Die alte Mühl - Sigrid Heuck - E-Book

Die alte Mühl E-Book

Sigrid Heuck

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Beschreibung

Sigrid Heuck erzählt vom Schicksal eines alten Hauses und seiner Bewohner über sechs Jahrhunderte hinweg. Historisch genaue Recherche und erzählerische Phantasie lassen einen spannenden Bilderbogen aus der deutschen Vergangenheit entstehen, in dem sich persönliche Schicksale, Alltagsleben und »große Politik« mischen. (Dieser Text bezieht sich auf eine frühere Ausgabe.)

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Seitenzahl: 339

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Sigrid Heuck

Die alte Mühl

Geschichten aus der Geschichte eines Hauses

FISCHER Digital

Inhalt

Wer von der Klosterkirche [...]Erstes Kapitel Der FindlingZweites Kapitel Das SühnekreuzDrittes Kapitel Das HufeisenViertes Kapitel Die VotivtafelFünftes Kapitel Das AndachtsbildSechstes Kapitel Urschala und BonifazSiebtes Kapitel Das WerkzeugAchtes Kapitel Das FuchseisenNeuntes Kapitel Die Schusterleisten[Bildteil]NachwortWorterklärungen:BibliographieBilderklärungen

Wer von der Klosterkirche Dietramszell kommend in südwestlicher Richtung dem Lauf des Zeller Baches zu folgen versucht, der muß zuerst ein Moor überqueren, das sich zwischen zwei bewaldeten Höhenrücken am Grunde eines Tales ausbreitet. Bis vor nicht allzulanger Zeit war dort noch neben dem Kwittkwitt der Kiebitze und dem Ruf des Schwarzspechts das Kollern balzender Birkhähne zu hören. Mannshohes Schilf säumt die Ufer des Baches, hie und da unterbrochen von lichten Birken- und Latschengehölzen sowie tiefen Gruben, die entstanden, als die Bauern noch Torf stachen. Auf der Westseite des Moores, dort wo das Zeller Tal in das Tal der Isar mündet, liegt ein kleines Dorf, das den Namen Bairawies trägt. Es besteht aus einigen Höfen, einem Gasthaus und einer malerisch auf einem Hügel erbauten kleinen Kapelle. Der Bach fließt durch diese Ortschaft, windet sich dann, gesäumt von Weidengestrüpp, in nordwestlicher Richtung durch einige Wiesen und unterquert eine vielbefahrene, die Landeshauptstadt München mit dem Kurbad Tölz verbindende Straße. Nur wenige Meter hinter der Brücke teilt sich der Bachlauf. Der größere Teil des Wassers strömt durch eine fast ständig geöffnete hölzerne Schleuse nach Norden. Der Rest stürzt über ein Wehr in einen Graben und fließt in großen Windungen unter einem dichten Blätterdach zwischen Lehmwänden dahin, bis er schließlich in die Isar mündet. Unmittelbar bei diesem Wehr, am Rande eines Ahorn- und Buchengehölzes, befindet sich ein kleines bäuerliches Gehöft. Wie bei vielen Häusern dieser Gegend, besteht das Erdgeschoß aus Mauerwerk, der obere Teil aber aus dunklen, verwitterten Balken. Gegen Süden und Osten umkränzt ihn ein schmaler Balkon. Unter dem langen, mit rotbraunen Ziegeln gedeckten Dach befinden sich Wohnhaus, Viehstall und Tenne.

Die Geschichte dieses Hauses, wie sie in ihrem frühen Teil mündlich überliefert wurde, später durch Eintragungen in Kirchenbücher, Hypothekenlisten, Übergabebriefen und Verkaufsurkunden belegt wird, erzählt vom Leben einfacher Menschen, von Müllern, Hölzern, Flößern, Tagelöhnern und anderen Handwerkern, die einen großen Teil ihres Lebensunterhaltes durch die Haltung von ein oder zwei Kühen, die Bewirtschaftung eines kleinen Ackers sowie eines Gemüsegärtchens bestritten und die oft nicht wußten, wo sie das Geld für die jährlichen Steuern hernehmen sollten. Vom Weltgeschehen bekamen die Bewohner nur dann etwas mit, wenn Krieg herrschte und marodierende Söldnerhaufen durch das Land zogen oder wenn Kloster, Königliches Rentamt und andere Steuerbehörden wieder einmal die Abgaben erhöhten, um sich das zurückzuholen, was Pröbste, Fürsten oder Landesregierungen verwirtschaftet hatten.

Gegen Südwesten schützt eine Reihe hoher Fichten das bescheidene Bauwerk vor dem oft stürmischen Westwind. Dahinter breiten sich Wiesen aus, die von der in nördlicher Richtung fließenden Isar begrenzt werden. Weit im Süden hinter diesen Wiesen beherrscht die Kette der Alpen, allen voran die auffällige Silhouette des Juifen, den Horizont. Wer aber den Bergen den Rücken zuwendet und einem Feldweg folgt, erreicht über eine zweite Brücke entlang eines künstlich angelegten Wasserlaufes nach kaum einer Viertelstunde den kleinen Weiler Einöd.

Erstes Kapitel Der Findling

Zehn Meter westlich jenes unter dem Namen «Grabenmühle» bekannten Gehöftes befindet sich ein kleiner Findlingsblock am Ufer des ehemaligen Bachlaufes. Das im benachbarten Gehölz aus dem Boden dringende Grundwasser wurde zu Beginn des 20. Jahrhunderts aus Wasserversorgungsgründen zu einem Weiher aufgestaut.

