Die Akte Scientology - Peter Schulte - E-Book

Die Akte Scientology E-Book

Peter Schulte

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Beschreibung

Scientology: In Deutschland seit vielen Jahren ein kontroverses Thema. Wie kommt es, dass Scientology in vielen Ländern als Religion anerkannt ist, in Deutschland aber seit den 70er Jahren für harte Diskussionen sorgt? Was steckt dahinter? Ein ungeschminkter Bericht über die Geschichte der Scientology im deutschsprachigen Raum. Exklusiv konnte Einsicht genommen werden in bisher vertrauliche Unterlagen der Bundesregierung, die erst nach jahrelangen Gerichtsverfahren zugänglich wurden und hier zum ersten Mal öffentlich gemacht werden. Fakten statt Meinungen machen dieses Buch zu einem "Muss" für jeden, der sich mit diesem Thema befasst.

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Peter Schulte

Die Akte Scientology

Impressum

© 2017 Peter Schulte und PI-Verlag, Wissen und Leben GmbH PI Verlag

Wissen und Leben GmbH Postfach

6102 Malters

Inhaltsverzeichnis
Einleitung
Anliegen des Buches
Kapitel 1: Scientology im Jahr 2017
Scientology – eine Annäherung
Was ist Scientology?
Zentrale soziale Aufgabenfelder
Scientology und die Psychiatrie
Kapitel 2: Geschichte und Entwicklung von Scientology in Deutschland
„Christus, erhöre uns“ – die 1970er Jahre
Die Anfänge von Scientology
Motive des Beitritts
Reaktionen auf den Beitritt
Aktionen gegen die Psychiatrie
Ein Blick nach Österreich und in die Schweiz
Österreich
Schweiz
Kapitel 3: Agitation gegen Scientology
Friedrich-Wilhelm Haack
Renate Hartwig
Ursula Caberta
Wilfried Handl
Kapitel 4: Scientology und die Beobachtung durch den deutschen Verfassungsschutz
Der Bund-Länder-Gesprächskreis Sekten
Die Enquete-Kommission des Deutschen Bundestages
Historische Entwicklung der Beobachtung durch den Verfassungsschutz
Kapitel 5: Wissenschaftliche Analyse
Einleitung
Zum „Sektenbegriff“
Gefährlichkeit von „Sekten“
Gehirnwäsche und psychische Abhängigkeit
Scientology in der Beratung
Wissenschaftliche Studien – ein Überblick
„Zusammenfassung und Schlussbemerkung274
Aktuelle Befragung 2015
ZUSAMMENFASSENDE BETRACHTUNG
Abkürzungsverzeichnis
Literaturverzeichnis
Dokumente (Briefe, Berichte, Protokolle etc.)
Zeitungsartikel
Aufsätze und Monografien
– Anhang –
Zusätzliche Anhänge / Entlastende Dokumente
Anmerkungen

Einleitung

 

Frühjahr 2017: „Sektenalarm“ im Münchner Haus der Kunst, der bayerische Verfassungsschutz ermittelt, ob Scientology das Museum unterwandert hat. Konkret geht es umdieArbeiteineslangjährigenMitarbeiters,derseit1995u.a.fürdiePersonalverwaltung zuständig ist. Angeblich sei dieser beim Museum noch nicht einmal festangestellt gewesen. Sein konkretes Vergehen: Er ist bekennendes Mitglied bei Scientology. Und obwohlerbishernurseinenJobmachte,wirdihmseinereligiöseOrientierungplötzlich zum Verhängnis. Der bayrische Kunstminister Ludwig Spaenle (CSU), gleichzeitig Aufsichtsratsvorsitzender des Kunsthauses, sei seit 2015 darüber informiert gewesen undsprichtvon„groben„Missständen“.1MittlerweilewurdenimgroßenStilErklärungen der Mitarbeiter eingefordert, „nichts mit Scientology zu tun zu haben“. Doch diese ignorierten zum größten Teil diese Aufforderung. Stattdessen zeigten sie sich solidarisch mit dem betroffenen Kollegen und sammelten Unterschriften gegen diese Vorgehensweise. Mittlerweile wurde der Verfassungsschutz eingeschaltet und eine externe Personalberatung beauftragt, die Verwaltung des Museums zu untersuchen und „EmpfehlungenfüreineNeuorganisation“zugeben.DerDirektordesHauses,OkwuiEnwezor, hält die Aufregung in München für übertrieben und spricht gar von einer „Hetzkampagne" gegen das Haus der Kunst.2 Scientology hingegen bewertet die Ereignisse alsstaatlichinitiierteGesinnungsschnüffeleiundgrobeMenschenrechtsverletzung.3Der betroffene Mitarbeiter wurde mittlerweile gekündigt, inzwischen hat er eine Klage gegendieTrägergesellschaftdesHausesbeimArbeitsgerichtMüncheneingereicht.

 

November 2015. Eine Kleinstadt im deutschen Raum. Hier, wo sich Fuchs und Hase gute Nacht sagen, findet am Abend eine Veranstaltung der besonderen Art statt: Im Gemeindehaus geht es im Rahmen einer Podiumsdiskussion um die Frage, wie gefährlich Scientology ist. Ein für diese mittelgroße Kommune ungewöhnlicher Auflauf an Lokalprominenz und Sprechern von außerhalb hat sich angekündigt. Erwartet werden neben einem Landtagsabgeordneten „namhafte“ Sektenexperten und ein Filmemacher, der sich im öffentlich-rechtlichen Fernsehen als Sektenkritiker einen Namen gemacht hat. Auch ein „ranghoher Scientology-Aussteiger“, wie es in der Einladung heißt, soll aufdemPodiumsitzen.ZuBeginnwirdderFilmemacherseinenaktuellenFilmvorstellen, und später werden die Podiumsteilnehmer Scientology analysieren und bewerten. Ein Vertreter der „Sekte“ wurde nicht eingeladen. Man bleibt unter sich und bestätigt sichliebergegenseitigindem,wasmansowiesoschonweißundimmergesagthat. Doch was war geschehen? Hintergrund dieser Veranstaltung ist folgender: Der Sohn (43)einesregionalenUnternehmersistseitca.zweiJahrenbekennenderScientologe.In letzter Zeit gab es zwischen ihm und seinem Vater immer wieder Streit, weil er sich ScientologyangeschlossenhatteundderenKurseundSeminarebesuchte.DasVerhältnis zwischen dem Sohn und dem als dominant bekannten Vater ist jedoch schon seit vielenJahrenäußerstangespannt.DerSohn,selbstVatervonvierschulpflichtigenKindern, nimmt für sich in Anspruch, mit Hilfe seines bei Scientology erlernten Wissens zwischenzeitlich die Beziehung zu seinen Eltern wieder so weit gekittet zu haben, dass man sogar einen gemeinsamen Urlaub verbracht hatte. Wenig später sei es erneut zum Bruch gekommen, weil der Vater zufällig von seiner Mitgliedschaft erfahren hatte und daraufbeharrte,dassderSohnder„Sekte“abschwöre.GesprächezurLösungderSituation führten zu nichts. Seither herrschtFunkstille.

