Die 77 größten Spionagemythen enträtselt - Christopher Nehring - E-Book

Die 77 größten Spionagemythen enträtselt E-Book

Christopher Nehring

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Beschreibung

"Top Secret" war gestern

Wo liegt die Hauptstadt der Spione? Warum arbeiten Hellseher für die CIA? Und eignen sich Katzen als Agenten? Christopher Nehring geht 77 Mythen aus der Welt der Geheimdienste nach – absurden, unterhaltsamen, für unmöglich geglaubten – und überrascht immer wieder damit, dass die Wahrheit noch fantastischer als der Mythos sein kann.

„Christopher Nehring ist ein wahrer Kenner der Geheimdienste. Er entlarvt lieb gewordene Mythen und schreibt ebenso präzise wie unterhaltsam.“ – Georg Mascolo, Leiter des Investigativ-Rechercheverbunds von WDR, NDR & SZ

„Christopher Nehring ist der Erste, der Mythen, Fabeln und Fehlwahrnehmungen über Spionage und Geheimdienste zurechtrückt. Der normale Leser, Historiker – und ja, auch Geheimdienst-Profis – werden von der Lektüre profitieren.“ – Benjamin B. Fischer, langjähriger CIA-Chef-Historiker

"Ein Buch mit Spürsinn, spannend und unterhaltsam geschrieben." – Bodo V. Hechelhammer, BND-Chefhistoriker

„Knackig geschrieben, ironisch und kenntnisreich.“ – Dirk Brauns, Autor des Spionageromans "Die Unscheinbaren"

„Dr. Nehring bringt Licht in die Schattenwelt der Spionage. Gründlich recherchiert und spannend verpackt.“ – Leo Martin, Ex-Geheimagent

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Dr. Christopher Nehring ist »Wissenschaftlicher Leiter« im Deutschen Spionagemuseum in Berlin. Er promovierte zur Geheimdienstgeschichte und ist Verfasser zahlreicher wissenschaftlicher und journalistischer Publikationen auf diesem Gebiet.

Christopher Nehring

Die

77

größten

Spionage

mythen

WILHELM HEYNE VERLAG

MÜNCHEN

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Taschenbucherstausgabe 06/2019

Copyright © 2019 by Wilhelm Heyne Verlag, München,

in der Verlagsgruppe Random House GmbH,

Neumarkter Straße 28, 81673 München

Redaktion: lüra – Klemt & Mues GbR

Umschlaggestaltung: Hauptmann & Kompanie

Satz und E-Book Produktion: Satzwerk Huber, Germering

ISBN: 978-3-641-24502-3V003

www.heyne.de

Inhalt

Vorwort: Geheimdienste und ihre Mythen

»Geheimdienste müssen von ihren Mythen befreit werden.« – Ein Gespräch mit Ex-BND-Präsident (2011-2016) Gerhard Schindler

Der Mensch in der Spionage

Mythos Nr. 01 – Agenten und V-Leute

Mythos Nr. 02 – Alle Agenten sind Einflussagenten

Mythos Nr. 03 – Alle Agenten sind Einzelkämpfer

Mythos Nr. 04 – Diplomaten und Spione

Mythos Nr. 05 – Archäologen und Spionage

Mythos Nr. 06 – »Schläfer-Agenten« und Doppelgänger

Mythos Nr. 07 – Beim Geheimdienst kann man sich nicht bewerben

Mythos Nr. 08 – Spione machen keinen Urlaub

Geheimdienstmethoden

Mythos Nr. 09 – Agentenaustausch

Mythos Nr. 10 – Die Jagd nach Maulwürfen

Mythos Nr. 11 – Geschreddert: Aktenvernichtung

Mythos Nr. 12 – Gefunden: Informationsgewinnung

Mythos Nr. 13 – AMINT: Animal Intelligence

Mythos Nr. 14 – Geheimdienste unterliegen keinerlei Kontrolle

Mythos Nr. 15 – Nur BND und Verfassungsschutz werben Spione an

Mythos Nr. 16 – Der Lügendetektor

Organisationen, Persönlichkeiten und Operationen

Mythos Nr. 17 – Der älteste Geheimdienst der Welt

Mythos Nr. 18 – Nur Staaten haben Geheimdienste

Mythos Nr. 19 – Geheimdienste haben unbegrenzte Budgets

Mythos Nr. 20 – Geheimdienstbosse

Mythos Nr. 21 – »Mr. Hisbollah«, der Chef-Unterhändler des BND

Mythos Nr. 22 – FBI, CIA und NSA sind die einzigen Geheimdienste der USA

Mythos Nr. 23 – Milliardär Howard Hughes und die CIA

Mythos Nr. 24 – Die russischen Geheimdienste morden besonders gut und häufig

Mythos Nr. 25 – Geheimdienste haben keine Telefonnummern

Mythos Nr. 26 – Geheimdienste interessieren sich nicht für das Wetter

Mythos Nr. 27 – Geheimdienste und Flüchtlinge

Mythos Nr. 28 – Geheimdienste und die Fußball-WM

Hauptstädte und -stätten der Spionage

Mythos Nr. 29 – Berlin, Mutter aller Spionagehauptstädte

Mythos Nr. 30 – Wien, das bessere Berlin?

Mythos Nr. 31 – London, Paris, oder doch lieber Brüssel?