WAS BEKANNT IST:

 

 

 

WIE ES GEWESEN SEIN KÖNNTE:     Es ist etwa sechshundert Jahre her, als an einem heißen Sommertag ein Mann das Augustinerchorherrenstift in Dietramszell verließ. Als er das eisenbeschlagene Portal hinter sich zufallen hörte, blieb er einen Augenblick stehen und atmete erleichtert auf. Dann wendete er sich nach links und folgte einem kleinen Bach, der in einem fast zugewachsenen Graben dahinplätscherte. Das schwere Bündel, das ihm an einem Schulterriemen über den Rücken herabhing, schien seine untersetzte Gestalt in den Boden zu drücken. Der schwarze Bart und das Haupthaar, soweit es durch eine Kappe zu sehen war, erinnerten an den Pelz eines Tieres und die dicht über den Augen sitzenden Brauen an Weidengestrüpp.

Der Mann war froh. Die Zeiten des Vagabundierens, der Gelegenheitsarbeiten, der Bettelei vor Kirchentüren, des Hungers und Schlafens unter freiem Himmel schienen vorbei zu sein. Der Probst, dem er eine Botschaft des Abtes von Tegernsee überbrachte, hatte ihm einen Auftrag gegeben, wohl wissend, daß den Böhmen der Ruf voraus eilte, geschickte Handwerker zu sein. Der Mann verzog das Gesicht zu einem Lächeln, als er an seine böhmische Heimat dachte, an den Klang seiner Muttersprache, die sanften Hügel rechts und links des Moldauflusses, die niederen Bauernhütten, in denen es fast immer nach Räucherspeck roch, und die rotbackigen Mädchen, die sich so gern herumschwenken ließen, wenn ein Fiedler kam und zum Tanz aufspielte. Dann fielen ihm noch die Wolken ein, die sich an manchen Tagen so leicht, als seien sie beschwipst, vom Wind über den Böhmerwald treiben ließen, der Duft der Wiesen, das Muhen der Kühe, wenn sie die Milch drückte, das Summen der Bienen und das Geschnatter der Gänse, das ihn jedesmal an einen guten Braten erinnerte.

Ach was, dachte der Mann. Das ist jetzt vorbei. Nichts anderes hatte er an diesem Morgen getan, als an ein Klosterportal geklopft und nach Arbeit gefragt. Die Erwartung, sie zu erhalten, war gering gewesen, doch er hoffte auf ein Almosen, denn er war hungrig. Und dann bekam er nicht nur ein gutes Essen vorgesetzt, sondern einen Auftrag vom Probst des Klosters, der die Botschaft aus Tegernsee persönlich in Empfang genommen hatte. Der Fremde hatte ihm nämlich auf seine Fragen nach dem Woher und Wohin berichtet, er habe daheim in Böhmen das Müllerhandwerk gelernt und auch schon beim Bau von Mühlen geholfen, bevor ihn sein unruhiges Blut in die Welt trieb. Da schlug ihm der Probst vor, eine Mühle für ihn zu bauen.

«Geh», hatte er gesagt, «geh nach Westen, dorthin wo die Sonne untergeht, bis du an ein breites Flußbett kommst. Der Fluß ist die Grenze der Klosterhofmark. Dort gibt es Bauern, die eine Mühle brauchen. Für sie ist der Weg zu weit ins untere Mühltal. Geh, such einen Platz und baue diese Mühle für uns. Der Zins, den du zu zahlen haben wirst, wird gering sein!» Und dann schickte er einen Boten voraus, der den Bauern dort seinen Entschluß mitteilen sollte und sie anwies, dem Fremden behilflich zu sein. Nachdem er fertig gegessen und einer der Mönche ihn noch mit dem notwendigen Werkzeug versehen hatte, machte der Mann sich auf, um einen Platz zu suchen, einen Platz für eine Mühle. Ein günstiger Platz sollte es sein, vielleicht an einem Hang gelegen, mit schnell fließendem Wasser. Es wäre gut, wenn sich ein fester, von Ochsenkarren befahrbarer Weg in der Nähe befände, überlegte er, während er auf einer lehmigen schmalen Straße entlang eines Moores nach Westen zu ging, und hörte dabei weder das Zirpen der Grillen, noch das Gezwitscher der Vögel. Er roch weder den schweren süßen Duft des Heidekrauts noch den des modrigen in den Tümpeln verdampfenden Wassers, setzte nur einen Fuß vor den anderen und hing seinen Gedanken nach. Der Bach war nicht zu sehen, nur eine Reihe von Erlen und Weiden verriet, wo er sich befand. Der Mann überlegte, daß es Zeit für ihn wäre, sich eine Frau zu suchen und eine Familie zu gründen, denn hier gab es sicher auch hübsche Mädchen, Räucherspeck, Gänse und Wolken am Himmel wie dort, wo er aufgewachsen war.

Nach einer Weile, die ihm lang erschien, denn die Hitze und das schwere Bündel machten ihm sehr zu schaffen, vernahm der Mann Hundegebell und kurze Zeit später auch Kindergeschrei und das Gebrüll einer Kuh. Bald ließ er den Wald hinter sich, und auch das Moor blieb zurück. Vor ihm lagen mehrere Bauernhäuser.

«Geh», hatte der Probst ihm befohlen, «bis du nach Bairawies kommst! Die Bauern dort müssen immer durchs Moor, um ihr Korn mahlen zu lassen. Im Herbst und im Frühling ist der Weg am Rande des Moores oft abgrundtief sumpfig. Dann bleiben sie stecken mit ihren Karren. Geh und such einen guten Platz und baue eine Mühle in ihrer Nähe!»

Doch der Mann war zu müde und die Sonne schon zu tief gesunken, um weiterzugehen. Daher nahm er sich ein Herz und sprach einen Bauern an, der vor seinem Haus hockte, um eine Sense zu dengeln: «Habt ihr ein Lager für mich? Nur für diese Nacht?»

