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Savoir vivre ist ein charmanter Spaziergang durch das Leben in Frankreich. Murielle Rousseau nimmt die französische Lebensart unter die Lupe und streift dabei auch humorvoll die gängigen Klischees. Die Französin plaudert aus dem Nähkästchen, erzählt Geschichten und Erlebnisse aus dem Alltag und aus der eigenen Familie ...
Verspielt, warmherzig und nonchalant. Kleine kulturelle Glücksmomente über das gesellige Beisammensein inklusive, wie auch typische mit Genuss zelebrierte lukullische Rituale, die die Lust am Leben beschreiben. Ein schönes, kenntnisreiches und wunderschön illustriertes Buch, das manchen Aha-Effekt bereithält.
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Seitenzahl: 202
Murielle Rousseau
SAVOIR-VIVRE
LEBEN WIE EINE FRANZÖSIN
Mit Illustrationen von Isabel Pin
INSEL VERLAG
SAVOIR-VIVRE
A
ACADÉMIE FRANÇAISE
LES ACCENTS
ACCORDÉON
AFFINEUR DE FROMAGE
ALLEZ LES BLEUS!
AMOUR
L'APÉRITIF, L'APÉRO
ARGOT
ASTERIX ET OBELIX
B
BAGUETTE
BEAUJOLAIS NOUVEAU
BEAUTÉ FRANÇAISE
LES BELGES
LE BÉRET
BLEU, BLANC, ROUGE
BISES – UNE, DEUX, TROIS OU QUATRE?
LE BISTRO
BOBO
BORIS VIAN
LA BOUCHE
BORDEAUX
BOULES
BOUT DE CHOU
BÛCHE DE NOËL
C
UN CAFÉ À SAINT-GERMAIN-DES-PRÉS
CAFÉ DE FRANCE
CAFÉ, NOISETTE, CRÈME, GOURMAND
CAGOUILLARD
CAMARADERIE
CENTRALISATION
CHAMPAGNE
CHANSON
CHARME
CHAUVIN
CIDRE
COGNAC
COQ
COQUETTERIE
CRÊPES
CUISINE
CUISSES DE GRENOUILLES
D
2 CV — DEUX CHEVAUX
DÉGUSTATION
DELON UND BELMONDO
E
ÉCLAIR
ESCARGOTS
ESPRIT
ÉTOILES
F
FAIT MAISON, ARTISANAL
FÊTE NATIONALE
FLUCTUAT NEC MERGITUR
FOIE GRAS
LA FRANCE
FRANCS
FROMAGE
G
GALETTE DES ROIS
GARÇON
GAULOISES, GÎTANES, CIGARETTES, CLOPPES
LE GOÛTER
GRANDES ÉCOLES
GRÈVE
H
HAUTE COUTUREUNDHAUTE CUISINE
HEURE BLEUE VON SAINT-TROPEZ
HUITRES
HUMOUR
J
JEANNE LA PUCELLE
JOIE DE VIVRE
K
KERMESSE
KIR
L
LAÏCITÉ
LAISSEZ-FAIRE
LIBERTÉ, ÉGALITÉ, FRATERNITÉ
LITTÉRATURE
M
MADEMOISELLE
MAISON DE CAMPAGNE
MARIANNE
LA MARSEILLAISE
MENU
MER ATLANTIQUE, MER DU NORD, MER MÉDITÉRANÉE, LA MANCHE
MERDE
MOULES FRITES
MUGUETS
N
NE VOUS INQUIÉTEZ PAS!
O
O LÀ LÀ
P
PARIS, VILLE DE L'AMOUR
UN PASTIS À MARSEILLE
PEINTRES
PETIT
PIÉTONS
PLAISIRS
PLAQUES D'IMMATRICULATION
POISSON D'AVRIL
POULET ET POULETS
PROTOCOLLAIRE
PUTAIN
Q
FAIRE LA QUEUE
QUAI D'ORSAY
QU'EN DIRA T'ON?