AusSichtderElternistScientologyschuldanderganzenMisere.SeitgeraumerZeitsei ihr geliebter Sohn „der Sekte verfallen“, so ist in einem Brief an die Schwiegereltern ihresSohnszulesen.ScientologyhabeihrKind„gefügig“gemacht,sodassersichnicht mehr unter Kontrolle habe. Dies habe man ihnen auch von Seiten des Verfassungsschutzes bestätigt. Außerdem sei Selbstmord bei Scientology an der Tagesordnung, die Ehenzerbrechenundmanverlierealles.MittlerweileseierineinemStadium,„auswelchemernichtmehralleineherauskommt“.ManmachesichauchSorgenumdieEnkelkinder,dieebenfallsmit„hineingezogen“würden.NurDruckführezumErfolg. Und den üben die Eltern reichlich aus. Sie drohen, die Firmenbeteiligung des Sohnes aufzulösen,umihn„finanziellauszutrocknen“.DasErbewerdesoorganisiert,dasskein ZugriffmehraufeinenPflichtteilbestehe.Aberdamitnichtgenug:ManwerdedenArbeitgeber der Ehefrau ihres Sohnes informieren, dass sie eine Sympathisantin und Mitläuferin der Sekte sei; ebenso werde die Schule der gemeinsamen Kinder über denEinflussderSekteaufsieinformiert.Kurzum:wirtschaftlicheundsozialeIsolation,umdie Aufgabe einer religiösen Überzeugung durchzusetzen; öffentliche und private Stellen werdenzusätzlichüberdievermeintlichen„MachenschaftenderSekte“informiert.Dass ihr Sohn sich davon wenig beeindrucken lässt, gibt dem Ganzen eine besondere Brisanz.EinDialogistnichtmehrmöglich.DasserScientologyabschwörensoll,istoffen- sichtlich,wennseineElternihmschreiben:„EinkleinerSchrittundDeinganzesLeben würdesorgenlos“.

Eine einmalige Geschichte – oder das oft zu beobachtende Resultat komplexer WechselwirkungeninZusammenhangmitScientology,sowieessichüberallinDeutschland ereignenkönnte?

Wer sich als Sozialwissenschaftler mit Neuen Religiösen Bewegungen (wozu Scientologydefinitivgehört),umgangssprachlichauch„Sekten“genannt,beschäftigt,derstößt immer wieder an Mauern. Sie türmen sich vor einem auf wie eine Mahnung, hiernicht weiterzugehen. Ich habe manchmal den Eindruck, dass es nicht erwünscht ist, in den Kern der Sache, ins Zentrum vorzudringen, was aber gerade erforderlich ist, um möglichstobjektivalleFaktorenzuanalysieren,dieindiesemKontextalssignifikantgelten könnten. Und das ist eine ganze Menge. Schon in einer kleineren Gruppe den Namen Scientology auszusprechen führt meist zu lebhaften Diskussionen, die schnell laut und intensiv werden. Beim Thema Scientology scheint jeder ein Experte oder eineExpertin zusein,selbstwennerodersienochnieKontaktzudieserGemeinschafthatte.

Wer jedoch Kontakt zu Scientology hat oder gar Mitglied ist, hat es in Deutschland schwer, sowohl im privaten als auch im beruflichen Bereich. Sobald sich jemand als Scientologezuerkennengibt,wirderplötzlichmitanderenAugenbetrachtet:AllesTun wird plötzlich anders wahrgenommen und interpretiert, denn „bekanntlich“ will Scientology die ganze Welt erobern, beherrschen und verändern. Mit welchen Mitteln, soll uns an dieser Stelle nicht so sehr interessieren, denn das erklären uns die selbsternannten „Experten“ im Fernsehen immer wieder auf eindrucksvolle Weise. Was der Deutsche braucht, ist ein konkretes, mit einfachen Worten beschreibbares Feindbild, etwas, was ihm die Sicherheit gibt, selbst auf der „richtigen“ Seite zu stehen und „normal“ zu sein–nichteinerderverrücktenSpinnerdieser„Psychosekte“,dieeswagen,öffentlich zuerklären,dassihnenUnrechtgeschieht,unddiesichrechtlichgegendieunverschämten„Sektenbekämpfer“zurWehrsetzen.DerDeutscheverträgtesnicht,wennmansein Weltbild erschüttert und eine eigene, alternative Interpretation der Geschehnisse vor- legt.IstdasmöglicherweisedieUrsachefürdenBeißreflexeinigerSektenexperten,den manauslöst,wennmansiedaraufaufmerksammacht,dasssienichtGottsind?

VielleichtistdieWahrheitdochnichtsoeinfachzuerklären,undvielleichtgibtesmehrere Erklärungen für ein und denselben Tatbestand, je nachdem, auf welcher Seite man steht.

SchauenwirunsdieDiskussionenderletztenvierzigJahreüberScientologyan,dann– so zumindest mein Eindruck – wurde hier ein Urteil über eine aus Amerikastammende Religionsgemeinschaft in Stein gemeißelt. Dieses Urteil lautet: böse! Scientology sei keine echte Religion, sondern täte nur so; ihr wahres Ziel sei die Abzocke von Menschen. Deshalb sei es wichtig, vor Scientology zu warnen und Maßnahmen gegen ihre weitere Verbreitung zuergreifen.

Unddaswurdeauchgetan,imgroßenStilundmiteinerHärte,dieanZeitendesMittel- alters erinnert, wo Menschen allein aufgrund ihrer Zugehörigkeit zu einer bestimmten Religion entrechtet, verfolgt und umgebracht wurden. Staat und Kirche bildeten eine Allianz gegen unliebsame Abweichler oder religiöse Sonderlinge. Gemeinsam verspritztensiedasGiftderInquisition,ließendieAbweichlerunterAnwendungderFolter ihren Göttern / ihrer Religion abschwören oder verbrannten die Standhaftesten unter ihnen auf demScheiterhaufen.

Heute ist die Inquisition Vergangenheit, sind die Folterkammern geschlossen und die Scheiterhaufen erloschen. Die Aufklärung hat, allen staatskirchlichen Widerständen zum Trotz, vieles im Denken der Menschen verändert. Dennoch lebt der Geist der Inquisition weiter: in den anonymen Foren des Internets, in den Massenmedien, auf VortragsabendenüberScientology,indenFernsehtalkshowsundnatürlichindenBürosder sogenannten Sektenaufklärer, die es im deutschsprachigen Sprachraum reichlich gibt. Diese Meinungsmacher – und nicht nur sie – haben das Bild über Scientology geprägt undgefestigt,undnichtslägeihnenferner,alsdiesesBild–ihrBild,ihrWirkenundihr Vorgehen – zu hinterfragen und die wirklichen Motive ihrer Arbeit konkret zu benennen: einfach einmal zu sagen, wie viele ausstiegswillige Scientologen und wie viele angebliche Opfer von Scientology sie wirklichbetreuen.

Warum sie das bis heute nicht tun, sagt viel über ihre wahren Motive aus; sie selbst hängen ja auch am Tropf von Scientology. Ohne sie wäre ihre Existenzgrundlage verschwunden und sie müssten sich neue Feindbilder schaffen. Heutzutage gibt es für sie nicht mehr viele Neue Religionen, die es zu bekämpfen gilt: Die „Moonies“ (ehemals Vereinigungskirche) und die Hare-Krishna-Bewegung, Bhagwan (Osho) und auch die Zeugen Jehovas gehören nicht mehr zu ihrem Kerngeschäft; mit ihnen kann man keine Aufmerksamkeit mehr erzeugen. Doch mit einer lebendigen und vitalen „Sekte“ wie Scientology, die auch heute noch und mehr denn je mit Aktionen auf sich aufmerksam macht,kannmandieÖffentlichkeitnochunterhalten–eineinderTatsehrgewagteund provokativeThese.

Dieses Buch ist ein Buch über Scientology, genauer gesagt, über die Geschichte und EntwicklungeinerinDeutschlandumstrittenenReligionsgemeinschaftunddieSchwierigkeiten ihrer gesellschaftlichen Institutionalisierung. Meine Ausführungen beruhen ausschließlich auf eigenen Recherchen, persönlichen Erfahrungen undBeobachtungen. Von1998bis2010warichBeauftragterfürReligions-undWeltanschauungsfragendes Landes Tirol. Zwölf Jahre lang leitete ich eine Informations- und Beratungsstelle zu religiösenundweltanschaulichenFragen,hattefasttäglichtelefonischenoderpersönlichenKontaktmitKlienten–malmehr,malwenigerundoftauchnurfürkurzeZeit.Ich weiß, welche „Kunden“ sich mit welchen Anliegen an einen Sektenbeauftragten wenden.