«Hau ab, Zigeuner!» schrie der und hob den Hammer, als ob er ihn nach ihm werfen wollte.

Der Böhme wendete sich wortlos ab. Dann eben nicht, dachte er bitter. Doch einen Augenblick später gellte ihm das Geschrei einer Frau in den Ohren: «Geht's weida! Weida, sog i!» Ein Ochsengespann stand auf der Straße. Die Ochsen sollten den mit Heu beladenen Karren heimziehen. Doch einer von ihnen war stehen geblieben. Der andere, der die Peitsche besonders zu spüren bekam, machte ein paar zögernde Schritte vorwärts, und weil es das Joch und die Stränge nicht anders zuließen, steuerte er den Karren in einen Gartenzaun. Die Deichsel bohrte sich zwischen die Latten. Die beiden vorderen Karrenräder stellten sich quer und drohten die Fuhre zu kippen.

«Weida!» schrie die Frau. «Weida, weida!» und schlug dabei auf die Ochsen ein. Doch wenn ihr der Böhme nicht rasch zu Hilfe gekommen wäre, hätten die Ochsen den Wagen wohl umgestürzt.

«Vergelts Gott!» sagte die Frau und ordnete das Geschirr. Dann sah sie ihm ins Gesicht und fragte: «Wo wollt ihr hin?»

«Mich schickt der Probst.»

«Dann seid ihr der neue Müller?»

«Ein Müller ohne Mühle», sagte der Mann und lachte.

«Ja mei.» Die Frau lachte mit. «Was net is, konn ja noch werdn.» Und sie fragte den Fremden, ob er ihr helfe beim Heuabladen.

«Geh, laß ihn da wohnen», sagte sie später zu ihrem Mann, als er vom Feld heimkam. «Er ist net unrecht. Der Probst hat eh ausrichten lassen, wir sollten ihm helfen beim Mühlenbau. So lang er da wohnt, ko er uns aa behilflich sein.»

So lernte der Böhme gleich am ersten Abend das «Madl» kennen. Das Madl war die jüngere Schwester der Bäuerin. Sie war ungefähr sechzehn Jahre alt, half bei der Betreuung der Kinder und auch sonst überall dort, wo sie gebraucht wurde. Als sie die irdene, bis zum Rand mit Sauermilch gefüllte Schüssel auf den Tisch stellte, verrutschte der Saum ihres Kleides am Hals, und dem Böhmen fiel auf, wie weiß ihre sonst sonnenverbrannte Haut war.

Bevor sie zu essen begannen, sprach der Bauer das Tischgebet. Dann nahm er das Messer zur Hand und schnitt dicke Brotscheiben von dem Laib, den die Bäuerin ihm reichte. Geredet wurde nicht viel. Auch die drei Kinder aßen schweigend. Sie waren es nicht gewöhnt, mit einem Fremden am Tisch zu sitzen. Ab und zu wagte eines von ihnen einen verstohlenen Blick auf den Gast, wendete aber gleich darauf seine Aufmerksamkeit wieder dem Löffel zu, mit dem es die Sauermilch aus der Schüssel holte.

«Zeig ihm, wo er schläft!» befahl der Bauer dem Madl, als sie ihr Mahl beendet hatten, und nickte dabei mit dem Kopf in Richtung des Fremden. Da führte ihn das Mädchen auf die Tenne, warf ihm einige Säcke zu und ließ ihn allein.

So kam es, daß der Böhme eine Bleibe fand, und wenn es auch nur ein Haufen Stroh war, so hatte er doch schon wesentlich schlechtere Schlafplätze kennengelernt.

Das letzte, das er wahrnahm, bevor er einschlief, war der Geruch nach frischem Heu, vermischt mit dem nach warmem Kuhstall. Nur einmal wachte er auf in der Nacht, weil ein Regenguß auf die Schindeln des Daches trommelte. Im nahen Moor quakten die Frösche.

Am nächsten Tag war der Himmel bedeckt. Gleich nach dem Morgenmahl machte der Böhme sich auf den Weg, um einen guten Platz für seine Mühle zu suchen. In der Umgebung der Ortschaft war das Gelände flach. Der Bach strömte zu langsam dahin. Das, was der Mann suchte, war ein natürliches Gefälle, damit er die Kraft des Wassers als Antrieb benützen konnte.