R
RÂLER
RATATOUILLE
LA RENTRÉE
RÉVOLUTION
RUGBY
S
SÉDUCTION
SEINE
SOPHIE LA GIRAFE
SYMPA
T
TARTE AU CITRON
THÉORIE
TOILE-DE-JOUY
TOUR DE FRANCE
TOUR EIFFEL
V
VACHEMENT
VIDE GRENIERS
VIEILLE FRANCE
VIVE
VOILÀ
Z
ZUT
DANK
MURIELLE ROUSSEAU,
ISABEL PIN,
LEBEN WIE EINE FRANZÖSIN
Für Amandine und Joël
Wir Franzosen lieben unsere Sprache und unser Land, unsere Kultur und unsere Literatur so sehr, dass wir ihnen seit Jahrhunderten eine eigene Institution widmen, die Kriegen und Revolutionen getrotzt hat und immer noch besteht. So etwas wie die Académie française gibt es in keinem anderen Land der Welt. Frankreich leistet sich diese Akademie mitten im Herzen von Paris seit über 300 Jahren. Diese würdevolle Institution dient der Wahrung, man könnte sogar sagen der Verteidigung der französischen Sprache. Generationen großer Geister arbeiten an einem Wörterbuch, einer Grammatik und ähnlichen Werken. Ihre vierzig auf Lebenszeit gewählten Mitglieder, meist hochbetagte Geisteswissenschaftler, Literaten, Philosophen, manche Nobelpreisträger, treffen in ihren wöchentlichen nichtöffentlichen Sitzungen Entscheidungen zur Erhaltung der Reinheit der französischen Sprache oder fällen Urteile über geläufige Redensarten. Als Zeichen ihrer Zugehörigkeit tragen sie mit grünen und goldenen Fäden bestickte Roben, Mäntel, Säbel und Medaillen. Die Robe ist eigentlich blau-schwarz und trägt den Namen habit vert nur wegen der aufwendigen Stickereien. Entworfen werden die Roben übrigens von Dior, Lanvin oder Cardin.
Manche der in der Akademie geführten Reden und Diskussionen zur Sprache dringen an die Öffentlichkeit, doch die Académie française erscheint eher wie eine uneinnehmbare Festung, zu der Fremde keinen Zutritt haben. Ihre Mitglieder werden als immortels bezeichnet, »Unsterbliche«. Einmal gewählt, bleiben sie Mitglieder bis zu ihrem Lebensende. Oder wirkt die Académie so abweisend wegen der komplizierten, undurchschaubaren Regeln, der Riten, wie der des nummerierten Stuhls, der jedem Mitglied zugeteilt wird und noch eine Weile leer bleibt, nachdem das Mitglied gestorben ist?
Meine Geschichte mit der Académie française beginnt mit einem Fisch. So »unsterblich« gab sich das Mitglied auf dem Stuhl Nr. 22, der Autor Julien Green, nämlich nicht. Green lud mich zu sich zum Essen ein. Seine Einladung verdankte ich einer bis dahin unbekannten Novelle, Dionysos. Diese hatte in den Tiefen von Greens Schublade gelegen, und ich hatte es geschafft, dass der kleine literarische Verlag, in dem ich damals arbeitete, sie veröffentlichen durfte. So schlecht schien ich meine Lektoratsaufgaben also trotz Unerfahrenheit nicht erledigt zu haben, denn als Dank flatterte ebendiese Einladung ins Haus. Pünktlich zur Mittagszeit betätigte ich an der Tür des noblen Pariser Hauses die goldene Klingel, und Green empfing mich mit offenen Armen. Sofort vergaß ich im Gespräch, wo ich eigentlich war, blendete das beeindruckende, mit schweren, roten Samtvorhängen und luxuriösen Brokattapeten ausgestattete Interieur aus, obwohl ich sehr neugierig war auf die Wohnung eines der Mitglieder der Academie Française, dieser alten, verstaubten Dame unter den französischen Institutionen.
