Die Cafés von Paris - Murielle Rousseau - E-Book

Die Cafés von Paris E-Book

Murielle Rousseau

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Beschreibung

Paris und seine Cafés – die Pariserin Murielle Rousseau nimmt Sie mit in ihre Lieblingscafés der Stadt. Vom Café de Flore über das Café Marly im Louvre, dem Deux Moulins im Montmartre bis zur Brasserie Lipp: Sowohl die kleinen, mit einfachen Holztischen ausgestatteten Bistrots um die Ecke als auch die traditionellen und interessanten Cafés, in denen sich seit je Kultur und Alltag begegnen, sind untrennbar mit dem Leben und dem Flair der Stadt verbunden.

Murielle Rousseau entführt die Leserinnen und Leser in die schönsten und einzigartigsten Cafés ihrer Heimatstadt und erzählt auf besondere, charmante und sehr französische Art zahlreiche Café-Geschichten der Vergangenheit und Gegenwart. Ein lebendiges Porträt der traditionellen und modernen Pariser Caféhaus-Tradition.

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Seitenzahl: 182

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Titel

Murielle Rousseau

Die Cafés von Paris

Mit Fotografien von Marie Preaud

Insel Verlag

Die Cafés von Paris

Übersicht

Cover

Titel

Inhalt

Informationen zum Buch

Impressum

Hinweise zum eBook

Inhalt

Cover

Titel

Inhalt

Vorwort

Erstes Arrondissement

Wie der Eisvogel in seinen grün-schimmernden Fluss – die grün-gelbe Szenerie des

bistrot-théâtre

Im Stil Napoleons III.