Er schritt kräftig aus. Ab und an flog ein Reiher oder eine Schar wild schnatternder Enten vor ihm auf. Manchmal sprang ein Fisch hoch und ließ sich platschend wieder zurückfallen. Als der Mann seine Augen hob, beobachtete er, daß das Madl ein gutes Stück weiter links das Vieh austrieb. Er verfolgte es mit seinen Blicken, erkannte die lange Reihe der hintereinandergehenden Kühe, die sich erst auflöste, als sie ein großes Brachfeld erreichten. Daß sich der Fluß dort befand, vermutete er, da ihm eine Reihe Weiden und Erlen die Sicht nach Westen verdeckte. Der Böhme ging weiter. Zu seiner Rechten, auf der anderen Seite des Baches, befand sich ein steiler bewaldeter Hang. Die bewirtschafteten Felder und Wiesen gingen in Brachland über. Der Bach führte ihn nach Norden, später bog er nach Westen ab. Von links, beinahe aus der Richtung, aus der der Mann gekommen war, führte ein Karrenweg über eine hölzerne Brücke. An dieser Stelle veränderte sich die Strömung. Sie wurde schneller und schneller. Der Sog, der das Wasser nach Westen fließen ließ, fiel dem Mann auf, und er beschleunigte seine Schritte. Kaum ein paar Meter hinter der Brücke schoß der Bach in eine Senke, die nach einem S-förmigen Bogen in einen Graben überging. Fast parallel dazu befand sich ein Stück weiter hinten ein zweiter Graben, auf dessen nördlichem Rand hohe Bäume und dichtes, fast undurchdringliches Strauchwerk ein weiteres Vordringen unmöglich machten. Durch ihn war wohl früher einmal der Bach geflossen. Beide Gräben umrahmten ein kleines Stück Land und bildeten seine natürlichen Grenzen. Da hatte der Mann sein Ziel erreicht, denn das war es, was er gesucht hatte, und wie ein Zeichen, daß dies der wirklich rechte Platz für sein Vorhaben wäre, entdeckte er einen Findling am Ufer des Baches. Es war nur ein mittelgroßer Stein mit rundgeschliffenen Kanten, den der Gletscher irgendwann auf seinem Rückzug verloren und den das Schmelzwasser ein Stück weit mit sich geschleppt hatte. Er war kaum höher als ein Melkschemel, der einen müden Menschen dazu einlud, sich auf ihm niederzulassen und zu rasten. Und das tat der Böhme dann auch, und während er rastete, stellte er sich die Mühle vor, die er für den Probst hier bauen würde. Das Wichtigste war da, und das war das in den Graben fallende Wasser, das sein Mühlrad antreiben würde. Und als sich der Böhme das alles so lebhaft vorstellte, daß es ihm schien, es wäre schon fertig und stände da, und als er schon glaubte, das Mühlrad klappern zu hören, so, als sei es der Herzschlag der Mühle, da sah er auf einmal vor seinem geistigen Auge das Madl in der Küche hantieren, worauf er sich mit der Hand auf die Stirn schlug, als hockte dort ein Mücke. Ach was, so weit war es noch lange nicht, vielleicht würde es nie so weit kommen, und überhaupt, war er nicht ein Böhme, ein Fremder, einer, den sie für einen Zigeuner hielten? Das Madl würde ihn nicht nehmen. Dazu war es zu hübsch. Von hübschen Mädchen konnte er nur träumen. Daß er keinen Erfolg bei ihnen hatte, war eine schmerzliche Erfahrung.

Der Tag verging wie ein Augenblick. Er stellte zufrieden fest, daß dort, wo er die Mühle zu errichten gedachte, der Graben sehr tief und sehr breit war, so daß er für sein Bauwerk kein Hochwasser zu fürchten brauchte. Das erste, das er tun wollte, war, die Umgebung des Platzes so weit vom Gestrüpp zu befreien, bis er an die natürlichen Grenzen stieß. Diese natürlichen Grenzen waren nicht nur die beiden Gräben im Süden und im Westen, sondern auch das dichte Gehölz im Norden, das schon bald in einen Buchen- und Ahornwald überging sowie im Osten der Karrenweg. Und als gegen Mittag die Sonne hinter den Wolken hervorkam, verfolgte er ihren Lauf über das Land so lange, bis sie gegen Abend hinter dem nächsten Höhenrücken verschwand.

Erst das Abendläuten erinnerte ihn daran, daß es längst Zeit war zurückzugehen. «Gegrüßet seist du, Maria, voll der Gnade», betete er still vor sich hin, während der Klang des Glöckchens über die Wiesen bimmelte. «Der Herr ist mit dir. Du bist gebenedeit unter den Weibern und gebenedeit ist die Frucht deines Leibes!» Und während er sprach, erfüllte ihn Dank für alles, was ihm Gutes geschehen war: den Auftrag des Probstes, die Einladung der Bäuerin und die Entdeckung des Platzes. Er nahm sich vor, eine Muttergottes zu schnitzen und sie in den Giebel der Mühle zu stellen, damit sie auch weiterhin ihre schützende Hand über ihn halten könnte.

Als Rückweg benützte er, weil ihm das einfacher erschien, den Weg, den die Räder der Ochsenkarren in den Grund gegraben hatten. Auf der Seite, auf der die Sonne untergegangen war, lag das Brachfeld, auf dem die Bauern ihre Kühe weiden ließen, aber es war jetzt leer dort.

Weiter vorn tauchten die Dächer von Bairawies vor ihm auf.

Der Bauer und seine Familie saßen bereits beim Abendessen.

«Na», sagte der Bauer, ohne aufzusehen. «Host es?»

Der Böhme wußte, was er damit meinte. Er nahm den Löffel, den ihm das Madl zuschob und nickte. «Glaub schon», sagte er.

Dann, nach dem Essen, als die Frauen das Geschirr wegräumten und die beiden Männer allein am Tisch zurückblieben, beschrieb der Fremde dem Bauern den Platz.

«Des ghört net zu uns», erklärte der Bauer ihm. «Des ghört scho zu Rampertshofen.»

«Ihr meint es gehört einem Freien?» Dem Böhmen fuhr der Schreck in die Glieder. Wenn das Grundstück einem Bauern gehörte, war es für ihn verloren.

«Na, na», war die Antwort. «Das meiste hier ghört doch den geistlichen Herren.»

«Das auch?»

«Gewiß.»

Damit stand es für den Böhmen fest, daß er die neue Mühle auf jenem Platz errichten würde.

Aber es dauerte fast ein ganzes Jahr, bis er seinen Plan verwirklichen konnte. Niemand hatte während des Sommers Zeit, ihm zu helfen. So begann er allein den Platz von dem wilden Gesträuch zu befreien. Aus dem Bachbett holte er Steine herauf. Dann hob er am Rand des südlichen Grabens ein Viereck aus, in das er die Steine legte. Bei einem Kalköfler kaufte er Kalk, und als der ihn fragte, wer ihm den Kalk denn lohne, schickte er ihn zum Probst: «Er wird's schon zahlen. Von ihm hab ich den Auftrag.» Dann mischte er Mörtel und mauerte ein Fundament.

