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Eine weit verzweigte Familie, unermessliche reiche Tycoone, schicksalhafte Begegnungen - die Antonides Familiensaga in neun Teilen DU ENTFACHST EIN FEUER IN MIR Der griechische Millionär Elias Antonides kann es nicht fassen: Sein Vater hat einen Teil der Firma verspielt - an eine junge Frau! Als er Tallie kennen lernt, weiß Elias: Nicht nur geschäftlich erwartet ihn eine Herausforderung. Tallie ist wie Feuer in seinem Blut … TRAUMINSEL IM BLAUEN MEER Die heiße Sommerromanze mit dem Segler Theo lässt Martha endlich wieder an die Liebe glauben. Aber ihre gemeinsamen Tage auf der griechischen Insel Santorin sind gezählt: Theo verschwindet spurlos - und Martha steht unvermittelt vor einer schweren Entscheidung … HOCHZEITSNACHT AUF HAWAII Eine einzige Nacht hat Peter Antonides auf Hawaii mit Ally verbracht - die Hochzeitsnacht voller Leidenschaft! Danach gingen sie getrennte Wege. Jetzt verlangt Ally die Scheidung. Aber der feurige Grieche hat einen anderen Plan … EIN HAUSBOOT FÜR ZWEI Traumhaft, schwärmt Sebastian bei der Ankunft auf seinem neuen Hausboot am See. Doch plötzlich stockt ihm der Atem. Er hat einen weiblichen Untermieter? Das ist doch Nelly Robson, seine junge Kollegin, mit der er sich immer streitet, dass die Funken fliegen! Sebastian schaltet auf stur ohne zu ahnen, wie heiß ihm bald in Nellys Nähe werden wird ... EIN DIAMANTRING VOM BOSS Auch wenn der Diamantring verheißungsvoll funkelt, sie trägt ihn nur, weil sie Christos' Verlobte spielen soll. Das glaubt Natalie zumindest. Doch als die hübsche junge Frau ihren attraktiven Boss in seine Heimat Brasilien begleitet, erlebt sie eine angenehme Überraschung … SCHENK MIR NUR DIESE EINE NACHT In einem Luxushotel in Cannes erwartet Prinzessin Adriana ihren Verlobten, als ein attraktiver Mann auf sie zustürmt und heiß küsst - der Hollywood-Star Demetrios Savas! Eine Verwechslung, aber er küsst sie, wie noch keiner sie geküsst hat. Und plötzlich wird die pflichtbewusste Prinzessin von ungeahnter Sehnsucht überwältigt. Nur für eine Nacht will sie eine normale Frau sein. Keine Adelige! Danach muss sie Demetrios für immer vergessen! Doch das Schicksal scheint andere Pläne zu haben.… GLAUB AN DIE LIEBE, FIONA Es war einmal eine glückliche Ehe … bis Fiona erfährt, dass George Savas sie nur aus Pflichtgefühl geheiratet hat! Bitter enttäuscht verlässt sie ihn und baut sich ein neues Leben auf. Doch dann erhält sie einen schockierenden Anruf: George hatte einen schweren Unfall! Die widersprüchlichsten Gefühle stürmen auf sie ein! Gibt es etwas, das sie für ihn tun kann? Das gibt es - allerdings etwas, an das Fiona nicht mehr geglaubt hat ... EINMAL PLAYBOY, IMMER PLAYBOY? Zwei Wochen zusammen mit ihrem Ex in seiner Strandvilla! Bereits bei dem Gedanken an den attraktiven Playboy Yiannis Savas schlägt Cats Herz ungewollt höher. Immerhin ist sie mittlerweile klüger und weiß, dass Yiannis seine Freiheit über alles liebt, während sie von Heiraten und Familie träumt. Aber als sie ihm schließlich gegenübersteht, vergeht sie vor Sehnsucht nach seinen zärtlichen Küssen … VERZAUBERT VON DIESEM TANZ "Tanzen Sie mit mir!" Edies Herz rast, als Nick Savas sie beim Ball auf Schloss Mont Chamion auf die Tanzfläche entführt. Während er sie eng an sich presst und durch den Saal wirbelt, fühlt sie sich lebendig wie schon lange nicht mehr. Hat dieser Mann mich verzaubert? fragt sie sich und erwidert seinen überraschenden Kuss voller Leidenschaft ...
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Seitenzahl: 1703
Anne Mcallister
Die Antonides Familiensaga - schicksalhafte Begegnungen & reiche Tycoons - 9-teilige Serie
IMPRESSUM
Du entfachst ein Feuer in mir erscheint in der HarperCollins Germany GmbH
© 2006 by Barbara Schenck Originaltitel: „The Antonides Marriage Deal“ erschienen bei: Mills & Boon Ltd., London Published by arrangement with HARLEQUIN ENTERPRISES II B.V./S.àr.l.
© Deutsche Erstausgabe in der Reihe JULIA EXTRABand 293 - 2009 by CORA Verlag GmbH & Co. KG, Hamburg Übersetzung: Kara Wiendieck
Umschlagsmotive: m-gucci / Thinkstock
Veröffentlicht im ePub Format in 04/2017 – die elektronische Ausgabe stimmt mit der Printversion überein.
E-Book-Produktion: GGP Media GmbH, Pößneck
ISBN 9783733777036
Alle Rechte, einschließlich das des vollständigen oder auszugsweisen Nachdrucks in jeglicher Form, sind vorbehalten. CORA-Romane dürfen nicht verliehen oder zum gewerbsmäßigen Umtausch verwendet werden. Sämtliche Personen dieser Ausgabe sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen sind rein zufällig.
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„Ihr Vater auf Leitung sechs.“
Elias Antonides starrte auf die rot blinkenden Lichter an seinem Telefon und dankte Gott, dass er vor neun Monaten, als er die Geschäftsräume von Antonides Marine International vom exklusiven Manhattan in ein renovierungsbedürftiges Lagerhaus nach Brooklyn verlegt hatte, auf ein Modell mit zehn Anschlüssen verzichtet hatte.
„Ja“, sagte er. „Danke, Rosie. Legen Sie ihn in die Warteschleife.“
„Er meint, es sei wichtig“, entgegnete seine Assistentin.
„Wenn es wichtig ist, wird er warten“, erwiderte Elias in der begründeten Annahme, dass sein Vater nichts dergleichen tun würde.
Aeolus Antonides liebte stundenlange Lunchverabredungen, spielte Golf mit seinen Freunden oder ging mit ihnen segeln. Aber für die tägliche Routine besaß er keine Nerven. Er wollte nicht wissen, dass die Firma von einem gewissen Bargeldbestand profitieren würde, oder dass Elias drüber nachdachte, ein anderes kleines Unternehmen zu kaufen, um ihr Spektrum zu vergrößern. Geschäfte langweilten ihn.
Heute standen die Chancen gut, dass sein Vater, nachdem Elias mit den anderen fünf blinkenden Anrufern fertig war, aufgelegt hatte, um noch eine Runde zu golfen.
Er liebte seinen Vater, doch seine Einmischung in geschäftliche Angelegenheiten konnte er einfach nicht gebrauchen. Was auch immer Aeolus wollte, es würde sein, Elias’ Leben unweigerlich verkomplizieren.
Und dabei war es schon kompliziert genug.
Seine Schwester Cristina – Leitung zwei – bat um finanzielle Hilfe, um ein Perlengeschäft zu eröffnen.
„Ein Perlengeschäft?“ Elias glaubte, eigentlich schon alles gehört zu haben. Bislang hatte Cristina Kaninchen züchten, eine T-Shirt-Druckerei eröffnen und eine DJ-Schule besuchen wollen. Die Perlen waren neu.
„So kann ich in New York bleiben“, erklärte sie ihm, als sei es das Vernünftigste der Welt. „Mark ist in New York.“
Mark war ihr momentaner Freund, und bestimmt nicht ihr letzter.
„Nein, Cristina“, sagte Elias.
„Aber …“
„Nein. Du bringst mir einen fundierten Businessplan, dann reden wir weiter. Bis dahin, nein.“ Er legte auf, bevor seine Schwester antworten konnte.
Seine Mutter – Leitung drei – organisierte eine Dinnerparty für das Wochenende. „Bringst du eine Freundin mit?“, fragte sie hoffnungsvoll. „Oder soll ich mich um eine Begleiterin für dich kümmern?“
Elias knirschte mit den Zähnen. „Du brauchst keine Verabredungen für mich zu arrangieren, Ma“, gab er tonlos zurück und wusste doch allzu gut, dass seine Mutter auf diesem Ohr völlig taub war.
Helena Antonides’ Lebensziel war es, ihn verheiratet und sich selbst im Kreis von Enkelkindern zu sehen. Da er bereits eine Ehe hinter sich hatte und nicht die Absicht hegte, noch einmal zu heiraten, hätte er ihr sagen können, dass ihre Hoffnungen vergeblich waren. Sollten sich seine Geschwister doch um die Enkel kümmern.
„Werd nicht frech, Elias Antonides. Mir liegt nur dein Wohlergehen am Herzen. Du solltest mir dankbar sein.“
„Ich muss Schluss machen, Mutter. Ich habe noch zu arbeiten.“
„Immer musst du arbeiten.“
„Jemand muss ja das Geld verdienen.“
Am anderen Ende herrschte eisiges Schweigen. Helena konnte ihm nicht widersprechen – zustimmen würde sie ihm allerdings auch nicht. Schließlich sagte sie: „Sei einfach am Sonntag hier. Ich kümmere mich um ein Mädchen.“ Sie legte auf.
Martha, seine zweite Schwester – Leitung vier –, sprudelte über vor Ideen für ihre Gemälde. Ideen besaß sie im Überfluss, allerdings nur selten auch die Energie, sie umzusetzen.
„Wenn du willst, dass diese Wandgemälde gut werden“, sagte sie, „sollte ich wirklich zurück nach Griechenland gehen.“
„Warum?“
„Inspiration“, erwiderte sie vergnügt.
„Du meinst Ferien.“ Elias kannte seine Schwester. Martha war eine gute Künstlerin. Ansonsten hätte er sie nicht gebeten, das Foyer des neuen Firmengebäudes sowie eine Wand in seinem Büro zu gestalten. „Vergiss es. Ich schicke dir ein paar Fotos. Die kannst du als Vorlage benutzen.“
Martha seufzte. „Du bist ein Spielverderber, Elias.“
„Ja, das weiß jeder“, stimmte er zu. „Finde dich damit ab.“
Marthas Zwillingsbruder Lukas – Leitung fünf – wollte sich nicht damit abfinden. „Was ist falsch daran, nach Neuseeland zu fliegen?“, fragte er.