Hundeporträts überall

Rosé-Champagner für frisch Verlobte

Einen Wodka Martini für Bond

Mit Coco auf ein

chocolat africain

Im Garten des Palais Royal

In Erinnerung an den Erfinder des Buchdruckes

Japanische Café-Bäckerei

Zweites Arrondissement

Käse, Wein und Crème brûlée in der schönsten Galerie von Paris

Wo Balzac sich beim Austernessen seine Inspiration holte

Ein Café mitten am Markt

Sank Roo Doe Noo

Himmelzarte Café-Pâtisserie am Standort eines alten Klosters

Drittes Arrondissement

Art déco an der place des Vosges

Kleinstes Café von Paris in einer alten Schuhwerkstatt

Bar-tabac

zum hartnäckigen Ignorieren des Rauchverbots

Viertes Arrondissement

Émilie bei der Fashionweek im Ambiente des 19.Jahrhunderts

Liebesgeschichte an der place du Châtelet

Lachs, Rosé und

people watching

bis zur blauen Stunde

Bohème- und Künstlercafé am Ufer der Seine

Fünftes Arrondissement

Kamillen-Rosenknospentee im Bücherbohème-Café

Sechstes Arrondissement

Laisser-faire

und

laisser-vivre

inmitten des Beaux-Arts-Viertels

Feiner Jazz zu später Stunde in legendärer Kulisse

Elsässische

choucroute

und pikante Unterhaltungen

Über Literatur philosophieren mit Gallimard

Kiki de Montparnasse, Schönheitsikone von Malern und Fotografen

Tausend Fliederbüsche und rauschende Bälle

Samtbezogene, elegante Jazzhöhle

Französische Chansons und

chocolat à l’ancienne

Wie der Bug eines großen Schiffes

Ein

citron pressé

mit Glockengeläut und Vogelgezwitscher

Joseph Roth an der handziselierten Zinktheke

Das erste Pariser Café

Eine einstige Künstlerkneipe, ein bisschen

vieillot

Siebtes Arrondissement

Das Café in der fünf Meter hohen Bahnhofsuhr

Achtes Arrondissement

Kaffeeklatsch mit Freundinnen unter Bananenbäumen und Palmen

Abschiedscafé an den Champs-Élysées

Anne und Aimée beim Tee im Palast

Neuntes Arrondissement

Die ganze Nacht im Café: So ist Paris am schönsten

Philosophengespräche im ehemaligen Impressionistencafé

Mit Blick auf den goldenen Engel auf dem Operndach der Opéra Garnier

Zehntes Arrondissement

Tee-Apéro mit Blick auf einen der vier Arcs de Triomphe

Legendärer Einkehrort für die Gare de l’Est

In eine der berühmtesten

maisons closes

des 19. Jahrhunderts

Elftes Arrondissement

Ein Eckcafé mit einem Interieur als

monument historique

Zwölftes Arrondissement

Leidenschaftliche Affäre

Vierzehntes Arrondissement

Trinité française

mit auvergnatischem Einschlag

Ein Lammcurry für zwei Jean-Pauls

Fünfzehntes Arrondissement

Der Duft des Baskenlandes unweit des Eiffelturms

Achtzehntes Arrondissement

Gesprächsfetzen der Cafés von Montmartre

Yves’ und Margories Donnerstagnachmittage in den Gärten des Montmartre

Und zum Schluss:

Eine der besten Tartes

Anhang

Danksagung

Register

Karten

Informationen zum Buch

Impressum

Hinweise zum eBook

Vorwort

Für Amandine und Joël

»Café, un garçon s’il vous plaît!«

Jean-Paul Sartre

»Paris ist immer eine gute Idee.«

Audrey Hepburn

Was wäre Paris ohne seine Cafés? Dem einfachen kleinen, direkt um die Ecke, mit der großen Kaffeemaschine auf dem Tresen, den karierten Papiertischdecken und den klassischen dunklen Bistrostühlen? Dem legendären aus den Stadtführern, in dem Historisches geschah, Literatur geschrieben wurde, wo Musik auf Kabarett, Kunst auf Kulinarisches traf? Im 17. Jahrhundert begann die Geschichte der Pariser Cafés – seitdem ist die Stadt ohne sie nicht mehr denkbar. Auch für mich als gebürtige Pariserin gehören sie zu meiner Heimatstadt einfach dazu.

Café de Flore, Café Charbon, Le Procope, Café de Foy, Café de la Paix, Les Deux Magots, Café Marly im Louvre, Café des Deux Moulins im Montmartre oder die Brasserie Lipp: Berühmte Pariser Cafés wecken Nostalgie bei jedem Pariser, bei jedem Besucher – sind sie doch untrennbar mit der Geschichte der Stadt verbunden und immer noch integraler Bestandteil des heutigen Pariser Lebens. Denn dem in ganz Frankreich zu bedauernden Bistrosterben konnten sie erfolgreich trotzen: Jedes Jahr verliert die Grande Nation, in der es heute 35.000 Cafés gibt, gut 1000 von ihnen – und seit der Pandemie werden es zunehmend mehr. Aber vor allem Paris und die Île-de-France geben zu hoffen, denn hier entstehen vermehrt auch neue, ungewöhnliche Formen des alten bistro – dessen Bezeichnung übrigens vom russischen Wort für »schnell« stammen soll, nach dem russische Soldaten zur Zeit der Befreiungskriege gegen Napoleon »bystro, bystro!« riefen, wenn sie flott bedient werden wollten, womit die heutigen Bistros für ihren Überlebenskampf inmitten von Burger-Restaurants und Coffeeshops zumindest etymologisch die besten Voraussetzungen mitbringen. Für das Café gibt es übrigens viele Namen, vom troquet zum bistroquet, Zola sagte l’assomoir, Seeleute le rade oder le bouchon und Balzac schrieb vom cabaret.