Dieses Buch möchte Fakten vorstellen – erarbeitete, keine wiedergekäuten Fakten. Es möchte die Leserschaft einladen, am Prozess der Entwicklung von Scientology in Deutschland teilzunehmen und die Einflussfaktoren kennenzulernen, die das Bild von Scientology in Deutschland bis heute geprägt haben. Es wendet sich an interessierte LeserinnenundLeserallerBerufsgruppen,diesichnichtmitzwei,dreiSätzenüberdas Wesen und Wirken von Scientology abspeisen lassen, sondern die sich ernsthaft mit dem Thema auseinandersetzen möchten. Aber auch an geschichtlich Interessiertewendet sich dieses Buch, weil es sich mit den Anfängen von Scientology beschäftigt:Wer gingzuScientologyundwarum?WaswarundistandieserGemeinschaftsospannend, wasistihrSelbstverständnisundwashatsiedenMenschenpersönlichgegeben?

Zugleich werden Fakten aufgeführt, die eindrucksvoll belegen, dass Staat und Kirche Hand in Hand gemeinsam gegen Scientology vorgingen und es bis heute noch tun. Seit 1997wirdScientologyvomVerfassungsschutzbeobachtet–nichts,aberauchgarnichts weistbisheuteaufeineirgendwiegearteteStaatsgefährdunghin.WarumwirdScientologydennochweiterhinalsangeblicheBedrohungdesStaatesangesehen?

Alles,wasindiesemBuchrecherchiertwurde,versucheichsoumfänglichwiemöglich zubelegen:mitDokumenten,Gutachten,Beschlüssen,Prozessakten,Datenmaterialund natürlich meinen eigenen Beobachtungen. So ist jede Leserin und jeder Leser eingeladen, sich selbst ein Bild von Scientology zumachen.

 

Anliegen des Buches

In kaum einem anderen Land der Welt ist gegen Scientology mit so harten Bandagen vorgegangenwordenundwurdesiesoverfolgtwieinDeutschland.DieseitJahrzehnten betriebene Kampagne gerät jedoch durch die Freigabe regierungsinterner Akten in ein schiefesLicht.DiesenSchriftstückenzufolgegibteskeinebelastbarenBefunde,diedas über Scientology verbreitete Schreckensszenario begründen können. Vielmehr ist das Gegenteil der Fall. Die mit dem Verschweigen der Faktenlage einhergehende TäuschungderÖffentlichkeitwarrelevantenpolitischenStellenoffenbardurchausbewusst. AuchinnerhalbderzuständigenBehördenistdiesanscheinendseitLangemeinoffenes Geheimnis.

AngetriebenvondemursprünglichvorallemdurchdieAmtskirchenbefeuertenKampf gegenSekten,beteiligensichseitBeginnder1990erJahrezahlreicheRegierungsstellen an einer massiven Kampagne zur gesellschaftlichen Ausgrenzung von Scientology,unter anderem in Form einer geheimdienstlichen Beobachtung durch den Verfassungsschutz. Gerechtfertigt wurden die verfassungsrechtlich fragwürdigen Eingriffe in die Religions-undGlaubensfreiheitmitderangeblichenGefahreinerUnterwanderungvon Politik und Wirtschaft sowie der Gesellschaftinsgesamt.

Jedoch halten diese Vorwürfe einer Überprüfung nicht einmal ansatzweise stand, wie sogar der Präsident des Hamburger Verfassungsschutzes im Februar 2013 gegenüber der Presse offen eingestand (siehe Kapitel 4 Abschnitt „Historische Entwicklung“). Nachzulesen ist dies nun auch in einschlägigen Regierungsakten, die vor kurzem zur Einsichtfreigegebenwurden.DieHerausgabedieserDokumentewurdenachlangjährigen Rechtsverfahren erstritten. Sie zeigen, dass maßgebliche Stellen bei Polizei und StrafverfolgungsbehördenvonAnfanganEntwarnunggaben.IhrenErkenntnissennach lag nicht einmal ein Anfangsverdacht für strafrechtliche Ermittlungen vor und verfassungswidrigeAktivitätenhatmanauchseit1997nichtfeststellenkönnen,alsdieÜberwachung begann. Dennoch wurden sie auf Weisung der Politik jahrelang zum Weitermachenangehalten–mitdemoffenbarbeabsichtigtenEffekt,dassderGeneralverdacht gegen Scientologen wegen ihrer angeblichen Gefährlichkeit öffentlichkeitswirksam lebendig gehaltenwurde.

Dochwarumistdasso?WiekameszudieserungeheuerlichenLegendenbildunggegen Scientology?

Um die Hintergründe dieser Entwicklung zu verstehen, ist ein Rückblick in die Anfangszeiten von Scientology hilfreich. Wer Ursachenforschung betreibt, taucht ein in eine Welt voller Widersprüche und Ungereimtheiten, in ein System militanter SektenbekämpferundderenHelfershelfer,ineineWeltvonHalbwahrheitenundIntrigen.Zu- erstwareneseinzelneSektenbeauftragtederevangelischenKircheunddievonihnen insLebengerufenenodermitihnenzusammenhängendenElterninitiativen,diegegen Scientologyagierte;späterübernahmenVertreterderkatholischenKircheundeinzelne Politiker diese Aufgabe. Für die Medien stand fest: Scientology ist immer eine Schlagzeilewert.

Mittlerweile hat sich das Thema Scientology verselbständigt, sodass es kaum noch möglich ist, Ursache und Wirkung zu analysieren. Für die Bekämpfer von Scientology zählt nur eines: Die Lichter der Scientology-Kirchen müssen ausgehen. Denn Scientology stellt eine „Bedrohung“ dar, ihre Anhänger „streben die Weltherrschaft an“, „unterwandern Wirtschaft und Politik“ und binden ihre Mitglieder durch eine „perfide Form der Psychomanipulation“ an die Gemeinschaft. Als „Beweis“ führen sie u. a. ehemaligeScientologenbzw.„Aussteiger“an,diezwarweniganderZahl,jedochstark in der Signalwirkungsind.

Der deutsche Verfassungsschutz beobachtet Scientology seit 1997, ohne bis heute irgendeinenHinweisfüreinevermeintlicheBedrohungslagevorlegenzukönnen.Sektenberatungsstellen und Elterninitiativen verweisen auf einen steigenden Bedarf an Beratung und Betreuung, der angeblich durch Scientology hervorgerufen wird. Angaben zu Quantität und Qualität der Anfragen werden jedoch nicht gemacht; diesbezügliche Nachfragen werden nicht beantwortet. So stellt sich die Frage, welches Problem diese Einrichtungen mit ihrer Transparenz haben oder die Frage, warum diese Einrichtungen ihreBeratungstätigkeitnichttransparentermachenkönnen(siehedazuKapitel5,Aktuelle Befragung2015).

Sektenbeauftragte der Amtskirchen, einzelne oft amtskirchlich eingebundene Politiker und bestimmte Medien bestimmen somit darüber, wie wir über Scientology zu denken haben. Die Folgen sind bekannt: Scientology wurde zum Feindbild der Deutschen er- klärt, ihre Religion als „Deckmantel für wirtschaftliche Aktivitäten“ deklariert und ihr gesamtes Gebaren als „bewusstes Täuschungsmanöver aufgedeckt“. Die Amtskirchen undderStaatschufensomitdieGrundlagenfürdieVerfolgungundÄchtungvonScientologyinDeutschland.DieBeobachtungdurchdenVerfassungsschutzunddieöffentlichen Warnungen vor Scientology hatten nur ein Ziel: Scientology zu „ächten“, wie es eineStuttgarterPolitikerinaufeinerVeranstaltunglauteinemBerichtdesMagazins „Evangelische Verantwortung“ bereits im Juni 1992 als Zielvorgabe formuliert hatte.

Ein kurzer Blick in die Geschichte der Amtskirchen zeigt jedoch, dass sie das, was sie ScientologyrespektiveanderenneuenreligiösenBewegungenvorwerfen,selbstaufweisen:Weltherrschaftsfantasien,psychischeManipulationihrerMitglieder,wirtschaftliche Ausbeutung,Gewaltanwendung,sexuellerMissbrauch,UnterwanderungvonWirtschaft und Gesellschaft, die Art des Umgangs mit Kritikern aus den eigenen Reihen, etc. Es scheint, als wenn hier ein psychologischer Übertragungsmechanismus in Gang gesetzt wurde, die eigenen strukturellen Defizite anderen Religionsgemeinschaftenanzulasten.