Doch dazwischen nahm er sich Zeit, um seinem Gastgeber behilflich zu sein, überprüfte das Dach, besserte die Karren aus, half beim Schlachten oder schnitzte den Kindern einfaches Spielzeug. Er tat das gern, denn diese Arbeiten ermöglichten ihm, dem Madl nahe zu sein. Sie redeten wenig miteinander. Ab und an tauschten sie einen Blick, und jedesmal, wenn er ihr einen Gefallen getan hatte, lächelte sie ihn an. Mit den übrigen Dorfbewohnern kam er nicht ins Gespräch. Sie wendeten sich ab oder blickten ihm mißtrauisch nach, wenn er ihnen beim Kirchgang begegnete. Für sie war und blieb er ein Zigeuner, ein Fremder, den sie dulden mußten, weil ihn der Probst zu ihnen geschickt hatte. Daß sie das Kloster zwang, ihm beim Bau der Mühle zu helfen, paßte ihnen nicht. Doch sie waren verpflichtet dazu, denn je nach der Größe ihres Hofes, mußten sie jährlich eine bestimmte Anzahl von Tagen dem Kloster zu Diensten sein.

An den Sonntagen erkundete der Mann die Umgebung. Einmal ging er über die hölzerne Brücke nach Norden. Er erreichte nach kaum einer Meile eine Stelle, an der die Isar in einem großen Bogen fast bis an den Fuß des Hanges herankam. Da wendete er sich nach Osten und stieg durch eine Schlucht nach oben. So kam er nach Rampertshofen, das aus drei Höfen, einer Kirche und den Resten einer alten Burg bestand.

Ein anderes Mal zog es ihn gegen Sonnenuntergang, wo er schon bald das Ufer des Flusses erreichte. Unvermittelt brach dort der Kiefernwald ab, und der Böhme stand wie auf einer Kanzel, vor der sich das Land ausbreitete. Er sah die von Auwäldern gesäumte Isar und weit hinter ihr die Kette der Berge. In ihrer Mitte, so als ob er ihr König sei, erhob sich ein riesiger felsiger Klotz, von dem der Böhme wußte, daß ihn die Leute den Juifen nannten.

Überrascht stellte er fest, wie tief sich die Isar hier eingegraben hatte und wie breit das Flußbett war, mit seinen Inseln, den Gumpen und Seitenarmen. Einmal sah er auch Flöße, die sich von der Strömung abwärts tragen ließen. Er winkte und rief den Flößern einen Gruß zu. Doch sie waren viel zu beschäftigt, und das Rauschen der Strömung zu laut, um ihn zu bemerken.

Eines Tages, der Sommer ging bereits seinem Ende zu, und der Böhme hatte das Kieselsteinfundament fertig vorbereitet, auf dem die Balken aufliegen sollten, da kam es ihm vor, als beobachte ihn jemand. Er war es gewohnt, daß ab und zu ein Fuchs oder ein paar Hasen am Waldrand hockten. Auch hochschreckende Rehe beachtete er nicht weiter. Manchmal wanderten einige Flößer auf dem Weg den Bergen zu, nachdem sie ihre Flöße isarabwärts gebracht hatten. Doch dieses Mal war es anders. Es kam ihm so vor, als ob ihn von irgendwoher ein Paar Augen verfolgten, und es dauerte auch nicht lange, da bemerkte er eine kleine Bewegung hinter den Büschen. Er verharrte, ließ aber die Stelle nicht aus den Augen. Dann sah er das Aufblitzen eines Rockes und eine Hand, die einen Zweig zur Seite schob. Er sprang darauf zu und jagte das Madl hoch, das sofort zu flüchten versuchte.

«He, bleib doch da! Ich tu dir doch nichts!»

Das Madl verlangsamte seinen Lauf und blieb schließlich stehen.

«Komm her», forderte sie der Mann auf. «Ich zeig dir alles.»

Da stapfte sie schweigend hinter ihm her durch das gelbe Gras, während er ihr alles erklärte. «Hier kommt das Mühlrad hin und hier der Zulauf des Wassers. Der Giebel wird auf der Ostseite sein, weil der Westen die Wetterseite ist.» Aber das wußte das Madl schon, denn nur dumme Menschen bauen ihre Häuser mit den Giebelseiten nach Westen. Der Böhme sah sie an, und er sah an ihren aufmerksamen Augen, wie sehr sie das alles interessierte. Ihre Miene verriet viel von dem, was sie dachte, viel von ihrer Neugier und Anziehungskraft, die der kleine Böhme auf sie ausübte. Für sie war er ein Wesen aus einer fremden Welt, und sie hatte an diesem Tag, während das Vieh auf dem Brachfeld graste, endlich der Versuchung nachgegeben, einmal nachzusehen, was der Mann da so machte. Später setzten sie sich auf den alten Findlingsblock am Ufer des Baches. Ganz eng mußten sie sitzen, weil so wenig Platz da war. Ohne miteinander zu reden, hockten sie da und starrten ins Wasser.

«I muaß geh'», sagte das Madl nach einer Weile und huschte davon, bevor er sie überreden konnte, doch noch zu bleiben.