Mythos Nr. 32 – Geheimdienstfirmen

Mythos Nr. 33 – Geheimdienstzentralen

Mythos Nr. 34 – Pullach

Mythos Nr. 35 – Der BND-Neubau in Berlin

Klassiker

Mythos Nr. 36 – Mata Hari

Mythos Nr. 37 – Der bulgarische Regenschirm

Mythos Nr. 38 – Die Kennedy-Akten

Mythos Nr. 39 – Die RAF und die Stasi

Mythos Nr. 40 – AIDS ist eine künstliche amerikanische Biowaffe

Mythos Nr. 41 – X-Akten, Aliens und Remote Viewing

Der Zweite Weltkrieg und die Folgen

Mythos Nr. 42 – Stalins Agenten informierten nicht über Hitlers Angriff

Mythos Nr. 43 – Die Nazis hatten keine jüdischen Agenten

Mythos Nr. 44 – Der israelische Mossad und die Jagd auf Nazi-Verbrecher

Mythos Nr. 45 – Reinhard Gehlen. Von Hitlers Spionagegeneral zum Präsidenten des BND

Mythos Nr. 46 – ENIGMA, das NS-Rätsel

Mythos Nr. 47 – Die CIA fand Adolf Hitler 1955 in Südamerika

Der Kalte Krieg

Mythos Nr. 48 – Der BND wusste nichts vom Mauerbau

Mythos Nr. 49 – Die Berliner Mauer nutzte der Stasi und schadete dem BND

Mythos Nr. 50 – Die Stasi war der erfolgreichste Geheimdienst

Mythos Nr. 51 – Stasi-Spione waren ideologisch motiviert

Mythos Nr. 52 – Rainer Rupp alias IM »Topas« verhinderte den Dritten Weltkrieg

Mythos Nr. 53 – »Gladio« – NATO-Partisanen im Kalten Krieg

Mythos Nr. 54 – Markus Wolf, der »Mann ohne Gesicht«

Mythos Nr. 55 – Die neutralen Staaten Schweiz und Österreich waren weniger von Spionage betroffen

Mythos Nr. 56 – Der BND hat keinen Sinn für Humor

Skandale

Mythos Nr. 57 – Alt-Nazis in BND und Verfassungsschutz

Mythos Nr. 58 – Der Kanzleramtsspion Günter Guillaume war eine Spitzenquelle

Mythos Nr. 59 – Franz Josef Strauß war ein amerikanischer Spion

Mythos Nr. 60 – Der bulgarische Geheimdienst und das Papstattentat

Mythos Nr. 61 – Die Geheimdienste warnten nicht vor den Anschlägen vom 11. September 2001

Mythos Nr. 62 – BND-Agent »Curveball« verursachte den Irak-Krieg

Mythos Nr. 63 – »Abhören unter Freunden – das geht gar nicht!«

Wahrheit und Fiktion, oder Irrtum?

Mythos Nr. 64 – Geheimdienstler mögen keine Spionagefiktion

Mythos Nr. 65 – Spionage inspiriert die Fiktion. Oder inspiriert Fiktion die Spionage?

Mythos Nr. 66 – Mit Spionagefilmen hat die CIA nichts am Hut

Mythos Nr. 67 – Fake News sind neu

Mythos Nr. 68 – Streng geheime Kochbücher: Bei Geheimdiensten brodelt nicht nur die Gerüchteküche

Mythos Nr. 69 – Edward Snowden war der erste Whistleblower

Mythos Nr. 70 – Geheimdienste taugen zur Weltverschwörung

Mythos Nr. 71 – Spionage ist unmoralisch

James Bond

Mythos Nr. 72 – James Bond ist unsterblich

Mythos Nr. 73 – Der Ornithologe James Bond

Mythos Nr. 74 – James Bonds Stunts sind unmöglich

Mythos Nr. 75 – James Bond trinkt nur Wodka Martini

Mythos Nr. 76 – Der BND hatte keinen James Bond

Mythos Nr. 77 – Die DDR hatte keinen James Bond

Literatur und Quellen

Vorwort: Geheimdienste und ihre Mythen

Schon das Wort »Geheimdienst« beflügelt die Fantasie. Und das liegt nicht nur daran, dass von Geheimnissen im Allgemeinen eine Faszination ausgeht. Mit der Schaffung geheimer Dienste, von denen im In- und Ausland kaum etwas bekannt werden durfte, gaben sich Regierungen ein ganz spezielles Instrument an die Hand: Hier sollten die Aufgaben erledigt werden, die andere nicht erledigen konnten oder wollten, und das möglichst im Geheimen. In der Zeit der klassischen Geheimdienste zwischen dem Ersten Weltkrieg bis hinein in den Kalten Krieg waren »handfeste« Geheimdienstaktionen wie Sabotage, Liquidierungen oder Entführungen weitverbreitet. Deshalb werden Geheimdienste oft auf »dirty tricks«, »scharfe Maßnahmen«, »nasse Jobs« oder »verdeckte Aktionen« reduziert. Die eigentliche Spionage, das nachrichtendienstliche Kerngeschäft des Beschaffens und Auswertens von Informationen, wird dabei gerne vergessen.

Aus dem Militär, dem Polizeiapparat und dem Außenministerium hervorgegangen, war die bloße Existenz von Geheimdiensten für lange Jahre ein gut gehütetes Geheimnis. Welche Regierung hätte schon freiwillig zugegeben, dass sie Institutionen unterhielt, deren Aufgabe darin bestand, die Gesetze anderer Staaten zu brechen? Der britischen Öffentlichkeit beispielsweise wurde erstmals in den 1990er-Jahren, nach dem Ende des Kalten Krieges, der Chef ihres Inlandsgeheimdienstes MI5 vorgestellt. Der deutsche Auslandsnachrichtendienst BND wies erst 1996 durch ein Schild auf seine damalige Zentrale im Münchner Vorort Pullach hin. Und erst 2014 »enttarnte« der damalige BND-Präsident Gerhard Schindler einige andere Dienststellen des BND in Deutschland.

