’s, alle mir nach“, rief er und fuhr los.
Lena und Ferrari sahen sich an und rollten mit den Augen. „Er kann es einfach nicht lassen, dieser olle Macker“, sollte das wohl heißen. Aber sie würden es ihm schon zeigen. Lena trat in die Pedale, so fest sie nur konnte und Ferrari kurbelte als ob sie die Weltmeisterschaft im Radfahren gewinnen wollte. Und wirklich dauerte es nicht lange, bis die beiden Mädchen Luke überholt hatten. „Los mir nach!“, schrien beide im Chor und hätten fast die Spitze wieder Luke überlassen, weil sie so lachen mussten.
Abdo hatte immer noch Lukes altes Fahrrad, das der ihm einmal geschenkt hatte. Damit war es schwerer zu fahren und deshalb fiel er zurück. Abdo ärgerte sich, aber er war selbst schuld. Sein Vater hatte ihm zum Geburtstag ein neues Fahrrad schenken wollen, aber Abdo hatte sich stattdessen eine „richtig gute Kamera“ gewünscht. „Ich will doch ein berühmter Fotograf werden, Papa“, hatte er gesagt, „und da muss ich jetzt schon anfangen zu üben.“ Das hatte er jetzt davon, aber die Kamera war es wert, dass er mehr trampeln musste als die anderen und dennoch nicht immer mithalten konnte.
Slash bemerkte, dass Abdo zurückfiel und hörte auf zu treten, bis beide auf einer Höhe waren. Mit etwas Abstand fuhren Slash und Abdo hinter den anderen her. Sie erreichten den Platz gerade mal zwei Minuten später.
Die Kinder waren nicht allein auf dem Platz. Ein Teil der Zirkusleute war schon eingetroffen und gerade damit beschäftigt, das große Zelt vom Transporter abzuladen. Noch handelte es sich dabei um unzählige Einzelteile, die sie in der Mitte des Platzes stapelten. Die Kinder stellten die Räder ab und beobachteten das Geschehen vom Rand der Wiese aus.
„Sollen wir fragen, ob wir was helfen können?“ Lena langweilte sich schon nach wenigen Minuten.
„Sieht nicht so aus, als ob sie jemand brauchen können. Es läuft fast automatisch, alle wissen genau, was sie machen müssen. Bestimmt sind wir denen nur im Weg.“ Slash sah die Sache sehr realistisch und hatte keine Lust, sich eine Abfuhr zu holen.
Lena musste Slash recht geben und so beobachteten sie weiterhin das Geschehen vom Rand der Wiese aus.
„Dass das mal ein Zirkuszelt werden soll, kann man sich noch gar nicht vorstellen“, meinte Lena schließlich.
„Wollen wir wetten, wie lange sie brauchen?“, schlug Luke vor, aber Slash und Ferrari antworteten zugleich: „So lange können wir hier nicht bleiben. “
„Stimmt, das dauert bestimmt bis in die Nacht. Lasst uns morgen wiederkommen“, meinte Lena. „Dann sind sie bestimmt fertig.“