Mit dem Beginn des Winters, als der Frost das Land mit Reif überzog, begannen die Bauern im Auftrag des Probstes das Holz für die Mühle zu schlagen. Nur die geradesten Fichten suchte der Böhme aus, und wenn der Schnitt im Kern dunkel war, verwarf er die Stämme. Von früh bis spät schaffte er mit den anderen im Wald, und seine oft blaugefrorenen Hände veranlaßten das Madl, ihm zum Christfest ein paar Handschuhe zu stricken. Danach war ihm nicht mehr kalt, nicht mehr an den Händen und nicht mehr im Herzen, obwohl er die äußere Kälte nicht als das Schlimmste empfand. Er litt vielmehr unter der Kälte der Bauern, die kaum mit ihm sprachen. Das war auch der Grund, warum er es vermied, in das kleine Wirtshaus zu gehen, und er besuchte auch nur selten ein Tanzfest, das dort ab und zu veranstaltet wurde.

Doch hatte dies auch seine guten Seiten, denn so ging die Arbeit schneller voran, als er es erhofft hatte. Das Entrinden und Zuhacken der Stämme, der Transport mit den Schlitten bis zu dem Platz hinter der Brücke am Wald, das alles war bis Lichtmeß geschehen, und das war gut, denn kurz darauf setzte Tauwetter ein, dazu begann es zu regnen. Der Bach schwoll an. Er wurde zu einem wilden Strom, der alles fortriß, was sich nicht fest in die Erde gekrallt hatte. Äste und abgerissene Uferstücke, die in der Strömung schwammen, verhakten sich in den Zweigen der Weiden und versperrten so dem Wasser den Weg. Wenn das geschah, drückte und stemmte es sich so lange gegen das Hindernis, bis der Damm dem Druck nachgab. Dort, wo er es nicht tat, versanken nicht nur Wiesen und Äcker unter der Flut, sondern auch viele Torfhütten, Schubkarren, Fuchsbauten und Weidezäune. Nur die Birken, die Latschen und einige Fichten ragten über die Oberfläche des Sees hinaus. Das ganze Dorf rannte zusammen, als das Wasser sogar in einige Häuser drang. Auch der Böhme half mit, die Möbel vom unteren Stockwerk nach oben zu schaffen oder das brüllende, sich sträubende Vieh ein Stück den Hang hoch zu treiben. Hühner und Schweine wurden über die Tennenauffahrten in die Scheunen gebracht. Da hatte auf einmal niemand etwas dagegen, daß der Böhme zugriff. Jede Hand wurde gebraucht, auch die Hand eines Fremden. In der Not machten sie keinen Unterschied. Doch als auf einmal das Madl ausglitt und über die Böschung ins Wasser abrutschte, da rührte sich keiner, ihr nachzuspringen. Was Gott so bestimmte, das mußte geschehen. Das muß man hinnehmen. Dagegen kann man nichts tun. Warum sollten sie sich der Gefahr aussetzen und ihr nachspringen, wo doch keiner von ihnen schwimmen konnte. Wenn der Böhme nicht herbeigeeilt wäre, der in den Fluten des Baches seine Hoffnung versinken sah, dann wäre es um das Mädchen geschehen gewesen. Er bekam es am Rock zu fassen, hielt sich an einem Ast fest und zog es schließlich zum Ufer. Das Madl war blaß, aber es war am Leben und spie dreckiges Wasser. Als der Böhme sah, daß es atmen konnte und selbständig aufstand, war ihm, als hätte ihm jemand etwas geschenkt.

Dem Kieselsteinfundament, auf dem er die Außenwände der Mühle errichten wollte, hatte das Wasser nichts antun können. Obwohl der Bach ein Stück hinter der Ortschaft übergelaufen und eine zweite Flutwelle über den Karrenweg in den Graben geschwappt war, hatte es keinen Rückstau gegeben.

Zufrieden über sein Werk, betrachtete der künftige Müller das Wasser, wie es in der Schlucht verschwand. Das Brodeln und Tosen, das Gurgeln und Rauschen kam ihm vor wie Musik. Er hatte den richtigen Standplatz gewählt. Der neuen Mühle würde dort nichts geschehen.

Der einzige, der ihm beim Hochziehen der Wände half, war der Bauer, bei dem er wohnte. Auch die Frauen faßten so gut sie konnten mit an. So ging alles sehr langsam und erst, als im Wald an der Isar der Frauenschuh zu blühen begann, stand der nach Osten ausgerichtete Bau, war das Dach mit Schindeln gedeckt und der hölzerne Wasserkanal gelegt, über den das Wasser über das Rad geleitet werden sollte. Schließlich war es soweit, daß sie das Mühlrad montieren konnten. Er hatte es selbst aus Tannenholz gezimmert, weil er wußte, daß das Holz der Tanne die ständige Nässe am besten aushält. Die acht Felgenteile wurden zu einem Radkranz zusammengebaut und die Fugen durch Eichendübel miteinander verbunden. Alles, was an Eisenteilen dafür notwendig war, hatte der Probst ihm geschickt und außerdem noch die beiden gedrechselten Zahnräder, ohne die man die horizontale Kraft der Welle nicht in die notwendige vertikale umsetzen konnte. Die amtlich vorgeschriebenen Hohlmaße, den Scheffel und den Metzen, hatte er gleich mitgeliefert. Sie setzten das Rad zur Probe in Bewegung, und sofort begann mit dem Schwappschwapp des auf die Radschaufeln fallenden Wassers das Herz der Mühle zu schlagen. Da konnte der Böhme es kaum mehr erwarten, die Mühlsteine zu besorgen und die hölzerne Welle anzubringen.

Auch beim Besorgen der Steine half ihm der Probst. So hatten sie es abgemacht und so geschah es auch. Eines Tages brachte ein Ochsengespann, vom unteren Mühltal kommend, zwei schwere, runde Steinscheiben durch das Moor und über Bairawies zur Mühle des Böhmen. Mit Hilfe des Fuhrknechts rollte er sie an den vorgesehenen Platz, und nach ein paar Tagen Probelaufs war alles bereit für den ersten Sack Korn.

