Die andere Eva - Utta Danella - E-Book
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Die andere Eva E-Book

Utta Danella

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Beschreibung

Ende der 90er-Jahre: Die Brüder Klaus und Franz Seebacher leben als Rentner am Starnberger See. Klaus, der lebenslustige, geschiedene Architekt, der das väterliche Haus umgebaut hat, und Franz, der ruhige ehemalige Fabrikant. Von seinem Sohn Georg, aus der glücklichen Ehe mit seinem geliebten Mariele, hat Franz seit 3 Jahren nichts mehr gehört. Georg, der einst nach Kanada auswanderte mit Eva-Maria, seiner geschäftstüchtigen Frau, die den unverbesserlichen Spieler endlich gebändigt hatte. Doch dann kommt ein Brief aus Las Vegas und die Schwiegertochter Eva kündigt ihren Besuch an. Die Verwirrung ist groß, als eine ganz andere Eva als erwartet auf dem Flughafen erscheint. Die geheimnisvolle junge Frau mit der wechselvollen Lebensgeschichte zwischen Ostberlin und Las Vegas bringt nicht nur das ruhige Leben der beiden Brüder gründlich durcheinander.

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Seitenzahl: 445

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Utta Danella

Die andere Eva

Roman

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Utta Danella: Die andere Eva. Roman

Copyright © 2016 by Erbengemeinschaft Utta Danella vertreten durch AVA international GmbH, Germany

Die Originalausgabe ist 1998 im Heyne Verlag erschienen.

Überarbeitete Neuausgabe© 2020 by hockebooks gmbh

Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Erlaubnis des Verlags wiedergegeben werden.

Covergestaltung: Joachim Luetke (www.luetke.com) unter Verwendung eines Motivs von Nejron Photo/shutterstock.com

ISBN: 978-3-957-51343-4

www.uttadanella.de

www.ava-international.de

Die Sache mit dem Euro

Sorgfältig kratzt Franz den Rest vom Ei aus der Schale. Früher hat er zum Frühstück immer zwei Eier im Glas gegessen, aber ein Ei in ein Glas zu kippen findet Alma unsinnig, da bleibe ja mehr am Glas kleben, als man essen könne. Dass er nur noch ein Ei zum Frühstück bekommt, hat sein Bruder angeordnet.

»Denk doch an dein Cholesterin!«

»So ein Schmarrn«, hatte Franz erwidert. »Früher hat man gar nicht gewusst, was Cholesterin ist.«

»Aber jetzt weiß man es.«

Alma schenkt ihm die zweite Tasse Kaffee ein, und er zündet sich eine Zigarette an. Das geschieht auch gegen den Wunsch seines Bruders.

»Hör endlich mit dem Rauchen auf!«

»Ich bin so alt damit geworden, jetzt kommt es auch nicht mehr darauf an.«

»Doch. Gerade. Du sollst möglichst alt werden.«

»Wer will das schon?«

»Ich.«

Heute ist Klaus schon früh mit seinem Boot ausgefahren, der Wind sei gut, hatte er verkündet, als er bei Franz am Bett erschienen war.

Also frühstückt Franz allein und raucht mit Genuss seine Morgenzigarette.

Dann nimmt er wieder die Zeitung zur Hand.

Sein Leben lang ist er um halb sieben aufgestanden, spätestens um acht war er in der Firma.

Ein Leben ohne Arbeit findet er eigentlich langweilig, das einzig Gute daran ist, dass man in Ruhe frühstücken und die Zeitung lesen kann.

Während Alma abräumt, blickt sie ihm über die Schulter.

»Da steht schon wieder dieser Quatsch vom Euro drin«, sagt sie.

»Hm«, macht Franz.

»Mein Schwiegersohn sagt, das ist der größte Blödsinn, den man sich vorstellen kann. Jetzt haben wir schon so viele Sorgen mit den ganzen Arbeitslosen, und nun machen sie auch noch unser Geld kaputt.«

»Hm«, wiederholt Franz.

»Was halten denn Sie davon?«, will sie wissen.

»Ja, mei«, sagt Franz.

»Ich mein, dass sie unser Geld kaputt machen. Mein Schwiegersohn sagt, wir werden alle dafür blechen müssen. Unsre Mark ist futsch, und die anderen kassieren uns ab.«

»Das sagt er?«

»Freilich. Das sagt er. Wer versteht denn das alles mit dem Maschtricht und das? Verstehen Sie’s vielleicht, Herr Seebacher?«

Sie spricht ihn mit vollem Namen an, da hilft kein Brummlaut mehr. Franz lässt die Zeitung sinken und blickt zu seiner Haushälterin auf.

»Auch nicht so genau«, tut er ihr den Gefallen. »Aber ich bin so alt, mir kanns wurscht sein.«

»Sehngs, das is es. Sie haben ja Geld genug. Aber der Bub ist grad geboren, und bis er groß ist, gibt’s keine anständige Mark mehr.«

»Bis der Bub sechzehn ist, wird er sich an den Euro gewöhnt haben. Er wird gar nicht mehr wissen, was eine Mark ist.«

Das verblüfft Alma so, dass sie stehen bleibt, die Kaffeekanne in der Hand.

»Da is noch a Schluckerl drin. Mögen’s das?«, fragt sie nach einem kurzen Schweigen.

»Bitte.«

»Er wird nicht mehr wissen, was eine Mark ist?«, murmelt sie dann. »Ja, gibt’s denn des aa.«

Der Bub ist ihr erster Enkelsohn, dessen Taufe am nächsten Tag bevorsteht.

»Die deutsche Mark gibt es schon immer«, spricht sie sodann feierlich.

»Die gibt es seit 1948, das müssten Sie eigentlich noch wissen.«

»So alt bin ich noch nicht«, sagt sie beleidigt. »Da war ich noch ganz klein.«

»Vorher gab es die Reichsmark, seit 1923. Da war ich grad geboren.« Er stutzt, überlegt. »Halt! Stimmt nicht. Die Reichsmark gab es erst 1924. Erst hieß sie Rentenmark, nach dem Ende der Inflation, also im November ’23. Dann nannte man sie Reichsmark. Die Mark als Währung gibt es grad seit hundert Jahren, bisserl später vielleicht. Muss ich mal im Lexikon nachschauen. Vorher gab es Gulden und Taler und Kreuzer und was weiß ich noch.«

Das ist schon fast ein Vortrag, Alma steht an der Tür, die leere Kaffeekanne in der Hand, sie hat andächtig gelauscht.

»Das muss ich meinem Schwiegersohn erzählen.«

»Ein kluger Mann wie Ihr Schwiegersohn, der ja Geschäftsmann ist, weiß das bestimmt.«

Sie verschwindet mit der Kaffeekanne, und Franz behält das letzte Wort, was ihm selten bei Alma gelingt.

Er grinst vor sich hin. Wehe, der Schwiegersohn weiß das nicht, dann bekommt er was zu hören.

Ist eigentlich ganz interessant, darüber nachzudenken. Er muss wirklich mal ins Lexikon schauen und nachlesen, wann man die Mark eingeführt hat, gleich ’71 oder später. Goldmark nannte die sich.

Franz blickt hinaus auf den See, der im Sonnenlicht schimmert. Es ist ein warmer Tag Ende Mai.

Alma verschwindet heute früher als sonst, für die Taufe werden eine Menge Gäste erwartet. Die Familie der Kindsmutter, die Familie vom Schwiegersohn, ein Cousin, als Taufpate auserwählt, der ist Oberstudienrat in Regensburg, Mathematik, wie Franz bekannt ist. Der müsste das eigentlich genau wissen, das mit der Mark und dem Euro.

Als Alma sich verabschiedet, drückt Franz ihr ein Kuvert mit dreihundert Mark in die Hand. Das erscheint ihm vernünftiger als ein silberner Löffel oder was man sonst einem Täufling schenkt.

