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Was wäre Paris ohne seine Gärten und Parks?
Die »grüne Hauptstadt« wird die Metropole auch genannt, denn fast fünfhundert Grünanlagen gibt es hier. Viele sind längst selbst zu Sehenswürdigkeiten geworden, wie der Jardin du Luxembourg oder der Jardin des Tuileries. Andere liegen versteckt hinter hohen Mauern oder verrammelten Toren, wie der Garten des Palais Royal oder der Clos de Blancs Manteaux, und warten darauf, entdeckt zu werden.
In Die Gärten von Paris nimmt die Pariserin Murielle Rousseau die Leserinnen und Leser mit in die schönsten Gärten der Stadt. Dabei nähert sich die Autorin den Gärten als Flaneurin und porträtiert sie auf ihre ganz persönliche, charmante und sehr französische Art. So entsteht Garten für Garten ein ganz besonderes Bild von Paris: das Porträt einer Stadt, gezeichnet auf einer Parkbank, mit Vogelgezwitscher im Ohr.
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Seitenzahl: 208
Murielle Rousseau
Die Gärten von Paris
Mit Fotografien von Marie Preaud
Insel Verlag
Die Gärten von Paris
Cover
Titel
Inhalt
Informationen zum Buch
Impressum
Hinweise zum eBook
Cover
Titel
Inhalt
Erstes Arrondissement
Die Vögel im Garten: Palais Royal
Mit Picasso auf der Île de la Cité: Square du Vert-Galant
Puppentheater, Segelboote und Kinderträume: Tuileriengarten und Gärten der Champs-Élysées
Drittes Arrondissement
Auf der Suche nach Einsamkeit: Square du Temple
Was hätte Picasso dazu gesagt: Jardin du Musée Picasso
Zwischen Stadtpalais und grünen Oasen: die Jardins des Archives nationales
Viertes Arrondissement
Ein poetischer Hafen im Häusermeer: die Jardins partagés im Marais
Die Schmuckschatulle: Place des Vosges
Die Falken im Glockenturm: Notre-Dame und Square Jean
XXIII
Fünftes Arrondissement
Herbarium des Monsieur Tournefort: Jardin des Plantes
Der älteste Baum von Paris: Square René-Viviani
Sechstes und siebtes Arrondissement
Balzac im Morgenmantel: Träumereien im Jardin du Luxembourg
Entdeckung eines Entdeckers: Jardin des Grands-Explorateurs
Ein botanischer Garten zum Lernen: Jardin botanique de la Faculté de Pharmacie de Paris
Die Stille finden: Im Klostergarten Catherine-Labouré
Der Garten als Atelier: Gärten der Museen Rodin, Zadkine und Bourdelle
Picknick zur blauen Stunde: Champ de Mars
Auf der Suche nach dem verlorenen Garten: Jardin de l’Intendant und Esplanade des Invalides
Achtes Arrondissement
Die grauen Elefanten-Bäume: Parc Monceau
Neuntes Arrondissement
Wo tout Paris ein und aus ging: Jardin du Musée de la Vie romantique
Elftes und zwölftes Arrondissement
Auf alten Bahntrassen durch Paris: Promenade Plantée
Fünfzehntes und Sechzehntes Arrondissement
New York in Paris: Île aux Cygnes
Perfekte Filmkulisse: Square du Palais-Galliera
Ein kleines Stück Karibik in Paris: Jardin des Serres d’Auteuil
Inmitten des Bois de Boulogne
Der Gartenengel: Parc de Bagatelle
Achtzehntes Arrondissement
Katzenparadies im Reich der Toten: Friedhof Montmartre
Die Reben auf Montmartre und das Wilde ums Eck: Vignes de Montmartre und Jardin sauvage Saint-Vincent
Neunzehntes Arrondissement
Auf Schatzsuche in den Buttes- Chaumont
Nord und West
In der Farbpalette Monets: Haus und Garten Claude Monet
Im Küchengarten des Königs: der Potager du Roi in Versailles
Einsamer als Versailles, aber nicht weniger schön: Marly-le-Roi
Wo Paris dem Flaneur zu Füßen liegt: Terrasse de Saint-Germain-en-Laye
Die Blumen der Impératrice Joséphine: Jardin de Rueil-Malmaison
Süd und Ost
Neue Perspektiven: Barockgarten Vaux-le-Vicomte
Geheim und persönlich:
Mein petit jardin secret aux roses de l’Île Saint-Louis
Anhang
Bibliographie
Literatur
Kunst
Film
Musik
Register
Dank
Karten
Informationen zum Buch
Impressum
Hinweise zum eBook
Xavier wartet mit zwei Kaffeebechern in der Hand am Gewölbeeingang des Ministère de la Culture. Es ist noch dunkel, das dunkelgelbe Licht der Lampen hüllt die Straßen ein wie eine Sommerdecke. Noch ein wenig müde lehne ich mich an eine der Kolonnaden, die den Garten des Palais Royal ebenso einfassen wie die schwarzen schmiedeeisernen Gitter mit ihren auffälligen goldenen Spitzen.