DereigentlicheSkandalistaber,dasssieScientologydazubenutzen,umsichselbstals bedeutsam und förderungswürdig zudefinieren.

Das vorliegende Buch möchte aktuelle und unbeantwortete Fragen im Zusammenhang mit Scientology beantworten – Fragen, die auf keiner Podiumsdiskussion oder in der „Sektenliteratur“ gestellt werden wie zum Beispiel: Wie und warum wurde das Thema Scientology eigentlich politisch kommuniziert? Wie gingen die deutsche Bundesregierung,dieInnenministerderLänder,dasBundeskriminalamt,derVerfassungsschutzund Strafverfolgungsbehörden mit diesem Thema um? Was veranlasste einige von ihnen, Scientology zu einem Feindbild zu erklären? Welche politischen Interessen steckten dahinter? Und welche Interessensgruppen haben Politiker dazu bewogen, gegen Scientologyvorzugehen?

Außerdem geht es um Fragen nach dem Warum: Warum wird Scientology in Deutschland seit fast zwanzig Jahren vom Verfassungsschutz beobachtet, während sie in ihrem Ursprungsland den USA und vielen anderen Ländern der westlichen Welt u.a. auch in Europa staatlich anerkannt ist? Wie und auf welcher Grundlage kam es dazu? Und warum wird die Beobachtung nicht beendet, wenn bis heute kein einziger Nachweis für verfassungsfeindlicheAktivitätenvonScientologyexistiert?WassinddieUrsachenfür die Aufrechterhaltung diesesFeindbildes?

AuchistgenerellnachdenUrsachenderStigmatisierungundÄchtungvonScientology zu fragen: Auf welcher nachvollziehbaren Grundlage wurde Scientology zu einer gesellschaftlichenBedrohungerklärt?WaswarendieUrsachendieserHandlungen?Welche Institutionen, Personen oder sonstigen Akteure waren maßgeblich daran beteiligt? WelcheMittelsetztensieein,umScientologyalsgefährlicherscheinenzulassen?

UmdieseFragenzubeantworten,werdenindiesemBuchbislangunveröffentlichteDokumente vorgestellt, die die deutsche Bundesregierung kürzlich herausgegeben hatund dem Autor dieses Buches zur Verfügung stehen. Die Herausgabe dieser Dokumente wurdeinlangjährigenRechtsverfahrenerstritten.SievermittelneinerschütterndesBild des politischen Umgangs in Deutschland mit einer aus meiner Sicht harmlosen Religionsgemeinschaft aus Amerika. Anhand dieser Dokumente lässt sich eindrucksvoll zeigen, wie sich der Staat für die Interessen der Amtskirchen und Apologeten und ihrer Anhänger hat instrumentalisieren lassen. Die Fakten, auf die er sich bezieht, sind vage und spekulativ, aber stark in ihrer Außenwirkung: Wer gegen eine „Sekte“ kämpft, die die „Weltherrschaft“ anstrebt und die „deutsche Wirtschaft und Gesellschaftunterwandern“will,demistApplausgewiss–ganzgleich,obesstimmtodernicht.

DennochistandieserStelledieFrageerlaubt:WennScientologywirklichdieWeltherrschaft anstrebte – warum gibt es dafür nicht einmal Anhaltspunkte in den Ländern,wo sieanerkanntist?UndwennScientologywirklichinderLagewäre,MenschenpsychischzuindoktrinierenundfürihreZweckeeinzusetzen–warumkonntenundkönnen Mitglieder jederzeit austreten und taten bzw. tun dies auch, selbst zu Zeiten, wo diegenanntesozialeÄchtungnichtdasheutigeAusmaßerreichthatte?Immerhinsindesbald fünfzigJahre,seitdemsichScientologyinDeutschlandniedergelassenhat.Dasvonder ScientologyKirchevordemVerwaltungsgerichtBerlingegendieBerlinerVS-Behörde erstrittene Urteil vom 13. Dezember 2001 (Az. VG 27 A 260/98) räumte eigentlich bereits mit diesem Gerücht auf, indem esfeststellte:

 

„Im Bericht der Bund-Länder-Arbeitsgruppe "Scientology" der Verfassungsschutz Behörden ... wird der Begriff des "Clear Planet" mit Weltherrschaft übersetzt, ohne dass dies in irgendeiner Weise näher erläutert wäre.“

 

InderTatverbindetScientologymitdemBegriff„ClearPlanet“einevölligunpolitische VorstellungimSinneeinererleuchtetenMenschheitohneKrieg,Kriminalitätundandere Formen des Wahnsinns. Die Vorstellung richtet sich an die Vielzahl einzelner MenschenmitdemZielihrerspirituellenErleuchtungundethischenVervollkommnung.Auf dasgenannteUrteilwirdanspätererStellenochmalsgenauereinzugehensein.

 

Um die beschriebenen Ursache-Wirkungs-Zusammenhänge in ihrer ganzen Tragweite zu verstehen, gehen wir zurück zu den Anfängen von Scientology in Deutschland. Der Medienhype zu Beginn der 1970er Jahre hatte einen anderen Hintergrund als der heutige. Scientology war eine neue Religion unter vielen, die nach Deutschland kamen und sich etablieren wollten. Neuen Religiösen Bewegungen begegnete die Gesellschaft generellmitMisstrauen.DashatvieleGründeundliegtnichtnurimWeltbildderjeweiligenBewegungbegründet,sondernzeigtsichauchdarin,dassdieAblehnungdesFremden ein Merkmal der deutschen Gesellschaft ist und war. Und ohne den SektenbeauftragtenderAmtskirchenpauschalzuunterstellen,dasssiedieseGruppenbewusstaburteilten,seidochdaraufhingewiesen,dasssiebereitszudieserZeitbeauftragtwurden,

„Expertisen“überdiesogenanntenSektenzuerstellen.SowarendieDienstreisenindie UrsprungsländerdieserGruppenfürsieeinewillkommeneAbwechslungundBereicherungihresHorizontes(auchwennsieheutedasGegenteilbehaupten).

Doch an dieser Stelle geht es um die Motive und Intentionen von Scientologen, ihre ReligioninDeutschlandzuetablieren,unddeshalbsollenzuBeginndiesesBuchesFragen nach der Situation gestellt werden, die sie Anfang der 1970er Jahre in Deutschland vorfanden.EsgehtandieserStelledarum,zuklärenwieundunterwelchenUmständen Scientology nach Deutschland kam. Welche Motive hatten ihre Anhänger, Scientology zu etablieren und auszubauen? Wie war Scientology organisiert? Welchegesellschafts- politische Situation fanden sie vor? Gegen welche Widerstände hatten sie zu kämpfen? WiebewertenScientologenihrejetzigeSituationhinsichtlichihrergesellschaftlichen Diskriminierung und wie gehen sie damit um?

Um die ganze Komplexität des Phänomens der gesellschaftlichen Diskriminierung von Scientology in Deutschland zu verstehen, werden soziologische, psychologische und sozialpsychologischeEinflussfaktorenvorgestellt,vondenenichannehme,dasssiedas „FeindbildScientology“begründenunderhalten.Undesgiltzuklären,werdieUrheber und Helfershelfer dieses Feindbildes sind und was ihre Motive sind. Zu welchem ErgebniskommenwissenschaftlicheUntersuchungen?WelcheAntwortengebenForscher auf die Frage nach der Gefährlichkeit von Scientology und der generellen Generierung von Feindbildern? Ist das ein deutschesPhänomen?

