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Ein mitterlalterliches Königreich, bedroht von bösen Kräften und ungeheuerlichen Kreaturen, verteidigt von einem jungen Waldläufer und seinen Freunden - willkommen in Araluen!
Als Archäologen bei Ausgrabungen der Ruinen von Burg Redmont auf die Reste einer Waldläufer-Hütte stoßen, trauen sie ihren Augen kaum – denn darin befindet sich ein Pergament mit Geschichten aus längst vergangenen Zeiten ... Eine sensationelle Entdeckung, denn jetzt erfahren Araluen-Fans endlich mehr über ihre Lieblingshelden: Was geschah während Wills Gefangenschaft in Skandia? Wie lernte Halt einst Wills Vater kennen? Und was wäre passiert, wenn es Will zur Zeit der Vermählung von Horace und Evanlyn nicht gelungen wäre, eine mörderische Verschwörung aufzudecken? Abenteuerlich, spannend, romantisch – der Blick in die Vergangenheit lässt keine Leserwünsche offen!
Spannende und actionreiche Abenteuer in einem fantastisch-mittlalterlichen Setting – tauche ein in »Die Chroniken von Araluen«!
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Seitenzahl: 546
© Random House Australia
DER AUTOR
John Flanagan arbeitete als Werbetexter und Drehbuchautor, bevor er das Bücherschreiben zu seinem Hauptberuf machte. Den ersten Band von »Die Chroniken von Araluen« schrieb er, um seinen 12-jährigen Sohn zum Lesen zu animieren. Die Reihe eroberte in Australien in kürzester Zeit die Bestsellerlisten.
Von John Flanagan sind als cbj-Taschenbuch erschienen:
Die Chroniken von Araluen
Die Ruinen von Gorlan
Die brennende Brücke
Der eiserne Ritter
Der Angriff der Temujai-Reiter
Der Krieger der Nacht
Die Belagerung
Der Gefangene des Wüstenvolks
Die Befreiung von Hibernia
Der große Heiler
Die Schwertkämpfer von Nihon-Ja
Die Legenden des Königsreichs
Brotherband
Die Bruderschaft von Skandia
Der Kampf um die Smaragdmine
Die Schlacht um das Wolfsschiff
John Flanagan
DIE CHRONIKEN VON ARALUEN
Die Legenden des Königreichs
Aus dem Englischen von Angelika Eisold-Viebig
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cbjist der Kinder- und Jugendbuchverlagin der Verlagsgruppe Random House
1. Auflage
Erstmals als cbj Taschenbuch Dezember 2014
© 2014 der deutschsprachigen Ausgabe cbj Kinder- und Jugendbuchverlag
in der Verlagsgruppe Random House,Neumarkter Str. 28, 81673 München
Alle deutschsprachigen Rechte vorbehalten
© 2011 John Flanagan
Die Originalausgabe erschien 2011
unter dem Titel »Rangers Apprentice – The Lost Stories«
bei Random House Australia Pty Limited, Sydney, Australia
Übersetzung: Angelika Eisold-Viebig
Lektorat: Andreas Rode
Vignetten: Mathematics
Umschlagbild: © Cliff Nielsen
Verwendung mit freundlicher Genehmigung von
Philomel Books, einem Imprint von Penguin Young Readers Group
in der Verlagsgruppe Penguin Inc. (USA)
All rights reserved
Umschlaggestaltung: init | Kommunikationsdesign, Bad Oeynhausen, unter Verwendung des Originalcovers von www.blacksheep-uk.com
MP · Herstellung: CB
Satz: Uhl + Massopust, Aalen
ISBN 978-3-641-15624-4V003
www.cbj-verlag.de
Dieses Buch ist den Fans der Chroniken von Araluen in der ganzen Welt gewidmet, denen ich es verdanke, dass die letzten sieben Jahre für mich so unterhaltsam waren. Die Geschichten im vorliegenden Band sind die Antworten auf viele Fragen, die ihr mir während der letzten Jahre gestellt habt.
Ein Dankeschön an euch alle!
Inhalt
VORWORT
TOD EINES HELDEN
DAS TINTENFASS UND DER DOLCH
DIE LANDFAHRER
EIN GEDICHT IN PURPUR
ESSEN FÜR FÜNF
DER HOCHZEITSTANZ
DER HIBERNIANER
DER WOLF
DAS WURDE ABER AUCH ZEIT …
DAS FRAGMENT
LESEPROBE – Die Bruderschaft von Skandia
VORWORT
Bezirk Redman Vereinigte Aralanische Republiken (früher das mittelalterliche Königreich von Araluen) Juli 1896
Professor Giles MacFarlane stöhnte leise, als er sich aufrichtete. Er rieb sich den schmerzenden Rücken. Langsam wurde er zu alt, um über längere Zeit in solch kauernder Stellung zu verharren. Es fiel ihm zunehmend schwerer, die Artefakte vorsichtig aus der Erde zu holen, die von ihr so lange bewahrt worden waren und nun offenbar nur widerstrebend freigegeben wurden.
Sein Team und er hatten diese Burgruine schon vor einigen Jahren entdeckt. Die Umrisse der Hauptmauern, die zu den drei Ecktürmen führten, waren bereits kartografiert. Für eine Burg hatte das alte Gemäuer einen recht unüblichen Grundriss. In der Mitte des freigelegten Geländes stand der Stumpf des alten Bergfrieds. Der eingestürzte Turm war jetzt kaum noch vier Meter hoch. Dennoch konnte MacFarlane erkennen, dass es sich einst um ein sehr eindrucksvolles Bauwerk gehandelt haben musste.
Ihr erstes Grabungsjahr hatten sie damit verbracht, die äußeren Umrisse der Burg festzulegen. Im folgenden Jahr hatten sie mit einer Reihe von Quergrabungen begonnen und waren sehr tief nach unten vorgedrungen, um freizulegen, was sich unter den Erd- und Steinhaufen befand, die sich über zwölf Jahrhunderte hinweg angesammelt hatten.
Jetzt, im dritten Jahr, waren sie bei der Feinarbeit angelangt und begannen, alte Schätze zu bergen. Eine Gürtelschnalle hier, ein Pfeilkopf da. Ein Messer. Ein gesprungener Schöpflöffel. Schmuck, der sich durch Verarbeitung und Beschaffenheit grundsätzlich auf Mitte des zehnten Jahrhunderts datieren ließ. An einem Tag, der sich als sehr bedeutsam herausstellte, hatten sie eine Granittafel freigelegt, in die etwas eingraviert war, was einem Wildschwein mit riesigen Hauern ähnlich sah. Es war dieser Fund, durch den die Burg zweifelsfrei identifiziert wurde.
»Dies war Burg Redmont«, hatte MacFarlane seinen ehrfürchtig lauschenden Assistenten erklärt.
Burg Redmont. Sie stammte aus der gleichen Zeit wie das berühmte Schloss Araluen und war einst der Sitz von Baron Arald, einem der treuesten Gefolgsmänner des legendären König Duncan gewesen. Wenn Redmont wirklich existiert hatte, dann konnten natürlich auch all die Legenden über seine Bewohner einen wahren Hintergrund haben.
Gegen alle Vernunft hoffte MacFarlane, einen Beweis dafür zu finden, dass die geheimnisvollen Waldläufer von Araluen wirklich existiert hatten. Das wäre eine atemberaubend wichtige Entdeckung.
Doch das Grabungsjahr schritt fort und die Gräben wurden immer tiefer gezogen, ohne dass es einen Fund gegeben hätte, der so bedeutsam wie dieser erste gewesen wäre. MacFarlane und seine Mannschaft mussten sich mit der ganz normalen Ausbeute von Ausgrabungen zufriedengeben – undefinierbare Werkzeuge und Verzierungen aus Metall, Tonscherben und Überreste von Kochgeschirr.
Alle suchten, gruben und bürsteten und hofften jeden Tag von Neuem, endlich ihren persönlichen Heiligen Gral zu finden. Doch während der Sommer ins Land ging, verlor MacFarlane langsam die Hoffnung. Zumindest für dieses Jahr.
»Professor! Professor!«
Als er hörte, wie sein Name gerufen wurde, erhob er sich und rieb sich wieder einmal den Rücken. Eine der jungen Freiwilligen, die seine von der Universität bezahlten Mitarbeiter unterstützten, rannte quer durch das Grabungsgelände und winkte ihm dabei zu.
MacFarlane runzelte die Stirn. Eine archäologische Grabungsstelle war kein Ort, an dem man so achtlos umherrannte. Ein einziger Fehltritt konnte wochenlange mühsame Arbeit ruinieren. Dann erkannte er Audrey, eine seiner Lieblingshelferinnen, und sein Gesichtsausdruck wurde weicher. Sie war jung. Junge Leute waren oft sorglos.
Schwer atmend blieb sie vor ihm stehen.
»Nun, Audrey, was gibt es?«, fragte er.
Immer noch nach Luft schnappend deutete die junge Frau auf den Hügel in Richtung des Flusses Tarbus.
»Auf der anderen Seite des Flusses«, stieß sie hervor. »Zwischen alten Bäumen und viel Gestrüpp. Dort haben wir den Grundriss einer Hütte gefunden.«
Der Professor zuckte mit den Schultern und sagte gelassen: »Es gab dort unten eine Ortschaft. Also ist es nicht gerade überraschend, dort den Grundriss einer Hütte zu entdecken.« Doch Audrey schüttelte den Kopf und fasste drängend seinen Arm.
»Diese Hütte liegt aber außerhalb der Ortsgrenzen«, erklärte sie. »Sie stand völlig allein. Ach bitte, kommen Sie doch und sehen Sie es sich an!«
MacFarlane zögerte. Es war ein langer Weg nach unten und ein noch längerer wieder den Hügel hinauf. Doch dann gab er sich einen Ruck. Enthusiasmus wie der von Audrey musste unterstützt werden. Also ließ er sich von ihr den holprigen Zickzackpfad nach unten geleiten.
Sie überquerten die alte Brücke, die über den Fluss führte. Da der Professor nie eine Gelegenheit ausließ, sein Wissen weiterzugeben, zeigte er dem Mädchen, dass die Balken an den jeweiligen Enden der Brücke älter waren als der mittlere, freitragende Bogen.
»Der mittlere Teil ist viel neuer«, erklärte er. »Diese Brücken waren so konstruiert, dass vor einem Angriff der ganze Mittelteil entfernt oder zerstört werden konnte.«
Normalerweise hätte Audrey wie gebannt an seinen Lippen gehangen. Der Professor war ihr persönliches Vorbild. Doch heute war sie viel zu aufgeregt und ungeduldig, ihm endlich ihren Fund zeigen zu können.
»Ja, ja«, sagte sie geistesabwesend und zog ihn mit sich. Er lächelte nachsichtig, als sie ihn von den Überresten der alten Ortschaft wegführte.
Sobald sie den Wald betreten hatten, wurde das Fortkommen schwieriger. Sie mussten sich zwischen eng zusammenstehenden großen Bäumen und dichtem Unterholz hindurchkämpfen. Schließlich verließ Audrey den schmalen Pfad, bog erneut ab und schlug sich durch ein Gewirr von wildem Wein und sonstigen Rankgewächsen. MacFarlane folgte seufzend und blieb dann voller Erstaunen stehen, als er sich auf einer kleinen Lichtung wiederfand, die von uralten Eichen und etwas jüngeren Hartriegelgewächsen umgeben war.
»Wie um alles in der Welt hast du die denn entdeckt?«, fragte er und Audrey wurde rot.
»Oh … ich … ähm … ich brauchte ein wenig Intimsphäre … Sie wissen schon …«, antwortete sie verlegen.
Der Professor nickte und wedelte mit der Hand. »Verstehe.«
Audrey führte ihn weiter. Auf ihren Fingerzeig hin entdeckte sein geschultes Auge die unübersehbaren Überreste einer Hütte. Der größte Teil des Gebäudes war natürlich bereits verrottet. Aber es gab immer noch ein paar aufrecht stehende Balken.
»Eiche«, stellte er fest. »Die überdauert Jahrhunderte.«
Der Grundriss der Räume war noch zu erkennen – unverkennbare Zeichen, die sich über die Jahrhunderte in den Boden eingegraben hatten, auch wenn das ursprüngliche Gebäude längst nicht mehr stand. Auch der flache, ebene Untergrund der Innenräume war deutlich auszumachen.
»Es könnte einen Stall dahinter gegeben haben«, sagte sie. Irgendwie erfüllte sie dieser Ort unwillkürlich mit Ehrfurcht, sodass sie nur mit gedämpfter Stimme sprach. »Ich fand einige Metallstücke und Teile die von Zaumzeug herrühren könnten. Außerdem die Überreste eines Eimers.«
MacFarlane drehte sich langsam im Kreis und studierte den Grundriss des Gebäudes.
»Es hat einen anderen Grundriss als die Häuser im Ort«, murmelte er vor sich hin. »Völlig anders.«
Nachdem er ein paar Schritte gemacht hatte, um die Dimensionen grob abzumessen, blieb er unvermittelt stehen.
»Hast du das gehört?«
Audrey nickte mit großen Augen. »Bei Ihrem letzten Schritt. Es klang, als wäre der Untergrund hohl.«
Beide knieten sich auf den Boden und schoben Erde und verrottetes Laub fort. Audrey klopfte mit den Fingerknöcheln auf den Boden. Wieder hörten sie den hohlen Klang. MacFarlane war niemals ohne einen kleinen Handspaten am Gürtel unterwegs. Jetzt begann er, damit die Erde wegzukratzen. Es dauerte nicht lange und er stieß auf einen festen Widerstand – fest, aber nicht so hart wie Stein.
Während der Professor den Boden immer wieder auf den hohlen Klang hin überprüfte, legte er ein rechteckiges Stück frei, etwa vierzig mal fünfzig Zentimeter groß. Audrey beugte sich vor und fegte die verbliebene Erde weg. Nun blickten sie beide auf eine alte, ausgetrocknete Holzplatte, in die seitlich ein Messingring eingelassen war.
Vorsichtig schob MacFarlane seinen Handspaten unter die Platte, um sie anzuheben. Dabei splitterte das Holz entzwei und gab eine gemauerte Nische frei. Eine Nische, die eine alte Holzkiste mit Messingbeschlägen enthielt.
Erneut benutzte der Professor den Handspaten, um den Deckel der Kiste zu öffnen. Audrey legte eine Hand auf seinen Arm.
»Dürfen wir das denn wirklich machen?«, fragte sie. Soweit sie wusste, würde MacFarlane normalerweise niemals ein Artefakt so grob behandeln, sondern stets größte Sorgfalt walten lassen, um einen Fund vor Beschädigung zu schützen.
Der Professor begegnete ihrem Blick.
»Nein«, gab er zu. »Aber ich kann einfach nicht länger warten.«
Der Deckel ließ sich überraschend leicht öffnen.
Messingangeln, dachte MacFarlane. Wären sie aus Eisen gewesen, wären sie schon vor langer Zeit in rostigen Staub zerfallen. Vorsichtig und ohne seine Aufregung verbergen zu können, klappte er den Deckel zurück und spähte in die Kiste.
Sie war voller Pergamentseiten, Pergament, das nun spröde und empfindlich dünn war. Behutsam holte er ein Blatt heraus. Die Ecken zerbröselten, doch das Innere blieb intakt. Er beugte sich vor und bemühte sich, die eng beschriebene Seite zu entziffern. Sorgsam studierte er andere Seiten. Dabei behandelte er das spröde Pergament mit routinierter Vorsicht, während er verschiedene Namen, Orte und Ereignisse entzifferte.
Dann legte er die Blätter genauso umsichtig wieder zurück und seine Augen funkelten vor Aufregung.
»Audrey«, sagte er, »ist dir klar, was wir gefunden haben?«
Sie schüttelte den Kopf. Die Reaktion des Professors ließ sie vermuten, dass dies etwas Großes war. Nein, dachte sie, mehr noch, es war etwas Beispielloses.
»Was ist es?«, wollte sie gespannt wissen.
MacFarlane legte den Kopf in den Nacken und lachte, immer noch selbst ungläubig.
»Wir haben nie herausfinden können, was aus ihnen geworden ist«, sagte er, und als sie den Kopf in einer unausgesprochenen Frage zur Seite legte, fuhr er fort.
»Die Waldläufer! Walt, Will Hallas und all die anderen. In den Chroniken wird nur bis zum Zeitpunkt ihrer Rückkehr von der Reise nach Nihon-Ja berichtet. Aber jetzt haben wir das hier.«
»Aber um was handelt es sich denn, Professor?«
MacFarlane lachte glücklich auf. »Es handelt sich um nichts weniger als die restlichen Geschichten, meine Beste! Wir haben die Legenden von Araluen gefunden!«
TOD EINES HELDEN
Eins
Es waren drei lange, harte Tage gewesen.
Will war auf Patrouille gewesen und hatte die Dörfer in der Umgebung von Burg Redmont besucht. Das war etwas, was er regelmäßig tat, um mit den Dorfbewohnern und ihren Ältesten in Kontakt zu bleiben. Manchmal, das hatte er gelernt, konnte irgendwelcher Klatsch, der ihm ursprünglich völlig unwichtig erschienen war, sich später als nützlich erweisen, wenn es galt, Schwierigkeiten abzuwenden oder Streitigkeiten innerhalb des Lehens beizulegen.
Das gehörte dazu, wenn man ein Waldläufer war. Information, egal wie nebensächlich sie auf den ersten Blick zu sein schien, war lebenswichtig für einen Waldläufer.
Jetzt, spät am Nachmittag, als er müde zu seiner Hütte inmitten des Wäldchens ritt, war er überrascht, dass die Fenster erleuchtet waren und jemand auf der kleinen Veranda saß.
Die Überraschung verwandelte sich in Freude, als er Walt erkannte. Wills ehemaliger Lehrmeister war inzwischen ein seltener Gast in der Waldläuferhütte, da er die meiste Zeit in den Räumen verbrachte, die für ihn und Lady Pauline im Schloss zur Verfügung standen.
Will schwang sich aus dem Sattel und dehnte dankbar die müden Muskeln.
»Hallo«, grüßte er. »Was bringt dich denn hierher? Ich hoffe, du hast schon Kaffee aufgesetzt.«
»Der Kaffee ist fertig«, erwiderte Walt. »Kümmere du dich erst mal um dein Pferd, dann setz dich zu mir. Ich muss mit dir reden.« Seine Stimme klang leicht belegt.
Wills Neugierde war geweckt. Er führte Reißer sofort in den Stall hinter der Hütte, sattelte ihn ab, rieb ihn trocken und gab ihm Futter und frisches Wasser. Das kleine Pferd versetzte Wills Schulter einen dankbaren Stoß. Will tätschelte Reißer und kehrte dann auf die Veranda zurück.
Walt hatte zwei Tassen mit heißem Kaffee auf ein kleines Tischchen gestellt. Will setzte sich auf einen der mit Leinen bespannten Holzstühle. Dankbar nahm er einen Schluck des aufmunternden Getränks und spürte, wie Wärme seinen ausgekühlten Körper durchdrang. Der Winter nahte langsam und den ganzen Tag über hatte ein kalter, schneidender Wind geweht.
Will blickte Walt fragend an. Der graubärtige Waldläufer schien eigenartig unruhig. Und trotz seiner ursprünglichen Ankündigung, mit Will reden zu müssen, machte er keinerlei diesbezügliche Anstalten.
»Du wolltest etwas mit mir besprechen?«, erinnerte Will ihn.
Walt rutschte unbehaglich auf seinem Stuhl hin und her. Mit offensichtlicher Anstrengung begann er schließlich.
»Es gibt etwas, das du wissen solltest«, sagte er. »Etwas, das ich dir wahrscheinlich schon vor langer Zeit hätte erzählen sollen. Es war nur … ich weiß nicht … irgendwie schien nie der richtige Zeitpunkt zu sein.«
Wills Neugierde wuchs. Er konnte sich nicht erinnern, Walt jemals so nervös gesehen zu haben. Er wartete geduldig, um seinem Mentor Zeit zu geben, seine Gedanken zu ordnen.
»Pauline denkt, es ist an der Zeit, dir alles zu erzählen«, sagte Walt. »Und das meinte auch Arald. Sie wissen beide schon lange davon. Also möchte ich es einfach … hinter mich bringen.«
»Ist es etwas Schlimmes?«, fragte Will und Walt sah ihn jetzt zum ersten Mal direkt an.
»Ich bin mir nicht sicher«, antwortete er. »Jedenfalls könntest du es vielleicht schlimm finden.«
Einen Augenblick fragte sich Will, ob er wohl hören wollte, was Walt zu erzählen hatte – was immer es auch sein mochte. Doch als er Walts bedrückten Gesichtsausdruck bemerkte, wurde ihm klar, dass es, egal ob gut oder schlecht, etwas war, was sein alter Lehrer sich von der Seele reden musste. Also bedeutete er Walt fortzufahren.
Walt schwieg noch ein paar Sekunden, dann begann er:
»Es fängt wohl mit der letzten Schlacht gegen Morgaraths Armee an der Heide von Hackham an. Die gegnerischen Truppen befanden sich bereits auf dem Rückzug, doch dann erfolgte ein überraschender Gegenangriff. Wir hielten sie auf und drängten sie zurück, aber sie stürmten unsere rechte Flanke, wo sie eine Schwachstelle in unserer Verteidigungslinie entdeckten …«
Zwei
Südlich der Heide von Hackham
Sire! Wir haben Schwierigkeiten an der rechten Flanke!«
Duncan, der junge König von Araluen, vernahm den Ruf des Heralds über das schreckliche Lärmen der Schlacht hinweg. Das Klirren von Waffen und Schilden, die Schreie und Schluchzer der Verwundeten und Sterbenden, die harschen Befehle der Kommandeure und die undeutlichen Laute der Soldaten, die diese unwillkürlich von sich gaben, wenn sie mit dem Schwert zustießen oder auf den unerbittlichen Feind einschlugen, sorgten für einen fast ohrenbetäubenden Lärmpegel um sie herum.
Duncan führte noch einen weiteren Stoß gegen den zähnefletschenden Wargal vor sich, spürte, wie das Schwert traf, und sah, wie sich das Zähnefletschen in eine verblüffte Grimasse verwandelte, als die Kreatur merkte, dass dieser Stoß ihr Tod war. Die Wargals waren gedrungene, halbmenschliche Wesen, die seit Urzeiten in den abgeschiedenen Bergen gelebt hatten. Doch dann hatte der aufständische Morgarath sie ausfindig gemacht und seiner Herrschaft unterworfen. Mit ihrer Hilfe hoffte er, Duncan vom Thron zu verjagen und dann selbst über Araluen zu herrschen.
König Duncan machte einen Schritt zurück und löste sich für einen Moment aus der Schlacht – sowohl körperlich als auch geistig.
Ein junger Ritter aus der Heeresschule von Araluen nahm sofort seinen Platz ein, schwang sein Schwert bereits in einem mörderischen Bogen, während er einen Schritt nach vorne machte und die vorderste Linie der Wargals ummähte, als schwinge er eine Sense durch langes Gras.
Duncan ruhte sich einen Moment aus, stützte sich auf seinem Schwert ab und atmete schwer. Er schüttelte den Kopf, um klarer zu werden.
»Sire! Die rechte Flanke …«, begann der Herald erneut, doch Duncan winkte ab.
»Ich habe es gehört.«
Vor drei Tagen hatte die Schlacht an der Heide von Hackham begonnen. Morgaraths Armee war durch einen von dem Waldläufer Walt angeführten Überraschungsangriff der Kavallerie aufgehalten worden und befand sich nun in vollem Rückzugsgefecht. Eigentlich hätte Morgarath aufgeben müssen. Sein anhaltender Widerstand kostete auf beiden Seiten nur immer mehr Opfer. Doch der aufständische Lord hatte sich noch nie darum geschert, Leben zu retten. Er wusste, dass er so gut wie besiegt war, wollte aber Duncan und seinen Männern noch so viel Schaden wie möglich zufügen. Einen Sieg sollten sie bitter bezahlen.
Was seine eigene Armee betraf, so kümmerten Morgarath die Verluste wenig. Sie war für ihn nur ein Werkzeug, und er war bereit, seine Leute weiter gegen die königliche Armee kämpfen zu lassen. Er würde Hunderte auf der eigenen Seite opfern, nur um dabei ebenso viele Opfer bei der Gegenseite zu verursachen.
Also hatte er sich nach Südosten zurückgezogen, dorthin, wo es ihm die örtlichen Gegebenheiten erlaubten, weitere mörderische Schlachten zu kämpfen. Den Ort dafür hatte er gut gewählt: ein schmales Tal zwischen zwei steilen Hügeln. Der vorausgegangene Regen hatte den Boden aufgeweicht, sodass Duncan seine Kavallerie nicht einsetzen konnte. Nun musste die Infanterie sich in harten, kräftezehrenden Gefechten gegen die Wargals behaupten.
Duncan war sich stets bewusst, dass Morgaraths Armee womöglich erneut die Oberhand gewinnen konnte, wenn er selbst nur einen einzigen Fehler machte. Das Glück im Kriege war eine flatterhafte Braut, und der Krieg, den Duncan gehofft hatte, an der Heide von Hackham bereits gewonnen zu haben, war leider noch nicht zu Ende. Duncan konnte immer noch durch einen unüberlegten Befehl oder ein nicht ausreichend durchdachtes Manöver den Sieg verspielen.
Stoßkraft und Dynamik, dachte der König. Beides war äußerst wichtig in einer solchen Situation, lebenswichtig. Man musste stets vorwärtsstürmen, um den Feind zurückzudrängen. Ein Zögern, wenn auch nur für ein paar Minuten, konnte dem Gegner bereits den nötigen Vorteil bringen.
Er blickte nach links. Die Flanke auf dieser Seite – hauptsächlich Truppen aus Norgate und Whitby, verstärkt durch Truppen aus einigen der kleineren Lehen – drängte stark nach vorn. In der Mitte befanden sich die Truppen aus Araluen und Redmont, die ähnlich erfolgreich waren. Das war zu erwarten. Sie setzten sich aus den vier größten Lehen im Königreich zusammen und bildeten sozusagen das Rückgrat von Duncans Armee. Diese Ritter und Soldaten waren am besten ausgebildet und äußerst diszipliniert.
Die rechte Flanke war allerdings immer schon relativ schwach gewesen. Sie bestand aus einem Zusammenschluss der Lehen Seacliff, Aspienne und Culway, und da die drei Lehen alle ungefähr die gleiche Größe hatten, gab es unter ihnen keinen eindeutigen Anführer. Dies war auch der Grund, warum Duncan Heeresmeister Norman vom Lehen Aspienne als übergeordneten Kommandanten eingesetzt hatte. Norman war ein erfahrener Anführer, der in der Lage war, derart ungleiche Truppen zu vereinen.
Als läse er die Gedanken des Königs, fuhr der Herald fort:
»Heeresmeister Norman liegt im Sterben, Sire. Ein Wargal durchbrach die Linien und hat ihn mit einem Speer schwer verletzt. Norman wurde hinter die Linien gebracht, doch man bezweifelt, dass er noch lange leben wird. Die Heeresmeister Patrick und Marat sind sich nicht sicher, wie weiter zu verfahren ist, und das hat sich Morgarath zunutze gemacht.«
Natürlich hat Morgarath die Fahnen der kleineren Lehen auf dieser Flanke erkannt, dachte Duncan. Und natürlich hat er daraus geschlossen, welches Durcheinander er erzeugen kann, indem er den Kommandanten außer Gefecht setzt.
Zweifellos hatte der aufständische Lord eine seiner besten Kompanien geschickt, um die rechte Flanke anzugreifen, sobald Norman ausgeschaltet war.
Da haben wir die Dynamik wieder, dachte Duncan. Doch diesmal arbeitet sie gegen mich.
Er spähte angestrengt zum Kampfgetümmel an der rechten Flanke und konnte sehen, dass die vorderen Reihen nicht mehr nach vorne drängten, sondern die ersten Männer sogar zögernd zurückwichen. Er brauchte dort einen Kommandanten, und zwar schnell. Jemanden, der nicht zögerte. Jemanden mit der nötigen Autorität, um die Truppen zusammenzuhalten und wieder zum Angriff zu führen.
Suchend blickte er sich um. Arald von Redmont wäre seine erste Wahl gewesen. Doch Arald wurde gerade von den Heilern versorgt. Der Bolzen einer Armbrust hatte sein Bein getroffen, womit er für die restliche Schlacht außer Gefecht gesetzt war. Aralds junger Heeresmeister Rodney hatte seinen Platz eingenommen und kämpfte mit aller Kraft, um die araluanischen Truppen vorwärtszuführen. Er konnte hier nicht abgezogen werden.
»Sie brauchen einen Anführer …«, sagte Duncan leise zu sich.
»Ich übernehme das«, antwortete eine ruhige Stimme hinter ihm.
Duncan drehte sich um und sah in die braunen Augen von Walt, dem Waldläufer. Der dunkle Bart und der ungekämmte Haarschopf verbargen den größten Teil seiner Gesichtszüge, doch sein Blick strahlte Selbstbewusstsein und Entschlossenheit aus. Dies war kein Mann, der sich über Kompetenzen stritt oder zögerte, eine Entscheidung zu treffen. Er würde handeln.
Duncan nickte. »Dann tut das, Walt. Die Truppe muss dringend wieder angreifen oder wir sind verloren. Sagt Patrick und Marat …«
Er musste nicht weiterreden. Walt lächelte grimmig.
»Oh, keine Sorge, ich werde ihnen schon sagen, was die Stunde geschlagen hat.« Damit schwang er sich auf sein zotteliges Pony und galoppierte zur rechten Flanke.
Drei
Abelards Hufe donnerten dumpf auf die weiche Erde, während Ross und Reiter zu dem gefährdeten Bereich vorstießen. Beim Näherkommen konnte Walt sehen, dass der gegnerische Vorstoß dort durch eine von Morgaraths Spezialeinheiten erfolgte. Die angreifenden Wargals rückten in Keilformation vor. Sie waren alle größer als normale Wargals und offensichtlich aufgrund ihrer Größe, Stärke und Bösartigkeit ausgewählt worden.
Sie rückten vor, als scherten sie sich keinen Deut um eigene Verluste. Ob Morgenstern, Axt oder schweres zweihändiges Schwert, sämtliche Waffen wurden geschwungen.
Einer nach dem anderen fielen die Männer der Armee von Araluen.
Walt war immer noch etwa vierzig Pferdelängen entfernt und ihm wurde klar, dass er zu spät käme. Wenn er nicht sofort etwas unternahm, wären die Linien durchbrochen.
Er zügelte Abelard und brachte ihn zum Stehen.
»Ruhig«, befahl er, und das kleine Pferd stand mit einem Mal felsenfest, ohne auf den fürchterlichen Schlachtenlärm und den entsetzlichen metallischen Geruch frischen Bluts zu achten.
Walt nahm seinen Bogen und stellte sich in die Steigbügel, um zu schießen. Drei Pfeile befanden sich bereits in der Luft, noch bevor der riesige Wargal, der die Keilformation anführte, vom ersten Pfeil getroffen wurde. Walt hatte für diese Schlacht seinen mächtigsten Bogen gewählt. Vierzig Pferdelängen Entfernung waren für diese Waffe kein Problem. Der schwere Pfeil mit dem schwarzen Schaft durchschlug die mit Bronzeplatten besetzte Lederrüstung der Kreatur und brachte den Wargal sofort zu Fall. Dann trafen die nächsten zwei Pfeile in schneller Abfolge. Zwei weitere Wargals starben. Immer mehr Pfeile folgten, jeder mit einem Zischen und dem anschließenden tödlichen Einschlag. Walt leerte seinen Köcher und bot dabei ein beeindruckendes Schauspiel an Treffsicherheit.
Er zielte auf die Wargals an der Spitze der Formation, damit die Gefallenen das Fortkommen der Nachfolgenden behinderten. Solche Schüsse würde kein normaler Schütze auch nur versuchen. Er konnte es sich nicht leisten, sein Ziel auch nur einmal zu verfehlen. Dann hätte er seine Pfeile genauso gut gleich in die Rücken der araluanischen Soldaten schicken können, die den Wargals gegenüberstanden.
Doch Walt war kein normaler Schütze. Er schoss nicht daneben.
Sobald er seine Pfeile aufgebraucht hatte, drängte er Abelard aufs Neue vorwärts. Am Ende der Reihen angekommen, sprang er aus dem Sattel und lief weiter, um die kämpfenden Truppen zu Fuß zu unterstützen. Unterwegs blieb er nur kurz stehen, um einen runden Schild aufzuheben, der vor ihm im Gras lag. Die bei den Waldläufern übliche gekreuzte Schwertabwehr war gegen die schweren Waffen der Wargals nicht sinnvoll. Walt zögerte eine Sekunde und musterte ein langes Schwert, das neben der ausgestreckten Hand eines toten Ritters lag. Doch es war eine Waffe, mit der er nicht vertraut war, und so entschied er sich dagegen, auch das Schwert aufzuheben. Er war an sein Sachsmesser gewöhnt, dessen schwere, rasiermesserscharfe Klinge perfekt für den Nahkampf war. Er zog das schwere Messer aus der Scheide und schlängelte sich zwischen den Soldaten hindurch, um nach vorne zu rennen.
»Vorwärts!«, rief er. »Folgt mir! Wir müssen sie unbedingt zurückdrängen!«
Die Soldaten wichen zur Seite und ließen ihn durch, bis er in der vordersten Reihe angelangt war und sich einem zähnefletschenden Wargal gegenübersah. Die Kreatur war nicht einmal so viel größer als Walt, doch sie hatte unglaublich breite Schultern und wog wahrscheinlich doppelt so viel.
Der Wargal zog beim Anblick seines neuen Feindes die Lefzen hoch und bleckte die Reißzähne. Im nächsten Moment sauste bereits ein mit Nägeln gespickter Morgenstern in Walts Richtung.
Der Waldläufer duckte sich darunter hinweg, schnellte danach jedoch sofort wieder hoch und stieß sein Sachsmesser tief in die Rippen des Biestes.
Er sah ein Schwert von links kommen, das er mit dem Schild abwehrte, dann stieß er den riesigen Wargal zurück und zog sein Sachsmesser heraus. Das sterbende Ungeheuer stürzte zu Boden.
»Vorwärts!«, schrie Walt wieder und zog seine Klinge über die Kehle des nächsten Wargals, während er weiter nach vorn stürmte. Er wich einem Schwertstoß aus und stach zweimal blitzschnell auf den nächsten Feind vor sich ein. Noch während das Biest sich getroffen zusammenkrümmte, schob er es mit dem Schild zur Seite.
Die Wargals waren unglaublich stark, doch sie waren auch schwerfällig. Walt hingegen hatte die Geschwindigkeit und die Reflexe einer Schlange. Er duckte und drehte sich, hieb und stach unablässig zu und schlug so eine Bresche in die Reihen der Gegner. Nun spürte er jemanden hinter sich aufrücken und hörte eine Stimme, die seinen Ruf wiederholte.
»Vorwärts! Los, kommt, wir müssen sie zurückdrängen.«
Die araluanischen Soldaten hatten neuen Mut geschöpft, als erst ein Pfeilregen den Angriff der Wargals aufgehalten hatte und dann plötzlich Walt selbst aufgetaucht war, der sich ins Getümmel stürzte und den Kampf so wieder in die Reihen des Gegners hineintrug. Die Männer begannen erneut anzugreifen.
Walt warf einen kurzen Blick nach hinten, um zu sehen, wer ihn da so unerwartet unterstützte und die Soldaten anfeuerte. Einen Schritt hinter sich zu seiner rechten Seite erblickte er einen stämmigen Feldwebel, der mit einem Speer ausgestattet war. Noch während Walt zu ihm schaute, stieß der Mann mit dem Speer zu und durchbohrte einen Wargal. Dann grinste der Mann Walt an.
»Geh weiter, Waldläufer! Du stehst mir im Weg!«
Hinter ihm folgten andere Soldaten und bildeten nun ebenfalls eine Keilformation, um so immer tiefer in die Reihen der Wargals vorzustoßen.
Walt blickte wieder nach vorn. Ein Wargal kam auf ihn zu, die Axt zu einem tödlichen Schlag gehoben. Der Speer des Feldwebels sauste über Walts Schulter hinweg nach vorn und traf den Wargal in die Kehle.
»Danke!«, rief Walt, ohne sich umzusehen. Zwei weitere Gegner kamen auf ihn zu. Dem Schwertstoß des ersten wich er aus, merkte jedoch, wie sein Fuß umknickte, als er auf den Arm eines toten Feindes trat. Trotz aller Körperbeherrschung konnte er sich nicht mehr abfangen und fiel zu Boden.
Das Stolpern rettete Walt wahrscheinlich das Leben. Der zweite Wargal hatte nämlich bereits mit einer Keule nach ihm ausgeholt. Die Keule traf ihn zwar, doch sie zerschmetterte nicht gleich seinen Schädel. Allerdings fiel dem Waldläufer durch den heftigen Schlag sein Sachsmesser aus der Hand. Er versuchte sofort aufzustehen, wurde jedoch daran gehindert. Halb betäubt merkte Walt, dass der Wargal einen Fuß auf seinen Schild gesetzt hatte und so verhinderte, dass er sich wieder erheben konnte. Blinzelnd und immer noch benommen von dem Schlag blickte der Waldläufer hoch und sah die Keule erneut auf sich zukommen.
Das war’s dann also, dachte er und fragte sich gleichzeitig, wie er seinem eigenen Tod so stoisch entgegensehen konnte. Hatte dieser brutale Schlag auf den Kopf womöglich bereits sein Denken verlangsamt? Er wartete ruhig, fast ergeben darauf, dass die Keule auf ihn niederdonnerte.
Doch stattdessen blitzte Metall über ihm auf, das Licht spiegelte sich noch kurz in einem Speerkopf, der sich gleich darauf in die Brust des Wargals grub. Die Wucht hinter dem Speer ließ die Kreatur zurückstolpern. Sie stieß einen heiseren Schmerzensschrei aus, fiel und verschwand damit aus Walts Blickfeld. Der Feldwebel machte einen großen Schritt über Walt hinüber, zog seinen Speer aus dem Körper des toten Wargals und stand breitbeinig da, um Walt vor weiteren Angriffen zu schützen. Erneut stieß er mit dem Speer zu und der nächste Wargal wich hastig zurück. Da krachte eine Streitaxt auf den Speerschaft herab und die schwere Eisenspitze wurde weggeschleudert.
Walt hatte das Gefühl, dass sich um ihn herum alles drehte. Er konnte nur verschwommen sehen. Der Schlag, den er abbekommen hatte, hatte zweifellos einen gewissen Schaden angerichtet. Seine Glieder waren schwach und er konnte einfach nicht die Kraft aufbringen, um sich zu erheben. Vor ihm schien sich alles wie in Zeitlupe abzuspielen.
Der Feldwebel warf einen Blick auf den abgehackten Speer und zuckte mit den Schultern. Er wirbelte den schweren Holzschaft wie eine Parierstange im Kreis und knallte ihn gegen den Helm eines anderen Wargals. Dann hielt er den Schaft in beiden Händen und stieß damit von unten nach einem zweiten Gegner, trieb das Ende tief in den Bauch des Wargals.
»Pass auf!«, Walts Warnung war nicht mehr als ein Krächzen. Er hatte einen dritten Wargal gesehen, der hinter seinen Kumpanen verborgen am Boden kauerte, sein gezacktes Schwert bereit zum Zustoßen in der Hand.
Einer der verletzte Wargals zerrte an dem Schaft und brachte den Feldwebel so aus dem Gleichgewicht. Da schoss das gezackte Schwert auch schon vor wie eine bösartige Schlange. Hellrot floss das Blut aus der Seite des Feldwebels, wo das Schwert ihn getroffen hatte. Dennoch ließ er nicht nach. Er riss den Schaft aus dem Griff des Feindes und rammte ihn mit einer ausholenden Bewegung nach vorn, als werfe er einen Speer. Auf diese Weise traf er den Wargal, der ihn verwundet hatte, mit dem abgerissenen Ende des Schaftes geradewegs zwischen die Augen.
Der Wargal heulte auf und stürzte zu Boden, griff sich vergeblich an die Stirn und ließ dabei das Schwert fallen. Sofort ließ der Feldwebel den Schaft los und hob das Schwert auf. Jetzt schlug er mit unglaublicher Geschwindigkeit nach links und rechts und verletzte zwei weitere Wargals schwer. Einer fiel gleich dort, wo er stand, der andere stolperte auf seine Kumpane zu und riss dabei zwei von ihnen zu Boden. Der Feldwebel parierte einen kurzen Eisenspeer, mit dem er von rechts angegriffen wurde. Ein anderer Gegner kam von links und traf ihn am Oberschenkel. Noch mehr Blut floss. Dennoch kämpfte der Mann weiter. Er tötete den Wargal, dessen Speer ihn getroffen hatte, mit fast verächtlicher Leichtigkeit. Dann schlug und stieß er wieder mit dem Schwert nach beiden Seiten und schickte jeden Gegner zu Boden, der in seine Reichweite kam. Ein Messerstoß traf ihn in der Seite. Er achtete nicht darauf und mähte denjenigen, der den Messerstich angebracht hatte, mit dem Schwert nieder.
Da sah Walt etwas, was er nie geglaubt hatte, einmal sehen zu können.
Während der schwer blutende Feldwebel weiterkämpfte, wurden die Wargals von einer Welle der Furcht ergriffen.
Morgaraths Truppen, die er persönlich abgerichtet und ausgewählt hatte, die nichts fürchteten, außer Ritter zu Pferde, wichen vor dem blutenden Mann mit dem Schwert, der so vielen von ihnen den Tod brachte, zurück.
Und das war es, was den Männern der araluanischen Armee neuen Mut einflößte. Beherzt folgten sie nun dem Beispiel des Feldwebels. Er war schwer verwundet, doch er kämpfte weiter, bis seine Kameraden an ihm vorbeidrängten und mit triumphierenden Kriegsrufen erneut die demoralisierten Wargals angriffen.
Einen Augenblick lang stand der Feldwebel allein und ohne Gegner auf dem Schlachtfeld. Die zweite Reihe der araluanischen Krieger strömte an ihm vorbei, um die erste Reihe zu verstärken. Die Wargals traten völlig verwirrt mit heiseren, wortlosen Schreien den Rückzug an. Da gaben seine Knie nach und er sank zu Boden.
Das Schlachtengetümmel und der Lärm entfernten sich weiter von ihnen, rollten weg, gleich einer Welle. Endlich schaffte es Walt, seinen Arm aus dem Schild zu befreien, der immer noch vom schweren Körper des toten Wargals eingezwängt war. Er versuchte, sich auf die Füße zu stemmen, doch es gelang ihm einfach noch nicht. Stattdessen kroch er mit schmerzverzerrtem Gesicht zwischen den Körpern der Wargals, die sein Retter getötet hatte, hindurch zu dem am Boden liegenden Feldwebel.
Der Schwerverletzte atmete noch und drehte voller Schmerzen den Kopf, als der Waldläufer bei ihm war. Trotz seiner Schwäche brachte er ein mattes Lächeln zustande.
»Wir haben es ihnen gezeigt, Waldläufer, was?«
Walt konnte die Worte kaum hören, und seine eigene Stimme war ebenfalls nur ein schwaches Krächzen, als er antwortete: »Allerdings, das haben wir. Wie ist dein Name, Feldwebel?«
»Daniel.«
Walt fasste seinen Unterarm. »Halte durch, Daniel! Die Heiler werden bald hier sein.«
Er versuchte, so aufmunternd wie möglich zu klingen. Doch der Kamerad schüttelte den Kopf.
»Zu spät für mich.« Plötzlich stand eine gewisse Dringlichkeit in den Augen des Mannes. Er versuchte sich zu erheben, fiel aber wieder zurück.
»Ruh dich aus«, sagte Walt zu ihm, doch Daniel hob besorgt den Kopf und beugte sich zu ihm.
»Meine Frau …«, stieß er mühsam hervor. »Meine Frau und das Kind … Versprich mir, dass du …« Er hustete und Blut floss sein Kinn hinab.
»Ich werde mich um sie kümmern«, versprach Walt. »Aber keine Sorge, du wirst bestimmt wieder gesund. Du wirst sie bald wiedersehen.«
Daniel nickte und ließ den Kopf zurückfallen. Noch einmal holte er zitternd Luft. Dann schien er sich zu entspannen und sein Atem wurde gleichmäßiger, als hätte Walts Versprechen ihm eine enorme Last abgenommen.
Walt hörte nun Stimmen und Schritte in der Nähe. Kurz darauf rollten sanfte Hände ihn zur Seite und er sah in die besorgten Gesichter von Heilern, die eine Trage neben ihm absetzten. Schwach deutete er auf Daniel.
»Mir geht es gut«, sagte er. »Kümmert euch zuerst um ihn.«
Einer der Heiler warf einen schnellen Blick auf Daniel, dann schüttelte er bedauernd den Kopf.
»Für ihn können wir leider nichts mehr tun«, sagte er. »Er ist tot.«
Vier
Walt erwachte. Im ersten Moment musste er überlegen, wo er war. Er lag auf dem Rücken und starrte auf das Dach eines großen Zeltes. In seiner Nähe bewegte sich jemand und sprach mit gedämpfter Stimme. Irgendwo weiter weg stöhnte ein anderer. Walt versuchte, den Kopf zu drehen, doch ein plötzlicher Schmerz hinderte ihn daran. Er fasste sich an die Stirn und ertastete einen dicken Verband.
Da kam die Erinnerung zurück: Der Kampf gegen die Wargals! Er erinnerte sich daran, erinnerte sich auch an die Keule, die ihn erwischt hatte. Das musste der Grund für die stechenden Kopfschmerzen sein, die er jetzt verspürte. Und er erinnerte sich an einen Feldwebel. Wie war sein Name gewesen? David? Nein! Daniel! Daniel hatte ihm das Leben gerettet.
Unvermittelt durchfuhr ihn eine unglaubliche Trauer, als ihm die Worte des Heilers einfielen. Daniel war tot.
Wie lange war er selbst überhaupt schon hier? Er wusste noch, dass er das Bewusstsein verloren hatte, als man ihn auf die Bahre gehoben hatte. All das schien nur wenige Minuten her zu sein. Walt versuchte aufzustehen, doch da breiteten sich die entsetzlichen Kopfschmerzen erneut hinter seinen Augen aus. Er stöhnte vor Schmerzen. Kurz darauf tauchte ein Gesicht über ihm auf.
»Ihr seid wach«, stellte der Pfleger fest und lächelte ihn aufmunternd an. Er streckte die Hand aus und legte sie auf Walts Stirn, um zu prüfen, ob er Fieber hatte. Anscheinend war er zufrieden und berührte anschließend nur leicht den Verband, um zu kontrollieren, ob dieser immer noch fest saß.
»Wie … lange …« Walts Stimme klang schleppend und seine Kehle war trocken und rau. Der Pfleger führte einen Becher Wasser an seine Lippen und hielt ihm den Kopf, damit er trinken konnte.
Das Wasser schmeckte wunderbar und fühlte sich herrlich in der Kehle an. Allerdings verschluckte Walt sich und hustete, sodass das Wasser wieder aus seinem Mund floss. Beim Husten rollte der Kopfschmerz erbarmungslos über ihn hinweg. Vor Schmerzen schloss er die Augen.
»Ihr spürt die Nachwirkungen immer noch, sehe ich«, stellte der Pfleger fest. »Nun, die Heiler meinten, ein ernsthafter Schaden läge nicht vor. Ihr müsst Euch nur noch ein paar Tage ausruhen, dann lassen auch die Kopfschmerzen nach.«
»Wie lange … bin ich schon hier?«
Der Pfleger runzelte nachdenklich die Stirn.
»Mal sehen. Ihr wurdet vorgestern Abend gebracht, also würde ich sagen, ungefähr sechsunddreißig Stunden.«
Sechsunddreißig Stunden! Er hatte eineinhalb Tage hier gelegen und geschlafen! Urplötzlich durchfuhr ihn eine furchtbare Sorge.
»Haben wir gesiegt?«, fragte er. Er erinnerte sich, dass die Wargals sich nach Daniels Angriff zurückgezogen hatten, doch wer wusste schon, ob das angehalten hatte. Der Heiler lächelte und nickte beruhigend.
»O ja, das haben wir. Morgarath und seine Kreaturen wurden gründlich geschlagen. Wie ich hörte, hattet Ihr auch einen nicht unwesentlichen Anteil daran?«
Der letzte Satz war eher eine Frage, als wolle er gern mehr von Walts Einsatz in der Schlacht hören. Doch der Waldläufer winkte ab.
»Sind wir immer noch bei Hackham?«, wollte er wissen.
»Ja. Die Kavallerie hat natürlich die Verfolgung des Feindes aufgenommen. Doch der Rest der Armee ist noch hier. Allerdings nicht mehr lange. Morgen beginnt der Abmarsch.«
»Abmarsch wohin?«
»Wir befinden uns bereits in der Demobilisierung. Der Krieg ist so gut wie vorbei. Die Männer werden zu ihren Bauernhöfen und Familien zurückkehren. Und das wird auch langsam Zeit.«
Bauernhöfe und Familien. Die Worte lösten eine weitere Erinnerung bei Walt aus. Daniel hatte von einer Frau und einem Kind gesprochen. Und Walt hatte ihm versprochen, sich um sie zu kümmern. Doch jetzt wurde ihm klar, dass er keine Ahnung hatte, wo er sie finden sollte. Und wenn die Armee wirklich in Kürze aufgelöst wurde und er somit keinen Ansprechpartner mehr hatte, würde er sie vielleicht nie finden. Kurz entschlossen setzte er sich auf und schwang die Beine über die Seite der Liege, krümmte sich jedoch sofort zusammen, als der unglaubliche Schmerz wieder einsetzte. Der Pfleger versuchte Walt zurückzuhalten.
»Bitte! Ihr müsst liegen bleiben, Waldläufer! Ihr müsst Euch ausruhen.«
Doch Walt hielt sich am Arm des Pflegers fest und schaffte es, schwankend neben dem Bett zu stehen. Er blinzelte einige Male. Die Schmerzen ließen etwas nach, waren jedoch immer noch da.
»Ich habe keine Zeit«, entgegnete er. »Gebt mir etwas gegen diese Kopfschmerzen. Ich muss herausfinden, wo er wohnte.«
Er erinnerte sich daran, dass die Männer der rechten Flanke, zu denen er geschickt worden war, eine zusammengewürfelte Truppe aus Seacliff, Aspienne und Culway waren. Auf seinem Weg durch die vordersten Reihen, hatte er auf den Jacken der Soldaten ein Wappen mit einem schwarzen Dachs wahrgenommen. Auch bei Daniel! Walt hatte keine Ahnung, welche Einheit unter diesem Wappen marschierte, also machte er sich auf den Weg ins Kommandozelt, zum Heeresmeister des Königs.
Als er das Kommandozentrum erreichte, erfuhr er, dass der Heeresmeister nicht mehr anwesend war. Natürlich hatte er die Verfolgung von Morgarath und seinen Wargals aufgenommen, die sich in die südöstliche Ecke des Königreichs zurückgezogen hatten. Doch sein Sekretär war noch da, listete Verluste und mögliche Beförderungen auf und versuchte, sich einen Überblick über die Lage zu verschaffen. Er blickte hoch, als Walt eintrat, und lächelte voller Anteilnahme. Die ganze Armee hatte von Walts Heldentaten während der Schlacht gehört.
»Guten Morgen, Waldläufer«, grüßte er. Im nächsten Moment bemerkte er den blutdurchtränkten Verband und sah, wie Walt schwankte und sich am Tisch festzuhalten versuchte.
»Alles in Ordnung mit Euch?«, fragte er besorgt, stand auf und beeilte sich, einen Hocker für Walt zu finden. Der Waldläufer ließ sich dankbar darauf nieder und musste mehrmals blinzeln. Seine Sehfähigkeit war immer noch eingeschränkt. Er hoffte, dass dieser nebelhafte Film vor den Augen nur vorübergehend war, denn sonst würde er nie mehr mit Pfeil und Bogen schießen können.
»Nur Kopfschmerzen«, winkte er ab. »Ich brauche aber dringend ein paar Informationen. Ich hatte das Kommando über die Truppen am rechten Flügel in der letzten Phase der Schlacht übernommen …«
»Das habt Ihr tatsächlich«, fiel ihm der Sekretär begeistert ins Wort. »Die ganze Armee spricht davon.«
»Da gab es einen Soldaten. Einen Feldwebel namens Daniel. Er war es, der den Angriff fortsetzte, als ich am Boden lag. Hat irgendjemand seinen vollen Namen erwähnt oder könnte irgendwo notiert sein, woher er stammt?«
Der Sekretär schüttelte den Kopf. »Ich verfüge leider nicht über die Unterlagen von sämtlichen Kompanien. Die werden von jeder Streitkraft für die eigenen Männer angefertigt. Welcher Einheit gehörte er denn an?«
»Das weiß ich nicht. Sie hatte einen schwarzen Dachs im Wappen.«
Der Sekretär überlegte einen Moment mit angestrengt zusammengekniffenen Augen, dann entspannten sich seine Gesichtszüge wieder. »Einen schwarzen Dachs? Das müsste dann die Kompanie von Hauptmann Stanton aus dem Lehen Aspienne sein. Die lagert drüben im Norden, auf einer Anhöhe. Stanton wurde schwer verwundet, bevor Ihr seinen Männern zu Hilfe kamt. Deshalb wurde er zurück auf Burg Aspienne gebracht. Aber sein Adjutant müsste Euch helfen können.«
»Vielen Dank für die Auskunft.« Walt verließ das Zelt, blieb dann einen Moment stehen und blickte nach Norden. Auf einem niedrigen Hügel, etwa eine viertel Meile entfernt, gruppierten sich verschiedene Zelte um eine Flagge. Trotz der Entfernung und seiner eingeschränkten Sicht konnte er etwas Dunkles in der Flagge erkennen, das tatsächlich ein schwarzer Dachs sein mochte. Also machte er sich auf den Weg dorthin.
Wie es der Brauch war, markierte die Flagge das Zelt des Kommandanten. Beim Näherkommen konnte Walt sich davon überzeugen, dass er richtig vermutet hatte: Auf der Fahne befand sich ein schwarzer Dachs. Am offenen Eingang blieb er stehen. Das Kommandozelt war größer als die schlichten Viermannzelte, die es umgaben. Von hier aus befehligten der Kommandant und sein Stab die Truppen. Das Zelt wurde also als Kompanieverwaltung genutzt. Rückwärtig war ein Teil abgetrennt, der als Schlaf- und Wohnquartier des Kommandanten diente und jetzt, da der Befehlshaber im Lazarett lag, vermutlich frei war.
An einem Tisch im vorderen Bereich saß ein stämmiger, grauhaariger Mann mit der unübersehbaren Ausstrahlung von Autorität und Erfahrung – zweifellos der Adjutant, den der Sekretär erwähnt hatte. Er blickte auf, als Walt ins Zelt trat, und musterte den Umhang des Waldläufers und den Verband um seinen Kopf.
»Ihr seht aus, als wärt Ihr im Krieg gewesen«, sagte er mit einem Grinsen.
Walt gestattete sich ein schwaches Lächeln. »Richtig. Im gleichen, in dem Ihr auch wart. Aber jetzt versuche ich, die Heimatadresse eines Eurer Männer herauszufinden. Es geht um einen Feldwebel namens Daniel.«
Das Grinsen schwand sofort und der Adjutant schüttelte traurig den Kopf. »Daniel? Ein guter Mann! Wir haben ihn leider in der letzten Schlacht verloren.«
»Ich weiß. Er hat mir das Leben gerettet, bevor er starb.«
Der ältere Mann betrachtete Walt nun mit neuem Interesse. »Oh«, sagte er, »dann seid Ihr also dieser famose Waldläufer, nicht wahr?« Er erhob sich von seinem Stuhl hinter dem Tisch und streckte Walt die Hand entgegen. »Es ist mir eine Ehre, Euch kennenzulernen. Mein Name ist Griff.«
Walt wechselte fast verlegen von einem Fuß auf den anderen. Er stand nicht gern im Mittelpunkt. Das war einfach nicht seine Art. Er zog es vor, sich unauffällig zu bewegen und so weit wie möglich unbemerkt zu bleiben. Doch er schüttelte die Hand des Mannes.
»Ich heiße Walt«, stellte er sich vor.
Griff bat ihn, Platz zu nehmen, und setzte sich selbst ebenfalls. Nachdenklich kratzte er sich am Kinn.
»Ich fürchte, ich kann Euch nicht sehr viel erzählen. Die Mobilmachung verlief ziemlich überstürzt und Daniel war neu im Lehen. Er und seine Frau waren erst kurz vor Kriegsausbruch aus Norgate zugezogen.« Er deutete auf die Stöße von Papieren und Pergamentrollen auf dem Tisch. »Wir mussten so schnell losmarschieren, dass wir keine Zeit hatten, alle Einzelheiten über die Herkunft der Männer aufzuschreiben. Ich versuche gerade nachzuholen, was irgend möglich ist.«
»Könnt Ihr mir irgendetwas über diesen Daniel sagen?«, fragte Walt.
»Soweit ich weiß, bewirtschaftete er einen Bauernhof im südöstlichen Teil von Aspienne. Aber wo genau, das ist mir leider nicht bekannt.«
»Hatte er vielleicht Freunde in der Kompanie, die es wissen könnten?«
Der Adjutant hob bedauernd die Hände, noch bevor Walt die Frage überhaupt beendet hatte.
»Könnte sein, obwohl er sich als Feldwebel wohl etwas abseits von den gemeinen Soldaten gehalten haben dürfte. Am besten fragt Ihr noch einmal unter den Männern nach. Daniel hatte das Kommando über die sechste Gruppe. Ihr werdet sie ein paar Reihen weiter hinten finden.«
»Ich danke Euch vielmals.« Walt erhob sich und verzog unwillkürlich das Gesicht, als der Schmerz durch seinen Kopf zuckte. Mit einer Hand stützte er sich auf dem Tisch ab.
Griff sah ihn besorgt an. »Solltet Ihr wirklich schon auf sein und herumlaufen? Ihr seht noch nicht sehr gut aus.«
Walt schüttelte den Kopf – und wünschte sofort, er hätte es unterlassen. »Mir geht es gut«, versicherte er. »Bin nur ein klein wenig angeschlagen. Draußen an der frischen Luft fühle ich mich besser als im stickigen Zelt eines Heilers.«
»Das stimmt wahrscheinlich.« Griff blickte unwillkürlich zurück auf seinen Schreibtisch mit all den Papieren, als hoffte er, sie hätten sich während seines Gesprächs von selbst erledigt. Dann fuhr er fort: »Tja, es tut mir leid, dass ich Euch nicht mehr zu Diensten sein konnte.«
Walt hob dankend die Hand. »Jede noch so kleine Information hilft.«
Suchend lief er nun zwischen den Zeltreihen entlang. Vor einem davon saßen drei Soldaten in der Sonne. Ein gewisses Misstrauen war in ihren Augen zu lesen, denn auch wenn die Offiziere der Armee das Können der Waldläufer zu schätzen wussten, fühlten sich die normalen Soldaten in ihrer Nähe meist unwohl. Walt kannte die wilden Gerüchte, die zirkulierten. So wurde erzählt, dass die Waldläufer angeblich Schwarze Magie ausübten.
»Guten Morgen«, grüßte er.
Die Männer nickten und reckten die Hälse. Einer flickte einen Riss in einer Weste, ein Zweiter schnitzte an einem Stock und ein Dritter kaute ausgiebig auf einem Stück Trockenfleisch herum. So wie es aussah, konnte man meinen, das Trockenfleisch leiste ausgiebig Widerstand.
Walt deutete auf einen freien Hocker in der Nähe. »Was dagegen, wenn ich mich einen Moment dazu setze?« fragte er.
Der Mann, der seine Weste flickte, machte eine Kopfbewegung Richtung Hocker.
»Warum nicht?«, erwiderte er. Sein Ton war weder einladend noch ablehnend.
Sein Kamerad mit dem Trockenfleisch starrte Walt stirnrunzelnd an.
»Ich kenne Euch …«, sagte er nachdenklich und man merkte ihm an, wie er überlegte. Dann fiel es ihm ein. »Ihr habt uns in der Schlacht unterstützt!«, rief er aus. »Wir wurden zurückgedrängt und plötzlich wart Ihr da und habt uns wieder nach vorne gebracht. Das war eine beeindruckende Leistung. Wirklich beeindruckend!« Der Mann drehte sich jetzt zu den anderen. »Habt ihr das nicht gesehen? Zuerst hat er mindestens ein Dutzend Wargals mit Pfeil und Bogen erledigt und danach ist er geradewegs auf sie losgegangen und hat mit dem Messer um sich gestochen. Und seht ihn euch an! Er ist ja kaum größer als ein Junge.«
Bei dieser Aussage hob Walt eine Augenbraue. Er war zwar nicht der Größte, aber dies schien ihm nun doch etwas übertrieben. Ihm war aber klar, dass dies nicht als Beleidigung gedacht war, also ging er auf die Bemerkung nicht weiter ein.
»Euer Feldwebel hat mir geholfen«, sagte er.