Die Bitte, doch gleich nach dem gemeinsamen Aperitif in die Küche zu kommen und dort mit anzupacken, fasste ich als Vertrauensbeweis auf. Oder war es eher der Versuch, mich von den dunklen Vitrinen voller wertvoller und seltener Erstausgaben fortzulocken, die meine Aufmerksamkeit fesselten? Die nach Geburtsdatum der Autoren sortierte Bibliothek beeindruckt mich noch heute. Welcher Kontrast zur Küche und dem alten Tisch, auf dem ein sicher 80 Zentimeter langer Fisch lag, der noch gewürzt werden musste. Diese Aufgabe fiel mir zu, was unserer Unterhaltung über die 1635 von Richelieu offiziell gegründete Académie das gewisse Etwas verlieh. Inmitten von Knoblauch und Zitronen sprachen wir über die Aufgaben der Académie zur Überwachung der Reinheit der Sprache, über die donnerstäglichen Sitzungen im Palais Mazarin, die akademischen Diskurse der hochgelehrten hommes und seit den 80er Jahren auch femmes de lettres, de culture, de politique oder des sciences. Während wir Rosmarin und grobes Meersalz in den glitschigen Bauch des Fisches füllten, wies Green mich auf die goldenen und grünen Olivenzweige auf den Roben hin, die gemeinsam mit dem Académie-Schwert den Unsterblichen die nötige Autorität verleihen. Das Schwert haben wir nicht benutzt, um den frisch aus dem Ofen servierten Fisch zu filetieren, obwohl es gut gepasst hätte. Es duftete nach Kräutern und Gewürzen, die wir, versunken in unsere Unterhaltung, benutzt hatten. Es schmeckte wunderbar. Das war Gastfreundschaft par excellence von einem Mitglied der Académie française, das bei seiner Antrittsrede im Jahr 1972 »Quelle belle langue! Messieurs — damals gab es keine Frauen — c'est à nous de la défendre!«, gerufen hatte. Ich weiß nicht, ob dies dem Autor im Kreise seiner Kollegen so gut gelungen ist, denn manche Rechtschreibreform, Einführung weiblicher Berufsbezeichnungen oder Anglizismen haben sie letztlich nicht verhindern können. Doch schön sind die Ehrwürdigen anzusehen und anzuhören, wenn sie auftreten, Redensarten und Wörter offiziell annehmen oder ablehnen, Sprachticks oder Lächerlichkeiten im zeitgenössischen Französisch beobachten und beurteilen. Wenn ich im Viertel an der Rive gauche spazieren gehe, unweit des Pont Neuf am Quai Conti, dann denke ich gern an den fauteuil Nr. 22 und den schmackhaften Ofenfisch zurück — und es kommt mir vor, als wären sie beide aus einem Roman.
Akzente und andere Eigentümlichkeiten des französischen Alphabets
Es ist doch verrückt, wie so ein kleines Zeichen alles verändern kann. Ein accent grave oder accent aigu, gar ein accent circonflexe — und schon hört sich ein »e« oder ein »a« ganz anders an. Ein ç —, das kleine winzige »z« unter dem »c«, die Cedille, und schon spricht sich das Wort anders aus. Sehr selten — wie in den Wörtern Noël oder haïr — benutzt man das Trema, zwei lustige Punkte über dem »e« oder »i«. Weglassen kann man die accents nicht, obwohl sie manchmal, wie beim accent circonflexe, keine wirkliche Bedeutung haben und ein Relikt aus alten Zeiten sind. Doch die Académie française meint: Unbedingt behalten. Na, so mächtig sind sie dann doch nicht, die accents, denn ohne Buchstaben sind sie nichts!
Wenn es nur das wäre — doch Französischlernende quälen sich auch noch mit den Apostrophen, die wir Franzosen lieben. Damit kann man wunderbar Buchstaben weglassen. L'horloge statt la horloge, praktisch. Liebend gerne verwenden wir den Bindestrich — dabei geht es doch sehr gut auch ohne, wie das Deutsche zeigt. Und dann gibt es noch zwei, die sich so nah sind, dass sie aneinanderkleben: das »o« und das »e«, in der Kombination beider Vokale entsteht »œ«.