Doch Menschen, vor allem in größeren Gruppen, sind nur selten in der Lage, Geheimnisse zu bewahren. Und insbesondere staatliche Bürokratien sind anfällig für Gerüchte. Irgendetwas drang also immer nach außen. Jeder hatte schon einmal von einem Geheimdienst gehört. Von offizieller Stelle kamen allerdings keine Antworten, sondern lediglich Verweise auf die Pflicht zur Geheimhaltung. Doch je größer die Geheimniskrämerei, desto mehr brodelte die Gerüchteküche. Die Geheimnisse um die geheimen Dienste nährten den Mythos der Institution Geheimdienst. Regierungen, Journalisten und die Dienste selbst machten sich das geschickt zunutze: Regierungen fanden mitunter in Institutionen, die sich nicht öffentlich äußern durften, Sündenböcke für ihr eigenes Versagen. Aufgebauschtes Halbwissen und unbestätigte Gerüchte ließen sich von Journalisten gut zu Schlagzeilen verarbeiten und erwiesen sich gleichermaßen als nützlich für das Image der Geheimdienste. Auch umgekehrt wurde ein Schuh daraus: Berichte über Skandale wie Versagen, Korruption und Verschwörungen waren, selbst wenn kaum etwas Substanzielles daran war, immer eine Story wert. Wohl kaum eine andere staatliche Institution hatte über Jahrzehnte ein so widersprüchliches Image wie der deutsche Auslandsgeheimdienst BND: Einerseits galt er als Gurkentruppe, die nicht in der Lage schien, nennenswerte Informationen zu beschaffen, und von ihrer Regierung geflissentlich ignoriert wurde. Andererseits war der BND eine geheime Macht, immer mit Verschwörungen, Abhöraktionen und der Fremdsteuerung von Politikern, Medien und der Wirtschaft beschäftigt. Eine allmächtige Gurkentruppe, die im Hintergrund die Strippen zieht – so etwas konnte nur einem Geheimdienst angedichtet werden.

Außer den Geheimdiensten hat allenfalls die Kriminalistik diese besondere Art der Faszination in die Literatur übertragen. Denn fast zeitgleich mit den Gründungen der britischen Geheimdienste zum Ende des Ersten Weltkrieges erschienen die ersten Spionageromane. Auch die Spionagefiktion zehrte vom Nimbus des Geheimen. In der Halbwelt der Spione waren Verrat, Sex, Geld, Abenteuer und Gewalt an der Tagesordnung. Ein Geheimagent – natürlich ein britischer – steht wie kein zweiter für den Spion, wie sich die Masse ihn vorstellt: James Bond, 007, DER Geheimagent Ihrer Majestät. Wohl kaum eine andere staatliche Behörde – und nichts anderes sind Geheimdienste! – wird derart von einem fiktionalen Roman- und Filmhelden überlagert. Der Alleskönner-Casanova-Superhirn-Charmeur James Bond wurde stilprägend in Literatur und Film, aber trotz zahlreicher Bezüge zur Realität ist er eben doch nur Fiktion – der wohl größte Mythos der Geheimdienstwelt.

Vieles hat sich in der Welt der Geheimdienste geändert. Wo früher Mauern des Schweigens um einen kultischen Männerbund errichtet wurden, findet man heute Historikerkommissionen, Presserunden oder Imagevideos. Die einst so gefürchtete Institution Geheimdienst wurde in den letzten 50 Jahren von mehreren Demokratisierungswellen überrollt, und das nicht nur in Form von Kontrolle ihrer Unternehmungen oder finanziellen Ausstattung. Auch Transparenz und Öffentlichkeitsarbeit von Geheimdiensten wurde demokratisiert und dem Standard anderer staatlicher Institutionen angenähert. »Geheime Nachrichtendienste« anstelle des alten, anrüchigen »Geheimdienstes«. Der Unterschied, insbesondere in Deutschland, besteht darin, dass der Nachrichtendienst im Vergleich zum »klassischen« Geheimdienst keine »Exekutivaufgaben«, also Verhaftungen, Sabotage oder Tötungen durchführt. Stattdessen soll er sich auf die Beschaffung, Auswertung und Bereitstellung von Informationen konzentrieren. So ist in den letzten Jahrzehnten eine deutliche Öffnung von Geheimdiensten zu spüren. Zumindest in Demokratien müssen Nachrichtendienste ihren Regierungen und der Bevölkerung Rechenschaft darüber ablegen, was sie tun und warum sie es tun. Damit geht auch ein besseres Verständnis für die Welt der Geheimdienste einher. Die historische Entmystifizierung ist dabei auch ein Stück nachträglicher demokratischer Kontrolle von Geheimdiensten.

Die Zeit ist also reif, den Schleier zu lüften und das große Tabu zu brechen. Die Welt von James Bond wird entmystifiziert. Dabei soll jedoch weder Skurriles noch Unterhaltsames zu kurz kommen. Natürlich sind einem solchen Unterfangen auch Grenzen gesetzt. Nicht alles, was Sie schon immer über Geheimdienste wissen wollten, passt auf 256 Seiten für 9,90 Euro. Aus den 77 hätten auch leicht 777 Mythen werden können. Anstatt zu James Bond hätte noch viel mehr zu John le Carrés George Smiley vorkommen können, oder zum niederländischen Geheimdienst – bei genauerer Betrachtung ein hochinteressanter Fall! Doch nicht alles ließ sich unterbringen. So konzentriert sich die Sammlung auf den deutschsprachigen Raum und einige prägnante Beispiele aus der Weltgeschichte der Geheimdienste. Es wurden Mythen ausgewählt, für die ein gewisses Vorwissen nicht abträglich ist, aber auch solche, die sich an das breite Publikum richten – für einen Forscher in Deutschland ein gefährlicher Balanceakt.

Vorangestellt wurde ein Interview mit dem ehemaligen Präsidenten des deutschen Auslandsnachrichtendienstes BND Gerhard Schindler (2011-2016). In zweifacher Hinsicht verdeutlicht dieses Gespräch das Anliegen des Buchs: Es zeigt, dass Gespräche mit Geheimdienstlern – auch aus den obersten Etagen – nicht mehr ausschließlich bei verschwörerischen Kaminzimmertreffen möglich sind. Und es zeigt, dass Geheimdienst-Mythen ein Thema sind, das die Geheimdienste selbst beschäftigt.

Viel Vergnügen!