Xavier und ich wollen den ersten Vögeln lauschen, die hier im Garten des Palais Royal ihr Lied anstimmen. Deswegen sind wir so früh gekommen. Mein Freund drückt mir die zwei Tassen in die Hand. »Sie sind blanc cassé wie unser Milchkaffee«, sagt Xavier und zeigt lachend auf die Säulen, während er mit einem großen Schlüssel das schwarze Tor öffnet. Hinter uns sperrt er wieder zu. Da sind wir, eingeschlossen in ein in Dunkelheit gehülltes, grünes Carré im Zentrum von Paris. Eingeschlossen in ein Schmuckkästchen aus Stein.
Obwohl direkt auf dem touristischen Trampelpfad zwischen Opéra und Louvre gelegen, wird der Garten des Palais Royal von Parisreisenden nur selten besucht. Das mag daran liegen, dass er nicht durch eine Straße oder einen Platz einsehbar ist und sich stattdessen hinter einem geschlossenen Gebäude-Ensemble versteckt. Auch sind die Eingänge zum Garten kaum als solche zu erkennen, nur Kenner und Anwohner steuern sie zielsicher an. Wer dennoch in das Innere vordringt, dem macht es der Garten keineswegs leicht: Die langen Wege und Flure sind nicht auf Anhieb zu überblicken. Man fühlt sich schnell etwas verloren. Xavier meint, es sei gut, wenn man so einen Ort nicht auf dem Tablett serviert bekommt, sondern ihn sich regelrecht erarbeiten müsse. Und diese Arbeit wird belohnt, führen die Wege nämlich, Adern gleich, direkt zum Wesen des Gartens – direkt zum Herzen.
Le jardin secret nennt Xavier diesen Ort, den geheimen Garten, und sagt, dass er Pariser kenne, die in ihrem ganzen Leben noch kein einziges Mal im Garten des Palais Royal waren. Dementsprechend ruhig ist es. Gerade morgens nach dem Aufschließen, verrät mir Xavier, sei der Garten im absoluten Stillstand. Nur ein einsamer Spaziergänger im Laufschritt verirrt sich her. Schon am späten Nachmittag, wenn die Kinder nach der Schule genug auf den Steinstelen herumgehüpft sind und sich der von fröhlichen Kinderbeinen aufgewirbelte Staub wieder auf die Holzbänke und die grünen Gartenstühle legt, wird es sehr still hier. Man muss kein Paul Claudel sein – Dichter, Diplomat und Vertreter der katholischen Erneuerung –, um sich wie in einem Klostergarten zu fühlen. Dafür sorgen schon die Kolonnaden, die den rund zwei Hektar großen Garten wie die Arkadengänge einer Klosteranlage gegen die Welt da draußen abschirmen und schützen. Die Häuserzeilen geben dem Ort Struktur und Halt. Für Claudel war das Modell eines Klostergartens ohnehin am besten geeignet, städtischen Raum zu gestalten. »Die Ordnung ist die Lust der Vernunft«, hat er mal gesagt.