Ob Café, Bistro, Bar oder Brasserie – sie empfangen heute wie gestern Träumer und Verzweifelte, Verliebte und Einsame, Durchreisende und Nachbarn, Studenten, die in ihrer chambre de bonne frieren, und Freundinnen am Ende des Arbeitstages. Sie sind Orte für Rendez-vous, für Arbeitsbesprechungen, für Treffen jeder Art. Sie ersetzen das Wohnzimmer, das Büro oder die eigene Küche und leben vom menschlichen Kontakt, der hier gepflegt wird und ein informelles Beisammensein möglich macht. Die außerordentliche Schließung der Cafés während der ersten Zeit der Pandemie und ihre Wiedereröffnung ein paar Monate später hat gezeigt: Sie sind für die Menschen emotional wichtig und durch nichts zu ersetzen. In Paris gibt es Cafés und bistros für Menschen aller Herkunftsländer, Religionen oder Gesellschaftsschichten, wie etwa die bretonischen Bistros bei Montparnasse, die jüdischen Cafés und bistros im Marais-Viertel, spezialisierte, edle bistrots à vin mit einer unendlichen Weinauswahl oder auch solche, die eindeutig einer politischen Richtung zuzuordnen sind. Alphonse Allais bemerkte zu Recht, dass man gezwungen wäre, sein Café zu wechseln, wenn man seine politische Meinung ändert. In diesem Buch nehme ich Sie mit in die interessantesten Cafés meiner Stadt und erzähle Ihnen Geschichten, die hier spielen und spielten. Dabei nähere ich mich als Autorin den Cafés sowohl als Beobachterin als auch Genießerin und porträtiere sie auf ganz persönliche Art. So entsteht Café für Café, Bistro für Bistro ein ganz besonderes, ganz charmantes, ganz eigenes Bild von Paris: das Porträt einer Stadt, mit einer Kaffeetasse in der Hand, Klimpern im Ohr.

Wir Pariser bräuchten vielleicht keinen Eiffelturm und keine Sacré-Cœur, aber wir brauchen die Cafés unserer Stadt.

Erstes Arrondissement

Wie der Eisvogel in seinen grün-schimmernden Fluss – die grün-gelbe Szenerie des bistrot-théâtre

Bar de l’Entracte

47 rue Montpensier

75001 Paris

Es ist spät. Wie der Eisvogel in seinen grünschimmernden Fluss tauchen wir am Ende eines langen Arbeitstages in die grün-gelbe Szenerie dieses bistrot-théâtre, der allerersten Bar von Paris. Bei der Eröffnung 1614 hieß sie noch La Pissote. Damals kamen die Pferdekutscher zum pisser, Pinkeln, und um ein Glas zu trinken, sobald sie die Kurtisanen des Königs nach Hause gebracht hatten. Seitdem ist viel Wasser unter den Brücken der Seine geflossen. Wir sind in der Nähe des Palais Royal, keine 200 Meter vom Louvre entfernt, in einer so kleinen Gasse, dass ich jedes Mal das Gefühl habe, auf dem Dorf zu sein und nicht mitten in der Hauptstadt. Die Comédie-Française, in der die Truppe von Molière spielte, wurde erst später an das Palais Royal angebaut – La Pissote, heute L’Entracte, gab es schon davor.

Wir hatten noch gar nichts bestellt, da serviert uns der Patron zwei kleine Gläser Weißwein von der Loire. Das Wasser, das er reicht, stammt aus einem der beiden kaum bekannten unterirdischen Bäche von Paris, dem Grange-Batelière, der in der Nähe der Oper und unter dem Kaufhaus Le Printemps fließt. Doch die Weine sind von der Loire. Wie der Patron. Die Loire trägt er in seinem Herzen und auf der Weinkarte. Das verstehe ich gut, meine Familie besitzt seit vielen Jahrzehnten ein Haus an der Loire, eine longère inmitten von Weizenfeldern.

Nach und nach trudeln die ersten Schauspieler ein, die nach der Aufführung mehr oder weniger schnell aus der Garderobe schlüpfen und hier ihre Gewohnheiten pflegen. Ich erkenne Jean Carmet und Jacques Villeret. Es gibt Abende, da sprechen die Schauspieler viel, laut und schnell und spielen die französische commedia dell’arte in den winzigen Räumlichkeiten des L’Entracte einfach weiter. An diesem Abend aber schweigen sie und trinken wortlos ihren Bourgeuil. Was mag im Theatersaal heute vorgefallen sein? Ihre Anspannung füllt den ganzen Raum, ist spürbar, umöglich, sich ihr zu entziehen. An diesem Donnerstagabend verdichtet sich das Lokal zu einem Ort ohne Zeit und Norm. Mein Blick wandert nach oben, auf die dunklen Fassaden an der gegenüberliegenden Straßenseite. Sonst sehen die beleuchteten Fenster wie Augen auf uns herab, heute sind sie erloschen. Die 400 Jahre alte Geschichte, sie ist hier greifbar nahe: Im Café de Foy um die Ecke hat sich 1789 Camille Desmoulins auf einen der Tische gestellt und die Menschen zu den Waffen gerufen. Am Tag darauf wurde die Bastille gestürmt, die Französische Revolution nahm ihren Lauf.