»Herzliche Grüße an alle«, sagt er, »und viel Glück für den Buben.«

Ganz sicher ist er aber nicht, ob die Zeit noch einmal so rosig sein wird, wie sie seiner Generation, jedenfalls in der zweiten Hälfte ihres Lebens, beschert worden ist. Unwillkürlich denkt er an die Taufe seines Sohnes. Das war 1949 und, richtig, da war die D-Mark noch ganz jung, aber sie bewährte sich schon. Schlecht war es ihnen auch vorher nicht gegangen, sein Vater hatte genügend Ware gehortet, die sich auf dem Schwarzen Markt gut verkaufen ließ. Aber das Wichtigste war, sie hatten den Krieg heil überstanden, sein Bruder und er. Und er liebte Maria, seine junge Frau, die er kurz nach Kriegsende geheiratet hatte, und nun also war ein Sohn geboren worden. Er bekam den Namen Georg. Ein gesundes Baby, ein hübscher Bub, später allerdings gab es Ärger, Sorgen, Enttäuschungen. Wie das so oft ist, wenn Kinder heranwachsen.

Doch an seinen Sohn will er jetzt nicht denken, er hat seit drei Jahren nichts von ihm gehört, dafür reicht der Begriff Enttäuschung nicht aus, das verursacht Schmerz und Bitterkeit, auch Zorn.

Nein, keine schlechten Gedanken an einem sonnigen Morgen im Mai.

Franz steht auf, reckt und streckt sich, und der Hund, der vorn auf der Veranda liegt, tut das Gleiche.

»Gehn wir mal runter zum See, Jacko«, sagt Franz. »Schaun wir mal, ob wir die Jacht von unserem Seefahrer entdecken. Wie der allerdings heute segeln will, ist mir ein Rätsel, keine Spur von Wind, nicht die kleinste Brise. Oder spürst du was?«

Der Hund schüttelt sich, streckt sich noch mal und trabt dann mit Franz die Stufen hinunter zum Garten.

Der Hund heißt Jacko, eigentlich Jacquino, und genau genommen heißt er gar nicht.

Klaus hat ihn aus Italien mitgebracht, das war, nachdem sie sich entschlossen hatten, an den Starnberger See hinauszuziehen, für ganz.

Klaus hatte ein bisschen gemauert, damals. So alt sei er noch nicht, dass er sich schon in Vaters Haus zur Ruhe setzen müsste. Doch der kleine Herzinfarkt vor zwei Jahren war nicht wegzudiskutieren, und Franz hatte gesagt: »Soll ich vielleicht allein da draußen herumlungern? Du willst ja partout, dass ich aufhöre zu arbeiten.«

»Du hast genug in deinem Leben gearbeitet. Früher hast du immer gesagt, du freust dich darauf, draußen am See leben zu können, Sommer wie Winter, und nicht nur mal am Wochenende kurz vorbeischaun. Und wo ich das Haus nun so schön umgebaut und erweitert habe …«

Daraufhin hatte Franz geschwiegen. Dass sie draußen am See leben würden, ohne die Fron der täglichen Arbeit, das war Marieles Wunsch gewesen. Sie stammte aus Bernried, sie liebte nicht nur den See, auch die nahen Berge, die man bei schönem Wetter und erst recht bei Föhn sehen kann.

Umbau und Erweiterung des Hauses waren ihre Idee gewesen, und Klaus, der Architekt, hatte umgebaut, wie Mariele es sich gewünscht hatte.

Doch dann war Maria Seebacher gestorben, und Franz hatte nicht mehr den Wunsch, am See zu leben. Klaus hatte es verstanden, auch ihm war das schön hergerichtete Haus für einige Zeit verleidet gewesen. Obwohl er ein Segelboot besaß und draußen am und auf dem See oft seine Zeit verbrachte.

Die Brüder sprachen nicht über Marieles Tod, aber sie dachten beide das Gleiche: dass es nicht zuletzt der Kummer um den verschwundenen Sohn, ihr einziges Kind, gewesen war, der Maria die Krankheit und den frühen Tod gebracht hatte.

Jacko

Ehe sie also ihren Altersruhesitz bezogen, wie Klaus es spöttisch nannte, begab er sich auf eine Italienreise, in Begleitung einer jungen Dame, in die er sich verliebt hatte. Wieder einmal, wie so oft in seinem Leben.

Von dieser Reise brachte er den Hund mit.

In Siena auf dem Markt war es, dort hatte er gesehen, wie ein altes, fettes Weib mit einem Stock auf einen jungen Schäferhund eindrosch, der zusammengesunken, fast zusammengeschrumpft, auf dem Boden lag und nicht einmal mehr ein Winseln herausbrachte.

Mit zwei Schritten war Klaus da, mit der einen Hand riss er dem Weib die Leine aus der Hand, mit der anderen einen Hundertausend-Lire-Schein aus der Hosentasche. Er hielt ihn der Alten hin.

»Per il cane«, sagte er. Und ging dann eilig mit dem Hund davon, der kaum laufen konnte, so schmerzte ihn jeder Knochen.

Seine junge Freundin folgte ihm, zunächst sprachlos, dann sagte sie: »Sag mal, spinnst du? Was willst du denn mit dem verlausten Köter?«

»Ich habe ihn gekauft, das hast du ja gesehen. Ich nehme ihn mit.«

»Du nimmst ihn mit? Wohin denn?«

»Zu mir nach Hause. Wohin denn sonst?«

»Der kann ja kaum mehr kriechen, der ist total hin. Am besten lässt du ihn hier liegen, der verreckt sowieso gleich.«

Klaus gab ihr nur einen kurzen Blick, zog den Hund hinter sich her.

Beim Hotel angekommen, wollte er den Hund in sein Auto bugsieren, doch der hatte sich so weit erholt, dass er sich wehrte und nach Klaus schnappte.

»Das geschieht dir recht«, sagte die junge Dame.

»Es beweist, dass er doch nicht total hin ist. Na, komm! Komm, Jacquino. Sei brav. Keiner tut dir was.«

Der Hund wich zurück und hob die Lefzen.

»Das gönn ich dir aber, wenn er dich beißt«, so sie.

»Halt die Klappe«, so er.

Das war das Ende einer ganz hübsch begonnenen Liebesaffäre. Es dauerte eine Weile, bis es Klaus gelang, mit leisen, liebevollen Lauten den Hund so weit zu beruhigen, dass er sich anfassen ließ. Er senkte tief den Kopf, blickte von unten herauf mit ängstlichen Augen nach der Hand, die nicht nach ihm schlug, die ihn sacht streichelte.

Er winselte, als Klaus ihn hochhob und eine Weile auf dem Arm hielt. Der Hund war klapperdürr, und er roch wirklich nicht gut.

»Mach die hintere Tür auf«, befahl Klaus. Die junge Dame gehorchte, wenn auch kopfschüttelnd. Dann lag der Hund auf dem Rücksitz des BMW.

»Und nun?«, fragte sie. »Soll er hier übernachten?«

»Es ist gerade zwölf Uhr mittags. Er soll ruhiger werden, und wenn er merkt, dass ihm keiner was tut, wird er mit sich reden lassen.«

»Viel Spaß. Bis wir zurückkommen, wird er den Wagen zerfetzt haben.«

»Zurückkommen von wo?«

»Ich denke, wir wollten essen gehen.«

»Gehn wir nicht. Du machst oben die Koffer fertig und lässt sie runterbringen, ich zahle inzwischen das Hotel und erkläre denen, dass wir eilig abreisen müssen, familiärer Zwischenfall oder so was. Ins Hotel möchte ich den Hund wirklich nicht mitnehmen, also fahren wir weiter.«

»Du denkst doch nicht im Ernst, dass ich mit dem verlausten und verdreckten Köter in einem Auto sitze?«

Es endete damit, dass sie nach Florenz fuhren, er ihr am Bahnhof eine Fahrkarte erster Klasse für den Nachtzug kaufte und ihr dann einen größeren Geldschein in die Hand drückte.

»Es gibt hübsche Läden hier, kauf dir etwas Nettes. Ich bin dann gegen Abend bei Gandolfo, das ist …« Er beschrieb ihr die Lage des Lokals, das in einem Durchgang lag, von der Gasse aus kaum zu sehen war, jedoch von Kennern problemlos gefunden wurde. Und da Klaus oft in Florenz gewesen war, hauptsächlich wegen der Uffizien, kannte er auch diese Feinschmecker-Trattoria.

»Und darf ich fragen, was du jetzt vorhast?«, fragte sie, schon merklich kleinlauter.