Accent aigu: von links unten nach rechts oben
Accent grave: von rechts unten nach links oben
Accent circonflexe: sieht aus wie ein kleines Dach
Akkordeon
Da stand sie, alt und steinern, mit Geranien an den Fenstern, die alte Dorfkirche. Wir hatten zur Vorbereitung der Hochzeit meines Bruders die knarrenden Holzbänke mit Bienenwachs behandelt, die Terrakotta-Steinplatten weiträumig gefegt, den Altar mit weißen Feldblumen geschmückt und auf Anraten des Pfarrers aufgepasst, dass das Jesuskreuz uns dabei nicht auf den Kopf fiel — es war nämlich wackelig. O Gott, dachten wir, das fängt ja gut an, wenn schon der Jesus wackelt …
An der Kirchentür stand ein Freund mit seinem Akkordeon und einem Béret auf dem Kopf und empfing uns mit seiner unwiderstehlichen französischen Chanson-Musik. Wir hatten ihn bestellt, den Auszug aus der Kirche musikalisch zu untermalen. Er begleitete uns auf seinem piano à bretelles (Klavier mit Hosenträgern, wie es im Volksmund heißt) und spielte weiter den ganzen Weg hinauf zu unserem Landhaus, das in einer exponierten Lage oberhalb des Dorfes mitten im Feld steht und daher den Namen Le Piquet (der Pfahl) trägt. Um es vorweg zu nehmen: Der Jesus fiel uns nicht auf den Kopf, die Ehe hielt aber nicht. Es wurde dennoch ein unvergessliches, sommerliches Fest, eine fröhliche Hochzeits-Landpartie, und die Musik klang lange in unseren Ohren nach. Er wählte Evergreens von französischen Chansonniers wie Léo Ferré oder Jacques Brel und erzeugte mit seinem Instrument ein kräftiges Tremolo, so dass ganz schnell auf dem eigens angefertigten Tanzparkett im Hof die ersten Gäste seinem Spiel tanzend folgten. Sein Béret war nicht nur typisch und passte zu seinem Instrument, es hatte auch eine praktische Funktion, denn es war Juli und sehr heiß.
Dann kam der Champagner! Ein Freund von uns hatte bei Champagnerproduzenten in der Champagne seine Ausbildung gemacht. Mit Engelsgeduld und Präzision baute er eine Pyramide aus Champagnergläsern. Dann zückte er einen Säbel mit blitzender Klinge und vollzog eine Zeremonie an den Champagnerflaschen, wie es die Offiziere seit Napoleon nach gewonnenem Gefecht zu tun pflegten. Mit einer ruckartigen Bewegung sabrierte er die Flaschen, so dass deren Hals abgetrennt wurde, und goss den Champagner in das obere Glas, bis er überlief und dann in die darunter stehenden Gläser floss. Das beeindruckende Schauspiel der sich sehr langsam füllenden Gläserpyramide ließ uns den Atem anhalten. Würde alles in sich zusammenfallen oder hielt das Champagnerkunstwerk? Dann ein Knall! Ein Champagnerkorken flog direkt in die Akkordeontasten, und der fremde ungeplante Ton vermischte sich mit der Musette, die unser Freund einspielte, eine Mischung aus italienischer Volksmusik und Melodien aus der Auvergne des 19. Jahrhunderts, wie er mir verriet. Es wurde viel getrunken und lange an weißgedeckten Tafeln gegessen.
Zu später Stunde, als die meisten Gäste schon gegangen waren, unterhielt ich mich noch eine Weile mit unserem Freund. Wir saßen draußen auf großen Holzblöcken um das Feuer. Er erzählte mir, dass er sein Instrument als junger Mann von seinem Onkel geerbt habe. Es stammte aus Brive, einer neben Lyon bekannten Stadt für den seltenen Bau von Akkordeons. Nun spielte er es immer auf Festen oder auf Landpartien, wie bei Pferderennen im nahe gelegenen Schlosswald, und erfreute die Menschen mit seiner Musik. Branle-poumons, »wackelige Lunge«, nannte es der Schriftsteller Chateaubriand in seinem Werk Mémoires d'outre-tombe. Er selbst bevorzugte aber den Begriff boite à chagrins, »Kummerkasten« oder piano du pauvre, »Klavier der Armen«. Die Melancholie war an diesem besonderen Abend spürbar.