„Gar nichts“, entgegnete Elias weit geduldiger, als er sich fühlte. „Aber ich dachte, du willst nach Griechenland?“
„Ich bin in Griechenland“, sagte Lukas. „Aber hier ist es langweilig. Hier gibt es nichts zu tun. Gestern Abend habe ich einige Leute in einer Kneipe getroffen, die nach Neuseeland reisen. Ich dachte, ich komme mit. Also, kennst du jemanden in Auckland, der mir für eine Weile Arbeit geben würde?“
„Was für Arbeit?“ Die Frage war berechtigt. Lukas besaß einen Collegeabschluss in antiken Sprachen, keine davon war Maori.
„Spielt keine Rolle“, sagte Lukas. „Oder ich gehe nach Australien.“
„Du könntest nach Hause kommen und für mich arbeiten.“ Diesen Vorschlag machte er nicht zum ersten Mal.
„Auf keinen Fall“, antwortete Lukas wie immer. „Ich rufe dich an, wenn ich in Auckland bin. Vielleicht ist dir bis dahin etwas eingefallen.“
Ted Corbett – Leitung eins – war der einzige Anrufer, der Elias’ Einschätzung nach tatsächlich wichtig war. Glücklicherweise hatte er noch nicht aufgelegt.
„Also, was denken Sie? Bereit für die Übernahme?“ Corbett war der Eigentümer jener Firma für Segelbekleidung, die Elias eventuell kaufen wollte.
„Wir denken darüber nach“, erwiderte Elias. „Es ist noch keine Entscheidung gefallen. Mein Analyst Paul ist noch mit den Zahlen beschäftigt.“
Als er das Gespräch mit Corbett nach geraumer Zeit beendete, blinkte das rote Licht von Leitung sechs immer noch. Wahrscheinlich hatte sein Vater den Hörer einfach neben das Telefon gelegt. Trotzdem drückte Elias auf den Knopf.
„Herrje, du bist aber beschäftigt“, beschwerte Aeolus sich lautstark.
Elias schloss die Augen und nahm all seine Geduld zusammen. „In der Tat, ja. Ein Anruf nach dem anderen, jetzt komme ich zu spät zu meinem Meeting. Was gibt es?“
„Mich. Bin in der Stadt mit einem Freund verabredet. Dachte, ich komme mal vorbei. Es gibt da etwas, das ich mit dir besprechen möchte.“
Das Letzte, was Elias heute gebrauchen konnte, war ein Besuch seines Vaters.„Ich komme am Wochenende nach Hause“, sagte er rasch. „Dann können wir reden.“
„Das dauert zu lange. Bis gleich.“ Damit legte er auf.
Verdammt! Dieses Verhalten war typisch für seinen Vater. Es spielte keine Rolle, wie beschäftigt jemand war. Elias beförderte den Hörer auf die Gabel und rieb sich über den Nasenrücken. Kopfschmerzen kündigten sich an.
Als sein Vater eine Stunde später an Rosie vorbei ins Büro seines Sohnes polterte, waren die Kopfschmerzen zu voller Blüte erwachsen.
„Rate, was ich getan habe!“ Aeolus schloss die Tür mit einem Fußtritt und führte einen seiner kleinen Tänze auf, die stets einem besonders guten Schlag auf dem Golfplatz folgten. „Ich habe einen Geschäftspartner für die Firma gefunden.“
„Was?“ Fassungslos starrte Elias ihn an. „Wir brauchen keinen Partner!“
„Du hast gesagt, du brauchst Bargeld.“
Oh verflucht! Also hatte sein Vater doch zugehört. „Von einem Geschäftspartner habe ich nie gesprochen! Dem Geschäft geht es gut!“
„Natürlich.“ Aeolus nickte. „Ansonsten hätte ich ja auch keinen Partner finden können. Du arbeitest zu hart, Elias. Ich weiß, ich hätte mehr für die Firma tun sollen, aber … Es ist nur … Ich habe es einfach nicht in mir.“
„Ich weiß, Dad.“ Elias lächelte seinen Vater aufrichtig an. „Mach dir keine Sorgen. Das ist kein Problem.“
Nun, zumindest jetzt nicht mehr. Vor acht Jahren hatte es ihn seine Ehe gekostet.
Nein, das war nicht fair. Die mangelnden unternehmerischen Fähigkeiten seines Vaters waren nur ein Grund von vielen für die Trennung von Millicent. Alles hatte viel früher angefangen, als er mit der Idee gespielt hatte, die Universität abzubrechen, um seine eigene Bootsbauerfirma zu gründen. Millicent war entsetzt gewesen. Er müsse sein Studium beenden und dann ins Familienunternehmen einsteigen. Allerdings hatte sie damals auch noch geglaubt, Antonides Marine sei etwas wert. Als sie herausfinden musste, dass die Bücher röter waren als ein Sonnenuntergang, hatte sie wiederum entsetzt reagiert.
„Aber ich mache mir Sorgen“, widersprach sein Vater. „Wir beide, deine Mutter und ich, sorgen uns um dich.“
Elias hatte nie über die Gründe seiner Scheidung gesprochen, aber seine Eltern waren natürlich nicht naiv. Sie wussten, dass ihr Sohn rund um die Uhr arbeitete, um das Unternehmen, das sein Vater fast in den Ruin getrieben hatte, zu retten. Sie wussten, dass die finanziellen Möglichkeiten von Antonides Marine nicht den Erwartungen seiner Ehefrau an ihren sozialen Aufstieg gerecht wurden. Und sie wussten, dass sie sich, kurz nachdem Elias die Leitung der Firma übernommen hatte, aus dem Staub gemacht hatte. Wenige Wochen nach der Scheidung hatte Millicent den Erben eines Weinguts im kalifornischen Napa Valley geheiratet.
Natürlich hatte niemand darüber gesprochen. Am allerwenigsten Elias.
Doch kurze Zeit später hatte der Ärger erst richtig angefangen. Eine Parade von angeblich begehrenswerten Frauen war ihm vorgeführt worden – als könne sein Vater, indem er Elias eine neue Ehefrau verschaffte, seine Schuldgefühle lindern.
Allerdings war Elias der Meinung, sein Vater müsse sich überhaupt nicht schuldig fühlen. Aeolus war eben, wie er war. Millicent war, wie sie war. Und Elias war, wie er war: Ein Mann, der keine Frau wollte.
Und auch keinen Geschäftspartner.
„Nein, Dad“, sagte er also jetzt mit fester Stimme.
Aeolus zuckte die Schultern. „Zu spät. Ich habe vierzig Prozent von Antonides Marine verkauft.“
Elias fühlte sich, als sei er geschlagen worden. „Verkauft? Das kannst du nicht machen!“
Binnen einer Sekunde veränderte sich das Verhalten seines Vaters. „Natürlich kann ich verkaufen“, erklärte Aeolus förmlich. In seiner Stimme lag die griechische Arroganz von Generationen. „Die Firma gehört mir.“
„Ja, das weiß ich. Aber …“ Aber es stimmte. Aeolus war der Eigentümer von Antonides Marine. Zumindest von fünfzig Prozent. Elias besaß zehn Prozent. Seine vier Geschwister teilten sich die übrigen vierzig Prozent. Antonides Marine International war ein Familienunternehmen. Niemand, dessen Name nicht Antonides lautete, hatte je einen Anteil daran besessen.
„Nicht alles“, beruhigte Aeolus ihn. „Nur genug, um dir ein bisschen Kapital zu verschaffen. Du hast gesagt, du brauchst Geld. Während unseres gesamten Telefonats letzten Sonntag hast du davon gesprochen, Geld aufzutreiben, um irgendeinen Händler aufkaufen zu können.“
„Und genau das versuche ich auch gerade“, stieß Elias hervor.
„Jetzt bin ich dir eben zuvorgekommen.“
„Du hättest nicht zu verkaufen brauchen. Ich hätte es auch so geschafft.“
Aeolus schien nicht überzeugt. „Ich wollte nur helfen.“
Helfen? Himmel noch mal! Elias atmete tief ein und fuhr sich mit den Händen durch die Haare. Bei einer solchen Hilfe, konnte er gleich das Handtuch werfen.
Das würde er jedoch nie tun.
Antonides Marine war sein Leben. Er war fest entschlossen, die Firma zu ihrem alten Glanz zurückzuführen, den sie unter seinem Urgroßvater und dann unter seinem Großvater besessen hatte. Fast hatte er sein Ziel erreicht.
Mit ein bisschen Glück würde er die Aktien seines Vaters zurückkaufen können. Ja, das war eine gute Idee. Dann könnte er auch ein für alle Male ausschließen, dass sein Dad hinter seinem Rücken wieder etwas Unüberlegtes tat.
„An wen hast du verkauft?“, fragte er höflich.
„Socrates Savas.“
„Das kann doch nicht wahr sein!“ So viel zum Thema Höflichkeit. „Socrates Savas ist ein Pirat! Ein Geier! Er kauft Unternehmen, die in Schwierigkeiten stecken, weidet sie aus und verkauft den schrottreifen Rest!“ Elias schrie jetzt. Er wusste es sogar. Aber er konnte nicht anders.
„Er steht in einem gewissen Ruf“, gab Aeolus zu.
„In einem zu Recht verdienten Ruf!“, knurrte Elias. Er begann, im Raum auf und ab zu gehen. „Verdammt noch mal! Antonides Marine steckt nicht in Schwierigkeiten!“
„Socrates meinte auch, das Geschäft laufe sehr gut. Tatsächlich hat er sich sogar darüber beschwert. Hätte ich das doch vor fünf Jahren geahnt, hat er gejammert, dann hätte ich die Firma damals schon gekauft!“
Offensichtlich beobachtete Socrates Savas die Entwicklung von Antonides Marine seit geraumer Weile. Er war ein Meister darin, die Beute auszuspähen und im richtigen Moment zuzuschlagen.