»Ich werde versuchen, einen Tierarzt aufzutreiben. Der Hund muss untersucht und vor allem geimpft werden, wenn ich ihn über die Grenze mitnehmen will. Sicher hat der Arzt auch ein Mittel gegen Läuse und Ähnliches, die Zecken müssen auch entfernt werden, ich habe schon mehrere entdeckt. Und vielleicht gelingt es mir auch, ihn zu bürsten, damit er etwas zivilisierter aussieht.«

»Du bist total verrückt.«

»Mag sein. Also bis später dann, wenn du willst. Dein Gepäck ist am Bahnhof, die Fahrkarte hast du.«

»Du kannst es kaum erwarten, mich loszuwerden, was? Bloß wegen diesem grässlichen Köter.«

Klaus ersparte sich die Antwort. Im Telefonbuch suchte er nach einem Tierarzt, schwankte zwischen zwei Adressen, rief erstmal an, fand eine von den Stimmen sympathisch und fuhr dahin.

Bisher hatte der Hund das Auto nicht verlassen, aber jetzt stieg er bereitwillig mit aus und hob sogleich ganz normal das Bein.

»Na, siehst du, Jacquino. Das geht besser, als du denkst. Und jetzt bist du ganz brav, wenn wir uns anhören, was der Onkel Doktor zu sagen hat.«

Der Onkel Doktor stellte fest, dass der Hund eine Menge blauer Flecken und ein paar kleine Wunden hatte, aber sonst gesund sei. Die Zecken wurden entfernt, rasch und geübt, Jacquino kam gar nicht dazu, sich darüber zu wundern, genauso wenig wie über die Impfung. Ein wenig Läusepulver wurde auf sein Fell gestreut, den Rest der Packung bekam Klaus mit. Und dann war es schon so weit, dass der Hund sich streicheln ließ, den Kopf zur Seite legte, um der Stimme zu lauschen, die zwar mit fremden Worten, aber mit nie gehörtem freundlichem Klang zu ihm sprach.

Dann kaufte Klaus ein neues Halsband und eine neue Leine, und endlich landeten die beiden bei »Gandolfo«. Es war zwar noch früh am Abend, Italiener pflegten um diese Zeit nicht zu essen, aber Klaus hatte nun redlich Hunger und freute sich auf ein ausgedehntes Mahl.

Während er es sich an einem Ecktisch im noch leeren Lokal bequem machte, wurde ihm klar, dass der Hund auch Hunger haben musste. Mager, wie er war, hatte er sowieso bisher nicht viel zu essen bekommen, und an diesem Tag gar nichts. Also stand Klaus auf, lächelte dem jungen Kellner zu, der ihn empfangen und begrüßt hatte, drückte ihm die Leine in die Hand und sagte: »Aspetti uno momento. Voglio parlare con Gandolfo.«

Sein Italienisch war nicht gerade perfekt, aber er konnte sich immerhin verständigen.

Gandolfo war in der Küche, es gab eine lebhafte Begrüßung, und dann trug Klaus seine Wünsche vor. Dass er einen Hund bei sich habe, sagte er, und da er den ganzen Tag gefahren sei, habe der Hund noch nichts zu fressen bekommen, und ob man vielleicht und so weiter. Wo der Hund herkam und wie er zu ihm gekommen war, verschwieg er.

Da Gandolfo ein prächtiges Bollito misto anzubieten hatte, machte die Fütterung des Hundes kein Problem, eine große Scheibe gekochtes Fleisch, ein paar Löffel Reis und etwas Brühe, das müsste Jacquino gefallen, sagte Klaus, und er gebrauchte ganz geläufig diesen Namen für den Hund, von dem er selbst nicht wusste, wieso er ihm eingefallen war. Nur leider, fügte er hinzu, die Schüssel für den Hund habe er im Auto vergessen, und das stehe auf der anderen Seite des Arno. Darin sah Gandolfo kein Problem. Schüsseln habe er schließlich genug, und dann machte er sich daran, das Essen für Jacquino zuzubereiten.

Klaus war gespannt und auch ein wenig beunruhigt, er wusste ja nicht, wie der Hund sich benehmen würde. Hatte er je schon aus einer Schüssel gefressen? Würde er dieses ungewohnte Futter wild herunterschlingen oder möglicherweise sogar ablehnen? Das sollte der endgültige Test sein, seine Fahrkarte nach Deutschland gewissermaßen.

Jacquino schnupperte vorsichtig an der Schüssel, blickte zu Gandolfo auf, der es sich nicht hatte nehmen lassen, eigenhändig zu servieren, dann blickte er seinen Retter an, der sich wieder an den Tisch gesetzt hatte, und dann begann er zu fressen, langsam, direkt behutsam, es war eine seltsame, nie gekostete Mahlzeit, und es schien, als genieße der Hund jeden Bissen. Er schleckte die Schüssel sorgfältig aus, dann blickte er wieder auf die beiden Männer, und es kam ein tiefer Seufzer aus seiner Brust.

»Ecco!«, sagte Gandolfo zufrieden und begab sich wieder in seine Küche. Von dort brachte der junge Kellner kurz darauf den ersten Gang für den Mann, und für den Hund eine Schüssel mit Wasser.

Klaus hatte seine Pasta halb verspeist, da erschien die junge Dame an der Tür.

Sie hatte einige Tüten bei sich, war nun bester Laune, sah verwundert den Hund an, der sie jedoch nicht beachtete.

»Na, der sieht ja auf einmal ganz manierlich aus«, bemerkte sie. »Mit dem kann man ja wirklich in einem Wagen sitzen.«

Das war ein Irrtum ihrerseits. Klaus, der schließlich ein höflicher Mann war, brachte sie an den Zug und setzte sie in ihr Schlafwagenabteil, verabschiedete sich mit einigen nichtssagenden Worten und verschwand aus ihrem Leben.

»Wie bist du auf die Idee gekommen, ihn Jacquino zu nennen?«, fragte Franz, als Klaus mit dem Hund am Starnberger See eintraf.

»Weiß ich auch nicht. Der Name kam mir ganz von selbst über die Lippen.«

»Du hättest ihn genauso gut Fidelio nennen können.«

Klaus kapierte sofort.

»Richtig. Der zweite Tenor im Fidelio. Aber das ging ja nicht, denn Fidelio ist in Wirklichkeit Leonore. Also habe ich im Unterbewusstsein ganz richtig reagiert.«

Klaus lachte zufrieden und strich dem Hund über die Ohren, die der bereits nicht mehr hängen ließ, sondern wachsam aufstellte.

Der Hund hieß Jacquino, jedenfalls für die Hundesteuer, sonst wurde er Jacko genannt, und das Elend seiner Jugendtage vergaß er rasch. Er hatte ein Haus, einen Garten, eine Alma, die gut für ihn kochte, zwei Männer, die ihn liebten. Nur auf dem Boot hielt er sich nicht gern auf, ebenso wenig im Wasser.

Franz und Jacko gehen durch den Garten, der mit leichter Neigung zum Ufer führt. Hier stehen sie eine Weile und halten Ausschau nach dem Boot, das weit und breit nicht zu entdecken ist, die leiseste Spur von Wind ist auch nicht zu verspüren. Es befinden sich kaum Segelschiffe auf dem See, logisch, bei der Flaute.

Franz hat auf dem Segel der »Bianca« einen blauen Kringel anbringen lassen, damit er die Jolle auch aus der Ferne erkennen kann.

»Bianca« heißt die Jolle, weil Klaus damals, als er sie kaufte, oder, genauer gesagt, gegen eine kleinere eintauschte, gerade eine Freundin dieses Namens hatte. Es gab inzwischen noch ein paar andere Damen, aber man kann ja nicht jedes Mal das Boot umtaufen, manche Beziehung währt auch nicht lange, siehe Siena.

Nichts zu sehen von der »Bianca«, obwohl es ein ganz klarer Tag ist, keine Wolke am Himmel, die Berge sind im Dunst zu sehen, also auch keine Spur von Föhn.

»Vielleicht«, erklärt Franz dem Hund, »hat es heute früh eine kleine Brise gegeben, einen leichten Morgenwind, noch übrig geblieben von der Nacht, das gibt es ja manchmal. Weit kann er nicht gekommen sein, möglicherweise ist er schon wieder im Jachtclub gelandet und poussiert dort mit der hübschen Dunkelhaarigen aus Gauting. Es heißt, sie hätte dort eine Boutique.«

Dann blickt Franz ins Wasser. Ob er es mal versucht? Es ist zwar erst Ende Mai, doch ein wirklich warmer Tag. Alma ist weg, die Haustür ist verschlossen, den Garten kann man von keiner Seite aus einsehen, höchstens vom See aus. Kurz entschlossen streift er Hemd, Hose und den Slip herunter, klatscht sich mit der Hand ärgerlich auf den Bauch, dabei ist es wirklich nur eine kleine Wölbung, ein Bäuchlein, keine Wampe. Er geht auf den Steg hinaus, steigt die Stufen zum Wasser hinab, taucht einen Fuß hinein, macht »Brrr!«, dreht sich um und stößt sich mit Schwung ab. Er schwimmt mit kräftigen Zügen in den See hinaus, macht einen Bogen und krault zurück. Kalt ist es schon, aber es ist herrlich.