»Geheimdienste müssen von ihren Mythen befreit werden.«

Ein Gespräch mit Ex-BND-Präsident Gerhard Schindler

Gerhard Schindler, Jahrgang 1952, war als leitender Beamter im Bundesgrenzschutz, Bundesamt für Verfassungsschutz und Bundesministerium des Inneren mit dem Fachgebiet öffentliche Sicherheit und Terrorismusbekämpfung betraut. Von 2011 bis 2016 war er Präsident des Bundesnachrichtendienstes (BND).

Autor: Welches ist der größte Mythos über den BND?

Gerhard Schindler: Dass er sich als Geheimdienst verselbstständigt hätte und ohne politische Führung oder rechtliche Beschränkungen agiert. Der BND und andere Nachrichtendienste schleppen diesen Mythos vom Staat im Staate leider noch immer mit sich herum. Das mag früher einmal so gewesen sein, heute ist das Unsinn. Ich würde heute sogar so weit gehen zu sagen, dass der BND eine der am strengsten kontrollierten Behörden in Deutschland ist.

Autor: Pullach oder die neue BND-Zentrale in Berlin. Ist es gut, einen Mythos um seine Geheimdienstzentrale zu haben?

Gerhard Schindler: Der BND gehört in die Hauptstadt Berlin, wo die politischen Entscheidungsträger sind. Dort kann man ihn im wahrsten Sinne des Wortes anfassen, da der Bürgersteig direkt an der Außenwand entlangführt. Mit dem Mythos der alten BND-Zentrale in Pullach konnte weder ich noch das Gros der Mitarbeiter etwas anfangen. Das bringt nichts für die konkrete Arbeit. Dort zählen nur Erfolge.

Autor: Mythos St. Georgs-Medaille, mit der BND-Mitarbeiter ausgezeichnet werden. Diese Auszeichnung aus der Gehlen-Zeit haben sie reaktiviert. Warum?

Gerhard Schindler: Um einen Korpsgeist, einen Teamgeist zu festigen. So etwas zu entwickeln ist sehr schwer. Deshalb habe ich zum Beispiel auch das alte Logo wieder eingeführt, um Tradition herzustellen. Bei all der Abschottung im Nachrichtendienst braucht man auch ein Wir-Gefühl.

Autor: Manche Bundeskanzler lasen lieber die Zeitung und wollten ihren BND-Chef gar nicht sehen.Wie gut ist die Berichterstattung des BND an die Regierung?

Gerhard Schindler: Das kann man am Feedback messen. Der BND bekommt im Monat rund 900 Berichtsanfragen aus allen Bereichen der Sicherheitsbehörden, Ministerien und des Bundeskanzleramtes. Das zeigt mir, dass unsere Berichte gefragt waren. Der BND ist ein echter Dienstleister für die Politik geworden.

Autor: Was halten Sie von der Gegenspionage, also dem Kampf der Geheimdienste gegeneinander? Ist das die Königsdisziplin des Metiers?

Gerhard Schindler: Da sehe ich keine zentrale Aufgabe. Das muss man entweder richtig machen mit enormem Aufwand oder es sein lassen. Die Herausforderungen in den Bereichen Terrorismus, Proliferation von Massenvernichtungswaffen, militärische Konflikte und sonstige Krisen sind so hoch, dass sie prioritär bearbeitet werden müssen. Aber da habe ich wahrscheinlich eine andere Meinung als viele im Kanzleramt oder im BND.

Autor: Wie schädlich sind gegnerische Spione oder Doppelagenten im eigenen Haus? In ihrer Amtszeit gab es da ja auch den Fall des BND-Mitarbeiters Markus R., der Informationen an die CIA verkaufte.

Gerhard Schindler: Ein Spion im Haus ist immer schlecht, aber es kommt auch darauf an, wo er platziert ist. Ganz sensibel ist es dort, wo menschliche Quellen geführt werden, das wäre ein GAU. Der Fall Markus R. war natürlich unschön, aber der Schaden war gering. Fast alles, was er der CIA verkauft hat, hätte ich einem befreundeten Dienst auch auf offiziellem Weg gegeben. Insofern hat sich der Aufwand für die CIA nicht gelohnt.

Autor: Was ist dran am Mythos von Berlin als Hauptstadt der Spione?

Gerhard Schindler: Schwer zu beurteilen, darüber habe ich – leider oder Gott sei Dank – keine Statistiken geführt. Aber natürlich ist Deutschland für gegnerische Spione hochinteressant, und in Berlin konzentrieren sich die Zielobjekte, darunter auch der BND. Das zieht Spione an. In Pullach waren die BND-Mitarbeiter aber auch nicht sicherer. Auch dort wurden die Mitarbeiter an Ein- und Ausgang von anderen Diensten fotografiert.

Autor: Mythos Mord, Entführung, Kommandoaktionen – sind Geheimdienste hier wirklich gut?

Gerhard Schindler: Das ist keine Aufgabe des BND. Seine Befugnisse sind im Gesetz geregelt, und das besagt, dass der BND ausschließlich aufklärt und keine Kommandoaktionen durchführen darf. Andere Dienste machen das natürlich, mit unterschiedlicher Qualität.

Autor: Mythos »Lizenz zum Töten« – wie oft greifen BND-Mitarbeiter wirklich zur Waffe?

Gerhard Schindler: Ganz selten. Mit dem Griff zur Waffe ist man enttarnt. Da war ich immer besonders stolz auf BND-Mitarbeiter, die in gefährliche Situationen geraten sind, nicht zur Waffe gegriffen haben – und trotzdem gut herauskamen. Die Mitarbeiter werden darauf trainiert, dass ein Waffeneinsatz wirklich nur das allerletzte Mittel sein darf. Damit sie überhaupt in solche Situationen geraten und Waffen führen, müssen sie schon in Krisengebieten operieren. Ansonsten ist der BND-Mitarbeiter ohnehin nicht bewaffnet.

Autor: Was macht einen guten Spion im Außeneinsatz aus?

