Kleiner Wolf und die sprechenden Zeichen - Stig Ericson - E-Book

Kleiner Wolf und die sprechenden Zeichen E-Book

Stig Ericson

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Beschreibung

Seit die weißen Männer gekommen sind, ist nichts mehr, wie es früher einmal war. Kleiner Wolf und sein Volk müssen in einem Reservat leben und der Alkohol verändert die Männer. Kleiner Wolfs Vater beschließt, ihn und seinen Freund Fuchsohr in die Schule der Weißen zu schicken, wo sie beim Lehrer Schwarzrock die Sprechenden Zeichen lernen sollen. Kleiner Wolf ist neugierig und ängstlich zugleich, doch er verspricht sich, sein Volk niemals zu verraten.Biografische AnmerkungStig Ericson, 1929-1989, schwedischer Schriftsteller und Jazzmusiker, studierte auf Lehramt und betrieb nebenbei seinen eigenen Verlag "Två Skrivare". 1970 wurde er mit der Nils-Holgersson-Plakette ausgezeichnet. Die meisten seiner Kinder- und Jugendbücher spielen sich im Wilden Westen ab - hier versucht er, dem Leser das Schicksal und Leben der nordamerikanischen Indianer einfühlsam näherzubringen.-

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Stig Ericson

Kleiner Wolf und die Sprechenden Zeichen

Aus dem Schwedischen vonMarianne Vittinghoff

Illustriert von Gertraud Funke

Saga

Grauer Vogel

Es war ein dunkler Abend im ersten Wintermonat.

Der Kältemacher, der Herr über Schnee und Winde, hatte seinen kalten weißen Mantel über die Ebene ausgebreitet – und über das Lager von Häuptling Schwarzer Adler am Birkenbach.

In einem der vielen Zelte saß ein Junge, der Kleiner Wolf hieß, und kaute an einem Stückchen zähen Fleisches. Das Fleisch stammte von den gefleckten Büffeln der Weißen, den übelriechenden Tieren, die Rinder genannt wurden.

Kleiner Wolf hatte sich immer noch nicht an den süßlichen Geschmack gewöhnt, obwohl die Zelte schon seit dem Monat des Grünen Grases am Birkenbach aufgeschlagen waren.

So lange hatte das Volk von Schwarzer Adler noch nie an ein und demselben Ort gewohnt. Kleiner Wolf kaute lange, bevor er schluckte.

Er sehnte sich nach echtem Büffelfleisch.

Er sehnte sich fort von diesem Gebiet, das die Weißen Reservat nannten.

Und er verspürte eine große Unruhe vor dem, was ihn erwartete.

Nichts war mehr wie früher.

Selten hörte man Gesang und Gelächter und das fröhliche Geräusch der Trommeln.

Der Zeltzipfel wurde zurückgeschlagen, und ein kleines Mädchen huschte herein. Sie hielt sich die Hand vor den Mund, und Blut rann an ihren schmalen Fingern herunter.

Ohne etwas zu sagen, kauerte sich das Mädchen dicht an Sanftes Reh, der Mutter von Kleiner Wolf. Ihr magerer Körper bebte.

Das Mädchen hieß Grauer Vogel. Sanftes Reh war ihre Tante.

Sanftes Reh streichelte dem Mädchen sanft über das Haar und summte dabei leise ein Lied des Volkes. „Was ist geschehen?“ fragte sie dann.

Grauer Vogel hörte auf zu schluchzen. Sie nahm die Hand vom Mund und schaute Sanftes Reh kurz an. Dann schüttelte sie den Kopf und versteckte ihr Gesicht.

Kleiner Wolf hatte aber schon gesehen, daß ihre Unterlippe gespalten war, und er ahnte, was passiert war.

Der Vater von Grauer Vogel hatte bestimmt vom Wasser des weißen Mannes getrunken. Immer mehr Männer im Lager von Schwarzer Adler hatten damit angefangen. Sie verkauften sogar ihre Pferde und Waffen, um dieses Geister-Wasser zu bekommen.

Dieses Getränk spendete böse Träume. Es brachte Menschen dazu, ihren Verstand zu verlieren. Sie stritten und prügelten sich.

Sie wurden krank.

Ja, sie schlugen sogar ihre Kinder – wie es der Vater von Grauer Vogel bestimmt getan hatte.