»Na, Jacko, wie wär’s? Kommst du?«

Das kann er sich sparen, Jacko geht nicht ins Wasser, man muss ihn vom Steg aus hineinschubsen, darum vermeidet er den Steg, bleibt lieber im Garten sitzen und schüttelt den Kopf über diesen verrückten deutschen Signore.

Franz steigt an Land, hopst eine Weile im Gras herum, ist höchst zufrieden mit sich.

»Das mache ich jetzt jeden Tag, ob es dir passt oder nicht.«

Er hält noch mal nach der »Bianca« Ausschau, nichts zu sehen. »Jetzt ziehe ich mich an, und dann machen wir einen schönen großen Spaziergang. Wir gehen runter zum Lidl und schauen, was er für Fische gefangen hat. Ich könnte zum Mittagessen Renken braten. Oder vielleicht hat er wieder mal einen Hecht erwischt, das wäre natürlich großartig. Haben wir lange nicht gehabt. Kartoffeln sind da, Butter ist da, Salat bringen wir mit. Dem Klaus legen wir einen Zettel hin, dass wir einkaufen gegangen sind, und wenn er mit der aus Gauting zum Essen geht, ist er selber schuld.«

Der Hund hat geduldig zugehört, Franz beendet seine Hopserei und geht ins Haus.

Er kocht sehr gern. Früher hat er keine Zeit dafür gehabt, aber jetzt hat er sich sogar eine gewisse Raffinesse bei der Zubereitung der Speisen angewöhnt. Er kocht auf jeden Fall besser als Alma und sogar noch besser, als sein Mariele gekocht hat. Sogar mehrere Kochbücher hat er sich zugelegt, ganz moderne, um gelegentlich etwas Neues ausprobieren zu können. Die braucht er bei Hecht und Renken nicht, die kann er auswendig.

Manchmal hat er den Wunsch, sich mit seinem Können zu produzieren, dann laden sie Gäste ein, den Maler aus der Nachbarschaft, den Doktor Freese, der so was wie ihr Hausarzt geworden ist und noch nicht lange am See praktiziert. Die Praxis hat er von einem älteren Kollegen übernommen, der sich zur Ruhe gesetzt hat.

Außerdem gibt es noch ein paar Bekannte aus dem Ort oder aus der Umgebung, die kommen auch gern, wenn Franz kocht.

Und am Wochenende lädt Franz manchmal auch seinen Nachfolger in der Firma mit Frau und Kindern ein.

Franz pfeift vor sich hin, als er in flottem Tempo erst am See entlang, dann durch den Ort marschiert, zur Evangelischen Akademie abbiegt, an dem verrotteten Hotel Seehof vorbei wieder zum See kommt und schließlich zum Lidl gelangt, der nicht nur Fischer ist, sondern auch ein Hotel und ein Restaurant besitzt, in dem man gut essen kann wie bei Franz.

Jacko trabt vergnügt neben ihm her, trifft beim Anleger die Hundedame, die der Stegwartin gehört, nimmt sich Zeit zu einem kurzen Gespräch, eilt dann seinem Herrchen nach, er möchte bei dem Einkauf in der Nähe sein. Erstens riecht es da so gut, und zweitens hat der Lidl auch einen Hund, zwar keine Dame, aber einen netten Kumpel.

Weiß Jacko eigentlich, was für ein Glückshund er ist? Was für ein Schutzengel über ihm gewacht hat, damals in Siena? Hat er es vergessen, oder hat er manchmal böse Träume? Denkt er noch daran, wenn ihn liebevolle Hände streicheln, wie die Schläge geschmerzt haben?

Die Firma

Um mich nicht unnötig mit Rückblenden aufzuhalten, sei hier die Geschichte der Familie und der Firma kurz zusammengefasst.

Großvater Franz Seebacher war, wenn man es so nennen will, der Gründer der Firma, obwohl es damals noch keine Firma gab, nur einen fleißigen Mann mit Unternehmungsgeist, der offen war für Innovation, wie man das heute nennt. Er war Ofenbauer, Ofensetzer, wie das zu seiner Zeit hieß, und in seiner Arbeit sehr einfallsreich. Er schuf nicht nur einfache Blechdinger mit einem Ofenrohr, er gestaltete moderne Öfen, so zum Beispiel ansehnliche Kachelöfen, schön verziert, man konnte sagen, er war ein Künstler in seinem Handwerk.

Den Menschen in der Stadt München ging es recht gut, jedenfalls in gehobenen Kreisen, dem Königshaus, dem Hof, dem Adel und vor allem den Gelehrten und Professoren, die König Max Joseph nach München geholt hatte, den Künstlern. Musiker und Sänger, die großen Maler, die dann zur Zeit von Ludwig II. in München ansässig wurden, in prachtvollen Häusern und Villen wohnten, gehörten zu einer wohlhabenden, auch anspruchsvollen Gesellschaft. Und die wollte es warm haben im Winter, und hübsch aussehen sollten die Öfen in den Villen und Palais auch.

Franz Seebacher war 1860 geboren worden und somit in der glücklichen Lage, dass kein Krieg sein Leben und seinen Aufstieg behindert hatte. Für den Siebziger-Krieg war er noch zu jung gewesen, 1914 war er zu alt. Seinem Sohn Georg allerdings, 1889 geboren, blieb der Krieg nicht erspart. Vor Verdun wurde er verwundet, ein Granatsplitter in der Brust, der das Herz verschonte, aber die Lunge beschädigte, beendete den Krieg für ihn. Er arbeitete in der Werkstatt seines Vaters, er war genauso fleißig und einfallsreich wie der Alte. Nur Atemschwierigkeiten machten ihm oft zu schaffen, eine Folge der Verwundung.

Der Krieg war verloren, es kamen ein paar schwierige Jahre, doch nach dem Ende der Inflation ging es ständig aufwärts mit dem neuen Geld. Reiche Leute gab es auch bald wieder, denn wie immer hatten manche am Krieg und in der Nachkriegszeit gut verdient. Es gab nun neue Typen von Öfen; einen Koksofen zum Beispiel, der von einem Raum aus die ganze Wohnung heizte, Gasheizungen, und vor allem die Zentralheizung, die, im Keller installiert, das ganze Haus erwärmte.

Ein Badezimmer wollte jetzt jeder haben und selbstverständlich auch eine gut ausgestattete Toilette, und war die Wohnung oder das Haus groß, durften es auch zwei oder drei sein. Um die Jahrhundertwende waren prächtige Häuser in München gebaut worden, nun auch außerhalb der Innenstadt, oft im pompösen Jugendstil, mit großen und hohen Räumen, stuckverzierten Decken und ausreichend Platz für Hauspersonal. Das sollte nicht das gleiche Klo wie die Herrschaften benutzen, verständlicherweise, also gehörten zum Mädchenzimmer, für den Diener, die Köchin eine eigene Toilette.

Im Laufe der zwanziger und dreißiger Jahre wurde aus dem Handwerksbetrieb Seebacher eine Firma mit Arbeitern und Angestellten. Unbeschadet überstanden sie auch die Jahre der Wirtschaftskrise.

Der Großvater erlebte es mit Befriedigung, er wurde sage und schreibe einundneunzig Jahre alt, war stolz auf seinen Sohn Georg und seinen Enkel Franz. Einen Krieg allerdings musste er zum dritten Mal erleben.

Sein Sohn schaffte die neunzig nicht, er starb in der Mitte der fünfziger Jahre, immerhin bekam er das Wirtschaftswunder mit, den rapiden Aufstieg der Firma Seebacher. Für beide aber, für den Großvater und den Vater, war das Wichtigste, dass Söhne und Enkel auch diesen Krieg überlebten.