Interessanterweise hat in der Vergangenheit gerade diese strenge, klassizistische Struktur des Ortes, die heute auch durch die ansässigen Ministerien und den Staatsrat eine institutionelle ist, die Menschen oft dazu verleitet, alles niederreißen zu wollen – während und nach der Revolution. Als würde dieser Ort dazu verleiten, ihm zu widersprechen, seine Struktur durcheinanderzubringen, genau hier seine Meinung kundzutun. Ein sehr paradoxer Ort!
1633 wurde der Garten in einem der Innenhöfe des damals sehr modern anmutenden Stadtpalast, dem Palais Cardinal, angelegt. Etwa ein Jahrhundert später baute der Lieblingsneffe des legendären Gartenarchitekten André Le Nôtre, Claude Desgots, den Garten komplett um. Entlang der zentralen Allee pflanzte Desgots eine Reihe von Ulmen, schloss den Garten an einer Seite durch den Bau einer Treppe und schuf so den Anschluss zur Rue des Petits Champs. »Überhaupt verdankt dieser Garten sein heutiges Aussehen dem Erneuerungsdrang, der Investitionswut und dem Gestaltungswillen aller Beteiligten«, sagt Xavier. »Einer von ihnen war der Duc de Chartres, später Philippe d’Orléans. Diese wunderschönen Galerien sind sein Werk.«
Ich drehe mich um und lasse meinen Blick an den Geschäften entlangschweifen, deren schwache Beleuchtung den äußeren Rahmen des Gartens bildet: Antiquitäten, Inneneinrichtung, festliche, handgenähte Mode und eine Kunstgalerie kann ich erkennen. »Gab es die Galerien denn nicht schon von Anfang an?«, frage ich Xavier, der rasch verneint. Er erzählt mir, dass die Anwohner damals den direkten Zugang zu dem königlichen Garten schamlos ausnutzten und rauschende Gartenfeste veranstalteten, ohne sich darum zu scheren, dass sie dies auf einem fremden Grundstück taten. Kurzerhand verkleinerte Philippe d’Orléans den Garten, indem er ein ganzes Drittel rundherum neu bebauen ließ. Es entstanden die Galerien, deren Erdgeschoss zu beziehen nur den Händlern vorbehalten war: Juweliergeschäfte, Modeboutiquen und andere Frivolitäten der damaligen Zeit.
Mein Blick wandert an den Galerien nach oben. Nur im ersten Stock wurde gewohnt, und das sehr nobel – das scheint auch heute noch so zu sein. Jede der sechzig Wohnungen überspannen drei Kolonnaden, jeweils durch eine Laterne beleuchtet. Das Café de Foy richtete sich unter sieben Kolonnaden ein und bot Eis an – was fortan, im Garten serviert, zu einer der Pariser Moden wurde.
Der Garten des Palais Royal blieb nach wie vor für das Publikum geöffnet, früher sogar bis ein Uhr nachts und selbstverständlich auch für die zuvor dort laut feiernden Anwohner, die nun in der zweiten Reihe logierten. In der Nacht jedoch sorgte der schwarze Zaun mit den goldenen Spitzen dafür, dass nur die Wächter in ihm wandelten. An diesen Schranken rüttelten später die Prostituierten, denen der zuvor gewährte Zugang versperrt wurde – die Promenade auf der Allée des Soupirs, der Seufzerallee, war in ganz Europa für ihre schönen leichten Mädchen berühmt. Einer der Perückenbauer der Comédie-Française, le posticheur, dessen Schriftzug immer noch linkerhand der Cour d’honneur hinter dem Theater zu lesen ist, spießte Wachsköpfe an den goldenen Gitterspitzen auf, um auf ihnen seine Perücken fertigzustellen. Das war einerseits lustig, andererseits auch makaber, wie eine revolutionäre Mahnung. Tatsächlich klebte an dem Zaun auch das Blut der Revolution. Mehr als das: Hier nahm sie ihren Anfang. In einem der Lokale des Palais Royal rief am 13. Juli 1789 Camille Desmoulins seine Mitbürger auf, zu den Waffen zu greifen. Am Tag darauf begann die Französische Revolution, die auch den Bewohner des Palais Royal, Philippe d’Orléans, letztlich den Kopf kosten sollte. Dass er zuvor dem Nationalkonvent geschworen hatte, gar nicht der leibliche Sohn des letzten Herzogs von Orléans zu sein, sondern der Sohn von dessen Kutscher, bewahrte ihn nicht vor der Guillotine.