 

 

Kapitel 1: Scientology im Jahr 2017

 

Scientology – eine Annäherung

Als ich das erste Mal einen Scientologen traf – ich glaube, es war im Jahr 2001 –,hatte ich furchtbare Angst. Von Scientology wusste ich nur aus Büchern oder Erzählungen von Sektenbeauftragten, was die alles mit unschuldigen Menschen angestellt und wie sie diese schlagartig verändert hätten. „Experten“ bezeichneten Scientology als Virus, vor dem sich die Menschen schützen sollten; andernfalls würden sie zu willenlosen Zombies.InderSektenberaterszenewurdediskutiert,obmansichüberhauptmiteinem Scientologen unterhalten solle oder ihm zuhören dürfe. Denn die würden doch sowieso alle das Gleiche erzählen. Auch lernte ich Menschen kennen, die Angst davor hatte, einem Scientologen die Hand zu reichen, weil sie befürchteten, dass sich dann schlagartig ihre Persönlichkeit verändernwürde.

AlldieseBerichteprägeneinen,undwennmanmitnegativenStatementsüberScientologyüberhäuftwird,beginntmansiezuverinnerlichen,undeswirdschwer,seineMeinungzuüberdenken.DasisteigentlichdiewirklicheIndoktrinierung,vonderallesprechen, wenn es um das Thema „Sekten“ geht. Man könnte es auch als „Gehirnwäsche durch Desinformation“bezeichnen.

Erst als ich anfing, über meine Gedanken und mein Handeln nachzudenken, erkannte ich das Ausmaß der Beeinflussung, die schon stattgefunden hatte. Unter Zuhilfenahme von Supervision versuchte ich, Beratungsfälle aus meiner täglichen Berufspraxis zu analysierenunddietiefereDimensionderAnfragenzuerfassen.IchversuchtedietiefereBedeutungderAnfragen,dieanmichgestelltwurden,zuergründenundherauszufinden, welche Antworten ich daraufgab.

Im Laufe der Zeit stellte ich fest, dass ich immer mehr zum Werkzeug verschiedener Interessensgruppen wurde und dass Fragen nach Ursachen und Hintergründen diverser Anfragen immer stärker in den Hintergrund traten. Ich sollte ein Bekämpfer der „Sekten“ werden, einer, der sich furchtlos dem Bösen entgegenstellt, egal ob diesberechtigt ist oder nicht. Für Politiker galt es, nach außen zu demonstrieren, dass es eine Stelle gibt,andiesichbesorgteEltern,Großeltern,Verwandte,BekannteundFreundewenden können,wennesumFragenzusogenanntenSektengeht.FürMultiplikatorenwieLehrerundPädagogen,aberauchfürJustizundPolizeiwaricheinewichtigeAnsprechperson.IchmusstenichtaufalleFrageneineAntwortparathaben–esreichte,wennichso tat,alshätteichsie.DasSchlimmstefürmichwarenPodiumsdiskussionenzumThema „Sekten“. Dort ging es nur darum, vorgefasste Meinungen zu bestätigen. Man wollte Brot und Spiele – und die Schuldigen, die es abzuurteilen galt. Irgendwann zog ich die Reißleine. Meine Selbstachtung war mir lieber als ein Leben voller Lügen. Meine Haltung änderte sich, als ich mich über alle Bedenken hinwegsetzte und das machte, was für einen soziologischen Feldforscher das Selbstverständlichste von der Welt ist: Ich machte mir ein eigenes Bild von der Lage. Ich fragte nicht mehr, ob etwas moralisch richtigoderfalschist,sondernichwolltedenUrsachennachgehen:WarumistdasBild von Scientology so, wie esist?

MeineersteBegegnungmitScientologywarderBesucheinerScientology-Einrichtung. Land, Ort, Einrichtung oder Namen tun hier nichts zur Sache. Es war ein nettes Gespräch mit der Einrichtungsleitung, und die Offenheit mir gegenüber war mehr als entwaffnend. Danach besuchte ich eine größere Kirche und stellte fest, dass Scientologen auch nur Menschen sind, mit individuellen Zugängen und Intentionen. Hinter ihrer Religion verbargen sich – wie in jeder anderen Religion – Menschen mit Gefühlen und ganz persönlichen Lebensgeschichten. Das mag heute ein wenig klischeehaft und kitschig klingen, doch die Leserschaft sollte sich immer wieder vor Augen führen, dass Scientology bis heute dämonisiert wird und dass es Gruppen gibt, die ein Interesse daran haben, dass dieses Bild aufrechterhaltenbleibt.

Wie dem auch sei, meine Begegnungen mit Funktionsträgern und Anhängern von ScientologyrücktenmeinBildüberdie„Sekte“wiedergerade.Ichstelltefest:Hoppla,das sind ja Menschen, mit denen ich mich gut unterhalten kann, Menschen mit Niveau und Kultur,Menschen,diesichfürdieSchwierigkeitenandererinteressierenundihnenhelfenwollten.Mitihnenkonnteichmichbesserunterhaltenalsmitmanchenantiquierten Sektenbeauftragten–undvorallem:BeiScientologykonnteichFragenstellen,dieauch auf Augenhöhe beantwortet wurden. Das war bei Sektenbeauftragten selten der Fall. MeinHandelnwertetensiealsKniefallvorderSekteundmeineGesprächemitScientology als Verrat an ihrerZunft.

Als ich später versuchte, das Thema „Sekten“ und auch Scientology in Österreich im Rahmen einer Umfrage zu thematisieren, erhielt ich zynische Antworten, insbesondere von einigen Personen, deren Institution sich durch eine besondere Form der Nächsten- liebe auszeichnet – zumindest behaupten sie das. Aber das ist eine andere Geschichte.

Im konkreten Beratungsalltag war das Thema Scientology eher unterrepräsentiert. Es eignetesichabergutfürDiskussioneninSchulen.Normalerweiseinteressierteskeinen Schüler, was eine „Sekte“ macht, genauso wie kaum ein Schüler am Thema Religion interessiert ist. Aber mit einer „Psychosekte“ und einem dazugehörigen „Sektenboss“ lassen sich 45 Minuten gut gestalten, zumindest wenn man zehn Minuten referiert und denRestderZeitnebenScientologydie„Geheimsekten“,dieSatanistenunddasobligatorischeLieblingsthemaallerSektenbeauftragten,dasGläserrücken,abhandelt.Eintopf schmecktfastjedem,besondersdann,wennerwiederaufgewärmtwird.

InderpersönlichenBeratung,dieichdurchführte,erreichtedasThemaScientologyhin- gegen ungeahnte Dimensionen. Gelegentlich hatte ich den Eindruck, dass esMenschen gibt, die einen Exorzisten suchen, der Dämonen und Teufel austreibt – nicht bei ihnen selbst,sondernbeiihrenwiderspenstigenAngehörigen.Letzterewaren–entgegenihrer Meinung – nicht bei Scientology, sondern meist esoterisch-alternativ unterwegs. Aber esmachtsichimmergut,demKindeinenNamenzugeben.DasschafftGewissheitund wirktberuhigend,zumindesteineZeitlang.DiewildestenAnfragenbetrafenscientologische Verbindungen in Zusammenhang mit Science Fiction und Weltverschwörungstheorien.EinigediesbezüglicheAnfragenhabeichinmeinemletztenBuchthematisiert; dies braucht an dieser Stelle nicht wiederholt zuwerden.4

WersichimInternetüberScientologyinformierenmöchteunddasStichwort„Scientology“ in eine Suchmaschine wie in Google eingibt, der erhält rund 8.520.000 Einträge (Stand 10.04.2016). So wird ein bis dato unwissender Leser mit einer schier unendlichen Menge an Informationen konfrontiert, die kaum zu bewältigen ist: Selbst- und Fremddarstellungen, Medienberichte, Blogs über Scientology, Aussteigerberichte, Listen berühmter Mitglieder usw. Von wenigen Ausnahmen abgesehen, ist das Bild über Scientology im deutschen Sprachraum durchweg negativ. Man gewinnt außerdem den Eindruck, als sei eine unsichtbare Hand am Werk, die versucht, das negative Bild über Scientologyaufrechtzuerhalten.WasirgendwannimInternetpubliziertwird,tauchterst einmal unter in den unendlichen Weiten der virtuellen Welt. Irgendwann erscheint es aber wieder in leicht veränderter Form in öffentlichen Foren oder auf Blogs von Scientology-Gegnern,diedascopyandpaste(KopierenundEinfügen)perfektbeherrschen.