Der Wein schmeckt fruchtig und trocken zugleich. Der Patron kennt seine Winzer sowie den Geschmack seiner Gäste und schenkt uns ungefragt, aber großzügig nach. Wieder werden keine Worte gewechselt. Dabei haben wir schon oft über die kalkigen Böden an den Hängen der Loire gesprochen, Marcel und ich. Und über die Winzer, bei denen er einkauft. Es wird immer später, der Hunger lässt uns zum nahegelegenen Restaurant Le Grand Véfour rüberschielen, in dem schon Victor Hugo saß. Doch dessen Fenster sind verschlossen. Stattdessen lächelt uns hier im L’Entracte ein heißer chêvre auf Blattsalat an, von dem Marcel mir schon vorgeschwärmt hat. Er käme direkt vom Produzenten und Marcel wüsste, wo dessen Ziegen grasen. Wir müssen nicht lange überlegen. Während wir Marcels kulinarische Empfehlung genießen, verlassen die Schauspieler nach und nach das L’Entracte – um am nächsten Abend wieder hier zu sitzen, diesmal mit der ausgelassenen Laune, die dem einmaligen Ort gerecht wird.

Tipp:

Das Café de Foy befand sich von 1749 bis 1874 in den edlen Galerien des Palais Royal und war, wie das L’Entracte, beliebt bei den Schauspielern der nahegelegenen Theater. Es war das erste Café, das Getränke, Limonaden und Eis im Garten servieren durfte, allerdings zunächst ohne Tische, nur Stühle standen bereit. Im Jahr 1775 entstand die Caféterrasse und erfreute sich dann mit Stühlen und Tischen großer Beliebtheit. Das mit Holzsäulen und Spiegelglas verzierte und ausschließlich mit Öllampen beleuchtete Café de Foy zog sowohl Personen aus dem literarisch-künstlerischen wie auch politischen Leben an – und befand sich zuerst in der rue de Richelieu. Doch nach dem vom Duc d’Orléans veranlassten Umbau, der den Garten von der Straße rue de Richelieu trennte, zog das Café in die Arkaden des Palais Royal – und erstreckte sich hier unter sieben Arkadenwölbungen.

Im Stil Napoleons III.

Café Marly

93 rue de Rivoli

75001 Paris

Es ist Winter. Eine eisige Stille hat sich über die Stadt gelegt. Die rue de Rivoli, entlang des nördlichen Flügels des Louvre, gehört sowieso nicht mehr den Autos. Aus der Metrostation Tuileries strömen Touristen. Sie stellen ihre Mantelkragen hoch und laufen schnell über die Cour Napoléon zur Pyramide du Louvre. Das Café Marly, das zwar nicht jetzt, aber zu späterer Stunde gut besucht ist, lassen sie dabei links liegen. Es befindet sich im Flügel Richelieu des Palais du Louvre, benannt nach Kardinal Richelieu (1585-1642), Minister unter Ludwig XIII. Der hintere Teil des Cafés ist im Stil Napoleons III. eingerichtet – üppig, blumengemustert und wandvertäfelt – und an diesem Morgen für ein Arbeitstreffen beim petit déjeuner reserviert: Kuratoren aus dem In- und Ausland besprechen eine große Ausstellung, die in zwei Jahren realisiert werden soll.

Im vorderen Teil hat sich – kurz nachdem das Café um acht Uhr seine Türen öffnete – ein Paar mittleren Alters an einen der kleinen Tische gesetzt. Die Frau, die ihr dunkelbraunes Haar wie in den sechziger Jahren hochgesteckt und einen großen dunkelgrünen Seidenschal elegant darum gewickelt hat, sieht aus, als käme sie geradewegs aus einer Filmszene von Jean-Luc Godards Erstlingswerk Außer Atem spaziert. Der Mann hingegen hat seinen Hut nicht abgesetzt – als hätte er ihn auf dem Kopf »vergessen«. Sie dreht ihr Gesicht zur Terrasse unter den hohen Arkaden und stützt elegant ihren Ellenbogen auf den Tisch. Nonchalant in ihrer Teetasse rührend, senkt sie zunächst den Blick, dann schlägt sie ihre Augen auf und schaut den Mann ihr gegenüber direkt an. Er berührt ihren Arm, ihre Hand, nimmt diese in beide Hände und führt sie zu seinem Gesicht. Nur eine halbe Armlänge trennt die beiden, es ist offenbar zu viel: Er beugt sich über den Tisch, um sie zu küssen.