Während wir durch den Garten spazieren, habe ich das Gefühl, hier sei die Zeit stehen geblieben. Die um diese frühe Stunde einsam daliegenden Boutiquen scheinen seit ihrer Eröffnung kaum verändert. Hüte, Kunst, Mode – Galerien und ihre Hinterräume. Ich stelle mir den fröhlichen Lärm von damals vor, das Lachen Molières, das aufgeregte Geplapper der Schauspieler beim Verlassen des Théâtre français, das im späten achtzehnten Jahrhundert an der Gartenseite entstanden war. Und die nächtlichen Spaziergänger, die aus den umliegenden Restaurants und Cafés stolperten. Die grau-weiß gestreiften Jalousien verbergen gestern wie heute ihre Geheimnisse. Welche Familien wohnen hier, welche einsamen Menschen?
Vogelgezwitscher reißt mich aus meinen Gedanken – der erste Vogel ist erwacht! Die Schriftstellerin und Künstlerin Colette hätte ihn gehört. Sie wohnte in einer der Wohnungen mit Blick auf den Garten, in der Rue de Beaujolais Nummer 9. Zeitlebens sprach sie von »ihrem« Carré. In Paris durch mein Fenster beobachtete sie eine hübsche Krähe und wunderte sich, aus welchem Kirchturm sie wohl geflogen kam. Sie spazierte zwischen den Regenrinnen umher, beschrieb Colette, landete ohne Umschweife und ohne Scham auf dem Kopf der bedauernswerten Statue génie latin und scherte sich einen Dreck um die Architektur und den abgesteckten Platz. Colette beobachtete auch, wie ein Meisenpaar heimisch wurde und den rechteckigen Raum des Gartens nicht mehr verließ. Sie verglich die beiden Meisen mit der Katze der Concierge der Comédie-Française, die ebenfalls kaum ihre kleine Eingangsloge verließ. Nur manchmal schlich sie sich heraus, so wie alle einsamen Bewohner des Viertels, um ein bisschen alleine spazieren zu gehen – und genauso allein wieder zurückzukehren.
Zu dem ersten zwitschernden Vogel gesellt sich ein anderer. Ein kurzes, hohes Lied fällt in der Tonhöhe ab und endet mit einer buchfinkartigen Fanfare – wir staunen nicht schlecht: Der Gesang gehört zu einem typischen Waldvogel, dem Waldbaumläufer, einem der kleinsten Vögel Europas. Unsere Augen suchen die Bäume nach dem winzigen Eindringling ab, der so gar nicht hierher passt. Xavier erzählt mir, dass der kleine Vogel für die Nahrungssuche den Baumstamm von unten nach oben spiralförmig hochklettert. Wenn er oben angekommen ist, fliegt er auf den nächsten Stamm und fängt wieder von unten an. Er sei fast nie auf dem Boden zu sehen. Ich setze mich mit Xavier auf eine der hölzernen Bänke unter den Bäumen und höre dem winzigen Vogel zu, meine Kaffeetasse mit ihrer restlichen Wärme noch in meinen Händen.
Einmal kurz können wir unseren Waldbaumläufer auf dem Baumstamm entdecken, sein Gefieder ist kaum von der Baumrinde zu unterscheiden, die Bewegung hat ihn verraten. Neben seinem Gesang ist nichts weiter zu hören, nur das leise Wiegen der Äste über uns. Andere kleine Vögel plustern sich auf und verstecken sich in den Buchsbäumen. Wir sind immer noch alleine in diesem schönen Gartenstück unweit des Louvre. Weit entfernt hören wir das Aufschlagen von Fensterläden, was uns an die Wirklichkeit des Ortes erinnert. Die Dunkelheit ist langsam verschwunden und gibt den Himmel frei mit seinem schönen tiefen, kurze Zeit später blassen Blau.