Seit einem Jahr wagte Elias aufzuatmen, weil das Unternehmen wieder florierte. Und jetzt hatte sein eigener Vater vierzig Prozent an diesen Lumpen verkauft?
Was also hatte Savas vor? Die Möglichkeiten ließen Elias frösteln. Er durfte gar nicht daran denken.
„Schön“, sagte er und sah seinem Vater in die Augen. „Er kann die Firma haben. Ich kündige.“
Aeolus starrte seinen Sohn an. Seine sonst so rosige Gesichtsfarbe hatte einen gräulichen Ton angenommen. „Kündigen? Aber … aber, Elias … du kannst nicht kündigen.“
„Natürlich kann ich.“ Elias hatte seinen eigenen Anteil an griechischer Arroganz geerbt. Wenn Aeolus ohne seinen Sohn, der das Familienunternehmen gerettet hatte, zu informieren, einen Teil der Firma verkaufte, konnte besagter Sohn ja auch ohne einen Blick zurück kündigen!
„Du kannst nicht gehen, weil …“ Aeolus Worte waren kaum mehr als ein Flüstern.
Elias hatte mit lautem Protest und wilden Gesten gerechnet, nicht mit einem leisen Zusammenbruch.
„Warum nicht?“, fragte er misstrauisch.
„Weil …“, Aeolus’ Hände zitterten, „weil im Vertrag steht, dass du bleibst.“
„Du kannst mich nicht zusammen mit der Firma verkaufen, Dad. Das ist Menschenhandel. Dagegen gibt es Gesetze. Demnach kann ich also annehmen, dass der ganze Vertrag null und nichtig ist?“ Auf Elias’ Lippen erschien jetzt ein aufrichtiges Lächeln. „Ende gut, alles gut.“
Doch sein Vater war immer noch bleich und hatte den Kopf gesenkt. Wortlos starrte er zu Boden.
„Was ist los?“, fragte Elias argwöhnisch in das Schweigen hinein.
Keine Antwort. Nicht für eine sehr lange Zeit. Dann endlich schaute Aeolus auf. „Wir verlieren das Haus.“
„Was meinst du damit, du verlierst das Haus? Welches Haus? Das Haus auf Long Island?“
Fast unmerklich schüttelte sein Vater den Kopf.
Wenn es nicht um das Haus auf Long Island ging, musste es bedeuten, dass …
„Unser Haus?“
Die Familienvilla auf Santorin? Die sein Urgroßvater mit seinen eigenen Händen erbaut hatte? Unmöglich, dass sein Vater die Villa gemeint haben konnte. Das Haus hatte nichts mit der Firma zu tun. Seit vier Generationen war es vom Vater an den ältesten Sohn vererbt worden. Eines Tages würde es Elias gehören.
Nichts bedeutete ihm so viel, wie dieses Haus. Dort hatte er seine Kindheit verbracht. Es war verbunden mit Erinnerungen an Sommertage, an denen er mit seinem Großvater Boote gebaut hatte. Die Villa auf Santorin stand für die Kraft, die Zuflucht, das innere Herz der Familie Antonides.
Elias ballte die Hände zu Fäusten. Nur so konnte er verhindern, dass er seinen Vater am Kragen packte und schüttelte. „Was hast du mit unserem Haus gemacht?“, schrie er.
„Nichts“, erwiderte Aeolus rasch. „Nun, nichts, wenn du in der Firma bleibst.“ Er warf seinem Sohn einen hoffnungsvollen Blick zu. „Es war doch nur eine kleine Wette. Ein Rennen mit den Segelbooten. Ich habe mit Socrates gewettet, wer von uns schneller nach Montauk und zurück segeln würde. Ich bin ein besserer Segler als Socrates!“
Das bezweifelte Elias auch nicht. „Was ist passiert?“
„In der Wette ging es um die Boote.“
„Okay. Ihr seid also um die Wette gesegelt. Und?“
„Ich bin ein besserer Segler als Socrates Savas. Aber gegen seinen Sohn Theo habe ich keine Chance.“
Elias stieß einen Pfiff aus. „Theo Savas ist Socrates’ Sohn?“
Selbst er hatte von Theo Savas gehört. Jeder, der auch nur ein bisschen Ahnung vom Segeln hatte, kannte diesen Namen. Er hatte zu der Crew gehört, die für Griechenland bei den olympischen Spielen angetreten war. Bei mehreren America’s Cups war er mitgesegelt. Seine Einhandsegeltörns berührten die Herzen von Abenteurern auf der ganzen Welt. Schlank, muskulös und gut aussehend, ein Playboy ohne gleichen und – Elias’ Schwestern zufolge – die Verkörperung des idealen Griechen.
„Theo hat gewonnen“, sagte Aeolus. „Damit steht ihm das Haus zu … es sei denn, du bleibst für zwei Jahre als Geschäftsführer in der Firma.“
„Zwei Jahre!“
„So lange ist das nicht“, protestierte sein Vater.
Elias konnte es einfach nicht fassen. Sein eigner Dad bat ihn, einfach still sitzen zu bleiben und dabei zuzusehen, wie Socrates Savas das Unternehmen zerstückelte, für das er so hart gearbeitet hatte.
Er atmete tief ein. Zwei Jahre. Konnte er diesen Preis bezahlen? Hatte er nicht schon ganz andere Hindernisse überwunden? Außerdem ging es hier nicht nur um sein Leben, sondern um das seiner gesamten Familie.
Wie hätte er Nein sagen können?
„Na gut“, meinte er schließlich. „Ich bleibe.“
Sein Vater sah ihn freudestrahlend an und klopfte ihm auf den Rücken. „Ich wusste es!“
„Aber ich nehme keine Anweisungen von Socrates Savas entgegen. Er leitet diese Firma nicht.“
„Natürlich nicht“, erwiderte sein Vater erleichtert. „Das macht seine Tochter.“
Die neue Präsidentin von Antonides Marine International tat in dieser Nacht kein Auge zu.
Mit einem breiten Lächeln lag Tallie Savas bis in die Morgenstunden wach. In ihren Gedanken wirbelten die Möglichkeiten, die sich ihr jetzt auftaten. Endlich hatte ihr Vater eingesehen, dass sie gut in ihrem Job war.
Sie wusste, dass dies nicht einfach für ihn war. Socrates Savas war ein typisch traditioneller, sturer griechischer Vater – obwohl er sein Land bereits vor zwei Generationen verlassen hatte.
Er war der Ansicht, dass seine vier Söhne in seine Fußstapfen treten sollten. Seine einzige Tochter Thalia hingegen sollte zu Hause bleiben, Kleider nähen, Essen kochen, schließlich einen netten, hart arbeitenden Griechen heiraten und viele süße dunkelhaarige und dunkeläugige griechische Kinder haben, die auf Großvater Socrates’ Schoß spielen könnten.
Doch das würde nicht geschehen.
Oh, sie hätte durchaus geheiratet. Wenn Leutnant O’Malleys Flugzeug nicht vor sieben Jahren abgestürzt wäre, wäre es bestimmt zu einer Hochzeit gekommen. Dann wäre ihr Leben anders verlaufen.
Aber seit Brians Tod hatte sie niemanden mehr getroffen, der ihr Interesse weckte. Nicht, dass ihr Vater es nicht versucht hätte. Manchmal glaubte sie, er habe ihr jeden griechischen Junggesellen der Ostküste vorgestellt.
„Geh und kümmere dich um die Jungs“, sagte sie ihm immer wieder. „Du kannst Ehefrauen für sie aussuchen.“
Aber ihr Vater hatte nur leise vor sich hin gemurrt. Seine vier Söhne waren ein noch größeres Mysterium für ihn als seine Tochter. Denn so gerne sie ihm in die Geschäftswelt gefolgt wäre, so wenig interessierten sich Theo, George, Demetrios und Yiannis dafür.
Theo war ein Hochseesegler von Weltformat. Müsste er in einem Büro in der Stadt arbeiten, würde er sterben. Socrates hatte dafür kein Verständnis. Seiner Meinung nach trieb sich sein ältester Sohn einfach gerne auf Booten herum.
George war ein brillanter Physiker, der die Geheimnisse des Universums ergründete. Es fiel seinem Vater schwer zu begreifen, dass es tatsächlich Menschen gab, die Theorien über Strings erfanden.
Demetrios war ein bekannter Schauspieler. Sein Gesicht – und sein nackter Oberkörper – war kürzlich auf einem Plakat am Times Square abgebildet gewesen. Socrates hatte die Augen verdreht und gemurmelt: „Was wohl als Nächstes kommt?“
Yiannis, der jüngste der vier Brüder, hatte vor fünf Jahren sein Studium der Forstwirtschaft abgeschlossen. Mittlerweile lebte und arbeitete er auf der Spitze eines Berges in Montana!
Es war Tallie, die fest entschlossen war, die Geschäftswelt für sich zu erobern. Und sie hatte die Sturheit ihres Vaters geerbt. Nach ihrem Abschluss in Wirtschaftswissenschaften hatte sie einen Job als Buchhalterin in einer Tortilla Fabrik in Kalifornien angenommen. Und während sie dort war, hatte sie alles über Tortillas gelernt. Wie man sie herstellte, die tausend Arten, sie zu füllen, und wie man sie vermarktete. Anschließend hatte sie für einen Bäcker aus Wien gearbeitet, der ihr alles beibrachte, was er über Kuchen und Torten wusste. Seither war backen ihre Art, Stress abzubauen.
Vor achtzehn Monaten hatte sie einen Job beim größten Konkurrenten ihres Vaters angenommen. Ihre Hoffnung war es, ihr Vater würde davon erfahren.
Ihr Plan ging auf.
Vor zwei Wochen hatte er angerufen und sie zum Abendessen eingeladen.
Es klang wie ein unschuldiges Angebot, doch sie kannte ihren Vater seit einundzwanzig Jahren. Aber entgegen ihren Befürchtungen hatte er ihr keinen weiteren Junggesellen vorgestellt, sondern ihr einen Job angeboten.
„Einen Job“, wiederholte Tallie und bemühte sich, möglichst gelassen zu klingen. „Was für einen Job?“
Ihr Vater wartete, bis das Essen serviert wurde und antwortete dann mit der ihm eigenen Direktheit: „Ich habe gerade vierzig Prozent von Antonides Marine International gekauft. Sie bauen Boote. Als Hauptaktionär kann ich den Präsidenten bestimmen.“ Er hielt lächelnd inne. „Dich.“
„Mich?“ Tallies Stimme klang schrill. Sie blinzelte heftig.