AuseigenerErfahrungimRahmenmeinerTätigkeitalsBeauftragterfürReligions-und Weltanschauungsfragen weiß ich, dass das Bild über Scientology in vielen Fällen ein sozialkonstruiertesist.DerÖffentlichkeitwirdtrotzschwacherFaktenlageeineGefährlichkeit suggeriert, die Aufmerksamkeit erzeugt. So war es beim Rinderwahnsinn, dem Bären Bruno oder der Vogelgrippe. Gestern warnte man vor „Gammelfleisch“, Gen-mais, Moslems mit Bart und „Pleitegriechen“, heute vor der „Asylantenflut“ und „unkontrollierterZuwanderung“.Undwaswirdmorgensein?Vorwasoderwemwirdman in Zukunft warnen? Was gestern war, scheint heute vergessen; das Tagesgeschäft verlangtnachFrischfleischundneuenSensationen.Washeutegilt,istschonmorgenuninteressant. Die Geschwindigkeit der Sensationen ist eine Herausforderung für das menschliche Gehirn. Ist da noch echte Verarbeitung möglich? Erleben wir nur noch mediale Reize? Allen schlechten Nachrichten und Sensationsmeldungen zum Trotz: JederPolitikerundjederJournalistweiß,dassNachrichtenvonheuteschonmorgender Vergangenheit angehören – es sei denn, sie werden immer neu wiedergekäut, so wiees mit Scientology der Fall ist. Seit über vierzig Jahren sind es immer wieder die gleichen Meldungen,diewirzumThemahören.Wieundvorallemwarumistdasmöglich?

EineTheseistsicherdie,dassmancheMedien,Sektenberatungsstellen,Elterninitiativen und emsige Bücherschreiber ein lebhaftes Interesse daran haben, Scientology zudämonisieren.Siebraucheneineaktiveundvitale„Sekte“,umihreeigenenInteressendurch- zusetzen.DeshalbmachensieScientologyzueinemMythos.Dennsiewissen,dasssich Menschen nach Mythen sehnen, so wie sie sich nach dem Bachelor sehnen, nach der Märchenfee oder Seifenopern wie Das Traumschiff. In seichten Gewässern geht man bekanntlich nichtunter.

Viele,dieöffentlichvorScientologywarnen,kennennichteineneinzigenScientologen geschweigedennihrewesentlichenundverbindlichenLehraussagen.IhrWissenberuht oft nicht auf eigenen Erfahrungen, sondern kommt aus der Zeitung. Ich kenne„Sekten- experten“,diejedesWortglauben,wasinderZeitungsteht–besondersbezogenaufdie negative Berichterstattung. Und man tauscht diese Informationen aus: auf Tagungen, Symposien und in geheimen Netzwerken, die eigens dafür gegründet wurden. Meinungs-undStimmungsmachekennenkeineGrenzen.Abersieeignensichgutzur

„Stimmungsmache“gegenScientology.ErhältmanvonScientologyInformationsmaterialinFormvonBüchernoderDVDs,wirddasinderRegelalsIndoktrinationsversuch interpretiert.InformationenausersterHandwerdennichternstgenommen.

EinesistmirinmeinerArbeitimmerwiederaufgefallen:Fürmanche„Sektenbeauftragte“giltesschonalsVerrat,sichüberhauptmitScientologenaufeinGesprächeinzulassen.Penetrant-beharrlichoderabersubtilfordernsie,dasssieals„Experte“vorherdar- über informiert werden. Begründet wird diese Forderung damit, möglichen Beeinflussungsversuchen seitens Scientology „vorzubeugen“. Dies ist eine wesentliche Erfahrung, die ich gemacht habe: Nicht Scientology sollte bestimmen, wie man über sie zu denken hat, sondern im Gegenteil: Die „Sektenexperten“ möchten am liebsten bestimmen, wie man über Scientology zu denken hat. Denn aus ihrer Sicht gibt es nur eine Wahrheit: ihre eigene. Wer sich trotzdem eine eigene Meinung erlaubt, denbeschleicht in ihrer Gegenwart gelegentlich das Gefühl, etwas falsch zu machen bzw. zuunkritisch gegenüberScientologyzusein.DieZensurfindetbereitsimKopfstatt.EinuralterpsychologischerMechanismusschlauerKirchenvätertritthierzutage,wiewirihnschonin Zusammenhang mit der Androhung von Hölle und Fegefeuerkennen.

Folgende Zeichnung erhielt ich im Rahmen meiner Arbeit als Beauftragter für Religions- und Weltanschauungsfragen. Sie zeigt eindrucksvoll, um was es wirklich geht.5

Abbildung 1: Zeichnung „Das Böse muss weg. Wer zündetan?“

Abbildung 1: Zeichnung „Das Böse muss weg. Wer zündetan?“

 

Was ist Scientology?

Scientology zu verstehen bedeutet, sich damit auseinanderzusetzen, Fragen zu stellen und eine befriedigende Antwort für sich selbst zu finden. Ein Wissenschaftler und ForschersuchtAntwortenaufdieUrsachenundWirkungsweisenkomplexerSachverhalte, die in der Öffentlichkeit kontrovers diskutiert werden. Und so ist es mit Scientology, einermeinerwissenschaftlichenÜberzeugungnachreligiösenGemeinschaft,dieangeblich gemäß der gängigen Klischees keine sein soll und deren Glaubensinhalte und religiösePraxisnichtsanderesalsdie„VortäuschungfalscherTatsachen“seinsollen–das behaupten zumindest ihre Kritiker. „Geld verdienen unter dem Deckmantel einer Religion“ ist wohl das derzeit gängigste Klischee gegen Scientology, wenn man der veröffentlichen Meinung Glauben schenkenwill.

WersichabermitsolchenStereotypennichtzufriedengibtundplausiblereErklärungen fürdieFragenachdemWesenvonScientologysucht,derwirdnichtdarumherumkommen, Fragen zu stellen und sich tiefer mit dem Thema auseinanderzusetzen. Die Quelle zu suchen bedeutet etwas anderes als in den reißenden Fluss zu springen und sich vom Strom treiben zu lassen. Einer Hysterie begegnet man am besten mit Aufklärung; das gilt auch für Scientology. Der Wahnsinn verliert schnell seinen Schrecken, wenn man versucht, ihn zu verstehen – womit an dieser Stelle nicht Scientology gemeintist,sonderndas,wasübersieberichtetwird.UnddasisteineganzeMenge,wenn wir einmal den Zeitraum der letzten vierzig Jahrebetrachten.

Fragt man Scientologen nach dem Wesen ihrer Religion, erhält man in der Regel eine konkrete Antwort. Ebenso wird man schnell fündig, wenn es um die Frage nach dem Warum geht, also weshalb sich überhaupt jemand für Scientology interessiert. Als Zuhörer hatte ich überhaupt nicht den Eindruck, als ob hier etwas Zweideutiges oder Unklares in den Raum gestellt würde, denn auf jede Frage gibt es eine konkrete Antwort. Offenbar hat die Beschäftigung mit Scientology bei ihren Anhängern eine geistig- spirituelle Erfahrung und Entfaltung bewirkt und sie in ihrer ganzheitlichen Entwicklung bestärkt. Nicht wenige Scientologen antworten auf die Frage, was Scientology ihnen gebracht habe, dass sie in jeglicher Hinsicht davon profitieren konnten. Man sei zu Scientology gegangen, weil man nach Antworten auf den Sinn des Lebens suchte oder es etwas Problematisches im Leben zu bewältigen gab, sei es in der Familie, im Freundeskreis,imBerufodersonstwo.LangjährigeScientologenberichtenvonGrundängsten im Leben wie Schüchternheit oder Kontaktschwierigkeiten, die sie mit Hilfe des Auditings (Scientology Seelsorge) in den Griffbekamen.