Inzwischen sind weitere Vögel erwacht, ihr Gesang entwickelt sich zu einem bunten, fröhlichen Stimmengewirr, aus dem der einzelne Vogel kaum herauszuhören ist. Auf den Kupferlampen der Kolonnaden des Palais Royal streiten sich die Vögel um den höchsten Punkt und schaukeln sich darauf in den Tag hinein. Trotz des Gezwitschers breitet sich der Eindruck der Stille in mir aus. Ich muss an Jean Cocteau denken, der 1940 am Palais Royal in der Galerie de Montpensier Nummer 36 wohnte. Dieser Ort, so sagte er, sei zu ganz bestimmten Zeiten »ein Ort der Stille, umringt von Vogelgesang«.
Infos:
•Jardin du Palais Royal, 8 Rue de Montpensier, 75001 Paris
Métro: Palais Royal – Musée du Louvre
Der Garten ist ab 8.00 Uhr geöffnet (bis 20.30 Uhr – von April bis Oktober bis 23.00 Uhr). Mittwochs um 12.00 Uhr wird die kleine Bronzekanone inmitten des Gartens entzündet, die von 1786 bis 1911 (als die Uhrzeit nach Greenwich ausgerichtet wurde) jeden Tag um diese Zeit detonierte. Pariser orientierten sich daran.
Literaturhinweise:
Colette, Paris durch mein Fenster
Jean Cocteau, Paris; Notes sur l’amour; La belle et la Bête; L’Aigle à deux têtes
Marcel Aymé, Mein geliebtes Paris …
Honoré de Balzac, Verlorene Illusionen
Ich sitze im Garten des Musée Carnavalet mitten im Marais und lasse mir die Sonne ins Gesicht scheinen. Die Blumenrabatten sehen aus, als hätte Monet sie koloriert. Es ist wunderbar ruhig hier in diesem Innengarten à la française, der durch einen Säulengang von einem weiteren getrennt ist. Mein Blick streift die Reiterstatue von König Henri IV und ich muss an den Picasso denken, den ich gerade im Museum betrachtet habe: Das kubistische Gemälde aus dem Jahr 1943, Square du Vert-Galant, zeigt das kleine Stückchen Grün an der Spitze der Île de la Cité mit ebensolcher Reiterstatue des Lieblingskönigs der Franzosen auf der Brücke.
Ich entscheide mich, dem Bild Picassos zu folgen und einen Spaziergang zu jenem kleinen grünen Dreieck zu unternehmen, das von oben betrachtet wie die Spitze eines Bootes aussieht, das auf die Seine hinauszielt. Benannt wurde es nach dem bon roi, dem guten König Henri IV. Weil er die Frauen liebte, im hohen Alter gar angeblich fast 70 Mätressen unterhielt, galt er auch als vert galant, als immerwährender Schürzenjäger. Ihm – und sicher nicht seinen Liebeskünsten – zu Ehren stellte man eine Reiterstatue auf der Pont Neuf auf. Sie überragt die seltsame Dreieckspitze an genau der Stelle, an der die zwei Seine-Arme zusammenkommen, als würden sie die Insel umarmen.
1607 wurde der Garten angelegt, im selben Jahr wie die nahe gelegene Place Dauphine. Errichtet wurden beide Bauten auf neu gewonnenem Land, denn die jetzige Inselspitze bildeten ursprünglich drei sumpfige Inseln, die Henri III 1584 miteinander verbinden und somit die Fläche des ältesten Teils von Paris vergrößern ließ. Aus dem Verkauf der Häuser an der Place Dauphine finanzierte er übrigens den Bau des Pont Neuf, der »Neuen Brücke«, die heute die älteste Brücke von Paris ist.
Picasso brauchte von seinem damaligen Atelier auf der linken Seine-Seite, der rive gauche, in der Rue des Grands Augustins nur die Straße hinunterlaufen, am Quai de Conti entlang und über den Pont Neuf, dann ein paar Stufen hinabsteigen, schon war er am Square. Ich bin gerade rive droite und nähere mich vom unteren Ende der Insel. Nach etwa zehn Minuten habe ich die Spitze der Île de la Cité erreicht.