Doch Socrates nahm Messer und Gabel in die Hand, zerteilte sein Paprikahühnchen und zuckte nur die Schultern. „Du hast immer gesagt, du willst ins Geschäftsleben eintreten.“
„Ja, aber …“
„Jetzt bist du drin.“
Tallie befeuchtete sich die Lippen. In ihrem Kopf wirbelten Möglichkeiten, Potenziale … und Panik. Sie versuchte, ihre Gedanken in Zaum zu halten. „Das kommt alles so plötzlich.“
„Bei den meisten guten Chancen ist das so. Also, was hältst du davon?“
„Ich …“ Ihre Zunge schien am Gaumen festzukleben.
Socrates hatte gelächelt. „Aber vielleicht war alles ja nur Gerede. Vielleicht glaubst du ja gar nicht, dazu in der Lage zu sein.“
Oh doch, das war sie!
Und genau das hatte sie auch gesagt.
Die nächsten zwei Wochen verbrachte sie damit, ihren Nachfolger einzuarbeiten und alles über Antonides Marine International zu lesen, was sie in die Finger bekommen konnte.
Je mehr sie über die Geschichte der Firma erfuhr, desto größer wurde ihre Lust, endlich anzufangen. Antonides Marine International war eine alteingesessene und angesehene Bootsbauerfirma, die ins Straucheln geraten war und sich in den letzten acht Jahren ihren Platz am Markt zurückerobert hatte. An der eigentlichen Geschäftsführung hatte sich nichts geändert. Jedoch war es nicht Aeolus Antonides, der das Ruder in der Hand hielt, sondern sein Sohn Elias. Und offensichtlich machte der seine Sache sehr gut. Er führte die Firma zu ihren alten Kerngeschäften zurück und hatte erst kürzlich damit begonnen, anliegende Geschäftsfelder auszukundschaften. Antonides Marine International war bereit für eine Expansion.
Tallie konnte es kaum erwarten, Teil dieses Prozesses zu werden.
Und jetzt, dachte sie, als sie auf dem Bürgersteig stand und an dem alten Lagerhaus in Brooklyn emporblickte, in dem Antonides Marine International seine Büros eingerichtet hatte, bin ich es.
Im ersten Licht des Morgens sah sie sich noch einmal um und lächelte. Sie öffnete die Tür und betrat das Gebäude.
Es war, als würde sie in einen Ozean eintauchen. Anstatt ein neutrales nichtssagendes Firmenfoyer vorzufinden, stand sie inmitten einer blauen Landschaft. Kein blasses Hellblau, sondern das tiefe vibrierende Dunkelblau des Mittelmeers. Vom Flur bis zur Decke reichten die Wandgemälde, die das blaue Meer und den blauen Himmel darüber zeigten. Dazwischen waren braune Inseln gezeichnet, auf denen sich unglaublich weiße Häuser und Kirchen befanden.
Instinktiv streckte sie einen Finger aus und fuhr die Dächer entlang, dann über eine Hügelkante, schließlich über ein Gebäude am Ende der Insel.
Sie hatte nie die Sehnsucht verspürt, Griechenland zu besuchen. Aus diesem Land schienen all die Traditionen zu stammen, gegen die sie ankämpfte. Aber jetzt erkannte sie, dass dort mehr sein musste. Die Ahnung hatte etwas Verlockendes an sich.
Aber nicht verlockend genug, um nicht auf den Aufzugsknopf für den dritten Stock zu drücken.
Der Lift war bereits renoviert worden. Das polierte Holz und der Teppichboden rochen noch neu. Der Flur jedoch, auf den sich die Türen öffneten, war eine Baustelle. Der Holzboden befand sich im Rohzustand, die Wände waren zwar verputzt, aber nicht gestrichen. Hammergeräusche waren zu hören.
Tallie ging an einigen Büros vorbei. Ein Buchhalter, ein Zeitschriftenverlag, ein Zahnarzt, gaben die Schilder Auskunft. Dann stand sie vor einer neuen schweren Glastür, hinter der sich die Räume von Antonides Marine International befanden. Die Tür war abgeschlossen. Morgens um zwanzig vor sieben konnte sie wohl kaum etwas anderes erwarten.
Kein Problem. Sie besaß einen Schlüssel. Den Schlüssel zu ihrer Firma. Gut, den Schlüssel zu der Firma, deren Präsidentin sie war.
Nun musste sie nur noch beweisen, dass sie dieser Position gewachsen war.
Mit einem tiefen Atemzug stellte sie ihren Aktenkoffer ab und kramte in ihrer Handtasche nach dem Schlüsselbund. Dann steckte sie ihn ins Schloss, öffnete die Tür und trat ein.
Sie kam zu spät.
Beziehungsweise ließ sich die neue Präsidentin von Antonides Marine an ihrem ersten Arbeitstag überhaupt nicht blicken!
Mit einer Kaffeetasse in der Hand ging Elias in seinem Büro auf und ab. Vermutlich sollte er sich darüber freuen. Wenn sie nicht hier war, konnte sie auch keinen Schaden anrichten.
Sobald feststand, dass es keinen Ausweg aus der Misere gab, in die sein Vater die Firma manövriert hatte, hatte Elias sich darangemacht, das Betätigungsfeld der neuen Präsidentin so klein wie möglich zu halten. Aus diesem Grund hatte er das große Büro, von dem aus man den Fluss überblicken konnte und das er eigentlich für sich reserviert hatte, für sie vorbereitet. Es lag am weitesten von den anderen Büros entfernt.
Mit einer Präsidentin abseits des geschäftigen Treibens konnte er die Geschäfte wie bisher führen. Und genau das sollte er jetzt auch tun. Doch zuerst wollte er sicher sein, dass sie ihm wirklich nicht in die Quere kam.
Er hatte erwartet, dass sie um neun Uhr hier sein würde, aber jetzt war es bereits halb zehn. Er selbst saß seit acht hinter dem Schreibtisch. Seine Assistentin Rosie war bereits da gewesen und hatte Kaffee gekocht – offensichtlich um die neue Chefin zu beeindrucken.
Ihm hatte sie damals gesagt, er solle sich gefälligst seinen eigenen Kaffee kochen. Heute hatte sie sogar einen Teller mit Keksen neben die Kaffeemaschine gestellt.
Elias hatte darüber nachgedacht, sie deswegen zur Rede zu stellen, aber die Plätzchen waren ausgezeichnet. Schokolade mit einem Hauch von Zimt, Mandeln und Erdnussbutter.
Allein der Gedanke daran ließ seinen Magen grummeln. Er verließ sein Büro, um noch einen zu essen und war überrascht, die gesamte Firmenbelegschaft um den Keksteller geschart vorzufinden.
Sein normalerweise extrem eleganter Analyst Paul Johanssen sprach mit vollem Mund. Lucy, die sich um die Verträge und die Buchhaltung kümmerte, schien sich entschlossen zu haben, ihre Diät erst morgen wieder fortzusetzen. Dyson, der für die Entwürfe und Entwicklungen der Projekte verantwortlich war, hingen Krümel in seinem Schnurrbart. Die Sekretärinnen Trina, Cara und die hochschwangere Guilia hatten sich ebenfalls dazu gesellt.
Elias glaubte zu wissen, warum Rosie sich bislang geweigert hatte, Kaffee zu kochen. Hätten die Mitarbeiter von ihren Fähigkeiten gewusst, hätte sie sie nicht mehr in Ruhe arbeiten lassen.
Nun, Miss Thalia Savas würde bestimmt beeindruckt sein – vorausgesetzt, sie schaffte es, ins Büro zu kommen, bevor Kaffee und Kekse gänzlich verschwunden waren.
Aber er hatte keine Lust mehr, länger zu warten. Es war Zeit, ihr klarzumachen, dass dies nicht die Universität war, sondern die wirkliche Welt mit wirklicher Arbeit.
„Wir gehen ins Konferenzzimmer“, sagte er zu Paul und Dyson.
Elias grinste. Irgendwie gefiel es ihm, dass die säumige Miss Savas die Kekse verpasste, die extra für sie bereitgestellt worden waren. Ganz zu schweigen davon, dass Rosies Bemühungen von den alten Mitarbeitern zunichtegemacht wurden.
„Sehr eindrucksvoll“, raunte er ihr auf dem Weg ins Besprechungszimmer zu. „Ich verstehe, warum Sie das sonst nicht tun wollen.“
Rosie blickte auf. „Ich habe gar nichts gemacht.“
Elias betrachtete sie skeptisch. Aber sie erwiderte seinen Blick so ernst, dass er sich an Paul wandte. „Sag mir nicht, du hast die Plätzchen gebacken.“
Paul lachte. „Ich kann nicht einmal Wasser kochen.“
„Schau mich gar nicht erst an“, meinte Dyson und schüttelte lachend seine Dreadlocks.
„Vielleicht war es das neue Mädchen“, schlug Trina vor, während sie mit einem Stapel Aktenordner im Arm zurück zu ihrem Büro eilte.
„Welches neue Mädchen?“ Natürlich würde es eine Stellvertreterin für Guilia geben, aber Elias hatte nicht gewusst, dass sie bereits angefangen hatte.
„Ich schätze, das bin ich wohl.“ Beim Klang der unbekannten freundlichen Stimme drehten sich alle um. Die Frau entsprach nicht dem üblichen Bild einer Aushilfssekretärin. Zum einen war sie älter. Wahrscheinlich Ende zwanzig. Außerdem war sie nicht dürr wie ein Insekt. Sie war schlank, besaß aber definitiv Kurven. Zudem trug sie weder einen Nasenring noch war ihr Haar von blauen Strähnen durchzogen. Allerdings schienen ihre Haare, obgleich durch Spangen gebändigt, ein Eigenleben zu führen. Dicht und wild und unglaublich sexy.
Sie sah aus, als sei sie gerade aus dem Bett aufgestanden.
Vor Elias innerem Auge erschien eine Vision, wie sie wohl im Bett aussehen würde. Der Gedanke brachte ihn zurück in die Gegenwart. Wie jeder andere Mann reagierte er auf eine wunderschöne Frau, aber normalerweise gab er sich nicht wenige Sekunde nach der ersten Begegnung erotischen Fantasien hin.