Käseaffineur
Ein kleiner, eher unscheinbarer Mann steht inmitten seiner Käse im Untergeschoss seines Ladens unweit der Champs-Élysées. Der Käsekeller entspricht nicht meinen Vorstellungen — ich hatte an ein Backsteingewölbe, an diffuses Licht und krachende Holzregale gedacht, an eine cave d'Ali Baba voller Überraschungen. Ich stoße aber auf grelles Licht, reine Metall- oder Marmorflächen. Die Käse sind nach unterschiedlichen Stufen der Reifung sortiert, Luftfeuchtigkeit und Temperatur — unter 12 Grad — werden streng geregelt. Der affineur zeigt mir die Käselaiber, es sind seine Schätze, behütet auf Stroh oder Holz. Er strahlt, als er mir erklärt, dass die Käselaiber seinen Keller nicht verlassen dürfen, bevor sie ein gewisses Alter erreicht haben. Er wacht über sie als wären es seine Kinder, streichelt und wendet sie, wäscht und bürstet sie alle sieben bis zehn Tage. Er besucht sie täglich, beobachtet die zunehmende Qualität und überwacht die Lagerung. Die Aufmerksamkeit scheint übertrieben, doch sie gewährleistet die ungeheure Reichhaltigkeit der Käse, ihre Textur, ihren Geschmack, ihre Kruste, ihr Aroma. Wie lange er sie in seiner Kaverne behält, hängt vom gewünschten Ergebnis ab — manche Kunden geben bei der Bestellung gleich ihre Wünsche an den affineur ab. Es ist sein ganzer Stolz, genau den vom Kunden gewünschten Grad an Reifung zu erreichen. Je länger und besser er den Kunden kennt, umso besser scheint das Ergebnis zu werden. Deshalb ist er auch täglich im kleinen Käseladen oberhalb des Kellers. Bei ihm stehen die Menschen geduldig Schlange und freuen sich über seine Empfehlungen, über les arrivages, also die frisch eingetroffene Ware, und über das Zuschneiden der Käse, die zuvor wochenlang von ihm gehegt und gepflegt wurden. Ein sicherer Zuschnitt, das Einpacken in weißes Papier, das Falten der Papierseiten und das Zubinden mit Bastschnur — alles routinierte Handgriffe, um den Käse transportfähig zu machen. Ein paar Empfehlungen, was die Lagerung und die Temperatur bis zum Genießen anbelangt — damit verlässt man den Käsehimmel und geht nach Hause. Im Einkaufskorb dabei ist ein kleines Stück aus der Auvergne, aus dem Elsass oder aus Korsika. Man merkt, was der affineur meint, wenn er von den Reisen durch den Käse-Gaumen spricht. Er reist seinen Lieferanten nach, kehrt in die Bauernhöfe im bergigen hohen Jura wie in der flachen Normandie ein. Er kennt seine Käsemacher persönlich und genießt seine Käseliebhaberei bei diesen Besuchen in vollen Zügen. Kulinarisches Reisen auf den Spuren der besten Käsemacher unter den Besten.
Er weiß: Die Qualität der Käse kann sehr unterschiedlich sein. Der fromage industriel, wie man ihn im Supermarkt findet, hat nichts mit dem fromage artisanal zu tun. Da savoir-vivre in Frankreich sehr viel mit Käse zu tun hat und sich eigentlich alles oder zumindest viel ums Essen dreht, gehört es sich, ein bisschen Ahnung zu haben, um mitreden und vor allem mitessen zu können. Für den Käseeinkauf geht man also in den Käseladen. Einen fromage artisanal eines affineur zu erwerben bringt unweigerlich mit sich, dass beim späteren Genuss mit Freunden eine Unterhaltung über Käse entsteht. Ein guter Wein, frisches Baguette oder pain de campagne ergänzen das Ensemble. Das ist Genuss pur.