Franz, der von Jugend auf in der Firma gearbeitet hatte, wurde nun der Chef. Sein Bruder Klaus, 1928 geboren, durfte als Erster in der Familie studieren, an der Technischen Hochschule in München. Er wurde ein erfolgreicher Architekt und verdiente gutes Geld, denn für ihn ebenso wie für die Firma Seebacher bedeuteten die in Trümmer liegenden Städte, das zerbombte München, Arbeit, Aufträge, Erfolg, Reichtum. So absurd geht es auf dieser Erde nun einmal zu.

Klaus, ein eifriger Liebhaber, heiratete spät und wurde dann doch nicht so glücklich mit seiner Frau wie Franz mit seinem Mariele. Unbeständig, wie er war, betrog er seine Frau ab und zu und einmal zu oft, sie ließ sich scheiden. Kinder gab es keine. Was Klaus sehr bedauerte, denn er hätte gern welche gehabt. Vielleicht wäre seine Ehe dann besser gelungen.

Aber auch bei Franz und Mariele hatte es nicht so geklappt, wie sie wollten, sie waren schon fast fünf Jahre verheiratet, als Maria einen Sohn gebar. Zwei Jahre darauf hatte sie eine Fehlgeburt, und dann wurde sie nicht mehr schwanger.

Georg, von ihr zärtlich Schorschi genannt, blieb ihr einziges Kind.

Der Sohn

Er war ein zauberhaftes Kind, mit Marias großen, dunklen Augen, ihrem lockigen, hellbraunen Haar, anmutig, anschmiegsam. Mit der Zeit jedoch wurde er quengelig und eigenwillig, hatte immer neue Wünsche, die ihm bereitwillig erfüllt wurden. Ein Kind, das in einer Zeit des Friedens und des wachsenden Wohlstands aufwuchs, das bekam, was es wollte, ein Kind, das geliebt, verwöhnt und verhätschelt wurde.

Franz beteiligte sich kaum an der Erziehung, er war mit der florierenden, sich ständig vergrößernden Firma beschäftigt. Erhob er wirklich einmal Einspruch, beispielsweise mit der Frage: »Wozu braucht er denn schon wieder ein neues Radl? Das vorige ist ja erst ein Jahr alt«, bekam er von Mariele die Antwort: »Er ist ja so gescheit. Du hast ja seine Zeugnisse gesehen. Oder hast sie nicht angesehn?«

»Freilich«, antwortete Franz darauf halb stolz, halb widerwillig, denn dass der Junge das Gymnasium besuchte und gut damit zurechtkam, beeindruckte ihn selbstverständlich, er war nur in eine Volksschule gegangen.

Intelligent war der Schorschi schon, und gerissen dazu. Mit achtzehn machte er den Führerschein und bekam auch gleich einen eigenen Wagen. Das veranlasste seine Mutter, und schuld daran war die Affäre.

Mit den Mädchen hatte es sehr früh begonnen, was Mariele natürlich nicht so recht gewesen war, aber was konnte der Bub für sein gutes Aussehen, kein Mädchen könnte ihm widerstehen, fand sie. Dann war es jedoch auf einmal kein junges Mädchen, sondern eine Frau von dreißig gewesen und verheiratet außerdem. Das hatte Maria nicht gewusst, sie erfuhr es erst, als es zum Skandal kam, weil der Ehemann alles herausbekam.

»Wenn er einen eigenen Wagen hat«, so argumentierte Mariele, »braucht er nicht mit einer Frau herumzupoussieren, die einen Wagen hat.«

Also bekam der Schorschi ein Auto. Immerhin ging er da noch zur Schule und hatte keineswegs mehr so gute Zeugnisse wie in früheren Jahren. Es gab nun Dinge, die ihm dringlicher waren, als zu lernen, geschweige denn zu büffeln. Doch er schaffte das Abitur und kam dann mit dem Wunsch zu studieren.

Franz hielt das für überflüssig, seiner Vorstellung nach sollte Georg in die Firma kommen, dort alles lernen, was notwendig war, und später sein Nachfolger werden.

»Heizungen, Bäder und sanitäre Anlagen interessieren mich einen Dreck«, sagte der Junge frech.

Das ärgerte Franz verständlicherweise, und Maria dachte nun manchmal darüber nach, was sie eigentlich falsch gemacht hatte.

Was er studieren wollte, darüber war sich Seebacher junior nicht ganz im Klaren. Aber es war nun mal Mode geworden, dass die Jungen und Mädchen studierten, wenn sie sich schon mit dem Abi geplagt hatten, und so sagte er: »Wir können uns das schließlich leisten.«

Dank der Heizungen, Bäder und sanitären Anlagen, die ihn einen Dreck interessierten. Aber das war nur der Anfang vom Ärger.

Man einigte sich schließlich auf Betriebswirtschaft. Franz, der seinen Sohn nach wie vor als Nachfolger in der Firma sah, dachte sich, dass es nicht schaden könnte in dieser anspruchsvollen neuen Zeit theoretische Kenntnisse zu erwerben.

Dann aber geriet der Schorschi in die Folgen der 68er-Unruhen und beteiligte sich mit großer Begeisterung daran. Demos, Krawalle, in den Hörsälen herumschreien, die Professoren beleidigen, das war eine großartige Sache, da machte das Studium richtigen Spaß.

Entsprechend gab er zu Hause an, sein Umgangston wurde rotzig, nicht nur mit dem Vater gab es Streit, manchmal recht lautstark, auch die Mutter wies ihn energisch zurecht. Das war die Zeit, in der Mariele zu leiden begann.

Schließlich zog Georg Seebacher, gerade zweiundzwanzig Jahre alt, zu Hause aus und lebte fortan in einer Kommune. Allerdings nicht lange, denn er war nun mal an ein großes, wohleingerichtetes Haus gewöhnt, reichlich mit Bädern, Heizung und sanitären Anlagen versehen. Unglücklicherweise hatte er in der Kommune etwas gelernt, was die Eltern von den Weltverbesserern eigentlich nicht erwartet hatten: Er wurde ein Spieler.

Mit Pokern hatte es angefangen, bald ging er ins Spielcasino. Das Studium beendete er nie, einen Beruf erlernte er nicht, Vaters Firma war nur als Geldquelle von Interesse. Und da er natürlich selten gewann, meistens verlor, hatte er Schulden. Er gab ungedeckte Schecks aus, verschwand klammheimlich aus Hotels, ohne zu zahlen, und da er sich immer auf die Firma Seebacher berief, blieb Franz nichts anderes übrig, als zu zahlen. Nebenbei liefen immer noch ausreichend Frauengeschichten, denn der gutaussehende Schorschi war in seinen Kreisen sehr beliebt. Man lieh ihm bereitwillig Geld, natürlich um den lukrativen Vater wissend, ab und zu hielten ihn auch Frauen aus.

Keine Demos mehr, keine Kommune, kein Studium, längst vergessen und von ihm selbst verlacht. Er wohnte jetzt in teuren Hotels, spielte in Baden-Baden, in Lindau, am Tegernsee und gelegentlich auch in Monte Carlo.

Maria wurde immer stiller. Wenn ihr Sohn sich zu Hause einfand, was immer dann vorkam, wenn er pleite war oder sein Vater sich weigerte, die Schulden zu bezahlen, umschmeichelte er seine Mutter wie früher, nahm sie in die Arme, gelobte Besserung. Maria erholte sich dann vorübergehend von ihrem Kummer, aber die Sorge, die Angst vor dem, was geschehen würde, blieb.

Franz vermied Szenen und Streit. Er wollte ja nicht, dass sein Mariele litte, dass sie traurig wäre. Sie war dünn geworden, weinte oft, manchmal ohne Grund. Und Franz gab die Hoffnung nicht auf, dass sein Sohn eines Tages zu Verstand kommen würde, die Revoluzzerzeit, die Kommune war ja auch vorübergegangen, heute nannte es der Schorschi selbst Jugendtorheiten, sah dabei seinem Vater fest in die Augen und hatte die gleiche treuherzige Art wie als kleiner Bub. Er war nun mal sein einziges Kind. Franz schluckte vieles, verzieh und zahlte. Und arbeitete mehr denn je, obwohl er nun einen sehr guten Mitarbeiter hatte, dem er später einmal die Firma würde anvertrauen können.

Das sagte er eines Tages zu Maria, und sie erwiderte darauf: »Ich bin sehr froh, dass du den Moser hast. Ich mag ihn gern. Und seine Frau auch. Und nette Kinder hat er auch. Ich habe mir schon gedacht, dass er … Ich meine, ich wäre sehr froh, wenn du nicht mehr so viel arbeiten würdest.«

Das war die Zeit, als sie den Wunsch äußerte, ob man nicht das Haus am See umbauen und vergrößern könne.