Um Scientology bzw. deren religiöse Ausrichtung zu verstehen, empfiehlt sich ein Gespräch mit Mitgliedern der Gemeinde. Es ist erstaunlich, wie offen und ehrlich sie auf Fragen von Außenstehenden antworten. Ich hatte nie den Eindruck, dass hier etwas MerkwürdigesimGangeist.Scientologensindüberzeugtvondem,wassietun,unddas erfährt man im konkretenGespräch.

Auf der Suche nach dem Wesen von Scientology habe ich mich mit einigen Scientologen getroffen, die bereit waren, mir mehr darüber zu erzählen, zum Beispiel warum sie beiScientologysindundwasdieLehrefürsiepersönlichbedeutet.DemnachistScientology eine Neue Religiöse Bewegung, die auf den spirituellen Weisheiten Asiens, insbesondere den Veden und dem Buddhismus aufbaut. Gleichzeitig beinhaltet sie Teile der hinduistischen Lehre, des Taoismus und des Konfuzianismus. Scientology geht da- vonaus,dassderMenscheingeistigesundunsterblichesWesenistundindermateriellen Welt existiert. Nach scientologischem Verständnis besitzt der Mensch keine Seele, sondern der Mensch selbst ist Seele oder Thetan (ein Begriff aus dem Griech. für Gedanke oder Seele). Was der Mensch besitzt, das ist sein Körper und sein Verstand (mind).Scientologygehtdavonaus,dasssichderMensch–ähnlichwieimBuddhismus –weiterentwickelnundneuespirituelleEinsichtenundFähigkeitenerwerbenkann.Da- fürstehenscientologischeErkenntnismethodenzurVerfügung,diezueinemhöherenspirituellenBewusstseinführen.DasbewussteSeinistetwasGeistiges,dasineinem Körper wohnt. Die Seele geht nirgendwohin, so wie dies zum Beispiel christliche Jenseitsvorstellungen vorsehen, sondern die Person selbst ist die Seele.

Was ihr Menschenbild betrifft, so glauben Scientologen, dass der Mensch von Grund auf gut ist und dass es einen Weg gibt, dieses grundsätzlich vorhandene Gute im Menschen zu wecken. Manchmal kann es verschüttet sein, aber durch die Selbsterkenntnis kann es wieder ausgegraben werden. Scientology folgt dem alten Spruch von Sokrates: „Erkenne dich selbst“. Um zu dieser Erkenntnis zu gelangen, bedarf es der Seelsorge, einer Hauptpraxis der Scientology, auch „Auditing“ genannt, was so viel wie zuhören bedeutet. Durch das Auditing erlangt der Mensch die Möglichkeit, in sich hineinzusehen,umletztendlichdieZusammenhängevonUrsacheundWirkungzuerkennen.Konkretgesagt,gehtesumdieAufdeckungeigenerundfremderFehlentwicklungen,dieein ersterSchrittzurpositivenVeränderungseinkann.DurchdasHinterfragendeseigenen Selbst erlangt der MenschSelbsterkenntnis.

Nach Ansicht einiger Scientologen haben Ureinwohner wie zum Beispiel die Aborigines in Australien den Kontakt mit der spirituellen Welt weit weniger verloren als die Menschen der westlichen Welt. Erstere würden auch eher verstehen, dass es ein AnliegendesscientologischenGlaubensist,dieWeltzuverbessern.FürvieleihrerAnhänger ist Scientology ein Weg zu einem besseren Verständnis der Welt, des Universums, des anderen Menschen und des eigenen Selbst. Dieses Verständnis bietet eine Grundlage, umDingezuverbessernoderzuverändern.LetztendlichistScientologyeinepraktische Religion, die auch Antworten auf Lebenssituationengibt.

Scientology ist keine Offenbarungs-, sondern vielmehr eine Erkenntnisreligion in dem Sinne, dass der Mensch ein Werkzeug bzw. eine Technologie an die Hand bekommt, mitderenHilfeeretwasübersichundandereMenschenherausfindenkann.Dabeikann ersonichtnurseineeigenenSchwierigkeitenbeheben,sondernauchanderenMenschen helfen.GemäßderAussagedesGründersvonScientologysollenMenschennurdasfür wahr halten, was sie für sich selbst als wahr erkennen und was ihnen plausibel er- scheint, nicht das, was irgendwo niedergeschrieben wurde. Es geht immer darum, sich selbst zu erkennen und einen Sinn in dem Erkenntnisgewinn zu finden. Aus diesen ErfahrungenkannderMenschdannHandlungsoptionenfürseinpersönlichesLebenableiten.

Nach scientologischer Lehre gibt es ein Leben nach dem Tod, aber auch ein Leben vor demjetzigenLeben.DerMenschwirdimmerwiederinneueExistenzenhineingeboren, miteinemBewusstsein,dasdurchdieZeitvoranschreitet.InsofernsiehtsichScientology in der buddhistischen Tradition des ewigen Kreises von Tod und Wiedergeburt, aus dem Befreiung erlangt werden soll. Nach scientologischer Lehre erwirbt man im Rahmen des Studiums ihrer Lehre - intern „Ausbildung“ genannt - und Auditing höhere Bewusstseinsstufen.DerMenschwirdnichtalsTieroderanderesWesenwiedergeboren, sondern existiert als ein bestimmtes immaterielles Wesen, das mit einem Bewusst- sein ausgestattet ist, weiter. Nach Aussagen von Scientologen gibt es diesbezüglich zwar eine eindeutige Lehrmeinung; aber jeder muss diese Wahrheit für sich durch Erfahrung und Erkenntnis selbst ergründen. Das bedeutet, dass Scientology persönliche Spielräume bei der Deutung von Erfahrungen und Jenseitsdeutungen nicht nur offen- lässt, sondern geradezu zu deren selbstbestimmter Deutung auffordert.

Grundsätzlich stehe man, so Scientology, anderen Religionen offen und positiv gegen- über;dieMitgliedschaftbzw.diegleichzeitigeZugehörigkeitzueineranderenReligion seientsprechendihresSelbstverständnissesinderTraditionöstlicherReligionendurch- aus möglich. Scientology macht keine Vorschriften über das, was ein Mensch blind zu glauben hat bzw. erkennen soll, denn das, was ein Mensch schließlich erkennt, ist subjektiv und personenbezogen. Auch Zweifel an der scientologischen Lehre seien kein Ausschlusskriterium. Scientology stellt sich mit ihren Weisheiten als ein Weg dar, auf demjederMenschdurcheigenesSchauenseinenpersönlichenWegundseinepersönliche Wahrheit findensoll.

Es sei ein typisch westliches Missverständnis, dass Wissen bzw. Wissenschaft und Religion nicht miteinander korrespondieren; in östlichen Religionen sei das nicht so, so Scientology. Die Spiritualität sei in den östlichen Lehren wesentlich stärker ausgeprägt als in den westlichen. In China bildeten vor über 1500 Jahren Wissenschaften wie zum Beispiel die Astronomie und Religion eine Einheit. Wer zu dieser Zeit Naturwissenschaftenstudierenwollte,dergingineinKloster.InteressanterweisegibtesinDeutschland oder in den USA kleine Gruppen von Naturwissenschaftlern, welche die östlichen LehrenmitPhänomenendermodernenAtomphysikverbinden.SowerdenzumBeispiel SchwingungsphänomenederKernwissenschaftmitdenLehrenausdenUrsprüngendes Buddhismus in Verbindung gebracht. Auf der spirituellen Ebene kann es Naturgesetze geben, die kausale Zusammenhänge ähnlich wie bei der Gravitation aufweisen. Die westlicheNaturwissenschafthingegenhatsichmitsolchenPhänomenenkaumbeschäftigt.Scientologyversucht,NaturgesetzeaufderspirituellenundgeistigenEbeneaufzuzeigenundnutzbarzumachen.LetztendlichgeheesumWissen;WissenundErkenntnis gehören zusammen. Durch Erkenntnis erreicht der Mensch Wissen, letztendlich Gewissheit.