Allez les bleus! — die Blauen, wegen der blauen Trikots der französischen Fußballnationalmannschaft. Mein Freund Bruno benutzt diesen Ausruf nicht nur für die französische Fußballnationalmannschaft, sondern auch für andere Sportereignisse. Allez les bleus ist die Aufforderung, die letzte Energie, das letzte bisschen Kraft aus sich herauszuholen, um den möglichen Sieg Realität werden zu lassen. »Allez les bleus, allez les bleus!«, rief Bruno, als Frankreich 1998 Fußballweltmeister wurde und in den letzten französischen Provinzstädtchen die Straßen leer und dafür die mit Fernsehern ausgestatteten Cafés brechend voll waren. Allez les bleus war ihm aber auch recht, als unser Paris Saint-Germain gegen Marseille spielte, bei der Tour de France oder beim in Frankreich sehr beliebten Rugbyspiel. Unpassend erschien es nie, egal, ob tatsächlich les bleus im Spiel waren oder nicht — Hauptsache, wir waren dabei und hatten Spaß. Vergessen die schlimmste Niederlage 1908 gegen Dänemark 17:1, die für Fußballfans schwer zu verkraften gewesen sein muss. Zur Verstärkung holten sich meine Landsleute zwei Jahre später den gallischen Hahn, le coq gaulois, auf ihr blaues Trikot. Mit dem Hahn auf der Brust als zwölftem Mann auf dem Feld wurde der Sieg wahrscheinlicher. Heureusement!
Gestritten wurde im Café übrigens ernsthaft über die Schreibweise. Da behauptete doch tatsächlich ein Tischnachbar, Allez les bleus würde man im Infinitiv, also Aller les bleus schreiben. Aber Bruno ließ das nicht gelten. Er meinte: »Der Sieg ist Imperativ, Monsieur. Im Imperativ gehört es sich, les bleus zu unterstützen, und nicht anders. Der Infinitiv ist passiv, unbeweglich, ohne Leben, tatenlos. Der Imperativ hingegen ist lebendig, fordert auf, schreit nach Tat, suggeriert Bewegung. Haben Sie das verstanden, Monsieur?« Der Tischnachbar, verschüchtert von so viel sportlichem Selbstbewusstsein, gab nickend nach, und beide lachten. Bruno widmete sich wieder seinem Spiel, und die Welt war in Ordnung. Zumindest 1998.
Liebe
Meine erste große Liebe hieß Frédéric Legrand. Er war groß und sechs Jahre älter als ich. Ich liebte seine wilden braunen Haare, seine Lederjacke und die Zigarette im Mundwinkel. Er ging ins Lycée Saint-Louis am Boulevard Saint-Michel. Unsere Treffpunkte waren die Hinterbänke der angrenzenden Cafés in Saint-Germain-des-Prés, in denen wir uns lediglich einen Espresso mit einem Glas Wasser leisten konnten, die grünen Stühle im Jardin du Luxembourg, auf denen wir mit den Gänseblümchen des Parks Je t'aime, un peu, beaucoup, à la folie spielten, sein Studentenzimmer oder die Ufer der Seine bei schönem Wetter. Wir Jungverliebten probierten die schönsten Liebeswörter des Französischen, der Sprache der Liebe, füreinander aus: mon amour, mon chéri, mon cœur, mon désir, ma beauté, ma vie et mon soleil … Damals konnte ich ein kultiges Vélosolex, ein Moped mit dem typischen Reibrollenantrieb auf dem Vorderrad, mein Eigen nennen, und so fuhr ich, Haare im Wind, die Straßen, die unsere Wohnungen trennten, entlang. Ich war jung, ich war verliebt, und Paris war mein Zuhause. L'amour nährte uns — wir hatten uns, und das reichte. Es war wie bei Jacques Brel, der in Quand on a que l' amour die Liebe besingt. Er singt, dass das Einzige, das man sich zu schenken hat, das Einzige, das man hat, um seine Treueschwüre zu leben, der einzige Reichtum, die einzige Möglichkeit, zu glauben, die einzige Möglichkeit, Sonne über der Hässlichkeit der Stadt scheinen zu lassen, die Liebe ist. Kaum ein anderes Lied haben Chansonsänger und -sängerinnen nach ihm häufiger gesungen, doch Jacques Brel ist und bleibt unnachahmlich.