»Ich möchte so gern wieder an meinem See leben. Ich meine, später einmal, wenn wir älter sind.«

Es war noch nie vorgekommen, dass sie einen Wunsch geäußert hatte, der mit einer größeren Geldausgabe verbunden war. Aber es stand wohl das Verlangen nach Flucht dahinter, nach einer Flucht vor dem unberechenbaren Gehen und Kommen ihres Sohnes. Und der Starnberger See war nun einmal ihre Heimat. Das Grundstück am See und das kleine Haus, das sich darauf befand, hatte der Vater von Franz und Klaus schon vor dem Krieg erworben, hauptsächlich weil auch er gern auf dem See herumgondelte, zunächst nur mit einem Ruderboot, später mit einer kleinen Jolle.

Am See hatte Franz auch die junge Maria aus Bernried kennengelernt, als er während des Krieges auf Urlaub war. Er hatte sich gleich in sie verliebt, sie nach Kriegsende geheiratet, und er liebte sie bis zu ihrem Tod. Denn dahin führte ihre Flucht, nicht an den See.

Zunächst jedoch bekam Klaus den Auftrag, das Haus umzubauen beziehungsweise zu vergrößern, zwei ordentliche, geräumige Wohnungen sollten entstehen, eine davon für Klaus, denn der hielt sich gern auf dem See auf, das hatte er von seinem Vater übernommen.

Doch der Kummer mit Schorschi nahm plötzlich ein Ende, oder jedenfalls schien es so, als er überraschend heiratete. Da war er bereits fünfunddreißig. Eines Tages tauchte er bei seinen Eltern auf und präsentierte ihnen Eva-Maria, eine sehr hübsche, etwas dralle Blonde, als zukünftige Ehefrau. Eine solide, vernünftige Person, so schien es, und sie wusste Bescheid über Georgs Laster, denn sie erklärte ihren Schwiegereltern gleich beim ersten Zusammentreffen: »Ich werde ihm das abgewöhnen.« Das klang ebenso energisch wie sicher, und es gewann ihr Marias Herz.

Eva-Maria war eine Metzgerstochter aus Traunstein, aus gutbetuchtem Haus auch sie, ihr Sinn stand nach Höherem, ihr Traum war eine Laufbahn im Hotelgewerbe, möglichst international. Englisch sprach sie schon perfekt, mit Französisch plagte sie sich noch herum, Spanisch würde dann als Nächstes drankommen. So weit ihre Pläne. Ihr Pech, dass sie sich verliebte.

Nach einer Praktikantenzeit im Parkhotel in Traunstein besuchte sie die Hotelfachschule im Hotel Axelmannstein in Bad Reichenhall. In diesem Hotel wohnte Georg Seebacher, weil es in Bad Reichenhall ein Spielcasino gab, und das Geld für Baden-Baden oder Monte Carlo nicht mehr reichte. Sein Vater hielt ihn knapp.

Eva-Maria arbeitete zu der Zeit im Service, und der gutaussehende junge Mann, der stets allein am Tisch saß, war ihr natürlich aufgefallen, genau wie ihren Kolleginnen auch. Die Mädchen grübelten darüber, wer er wohl sei, warum er so lange im Hotel wohnte, ohne Begleitung, zumal er offensichtlich keine Kur brauchte. Manchmal ging er zum Kurkonzert, abends saß er oft an der Bar, aber meist war er nicht zu sehen.

Eva-Maria bekam heraus, dass er ins Casino ging und spielte. Dass er seine Wochenrechnung im Hotel nicht bezahlt hatte, die erste nicht, die zweite nicht und nun die dritte auch nicht, erfuhr sie bald, einfach weil er es ihr erzählte.

Sie traf ihn eines Tages, es war ihr freier Nachmittag und Abend, im Kurpark auf einer Bank sitzend, eine Zigarette rauchend, mit trübseliger Miene.

Sie blieb stehen, sagte: »Hier sind die Leute, um ihre Bronchien und Stimmbänder zu erholen. Rauchen sollten Sie lieber nicht.«

Er stand auf, warf die Zigarette mit übertriebener Gebärde fort, trat sie aus, lächelte das Mädchen an auf seine gewohnte charmante Art und erwiderte: »Meinen Bronchien und meinen Stimmbändern fehlt nichts. Ich bin auch kein Sänger. Ich kann nur ein bisschen Gitarre spielen.«

»Oh, das finde ich aber schön! Ich liebe die Gitarre. Wenn einer sie gut spielen kann.«

»Ich kann’s vielleicht nicht so gut wie ein Spanier. Wenn ich darf, spiele ich Ihnen einmal etwas vor, Eva-Maria.«

»Sie kennen meinen Namen?«, fragte sie geschmeichelt.

»Bei einem hübschen Mädchen weiß ich immer gern, wie es heißt. Wollen Sie sich nicht ein wenig zu mir setzen?«

»Es ist mir zu kalt, um auf der Bank zu sitzen.«

Es war inzwischen Anfang November, eine ruhige Zeit in einem Kurbad, wenig Gäste, auch keine Gelegenheit zu einem Flirt.

»Dann gehen wir halt ein Stück spazieren, ja?«

»Sie wollen sich nur die Zeit vertreiben, bis Sie ins Casino gehen, Herr Seebacher, nicht wahr?«

»Sie kennen meinen Namen auch? Erstaunlich.«

Das war nun keineswegs erstaunlich, denn die Angestellten des Hotels, auch die Lehrlinge der Hotelfachschule, kannten die Namen der Gäste, speziell wenn sie gute Trinkgelder gaben, was Georg immer tat, wenn er gewonnen hatte.

Momentan hatte er eine Pechsträhne, und er hatte beschlossen, heute noch zu Hause anzurufen und seinen Vater, oder noch besser seine Mutter, um Geld zu bitten. Nein, in diesem Fall besser seinen Vater, denn dem konnte kaum angenehm sein, wenn der Sohn einer angesehenen Firma in München in einem angesehenen Hotel in Bayern Schulden machte und eventuell vor die Tür gesetzt würde. Dass dies bisher nicht geschehen war, konnte er sich leicht damit erklären, dass man eben in Bad Reichenhall die Firma Seebacher kannte. Ohne jede Scheu erzählte er dem jungen Mädchen von seinen derzeitigen Schwierigkeiten, während sie durch den Kurpark spazierten. Nicht ohne die Geschichte phantasievoll auszuschmücken.

»Mein Vater hat mich aus der Firma rausgeschmissen. Und ich durfte nicht fertig studieren.« Lüge Nummer eins und Lüge Nummer zwei.

»Weil Sie spielen?«

»Genau deswegen. Mein Vater findet es übel, wenn man sein Geld in einem Casino verdienen will.«

Eva-Maria erwiderte nur: »Ich finde es disgusting. Ihr Vater hat recht.«

Sie hatten den Kurpark verlassen und schlenderten unter dem fallenden Laub der Bäume Richtung Saalach.

»Das geschieht mir recht«, sagte er mit seiner treuherzigen Bubenstimme. »Bei Ihnen finde ich auch keinen Trost.«

»Was haben Sie denn studiert?«

»Philosophie«, antwortete Georg kühn. Lüge Nummer drei.

»Oh!«, machte sie bereitwillig.

»Mein Vater ist der Meinung, das sei ein unsinniges Studium und man habe wenig Aussicht auf einen gut bezahlten Beruf.«

»Kann sein, dass er recht hat«, sagte Eva-Maria nachdenklich.

»Was wollten Sie denn werden?«

»Sehen Sie, das ist es. So kann man nicht fragen, bei einem Studium dieser Art. Ich wollte halt gern promovieren und später schreiben.«

»Schreiben?«

»Bücher.«

»Aha!«

»Und nun hat mein Vater mich vor die Tür gesetzt. Ich soll selber sehen, was aus mir wird. Geld bekomme ich nicht mehr von ihm.«

Allzu viel Mitleid konnte er bei der praktisch denkenden Eva-Maria nicht wecken.

»Eigentlich«, sagte sie, »hat Ihr Vater recht. Sie sind alt genug, um Ihr eigenes Geld zu verdienen. Sie sind doch sicher schon …«

»Zweiunddreißig«, sagte er. Lüge Nummer vier.

