Die Abenteuer der Weissen Feder - Stig Ericson - E-Book

Die Abenteuer der Weissen Feder E-Book

Stig Ericson

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Beschreibung

Der Indianerjunge Weisse Feder ist zehn Jahre alt und hat in seinem Leben noch nie einen weissen Mann gesehen. Doch sein Vater meint, es wäre wichtig, die Sprache der Weissen zu erlernen. Die Schule ist weit weg, und am Tag vor der Abreise wird im Lakota-Lager ein grosses Abschiedsfest gefeiert. Am andern Morgen geht die Reise los. Für Weisse Feder wird sie ein grosses Abenteuer...Biografische AnmerkungStig Ericson, 1929-1989, schwedischer Schriftsteller und Jazzmusiker, studierte auf Lehramt und betrieb nebenbei seinen eigenen Verlag "Två Skrivare". 1970 wurde er mit der Nils-Holgersson-Plakette ausgezeichnet. Die meisten seiner Kinder- und Jugendbücher spielen sich im Wilden Westen ab - hier versucht er, dem Leser das Schicksal und Leben der nordamerikanischen Indianer einfühlsam näherzubringen.-

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Stig Ericson

Die Abenteuer der Weißen Feder

Aus dem Schwedischen vonBirgitta Kicherer

Saga

Sei mutig, mein Sohn

Es geschah vor vielen Jahren, im Monat der Schwarzkirschen – in der Jahreszeit, die von den Weißen Herbst genannt wird.

Weiße Feder und ein paar andere Jungen spielten auf dem grünen Hang zwischen dem Lager und dem Fluß can-wa-ya-pi, das Kreiselspiel. Sie peitschten die Kreisel mit kleinen Lederriemen. Die Kreisel sangen und surrten. Es war ein schöner Tag mit Sonnenschein und weißen Wolken, und hoch oben kreiste Wangbli, der Adler.

Plötzlich ertönten Stimmen aus dem Lager:

„Ein weißer Mann. Ein weißer Mann kommt ...“

Das Lager des Lakota-Stammes lag weit entfernt von den Häusern der Weißen. Man mußte einen halben Tag reiten, um dorthin zu kommen, zu der geheimnisvollen „Agentur“. Daher hatte Weiße Feder noch nie einen weißen Mann von nahem gesehen, obwohl er schon seinen zehnten Sommer erlebt hatte.

Aber er hatte schon viel von den Weißen gehört. Und er wußte, daß er sich vor ihnen in acht nehmen mußte!

Sie hatten Haare im Gesicht und erinnerten an Bären ohne Schnauze. Sie rochen schlecht. Sie hatten große Ohren. Sie hatten auch große Macht. Sie besaßen mazawakan, heilige Eisen, die auf große Entfernung töten konnten.

Und nicht nur in der Agentur gab es Weiße. Im Osten, wo die Sonne aufging, gab es unzählige Weiße.

„Es gibt mehr Weiße, als es Laub auf den Bäumen und Grashalme auf dem Erdboden gibt. Sie sind so zahlreich, daß ihr eigenes Land nicht mehr für sie ausreicht. Deshalb wollen sie jetzt auch unser Land haben, die Jagdgründe unserer Väter.“

So hatte Grauer Bär an einem Abend vor vielen Wintern gesprochen, und sein Gesicht war finster gewesen.

Grauer Bär war der Häuptling des Lagers und der Vater der Weißen Feder. Er war ein großer Jäger und ein guter Führer für sein Volk. Früher hatte er sich oft Spiele und lustige Possen ausgedacht – jetzt war er schweigsam und verbittert. Viele nannten ihn den Schweigsamen.

Weiße Feder bewunderte seinen Vater und hatte große Ehrfurcht vor ihm. Und er wagte selten, sein Schweigen zu stören.

Die Jungen nahmen ihre Kreisel und liefen den Hang hinauf. Zwischen den Zelten kam eine sonderbare Gestalt angeritten. Sie trug dunkle Kleider und einen hohen, blanken Hut, der in der Sonne glänzte. Kinder und Erwachsene scharten sich um den Fremdling.