Gerhard Schindler: Bei angeworbenen menschlichen Quellen ist entscheidend, dass sie gut platziert und gut zu steuern sind. Bei einem BND-Mitarbeiter im Ausland ist wichtig, dass es kluge Leute sind, die eben nicht wie James Bond »verbrannte Erde« hinterlassen. Sie müssen zurückhaltend und flexibel agieren, Situationen gut und schnell richtig einordnen, aber auch Mut haben, ein kalkulierbares – kein dummes! – Risiko einzugehen. Und natürlich, dass man ihnen das alles nicht zutraut. Man darf einem Agenten nicht ansehen, dass er ein Schlitzohr ist. Solche klugen und unscheinbaren Leute braucht man.

Autor: Welche Rolle spielen Nachrichtendienste in militärischen Konflikten?

Gerhard Schindler: Dienste wie der BND können positiv am Konfliktmanagement mitwirken. Zum Beispiel durch ihre Kontakte. Der BND hatte mit Gerhard Conrad als Vermittler zwischen Israel und der Hamas bzw. Hisbollah einen überaus erfolgreichen Konfliktmoderator. Dienste können in Konflikten also stabilisieren. Hierzu tragen auch realistische Lagebilder bei. Unrealistische Einschätzungen oder Maßnahmen können hingegen gefährlich werden.

Autor: Wie viel Geheimhaltung braucht ein moderner Nachrichtendienst?

Gerhard Schindler: Es gibt notwendige Geheimhaltung im Kerngeschäft, bei den Operationen, den Mitarbeitern oder der Methodik. Dort muss sie streng und kompromisslos eingehalten werden. Aber alles andere ist kaum geheimhaltungswürdig. Niemand braucht Geheimhaltung, nur um den Mythos eines Geheimdienstes am Leben zu halten. Das gilt auch für die Historie. Der BND musste Ballast abwerfen. Wenn ich z. B. Legendierungen von BND-Außenstellen auf Wikipedia nachlesen kann, dann kann man auch das Schild »Bundesnachrichtendienst« am Eingang anbringen. Ich habe z. B. auch die Systematik abgeschafft, dass jeder einzelne BND-Mitarbeiter einen Arbeits-Decknamen hat. Diese Praxis beruhte mehr auf Gewohnheit als auf Erforderlichkeit. Jetzt kann man sich auf das wirklich Schützenswerte konzentrieren.

Autor: Kann man in modernen Nachrichtendiensten überhaupt noch Geheimhaltung gewährleisten?

Gerhard Schindler: Das wird immer schwieriger. Durch moderne Technik werden immer mehr geheime Informationen und Dokumente produziert, mit einem riesigen Umlauf. Der BND hat allerdings eine ausgeprägte Kultur, auf Geheimnisse zu achten. Die Flut an Informationen ist das größte Problem.

Autor: Was ist das größte Problem bei der Kontrolle der Nachrichtendienste?

Gerhard Schindler: Dass sie geheim ist, das ist für alle schwierig, den Dienst, die Öffentlichkeit und auch die Kontrolleure. Es ist für viele schwer nachzuvollziehen, dass eine geheime Kontrolle genauso effizient sein kann wie eine offene. Geheimhaltung ist aber per se nicht undemokratisch oder gar schlecht.

Autor: Wie ist das Verhältnis zwischen Nachrichtendienst und Journalisten?

Gerhard Schindler: Die Öffentlichkeit hat zu Recht ein Informationsbedürfnis. In mancher Hinsicht sind sich Journalismus und Nachrichtendienst sehr ähnlich, es geht um die Ware Information, die aus verschiedenen, auch konspirativen Quellen beschafft und ausgewertet wird, bevor ein Bericht daraus entsteht. Ich habe versucht, mit Journalisten eine themenorientierte Öffentlichkeitsarbeit aufzubauen, z. B. durch regelmäßige Runden als Hintergrundgespräche. Diese waren vertrauensvoll und zielführend und haben allen, gerade der Öffentlichkeit, genutzt.

Autor: Mythos Spy Fiction. Können Sie Spionageromanen und -filmen etwas abgewinnen?

Gerhard Schindler: Filmen weniger, da ärgere ich mich zu sehr über die überzogenen Darstellungen. Der BND könnte hier noch viel von den amerikanischen Diensten lernen, die eigene Einheiten haben, die Filmproduzenten beraten. Ich selbst lese lieber Spionageromane.

John le Carré zum Beispiel finde ich super, weil er einzelne Typen sehr gut beschreibt, und wie verschiedene Mechanismen in einem Dienst ineinandergreifen. Nähe zur Realität zeichnet einen guten Spionageroman aus … zumindest für jeden, der selbst beim Nachrichtendienst war.

Autor: Der CIA-Chef ließ schon einmal Spionage-Gadgets aus James-Bond-Filmen bei seinen Technikern in Auftrag geben. Sie auch?

Gerhard Schindler: Das hat er wirklich gemacht? Mir war so etwas a) zu kleinteilig, und b) wurde ich als Präsident erst informiert, wenn es richtig Geld kostete. Die »Unterstützenden Dienste«, wie die »Q’s« im BND heißen, arbeiten ohnehin im Dauerauftrag.

Autor: Gibt es eine Moral im Geheimdienst?

Gerhard Schindler: Mit dem Begriff Moral kann ich im Nachrichtendienst nicht viel anfangen. Viele Theoretiker sind der Meinung, dass es eine nachrichtendienstliche Ethik gibt. Ich halte das für falsch. Es gibt Grenzen, die durch Gesetze festgelegt werden. Nachrichtendienste wenden in ihrem Kerngeschäft Methoden an, die unethisch sind, sie lügen, betrügen oder spielen mit den Gefühlen von Menschen. Da sollte man sich nichts vormachen.

Autor: Aber Nachrichtendienste brechen ja Recht, das ist sogar Teil ihres Kerngeschäftes?

Gerhard Schindler: Das stimmt, wir brechen ausländisches Recht, das ist ja letztlich unser Auftrag. Aber wir beachten strikt das deutsche und das internationale Recht. Auch nach dem Völkerrecht ist Spionage nicht verboten.

Autor: Warum sollte jeder demokratische Nachrichtendienst entmystifiziert werden?