»Ewig kann man nicht studieren. Und wenn Ihr Vater doch eine so gut gehende Firma hat …«

»Bäder, Heizungen, Sanitär«, leierte er herunter. »Können Sie sich vorstellen, dass man sich als Philosoph dafür interessiert?«

»Warum nicht?« antwortete sie kühl. »Philosophieren kann man eigentlich bei allem, was man tut.«

Er schwieg verblüfft. Dieses Mädchen war ihm überlegen.

»Hauptsache ist doch erst mal, dass man Geld verdient. Und dass man eine ordentliche Ausbildung hat. Oder was glauben Sie, warum ich hier bin? Sie gehen ins Casino und denken, damit kommen Sie zu Geld. Das ist doch ein Schmarrn.«

Spätestens hier hätte er erkennen müssen, dass er an eine stärkere Persönlichkeit geraten war, als er es selbst war. Stärker auch als seine Mutter, sogar als sein Vater.

»So, so«, murmelte er und starrte in die wild strömende Saalach, sie standen jetzt auf der Brücke.

Der Wind wehte heftig vom Staufen herab, Eva-Maria schauderte.

»Ihnen ist kalt«, sagte er besorgt und legte schützend den Arm um sie. »Sie haben auch nur eine dünne Jacke an. Warten Sie!« Er zog seinen Mantel aus, er trug natürlich einen, und legte ihn fürsorglich um ihre Schultern. Das machte sich gut, so etwas sah man manchmal im Kino.

»Nun werden Sie sich erkälten.«

»Ach, das macht doch nichts. Bei mir ist alles egal.« Es klang tragisch. Solche Töne mochte sie nicht.

»Kehren wir um«, sagte sie energisch. »Sie können mich beim Reber zu einem Kaffee einladen.«

Es dämmerte. Novembernachmittag. Eigentlich hatte sie vorgehabt, zum Bahnhof zu gehen und ihre Eltern und ihre Brüder zu besuchen. Aber sie hatte sich schon in diesen verkannten Philosophen verliebt, dessen Mantel sie wärmte. Der Gedanke an ihre Brüder veranlasste sie, zu fragen: »Haben Sie denn viele Geschwister?«

»Wie kommen Sie darauf?«

»Na, irgendeiner muss ja in der Firma arbeiten. Notfalls kann es auch ein Schwiegersohn sein.«

»Ich bin der Einzige. Ich habe weder Schwester noch Bruder.«

»Dann kann ich gut verstehen, dass sich Ihr Vater über Sie ärgert. Und Ihre Mutter? Was sagt sie denn zu Ihrem nutzlosen Leben? Oder haben Sie auch keine Mutter?«

So fing es an, vier Monate später waren sie verheiratet. Und vielleicht hätte Eva-Maria es sogar fertiggebracht, dass Georg in der Firma arbeitete, aber nun war Franz stur.

»Das ist zu spät«, erklärte er seiner Schwiegertochter.

»Man kann nicht von heute auf morgen in ein Unternehmen einsteigen, von dessen Aufgaben man keine Ahnung hat. Er hat keine handwerklichen, keine technischen Kenntnisse, er kann auch keine Bilanzen lesen. Und meine Mitarbeiter, die alle sehr motiviert sind, vom jüngsten Lehrbuben angefangen bis zu den leitenden Angestellten, würden sich bedanken, einen Nichtskönner, der sein Leben verbummelt hat, als Chef zu akzeptieren.«

Das war deutlich gesprochen, und es leuchtete Eva-Maria ein.

»Außerdem wird Ludwig Moser mein Teilhaber. Die Verträge sind schon aufgesetzt. Du hast ihn ja bei der Hochzeit kennengelernt. Und der wird später die Firma leiten, wenn ich mich zur Ruhe gesetzt habe.«

»Kann man sich bei dir schlecht vorstellen, Papa.«

»Es eilt ja auch nicht.«

Sie nannte ihn Papa, das irritierte Franz. Er hatte nie eine Tochter gehabt, eigentlich hätte ihn das Vorhandensein einer Schwiegertochter erfreuen müssen. Aber das war nicht so. Im Grunde mochte er Eva-Maria nicht besonders gern, er hätte nicht erklären können, warum es so war.

Er sprach einmal mit seinem Bruder darüber, und Klaus sagte: »Mein Typ ist sie auch nicht. Ihr Hintern ist zu dick.«

»Also darauf kommt es ja nicht an«, wies ihn Franz ärgerlich zurecht.

»Bei mir schon. Außerdem halte ich sie für ein eiskaltes kleines Biest.«

»Es besteht wirklich kein Grund, etwas gegen sie zu sagen. Bisher hat sie alles geschafft, was sie wollte.«

»Das Versprechen, ich weiß. Warten wir mal ab, wie lange es gilt.«

Denn sie wussten alle, es war kein Geheimnis daraus gemacht worden: Ehe Eva-Maria einwilligte, Georg zu heiraten, hatte sie ihm das Versprechen abgenommen, kein Spielcasino mehr zu besuchen. So ganz leicht war es ihr nicht gefallen, diese Ehe einzugehen. Sie musste einen Traum begraben, den Traum von einer internationalen Karriere im Hotelfach. Dafür verlangte sie das Versprechen.

Sie sagte auf ihre klare, kühle Art: »Ich liebe dich zwar. Ich liebe dich wirklich. Aber ich gebe etwas für dich auf. Und darum erwarte ich von dir, dass du auch für mich etwas aufgibst.«

Für Georg war das neu, einem solchen Menschen war er nie begegnet, und so seltsam das klingen mag, ihre Forderung entsprach seiner Spielernatur. Ich gebe, du gibst. Ich nehme, du nimmst.

Weder sein Vater noch seine Mutter hatten je in dieser Weise mit ihm gesprochen. Er musste unwillkürlich an seine Revoluzzerzeit denken, als sie alle so große Worte gesprochen, so tolle Pläne gehabt hatten. Was war daraus geworden? Weniger als nichts. Auch in diesem Punkt widersprach ihm Eva-Maria.

»Daraus sind schlecht erzogene Kinder geworden, unfähige Lehrer und Terroristen.«

So klar und einfach stellte sie es dar.

Die Hochzeit wurde sehr aufwendig gefeiert, in Traunstein inmitten einer großen Familie: ihre Eltern, ihre Brüder mit Frauen und Kindern, sie war die Jüngste, und jede Menge Onkel, Tanten, Cousins und Cousinen, Bekannte und Freunde.

Franz ertrug es mit leichter Verzweiflung, Mariele dagegen, die endlich eine Hoffnung für das Leben ihres Sohnes sah, gab sich große Mühe, mit den neuen Verwandten gut auszukommen. Klaus hatte sich gedrückt. Er hatte gerade eine Baustelle in Düsseldorf.

Dann kam die Sache mit der Hochzeitsreise. Auch hier entwickelte Eva-Maria eine originelle Idee. Italien, wie Georg vorschlug, lehnte sie ab.

»Kenne ich gut genug. Auch in Venedig war ich schon. Nein, ich möchte mal dorthin, wo ich noch nie war. Nach Hamburg.«

»Hamburg? Das ist nicht gerade das Ziel für eine Hochzeitsreise.«

»Ach, du mit deiner Hochzeitsreise. Wir hatten Gäste aus Hamburg, als ich noch im Parkhotel war, die haben mir viel von dieser Stadt erzählt. Ich möchte sie kennenlernen. Und dann können wir ja weiter ans Meer fahren. Sylt ist doch so berühmt. Und die Ostsee, Travemünde, das möchte ich kennenlernen.«

Georg grinste. »In Westerland gibt es ein Spielcasino, und es gibt eins in Travemünde, eines der schönsten überhaupt, das ich kenne.«

»Aha! Du warst also schon dort.«

»War ich.«

»Na gut, du wirst mir zeigen, wie das geht. Ich werde spielen, und du schaust zu.«

So weit ging sie, so weit wagte sie es zu gehen.

Es verblüffte ihn immer wieder.

»Es ist noch etwas früh im Jahr, erst Mai, noch etwas kühl im Meer.«

»Dann werden wir am Meer spazieren gehen, das soll sehr gesund sein. In Westerland gibt es ein gutes Hotel, ›Stadt Hamburg‹, heißt es. Und in Travemünde gibt es ein ›Maritim-Hotel‹. Da möchte ich wohnen.«

Sie wusste Bescheid, dagegen konnte man nichts machen.