Weiße Feder ging näher hin, und jetzt sah er, daß es sein Vater war.

Sein Vater – in Kleidern des weißen Mannes! Grauer Bär ritt langsam durch die Zeltreihen. Er stieg vom Pferd ab und ging in sein tipi hinein. Die anderen waren in einiger Entfernung stehengeblieben. Sie sahen einander an, wechselten ein paar Worte – und dann gingen sie wieder ihren Beschäftigungen nach.

Sie wußten, daß es keinen Sinn hatte, dem Schweigsamen Fragen zu stellen. Er würde früh genug zu ihnen sprechen.

Grauer Bär hatte eine weite Reise hinter sich. Zusammen mit einigen anderen Lakota-Häuptlingen war er bei dem Großen Vatera gewesen, der über alle Weißen herrschte und jetzt auch über alle Roten. Sie waren dort gewesen, um Gerechtigkeit zu verlangen.

Während der letzten Büffeljagd hatten die Späher zahllose Büffel auf der Prärie verfaulen sehen. Sie hatten auch weiße Männer gesehen – schmutzige weiße Männer, die in Lehmhütten wohnten. Vor den Hütten lagen die Büffelhäute in großen Haufen. Die Häute würden in die großen Lager und Dörfer der Weißen gebracht werden. Dort würde man Bezahlung für sie erhalten. Geld.

Und in der Welt der Weißen besaß das Geld unerklärlich große Macht.

Doch die Roten erhielten nichts davon. Sie bekamen kein Geld. Aber auf die Büffelhäute mußten sie verzichten, die sie so dringend für Kleider und Zelte brauchten. Und das Fleisch faulte in der Sonne. Was sollten sie dann in den Monaten der strengen Kälte und der kranken Augen machen, wenn der Schnee das Jagen erschwerte?

War es etwa Wakan-Tankas, des Großen Geistes, Absicht, das Fleisch nutzlos verkommen zu lassen? Sicher nicht.

Eigentlich müßten doch die Roten die Bezahlung erhalten – und nicht diese bleichen Jäger mit den haarigen Händen und Gesichtern.

Man müßte sie verjagen. Sie töten. Aber dann würden nur noch mehr kommen.

Und es galt nicht als ehrenvoll, einen Weißen zu töten.

All dies und noch viel mehr hatten Grauer Bär und die anderen Häuptlinge dem Großen Vater gesagt, und jetzt waren sie von der Reise zurückgekehrt.

In Kleidern des weißen Mannes.

Weiße Feder und seine Brüder und Schwestern standen in der Zeltöffnung und sahen zu, wie ihr Vater sich auf das Lager aus Fellen niederließ. Er sah müde aus. An den Kleidern haftete ein fremder Geruch.

Er nahm den Hut ab und streckte die Beine aus.

„Helft mir“, sagte er und zeigte auf seine Füße.

Er hatte lange, blanke Fuß-Kleider an, die bis an die Knie reichten. Weiße Feder hatte noch nie zuvor so etwas gesehen. Aber er hatte davon gehört. Er wußte, daß die Weißen, die Soldaten oder Blauröcke genannt wurden, solche benützten, um Beine und Füße zu schützen.

Weiße Feders Mutter packte die Füße des Häuptlings und zog. Sie zog so fest, daß er vom Lager herunterglitt. Endlich wurde er die lästigen Fuß-Kleider los.

Dann erzählte er, daß er viele Nächte in diesen merkwürdigen Mokassins hatte schlafen müssen, die Stiefel hießen, und die er beim Großen Vater bekommen hatte.

Grauer Bär saß auf dem Büffelfell und rieb seine Füße.

Die Kinder standen immer noch da und starrten ihn an.

Er sah auf. Zuerst sah er noch grimmig aus, doch dann glätteten sich die sorgenvollen Falten in seinem Gesicht, und er begann zu lachen. Er lachte so sehr, daß seine Schultern zuckten, und dann streckte er die Arme aus, und die Kinder stürzten zu ihm hin.