Gerhard Schindler: Mythen sind ein Ballast und führen zu Misstrauen. Ein Nachrichtendienst in einer Demokratie braucht das Vertrauen von Politik und Bevölkerung als Basis für das eigene Selbstverständnis. Mitarbeiter, die davon ausgehen dürfen, dass Politik und Bevölkerung Vertrauen in die Aufgabenwahrnehmung des Dienstes haben, arbeiten sicherer und besser! Mythen loszuwerden ist heute Daueraufgabe und Teil demokratischen Wandels.

Am Tag meiner Entlassung dachte ich … O.k., das war es! Ich fühlte mich ein wenig befreit von einer Last.

Wenn Edward Snowden mich morgen anriefe, würde ich … nicht mit ihm sprechen.

Angela Merkel wünsche ich … viel Glück. Sie wird es brauchen.

Die USA, NSA und CIA sind … die wichtigsten Partner überhaupt.

Nach meiner Zeit als BND-Präsident war die Welt … genauso in Ordnung wie davor.

Vielen Dank für das Gespräch und viel Spaß bei der Entmystifizierung der Geheimdienste!

Der Mensch in der Spionage

Mythos Nr. 01 – Agenten und V-Leute

Spion, Agent, V-Mann, Quelle, Kontaktperson, inoffizieller Mitarbeiter, Kundschafter, Informant – für das Personal von Geheimdiensten gibt es viele Bezeichnungen. Einige kommen gleich mit einer moralischen Bewertung daher: Spitzel, Denunziant, Verräter, Schlapphut oder das durch die Staatssicherheit der DDR kompromittierte »IM« für »Inoffizieller Mitarbeiter«. Viele Bezeichnungen, um die sich viele Mythen ranken.

Die ungenaueste Bezeichnung für Mitarbeiter dieses Metiers lautet »Spion«. Ein Spion ist nämlich jeder, der Spionage und Geheimdienstarbeit betreibt. Welchen Status jemand in der Personalabteilung eines Geheimdienstes hat, spielt dabei keine Rolle. Selbst die Leiter der 19 Nachrichtendienste in Deutschland werden immer wieder als »Chef-Spione« bezeichnet. Korrekt ist das nur insoweit, als dass sie Spionage und Geheimdienstmitarbeiter beaufsichtigen und die Institution Geheimdienst in Politik und Öffentlichkeit vertreten.

Grundsätzlich unterscheidet man bei Mitarbeitern von Geheim- und Nachrichtendiensten zwei Kategorien: Die Festangestellten und die »inoffiziellen Quellen«. Erstaunlicherweise brachte die straff bürokratisierte Staatssicherheit der DDR eine recht einfach nachvollziehbare Ordnung hervor: verbeamtete hauptamtliche Mitarbeiter mit Offiziersrang und inoffizielle Mitarbeiter, die »IM«. In bester deutscher Tradition unterteilte sie letztere wiederum in über 20 Unterkategorien, teilweise unter Hybrid-Bezeichnungen wie »hauptamtlicher inoffizieller Mitarbeiter – HIM« oder »Offizier im besonderen Einsatz«, der oftmals eigentlich doch ein IM war. Die grundsätzliche Gliederung jedoch war relativ schnörkellos.

Alle modernen Geheimdienste, wie sie sich im 19. Jahrhundert herausbildeten, sind staatliche Behörden und gekennzeichnet durch dieselben Eigenschaften wie jeder staatliche Verwaltungsapparat: Beamtenstatus, Bürokratie, Besoldungsklassen, Rentenansprüche, Dienstausweis und heutzutage auch Elternzeit. Das gilt natürlich nur für die Beamten eines Nachrichtendienstes. Da diese früher fast ausnahmslos aus den Reihen der Armee kamen, hatten sie auch militärische Ränge und waren »Geheimdienstoffiziere«. Hätte »Commander« James Bond in der Marine der Bundeswehr gedient, wäre er Oberstleutnant oder Fregattenkapitän Bond.

Vor allem in Presseartikeln werden solche Mitarbeiter immer wieder als Agenten bezeichnet, was zu großer Verwirrung führt. Schuld daran sind die Amerikaner. FBI und andere Bundeseinrichtungen in den Vereinigten Staaten nannten ihre Ermittler bereits im frühen 20. Jahrhundert agents. Zu dieser Zeit wäre das im deutschen Sprachgebrauch noch ein Geheimdienstoffizier gewesen, da im Deutschen der Begriff Agent vor allem für die zweite Kategorie, die angeworbenen Quellen verwendet wurde. In einigen sozialistischen Geheimdiensten hingegen war »Agent« während des Kalten Krieges eine Form der inoffiziellen Mitarbeit. Wenn also heute in Zeitungsartikeln von »BND- oder Verfassungsschutz-Agenten« die Rede ist, sind zumeist die Beamten der jeweiligen Bundesbehörde gemeint. Klarer wäre es, hier korrekterweise von BND-Beamten oder offiziellen Mitarbeitern zu sprechen.

Für die zweite Kategorie, die angeworbenen Quellen, Informanten und Kontaktpersonen, benutzen bundesdeutsche Nachrichtendienste die Abkürzung V-Mann bzw. heute genderkorrekt V-Person oder »nachrichtendienstliche Verbindungen«. Das »V« steht übrigens für Vertrauen, Ausdruck einer im Gewerbe der professionellen Täuschung fast putzig anmutenden Hoffnung in die Loyalität einer Quelle. Der V-Mann, BND-intern ab den 1960ern definiert als »aufklärend tätige Person, zu der ein […] persönliches Vertrauensverhältnis besteht«, ist also das, was der Vorstellung von einem Spion am nächsten kommt: eine Person in nicht nachrichtendienstlicher Funktion, die für bestimmte Zwecke von einem Dienst angeworben wird.

Mythos Nr. 02 – Alle Agenten sind Einflussagenten

Einer der größten Mythen über »Geheim-Agenten« ist, dass angeworbene Quellen, Informanten und V-Leute immer auch Einflussagenten sind.