Die Frau schenkte ihm ein strahlendes Lächeln und nickte einnehmend, sodass ihre Haare tatsächlich ein wenig tanzten. Der Drang, die Spangen und Nadeln aus ihrem Zopf zu ziehen, kehrte fast übermächtig zurück.
Hastig steckte er die Hände in die Hosentaschen. Er wusste es besser, als dass er Geschäftliches und Privates miteinander vermischte.
„Sie haben diese Kekse gemacht?“, fragte er.
Wieder nickte sie. „Haben sie Ihnen geschmeckt?“
„Sie sind gut“, meinte er verdrossen. „Aber es war nicht nötig, Plätzchen mitzubringen. Sie müssen nur Ihren Job machen.“
„Meinen Job?“ Verwirrt sah sie ihn an.
„Akten abheften“, erklärte er geduldig. „Tippen. Tun, was Ihnen aufgetragen wird.“
„Ich tippe nicht. Ich hasse es, Akten abzuheften. Und ich tue nur selten, was man mir sagt“, erwiderte sie fröhlich.
Elias runzelte die Stirn. „Was zur Hölle tun Sie dann hier?“
Sie streckte die Hand aus. „Ich bin Tallie Savas. Die neue Präsidentin. Freut mich, Sie kennenzulernen.“
Oh verdammt, Dad!
Ein Blick auf Elias Antonides, und Tallie wusste, was hier wirklich gespielt wurde. So viel dazu, dass ihr Vater sie ernst nahm!
Die Präsidentschaft bei Antonides Marine war nichts anderes als ein neuer Versuch, ihr einen weiteren griechischen Gott in Khakihosen und blauem Hemd vorzustellen.
Denn genau das war Elias: ein griechischer Gott mit dichtem, lockigem, schwarzen Haar, einem großen sinnlichen Mund und ausgeprägten Wangenknochen. Die leicht gebogene Nase verlieh ihm ein hartes und leistungsfähiges Aussehen, wie ein Gott des Meeres, der mit der einen Hand Seeungeheuer hervorrief, während er mit der anderen Troja vernichtete.
Und natürlich trug er keinen Ehering, was ihren Verdacht nur bestätigte. Andererseits musste er völlig den Verstand verloren haben, wenn er glaubte, ein Mann wie Elias würde sich für sie interessieren!
Was das Aussehen anging, glaubte Tallie, allenfalls Durchschnitt zu sein. Passable, aber nicht atemberaubend. Manchen Männern gefiel ihr Haar, aber das wendige und quirlige Gehirn darunter mochten sie nicht. Noch mehr Männern gefiel das Geld ihres Vaters, aber nur selten wollten sie es um den Preis einer Frau mit einem eigenen Willen.
Bislang hatte nur Brian sie um ihrer selbst willen geliebt. Wenn der Richtige käme, würde ihn weder ihr Gehirn schrecken, noch würde er allein von den Millionen ihres Vaters angelockt. Er würde Tallie lieben.
Auf keinen Fall würde er sie so entsetzt ansehen, wie Elias Antonides sie jetzt. Zumindest brauchte sie sich keine Sorgen mehr zu machen, dass er in das Spiel ihres Vaters eingeweiht war.
Also ergriff sie Elias’ Hand und schüttelte sie bestimmt. „Sie müssen Elias sein. Ich freue mich, Sie endlich kennenzulernen. Und schön, dass Ihnen meine Kekse schmecken. Ich dachte, ich fange gleich am ersten Tag so an, wie ich weitermachen möchte.“
„Mit Plätzchen backen?“ Er starrte sie an, als sei sie verrückt geworden. Dann stieß er ein Knurren aus und zog die Augenbrauen zusammen. Jeder normaler Mann hätte jetzt ratlos und verwirrt ausgesehen, Elias hingegen ließ die Geste nachdenklich, gefährlich und verführerisch zugleich wirken. Insgeheim verfluchte Tallie ihren Vater.
„Ja“, sagte sie voller Überzeugung. „Menschen mögen Kekse … so macht ihnen die Arbeit mehr Spaß.“
„Spaß wird deutlich überbewertet, Miss Savas“, entgegnete er von oben herab.
Tallie seufzte erleichtert. Sehr gut. Wenn er sich so steif und arrogant aufführte, würde es ihr viel leichter fallen, ihm zu widerstehen.
„Dem stimme ich ganz und gar nicht zu“, sagte sie freiheraus. „Ich denke, Spaß ist sehr wichtig. Wenn die Arbeitsmoral der Mitarbeiter niedrig ist, leidet das Geschäft darunter.“
„Die Arbeitsmoral bei Antonides Marine ist nicht niedrig.“
„Natürlich nicht. Und genauso soll es auch bleiben.“
„Kekse sorgen nicht für eine neue Arbeitsmoral.“
„Sie schaden aber auch nicht. Und sicherlich verbessern sie die Lebensqualität, meinen Sie nicht auch?“ Tallie schaute sich zu dem Grüppchen Mitarbeiter um, die alle heftig mit dem Kopf schüttelten.
Ein Blick von Elias ließ sie innehalten. „Habt Ihr nichts zu tun?“, fragte er unwirsch.
Die Gruppe löste sich auf.
„Einen Moment noch“, warf Tallie ein. „Wenn wir schon mal alle beisammenstehen, möchte ich auch meine Mitarbeiter persönlich kennenlernen.“
Schweigend beobachtete Elias, wie sie allen die Hand gab und versuchte, sich die neuen Namen zu merken.
Der blonde Paul trug eine Brille, hatte einen Bürstenhaarschnitt und war die Verkörperung von Effizienz.
Dyson war dunkelhäutig, hatte Dreadlocks und trug einen goldenen Piratenohrring.
Die kleine Rosie war ein bisschen mollig und hatte die Haare flammend rot gefärbt.
Lucys silbergraue Haare waren zu einem Dutt zusammengefasst. Auf mehreren Armbändern standen die Namen ihrer Enkelkinder.
Trina besaß lange schwarze Haare mit einer blauen Strähne darin, Cara hingegen hatte sich für eine pinkfarbene Igelfrisur entschieden. Guilia sah so aus, als würde sie jede Minute Drillingen das Leben schenken.
Eine gute Truppe, entschied Tallie, nachdem sie mit allen ein paar Worte gewechselt hatte. Freundlich und herzlich. Jeder hatte gesagt, er freue sich, dass sie hier war. Gut, außer Elias Antonides natürlich.
Er hatte überhaupt nichts gesagt.
Schließlich, als die Mitarbeiter gegangen waren, sah sie ihn an. Er betrachtete sie, als sei sie eine Bombe, die er entschärfen müsste.
„Vielleicht sollten wir uns unterhalten“, schlug sie vor. „Uns kennenlernen.“
„Vielleicht“, stimmte er zu und rief Paul und Dyson nach, sie würden sich später wegen des Corbett-Projekts zusammensetzen.
„Ich entschuldige mich, nicht Bescheid gesagt zu haben, dass ich schon hier bin“, setzte sie an. „Ich bin um sieben gekommen. Ich konnte es einfach nicht erwarten. Schon am ersten Schultag bin ich viel früher gekommen als nötig. Haben Sie so etwas auch gemacht?“
„Nein.“
Okay, gut. Versuchen wir es mit einer anderen Taktik.
„Ich habe mein Büro gefunden. Danke übrigens für das Namensschild. Ich glaube, es ist mein erstes. Und vielen Dank für die Finanzberichte. Dazu habe ich ein paar Fragen. Haben Sie zum Beispiel darüber nachgedacht, dass Corbett möglicherweise nicht die beste Expansionsstrategie sein könnte.“
„Schauen Sie, Miss Savas“, unterbrach er sie. „Dieses Frage-und-Antwort-Spiel wird nicht funktionieren. Sie backen Kekse und stellen mir dann Fragen über Dinge, von denen Sie keine Ahnung haben. Für so etwas habe ich keine Zeit. Ich muss eine Firma führen.“
„Eine Firma, deren Präsidentin ich bin.“
„Auf der Grundlage einer Wette.“
Tallie erstarrte. „Wette? Was für eine Wette?“
„Wissen Sie das nicht?“
Doch bevor sie mehr tun konnte, als den Kopf zu schütteln, seufzte er tief. „Nein, vermutlich nicht.“ Er hielt kurz inne. „Nicht hier“, murmelte er und schaute sich um. „Kommen Sie.“
Er griff ihren Arm und führte Tallie in sein Büro. Hinter ihnen fiel die Tür mit einem lauten Klicken ins Schloss.
Elias Antonides’ Büro war kleiner als ihres. Es gab keine Fenster. Auf dem Schreibtisch stapelten sich Papiere und Unterlagen, daneben standen zwei Aktenschränke sowie drei Bücherregale. Eine Wand war von demselben Künstler gestaltet worden wie die in der Eingangshalle.
„Wow“, entfuhr es Tallie unwillkürlich. Sie deutete auf das Wandgemälde. „Es ist atemberaubend. Sie brauchen gar kein Fenster.“
„Nein.“ Mit angespannten Kiefermuskeln betrachtete er einen Moment das Bild. Dann wandte er den Blick abrupt ab und bedeutete ihr, auf einem Stuhl Platz zu nehmen.
Tallie setzte sich und wartete darauf, dass er ebenfalls Platz nahm. Was er nicht tat. Stattdessen ließ er seine Knöchel knacken und ging hinter seinem Schreibtisch auf und ab.
„Die Wette?“, drängte sie schließlich.
„Mein Vater hält sich für einen herausragenden Segler“, erwiderte er endlich. „Und nachdem er vierzig Prozent von Antonides Marine, ohne irgendjemand etwas davon zu sagen, verkauft hatte …“
Oh oh.
„… waren ihm die Dinge noch nicht verfahren genug. Also haben er und Ihr Vater eine kleine Wette abgeschlossen.“
„Und worum ging es in dieser Wette?“, fragte Tallie vorsichtig.
„Der Gewinner bekommt die Villa des anderen und die zweijährige Präsidentschaft über Antonides Marine.“
„Aber das ist doch lächerlich!“, protestierte Tallie. „Was sollte mein Vater mit noch einem Haus anfangen?“ Schließlich besaß er bereits fünf.