Er drückte sie fest an sich.

Dann holte er etwas aus seinen Kleidern, etwas, das wie kleine Steine aussah. Die Steine waren in etwas sehr Dünnes gehüllt, das wie trockenes Laub raschelte. Grauer Bär behielt einen der Steine. Er nahm die dünne, raschelnde Hülle ab und steckte den Stein dem Jüngsten in den Mund.

„Gut“, sagte der. „Schmeckt wie Ahornsirup.“

Doch Weiße Feder interessierte sich mehr für eine runde, glänzende Scheibe, die der Vater an einem roten Band um den Hals trug. Sie war ungefähr handtellergroß und hatte ein Loch am Rand. Durch dieses Loch ging das Band. Über dem Loch war ein Bild, das zwei ineinander verschlungene Hände darstellte. Unter dem Loch konnte man eine Friedenspfeife erkennen, die mit einem Tomahawk gekreuzt war. Einige unverständliche Zeichen waren auch noch darauf abgebildet.

Grauer Bär hielt die Silberscheibe hoch, damit alle Kinder sie gut sehen konnten.

„Diese Scheibe bekamen wir da drüben“, sagte er. „Und die Kleider und Versprechungen.“

„Was für Versprechungen?“ fragte einer der Brüder.

„Die Versprechungen der Weißen sind wie der Gesang der Vögel“, sagte Grauer Bär. „Sie klingen schön, aber wenn der große Schnee kommt, sind sie nichts wert.“

„Was sind das für Zeichen?“ fragte Weiße Feder, der immer noch die Scheibe ansah.

„Man hat mir gesagt, daß sie in der Sprache der Weißen ‚Friede und Freundschaft‘ bedeuten“, sagte Grauer Bär.

Er packte Weiße Feder unerwartet am Handgelenk und sah ihn an. Aus seinem Gesicht war das Lachen jetzt verschwunden. In seinen dunklen Augen war nichts von Frieden und Freundschaft zu sehen. Nur Müdigkeit.

„Du bist mein ältester Sohn“, sagte er.

Weiße Feder schwieg.

„Für uns Rote sind jetzt schwere Zeiten angebrochen“, sagte der Vater. „Ich habe viel gesehen auf meiner langen Reise. Sei mutig, mein Sohn.“

Als Grauer Bär das gesagt hatte, legte er sich auf den Rücken und schloß die Augen.

Seine Frau schob die Kinder hinaus.

Weiße Feder ging langsam zum Fluß hinunter.

Er dachte an das, was der Vater gesagt hatte.

Seine Worte bedeuteten ihm sehr viel.

Sei mutig, mein Sohn.

Es war ein schöner Tag, mit klarem Himmel, und hoch oben schwebte Wangbli, der Adler.

Die Weißen sind unsere Feinde

Als die Sonne am folgenden Tag hinter den Hügeln verschwand, versammelten sich die Männer im Ratszelt. Grauer Bär hatte die Kleider des weißen Mannes angezogen.

„Oh, diese verrückten Kleider, die man nicht wieder ausziehen kann“, hatte seine Frau gesagt, als er sich anzog.

Der Häuptling erwiderte darauf, daß er sie nur zum Zeichen dafür trug, daß er tatsächlich beim Großen Vater gewesen war.

„Vielleicht findest du auch, daß du fein darin aussiehst“, sagte seine Frau leise.

Grauer Bär antwortete nicht. Aber bevor er ging, steckte er eine Adlerfeder in den Hut. Die Feder hatte drei rote Streifen, die zeigten, daß er dreimal im Kampf verwundet worden war.

Im Rat berichtete Grauer Bär von seiner langen Reise.

Er erzählte von der seltsamen Lebensweise der Weißen. Daß sie sich wie Ameisen in gewaltigen Hütten aus Stein zusammendrängten, die ebenso hoch wie die Berge hinter dem Fluß waren.

Er erzählte von der Eisenbahn, von Postkutschen, großen Wagen und anderen Merkwürdigkeiten, die er gesehen hatte.