Sogenannte Einflussagenten (agents of influence oder russisch agent vlijanija) fielen in den östlichen Geheimdiensten des Kalten Krieges unter die Kategorie rekrutierter, inoffizieller Mitarbeiter, die im Auftrag des Geheimdienstes politisch, gesellschaftlich, militärisch, wissenschaftlich oder auch publizistisch Einfluss nehmen sollten. Journalisten, Politiker oder Wissenschaftler waren für solche Zwecke eine besonders beliebte Zielgruppe. Entsprechungen finden sich auch bei allen anderen Geheimdiensten. Ein besonders anschauliches Beispiel waren die beiden Abgeordneten von CDU und CSU im Deutschen Bundestag Julius Steiner und Leo Wagner. Beide wurden von der DDR-Auslandsspionage als Agenten geführt und bekamen 50.000 D-Mark, damit sie sich beim Misstrauensvotum gegen den damaligen SPD-Bundeskanzler Willy Brandt 1974 der Stimme enthielten. Letztendlich konnte Brandt so an der Macht gehalten werden, es wurde also erfolgreich Einfluss ausgeübt.

Generell herrscht die verbreitete Fehlvorstellung, angeworbene Agenten, V-Leute oder Informanten sollten im Auftrag von Nachrichtendiensten grundsätzlich Einfluss ausüben, indem sie bestimmte Meinungen vertreten, politische, militärische oder sonstige Entscheidungen beeinflussen, falsche Spuren legen und jegliche Art von Sabotage betreiben. Kurzum: Sie seien in ihren Handlungen fremdgesteuert.

Das Bundesverfassungsgericht in Deutschland hielt den Einfluss von V-Leuten des Verfassungsschutzes innerhalb von Organisationen für bedenklich. Resultat des Verbotsverfahrens gegen die rechtsextreme NPD war nicht nur die Ablehnung des Parteiverbotes, weil zu viele Mitglieder des Bundesvorstandes der Partei als V-Leute des deutschen Inlandsnachrichtendienstes angeworben worden waren. Infolge des Verfahrens wurde auch die Richtlinie eingeführt, dass der Verfassungsschutz nicht mehr als 10 Prozent der Mitglieder und keine Führungspersönlichkeiten zu überwachender Organisationen anwerben darf. Hintergrund ist die Befürchtung, nicht mehr unterscheiden zu können, was auf eine Organisation selbst zurückzuführen ist und was auf V-Leute. Das gibt den krudesten Mythen und Verschwörungstheorien viel Raum.

V-Leute und IM – das zeigt vor allem die kleinteilige und mühevolle Recherche in Geheimdienstakten – arbeiten jedoch vornehmlich auf anderem Gebiet: Sie liefern Informationen! Darin besteht ihr genuines Aufgabenfeld und das Tagesgeschäft von Nachrichtendiensten. Bezeichnungen wie »Quelle« oder »Informant« sind also oftmals viel näher an der Realität. Human intelligence – HUMINT – ist eine der vier klassischen nachrichtendienstlichen Methoden, um an Informationen zu kommen. Die Einflussnahme auf Entscheidungsprozesse ist hingegen ein ganz anderes Arbeitsgebiet und in vielen Staaten überhaupt nicht genuiner Auftrag der Nachrichtendienste. Je weiter die exekutive Befugnis eines Nachrichtendienstes reicht, desto eher kann auch Einflussnahme auf Ereignisse in anderen Ländern zu seinen Aufgaben gehören. In der Regel fallen solche Spezialaufgaben aber in den Tätigkeitsbereich abgeschotteter Spezialabteilungen mit eigenen Ressourcen.

Einflussnahme durch angeworbene Agenten ist ohnehin ein viel komplizierteres nachrichtendienstliches Unterfangen, als man vielleicht annehmen würde. Ist es doch schwierig genug, an hochrangige Politiker, Journalisten, Militärs oder Wissenschaftler heranzukommen und sie für die geheime Arbeit zu gewinnen. Sie darüber hinaus zur Einflussnahme zu bewegen birgt ein enormes Risiko, da sie sich mit abweichenden Meinungen exponieren und verdächtig machen könnten. Der berühmte Kanzleramtsspion Günther Guillaume, der es bis zum persönlichen Mitarbeiter von Bundeskanzler Willy Brandt brachte und dem in diesem Buch ein eigenes Kapitel gewidmet ist, bot ein exzellentes Beispiel dafür: Im Zweifelsfall hatten Informationsgewinnung und eine sichere Tarnung Vorrang. Das galt auch für die britischen und amerikanischen Dienste, zum Beispiel im Fall ihres Top-Spions im sowjetischen Geheimdienst: Oleg Gordievsky. Selbst als Gordievsky die panische Angst der Sowjets vor einem plötzlichen Nuklear-Angriff des Westens meldete, übten MI6 und CIA keinen Einfluss aus. Stattdessen gaben sie seine Informationen an Premierministerin Thatcher und Präsident Reagan weiter, die ihrerseits adäquate politische Reaktionen veranlassten. Auch und vor allem Top-Spione erfüllen für Nachrichtendienste in aller Regel nur einen Zweck: Informationsbeschaffung.

Mythos Nr. 03 – Alle Agenten sind Einzelkämpfer

Nahkämpfer, Stuntman, Waffen- und Sprengstoffexperte mit enzyklopädischem Wissen über alles von Algebra bis Zyanid, Casanova, Dressman und Meister der Konversation – der Geheimdienstmitarbeiter à la James Bond ist ein absoluter Alleskönner. Er tritt nicht nur perfekt getarnt auf, sondern erledigt im Vorbeigehen auch noch Auftragsmorde und Sabotage. So weit der populäre Mythos, die Realität könnte nicht weiter davon entfernt sein.