„Ich habe keine Ahnung“, entgegnete Elias finster. „Aber ich glaube, auf die Häuser kam es auch nicht an. Obwohl es sich in unserem Fall um die Villa handelte, die sich seit Generationen im Familienbesitz befindet.“
Also war es ihrem Vater um die Präsidentschaft gegangen. Aber den wahren Grund würde sie Elias nicht auf die Nase binden.
„Mein Vater mag Herausforderungen. Vor allem, wenn er glaubt, er könne gewinnen. Mit Ihrem Bruder, dem Olympiasegler, hat er nicht gerechnet.“ Schwer ließ Elias sich auf seinen Stuhl fallen.
„Oh nein“, sagte Tallie. „Daddy hat Theo das Rennen segeln lassen.“
Natürlich war es so abgelaufen. Denn genau wie Aeolus Antonides, spielte Socrates Savas, um zu gewinnen. Und in diesem Fall besaß Aeolus etwas, dass ihr Vater weit mehr wollte als ein Haus: Die Präsidentschaft für seine Tochter … zusammen mit dem uneingeschränkten Zugang zu Aeolus’ griechischem Göttersohn.
„Dann machen wir alles rückgängig“, sagte Tallie mit fester Stimme. Sosehr sie auch auf die Chance aus war, sich selbst zu beweisen, war dies nicht der richtige Weg. „Ich höre auf, und Sie bekommen Ihr Haus zurück.“
Ungläubig blickte Elias sie an. Dann überraschte er sie durch sein Kopfschütteln. „Das wird nicht funktionieren. Ihr Vater hat gewonnen. Ende, aus. Er hat das Haus bekommen, er wird es behalten.“
„Ich sage ihm, er soll es zurückgeben. Und ich werde nicht hier arbeiten.“
„Sie müssen aber.“
„Warum?“
„So lautete der Deal. Es ist die einzige Möglichkeit, die Villa zurückzubekommen.“
Deals, Wetten, am liebsten hätte Tallie ihren Vater erwürgt.
„Was genau besagt der Deal?“
„Socrates hat meinem Dad gesagt, er würde es in zwei Jahren zurückgeben …“ Elias hielt inne und schüttelte den Kopf.
„Wenn …?“, drängte Tallie.
„Wenn ich zwei Jahre lang als Geschäftsführer bei Antonides Marine bliebe“, stieß er zähneknirschend hervor. „Und Sie als Präsidentin.“
„Zwei Jahre?“
Offensichtlich besaß ihr Vater kein großes Vertrauen in ihre Fähigkeiten, wenn er glaubte, sie brauche zwei Jahre, um Elias vor den Altar zu zerren, ging es Tallie durch den Kopf.
„Das ist doch absurd“, meinte sie. „Wir müssen ihr Spiel nicht mitspielen.“
„Das Haus …“
„So toll kann es auch nicht sein!“
„Mein Vater ist dort geboren worden. Ebenso wie sein Vater und dessen Vater. Der einzige Grund, warum ich hier zur Welt kam, ist, dass meine Familie ein Jahr zuvor nach New York gekommen war. Aber in diesem Haus haben Generationen von Antonides’ gelebt. Wir verbringen immer noch unsere Ferien dort. Als ich ein kleiner Junge war, habe ich dort mit meinem Großvater Boote gebaut.“ Jetzt klang seine Stimme nicht mehr gleichgültig, sondern war voller unterdrückter Gefühle. „Meine Eltern haben dort geheiratet, verdammt noch mal! Das Haus ist unsere Geschichte, das Herz unserer Familie.“
„Dann hatte Ihr Vater kein Recht, es als Wetteinsatz zu verwenden.“ Tallie war fast so wütend auf seinen wie auf ihren Vater.
„Natürlich nicht. Und Ihr Vater hatte kein Recht, ihn über den Tisch zu ziehen.“
Sie starrten einander an.
Was Elias gesagt hat, ist richtig, dachte Tallie. Ihr Vater besaß ein Gespür für gute Gelegenheiten. Seine eigenen bettelarmen Eltern waren Einwanderer, sie hatten ihn diese Lektion gelehrt. Ihre Familie besaß keine Villa, in der Generationen gelebt hatten. Tallie war mit Geschichten aufgewachsen, wie hart die Familie für wenig Geld arbeiten musste. Wenn also eine Chance vorbeikam, ergriff man sie. Und Glück … ja, für sein Glück war man selbst verantwortlich.
„Was schlagen Sie also vor, sollen wir tun?“, fragte sie höflich.
„Wir tun gar nichts“, entgegnete Elias scharf. „Ich bin die letzten acht Jahre sehr gut alleine zurechtgekommen. Und genau das werde ich auch weiterhin tun. Da Sie nun einmal hier sein müssen, Miss Präsident, schlage ich vor, Sie setzen sich in Ihr Büro oder backen Plätzchen oder feilen sich die Fingernägel.“
„Das werde ich nicht tun!“
„Sie haben doch gar keine Ahnung vom Bootsbau.“
„Ich kann es lernen. Ich habe jeden Bericht gelesen, den mein Vater mir geschickt hat, ebenso jeden anderen Artikel über Antonides Marine, den ich finden konnte. Den Morgen habe ich damit verbracht, die Akten der Buchhaltung zu studieren. Und ich habe Ihnen gesagt, dass ich einige Bedenken wegen …“
„Die sind absolut unnötig.“
„Ganz im Gegenteil. Wenn Antonides Marine den reinen Bootsbau-Sektor verlassen wird, dann sollten eine ganze Reihe von Alternativen überdacht …“
„Was ich getan habe.“
„… und die gesamte Marketingstrategie muss neu …“
„Woran ich gedacht habe.“
„… bevor wir eine Entscheidung …“
„Und diese Entscheidung werde ich auch treffen.“
Wieder starrten sie einander an.
„Gut“, meinte Tallie endlich. „Wir sind uns einig, dass ich nicht einfach so gehen kann. Also bleibe ich. Und deshalb nehme ich auch Anteil am Firmengeschehen. Ich bin die Präsidentin von Antonides Marine, ob es Ihnen gefällt oder nicht.“
Elias’ Kiefernmuskeln arbeiteten. Er sah sie finster an. Sie hielt seinem Blick stand. Hätte das Telefon nicht geklingelt, hätten sie sich noch minutenlang so angesehen.
Er griff nach dem Hörer. „Was?“, fragte er barsch.
Die Antwort schien ihm nicht zu gefallen. „Meine Schwester“, wandte er sich an Tallie. „Ich muss mit ihr reden.“
„In Ordnung“, sagte sie.
Sie benötigte sowieso Zeit, die Neuigkeiten einzuordnen. Alles war noch viel schlimmer, als sie erwartet hatte. Die Wette, das Haus, der Deal, der arrogante griechische Gott, den ihr Vater als zukünftigen Schwiegersohn ins Auge gefasst hatte, ganz zu schweigen von der Haltung dieses Griechen, sie solle sich die Fingernägel feilen, anstatt ihren Job als Präsidentin wahrzunehmen.
Sie stand auf. „Ich bin in meinem Büro, falls Sie mich brauchen.“
„Na klar, als wenn das passieren würde“, murmelte Elias.
Sie bedachte ihn mit einem harten Blick, doch er hatte bereits das Telefonat mit seiner Schwester entgegengenommen.
„Nein“, sagte Elias.
Das sagte er immer zu Cristina. Dieses Mal ging es nicht um eine neue absurde Geschäftsidee, sondern um einen Segelausflug nach Montauk.
„Keine Zeit.“
„Komm schon, Elias. Mark würde dich gerne mitnehmen.“
Mark? Also war sie immer noch mit ihm zusammen? Seit zwei Monaten?
„Nein, ich bin beschäftigt. Ich stecke bis zum Hals in Arbeit. Und falls du es noch nicht gehört hast, es gibt einen neuen Präsidenten bei Antonides Marine.“
„Daddy hat es mir erzählt. Und es ist eine Frau!“ Sie kicherte. „Glaubst du, er verfolgt damit einen Plan?“
„Nein, das glaube ich verdammt noch mal nicht!“ Allerdings war ihm der Gedanke auch schon gekommen. Nur ging sein Vater selten so subtil vor. Aeolus bevorzugte normalerweise eine offensichtlichere Taktik.
„Aber wenn die neue Präsidentin dir Arbeit abnimmt, hast du ja jetzt mehr Zeit. Du kannst mich und Mark besuchen.“
„Nein.“ Womit sie wieder am Anfang ihres Gesprächs gelandet waren. „Cristina, ich muss jetzt weitermachen …“
„Du willst ihn gar nicht treffen“, warf sie anklagend ein.
„Ich kenne ihn. Wir waren zusammen in Yale.“
„Seitdem hat er sich verändert.“
Das hoffte Elias inständig. In Yale hatte Mark eine Party nach der anderen gefeiert. Nur weil sein Vater jemanden kannte, der jemanden kannte, war er überhaupt zugelassen worden. Was war das nur mit den griechischen Vätern?
„Wenn du unbedingt willst, dass ich ihn kennenlerne, kannst du ihn zum Familienessen am Sonntag mitbringen.“
„Das halte ich für keine gute Idee“, murmelte Cristina.
„Ich dachte, Dad mag ihn.“
„Ja, aber nur weil er Mark beim Golf schlagen kann.“
Elias lachte. „Das scheint mir doch eine gute Basis zu sein. Ich muss jetzt wirklich arbeiten, Crissie. Wir sehen uns am Sonntag.“
„Ich bringe Mark mit, wenn du die Präsidentin einlädst.“
„Bis bald, Crissie.“ Elias legte auf, bevor seine Schwester auf noch mehr brillante Ideen kam.
Er musste sich um wichtigere Dinge kümmern. Wie zum Beispiel Thalia Savas, alias Miss Präsident, davon zu überzeugen, dass es besser wäre, sich die nächsten zwei Jahre die Fingernägel zu feilen, als sich in die Geschäfte von Antonides Marine einzumischen.
Wenn sie glaubte, sie hätte ihre Hausaufgaben erledigt, sollte sie besser noch einmal nachdenken. Elias rieb sich die Hände. Er würde ihr zeigen, was Hausaufgaben bedeuteten. Und er wusste genau, womit er anfangen würde.
„Für mich?“ Tallie sah auf und lächelte freundlich, als Elias am späten Nachmittag mit einem knapp einen Meter hohen Aktenstapel ihr Büro betrat.