An jenem Tag brachte die Bäuerin einen Korb frisch gebackener Schmalznudeln heraus. Ihr Mann und das Madl begleiteten sie. Der Bauer öffnete eine Flasche mit selbstgebranntem Schnaps, und so feierten sie still ein kleines Fest, bei dem der Alkohol die Zunge löste, und der Böhme es wagte, sich neben das Madl zu setzen und ihm die Hand zu drücken. Das Madl ließ es zu, ihre Ängstlichkeit flog davon, obwohl ihr Herz zu flattern begann und ein rosafarbener Schimmer ihr Gesicht übergoß. Später holte der neue Müller eine dünne Weidenpfeife aus dem Hosensack. Er spielte eine Melodie aus seiner Heimat, worauf der Bauer seine Frau bei den Hüften nahm und sie lustig herumschwenkte. Nur das Madl kam nicht zum Tanzen, denn spielen und tanzen zu gleicher Zeit, das war selbst dem Böhmen zu viel. Es war spät, als sie sich trennten. Der Bauer ging mit der Frau und dem Madl nach Bairawies zurück. Der Böhme blieb, denn von nun an war die Mühle sein neues Zuhause.

Doch der neue Müller irrte sich, als er annahm, daß am nächsten Morgen die Ochsenkarren vor seiner Mühle Schlange stehen würden. Trotzdem fehlte es ihm nicht an Arbeit. Als Wohnung für sich und die künftige Familie hatte er zwei Räume vorgesehen. In einem von ihnen befand sich eine gemauerte Feuerstelle. Sonst waren sie leer. So begann er, einfache Möbel zu zimmern: einen Tisch, einen Stuhl, ein Bett, das er mit einem großen Sack getrockneten Grases auspolsterte. Nachdem er jedoch das letzte Stück Brot und die letzte Scheibe Speck, die von dem Fest übriggeblieben waren, verzehrt hatte, stellte sich schon bald nagender Hunger ein. Es war gut, daß nach ein paar Tagen das Madl kam, um nach ihm zu sehen. Es brachte ein Fladenbrot mit und ein paar Äpfel. Als sich aber auch weiterhin kein Bauer zeigte, der sein Korn bei ihm mahlen lassen wollte, fing sich der Müller sein Essen aus dem Bach oder mit Hilfe von Schlingen im Wald. Spätestens da beschloß er, sich so bald wie möglich eine Kuh zuzulegen, ein paar Obstbäume zu pflanzen und ein Stück Land einzuzäunen, auf dem er Gemüse anpflanzen wollte. Ein paar Hühner würden auch nicht schaden, und vielleicht reichte das Futter sogar für ein Schwein. Mit alledem bräuchte er keinen Hunger zu leiden, das wußte er. Doch wie sollte er es sich kaufen können und wie dem Probst den alljährlich fälligen Pachtzins bezahlen?

Es sah schlecht aus für seinen Traum, der das Madl miteinschloß. Um Rüben zu pflanzen, war es bereits zu spät. Doch er grub sich ein kleines Stück Wiese um, in das er einige Bohnen und ein paar Krautpflanzen steckte, die ihm die Bäuerin brachte. Jedesmal, wenn er das Knarren eines Karrens hörte, lief er bis an die Brücke, weil er hoffte, daß da jemand käme, der ihm Korn zum Mahlen brächte. Aber die Karren fuhren vorbei. Die Fuhrknechte hielten sie nicht einmal an, um ein bißchen mit ihm zu reden. Die einzige Regung, die er an ihnen bemerkte, war ein dreckiges Grinsen.

Da sank die kleine Gestalt des Böhmen in sich zusammen. Er verlor nicht nur das Interesse an seiner Umgebung, sondern auch an sich selbst, und es störte ihn nicht, als sich Blätter und kleine Ästchen in seinem Bart verfingen. Er war es gewohnt, für seinen Lebensunterhalt zu kämpfen, doch gerade als er glaubte, das Kämpfen sei nun zu Ende, fing es von neuem an und so, daß er nichts dagegen tun konnte. Er war müde in seinem Innern, und das machte ihm mehr zu schaffen als körperliche Müdigkeit.

Eines Morgens bog wirklich ein Karren vom Weg ab. Der Müller kannte die Ochsen. Es war der Bauer, der Schwager vom Madl, der ihm ein paar Säcke Roggen brachte.

«Da», sagte er, «das d was z doa host!» und trug ihm die Säcke hinein. Und als der Mann den goldgelben Roggen in den Trichter schüttete, von dem aus er langsam durch eine Öffnung zwischen die Steine rann, da kam ihm das Klappern des auf die Radschaufeln fallenden Wassers wie Musik vor, wie ein Lied von einer besseren Zukunft. «Die andern fahrn weiter ins Mühltal», berichtete der Bauer noch. «Sie wolln ihr Korn net mahlen lassn bei dir, weil's glauben, du hättest an bösen Blick.»

Der Müller erledigte den Auftrag und erhielt als Lohn von jedem gemahlenen Scheffel den sechzehnten Teil. So hatte er Mehl, um sich ab und zu einen Fladen zu backen.

Danach blieb es weiter still um die Mühle. Der Böhme sperrte den Zufluß zum Rad, damit es sich nicht unnötig drehte. Dann arbeitete er weiter in seinem Garten, schöpfte Wasser und goß sein Gemüse, schnitt im Wald Haselnußstecken für einen Zaun, weil ihm die Hasen den Kohl abfraßen, und hackte soviel Brennholz, daß es für zwei Winter reichte anstatt nur für den, der vor der Tür stand.