Das Café ist zugleich ein offener, neutraler wie auch ein intimer Ort. Als ob die beiden kein Zuhause hätten und das Café Marly der einzige Ort wäre, an dem sie eng ineinander verschlungen sitzen können. Die Kellner schauen diskret weg, gerührt, Zeuge ihrer Gefühle zu sein. Das Halbrund, das die beiden mit ihren Gesichtern formen, erinnert an das Gemälde »Die Kartenspieler« von Paul Cézanne, in dem zwei Männer mit Hut im Café an einem Tisch sitzen, der, wie auch jener im Marly, mit einer sehr kurzen Tischdecke bedeckt ist. Wie eine Pyramide ist die Szene aufgebaut, mit der Tischplatte als Basis, die Gesichter etwas eckig, die Kopfbedeckungen wie Zylinder. Der Unterschied ist das Kartenspiel, das Cézanne seinen Cafébesuchern in die Hände malt, während das Liebespaar nichts anderes hält als die Hand des anderen. Und im Gegensatz zur Szene bei Cézanne sitzen die beiden Liebenden in schweren Sesseln statt auf einfachen Holzstühlen.

Das Café ist ein Ort der Begegnungen, der sich kreuzenden Geschichten, des Lichts und der menschlichen Wärme. Zwischen den hohen Wänden des Marly streichelt der Mann die Wangen seiner Geliebten, im hinteren Teil diskutieren sich die Kuratoren die Köpfe heiß. Man ist anonym und bekannt zugleich – und das an einem Ort, der nach Marly, dem Jagd- und Sommerschlösschen Ludwigs XIV., benannt wurde.

Hundeporträts überall

Au chien qui fume, Les Halles

33 rue du Pont Neuf

75001 Paris

Duval ist mit Freunden auf einen Kaffee in der Brasserie »Zum rauchenden Hund« verabredet, einem der letzten Lokale aus der Zeit der alten Markthallen von Paris. Duval ist zum ersten Mal da und etwas amüsiert, denn egal wo er hinsieht, überall blickt er auf Hunde, genauer: auf Menschen mit Hundeköpfen, die sich auf riesigen Ölschinken in den verschiedensten Szenen treffen, und das meistens mit Zigarette, Pfeife oder Zigarre im Maul. Mal sind sie im Bordell, mal auf der Bühne eines Theaters vor Publikum. Man sieht zwei Damen mit einem Freier, ein stummes Ehepaar vor ihrem Wein, einen Fleischer in der Metzgerei. Sogar Prominenten wie Chirac und Brigitte Bardot wurden Hundevisagen und Glimmstengel verpasst. Doch nicht genug: Es gibt Hunde als Porzellanfiguren, Hundeporträts auf den Glasschildern am Eingang und natürlich raucht auch ein Hund im Logo des Lokals …