Picasso hat den Square 1943 in tiefgrünen Farben gemalt, dschungelartig. Einzig die Reiterstatue ist rabenschwarz, die Häuserzeile im Hintergrund aschgrau. Das Wasser, das die Inselspitze doch so sehr prägt, lässt sich auf dem Bild allenfalls erahnen. Auch sonst fehlt vieles, was diesen Ort ausmacht: die Tiere und vor allem die Menschen, die hierherkommen oder hier leben, damals wie heute. Die Musiker und die Fischer, die spielenden Kinder und die flirtenden Liebespaare, die Freunde beim Picknick und die Einsamen mit ihren Büchern. Sie sitzen auf Bänken, liegen auf Decken und den groben Pflastersteinen, stehen am Ufer und blicken auf das Wasser. Die Menschen vom Square du Vert-Galant, sie wurden oft beobachtet und fotografiert, unter anderem von Robert Doisneau, dem legendären Fotografen und Flaneur.
Das kleine Paradies beheimatet erstaunlich viele verschiedene Bäume. Kastanien, Ginkgos, Robinien, Ulmen, Eiben, Oliven-, Nuss- und Apfelbäume kann man hier ausmachen. Doch nur einer von ihnen erlangt regelmäßig Berühmtheit: die große Trauerweide nämlich, die bei Hochwasser einsam aus dem Dreieck ragt. Und die Inselspitze steht oft unter Wasser, liegt sie doch etwa sieben Meter tiefer als der Rest der Insel – auf der ursprünglichen Höhe der Île de la Cité. Man vergisst, dass die Seine an dieser Stelle früher fast doppelt so breit war.
In dieser einsamen grünen Oase treffen sich Schwäne, allerlei Entensorten mit lustigen Namen wie fuligule milouin und fuligule morillon, Wasser- und Blässhühner, kleine Haubentaucher, Bachstelzen, Silber- und Lachmöwen. Letztere geben dem Ort mit ihrem aufgeregten Geschrei ein gewisses Urlaubsflair, fast wähnt man sich in einer Küstenstadt.
Und unweigerlich fragt man sich, woher sie nur kommen, die vielen Möwen von Paris, die einen mit ihrem lauthalsigen Ruf schon in den frühen Morgenstunden aus dem Bett holen. Ob Picasso sie von seinem Atelier auch gehört hat und sich genauso für sie interessierte wie für die vielen Tauben, die ihm Modell standen? Denkbar ist es, da diese Vögel seit dem frühen zwanzigsten Jahrhundert in der Hauptstadt anzutreffen sind: Manche das ganze Jahr über, andere nur im Winter. Sie kommen etwa aus der Normandie, der Seine folgend, und aus dem Osten Europas.
Mit den Möwen im Ohr setze ich mich auf eine der Bänke, denke an Picasso und Henri IV und lasse mir die Seine-Luft um die Ohren wehen. Dabei entsteht mein ganz eigenes Bild vom Square du Vert-Galant.
Infos:
•Musée Carnavalet und Innengärten: 16 Rue des Francs-Bourgeois, 75003 Paris
Métro: Saint-Paul
In Renovierung, Wiederöffnung 2020 mit Teesalon in den Gärten.
•Square du Vert-Galant: 15 Place du Pont Neuf, 75001 Paris
Métro: Pont Neuf
Rund um die Uhr geöffnet. Eintritt frei.
Kunsthinweis:
Pablo Picasso, Le square du Vert-Galant, Musée Carnavalet Paris
Ich bin etwa zehn und laufe die Élysées herunter. Unter dem Arm mein kleines Segelboot aus Holz, im Rücken den Arc de Triomphe. Das große runde Becken der Tuileries ist nicht mehr weit, doch ich kann gar nicht schnell genug hinkommen. Die schönen Gärten der Champs-Élysées um mich herum würdige ich keines Blickes. Ich habe nur Augen für den großen Obelisken auf der Place de la Concorde, denn gleich dahinter liegt der Jardin des Tuileries mit dem runden Wasserbecken. Der feste rote Stoff der Segel ist noch mit einer Kordel festgebunden, doch bald kann ich sie lösen und meinem Boot die Freiheit schenken, die es die ganze Woche über im Regal meines Kinderzimmers sicher vermisst hat. Ich laufe noch ein bisschen schneller.