L'amour ist das französische Lebensgefühl par excellence. L'amour, das können Franzosen und Französinnen wie kaum andere Menschen auf der Welt, meint Mireille Mathieu, die die Liebe 1966 in L'Hymne à l'amour besang: L'amour rime avec toujours.
Wir Franzosen haben unterschiedliche Ausdrücke für das Wort »Liebe«. Amour zu empfinden, ressentir de l'amour, ist mehr als aimer. Es ist tiefgründiger, wesentlich enger gefasst. Aimer bedeutet so viel wie »mögen«. Aimer kann man pains au chocolat oder den Klang der Atlantikwellen auf den grauen Felsen der Bretagne. Ressentir de l'amour dagegen, das geht nur unter Menschen. Dieses Gefühl in seiner rohen, rauen Ausprägung hatte die Piaf im Stadtviertel Pigalle kennengelernt. Die Pariser Hymne à l'amour hat in meiner Kindheit einen prägenden Eindruck auf mich gemacht, da die Schallplatte bei uns in Dauerschleife lief und meine Großmutter mitsang. Wie gerne hörte ich ihr zu und stellte mir Piafs l'amour vor. L'amour, wie ich sie kannte, hatte nichts zu tun mit der der Piaf im Pigalle, und dennoch berührten mich ihre Worte und klangen lange nach.
Aperitif
»L' apéritif, c'est la prière du soir des français.« — »Der Aperitif ist das Abendgebet der Franzosen.« Paul Morand, französischer Schriftsteller (1888-1976)
L'apéro, das ist das Pendant zum deutschen Kaffeetrinken. Man lädt Gäste zu sich nach Hause zum apéro ein, wenn man sie nicht zum Essen einladen will, oder der Platz oder das passende Essensgeschirr fehlen. Das ist unverbindlicher, dennoch gastfreundlich. Und man ist sich sicher, dass die Besucher zu einer bestimmten Zeit wieder gehen — oder fast sicher.
Manchmal kann es auch anders kommen. Diese Erfahrung machte ich, als mein Studienfreund Jean mich einmal mit Freunden in seine frisch bezogene Pariser Studentenwohnung zum apéro einlud. Hinter der imposanten Sorbonne in der kleinen, ruhigen rue Marie Curie lag seine chambre de bonne. Er gab sein apéro-Bestes — und die Stimmung war so gut, dass seine apéro-Gäste morgens um zwei noch da waren, die letzten trockenen Cracker knabberten und den letzten dünnen Pastis schlürften.
Aus dem apéro ist ein Kult geworden. Man trinkt Pastis, Whisky, Cognac mit Eis, serviert Oliven und Nüsse, in Südfrankreich Tapenade, Anchovispaste auf zu Croûtons verarbeiteten dünnen Baguettescheiben. Dafür gibt es spezielle Schälchen in allen möglichen Farben und Materialien, Tabletts, Krüge für das Wasser und das Eis, kleine Tische, auf denen alles bereitgestellt wird.
Lädt man Sie zum apéro ein, ist es gut zu wissen, zu welcher Art. Denn: Es gibt l'apéro léger und l'apéro dinatoire, oder auch l'apéro dinatoire de fête und l'apéro gourmand. Es gibt verrines — kleine Glasschälchen mit den verschiedensten Leckereien —, amuses bouches — kleine Fingerfood-Häppchen —, Dips, Cocktails, Cakes, Canapés, sogenannte Tartines — fertig geschmierte Brote und Cracker — oder auch gerollte Crêpes und allerlei Spieße. Trotz dieses netten Angebots ist l'apéro für Franzosen kein richtiges Essen. Es fehlt die richtige Reihenfolge der Speisen, die aus Vorspeise, Suppe, Hauptspeise, Käse, Salat und Nachspeise besteht. Daher trifft man sich oft zum apéro im Café, nach den Markteinkäufen und vor dem Mittagessen zu Hause. Oder nach getaner Arbeit und vor dem Abendessen in einem Restaurant. Oder auch einfach so. C'est ça, la vie!