„Für Sie“, bestätigte er fröhlich und stellte den Turm auf ihrem Schreibtisch ab. „Da Sie an den Entscheidungen beteiligt sein wollen, möchten Sie sich bestimmt so schnell wie möglich auf den aktuellen Stand bringen.“
„Natürlich will ich das“, stimmte sie zu. „Vielen Dank.“
„Gern geschehen.“ Er wandte sich um, blieb aber an der Tür noch einmal stehen. „Morgen habe ich noch mehr Unterlagen für Sie.“
Tallie lächelte unbeirrt weiter. „Ich kann es kaum erwarten.“
Tatsächlich hatte sie, seit er den Anruf seiner Schwester entgegengenommen hatte, viel Spaß gehabt. Sie hatte sich zu Paul und Dyson in den Konferenzraum gesellt. Als Elias hinzukam, hatte er sie zunächst stirnrunzelnd angesehen, schließlich jedoch nur die Schultern gezuckt.
Sie lauschte der Diskussion der drei Männer und machte sich Notizen. Hin und wieder fing sie einen Blick von Elias auf, aber sie schwieg hartnäckig.
Das tat sie immer am ersten Tag.
Ihr Vater hatte ihr dieses Geheimnis verraten. Bevor man sprach, musste man zuhören.
Es beeindruckte sie, wie sorgfältig Elias mit den Informationen umging, die Paul ihnen präsentierte. Dennoch war sie immer noch nicht davon überzeugt, dass es ein guter Schachzug war, Corbett’s zu kaufen.
Deshalb würde sie alle Unterlagen lesen, die er ihr vorhin gebracht hatte, und eigene Überlegungen anstellen.
Um acht Uhr packte sie einen dreißig Zentimeter hohen Stapel zusammen, um ihn zu Hause zu lesen. Dann machte sie sich auf die Suche nach einem Karton dafür.
Die Büros waren verlassen. Rosie war bereits vor Stunden gegangen – nicht, ohne Tallie daran zu erinnern, ihr morgen das Plätzchenrezept mitzubringen.
„Großartig“, murmelte sie, als sie hinter einigen Schachteln mit weißem Papier einen geeigneten Karton entdeckte. Sie zog ihn hervor, drehte sich um und stieß gegen eine muskulöse männliche Brust.
„Kann ich Ihnen helfen?“ Elias’ Tonfall war höflich, seine Haltung drückte jedoch das genaue Gegenteil aus. Grob übersetzt wollte er wissen, was zum Teufel sie hier noch tat.
Sie lächelte strahlend. „Sie sind auch noch hier? Ich habe nur eine Kiste gesucht, um ein wenig Arbeit mit nach Hause zu nehmen.“
„Was für Arbeit?“
„Einige der Unterlagen, die Sie mir zur Verfügung gestellt haben.“ Auch sie wählte einen höflichen Ton, doch als er keine Anstalten machte, sich zu bewegen, wich sie ihm aus und schlug ihm im Vorbeigehen – aus Versehen natürlich – mit dem Karton gegen die Brust. „Oh, Entschuldigung.“
Sie hörte ihn leise fluchen, als sie mit dem Karton unter dem Arm den Flur entlangeilte.
Schritte folgten ihr. „Sie müssen die Papiere nicht mit nach Hause nehmen.“ Er blieb an ihrer Bürotür stehen, als sie den Stapel in die Kiste packte.
„Nun, ich hatte nicht vor, die ganze Nacht hierzublieben.“
„Sie machen sich viel zu viele Umstände.“
„Ganz und gar nicht. Das ist mein Job.“
Seine Kiefernmuskeln zuckten, und sie wusste, dass er am liebsten gesagt hätte: „Nein, es ist meiner.“
Aber er sagte nichts und machte kehrt.
„Willkommen zu Ihrem ersten wundervollen Tag bei Antonides Marine International“, murmelte Tallie, als sie ihm nachsah.
Gar keine Frage, Tallie Savas würde ihm auf die Nerven gehen.
Wer zur Hölle brauchte eine Präsidentin, die Kekse backte? Die zu Meetings kam und dann schweigend dasaß und wild in ihren Notizblock kritzelte? Die sich mit Stapeln von Akten in ihrem Büro einschloss und sie tatsächlich durcharbeitete? Sie sogar mit nach Hause nahm?
Elias schaute ihr nach, wie sie zur Tür schritt, den Karton voller Unterlagen auf ihrer Aktentasche balancierend, obendrauf schwankten drei leere Plätzchendosen.
Ein Gentleman würde ihr helfen.
Aber Elias fühlte sich nicht wie ein Gentleman. Gerne hätte er gesehen, wie sie alles fallen gelassen hätte.
Doch so wie sein Leben im Augenblick verlief, würde sein Vater wahrscheinlich darauf bestehen, ihre Krankenhausrechnung mit dem Geld zu bezahlen, das Elias noch gar nicht verdient hatte! Grimmig eilte er ihr nach.
„Erlauben Sie“, sagte er mit kalter Höflichkeit und öffnete die Tür.
„Danke.“ Sie schenkte ihm ein zuckersüßes Lächeln. „Ich wünsche Ihnen einen schönen Abend.“
„Oh ja“, erwiderte er trocken.
Sie wandte den Kopf und grinste. Die oberste Blechdose vollführte einen kleinen Tanz, doch Tallie rettete sie.
„Brauchen Sie vielleicht Hilfe?“, bot Elias ihr gegen seinen Willen an.
Tallie schüttelte den Kopf – Aktentasche, Karton und Dosen wackelten. „Nein, danke.“ Damit marschierte sie in den Flur.
Eigentümlicherweise ärgerte ihn ihre Weigerung, sich helfen zu lassen. Elias schloss die Bürotür. Doch anstatt sich an seinen Schreibtisch zu setzen, blieb er stehen und beobachtete Tallie durch das Glas hindurch. Wenn sie die verdammten Dinge fallen ließ, würde sie seine Hilfe annehmen müssen.
In diesem Moment wurde eine Tür weiter hinten im Flur geöffnet, und ein Mann trat heraus. Elias erkannte Martin de Boer sofort an seinem Tweedjackett mit den Flicken an den Ellenbogen und an dem wichtig-und-zu-beschäftiger-Journalist-um-zum-Friseur-zu-gehen-Haarschnitt.
Martin schrieb für das snobistische Meinungsmagazin Fragen und Antworten, das einige Büroräume in dieser Etage gemietet hatte. Elias hatte geglaubt, er würde sympathische Mieter bekommen, und die Leute, die das eigentliche Magazin herausgaben, waren es auch.
Doch die Journalisten, die für Fragen und Antworten schrieben, waren von einer anderen Sorte. Sie glaubten, jedermann hätte Fragen, und nur sie besäßen die Antworten. Und nach den wenigen Gesprächen, die Elias mit ihnen gehabt hatte, besaß Martin de Boer die meisten Antworten. Er hielt den Journalisten für einen unsympathischen Besserwisser, der sich in alles einmischte, was ihn nichts anging.
Seine Meinung verbesserte sich nicht gerade, als er jetzt mit ansehen musste, wie Martin lächelnd Tallie seine Hilfe beim Tragen anbot. Zumindest erhielt er ein Lächeln zurück und eine Antwort, die ihn veranlasste, ihr galant den Karton abzunehmen und unter seinen eigenen Arm zu klemmen.
Verflucht! Elias starrte zornig durch die Glastür. Auf sein Angebot hatte sie praktisch mit einem Tritt gegen sein Schienbein reagiert! Halb war er versucht, durch den Flur zu marschieren und den Karton aus Martins dünnen Armen zu reißen.
Gut, dass in diesem Augenblick sein Handy klingelte.
Schlecht, dass er die joviale, gut gelaunte Stimme seines Vaters am anderen Ende vernahm. „Nun, wie ist der erste Tag mit unserer neuen Präsidentin verlaufen?“
Elias sah Tallie mit Martin im Aufzug verschwinden. Er stieß zwei Worte hervor: „Frag nicht.“
Das Telefon klingelte, kaum dass Tallie ihre Wohnung betreten hatte.
„Ich wollte nur hören, wie alles gelaufen ist“, sagte ihr Vater. Er klang beiläufig und neugierig zugleich.
Tallie löffelte für ihren hungrigen Kater Harvey eine fischig riechende Substanz auf einen Teller. „Einfach großartig“, sagte sie.
Dabei hätte sie es gerne belassen, aber das reichte ihrem Vater natürlich nicht. Also begann sie mit einem nahezu vollständigen Bericht. Angefangen bei den Büros, dem Wandgemälde und der Geschichte von Antonides Marine. Sie erzählte ihm alles – bis auf das, was er eigentlich erfahren wollte.
„Gut, gut. Du hattest offensichtlich einen schönen Tag“, meinte er schließlich.
Harvey hatte sein verspätetes Abendessen beendet und beäugte nun interessiert die Spiegeleier mit Speck, die Tallie für sich selbst zubereitete. Sie schüttelte den Kopf und warf ihm einen strafenden Blick zu. Er starrte nur ungerührt zurück, was sie an Elias erinnerte, der ihr mit ähnlicher Miene zu verstehen gegeben hatte, dass Antonides Marine ihm und nicht ihr gehörte.
„Was ist mit den Menschen?“, fragte ihr Vater und näherte sich damit dem eigentlichen Ziel seines Anrufs. „Es sind die Menschen, die eine Firma ausmachen, Thalia.“
Also berichtete sie von den einzelnen Mitarbeitern und beschrieb ihre ersten Eindrücke.
„Und Aeolus Sohn? Elias war auch in der Firma, oder?“
„Elias? Oh ja, der war da.“
„Aha. Und … war er hilfsbereit?“ Eine gewisse Vorsicht hatte sich in Socrates’ Stimme geschlichen.
„Er hat mir viel zu lesen gegeben.“
„Zu lesen?“
„Geschäftsberichte, Unterlagen.“
„Sehr gut. Dann scheint er dich zu akzeptieren.“
„Als Präsidentin, meinst du? Du hast ihm nicht wirklich eine andere Chance gelassen, Dad.“
„Nein, das ist nicht wahr!“, entrüstete ihr Vater sich.