So wie ich damals als Kind laufen viele an den Gärten rechts und links im unteren Teil der Champs-Élysées einfach vorbei, wenn vielleicht auch nicht so schnell. Es scheint das Schicksal dieser Gartenanlage mitten in Paris zu sein, nicht wirklich als Garten wahrgenommen zu werden. An mangelnder Größe kann es nicht liegen. Immerhin sprechen wir von unglaublichen 13,7 Hektar Grünanlagen, darin Kulturstätten wie Grand Palais und Petit Palais, das Théâtre du Rond-Point und das Théâtre Marigny. Und obwohl der grüne Blick vom Arc de Triomphe bis zur Place de la Concorde einmalig ist, schaut man doch eher auf die Straße und die Häuser, und die meisten Touristen schlendern auf den breiten, geraden Bürgersteigen entlang, statt auf den geschwungenen Wegen durch die Grünanlage.
Den Grundstein des Gartens legte Marie de Médicis, die sich 1616 in der Verlängerung der Tuilerien einen Garten wünschte, in dem sie sowohl mit ihrer Karosse herumfahren als auch zu Fuß spazieren gehen konnte. Drei Alleen mit vier Ulmenreihen entlang der Seine ließ sie anlegen, die Cours la Reine (cours heißt Promenade) genannt wurden, später auch vom Volk Petit Cours. Erst durch Louis Philippe, den letzten französischen König, und das Second Empire bekamen der Garten und die Promenade ihr heutiges Aussehen. Unter dem Einfluss all dessen, was man in London gesehen hatte, sollte ein englischer Garten um die heutige Prachtstraße Champs-Élysées entstehen, und zwar auf den Wiesen, wo zu dieser Zeit noch Kühe grasten.
Doch man musste erst den Lauf des neunzehnten Jahrhunderts abwarten, bis die Avenue des Champs-Élysées überhaupt von Häusern eingerahmt werden konnte. Dann erst entstand dieser wunderschöne englische Garten, in mehrere Carrés unterteilt. Nur der mit einer Treppe am Grand Palais angrenzende Square Perrin zeugt von der Gartenkunst à la française – ein Bassin in der Mitte umringt von Skulpturen, Bänken und geschnitzten Bäumen –, der Rest ist typisch britisch. Auf der anderen Seite des Grand Palais liegt übrigens ein versteckter, geheimer, romantischer Garten: der schattige Jardin de la Nouvelle France. Ein Wasserlauf und eine Brücke, wunderschöne Ahorn- und Orangenbäume, Buchen und Robinien und nicht zuletzt die Fontäne mit dem romantischen Namen Le rêve du poète, der Traum des Poeten, bieten alles, was man als müder Spaziergänger braucht, um kurz inmitten von Blumen und Grün innezuhalten und die Hektik der Stadt zu vergessen.
Inzwischen bin ich schon tausendmal in diesen Gärten hin und her geschlendert und habe gelernt, dass man sie in beide Richtungen hoch- und runterlaufen muss, um die Perspektive zu wechseln und immer einen neuen Blick auf die Gebäude und ihr angrenzendes Grün zu bekommen. Doch das Kind, das mit seinem Segelboot zum Wasserbecken der Tuilerien läuft, hat davon keine Ahnung. Inzwischen hat es die Place de la Concorde überquert und den Jardin des Tuileries betreten. Wenige Augenblicke später steht es am Bassin vivier nord und löst endlich die Kordel von den Segeln seines Bootes.