Umgangssprache, Vulgärsprache
Der Argot ist heute nicht mehr das, was er einmal war. Das hat mit dem Wesen des argot zu tun, der ständig im Wandel ist. Eine kurze Umfrage in meinem Freundeskreis ergibt: Hat man früher zu einem policier »poulet« gesagt, sagt man heute bleu, pouleman, bœuf, coyotte, dek, chtar, roussin, schmidt, archer, bignolon, bourdille, matuche, ripou, pandore. Argot-Ausdrücke finden Sie in allen Gesellschaftsschichten, da über die Zeit vulgäre Worte Einzug in die Standardsprache gefunden haben. Spannend wird es, wenn mehrere argot-Wörter für einen ähnlichen Ausdruck hintereinander verwendet werden. Es kann passieren, dass beim Fluchen lauter Schimpfwörter aneinandergereiht werden.
In einem Taxi sitzend, ist mir einmal ein besonders kreativer Taxifahrer aufgefallen, als er mich auf dem schnellsten Weg von Gare de Lyon zu einem Verlag rive gauche fahren sollte. Verärgert über die neueste Entscheidung, die Seine-Ufer vom Verkehr zu befreien und daraus Fußgängerbereiche zu machen, fluchte er bei jeder Situation entweder bordel de merde, espèce de putain, saloperie oder ah, quelle connerie! vor sich hin. Mir wurde beim Zuhören beinahe schwindlig, bis ich anfing, seinen Wiederholungen aufmerksam zu lauschen. Aus knapp 2000 argot-Flüchen hatte er sich auf gut acht Wörter konzentriert, die aus seiner Sicht wohl am besten sein Leiden ausdrücken konnten. Ich musste schmunzeln und rief ihm zu: Allez, balaise dans ta bagnole, t'es bien mieux au chaud en bagnole que sur une bécane à deux roues! — Entspann' dich, bist doch besser in deiner Kiste aufgehoben als auf einer zweirädrigen Karre!
Es ist lustig, manchmal klingt ein argot-Wort in verschiedenen Regionen ganz unterschiedlich. Manchmal ist es eine Endung, die hinzugefügt wird, manchmal werden Silben wiederholt, manchmal ersetzt man Buchstaben durch andere, manchmal werden Silben verdreht. Heute verwirrt ältere Menschen der texto-Sprachstil, der durch die neuen Kommunikationsmittel entstanden ist. Witzig finde ich die phonetische Schreibweise oder auch das Hinzufügen von arabischen Ziffern wie z. B. A2m1 für à demain! In diesem Sinne: me6 e abi1to!
Autrefois, quand j'étais marmot,
J'avais la phobie des gros mots,
Et si j'pensais »merde« tout bas,
Je ne le disais pas…
Mais
Aujourd'hui que mon gagne-pain
C'est d'parler comme un turlupain,
Je n'pense plus »merde«, pardi!
Mais je le dis.
Früher als ich Kind war
Hatte ich Angst vor Schimpfwörtern
Und wenn ich ganz leise »Scheiße« dachte
So sagte ich es nicht…
Doch
Da es heute meine Arbeit ist
Zu sprechen wie ein Scharlatan
So denke ich nicht mehr »Scheiße«
Sondern sage es.
Georges Brassens, Le pornographe, 1958
Asterix und Obelix
Attention, nun bewege ich mich auf heiligem französischen Terrain: BD — bande dessinée. Wie es sich für eine französische Familie gehörte, lasen bei uns alle — Großmutter, Vater, Mutter und Kinder — dieselben Abenteuer, Asterix und Obelix. Ein Heft nach dem anderen wanderte von Hand zu Hand und lieferte uns einen reichhaltigen Schatz an Zitaten, den vor allem mein Vater bei jeder Gelegenheit anbrachte. Attaquez Dollon dans la Sarthe! war einer der beliebtesten Sprüche, denn er signalisierte Aufbruch, Willen und Energie. Zudem liegt der Ort Dollon keine fünf Kilometer von unserem Landhaus entfernt!