Duval hat noch etwas Zeit. Seine Freunde sind, wie es sich für gute Pariser gehört, spät dran. Innerlich schüttelt er den Kopf über die ganze Skurrilität, die ihn umgibt, und fragt sich, welche Kunst das Interieur wohl beeinflusst hat. Er hat keinen blassen Schimmer. Gauguin, Bonnard, sogar Picasso, sie alle haben Hunde gemalt, ja! Aber keiner einen rauchenden Hund. Während Duval auf seine Freunde wartet, liest er sich in die Geschichte des Lokals ein. Früher gab es hier Hallen, einen Marktplatz. Es war das reinste Gewusel. Handkarren wurden umhergeschoben, Rattankörbe auf Rädern festgezurrt, Holzkisten gestapelt und den Händlern auf die Rücken gebunden. Andere standen hinter ihren Etalagen und boten ihre Waren feil. Es ist die Zeit der casquettes, der Schiebermützen, der Schnurrbärte und Pluderhosen. Um 1740 eröffnete eine sehr einfache auberge genau gegenüber der heutigen Brasserie. Ungefähr ein Jahrhundert zuvor wurde Molière um die Ecke geboren, in der rue de la Tonnellerie. Die Händler der Halles au Roy kamen in das winzige Lokal, um eine kurze Pause einzulegen und sich bei kühlen Getränken zu erfrischen. Von der Caféterrasse blickte man links und rechts auf Gemüsekarren und andere Wagen. Doch diese gute, alte, einfache auberge durfte nur ein Jahrhundert bestehen: Als sich der Stadtplaner und -umgestalter Haussmann des Viertels annahm, fiel das Lokal dessen Plänen zum Opfer. Wenige Jahre später eröffnete es genau gegenüber dem alten Standort wieder, in einem Gebäude, das der Revolutionär Baltard entwarf. 1920 übernahm ein neuer Patron das Lokal – und prägte es mit seinem skurrilen Dekor: Tatsächlich sollen zwei seiner Hunde geraucht haben: der Pudel Pfeife, der Pinscher Zigarre.

Die Hallen sind schon lange von hier verschwunden, in den sechziger Jahren wurde der berühmte »Bauch« von Paris in die Peripherie im Südosten, nahe Rungis, verlegt. Das Forum des Halles, eine sich nach amerikanischem Modell auf mehrere Etagen erstreckende Boutiquengalerie, hat den freigewordenen Platz eingenommen. Doch das Lokal Au Chien qui fume hat die Hallen überlebt und empfängt nach wie vor Liebhaber der guten Küche. Vermutlich, so denkt Duval, weil das Lokal sich selbst und dem 19. Jahrhundert, in dem das Gebäude entstand, treu geblieben ist. Weil die Tradition der wärmenden Mahlzeit und der wärmenden Getränke, die den Hallen eigen war, hier weiter besteht und von einer Generation zur nächsten gereicht wird: Davon zeugen die Einrichtung mit dem beleuchteten comptoir und dem eleganten ovalen Tresen, die Glasschilder mit dem Konterfei des rauchenden Hundes und den fin de siècle-Schriften und natürlich alles, was die Karte hergibt, die mehr oder weniger den Meeresfrüchten, Austern, Muscheln und Schnecken zugeneigt ist, aber auch eine sehr gute Zwiebelsuppe offeriert. Duval wird tatsächlich warm ums Herz, wenn er an dünn geschnittene Zwiebeln, Butter, Mehl, heiße Gemüsebrühe, Weißwein, Baguettescheiben und geriebenen Gruyère denkt. Er hält noch die Weinkarte in der Hand, als seine Freunde endlich das Lokal betreten, und schwenkt sie in der Luft, um auf sich aufmerksam zu machen. Laut lachend kommen sie näher und entschuldigen sich für die Verspätung. Der Abend kann beginnen, ob mit oder ohne Zwiebelsuppe, am besten aber mit einem guten Burgunder.

Tipp:

Der Surrealist André Breton hat das Lokal in seinem Gedicht Tournesol verewigt.

Rosé-Champagner für frisch Verlobte

Café Le Nemours

2 à 7 galerie de Nemours/2 place Colette

75001 Paris

Der große kräftige Kellner mit dem graumelierten Vollbart und der vielleicht etwas zu lang geratenen Schürze lässt seinen Blick professionell über die Tische wandern, um ihn anschließend gen Himmel zu richten. Der noch junge Maimorgen verspricht sonnig und nicht zu warm zu werden und die Vögel aus dem angrenzenden Garten des Palais Royal zwitschern fröhlich ihr Lied zur Terrasse herüber. Mit einer eleganten Drehbewegung jongliert der Kellner das Tablett, während die Finger seiner linken Hand die Last mehrerer Rosé-Champagner-Schalen tragen. Er ist freundlich zu jedem: zu den japanischen Touristen, die sich lieber ihren hundert Selfies widmen, statt die altehrwürdige Comédie-Française zu würdigen; zu den beiden Geschäftsfrauen, die sich vor ihren aufgeschlagenen Notizblöcken angeregt unterhalten; zu der wild gestikulierenden Frau im paillettendurchzogenen Pullover; zu den frisch Verlobten, die sich vor wenigen Momenten auf einer grünen Bank im Garten des Palais Royal verliebt die Hochzeit versprochen haben und nun mit Rosé-Champagner darauf anstoßen und Küsse tauschen.