Am Rand des Beckens steht schon Alain mit seiner leicht ramponierten Holzkarre, von der die blaue Farbe langsam abblättert. Der alte Segelboot-Verleiher kommt meistens am Mittwoch und am Wochenende gegen elf Uhr und verleiht seine bunten Boote an die Kinder, die kein eigenes besitzen. Alain ist einer von genau zwei Bootsverleihern dieser Art in Paris – und schon seit Jahrzehnten im Dienst. Sein Kollege arbeitet im Jardin du Luxembourg und verleiht dort die typischen Paudeau-Boote. Paudeau war ein handwerklich geschickter Bootsbauer, der in den zwanziger Jahren auf die Idee kam, am Bassin des Jardin du Luxembourg seine selbstgebauten Segelboote zu verleihen. Wie Paudeau damals baut Alain seine Boote selbst. Er sägt, feilt, näht und stellt die guten Stücke in mühevoller Arbeit zusammen. Ist mal eines seiner Lieblinge kaputt, so braucht er Zeit, um es zu reparieren. Und bleibt ein anderes in der Mitte des Bassins hängen, so schlüpft er in seine großen schwarzen Gummistiefel und watet zur Rettung.
Ich muss mir von Alain kein Boot leihen, ich habe ja mein eigenes, aus Kindheitstagen. Mit einem kleinen Stock schiebe ich es an und schon flitzt mein kleines Segelboot leise über die dunkelgrüne Wasserfläche. Ich schaue ihm nach und wünsche mich selbst an Bord, geschrumpft auf die Größe einer Maus. In meinem Rücken liegt der wunderbare Tuileriengarten, dem André Le Nôtre einst sein Erscheinungsbild eines Barockgartens verpasste – und der, anders als die Gärten der Champs-Élysées, wahrlich keine Probleme hat, als Garten wahrgenommen und genutzt zu werden. Vor allem an den großen Wasserbecken entspannen Parisreisende auf ihrem Weg von den Champs-Élysées zum Louvre, bevor sie an den berühmten Statuen von Rodin, Maillol und Giacometti vorbeischlendern. Die gehören morgens den Gärtnern, Hundebesitzern, Joggern und eilig von Süden nach Norden laufenden Geschäftsleuten in Schwarz. Sie verscheuchen die Tauben, die flatternd auffliegen, um sich kurz darauf wieder abzusetzen. Die Enten machen am oberen Bassin mit ihrem ohrenbetäubenden Gequake auf sich aufmerksam. Mehrere der braunschwarz Gefiederten teilen sich den Sockel einer Statue. Die Farbe des Wassers im Bassin erinnert an Monets in der Orangerie aufbewahrtes Nymphengemälde. Obwohl er nie hier gemalt hat, meint man, die Bassins hätten ihm Pate gestanden für sein dem Frieden gewidmetes, blaugrünes Wasser- und Blumengedicht.
Auf dem Weg zurück von meinem Segeltörn weckt im Norden der Avenue Gabriel ein Tor meine Aufmerksamkeit. La grille du coq, das prachtvolle Gitter mit dem stolzen goldenen Hahn auf seiner Spitze, ist der hintere Zugang zum Garten des Élysée-Palastes – der damalige Staatspräsident Émile Loubet ließ ihn 1900 hier einbauen – und er ist selten geöffnet. Nur am dritten Septemberwochenende, anlässlich den Journées européennes du patrimoine, öffnet sich der Garten dem Publikum.
An diesem Tag aber ist das Tor geöffnet und ich wage einen neugierigen Blick. Der Palast wurde 1722 vom Comte d’Évreux gebaut. Die Marquise de Pompadour lebte hier, peppte den Palast im Inneren auf und vergrößerte den Garten: Säulengänge, Lauben sowie ein Labyrinth ließ sie anlegen. 1764 vererbte sie das Anwesen Louis XV, dessen offizielle Mätresse sie lange Jahre war. 1797 gab es famose Bälle in den Salons des Erdgeschosses und im angrenzenden Garten. Heute erinnern noch eine Fontäne, der Rasen und ein paar wenige – genau genommen drei – hohe Bäume an diese Zeit. Neun Gärtner kümmern sich um das anderthalb Hektar große Gelände. Wie viele andere Pariser Gärten auch wurde er erst à la française, später anglochinesisch angelegt. Zwischen den Kriegen kam der Garten herunter, lange lag er im Dornröschenschlaf. Erst 1992 ließ Präsident Mitterand ihn wiederbeleben und einmal im Jahr dem normalen Publikum aufschließen.