Die Frage nach dem Erreichen von Gewissheit wurde von L. Ron Hubbard (Gründer von Scientology) unter der Einbeziehung einer wissenschaftlichen Methode beantwortet; insofern gibt es in dieser Hinsicht eine Gemeinsamkeit zwischen Wissenschaft und Religion. Wissenschaftliche Methodik und Erkenntnisse werden bei Scientology nicht abgelehnt,imGegenteil:ScientologyerhebtdenAnspruch,wissenschaftlicheMethodik undSpiritualitätzuverbinden.DabeigehtesallerdingsnichtumwissenschaftlicheFra- gennachdemGottesbeweisoderderExistenzvonSeelen.SolcheFragenkönnenletztendlich nur im religiösen Kontext beantwortet werden. Vielmehr geht es um dieErlangung von Gewissheit, die unter Zuhilfenahme einer Technologie (hier als Methodik verstanden), nämlich des Auditings, erreicht werden kann. Somit kann Scientology direkt ausgeübt werden, sowohl im Hinblick auf die Selbsterkenntnis und persönliche Weiterentwicklung als auch im Hinblick auf die sozialen Probleme dieser Welt. Scientologen glauben, dass L. Ron Hubbard bestimmte Phänomene oder Gesetzmäßigkeiten des spirituellen Lebens entdeckt hat und diese in Form des Auditings als Weg des In- sich-SchauenszurHinterfragungdeseigenenSelbstunddadurchzurErkenntnisentwickelte.TrauerundSchmerzlassensichaufdieseWeiseauffindenundüberwinden.

Eine der zentralen Botschaften von Scientology ist: Der Mensch ist ein geistiges, spirituelles und unsterbliches Wesen, das im materiellen Universum verstrickt ist, aus dem es aber befreit werden kann. Spirituelle Freiheit ist erreichbar, ohne dem Leben entsagen zu müssen. Diese Lebensauffassung findet sich sowohl im Buddhismus undLamaismus als auch imKatholizismus.

Des Weiteren gibt es Aussagen von Scientology, die durchaus auch wie Lehrsätze für spirituell Suchende gelten: Du bist nicht dein Körper, du bist deine eigene Seele; du kannst frei sein; du kannst dich selbst befreien, zum Beispiel von Belastungen, Einschränkungen und Hemmungen. Spirituelle Freiheit beinhaltet auch, Rechte zu haben, zum Beispiel die Menschenrechte. Scientology unterstützt dich dabei, frei zu sein.

Nach eigener Aussage verfolgen Scientologen keine politischen Ziele. Ihnen geht es vielmehr um das persönliche, spirituelle Wachstum des Einzelnen, das letztlich auch eine positive gesellschaftliche Veränderung nach sich zieht. Denn dieser geistige Wachstumsprozess beinhaltet nach dem Selbstverständnis von Scientology eine Entwicklung weg von der Ich-Bezogenheit hinein in größere Verantwortungsbereiche für die Familie, andere Menschen und die gesamte Menschheit, sogar die Tier- und Pflanzenwelt,diematerielleUmwelt,dieWeltdesGeistesundderEwigkeit–inScientology als die „Dynamiken des Überlebens“ bezeichnet. Aus dieser religiösen Motivation er- wächstsozialeVerantwortung,diesichinScientologyinderErrichtungundFörderung ihrer diversen sozialen und humanitären Programmeäußert.

Nach alledem stellt die Scientology Kirche eine Religionsgemeinschaft nicht nur nach dem Selbstverständnis ihrer Lehre und Praxis dar, sondern auch nach den Kriterien der Religionswissenschaft. Da im Rahmen dieser Publikation immer wieder auf die sehr weit verbreitete Behauptung, Scientology sei keine Religion und verfolge in WirklichkeitwirtschaftlicheZielehingewiesenwird,sollunterdiesemKapitel„WasistScientology?“ auf die Frage ihres rechtlichen Status eingegangen werden, um spätereWiederholungen bzw. Klarstellungen zu vermeiden.

DassdieScientologyLehreeinreligiösesBekenntnisnachdenrechtlichenDefinitionselementen im Sinne von Art. 4 Grundgesetz darstellt, bestätigte ein Urteil desOberverwaltungsgerichts Hamburg bereits am 17.06.2004 (Az 1 Bf 198/00) in der Klage eines MitgliedsgegendieStadtHamburgunterkurzerZusammenfassungderzentralenGlaubensaussagen von Scientology mit den folgendenWorten:

 

"Die Klägerin kann für ihren Glauben an die scientologische Lehre bzw. ihre Weltanschauung den Schutz des Art. 4 Abs. 1 GG in Anspruch nehmen. Gemäß Art. 4Abs. 1 GG ist die Freiheit des Glaubens, des Gewissens und die Freiheit des religiösen und weltanschaulichen Verständnisses [wohl: "Bekenntnisses"]unverletzlich.

 

Das Gedankengebäude der Scientology-Organisation befasst sich mit transzendenten Inhalten und der Stellung und Bedeutung des Menschen in der Welt. Werden die Lehren von L. Ron Hubbard über die unsterbliche Seele als Träger einer Lebensenergie (THETA) und als THETAN sowie ihr Verhältnis zu dem als MEST bezeichneten Materiellen Universum und des Weges der durch unzählige Leben gewandelten Seele geglaubt, sowie der an Erlösungsstufen erinnernde Weg zu höheren Daseinsstufen (CLEAR und [OPERATING] THETAN) verinnerlicht, so liegt darin eine Weltanschauung oder ein religiöses Bekenntnis."

Das Bundesverwaltungsgericht hat die obige Entscheidung mit seinem Urteil vom 15.12.2005 (7 C 20.04, NJW 18/2006, 1303) rechtskräftig bestätigt, in dem es feststellte:

 

„Die Klägerin kann für ihre Betätigung als Scientologin den Schutz des religiösen oder weltanschaulichen Bekenntnisses nach Art. 4 Abs. 1 GG in Anspruch nehmen.

 

Das Oberverwaltungsgericht hat zutreffend angenommen, derartige Aussagen der scientologischen Lehre seien geeignet, den Begriff des Glaubens oder der Weltanschauung zu erfüllen.“

 

Auf das obige Urteil wird an späterer Stelle erneut in einem anderen Kontext Bezug genommen werden. Es bestätigte letztlich, dass sich Mitglieder von Scientology auf den SchutzderReligionsfreiheitimSinnedesArt.4GGberufenundsichgegenstaatlicheDiskriminierungaufgrundihrerreligiösenÜberzeugungrechtlichwehrenkönnen.

 

Dieseitden80erJahrenvonerklärtenGegnernderScientologyverbreiteteBehauptung, dass ihre Gemeinschaften in Wirklichkeit wirtschaftliche Ziele verfolgen, verbunden mit dem seit Anfang der 90er Jahre erhobenen Vorwurf, ihre religiöse Lehre diene nur als Vorwand zur Verfolgung eben dieser wirtschaftlichen Ziele, haben sich die staatlichen Behörden dieses Landes aufgrund des politischen Einflusses der amtskirchlichen SektenbeauftragtenundihrerpolitischenFördererebenfallszueigengemacht.Dies führte zu zahlreichen Gerichtsverfahren, in denen sich die Scientology Gemeinden gegen behördliche Bescheide zum Entzug ihres Vereinsstatus zur Wehr setzen mussten. Die dagegen von ihnen erhobenen Klagen führten zuerst zwischen 1985 und 1989 zu mehreren gerichtlichen Erfolgen in Bayern. Andere Bundesländer ließen jedoch nicht lockerundzwangendieScientologenzuweiterengerichtlichenSchritten.Mitteder90er Jahre entschied auch der Verwaltungsgerichtshof von Baden-Württemberg zu Gunsten einerdortigenkleinenScientology-MissionunderkannteauchdenStatusalsReligionsgemeinschaftan,ließaberdieRevisionzuderFragezu,inwieweitderArt.4