Kleiner Wolf hatte schreckliche Geschichten darüber gehört, wie die Weißen ihre Kinder straften, indem sie sie verprügelten oder sie an den Haaren zogen. Daß aber einer aus seinem eigenen Volk zu so etwas fähig war, das konnte er nur schwer verstehen.

Nach einer Weile kam die Mutter von Grauer Vogel in das Zelt. Ihre Kleider waren über der Brust zerrissen. Die eine Wange war geschwollen, und ihre Augen glänzten.

„Komm jetzt!“ sagte sie leise zu ihrer Tochter. Grauer Vogel schaute sie mit großen, verängstigten, vom Weinen geröteten Augen an.

Ihre Mutter versuchte zu lächeln. „Du brauchst keine Angst zu haben, mein Herz“, sagte sie. „Er ist jetzt eingeschlafen.“

Behutsam zog sie das Mädchen an sich und verließ das Zelt.

Kleiner Wolf starrte auf das Fell, das den Eingang bedeckte.

Der Wind aus der Ebene brachte es in Bewegung, als ob jemand da von draußen in die Wärme und ans Feuer hineinwollte.

Er dachte an Grauer Vogel – und an das, was ihn, Kleiner Wolf, erwartete.

In seinen Gedanken lauerte ein großer dunkler Wolf mit Augen, die in der Finsternis zu leuchten schienen.

Auf der Fährte des Wolfes

Währenddessen saß Zwei Federn, der Vater von Kleiner Wolf, unbeweglich auf seinem Platz ganz hinten im Zelt.

Sein hageres Gesicht war finster und verbittert.

Die Augen waren zur Hälfte geschlossen.

Zwei Federn schien mit seinen Gedanken weit weg zu sein. Er schien nicht bemerkt zu haben, daß Grauer Vogel und ihre Mutter gerade im Zelt gewesen waren.

Vor nicht langer Zeit war Zwei Federn als ein großer Jäger bekannt gewesen – und als ein guter Geschichtenerzähler.

Viele seiner Geschichten hatten fröhliches Gelächter hervorgelockt – besonders die über seinen Schwager Gelber Bär, den Vater von Grauer Vogel. Er hatte einmal versucht, einen großen Hirsch zu fangen, indem er ihn am Schwanz festhielt.

Dies war weit im Westen passiert, in den Wäldern unter den Hohen Bergen, dem Rückgrat der Welt.

Mit dem Wind im Gesicht war es Gelber Bär gelungen, ganz nah an einen riesigen Hirsch heranzukommen, der in einer Lichtung äste. Gelber Bär hatte schnell die Flinte zur Hand und schoß. Der Hirsch fiel zu Boden und blieb völlig unbeweglich liegen.

Doch Gelber Bär war ein schlechter Schütze. Die Kugel hatte nur den Kopf des Hirsches gestreift, und als Gelber Bär nun kam, um ihm das Fell abzuziehen, richtete sich das Tier plötzlich wieder auf.

Gelber Bär war so erstaunt, daß er sein Messer fallen ließ. Aber er konnte den Hirsch noch am Schwanz packen, gerade als dieser auf den Waldrand zu losspringen wollte.

Gelber Bär wollte doch seine schöne Beute nicht entkommen lassen.

Nie hat wohl ein Hirsch so wilde Sprünge gemacht, und nie hat ein Jäger jemals versucht, so schnell zu springen.

Der Hirsch raste Runde um Runde um die Lichtung mit Gelber Bär, der an seinem Schwanz hing ... Das Ganze endete damit, daß der tapfere Jäger auf dem Boden lag – mit aufgeschlagenen Knien und einem großen Haarbüschel in der Hand.

Diese Geschichte hatte Zwei Federn im warmen Feuerschein der alten Zeiten erzählt. Und alle hatten gelacht – auch Gelber Bär. Zu jener Zeit war Gelber Bär ein sehr eigenwilliger, aber lieber und wohlwollender Mann gewesen, der nichts dagegen hatte, wenn man über ihn lachte.

Hier jedoch, im Reservat, hatte er sich verändert – er und viele andere. Das Geister-wasser hatte ihn dazu gebracht, einen der Menschen, den er am meisten liebte, zu schlagen: seine eigene Tochter – Grauer Vogel.

Die bemerkenswerteste Geschichte von Zwei Federn hatte er jedoch selbst erlebt: