Die Chroniken von Araluen - Wie alles begann - John Flanagan - E-Book

Die Chroniken von Araluen - Wie alles begann E-Book

John Flanagan

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Beschreibung

Ein mitterlalterliches Königreich, bedroht von bösen Kräften und ungeheuerlichen Kreaturen, verteidigt von einem jungen Waldläufer und seinen Freunden - willkommen in Araluen!

Bevor sie die berühmtesten Waldläufer des Reiches wurden, waren Walt und Crowley nichts als zwei Freunde, die sich vorgenommen hatten, die Welt zu erobern. Und nichts brauchte das wankende Reich Araluen mehr als zwei Helden! König Oswald dämmert dahin, Prinz Duncan, so gehen Gerüchte, treibt im Norden des Reiches als Raubritter sein Unwesen, während der Ränke schmiedende Baron Morgarath immer mehr machthungrige Ritter auf seine Seite zieht. Walt und Crowley machen sich auf, den Prinzen zu suchen und die versprengte Truppe der Waldläufer um sich zu scharen ...

Spannende und actionreiche Abenteuer in einem fantastisch-mittlalterlichen Setting – erfahre alles zur Vorgeschichte der "Chroniken von Araluen".

Alle Bücher der "Die Chroniken von Araluen - Wie alles begann"-Reihe:
Das Turnier von Gorlan (Band 1)
Die Schlacht von Hackham Heath (Band 2)

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Seitenzahl: 523

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© Random House Australia

DER AUTOR

John Flanagan arbeitete als Werbetexter und Drehbuchautor, bevor er das Bücherschreiben zu seinem Hauptberuf machte. Den ersten Band von »Die Chroniken von Araluen« schrieb er, um seinen 12-jährigen Sohn zum Lesen zu animieren. Die Reihe eroberte in Australien in kürzester Zeit die Bestsellerlisten. Danach konzentrierte er sich auf die Reihe »Brotherband« und hat inzwischen eine weitere Spin-off-Reihe begonnen.

Von John Flanagan ist als cbj Taschenbuch erschienen

BROTHERBAND

Die Bruderschaft von Skandia

Der Kampf um die Smaragdmine

Die Schlacht um das Wolfsschiff

Die Sklaven von Socorro

Der Klan der Skorpione

DIE CHRONIKEN VON ARALUEN

Die Ruinen von Gorlan

Die brennende Brücke

Der eiserne Ritter

Der Angriff der Temujai-Reiter

Die Krieger der Nacht

Die Belagerung

Der Gefangene des Wüstenvolks

Die Befreiung von Hibernia

Der große Heiler

Die Schwertkämpfer von Nihon-Ja

Die Legenden des Königreichs

Das Vermächtnis des Waldläufers

Weitere Bände in Vorbereitung.

John Flanagan

DIE CHRONIKEN VON ARALUENWIE ALLES BEGANN

Das Turnier von Gorlan

Aus dem Englischen von Angelika Eisold-Viebig

Der Inhalt dieses E-Books ist urheberrechtlich geschützt und enthält technische Sicherungsmaßnahmen gegen unbefugte Nutzung. Die Entfernung dieser Sicherung sowie die Nutzung durch unbefugte Verarbeitung, Vervielfältigung, Verbreitung oder öffentliche Zugänglichmachung, insbesondere in elektronischer Form, ist untersagt und kann straf- und zivilrechtliche Sanktionen nach sich ziehen.
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© 2016 der deutschsprachigen Ausgabe cbj Kinder- und Jugendbuchverlagin der Penguin Random House Verlagsgruppe GmbHNeumarkter Str. 28, 81673 MünchenAlle deutschsprachigen Rechte vorbehalten© John Flanagan 2013Zuerst erschienen 2013 unter dem Titel »Ranger’s Apprentice- The Early Years/The Tournament at Gorlan« bei Penguin Random House Australia, Sydney, Australia Übersetzung: Angelika Eisold ViebigLektorat: Andreas RodeUmschlagillustration: © Jeremy RestonUmschlaggestaltung: init Kommunikationsdesign, Bad OeynhausenCK · Herstellung: AJSatz: Uhl + Massopust, AalenISBN 978-3-641-20112-8V003www.cbj-verlag.de

Vorwort

Die Ereignisse, die in diesem Buch beschrieben werden, folgen zeitlich direkt auf jene der Kurzgeschichte Der Hibernianer, in Band 11 der Serie Die Chroniken von Araluen, Die Legenden des Königreichs.

Für diejenigen Leser, die diese Geschichte nicht kennen: In Der Hibernianer wird erzählt, wie Walt und Crowley sich als junge Männer kennenlernten. Walt kam damals ins Königreich von Araluen, nachdem er aus seinem Heimatland Hibernia geflohen war. Er war der rechtmäßige Erbe des Thrones von Clonmel, doch sein jüngerer Zwillingsbruder hatte versucht, ihn zu töten, um selbst auf den Thron zu gelangen. Voller Trauer und Bitterkeit über das Verhalten seines Bruders war Walt dennoch nicht dazu bereit, sein eigen Fleisch und Blut zu bekämpfen. Stattdessen beschloss er, Hibernia zu verlassen.

Er kommt zu einer Zeit in Araluen an, in der Morgarath, Baron des Lehens Gorlan und bedeutendster Ritter im Königreich, gerade dabei ist, einen sorgsam geplanten Versuch zur Machtübernahme umzusetzen. Einer der ersten Schritte Morgaraths ist dabei die Schwächung und schlussendliche Vernichtung des Bundes der Waldläufer – einer Art Eliteeinheit, welche als »Augen und Ohren des Königreichs« gilt. Der Bund der Waldläufer stellte bisher die mächtigste Gruppe zur Unterstützung des jeweils regierenden Königs dar. Nun aber hat Morgarath über einige Jahre hinweg dafür gesorgt, dass die älteren Waldläufer fälschlicherweise verschiedener Verbrechen angeklagt wurden. Infolgedessen hatten diese ihre Posten aufgeben oder aus dem Land fliehen müssen. Die so frei gewordenen Posten besetzte Morgarath mit seinen eigenen Kriechern und Speichelleckern.

Lord Morgarath ist es gelungen, das Vertrauen von König Oswald zu gewinnen und diesen davon zu überzeugen, dass sein Sohn, Prinz Duncan, zu unerfahren für den Thron sei. Entsprechend wurde Duncan in einem Lehen im weiter entfernten Nordosten des Königreichs stationiert.

Crowley, ein neu ernannter Waldläufer, der von einem alten Waldläufer namens Pritchard in den traditionellen Fähigkeiten der Waldläufer ausgebildet worden war, macht sich keine Illusionen hinsichtlich des Ränkespiels Lord Morgaraths. Kurz nach seiner Begegnung mit Walt beschließt er, den Bund der Waldläufer zu reformieren. Er plant, die wenigen verbliebenen Mitglieder der ursprünglichen Gruppe zu sammeln und mithilfe einer königlichen Vollmacht von Prinz Duncan neu aufzustellen. Sobald Crowley erfährt, dass Walt wie er selbst von Pritchard, einem der ersten Waldläufer, die von Morgarath aus dem Königreich vertrieben worden waren, ausgebildet wurde, ist ihre Freundschaft besiegelt. Diese Freundschaft wird bestärkt, als Walt Crowley zu Hilfe kommt, um einen Angriff von einem halben Dutzend Soldaten Morgaraths abzuwehren.

Walt beschließt, Crowley bei seinem gefährlichen Vorhaben zu unterstützen. Zusammen begeben sie sich auf die Suche nach Prinz Duncan – die stets gegenwärtige Bedrohung durch Morgarath im Nacken.

Eins

Es hatte seit Tagen geregnet.

Es war kein starker Regen, doch er wollte einfach nicht aufhören. Sie ritten durch einen hartnäckigen, alles durchdringenden Regen, der schließlich auch das schützende Öl ihrer wollenen Umhänge durchdrang. Die Feuchtigkeit fraß sich bis in die letzte Faser des Gewebes und machte die Umhänge schwer.

Und kalt.

Wie in den letzten Nächten schlugen Walt und Crowley auch heute ihr Lager draußen im Wald auf. Walt hatte vorgeschlagen, Städte und Dörfer zu meiden, bis sie sicher sein konnten, dass sie sich außerhalb von Morgaraths Einflussgebiet befanden, und Crowley hatte zugestimmt. Walt war schließlich schon länger unterwegs und hatte mehr Erfahrung darin, sich vor unliebsamen Verfolgern zu verstecken. Im Moment war Crowley sich jedoch nicht mehr so sicher, ob die Entscheidung richtig gewesen war.

Sie saßen unter einem rechteckigen geölten Segeltuch, das sie zwischen vier Bäumen aufgespannt hatten. Eine Seite hatten sie dabei niedriger angebracht, damit der Regen dort nach unten abperlte. Sie hatten sich aus Zweigen und Ästen Bettgestelle gebaut, um nicht unmittelbar auf der nassen, durchweichten Erde liegen zu müssen. Jedes dieser Betten bestand aus einem rechteckigen Rahmen mit einer Reihe kurzer Querstücke, über die Zweige mit Blättern gelegt waren, die eine Art Matratze bildeten. Jeden Tag bauten sie die Rahmen wieder auseinander und nahmen die größeren Stücke in einem zusammengeschnürten Bündel mit.

In ein paar Schritten Entfernung hatten sie ihre Pferde angebunden. Die Tiere drängten sich aneinander, wärmten sich gegenseitig und bemühten sich, ihre Köpfe im Windschatten zu halten.

Walt schauderte und zog seinen Umhang enger um sich. Bei dieser Bewegung lief ein Rinnsal von der Kapuze herab und landete auf seiner Nase. Von dort setzte es seinen Weg fort, bis es schließlich von seiner Nasenspitze tropfte. Als Crowley das sah, musste er lachen.

Walt sah ihn vorwurfsvoll an. »Was findet Ihr so amüsant?«, fragte er kühl.

Crowley, der sich ebenfalls in seinem Umhang eingehüllt hatte, nickte in Richtung seines Kameraden. »Ihr sitzt da vornübergebeugt und tropft wie ein alter Mann mit einer laufenden Nase«, sagte er. Unglücklicherweise löste dieses Nicken einen Wasserstrom von seiner eigenen Kapuze aus und die Tropfen rannen seine Nase hinab. Er schniefte und das Lächeln auf seinem Gesicht erstarb plötzlich.

»Ihr findet es amüsant, dass ich bis auf die Haut durchnässt bin und mir vor Kälte den Tod holen werde?«, fragte Walt.

Crowley wollte schon mit den Schultern zucken, dann wurde ihm jedoch klar, dass eine solche Bewegung nur noch mehr Wasser in Bewegung setzen würde, und er hielt sich zurück. »Vielleicht nicht amüsant, aber ganz sicher ist es eine willkommene Ablenkung.«

Walt drehte sich, ausgesprochen bedächtig, zu ihm um. »Und wovon lenkt Euch dieser Anblick ab?«, fragte er und achtete dabei peinlichst genau auf seine Grammatik. Wenn Walt schlechte Laune hatte, legte er immer besonders viel Wert auf korrekte Sprache.

»Von der Tatsache, dass ich ebenfalls durchnässt und unterkühlt und in jämmerlichem Zustand hier sitze und mir Wasser die Nase herunterläuft«, antwortete Crowley.

Walt nahm das zur Kenntnis. »Ihr fühlt euch unwohl?«

Crowley nickte, was noch mehr Wasser in Bewegung setzte. »Auf jeden Fall«, sagte er.

»Ihr seid mir vielleicht ein Waldläufer«, erwiderte Walt. »Ich dachte, Waldläufer könnten in Ausübung ihres Berufes die schlimmsten Situationen mit einem Lächeln auf den Lippen und einem Lied im Herzen bewältigen. Mir war nicht klar, dass sie stattdessen jammernd herumsitzen und sich beschweren.«

»Die schlimmsten Situationen in Kauf zu nehmen, heißt nicht, dass ich mich nicht darüber beschweren darf. Außerdem habe ich noch vor Kurzem gelacht und war recht fröhlich.« Crowley schauderte und zog seinen Umhang enger um sich. Noch mehr Wasser setzte sich in Bewegung. »Diese Umhänge sind bis zu einem bestimmten Punkt wirklich gut. Doch sobald sie einmal von Wasser durchtränkt sind, sind sie schlimmer als nichts.«

»Wenn Ihr in Nichts gehüllt dasäßet, dann würdet ihr schnell den Unterschied merken«, erwiderte Walt.

Crowley stieß einen nur schwer zu interpretierenden Grunzlaut aus, und für eine Weile legte sich Stille über das Lager, die nur von dem unaufhörlichen Trommeln des Regens auf den Blättern und dem gelegentlichen Stampfen der Pferde unterbrochen wurde.

Ein weiteres kaltes Mahl erwartete sie an diesem Abend. Die Luft war so mit Feuchtigkeit geladen, dass es ein Ding der Unmöglichkeit war, Walts Feuerstein und Stahl einen Funken zu entlocken, um eine Handvoll Reisig anzuzünden. Und selbst wenn ihnen das gelungen wäre, hätte es doch kein trockenes Feuerholz gegeben. Normalerweise reisten sie mit einer Notfallration an Reisig und Feuerholz, doch beides war ihnen vor zwei Tagen bereits ausgegangen.

Was für ein Jammer, dachte Walt. Selbst ein kleines Feuer würde sie mit etwas Wärme versorgen und die Flammen könnten sie gleichzeitig etwas aufmuntern. Seufzend griff er in das Bündel neben sich und holte ein Stück Trockenfleisch heraus. Er biss etwas davon ab und begann, gleichmäßig zu kauen. Seine Kiefer arbeiteten sich durch das recht harte, zähe Fleisch. Ob die Kraftanstrengung, das Fleisch zu kauen, ihn wohl wärmen würde? Das Fleisch war jedenfalls gewiss zäh genug, um seinem Kiefer beträchtliche Leistung abzuverlangen. Langsam wurde der Geschmack des geräucherten Fleisches freigesetzt und erfüllte seinen Mund. Dadurch merkte Walt aber auch, wie hungrig er eigentlich war und wie gering die Möglichkeiten waren, diesen Hunger zu stillen.

Er holte tief Luft und atmete langsam wieder aus. Kalt und hungrig zu sein, war fürchterlich. Genauso wie durchnässt zu sein. Alles drei zusammen jedoch war fast unerträglich.

»Ich habe nachgedacht …«, begann Crowley und beendete den Satz nicht sofort.

Walt schüttelte den Kopf. »Und da sitze ich nun ohne Feder oder Pergament, um diesen besonderen Moment festzuhalten.«

Crowley hob eine Augenbraue. Das zumindest, dachte er, dürfte nicht einen weiteren Wasserfall über mein Gesicht schicken. Er hob auch seine andere Augenbraue, nur um sicherzugehen. Kein Wasserfall, also senkte er beide wieder.

»Ich denke, wir haben die Grenze vielleicht bereits überschritten und befinden uns gar nicht mehr im Lehen Gorlan«, fuhr er fort. Walt gab ein unbestimmtes Brummen von sich.

Crowley nahm das als ein Zeichen, um seine Gedanken weiter auszuführen. »Dieser Fluss, den wir am späten Nachmittag überquert haben, könnte sogar der Krähenfußfluss gewesen sein, und der bildet die Grenze zwischen dem Lehen Gorlan und dem Lehen Keramon.«

»Nun«, sagte Walt, »es könnte aber auch der Fluss Salmon gewesen sein, und wenn ich mich recht an die Karte erinnere, befinden wir uns dann immer noch weit im Landesinneren von Gorlan.«

Doch Crowley schüttelte den Kopf. »Der Salmon wäre an dieser Stelle viel schmaler und fließt auch schneller. Zudem ist er weiter westlich, näher an Redmont. Wenn wir uns also nicht völlig falsch orientiert haben, wären wir ihm nicht so nahe gekommen.«

»Tja, Ihr seid doch derjenige, der uns geführt hat«, sagte Walt.

Crowley sah ihn fast beleidigt an. »Mein Orientierungssinn und meine Kunst im Kartenlesen sind vielleicht nicht gerade hervorragend. Aber ich bin wohl kaum zwanzig oder dreißig Meilen weit abgekommen.«

»Wohl kaum bedeutet natürlich, dass Euch das manchmal durchaus passieren kann«, entgegnete Walt. Doch Crowley ließ sich nicht beirren.

»Diesmal nicht. Und wie ich sagte, der Salmon wäre schmaler und schneller.«

Walt beschloss, das Thema nicht zu vertiefen. »Also, wenn Ihr recht habt, worauf wollt Ihr hinaus?«

Crowley veränderte seine Sitzhaltung, weil ihm kaltes Wasser in den Kragen lief.

Walt hat recht, dachte er, es mochte sich scheußlich anfühlen, in einem durchnässten Umhang hier zu sitzen, doch zumindest hielt dieser den größten Teil des Wassers ab – und half, einen Rest von Körperwärme zu bewahren.

»Was ich sagen will ist: Wenn wir uns außerhalb des Lehens Gorlan befinden, dann könnten wir uns vielleicht in einem Dorf auf die Suche nach einem Gasthaus machen und dort ein paar Nächte verbringen.«

»Ihr denkt, Morgarath würde an der Grenze zwischen den beiden Lehen haltmachen?«, fragte Walt.

Crowley schob seine Unterlippe vor. »Vielleicht nicht Morgarath selbst«, gab er zu, »aber wenn er uns einige Männer nachgeschickt hat – und wir wissen nicht einmal mit Bestimmtheit, dass er das hat –, dann könnten sie vielleicht beschließen, umzukehren, sobald sie die Grenzen des Lehens erreicht haben. Besonders bei diesem Wetter. Sie werden es gewiss nicht mehr genießen als wir.«

»Das ist möglich«, stimmte Walt zu. »Also habt Ihr ein Dorf im Auge?«

Crowley nickte. Er hatte die Karte studiert, bevor die Nacht hereingebrochen war. »Da gibt es einen Ort namens Woolsey«, sagte er. »Ich schätze, er liegt etwa zehn Meilen entfernt und etwas ab vom Schuss. Er ist groß genug, dass es dort eine Taverne oder einen Gasthof geben sollte. Und wenn nicht, könnten wir auch bei einem der Dorfbewohner um Unterkunft bitten.«

Walt antwortete nicht gleich, sondern dachte darüber nach. Dann fiel Crowley noch etwas ein.

»Natürlich bräuchten wir Geld«, sagte er. »Normalerweise bezahle ich auf meinen Reisen mit Gutscheinen, die vom Bund wieder erstattet werden. Aber das kann ich im Augenblick wohl kaum tun.«

Seit ihrer Auseinandersetzung mit Morgarath und dem bewaffneten Kampf mit seinen Soldaten hatten sie beschlossen, Crowleys Identität als Waldläufer zu verbergen. Morgaraths Männer würden nach einem Mitglied des Bundes suchen. Bis jetzt war Morgarath wahrscheinlich nicht bewusst, dass Walt sich Crowley angeschlossen hatte. Deshalb hatte Crowley seinen gesprenkelten Waldläuferumhang weggepackt und trug nur einen einfachen dunkelgrauen Wollumhang. Walts Umhang war dunkelgrün. Beide Farben waren zu einer gewissen Tarnung geeignet, doch man konnte zumindest nicht eindeutig den Umhang eines Waldläufers erkennen.

»Ich habe Geld«, sagte Walt, und Crowley sah ihn erleichtert an. »Aber es ist aus Hibernia. Ich weiß nicht, ob hiesige Gastwirte es akzeptieren.«

»Ist es Gold?«, fragte Crowley, und als Walt nickte, fuhr er fort: »Dann werden sie es annehmen.«

»Also gut«, sagte Walt, »dann machen wir uns morgen auf den Weg nach Woolsey. Dort können wir unsere Kleidung und auch unsere Ausrüstung trocknen. Die Pferde werden es uns ebenfalls danken, wenn sie ein paar Nächte im Stall verbringen dürfen.«

»Vielleicht sogar eine Woche?«, schlug Crowley optimistisch vor.

Walt sah ihn durch die vielen Wassertropfen, die jetzt von seiner Kapuze rannen, zweifelnd an.

Crowley zuckte mit den Schultern. »Dann eben wenigstens ein paar Nächte.«

»Gehen wir schlafen«, schlug Walt gähnend vor. Es war ein langer Tag gewesen. Er legte sich vorsichtig hin, zerrte leicht schaudernd den tropfnassen Umhang um sich und zog die Kapuze hoch über seinen Kopf. Ein Windstoß erschütterte das Segeltuch über ihnen und Wasser rann an drei Seiten herunter. Walt schauderte wieder.

»Zum Teufel mit Morgaraths Männern«, murrte Walt. »Ich will morgen Abend ein nettes loderndes Feuer.«

»Und einen herzhaften Eintopf«, kam Crowleys gedämpfte Stimme.

»Und einen herzhaften Eintopf«, stimmte Walt zu.

Zwei

Es war später Nachmittag, als sie Woolsey schließlich erreichten. Der Regen hatte nachgelassen, aber noch immer nicht ganz aufgehört. Sie ritten die einzige Straße des Dorfes entlang, eingehüllt in ihre Umhänge. Die beiden Pferde trotteten stoisch durch den zähen Schlamm, der die Straße bedeckte, ihre Hufe machten saugende und schmatzende Geräusche, sowohl beim Auftreten als auch beim Hochheben aus dem klebenden feuchten Schlamm.

Crowley deutete auf ein Gebäude, das ein Stück weiter die Straße hinunter stand und größer war als die anderen. Es war das einzige zweistöckige Haus im Dorf und ein bunt gestrichenes Schild über der Tür schwang wie verrückt im Wind.

Crowley spähte zu dem Schild. »Der Gelbe Papagei. Das klingt ja nun wirklich lustig.«

»Was ist so lustig an einem gelben Papagei?« Walt warf ihm einen fragenden Blick zu.

Crowley überlegte kurz. Um die Wahrheit zu sagen, hatte er das einfach nur so dahingesagt, um irgendetwas zu sagen, aber das wollte er nicht zugeben.

»Nun«, sagte er schließlich, »Papageien sind amüsante Kreaturen. Sie reden, nicht wahr? Sie sagen Dinge wie ›Polly will Brot‹. Oder: ›Wo ist die brave Polly denn?‹ Und sie sind bunt, also machen sie das Leben bunter.«

»Was ist so amüsant an einem Vogel, der Brot mag oder angeblich brav sein will? Schließlich weiß der Vogel gar nicht, was er da sagt, oder?«

»Er weiß jedenfalls, dass er Brot möchte«, widersprach Crowley. »Ich meine, wenn er das sagt und daraufhin Brot bekommt, dann frisst er das Brot, nicht wahr? Also weiß er offensichtlich, was er sagt.«

Walt zügelte sein Pferd leicht, sodass es langsamer lief, und drehte sich zu seinem Kameraden um. Crowley hielt ebenfalls an.

»Seid Ihr immer so unglaublich fröhlich?«, fragte Walt.

»Ich denke schon«, erwiderte Crowley und fügte leise hinzu: »Und schaut Ihr bei Euren Reisen immer so aus, als ob eine große schwarze Gewitterwolke über Eurem Kopf hinge?« Er mochte Walt, auch wenn sie sich erst kurz kannten. Aber der Hibernianer neigte seiner Meinung nach manchmal etwas zum Miesepeter.

»Was habt Ihr gesagt?«, erkundigte sich Walt.

Schnell schüttelte Crowley den Kopf, dass die Tropfen flogen.

»Ich habe gar nichts gesagt.«

Doch Walt sah ihn vorwurfsvoll an. »Ihr habt mich einen Miesepeter genannt«, sagte er.

Crowley zuckte mit den Schultern. »Das ist in diesem Land eine Art Kompliment.« Er gab seinem Pferd Schenkeldruck, um weiterzureiten. Quak, schlurf, Quak, schlurf – die Hufe machten eine ganz eigene Musik.

Walt setzte sein Pferd ebenfalls in Bewegung. Während er sich beeilte, den Waldläufer einzuholen, schleuderten die Hufe seines Pferdes Schlamm und Wasser in die Luft. Er merkte, dass er sich nicht ganz auf dem Posten fühlte. Das musste daran liegen, dass sie seit Tagen ihre Bogen in den wasserfesten Lederkästen hatten, um die Sehnen zu schützen. Nasse Witterung konnte eine Bogensehne ziemlich ruinieren, die Spannung verringern und die Waffe dadurch fast nutzlos machen. Und Walt fühlte sich nie richtig wohl, wenn er in unbekannter Gegend unterwegs war, ohne seinen Bogen zur Hand zu haben. Das gab ihm das Gefühl, verletzlich zu sein, und das wiederum machte ihn gereizt und schlecht gelaunt.

Über dem ständigen Geruch nach feuchtem Moder und schlammiger Erde hinweg roch er so etwas wie Holzfeuer. Er blickte hoch und sah die Rauchwolke aus dem Schornstein des Gasthofes aufsteigen, wo sie von Regen und Wind nach unten gedrückt wurde, sodass sie nie weiter als einige Ellen über den Dachfirst gelangte.

»Na, wenn das nicht mehr aufmuntert als ein gelber Papagei«, sagte er.

Crowley hatte sich bereits aus dem Sattel geschwungen. Er band sein Pferd an einem Ring neben der Tür des Gasthofes fest und wartete darauf, dass Walt sich zu ihm gesellte. Zusammen traten sie dann ein, wobei sie sich leicht bücken mussten, um sich nicht an der niedrigen Tür den Kopf anzuschlagen.

Nach all dem kalten Regen und dem Wind war es im Schankraum herrlich warm. Der Raum war groß, aber recht niedrig. An der Wand gleich dem Eingang gegenüber standen mehrere Fässer, über die man eine Holzdiele gelegt hatte, die als Theke diente. Weitere Fässer, groß und klein, lagen seitlich auf Gestellen hinter der Theke, damit ihre Hähne für den Gastwirt und seine Kellnerinnen leicht zugänglich waren. Der Raum war etwa zur Hälfte mit Männern gefüllt. Bauern und Arbeiter, die hier vor dem schlechten Wetter Zuflucht suchten, vermutete Crowley. Sie alle hatten aufgehört zu reden, um die Neuankömmlinge zu begutachten. Doch schon nach Kurzem wandten sie sich wieder ihrem Bier und ihrer Mahlzeit zu und setzten ihre Gespräche fort.

An einem Ende des Schankraumes befand sich ein großer Kamin mit einem Spieß darüber, an dem sich mehrere Enten drehten. Das Fett tropfte zischend auf die Holzkohle. Der Raum war erfüllt von dem appetitanregenden Duft gebratener Ente und reichlich ausgeschenkten Biers, gemischt mit dem Rauch des Kaminfeuers, der sich entlang der niedrigen Decke verteilte, da der Kaminschlot es nicht ganz schaffte, ihn abzusaugen.

Walt und Crowley bahnten sich ihren Weg durch die Tische zur Theke, wo der Gastwirt sie kurz musterte.

Waldarbeiter, entschied er. Vielleicht auch Jäger. Keine Soldaten jedenfalls. In dieser Gegend konnten Soldaten Unannehmlichkeiten bedeuten, das hatte er während der letzten Jahre gelernt. Sie bedienten sich gern, ohne zu fragen, und konnten sehr laut und aufdringlich sein. Sie schikanierten die Dorfbewohner und schafften Unsicherheit und Spannungen unter ihnen. Und auch wenn sie viel tranken, bezahlten sie oft nur wenig. Außerdem neigten sie dazu, Streit vom Zaun zu brechen.

Soldaten waren schlecht fürs Geschäft.

Nachdem er zu der Überzeugung gelangt war, dass von Walt und Crowley keine Gefahr ausging, zog der Wirt seine Hand wieder von dem schweren, beschlagenen Schlegel weg, den er unter der Theke bereitliegen hatte, und griff nach zwei über ihm hängenden Krügen.

»Bier, meine Freunde?«

Die beiden Männer nickten. Der Rothaarige sprach.

»Das wäre wirklich wunderbar, Herr Wirt.« Er öffnete seinen Umhang und warf die Kapuze zurück. Bereits jetzt stieg aufgrund der Hitze im Raum Dampf aus seiner Kleidung auf.

»Und wir bräuchten ein Zimmer. Mit einem Kamin«, sagte der mit dem dunklen Bart. Er sprach mit einem leichten, melodischen Akzent, den der Wirt nicht einordnen konnte. Er stellte ihnen zwei schäumende Krüge hin, und die Neuankömmlinge nahmen dankbar jeder einen Schluck. Der Rotschopf stieß einen schmatzenden Seufzer voller Anerkennung aus. »Das ist gutes Bier«, lobte er.

Der Wirt nickte. »Dafür bin ich bekannt«, antwortete er. Dann drehte er sich wieder zu dem dunkelhaarigen Mann und sagte: »Keines meiner oberen Zimmer hat einen Kamin.«

Die Augenbrauen des Mannes zogen sich leicht enttäuscht zusammen.

»Aber nach hinten raus habe ich einen Anbau mit eigenem Kamin. Es gibt allerdings keinen Zugang dazu von hier drin, sondern nur über den Hof vor den Stallungen.«

Die Enttäuschung wich vom Gesicht des Mannes. »Das klingt genau richtig«, sagte er.

Und je mehr er darüber nachdachte, desto sicherer war sich Walt, dass diese Unterkunft wirklich wie geschaffen für sie war. Ein eigener Eingang, der durch die Stallungen verborgen und von der Hauptstraße aus nicht sichtbar war, war vor allem dann von Vorteil, wenn Morgaraths Männer sie doch noch suchen sollten.

Sie verhandelten den Preis. Ursprünglich hatte Walt sich nach nur einer Nacht erkundigt, doch als er Crowleys Gesichtsausdruck sah, fragte er nach zweien.

»Eine Nacht wird gewiss nicht ausreichen, um unsere Sachen zu trocknen«, meinte Crowley und Walt musste ihm zustimmen.

Der Wirt, dem wohl bewusst war, dass Reisende bei dem gegenwärtigen Wetter eher selten waren, bot ihnen an, die Mahlzeiten zum Zimmer dreinzugeben, und die Sache war abgemacht.

»Eure Pferde könnt ihr in den Stall stellen«, bot er an.

Walt trank sein Bier aus und stellte den Krug auf die Theke.

»Dann bringen wir sie jetzt in den Stall und reiben sie ab«, sagte er. Er ließ sein Pferd nie gern lange unversorgt stehen – besonders nicht nach einer langen Reise bei kaltem und nassem Wetter.

»Sie können noch zwei Minuten warten, bis ich mein Bier ausgetrunken habe«, sagte Crowley.

Walt sah ihn an, eine Augenbraue hochgezogen. »Ihr könnt das in zwei Minuten austrinken?«

Crowley musterte den großen, noch fast vollen Krug in seiner Hand. »Das kann ich auch in einer«, antwortete er und leerte den Krug.

Widerstrebend gingen die beiden Männer noch einmal hinaus in den Regen, öffneten das Gatter zum Innenhof und führten ihre Pferde in den Stall. Er war sauber und luftig, und im Augenblick stand darin nur ein Maultier, das sie mit schwachem Interesse musterte. Sie sattelten die Pferde ab und rieben sie mit frischem Stroh trocken. Dann führten sie sie in zwei nebeneinander liegende Abteile, und während Crowley mit der Gabel Heu in die Futterkrippen schaufelte, ging Walt hinaus in den Hof und füllte zwei Eimer mit sauberem Wasser. Bei seiner Rückkehr bemerkte er, dass der Wassereimer des Maultiers nur halb voll und das Wasser grün und abgestanden war. Seufzend nahm er ihn vom Haken, ging zum Brunnen und füllte ihn mit frischem Wasser.

Als er den Eimer wieder vor das Maultier hängte, bemerkte er, wie Crowley ihn grinsend beobachtete.

»Was ist denn?«, fragte Walt in gereiztem Ton.

»Oh, Ihr tut immer so grimmig und mürrisch«, antwortete Crowley, »doch gleichzeitig holt ihr frisches Wasser für ein Maultier, das ihr noch nie gesehen habt. Ihr amüsiert mich.«

»Nun, ich stehe immer gern zur Verfügung, Eure Laune zu heben. Auch wenn es anscheinend nicht viel braucht, um Euch zu amüsieren.«

Walt überprüfte noch einmal, ob sein Pferd gut versorgt und das Zaumzeug in Ordnung war. Die Satteldecke war nur schnell und unordentlich übers Geländer geworfen, und er breitete sie jetzt noch ganz darüber aus, damit sie schneller trocknete. Dann deutete er mit dem Daumen auf die Stalltür. »Wollen wir mal sehen, wie unser Quartier beschaffen ist?«

Sie nahmen ihre Satteltaschen und Bogenkästen mit, überquerten den schlammigen Hof und öffneten die Tür zu dem Anbau an der Rückseite des Gasthofs. Beim Eintreten wurden sie angenehm überrascht. Der Raum war groß und gut durchlüftet. Die Wände waren solide aus Holz gebaut, Lehmverputz dichtete jeden Spalt ab, der von den Unregelmäßigkeiten in den Balken geblieben wäre. Im Kamin auf der gegenüberliegenden Seite des Zimmers flackerte bereits ein Feuer. Der Wirt hatte offenbar eines seiner Dienstmädchen geschickt, um Feuer zu machen. Bereits jetzt erfüllte Wärme den Raum und die gelben, flackernden Flammen versorgten die Herberge mit einem heimeligen Licht, das sie willkommen hieß.

Crowley ging zum Kamin und rieb davor begeistert seine Hände. »Nun, ich muss sagen, wir haben es hier wirklich gut getroffen!«, meinte er.

Walt nickte. »Ich habe schon schlechter übernachtet.«

Crowley schüttelte den Kopf und grinste seinen Kameraden an. »Versucht bloß nicht, mich mit Eurer überbordenden Begeisterung zu überwältigen.«

Walt, dem klar wurde, dass das Zimmer in der Tat ziemlich bequem war und er vielleicht etwas mehr Freude zeigen könnte, gab ein nur schwer zu identifizierendes Brummen von sich.

Zwei Betten standen im Zimmer, jedes mit drei dicken Wolldecken und einem mit Stroh gefüllten Kissen. Es gab keine Leintücher, doch verglichen mit den selbst gebauten Betten aus Zweigen, auf denen sie die vergangenen fünf Nächte geschlafen hatten, war dies ausgesprochen luxuriös. Ein raues Leinenhandtuch war über das Fußende jedes Bettes gelegt und auf dem schlichten Wachtisch aus Kiefernholz standen eine Waschschüssel und ein großer Wasserkrug. Zwei Lehnstühle zu beiden Seiten des Kamins und ein kleiner Tisch mit drei schlichten Stühlen in der Mitte vervollständigten die Einrichtung des Zimmers.

Rasch nahmen Walt und Crowley ihre Umhänge ab und breiteten sie über die Stühle vor dem Feuer zum Trocknen, dann tat jeder das Gleiche mit Wams und Hemd. Bald war der Raum erfüllt vom Geruch feuchter, trocknender Wolle. Dampf stieg von den durchnässten Kleidungsstücken auf.

Sie hatten beide trockene Hemden in ihrem Gepäck – auch wenn »trocken« vielleicht nicht ganz zutraf. Die Ersatzhemden waren feucht, genau wie ihr ganzer sonstiger Besitz. Doch als sie die Hemden einige Minuten vors Feuer hielten, trockneten diese rasch.

Nachdem Walt sich umgezogen und sein Hemd geschlossen hatte, legte er den breiten Ledergürtel um, an dem sich sowohl die Scheide des Sachs- als auch die des Wurfmessers befand – auf jeder Seite der Hüfte eine davon. Er blickte sich im Raum um, der nun mit der trocknenden Kleidung übersät war, die auf jeder verfügbaren Oberfläche ausgebreitet dalag.

»Nun, wir haben das lodernde Feuer, das wir wollten«, stellte er fest. »Dann sehen wir jetzt mal, wie es um den herzhaften Eintopf steht.«

Drei

Der herzhafte Eintopf entpuppte sich als reichhaltige Suppe – eine kräftige Gemüsebrühe, in der große Stücke von wohlschmeckendem Lammfleisch schwammen. Und es gab frisches Brot, um die Reste aufzutunken. Sie bestellten jeder einen Teller davon und zwei weitere Krüge Bier.

»Sucht Euch einfach einen Tisch«, sagte der Wirt mit ausholender Geste. »Millie wird Euch das Essen bringen.«

Ohne sich abzusprechen, gingen sie beide auf einen Tisch hinten an der Wand am anderen Ende des Raumes zu. Dieser stand ein ganzes Stück vom Feuer entfernt und im näheren Umkreis befand sich auch keine Öllaterne, sodass sie im Halbdunkel saßen, geschützt waren vor fremden Blicken, zugleich aber die Möglichkeit hatten, jeden Neuankömmling zu begutachten.

Für Walt war es zur zweiten Natur geworden, sich unauffällig zu verhalten. Auf seiner mehrmonatigen Reise durch Hibernia hatte er es stets vermieden, aufzufallen oder gar erkannt zu werden. Erfolgreich war er den Suchtrupps ausgewichen, die sein Zwillingsbruder ihm nachgesandt hatte. Crowleys Ausbildung als Waldläufer musste ihn mit dem gleichen Sinn für Unauffälligkeit ausgestattet haben. Pritchard hatte Walt gelehrt, dass die Waldläufer nie danach strebten, aus der Menge herauszustechen, sondern stattdessen möglichst gut mit dem Hintergrund zu verschmelzen.

Millie, eine nett aussehende junge Frau um die fünfundzwanzig, brachte ihnen ihre Teller mit der Suppe und die dazugehörigen Holzlöffel. Dazu stellte sie ein Holzbrett mit einem warmen Brot und einem Messer vor sie auf den Tisch. In einer kleinen Schale befand sich goldgelbe Butter.

Crowley kostete von der Suppe und strahlte zufrieden. »Oh, die ist gut!«

Walt tat es ihm nach und nickte zustimmend. Die Wärme der heißen Suppe schien durch seinen müden, ausgekühlten Körper zu dringen. Er spürte richtiggehend, wie sich die Wärme bis hinunter in seine ausgekühlten und müden Beine ausbreitete.

Plötzlich wurde ihnen bewusst, wie hungrig sie nach den tagelangen kalten Essensrationen waren, und sie machten sich allzu gern daran, ihre Teller zu leeren. Millie kam noch einmal an ihrem Tisch vorbei und deutete auf die fast leeren Teller.

»Noch etwas?«, fragte sie. »Ein Nachschlag kostet nicht extra.«

Crowley löffelte sofort den Rest aus seinem Teller und reichte ihn Millie mit einem begeisterten Nicken.

»Mm. Ja, bütte«, murmelte er mit dem Mund voll Lammfleisch und Brot.

Sie lächelte, nahm den Teller und blickte dann fragend zu Walt. »Wie ist es mit Euch?«

Er schüttelte den Kopf. Sein Suppenteller war immer noch zu einem Viertel gefüllt und das reichte ihm auch. »Für mich nicht, danke«, lehnte er ab.

Sie deutete auf seinen Krug. »Wie wäre es mit noch einem Bier?«

Diesmal schüttelten sie beide die Köpfe, ohne überhaupt darüber nachzudenken.

»Wir sind versorgt«, sagte Crowley. »Danke schön.« Er lächelte sie an und sie erwiderte das Lächeln durchaus interessiert. Er war ein gut aussehender junger Mann mit einem fröhlichen, fast übermütigen Blitzen in den Augen.

Sie blickte zu seinem Kameraden. Der ist von einer ganz anderen Sorte, dachte sie. Seine Augen waren dunkelbraun und tiefliegend unter dunklen Augenbrauen. Sein Gesicht war schmal und der Bart fast schwarz. An ihm war etwas, das einem irgendwie Angst machen konnte, auch wenn sie selbst keine direkte Gefahr für sich von dem Mann ausgehen spürte. Eher hatte sie das Gefühl, dass dieser Mann gefährlich für jeden war, der sich mit ihm anlegen wollte.

Sie merkte, dass ihr Lächeln verschwunden war, während sie den Mann mit dem dunklen Bart gemustert hatte, und schnell setzte sie es wieder auf. Es gehörte zum Geschäft, die Gäste immer anzulächeln, das wusste sie, selbst diejenigen, die etwas Unheimliches an sich hatten. Mit Crowleys Teller in der Hand ging sie zur Küchentür.

»Ich bringe Euch gleich Eure Suppe«, versprach sie.

Sie verschwand gerade in der Küche, als die Eingangstür geöffnet wurde. Ein Windstoß wirbelte herein, fegte Regen mit in die Gaststube und ließ den Rauch, der zwischen den Balken hing, unruhig umherwehen. Eine gedrungene Gestalt betrat das Gasthaus, und dieser Mann strahlte in jedem Zoll unglaubliche Arroganz aus.

Es wurde still im Raum, als alle Blicke sich zur Tür richteten. Die Atmosphäre war sofort angespannt, die Gäste erfüllt von Misstrauen und Sorge.

Der Neuankömmling war weder ein Bauer noch ein Wanderarbeiter. Er trug ein Schwert an der Seite und als er seinen schwarzen Umhang zurückschob, konnte man sehen, dass sein schwarzer Wappenrock aus Leder mit einem goldenen blitzförmigen Streifen versehen war, der von seiner rechten Schulter bis zu seiner linken Taille verlief. Eine eng sitzende Lederkappe bedeckte den Kopf des Mannes. Auf dieser befand sich vorne eine kleinere Ausgabe des gelblichen Blitzes.

Der Unbekannte trug hohe Reitstiefel – ebenfalls in schwarzem Leder –, in denen seine Beinkleider steckten. Die Absätze knallten auf den Boden, als er einige Schritte in den Raum hinein tat und die Tür einfach hinter sich ins Schloss fallen ließ. Er blickte sich um und musterte das gute Dutzend Gäste an den Tischen und den Wirt und seine beiden Kellnerinnen, die hinter der Theke standen.

Wenn er sich der Ablehnung bewusst war, die von den Anwesenden ausging, dann schien es ihm gleichgültig zu sein. Er war wahrscheinlich daran gewöhnt, überall, wo er auftauchte, eine unangenehme Atmosphäre zu verbreiten, vermutete Walt. Die linke Hand des Neuankömmlings fiel auf seinen Schwertknauf – ein plumper Hinweis auf die Tatsache, dass er bewaffnet war.

Crowley lehnte sich näher zu Walt und sagte mit leiser Stimme: »Schwarz und Gold. Morgaraths Farben.«

Walt nickte. Er hatte die Farben ihres Gegners bereits auf Burg Gorlan gesehen.

Schließlich brach der Wirt das unangenehme Schweigen, das sich in der Wirtsstube ausgebreitet hatte.

»Kann ich Euch helfen, Reisender?«, fragte er höflich. Das Gesicht des Mannes verzog sich missbilligend.

»Es heißt Hauptmann«, erwiderte er grob. »Hauptmann Teezal, im Dienste von Lord Morgarath.«

Er wartete vergeblich darauf, dass der Gastwirt sich verbesserte.

»Und?«, fragte der Gastwirt stattdessen gelassen und wartete darauf, dass der Soldat sein Anliegen nannte. Das Stirnrunzeln auf Teezals Gesicht vertiefte sich. Er war daran gewöhnt, dass man ihm Ehrerbietung entgegenbrachte, wenn er mit Leuten sprach, die er als seine Untergebenen betrachtete – was die meisten Leute einschloss, denen er unterwegs begegnete. Doch er konnte kein Zeichen von Ehrerbietung bei dem Gastwirt erkennen und war gezwungen fortzufahren.

»Und«, sagte er und übertrieb das Wort sarkastisch, »ich suche nach zwei aufständischen und aufwieglerischen Waldläufern … Verbrecher, die Lord Morgaraths Gesetze gebrochen haben.«

»Wir sind hier im Lehen Keramon«, erwiderte der Gastwirt. »Der hiesige Lord ist Baron Carrol. Baron Morgarath hat hier keine Befehlsgewalt.«

»Lord Morgarath wurde von diesen beiden Männern beleidigt. Ich bin sicher, Carrol würde ihm behilflich sein wollen, sie festzusetzen.«

Der Wirt zuckte mit den Schultern. »Gewiss würde Lord Carrol das wollen, wenn er hier wäre. Was er aber nicht ist.«

Teezal blickte ihn wütend an, seine Hand öffnete und schloss sich über dem Schwertknauf. »Habt Ihr momentan irgendwelche Gäste? Gab es Durchreisende?«

Walt, der sich unauffällig im Schankraum umsah, sah einige der anderen Gäste instinktiv zu dem Tisch hinüberblicken, wo er und Crowley saßen. Glücklicherweise richtete Teezal seine ganze Aufmerksamkeit auf den Gastwirt, der eben den Kopf schüttelte.

»Nein. Hier sind nur Einheimische.«

Bei seinen Worten sah Walt, wie die anderen Gäste hastig den Blick von ihm und Crowley wandten. Der Gastwirt schien ein Mann von gewissem Einfluss in Woolsey zu sein.

»Ich werde mich mal umsehen«, sagte Teezal brüsk.

Der Gastwirt zuckte mit den Schultern. »Wie Ihr wollt. Aber es gibt hier keine Waldläufer, ob nun aufständisch oder sonst was. Wenn ich so recht überlege«, fügte er hinzu, »habe ich noch nie von einem aufständischen Waldläufer gehört.«

Teezal, der sich bereits abgewandt hatte, drehte sich wieder zu ihm um.

»Diese Männer haben Lord Morgarath beleidigt und ihren Eid gebrochen. Außerdem haben sie einige seiner Soldaten verletzt. Deshalb wurden sie aus dem Bund der Waldläufer ausgeschlossen und sind jetzt verschwunden. Wir leben in gefährlichen Zeiten und Untreue muss bestraft werden.«

Der Gastwirt machte eine auffordernde Geste mit einer Hand. »Ich bin sicher, das muss sein«, sagte er. »Nur zu, seht Euch um, wenn Ihr wollt.«

Teezal hielt seinen Blick einen Moment lang und versuchte, den Wirt dazu zu bringen, wegzusehen. Doch der Gastwirt hielt selbstbewusst stand. Er wusste, dass es bei solchen Männern am besten war, ruhig und entschieden aufzutreten. Jedes Anzeichen von Schwäche oder Unsicherheit würden Teezals Arroganz und sein herrisches Verhalten nur verstärken.

Schließlich nahm Morgaraths Hauptmann seinen Blick vom Gastwirt und begann, zwischen den Tischen entlangzugehen und die dort sitzenden Männer zu mustern. Abgesehen von den Kellnerinnen waren keine Frauen anwesend. Seine Absätze knallten laut auf den Dielenboden, während er zwischen den Tischen hindurchmarschierte. Von Zeit zu Zeit blieb er stehen, um sich jemanden genauer anzusehen. Doch die Gäste des Wirts waren offensichtlich Bauern oder Landarbeiter. Sie trugen die Arbeitskittel von Bauern und schwere, lehmverkrustete Arbeitsschuhe. An einigen Tischen trug man Filzhüte, die durch jahrelangen Regen und Sonnenschein formlos geworden waren.

Teezal hatte seine Inspektion beendet und stieß ein unzufriedenes Murren aus.

Da bemerkte er zwei Gestalten, die weiter hinten im Raum im Halbdunkel saßen. Schnell marschierte er auf sie zu, seine linke Hand öffnete und schloss sich über seinem Schwertknauf. Ein paar Schritte vor ihnen blieb er stehen, griff nach oben zu einer Öllampe, die vom Balken hing, und drehte sie so, dass das Licht direkt auf die beiden Männer fiel.

Diese beiden waren keine Bauern, das konnte er sehen. Sie trugen Lederwesten und Beinkleider, die in kniehohen Lederstiefeln steckten. Glücklicherweise jedoch befanden sich ihre Umhänge augenblicklich über den Stühlen vor dem Kamin in ihrem Zimmer. Selbst ohne das besondere gesprenkelte Muster von Crowleys Umhang hätten sie vielleicht Teezals Verdacht erregt. Und natürlich befanden sich auch ihre Langbögen und die Köcher auf dem Zimmer. Die Lederwesten verdeckten im Sitzen die Messer am Gürtel. Äußerlich gab es keinen Hinweis darauf, dass sie Waldläufer waren.

»Namen?«, fragte er knapp.

Crowley grinste entwaffnend. »Morris«, antwortete er dann. »William Morris von Keramon.«

»Bin Arratay«, sagte Walt kurz. Er hielt es für das Beste, seine Antworten so knapp wie möglich zu halten, um seinen Akzent zu verbergen. Crowley merkte offensichtlich, worum es ihm ging, denn er übernahm das Reden.

»Wir sind Waldarbeiter im Dienst von Baron Carrol«, antwortete er freundlich. Er war dankbar, dass der Wirt den Namen des örtlichen Barons vor einigen Minuten erwähnt hatte.

Teezal schnaubte. »Waldarbeiter? Bloß eine andere Bezeichnung für Wilderer, wenn ihr mich fragt.«

Crowley zuckte mit den Schultern. Es hatte keinen Sinn, eine solche Beleidigung zu beantworten.

Teezal wartete noch einen Moment auf eine Reaktion. Als keine kam, drehte er sich abrupt weg und ließ die Laterne los, sodass sie wild hin und her schwang und ihr gelbes Licht in einem weiten Bogen warf.

Seine Stiefel kamen schwer auf den Dielen auf, als er zur Tür marschierte, seine schlechte Laune war deutlich an seiner Körperhaltung zu erkennen. Er riss die Tür auf, dann drehte er sich zurück in den Gastraum und wandte sich noch einmal an alle Anwesenden: »Ich bin in der Nähe«, sagte er harsch. »Wenn irgendjemand diese zwei Aufständischen sieht, tut er gut daran, mir Bescheid zu geben!«

Seine Aufforderung wurde schweigend zur Kenntnis genommen. Noch einmal ließ er seinen Blick durch den Raum schweifen, dann ging er hinaus und schlug die Tür hinter sich zu. Ein allgemeines Aufatmen ging durch die Wirtschaft. Nach und nach wurden Unterhaltungen wieder aufgenommen und die Atmosphäre wurde normal.

Crowley und Walt erhoben sich von ihrem Tisch und gingen zur Theke. Der Gastwirt blickte immer noch zur Tür, durch die Teezal gerade verschwunden war.

»Danke«, sagte Crowley und fügte hinzu: »Nicht, dass wir diejenigen wären, nach denen er sucht, versteht sich.«

»Versteht sich«, erwiderte der Gastwirt und der Hauch eines Lächelns umspielte seine Lippen. »Aber ehrlich, wir schulden Morgarath und seinen Männern keinen Gefallen. In letzter Zeit spielt er sich hier immer mehr auf und wir haben es langsam satt, wie er sich in die Geschicke unseres Lehens einmischt.«

»Kann ich mir vorstellen«, sagte Crowley.

Der Gastwirt schüttelte frustriert den Kopf. »Schließlich haben wir schon genug zu tun mit Duncan und seiner Bande, die in der Gegend Unheil anrichten.«

Vier

Sowohl Walt als auch Crowley machten bei seinen Worten unwillkürlich einen Schritt zurück. Sie wechselten einen schnellen Blick, dann fragte Crowley:

»Duncan? Ihr meint Prinz Duncan, den Sohn des Königs?«

Der Gastwirt musterte sie mit neuem Interesse. »Genau den«, sagte er. »Er hält sich in den vergangenen Monaten im Norden auf, mit einer Bande bewaffneter Männer. Und keiner von seinen Begleitern gehört zu der Sorte, der man gern auf einer einsamen Landstraße begegnet.«

»Und was tun sie dort?«, fragte Walt.

Der Wirt blickte mit einem Schulterzucken zu ihm. »Alles, was ihnen gefällt. Sie rauben, plündern, überfallen Bauernhöfe und treiben die Schafe und Rinder fort. Manchmal fallen sie für eine ganze Woche in einer Stadt oder einem Dorf ein und belästigen die Leute dort, verlangen Essen, Trinken und Unterkunft und bezahlen nicht dafür.«

»Und sie sorgen dafür, dass sie nur das Beste bekommen«, fügte ein anderer Gast hinzu, nach seiner Kleidung zu urteilen ein Bauer, der vom nächsten Tisch aufgestanden war, um sich an der Unterhaltung zu beteiligen.

»Aber … er ist der Sohn des Königs!«, wandte Crowley ein. »Er ist der Thronerbe!«

»Dann werden wir wohl irgendwann einen Räuber und Dieb als König haben«, sagte der Wirt.

Der Bauer nickte zustimmend. »Die Götter wissen, was der alte König davon hält. Er muss entsetzt sein.«

Walt wandte sich an Crowley. »Das ist der Prinz, von dem Ihr sagtet, er wäre ein Mann, dem zu folgen ich stolz wäre?«

Crowley schüttelte den Kopf, völlig verblüfft. »Ich … ich verstehe das nicht«, sagte er langsam. »Ich kenne Duncan. Nicht wirklich gut, zugegebenermaßen, aber gut genug, um zu wissen, dass ihm das überhaupt nicht ähnlich sieht.«

Der Bauer nickte mitfühlend. »Ich weiß, was Ihr meint. Bis vor ein paar Monaten hörte ich nichts als Gutes über den Prinzen. Doch nun …«

»Es gibt noch etwas«, fügte der Gastwirt hinzu. »Er und seine Männer haben auch auf der anderen Seite der Grenze Raubzüge gemacht.«

»In Picta?«, fragte Crowley, der glaubte, seinen Ohren nicht zu trauen.

Die beiden Männer aus dem Dorf nickten. »Genau. Sie überfallen auch dort die Bauernhöfe, brennen Häuser nieder und stehlen Rinder und Pferde. Wenn irgendjemand versucht, sie aufzuhalten, wird er von ihnen umgebracht.«

»Aber das ist ja verrückt«, sagte Crowley mit erhobener Stimme. »Wir haben ein Abkommen mit den Skotten!« Er wusste, wie lange und hart der König daran gearbeitet hatte, dieses Abkommen zu erreichen. Sein Sohn Duncan hatte sogar selbst einige der Verhandlungen geführt. Jetzt würden die Handlungen des Prinzen – falls das Gehörte tatsächlich der Wahrheit entsprach – den brüchigen Frieden gefährden, der zwischen den beiden Ländern existierte, und Vergeltungsmaßnahmen provozieren – also umgekehrt Raubzüge, Überfälle und Morden.

»Es scheint, als sei ihm das völlig egal«, erwiderte der Gastwirt. »Ich vermute, er denkt, wenn die Skotten irgendwann zurückzuschlagen, wird er sicher hinter den Mauern von Schloss Araluen aufgehoben sein. Wir werden diejenigen sein, die das ausbaden müssen, was er angerichtet hat.«

»Ich glaube das nicht«, sagte Crowley leise. »Ich kann es einfach nicht glauben. Weshalb sollte er so etwas tun?«

»Macht«, sagte der Bauer lapidar. »Ein Mann schnuppert Macht und fängt an zu glauben, er könnte sich alles erlauben.«

»Aber … Duncan? Es sieht ihm so gar nicht ähnlich. Ich kann es einfach nicht glauben!«

»Das sagt Ihr immer wieder«, erwiderte der Bauer. »Aber es ist die Wahrheit.«

Crowley machte eine hastige Geste der Entschuldigung, denn ihm war bewusst, dass er den Mann möglicherweise beleidigt hatte. Der Bauer zuckte mit den Schultern. Er verstand ja die Verwirrung des Fremden.

»Irgendeine Ahnung, wo er sich im Moment aufhält?«, fragte Walt.

Der Gastwirt blickte zu einem der Tische in der Mitte des Schankraums. Die anderen Gäste hatten alle die Unterhaltung mitverfolgt. Jetzt sprach der Wirt einen von ihnen an, einen untersetzten, grauhaarigen Mann. »Tom? Was sagst du? Du warst doch diese Woche ein Stück weiter die Grenze hinauf unterwegs, oder?«

Der Mann, den er angesprochen hatte, nickte. »Stimmt. War ich. Das Letzte, was ich hörte, war, dass Duncan und seine Männer oben in Lendsy waren. Hielten sich einige Tage dort im Dorf auf, hieß es. Ich habe mich schnell verzogen. Hatte keine Lust, denen über den Weg zu laufen. Auch keinen Anlass«, fügte er hinzu.

»Wo ist dieses Lendsy?«, fragte Walt.

Der Gastwirt schob die Lippen vor, dann antwortete er: »Etwa einen Tagesritt von hier entfernt. Länger, wenn die Flüsse übers Ufer getreten und die Brücken fortgeschwemmt sind. Es liegt im Nordosten, ein paar Meilen von der Grenze entfernt.«

Walt prägte sich das ein und legte eine Hand auf Crowleys Unterarm. Der Waldläufer schien völlig verwirrt von dem, was er gehört hatte.

»Kommt schon«, forderte Walt ihn auf. »Wir müssen reden.« Er blickte zum Wirt und dem Bauern. »Danke vielmals für die Auskünfte.«

Der Gastwirt zuckte nur mit den Schultern und streckte die Hand aus.

»Wir haben uns gar nicht miteinander bekannt gemacht«, sagte er. »Mein Name ist Sherrin.«

Walt nahm die dargebotene Hand. »Ich bin Walt.«

Ein Lächeln umspielte Sherrins Lippen. »Ich dachte, Ihr sagtet zu Teezal, Euer Name sei Arratay oder so ähnlich.«

Walt erwiderte das Lächeln. »Und ich dachte, Ihr sagtet ihm, Ihr hättet keine Übernachtungsgäste«, antwortete er. Dann drehte er sich um und ging mit Crowley zur Tür. Sie hatten viel zu bereden.

Ihre Unterkunft war warm, wenn auch etwas stickig. Es roch stark nach trocknender Kleidung. Walt überprüfte seinen Umhang, der über einem Lehnstuhl vor dem Feuer ausgebreitet war. Der Stoff war immer noch ein wenig feucht, aber es war zweifellos bereits eine große Verbesserung gegenüber seinem vorherigen Zustand erfolgt.

»Bis morgen wird er trocken sein«, stellte er fest. »Und das ist nur gut so. Wir sollten uns lieber auf den Weg machen.«

Sie hatten vorgehabt, zwei Nächte zu bleiben. Doch Teezals Auftauchen und die Neuigkeiten, die sie eben erfahren hatten, zwangen sie, sich so schnell wie möglich wieder auf den Weg zu machen. Crowley starrte ins flackernde Feuer, sein Gesicht war düster verzogen.

»Da muss irgendein Missverständnis vorliegen«, sagte er. »Prinz Duncan ist weder ein Dieb noch jemand, der Leute quält und unterjocht. Er ist ein untadeliger junger Mann und er wird einen großartigen König abgeben.«

»Ein weiser Mann sagte mir einst: ›Glaube nichts, was du hörst, bis du es nicht mit deinen eigenen Augen gesehen hast.‹Und ich glaube, das ist ein guter Rat«, sagte Walt.

Crowley sah ihn an. »Wer sagte das? Pritchard?« Es hörte sich nach etwas an, was ihr alter Mentor hätte sagen können.

Walt tat so, als müsse er nachdenken, dann grinste er. »Nein. Ich glaube ehrlich gesagt sogar, dass ich es war. Ich kann manchmal sehr weise sein.«

»Das ist nicht die Zeit für Scherze«, sagte Crowley. »Wenn diese Berichte stimmen sollten, dann sind damit unsere Pläne, den Bund der Waldläufer neu zu beleben, ein für allemal begraben. Ich habe mich darauf verlassen, von Duncan eine königliche Ermächtigung zu bekommen, die mir Autorität verschafft. Wenn er sich jedoch tatsächlich zum Schurken gewandelt hat, wird er mir wohl kaum diese Art von Erlaubnis geben.«

Er seufzte. Ihm war gar nicht klar gewesen, wie sehr er sich auf Duncans Ermächtigung verlassen hatte, um den Bund der Waldläufer zu reformieren. Dieser Gedanke hatte ihn über die letzten Wochen hinweg aufrechtgehalten. Jetzt war es so gut wie sicher, dass Morgaraths Feindschaft seiner Zeit als Waldläufer ein Ende setzen würde. Ohne Duncan, der den Baron in die Schranken wies, war er gescheitert, noch bevor er überhaupt Gelegenheit hatte, seinen Plan in die Tat umzusetzen.

»Dann schlage ich vor, wir reiten nach Norden und überzeugen uns davon, was wirklich los ist«, schlug Walt vor. »Außer Ihr wollt gleich jetzt aufgeben.«

Es lag eine gewisse Herausforderung in den letzten Worten. Crowley reagierte sofort darauf und blickte Walt mit einem ärgerlichen Stirnrunzeln an.

Rotschöpfe, dachte Walt. Werden schnell wütend, verzeihen aber auch schnell wieder.

Mit einer gewissen Anstrengung schluckte Crowley seinen Groll hinunter.

»Ihr habt recht«, sagte er. »Wir müssen alles mit eigenen Augen sehen.«

Am nächsten Morgen bereitete Sherrin ihnen ein herzhaftes Frühstück aus reichhaltigem, nährendem Haferbrei mit Honig. Er stellte ihnen auch einen großen Topf Kaffee hin, und Walt leerte schnell nacheinander drei Tassen.

Der Wirt hob die Augenbrauen. »Ein Jammer, dass Ihr keinen Kaffee mögt«, sagte er milde.

Walt zuckte mit den Schultern. »Wir waren mit wenig Proviant und lediglich kaltem Wasser bei all dem Regen unterwegs. Ich hole nur verlorene Gelegenheiten nach.«

Sie bezahlten Sherrins Rechnung und waren kurz nach Sonnenaufgang bereits unterwegs. Die Wolken brachen auf, und ab und zu wurden große Flecken blauen Himmels über ihnen sichtbar. Angesichts des trockenen Wetters hatten sie ihre Bogen ausgepackt, überprüft und wieder mit Sehnen versehen. Mit dem Langbogen bequem über seiner linken Schulter und dem Köcher voller Pfeile, deren Gefieder ihn von Zeit zu Zeit im Nacken kitzelte, war Walt ausgeglichener als die ganze letzte Woche.

Sie ritten schweigend. Es hatte keinen Sinn, weiter über Duncan zu reden. Walt wusste, dass jede diesbezügliche Unterhaltung nur in Crowleys Beteuerung bestände, dass er das alles nicht glauben könne. Und da sie das auch nicht weiterbrachte, schwiegen sie.

Sie mussten einige Umwege machen: Bisweilen war eine Brücke fortgespült worden, sodass sie sich einen anderen Übergang suchen mussten. Gelegentlich war auch eine Furt zu tief, um sicher queren zu können. Das Land um sie herum dampfte regelrecht vor Regenwasser, das in den Sonnenstrahlen verdunstete. Es war fast schwülwarm, und als der Vormittag voranschritt, legten sie ihre Umhänge ab, rollten sie zusammen und zurrten sie hinter dem Sattel fest. Mittags machten sie eine Pause, um eine kurze Mahlzeit einzunehmen. Sherrin hatte sie mit einem frisch gebackenen Laib Brot und einigen Scheiben geräuchertem Schinken versorgt. Außerdem führten sie ein Bündel trockenes Feuerholz und Reisig mit, das von dem Stoß im Stall des Wirtes stammte. Walt machte Feuer und stellte Wasser für Kaffee auf.

Er aß und trank mit Appetit, genoss das frische Essen nach dem harten Brot und Trockenfleisch, von dem sie sich tagelang hatten ernähren müssen. Crowley schien den Unterschied gar nicht zu bemerken. Lustlos stocherte er im Essen herum und rührte auch den Kaffee kaum an. Seine Gedanken waren offensichtlich ganz woanders.

Am Nachmittag näherten sie sich langsam Lendsy. Sie hatten eine Weggabelung passiert und waren kurz vor einem kleinen Tal. Als sie jetzt auf eine Anhöhe ritten, hob Walt den Kopf und schnüffelte in der Luft.

»Rauch«, stellte er fest. »Riecht Ihr ihn?«

Crowley schnüffelte ebenfalls in der Luft, dann zuckte er mit den Schultern. »Wir müssen bald da sein. Wahrscheinlich sind das die Herdfeuer des Dorfes.«

In diesem Moment erreichten sie die Anhöhe und blickten über ein kleines Tal. Über der nächsten Anhöhe stiegen dicke Rauchschwaden in die Luft. Walt schüttelte den Kopf und runzelte die Stirn. »Das sind mehr als ein paar Kochstellen«, stellte er fest. »Schnell!«

Er drängte sein Pferd zu einem Trab – es hatte keinen Sinn, loszugaloppieren und mit erschöpften Pferden anzukommen, wenn sie nicht wussten, was sie erwartete. Crowley ritt unmittelbar hinter ihm. Die Hufe ihrer Pferde trommelten dumpf auf den feuchten Untergrund und die Blätterhaufen, welche die Straße bedeckten. Dann waren sie im Tal, in einem Wäldchen, angelangt und mussten hintereinander einem schmalen gewundenen Weg folgen.

Nach und nach wurde der Wald lichter und erneut bemerkten sie den Geruch von Rauch und Holzkohle. Walt zog die Zügel an, als er die nächste Anhöhe erreicht hatte. Das Land hier bestand aus einer Reihe von Tälern und Höhen, und jetzt blickte er in das nächste Tal, das sich vor ihnen erstreckte.

Der Wald war gerodet worden, um Ackerland zu schaffen. Walt konnte im Vordergrund zwei Bauernhäuser und dahinter eine Ansammlung von Gebäuden erkennen. Das musste das Dorf Lendsy sein. Von dort kam der Rauch. Einige Häuser und ein größeres Gebäude, das wahrscheinlich das Gasthaus war, brannten lichterloh.

»Seht nur dort!«, rief Crowley und deutete hinüber. Hinter dem brennenden Gasthof war eine notdürftige Barrikade errichtet worden. Sie bestand aus einigen Karren und aus den Häusern zusammengetragenen Möbelstücken. Diese bildete einen Halbkreis, dessen Rückseite von einem der größeren Häuser gesichert war. Eine kleine Gruppe von etwa einem halben Dutzend Leuten versteckte sich hinter der Barrikade und wehrte sich verzweifelt mit Speeren, Piken und – in zwei Fällen – Sicheln auf langen Stangen, um eine größere Gruppe Gegner zurückzudrängen, die versuchten, die Barrikade zu überwinden. Im Augenblick gelang die Abwehr noch. Doch es waren schätzungsweise dreimal so viele Angreifer wie Verteidiger, und es war nur eine Frage der Zeit, bis die Barrikade überrannt werden würde.

Die Angreifer waren mit Äxten und langen Schwertern bewaffnet und hatten kleine Holzschilde, die mit Metall verstärkt waren. Noch während Walt versuchte, sich ein Bild von der Lage zu machen, nahm er das Aufblitzen eines rot-blau karierten Stoffes wahr.

Karierter Stoff!, durchzuckte es ihn. Plötzlich wurde ihm etwas klar.

»Das ist nicht Duncan«, rief er. »Das sind skottische Krieger!«

Fünf

Walt stieß seinem Pferd die Fersen in die Seiten, sodass es aus dem Stand losgaloppierte. Er ließ die Zügel über den Hals des Pferdes fallen, nahm seinen Bogen und griff dabei mit seiner anderen Hand nach einem Pfeil aus dem Köcher, der über seiner rechten Schulter hing.

Vom Rücken eines Pferdes aus mit einem großen Langbogen zu schießen, war keine ideale Position, doch er hielt den Bogen beim Anlegen des Pfeiles in einem Winkel von fünfundvierzig Grad. Trotz des schnellen Ritts bewegten sich seine Hände ruhig und sicher. Walt lenkte das Pferd nur durch den Druck seiner Knie den Hügel hinab. Beim Näherkommen konnte er einige zusammengekrümmte Gestalten auf der Straße liegen sehen. Keiner von ihnen trug karierten Stoff.

Er merkte, dass Crowley unmittelbar hinter ihm war. Ein Blick über die Schulter sagte ihm, dass der Waldläufer ebenfalls seine Zügel über den Hals des Pferdes gelegt und auch einen Pfeil an der Sehne hatte.

Beim Näherkommen, als sie die ersten Häuser passierten, konnte er weitere Einzelheiten erkennen. Einige der Verteidiger hinter der Barrikade waren Frauen. Eine von ihnen stieß eben mit einem schweren Speer nach einem angreifenden Skotten. Der fasste die Waffe hinter dem Eisenkopf, zog sie zu sich und zerrte dadurch die Frau nach vorn über die Barrikade.

Während sie aus dem Gleichgewicht gebracht wurde und fiel, warf er den Speer zur Seite und hob sein riesiges Breitschwert über den Kopf zu einem tödlichen Schlag.

Walt hörte das unmissverständliche Schnalzen einer Sehne hinter sich, dann flog auch schon mit einem zischenden Geräusch ein Pfeil vorbei.

Gleich darauf warf der Skotte die Hände nach oben, das Breitschwert fiel neben ihm in den Schmutz. Er griff sich mit der rechten Hand an den Rücken und versuchte, den Pfeil zu erreichen, der ihn getroffen hatte. Doch dann kippte er nach vorn auf die Barrikade und rollte von dort auf die Straße.

Ein anderer Skotte schlug mit einem Schwert nach einem Dorfbewohner, der mit einer Sichel an einem Stecken bewaffnet war. Die behelfsmäßige Waffe war schwerfällig und natürlich überhaupt nicht ausbalanciert, sodass der Dorfbewohner sich mächtig anstrengen musste, um die kraftvollen Schläge des Angreifers abzuwehren. Während Walt und Crowley noch die Lage beobachteten, wurde dem Mann der Stecken aus der Hand geschlagen. Wehrlos stand er da.

Walt schoss, und der zweite Skotte ging zu Boden. Der Dorfbewohner blickte verblüfft hoch und sah sich nach seiner Rettung um.

Die beiden Reiter waren kaum fünfzig Schritt von dem verzweifelten Kampf entfernt. Walt beschloss, dass dies nahe genug war. Er griff mit der rechten Hand nach den Zügeln – sein Bogen befand sich nach wie vor in der linken – und presste zugleich sein linkes Knie in die Flanke des Pferdes. So brachte er das Tier seitlich der Barrikade zu einem schliddernden Halt. Crowley war Walts Beispiel gefolgt. Nun hielten beide Seite an Seite in der Mitte der Dorfstraße.

Jetzt erst wurden sich die Skotten der Gefahr, die ihnen von hinten drohte, bewusst. Zehn von ihnen lösten sich aus der Belagerung, bildeten eine Reihe und marschierten auf die beiden Bogenschützen zu. Ihre kleinen runden Schilde hielten dicht zusammen, um Pfeile abzuwehren.

Doch das stellte keine undurchdringliche Barriere dar. Die Schilde konnten nicht die ganzen Körper der Angreifer schützen, und Walt und Crowley waren geübte Schützen, die selbst auf diese Entfernung auch das kleinste Ziel genau treffen konnten. Walt schoss erneut. Prompt ging einer der Männer in der Mitte der Reihe mit einem Schmerzensschrei zu Boden, einen Pfeil in seinem Oberschenkel. Dann schickte Crowley einen weiteren Pfeil auf den Weg und ein Krieger der Skotten stolperte mit einem Pfeil im Unterarm zurück. Seine Waffe fiel auf die schlammige Straße. Während er taumelte, beugte sich hinter der Barrikade einer der Verteidiger, die momentan ganz vergessen waren, nach vorn und schlug ihm mit einem langen schweren Stab auf den Kopf. Die Knie des Kriegers gaben unter ihm nach und er fiel mit dem Gesicht nach vorn in den Schlamm.

Ein breitschultriger Skotte, anscheinend der Anführer, schrie wütend auf, als er sah, wie immer mehr seiner Männer verwundet wurden. Er deutete mit seinem Breitschwert auf die beiden Reiter und rief einen Befehl. Seine Krieger antworteten mit Kriegsgeschrei und begannen mit erhobenen Waffen und Schilden nach vorne zu stürmen, um die beiden Reiter anzugreifen.

Weitere drei gingen innerhalb weniger Sekunden zu Boden – zwei mit Beinwunden und ein Dritter mit einem Pfeil in der Schulter. Abgesehen vom Schmerz der Verwundung selbst, stieß die schiere Wucht eines Pfeils, der von einem schweren Langbogen auf diese Entfernung abgeschossen worden war, den Getroffenen um. Ein weiterer Pfeil schlug in einen der Schilde und zwang den Träger, einige Schritte zurückzuweichen.

Angesichts solcher Schüsse erlahmte die Kampfeslust der Skotten. Die Pfeile kamen immer schneller und die Männer schrien jetzt voller Schmerzen und Wut. Einer von ihnen drehte sich um und rannte davon, beinahe sofort gefolgt von einem anderen. Dadurch war die ganze Gruppe aufgebrochen und alle zogen sich mit größter Geschwindigkeit nach Norden zurück. Jene, die bisher unverletzt waren, halfen ihren verwundeten Kameraden, sich mit ihnen so schnell zurückzuziehen, wie sie es angesichts ihrer Wunden konnten.

»Das reicht«, sagte Crowley und senkte den Bogen. Er wollte nicht auf Männer schießen, die im Rückzug begriffen und letztlich wehrlos waren.

Walt nickte zustimmend. »Sie werden sicher nicht mehr innehalten, bis sie die Grenze erreicht haben.«

Die beiden wendeten ihre Pferde und ritten im Schritt die verbleibende Strecke bis zur Barrikade. Als sie näher kamen, strömten die Dorfbewohner hinter dem Durcheinander aus Tischen, Stühlen, Handkarren und anderen sperrigen Dingen hervor, mit dem sie die Barrikade gegen die Angreifer errichtet hatten.

Ein großer, breit gebauter Mann Mitte dreißig trat vor. Er gehörte zu jenen, die besser bewaffnet waren, mit einer Streitaxt in einer Hand und einem großen Holzschild am anderen Arm. Er trug einen schlichten, runden Eisenhelm. Jetzt lehnte er seine Axt gegen den nächsten Handkarren und streckte Walt und Crowley, die inzwischen abgesessen waren, die rechte Hand entgegen.

»Kann Euch gar nicht sagen, wie froh wir sind, Euch zu sehen«, begrüßte er sie und grinste breit. »Wir hatten die letzten Reserven aufgefahren. Ihr seid gerade noch rechtzeitig gekommen. Ich bin Yorik, der Dorfvorsteher.«

Crowley schüttelte die Hand des Dorfvorstehers und grinste die anderen Dorfbewohner an, die sich jetzt um sie versammelten.

»Freut mich, Euch zu Diensten gewesen zu sein«, sagte er. »Mein Name ist Crowley, und dieser fröhliche Zeitgenosse bei mir ist Walt.«

Walt grüßte mit einem Nicken, während Yorik sie immer noch begeistert lobte. Er bemerkte die beiden Messer – Sachs und Wurfmesser – und natürlich die mächtigen Langbögen, die beide Männer mit sich führten.

»Nach Eurer Bogenkunst zu urteilen«, sagte er, »seid Ihr Waldläufer des Königs.«

Crowley nickte. »Das bin ich. Und er so gut wie.« Er deutete auf das Dorf, die Toten auf der Straße und die brennenden und rauchenden Gebäude. »Wer hat das denn verursacht?«

Yoriks Gesicht verdunkelte sich. »Schuld daran ist letztlich Prinz Duncan. Er ritt mit seinen Männern über die Grenze und brachte dadurch die Skotten gegen uns auf. Bevor sie zurückschlagen konnten, zog er aber weiter und ließ uns alles ausbaden. Verdammt sei seine verbrecherische Haut«, schimpfte er voller Bitterkeit. Dann zeigte sich plötzlich Furcht in seinem Gesicht. Hier handelte es sich schließlich um Waldläufer des Königs, und wahrscheinlich schuldeten sie Prinz Duncan als Mitglied des Königshauses die Treue. »Verzeiht mir«, bat er und senkte den Blick. »Ich sprach im Zorn, ohne nachzudenken.«

Crowley schüttelte den Kopf. »Nicht nötig, um Verzeihung zu bitten«, sagte er. »Wir haben ein paar eigenartige Geschichten über Duncan gehört. Klingt fast, als seien sie wahr.«

Yorik nickte vorsichtig. Er war sich noch immer nicht ganz sicher, wie er sich den Waldläufern gegenüber verhalten sollte.

Walt mischte sich in die Unterhaltung ein. »Wir haben bereits gehört, er hätte in der Gegend Schaden angerichtet – gestohlen und sich alles genommen, was ihm in den Weg kam.«

Yorik schien durch den tadelnden Klang in Walts Stimme wieder etwas sicherer zu werden. »Ja, das stimmt. Und wenn er und seine Bande alles von Wert genommen haben, dann ziehen sie weiter. Wir waren froh, als sie fort waren … bis die Skotten auftauchten, natürlich. Duncan hatte zwanzig bewaffnete Männer bei sich. Die hätten mit diesen Kerlen kurzen Prozess gemacht.«