Sonntags ging er zur Kirche. Doch eines Tages beschloß er, nicht die in Rampertshofen zu besuchen, zu der sein Anwesen gehörte und wohin er sich schon einen schräg den Hang hochführenden Pfad getrampelt hatte, sondern nach Thankirchen, weil er wußte, daß die Leute aus Bairawies dorthin gingen. Er wusch sich im kalten Bachwasser, zog seinen einzigen sauberen Janker an und kämmte sich das filzige Haar. Danach machte er sich auf den Weg, der ihn zunächst durch das Dorf führte und von dort an den Hängen des Zeller Tals entlang. Vor und hinter ihm gingen andere Kirchgänger, fast alle in ihren Sonntagsgewändern. Doch er traf weder das Madl, noch den Bauern und seine Frau, deren Gast er so lange gewesen war.

Thankirchen machte seinem Namen Ehre. Es lag auf einer von dichtem Wald umgebenen Anhöhe. Die Kirche stand inmitten eines Friedhofs, dessen Gräber mit schlichten Holzkreuzen gekennzeichnet waren.

Der Müller nahm seine Kappe ab, als er eintrat. Er überhörte das Gemurmel, das er durch sein Eintreten auslöste, und stellte sich auf die Seite der Männer, jedoch ganz hinten an die Wand. Einer der Chorherren aus Dietramszell hielt die Messe. Der Müller nahm an, daß ihm das Pferd gehörte, das vor der Kirche angebunden war. Am Ende, noch vor dem Schlußchoral, erhob der Geistliche seine Stimme und verlas einige Anordnungen des Probstes, die an seine leibzinspflichtigen Gemeindemitglieder gerichtet waren. «… und den Eigenleuten des Klosters in Bairawies läßt der Probst als ihr Grundherr bestellen, sie müßten ihr Korn in die neue Mühle zum Mahlen bringen, denn laut einer Abmachung mit ihnen stehen sie unter Mahlzwang. Ab sofort sind die Mühlen im unteren Mühltal nur für die umliegenden Höfe zugelassen.»

Es blieb nicht bei diesem einen guten Augenblick an diesem Tag. Denn etwas später kam es dem Böhmen so vor, als tanzten die Wolken über den Himmel, als ihm vor der Kirche das Madl über den Weg lief. «Gehst mit mir heim?» Und als das Madl ihm zunickte, bemerkte er nicht, daß er einen anderen vergrämte, einen, der ihr eben den gleichen Vorschlag machen wollte.

Sie redeten nicht viel während des Heimwegs. Oft war der Weg so schmal, daß sie hintereinander gehen mußten. Wenn sie dann durch einen Lichtstrahl ging, der zwischen den Blättern auf den Waldboden fiel, dann leuchteten die unter ihrer Haube hervordringenden Haare auf wie silbrige Fäden.

«Behüt dich Gott», wünschte ihm das Mädchen zum Abschied. «Jetzt wird's sicher bald besser.» Er wußte, was sie damit sagen wollte.

Aber es ging langsam. Erst kam ein Ochsenwagen über die schmale Einfahrt daher, dann noch einer. Sie hatten nur soviel Land mit Getreide bebaut, wie sie selbst für ein Jahr brauchten.

Doch bald drehte sich das Mühlrad fast den ganzen Tag, und der Müller kam nur noch selten dazu, sich um seinen Garten zu kümmern. Und als am Montag nach Michaeli der Zins fällig wurde, da fiel es ihm nicht schwer, die vier Metzen Mehl abzuliefern, die das Kloster sich ausbedungen hatte.

Sobald es kalt wurde, ließen die Aufträge nach. Da verdingte sich der Böhme bei dem Schwager des Madls für die Arbeit im Wald. Als aber die anderen sahen, wie er zupacken konnte, da kümmerten sie sich nicht mehr um das, was sie früher über ihn geredet hatten, sondern baten ihn ebenfalls um Hilfe.

Auf diese Weise verdiente der Müller ein paar Kreuzer in der Woche, was ihn leichtsinnig werden ließ, denn als am letzten Tag vor Beginn der Fastenzeit in der Wirtschaft ein Tanzabend stattfinden sollte, bat er das Madl, mit ihm dorthin zu gehen.

Das Madl und er zogen ihre Sonntagsgewänder an, und sie gingen hin und tanzten und tanzten, bis sie ganz atemlos davon wurden. Doch dann, es war schon gegen Mitternacht, kam ein anderer und wollte das Madl zum Tanz auffordern. Er war der Sohn eines der reichsten Bauern im Dorf, und er hatte zuviel getrunken. Er packte das Madl einfach am Arm und versuchte, es auf die Tanzfläche zu ziehen. Da stieg in dem Böhmen eine so große Wut hoch, wie er sie schon lange nicht mehr verspürt hatte. Als er erkannte, wie sehr sie zurückschreckte, packte er den Kerl und schleuderte ihn zur Seite, und als der sich wieder aufrappelte, rannte der Böhme wie ein Stier mit gesenktem Kopf gegen ihn an und drückte ihn an die Wand. Sofort war eine wilde Prügelei im Gang. Der Bauer und ein paar andere, denen der Müller im Wald geholfen hatte, kämpften gegen die Freunde des neuen Verehrers. Doch die waren in der Überzahl, und die anderen mußten schon bald geschlagen das Feld räumen.

So geht es nicht weiter, sagte sich der Böhme. Ich muß etwas unternehmen. Und weil er es nicht auf die lange Bank schieben wollte, ging er am nächsten Tag zum Schwager des Madls.