Einzelkämpfer sind etwas für Spezialeinheiten der Armee, bei deren Personal Geheimdienste im Fall dringenden Bedarfs als Erstes anfragen würden. Und auch dort agieren sie selten allein, sondern im Team. Während des Zweiten Weltkriegs gehörten solche Aufgaben noch zur Tagesordnung einiger Spezialdienste, wie dem britischen SOE (Special Operations Executive) oder dem amerikanischen OSS (Office of Strategic Services). Hier ging es um strategisches Töten oder Sabotage im Krieg, und es waren Draufgänger und Höllenhunde gefragt. Da die Hauptaufgabe von Nachrichtendiensten in Zeiten relativen Friedens jedoch in Informationsbeschaffung und -auswertung innerhalb der starren Strukturen einer modernen Bürokratie besteht, würde ein James-Bond-Verschnitt an Hierarchien, Bürointrigen und Schreibtischarbeit zugrunde gehen.

Beispiel BND: Auch ohne Zutritt zu den heiligen Hallen des deutschen Auslandsnachrichtendienstes findet man genug öffentlich zugängliche Informationen über dessen Innenleben. Und die besagen vor allem eines: Es handelt sich um eine Behörde!

Beim BND sind nur 750 von insgesamt rund 6500 Mitarbeitern Soldaten. Wenn man bedenkt, wie viele davon in Koordination mit Bundeswehr und Verteidigungsministerium tätig sind, wie viele in den entsprechenden Abteilungen Verwaltungsarbeit übernehmen und wie viele zudem in den Auswertungsstellen arbeiten, dann bleiben nicht mehr als eine Handvoll Personen für den Außendienst übrig. Eine Spezialabteilung für Mord und Sabotage (von der im Übrigen noch nie jemand gehört hat) wäre damit personell nur schlecht auszustatten.

Ein weiteres Beispiel: Nur rund 1250 BND-Mitarbeiter werden dem höheren Dienst zugeordnet. Jeder, der sich mit Stellenbesetzung in staatlichen Organisationen auskennt, weiß: Hochrangige Posten in leitender Funktion gibt es nur im höheren Dienst, für den ein Universitätsabschluss zwingende Voraussetzung ist. Das Gros der Agenten im Außendienst, vor allem jener, denen bedeutsame Aufgaben anvertraut werden, rekrutiert sich ebenfalls aus dieser Gruppe. Sie macht jedoch nur rund ein Viertel des BND-Personals aus. Der Rest und damit die überwiegende Mehrheit arbeitet im mittleren und gehobenen Dienst, der vor allem aus Verwaltungsaufgaben besteht, die die behördliche Maschinerie in Gang halten.

Und das Persönlichkeitsprofil? Ein ehemaliger BND-Mitarbeiter sagte in einem SPIEGEL-Interview: »James Bond käme bei uns nicht einmal durchs Bewerbungsgespräch.« Und warum nicht? Weil heutzutage Teamplayer gefragt sind, die gemeinsam mit Kollegen Probleme bewältigen, anstatt sie im Hau-Ruck-Verfahren zu beseitigen. Wer wie Bond, wo er geht und steht, eine Schneise der Verwüstung hinterlässt, der ist schlichtweg zu auffällig für den Nachrichtendienst. Darüber hinaus existiert in den Diensten – wie in allen Behörden – schon seit Langem Arbeitsteilung. Außerdem ist die Abschottung innerhalb der Dienste nach wie vor stark ausgeprägt. Jeder soll nur das wissen, was er zur Erfüllung seiner Aufgaben braucht. Ein Universalgenie wie Bond würde nicht nur bei den Kollegen anecken, sondern schlichtweg durch das Raster des Jobprofils fallen.

Mythos Nr. 04 – Diplomaten und Spione

Diplomaten und Spione – wo ist da der Unterschied? Seit Jahrhunderten stehen Gesandte, Botschafter und Diplomaten in dem Ruf zu spionieren. Eine ganze Berufsgruppe steht unter Generalverdacht, der Nimbus des Diplomaten verbindet sich mit dem Mythos des Spions.

Schon im Altertum und im Mittelalter, also lange bevor es so etwas wie Diplomatie im modernen Sinne gab, sammelten und überbrachten offizielle Gesandte und Botschafter Informationen. Wer auf Reisen ging, beobachtete, kam mit Menschen ins Gespräch und konnte vielleicht sogar inoffizielle Informationsquellen vor Ort auftun.

1245 zum Beispiel schickte Papst Innozenz IV. den Franziskanermönch Johannes von Plano Carpini auf Gesandtschaft zum Großkhan der Mongolen. Als offizieller Gesandter des Heiligen Stuhls sollte er ein Bündnis verhandeln, nach seiner Rückkehr schrieb er jedoch einen ausführlichen Bericht über das Mongolenreich, die dortige Politik und militärische Taktik. Diplomatie und Spionage vermischten sich.

Als im 20. Jahrhundert erste Geheimdienste in Form moderner staatlicher Bürokratien entstanden, unterschieden sich deren Aufgaben und Methoden immer mehr von denen der Diplomaten. Diplomaten konnten offen agieren, Geheimdienstler hingegen nur verdeckt. Doch wer war Diplomat und wer Spion? Diese Frage wurde immer wichtiger. Denn Diplomaten gewährte man Immunität, also generelle Straffreiheit. Diese rechtliche Grundlage gilt noch heute: Diplomaten können lediglich zur Persona non grata, also zur unerwünschten Person erklärt und aufgefordert werden, ihr Gastland zu verlassen. Ihr Arbeitsplatz, die Botschaft oder das Konsulat, gilt als Staatsgebiet des jeweiligen Botschaftslandes. Das ist natürlich ganz nach dem Geschmack von Geheimdiensten und Spionen!

So passiert Folgendes: Geheimdienste akkreditieren ihre Auslandsmitarbeiter offiziell im Gastland als Diplomaten. Damit sind sie getarnt und genießen Immunität. Botschaften sind oft die semi-offiziellen Hauptstützpunkte von Geheimdiensten im Ausland. Die CIA nennt sie station, der BND Residentur und die russischen Geheimdienste rezidentura. Botschaften sind also Hotspots der Spionage!