Le Nemours mit den schönen Kolonnaden ist eine Pariser Café-Institution par excellence. Durch die großen Fenster zur Terrasse schaut man direkt auf einen der schönsten Plätze von Paris, der Place Colette. Lampengirlanden schaukeln im Wind hin und her. Ein Spatz wartet geduldig auf der Lehne eines Bistrostuhles, bis etwas vom Frühstück für ihn abfällt, ein paar Krümel von der tartine de rillettes vielleicht? Neugierig dreht er den kleinen, graugefiederten Kopf, nur die schnellen Bewegungen seines winzigen Oberkörpers verraten seine Aufregung, während sich die Beinchen in die Lehne krallen, als wollten sie seine Entschlossenheit demonstrieren, entsprechend lange zu bleiben, bis er endlich einen Krümel kriegt. Doch so weit kommt es nicht. Als sich ein Mann an den Nebentisch setzt und seine Zeitung schwungvoll aufschlägt, schreckt der kleine Vogel auf und fliegt rasch fort. Der Mann versinkt in seine Zeitung, den Kellner wie zuvor den Spatz ignorierend. Doch der Kellner weiß offenbar, was der habitué wünscht. Ungefragt bringt er ihm einen crème, nicht ohne seinem Stammgast dabei ein freundliches »Voilà, Olivier!« zuzuraunen. Es ist ein kleines tägliches Ritual, das den Tag unterteilt, ein wohldosiertes Innehalten, ein Moment des kleinen Glücks, vermischt mit Kaffeeduft und der Konsistenz des vanillefarbenen Schaums, den Olivier mit dem Löffel durchsticht und gedankenverloren verrührt. Er legt die Zeitung beiseite und spielt mit seinem Schnurrbart.

Olivier arbeitet in den coulisses des Théâtre, dem besonderen Ort zwischen der Bühne – dem Herzen des Theaters – und dem Zuschauerraum. In den coulisses werden alle Emotionen, die in einem Theater möglich sind, wahlweise im Schatten oder im Licht durchlebt: Angst, Aufregung, Schweiß oder Glück. Seine Frau, blanchisseuse und repasseuse der Comédie-Française, also zuständig für die Wiederherstellung aller Kleider, Krägen, Hüte und anderer Kostüme nach den Aufführungen, hat er im Theater kennengelernt. Sie riecht nach savon de Marseille, die sie bei ihrer Arbeit benutzt, und wenn sie hierherkommt, um Olivier zwischen den Schichten zu sehen, verbindet sich der Kaffee- mit dem Seifenduft aus dem Süden Frankreichs zu einer besonderen olfaktorischen Mischung, die Olivier sehr mag. Hier im Nemours berührte er nach einer Aufführung von Molières Eingebildetem Kranken ihre Hand zum ersten Mal, er führte sie zu seinen Wangen und atmete den subtilen Duft ihrer Haut, der alles versprach, ein – unter den Augen der Schauspieler, die hier ebenfalls nach getaner Arbeit einkehren, auf ein verre de rouge und einen Teller jambon de Parme.

Le Nemours, das seinen Namen der kleinen Stadt nahe Fontainebleau verdankt und seit der Renovierung vor ein paar Jahren ganz in einem romantischen Blau gehalten ist, zieht Touristen, die die Terrasse gern auf Schnappschüssen verewigen, gleichermaßen an wie Flanierende der angrenzenden Gärten und Museen. Hierher kommen die Zuschauer der Comédie-Française nach den Aufführungen sowie Menschen aus den Bereichen Kultur (das Ministerium für Kultur ist direkt daneben), Politik und Mode. Auch Filmemacher hat das Café inspiriert, so trafen sich hier Angelina Jolie und Brad Pitt im Film The Tourist und Jean-Pierre Darroussin und Daniel Auteuil in Dialog mit meinem Gärtner.

Einen Wodka Martini für Bond

Bar Hemingway und Salon Proust im Ritz

15 place Vendôme

75001 Paris