„Doch. Hast du nicht dafür gesorgt, dass Theo deine kleine Wette für dich gewinnt? Hast du Aeolus nicht angeboten, ihm das Haus seiner Vorfahren unter der einen Bedingung zurückzugeben, dass Elias für zwei Jahre als Geschäftsführer in der Firma bleibt?“
Ein kurzes Schweigen trat ein, in dem ihr Vater herauszufinden versuchte, was er zur Schadensbegrenzung anführen konnte.
„Ich habe es für dich getan, Thalia. Das ist deine Chance. Du wolltest doch immer ins große Geschäft einsteigen.“
„Als ob das der wirkliche Grund ist.“
Socrates räusperte sich, sagte aber nichts mehr.
„Hör auf, mein Leben manipulieren zu wollen, Dad. Hör auf, mir irgendwelche Junggesellen vorzustellen.“
„Das habe ich gar nicht. Außerdem kann ich ihn ja nicht zwingen, dich zu heiraten, oder?“
„Aber wenn du könntest, würdest du. Wenn Brian noch lebte, wäre ich längst verheiratet!“
„Er würde nicht wollen, dass du für immer Single bleibst, Thalia.“
„Ich weiß das! Aber er würde auch nicht wollen, dass ich irgendjemand heirate.“
„Natürlich nicht, aber …“
„Hör auf, Dad. Lass es bitte sein.“ Sie schwieg einen Moment. „Ich muss jetzt Schluss machen und die Unterlagen durcharbeiten, die Elias mir gegeben hat.“
Es ist keine große Sache, redete Elias sich jeden Morgen aufs Neue ein. Schön, dann stand jetzt eben Tallie Savas’ Name als Präsidentin auf dem Briefkopf von Antonides Marine.
Na und? An seiner Arbeit änderte sich dadurch nichts.
Nur entsprach das nicht ganz der Wahrheit.
Es war nicht so, dass Dyson und Paul Jasager waren. Sie sahen die Dinge nicht auf dieselbe Art wie Tallie. Dyson war der Theoretiker, Paul der Praktiker. Und Tallie … war Tallie.
Sie sah die Welt aus einer anderen Perspektive.
„Einer weiblichen Perspektive“, sagte sie schulterzuckend, als sei dies keine große Sache.
Aber verwirrenderweise war es das doch. Sie brachte Dinge in die Diskussion ein, die bislang niemand beachtet hatte. Zum Beispiel sprach sie über Menschen, und wie sie die Balance zwischen Arbeit und Familie fanden.
Mit dieser Art Balance kannte Elias sich nicht aus. Wenn er arbeitete, konzentrierte er sich ausschließlich darauf. Doch die Wahrheit war, dass Elias sich zum ersten Mal im Leben bei der Arbeit mit einer Ablenkung konfrontiert sah. Natürlich schätzte er schöne Frauen, aber bislang hatte er sich stets darum bemüht, Arbeit und Vergnügen voneinander zu trennen.
Das war nicht einfach.
Denn jetzt konnte es passieren, wenn er in einem Meeting saß und versuchte, Pauls oder Dysons Ausführungen zu folgen, dass sein Blick zu Tallie hinüberglitt. Und schon war es um seine Aufmerksamkeit geschehen.
Unvermittelt war er gefesselt von den lebendigen vorwitzigen Strähnen, die sich aus ihrem Zopf gestohlen hatten. Wie es wohl sein würde, ihr Haar offen, wild und sexy zu sehen? Wie es wohl sein würde, wenn er selbst die Nadeln herauszog und mit den Fingern durch die seidigen Locken fuhr?
Unvermeidlich war es, dass Dyson dann sagte: „Was denkst du darüber, Elias?“
Verwirrt kehrte er in die Realität zurück und hatte keine Ahnung, worum es gerade ging. Mittlerweile war das schon mehrfach passiert.
Letzten Dienstag hatte Paul eine seiner komplizierten Skizzen an die Tafel gemalt, die nicht sonderlich spannend waren. Wie hätte er da nicht zu Tallie hinüberschauen können, die gerade ihre Beine überkreuzte? Der Anblick des Stückchens gebräunter Haut reichte aus, um ihn Pauls Linien und Kästchen völlig vergessen zu lassen.
„So weit einverstanden?“, fragte Paul und wandte sich zu ihnen um.
Tallie nickte. Elias schloss die Augen und versuchte, seine Gehirnzellen wieder zur Arbeit zu überreden.
Kein Wunder, dass er wütend wurde. Allerdings wusste er nicht, ob er auf Tallie wütend war, weil sie hier war, oder auf sich selbst, weil er sich so von ihr ablenken ließ. Also forderte er sie heraus und stellte ihr Frage um Frage.
Und sie gab ihm wohldurchdachte Antworten, die zeigten, dass sie dem Geschehen – im Gegensatz zu ihm – gefolgt war.
Und dann diese Kekse! Auch sie waren Teil des Problems. Denn Tallie hatte nicht nur am ersten Tag Plätzchen mitgebracht, sondern seither jeden Tag.
„In anderen Büros gibt es einen Teller mit Süßigkeiten“, grummelte er eines Tages. „Aber wir führen eine verdammte Konditorei.“
„Niemand außer Ihnen beschwert sich“, wies Tallie ihn ungerührt zurecht.
„Das werden sie noch, wenn sie ihre Cholesterinwerte überprüfen lassen.“
Anstatt endlich aufzuhören, brachte sie von nun an auch noch frisches Gemüse mit. Neben den gebackenen Delikatessen gab es immer auch eine Schale mit Karotten und Selleriestangen, mit Brokkoli- und Blumenkohlröschen oder mit grünen und roten Paprikastreifen.
Elias gefiel das gar nicht. „Dafür haben wir kein Budget.“
„Die Firma zahlt auch nicht dafür. Das geht auf mein Konto.“
Er murmelte etwas, aber sie lächelte nur und schleppte am nächsten Tag weitere Köstlichkeiten an. Wie sollte er ihr das auch verbieten? Sie war die verflixte Präsidentin!
Und sobald die Mitarbeiter herausgefunden hatten, dass sie regelmäßig mit Keksen versorgt wurden, begannen sie, sich vor den Tellern zu treffen.
Und sich zu unterhalten!
Noch nie hatte es so viel Geplauder im Büro gegeben. Stets hatte er geglaubt, er würde eine recht unkomplizierte Firma leiten, in der die Menschen offen miteinander sprachen. Aber nie hatte er ein solches Level an Kommunikation erreicht, wie Tallie mit ihren verdammten Plätzchen!
Ideen wurden ausgetauscht. Gedanken. Und nicht nur über das gestrige Baseballspiel oder wie weit fortgeschritten Pauls Hochzeitspläne waren oder wie es Lucys Enkelkindern ging. Die Mitarbeiter besprachen Geschäftliches. Manchmal entstanden über Tallies Keksen sehr vernünftige Einfälle.
„Sie ist gut für die Firma“, sagte Dyson einmal grinsend. Er lehnte mit der Hüfte gegen Elias’ Schreibtisch und sah zu Tallie hinüber, die sich gerade mit Rosie unterhielt. „Und sie sieht hervorragend aus.“
Elias warf ihm einen finstern Blick zu. „Das darfst du in einem Büro nicht sagen.“
„Tallie kümmert das nicht. Sie würde erwidern, dass ich ein hervorragend aussehender Mann bin.“ Dyson lachte selbstzufrieden.
„Das zeigt nur, wie schlecht ihr Geschmack ist“, meinte Elias und knallte eine Schublade zu.
Dysons Grinsen wurde noch breiter. „Seit sie hier ist, bist du ein bisschen griesgrämig. Bist du eifersüchtig?“
Wie gerne hätte er noch eine Schublade zugeknallt! „Vergiss es. Und wir bezahlen dich nicht fürs Rumstehen und Unsinn erzählen. Geh zurück an deine Arbeit.“
„Ich meine ja nur …“ Immer noch kichernd salutierte Dyson und schlenderte davon.
Aber es stimmte, was Dyson gesagt hatte. Stundenlang unterhielt Tallie sich mit den anderen Mitarbeitern nicht nur über die Arbeit, sondern über ihr Leben. Elias saß dann an seinem Schreibtisch und musste mit anhören, wie sie mit Rosie lachend über Männerprobleme diskutierte. Holte er sich eine Tasse Kaffee, plauderte sie mit Dyson über einen alten Film oder ein Mädchen namens Sybella, das er kürzlich kennengelernt hatte. Machte er sich auf die Suche nach Paul, fand er ihn meist mit Tallie über Hochzeitsangelegenheiten plaudernd vor.
Er hatte gar nicht gewusst, dass Paul vorhatte zu heiraten!
Tallie wusste alles. Sie kannte den Namen von Pauls Verlobten. Die Namen von Lucys Enkelkindern. Sie wusste, wie Giulia ihren Sohn genannt hatte, der am Samstag das Licht der Welt erblickt hatte.
„Giacomo“, teilte Tallie ihm mit. „Nach Vincents Vater.“
Wer um alles in der Welt war Vincent?
Tallie kannte sogar den Namen von Caras Friseur.
„Warum? Möchten Sie sich das Haar pink färben lassen?“, hatte Elias sarkastisch gefragt, nachdem Cara an ihren Schreibtisch zurückgekehrt war.
Tallie hatte gegrinst. „Tatsächlich wollte ich nur sichergehen, dass ich ihn nie an meine Haare heranlasse.“
Aber das war die einzige Gelegenheit, bei der sie ihm ein Lächeln geschenkt hatte. Ansonsten verhielt sie sich ihm gegenüber absolut kühl.
Allerdings musste er auch zugeben, dass sie hart arbeiten konnte. Sie kam früh ins Büro und ging spät nach Hause.
Was jedoch ihren Männergeschmack anging, hatte er einiges an ihr auszusetzen.
Sie ging doch tatsächlich mit Martin de Boer aus.
Nachdem Martin ihr den Karton getragen hatte, war er im Verlauf der Woche in die Firma gekommen und hatte gefragt, ob sie Zeit habe, mit ihm zum Lunch zu gehen.
„Nein, hat sie nicht“, hatte Elias eingeworfen, bevor Tallie antworten konnte. „Wir haben mittags eine Besprechung.“
„Wirklich?“, fragte sie zurück. „Das wusste ich gar nicht.“
„Wie wäre es dann mit Abendessen?“, ließ Martin nicht locker.