»Wir könnten auch nach Frankreich fahren«, schlug er vor.

»Mein Französisch ist nicht so gut. Erst wenn ich das richtig kann, fahren wir nach Paris. Und an die Côte d’Azur.«

Georg war ihr nicht gewachsen, sie setzte sich durch.

Franz sah es mit stiller Bewunderung, Mariele lächelte und sagte: »Nach Sylt wäre ich gern mal gereist.«

Was nicht stimmte, die Nordsee interessierte sie nicht im Geringsten, wenn schon nicht zu ihrem See, fuhr sie am liebsten nach Österreich.

Eva-Maria und Georg gingen also an der Nordsee und an der Ostsee spazieren, Eva-Maria mit nackten Füßen im Wasser, und einige Male wagte sie sich auch in die kühle Brandung auf Sylt.

In Travemünde schließlich der Besuch im Spielcasino. Genau wie sie es bestimmt hatte. Sie spielte, er sah zu. Später dann umarmte sie ihn leidenschaftlich.

»Jetzt weiß ich, dass du mich wirklich liebst.«

So war sie, und das Zusammensein mit dieser Frau, die sich durchsetzte, die stärker war als er, tat Georg gut. Zum Schluss wollte sie nach Berlin, das sie noch nicht kannte. Sie wohnten im Kempinski, Eva-Maria genoss jede Stunde, jede Minute. In solch einem Hotel hatte sie arbeiten wollen, jetzt wohnte sie darin.

Bezahlen musste es Franz nur zum Teil, Eva-Maria hatte eine ansehnliche Mitgift bekommen, und da gab es noch Onkel Joseph in Traunstein, einen Bruder ihres Vaters, mit dem sie sich gut verstand.

»Er mag mich, und ich mag ihn. Wenn ich zu Hause Ärger hatte, landete ich bei ihm.«

»Du hast Ärger zu Hause gehabt? Kann ich mir gar nicht vorstellen.«

»Meine Mutter ist sehr streng. Und zwei ältere Brüder habe ich auch.«

Zurück in München, setzte sie das Studium der französischen Sprache fort, denn im nächsten Jahr, bestimmte sie, würde man nach Paris fahren.

»Italienisch kann ich gut genug, das habe in von Paolo gelernt. Der war meine erste Liebe.«

»Den hast du also in Italien kennengelernt.«

»Den habe ich schon in der Schule kennengelernt. Seine Eltern haben eine Trattoria bei uns in Traunstein. Da bin ich oft nach der Schule mit ihm hingegangen und habe Riesenmengen von Spaghetti gegessen. Mittags hat sich meine Mutter immer gewundert, dass ich keinen Appetit hatte.«

»Und mit dem hast du also geschlafen, mit den ganzen Nudeln im Bauch.«

»Zu der Zeit noch nicht, erst später.«

»Und warum hast du ihn nicht geheiratet?«

»Spinnst du? Warum sollte ich einen Italiener heiraten und dann vielleicht in seinem Ristorante die Leute bedienen?«

»Das hast du in Reichenhall auch getan.«

»Das gehörte zur Ausbildung. Später hätte ich andere Aufgaben übernommen.«

»Bestenfalls hättest du hinter der Rezeption gestanden. Oder hast du schon einmal einen weiblichen Hoteldirektor gesehen?«

»Kommt auch noch, warte nur.«

Bald begann ihr das Eheleben oder, besser gesagt, das Nichtstun auf die Nerven zu gehen. Sie langweilte sich.

Der Sommer war vorüber, Septemberende. Es war immer noch warm, Maria und Franz waren zu einem kurzen Urlaub an den Wörthersee gefahren, und sie waren allein im Haus, ein schönes geräumiges Haus, auch von Klaus erbaut, das genügend Platz bot für das junge Paar.

Sie hatten auf der Terrasse zu Abend gegessen, waren ins Haus gegangen, als es dunkel wurde, hatten den Fernseher angemacht, wieder ausgemacht, Georg zupfte auf seiner Gitarre herum, Eva-Maria las in einem Buch, das ihr nicht gefiel.

Die Gitarre hatte Georg vor einigen Tagen aus einer Ecke in seinem früheren Jungenzimmer herausgekramt, und seitdem versuchte er, ein paar brauchbare Töne hervorzubringen.

Er war vierzehn gewesen, als er plötzlich eine Gitarre haben wollte, und er hatte sie natürlich bekommen. Mariele war entzückt, dass er sich endlich doch für Musik interessierte, sie spielte ganz gut Klavier, sie ging gern in die Oper, ihren Sohn hatte sie für beides nicht gewinnen können.

Eva-Maria klappte das Buch zu, sprang auf, ging zur Bar und goss sich einen Cognac ein.

»Mir auch, Schatz«, rief Georg.

»Nur wenn du mit dem blöden Geklimpere aufhörst. Vielleicht solltest du erst einmal lernen, wie man das Instrument ordentlich stimmt.«

Er blickte erstaunt zu ihr auf. »Komisch, das hat meine Mutter damals auch gesagt.«

»Sie versteht ja was von Musik, da kann ihr deine Stümperei nicht gefallen. Ich weiß, wie das klingen muss, Paolo spielt sehr gut auf der Gitarre.«

»Das hätte ich mir ja denken können.«

Sie reichte ihm das gefüllte Glas, blieb vor ihm stehen. »Es muss sich was ändern.«

»Na denn, prost. Was ändert sich denn?«

»Wir verändern uns. Wir müssen eine eigene Wohnung haben und Arbeit.«

»Arbeit? Wozu denn das? Uns geht’s doch hier gut. Und was gefällt dir an unserer Wohnung nicht?«

»Es ist nicht unsere Wohnung, es ist das Haus deiner Eltern.«

»Hier ist doch Platz genug. Vater ist sowieso den ganzen Tag nicht da.«

Und deine Mutter geht mir auf den Geist mit ihrer Betulichkeit, hätte sie antworten mögen. Doch das tat sie nicht, sie sagte stattdessen: »Ich fahre morgen zu Onkel Joseph.«

»Na bitte, besuchen wir die Traunsteiner. Wir könnten in Bad Reichenhall im Axel wohnen. Das wäre doch was, wenn sie dich plötzlich als Gast bedienen müssten, wo du zuletzt eine kleine Serviermaus warst.«

»Das täte ich nie. Ich fahre nach Traunstein, allein, und ich besuche Onkel Joseph und werde ihn anpumpen.«

»Wozu denn das? Wir haben doch alles, was wir brauchen.«

»Haben wir nicht. Er wird mir Geld geben, wenn ich ihm sage, was ich will. Ich werde ihn sowieso eines Tages beerben, das hat er mir schon angekündigt.« Sie schlug ein rasches Kreuz. »Ich wünsche ihm ein langes Leben, denn ich mag ihn, genauso wie er mich mag. Er wird mir Geld geben, und dann werden wir etwas unternehmen.«

Georg sah sie leicht verzweifelt an, stand auf und holte sich einen zweiten Cognac.

»Was denn, um Gottes willen?«

Sie dachte nicht an ein Hotel, aber an eine hübsche kleine Pension, nicht im Gebirge, sondern in der Stadt.

Zunächst wurde es ein kleines Lokal in Schwabing, nur fünfzehn Tische, eine Bar, die Wohnung fand sie im Nebenhaus. Außer dem Geld von Onkel Joseph nahm sie noch einen Bankkredit auf, ihren Schwiegervater behelligte sie nicht, was diesem imponierte.

»Tüchtig ist sie ja, das muss man zugeben«, sagte Franz zu seinem Mariele. Die schwieg verbockt. Ihr gefiel das nicht. Ihr schöner Sohn Besitzer einer Kneipe.

Der Besitzer war Eva-Maria, und zunächst ging das gut. Sie hatte einen Vertrag mit einer Brauerei, sie arbeitete wie eine Besessene, stand selbst in der Küche, kochte kräftige bayerische Kost, jeden Tag nur fünf bis sechs warme Gerichte, immer frisch zubereitet, so etwas spricht sich herum, das Lokal war gut besucht. Sie lernte ein Mädchen an, das ihr zur Hand ging, eine Bedienung wurde eingestellt, obwohl sich Eva-Maria selbst um ihre Gäste kümmerte, sobald sie Zeit dazu hatte.