Sein Gegenüber nickte heftig. »Das hat er! Er hat weitergekämpft, als Ihr zu Boden gegangen seid. Muss auch mindestens ein Dutzend von denen niedergemacht haben!«
Walt lächelte. Der Mann neigte zur Übertreibung.
»Er hat hervorragende Arbeit geleistet«, stimmte er jedoch zu.
Der Mann drehte sich zu seinen Freunden. »Habt ihr das auch gesehen?«
Beide schüttelten die Köpfe.
»Wir waren weiter rechts«, antwortete der mit der Weste. »Alles was wir sahen, war, dass die Front schon dabei war, sich aufzulösen, als es plötzlich doch wieder vorwärtsging. Und dann mussten nicht wir fliehen, sondern die Wargals.«
Doch die Frage des Kameraden mit dem Trockenfleisch war eigentlich nur rhetorischer Natur gewesen. Der Mann war nur zu erpicht darauf, seine Geschichte zu erzählen.
»Der Feldwebel hat vier oder fünf mit seinem Speer erwischt. Als ihm einer die Speerspitze abschlug, kämpfte er mit dem bloßen Holz weiter und mähte die Wargals nieder. Dann packte er ein Schwert und tötete mindestens acht oder neun, bis sie ihn erwischten.« Er blickte zu Walt zur Bestätigung. »Ihr habt es doch auch gesehen, Waldläufer! Wie viele waren es, meint Ihr?«
»Wie Ihr sagtet, mindestens acht oder neun«, sagte Walt. Er sah keinen Grund, dem Mann zu widersprechen. Die Atmosphäre war plötzlich deutlich freundlicher. »Ich wüsste gern etwas mehr über ihn«, erklärte er. »Hat jemand eine Ahnung, woher er kam?«
Zu seiner Enttäuschung verzogen alle drei bedauernd das Gesicht.
»Tut mir leid«, sagte der Mann, der Daniels Taten und Mut so gelobt hatte. »Er war neu in der Gegend und auch in der Einheit. Wurde aber ziemlich schnell befördert.«
»Stimmt«, bestätigte einer der anderen und legte die geflickte Weste beiseite. »Der Hauptmann war von seinem Einsatz begeistert und machte ihn dann auch gleich zum Feldwebel. Anscheinend hatte er in Norgate schon Erfahrungen in der Armee gesammelt, bevor er nach Aspienne kam.«
»Er wurde so schnell befördert, dass wir eigentlich gar keine Zeit hatten, ihn näher kennenzulernen«, sagte der Mann, der geschnitzt hatte. »Ich hörte, wie er mal einen Bauernhof erwähnte …«
Er brach ab. Offenbar wusste er nicht so recht, was er noch sagen sollte. Ein unangenehmes Schweigen breitete sich aus. Walt stützte sich ab, um vom Hocker aufzustehen, sehr frustriert, dass seine Bemühungen, Daniels Familie ausfindig zu machen, anscheinend zur Erfolglosigkeit verdammt waren. Da fiel jedoch einem der Männer noch etwas ein. »Ihr könntet es bei Kord und Jerrel versuchen«, sagte er. »Die könnten etwas wissen.«
»Wenn sie es Euch dann auch verraten«, warf der Mann mit der Weste ein. Walt blickte fragend von einem zum anderen. »Ich habe das Gefühl, Ihr mögt die beiden nicht gerade?«
Die drei Männer tauschten Blicke aus. Dann antwortete derjenige, der ursprünglich die beiden Namen genannt hatte.
»Es sind zwei ziemliche Gauner. Sie spielen gern mit Würfeln. Anfangs versuchten sie, sich mit Daniel anzufreunden, luden ihn ein mitzuspielen. Ich vermute, dass sie ihn zunächst gewinnen ließen, um sich bei ihm einzuschmeicheln. Doch er durchschaute ihre Spielchen und bald bekamen sie ausreichend anstrengende Pflichten übertragen. Also war die Freundschaft schnell vorbei.«
»Und wie kommt Ihr darauf, dass sie wüssten, wo er wohnte?«, fragte Walt.
Wieder gab es eine unangenehme Pause. Schließlich sprach der Holzschnitzer.
»Das wollen sie immer von allen wissen. Ständig stellen sie einem Fragen, woher man kommt und was man zu Hause so macht. Ich kann nichts beweisen, aber ich schätze, sie haben sich alles notiert, um nach dem Krieg dorthin zu gehen und die Leute zu bestehlen.«
»Besonders die Familien jener, die in der Schlacht umkamen«, warf der mit der Weste aufgebracht ein. »Schließlich sind die dann leichte Beute. So etwas ist ihnen jedenfalls zuzutrauen, jawohl. Und deswegen wissen sie wahrscheinlich, wo der Bauernhof von Daniel ist.«
»Das Problem wird sein, sie dazu zu bekommen, es Euch zu verraten«, sagte der mit dem Trockenfleisch und die anderen nickten.
Walt sah in ihren Gesichtern den Abscheu, den die Männer für diese beiden Halunken namens Kord und Jerrel verspürten.
»Wie könnte ich die beiden denn kennenlernen?«, fragte er.
Der Mann mit der Weste wiegte den Kopf.
»Am besten würfelt Ihr mit ihnen«, sagte er. »Aber passt auf, dass sie Euch nicht das letzte Hemd abnehmen.«
Fünf
Der Soldat Jerrel arbeitete an einem Würfelpaar. Den ersten Würfel hatte er bereits fertig und mit dem zweiten würde er auch nicht mehr lange brauchen. Er feilte sorgfältig an zwei der scharfen Kanten, rundete sie leicht ab, damit sie mit großer Wahrscheinlichkeit auf die vorbestimmte Seite fielen und öfter als normalerweise eine Sechs zeigten. Diese Methode, die Würfel zu präparieren, war nicht so verlässlich wie seine ursprüngliche. Dabei hatte er vorsichtig Gewichte in die Würfel eingebracht, damit sie mit der vorbestimmten Seite nach oben fielen. Doch die Abrundung der Kanten steigerte immerhin seine Gewinnchancen.
In seiner Tasche hatte er noch ein Paar der Würfel mit besonderem Gewicht, sorgfältig austariert, um eins und zwei zu zeigen. Doch Würfel mit Gewichten zu präparieren war eine nicht ganz einfache Angelegenheit. Es machte mehr Arbeit und vor allem dauerte es, bis man alle verräterischen Zeichen wieder entfernt hatte. Sein anderes Paar war dummerweise erst vor Kurzem von einem vorbeikommenden Offizier konfisziert worden. Deshalb musste er nun mit dem Abrunden Vorlieb nehmen, um Ersatz zu schaffen. Man brauchte zwei Paar präparierte Würfel, um ein Opfer auszunehmen. Das eine Paar benutzte man, um das Opfer an die Angel zu bekommen, indem man es die ersten Male gewinnen ließ. Wenn derjenige dann dachte, er hätte eine Glückssträhne, schlug man vor, die Einsätze zu erhöhen. Sobald er einverstanden war, vertauschte man die Würfel, sodass das Opfer auf einmal nur noch Pech hatte.
Ein Schatten fiel in den Zelteingang und Jerrel schob den Würfel und die kleine Feile hastig unter eine Decke. Einen Moment lang war der Zelteingang ausgefüllt von einem zögernd eintretenden Mann. Jerrel blickte missmutig auf. Der Neuankömmling trug einen Leinensack, in dem sich wohl seine Habseligkeiten befanden, und dazu ein Schwert im Schwertgurt. Gekleidet war er in die Uniform eines Soldaten mit dem schwarzen Dachs auf der linken Brustseite. Unschlüssig blickte der Fremde sich im Zelt um. Dann sah er eine leere Matratze, auf die er seine Habseligkeiten fallen ließ.
»Wer zum Teufel bist du denn?«, fragte Kord. Er hatte auf seiner Matratze auf der gegenüberliegenden Seite des Zeltes gelegen und die Abneigung in seiner Stimme war unüberhörbar. Er und Jerrel hatten es genossen, das Zelt für sich zu haben. Ihre Zeltgenossen waren in der Schlacht getötet oder verwundet worden. Jetzt bekamen sie anscheinend neue Gesellschaft.
»Heiße Arratay«, stellte sich der Neuankömmling vor. »Wurde von der zweiten Einheit verlegt. Der Hauptmann befahl mir, hier Quartier zu nehmen.«
Er war ein relativ kleiner Mann, fast zierlich, aber mit breiten Schultern und kräftigen Oberarmen. Sein Bart und sein Haar waren schlecht geschnitten und verfilzt. Um den Kopf hatte er einen blutdurchtränkten Verband. Das Haar darüber war schwarz, die Augen waren ebenfalls dunkel und hatten einen durchdringenden Blick.
Wie ein Raubvogel, dachte Jerrel und musste grinsen. Es war eher wahrscheinlich, dass der Fremde selbst Opfer eines Raubes wurde – sobald die Würfel zu Ende präpariert waren.
Dennoch wollte Jerrel den Fremden nicht im gleichen Zelt haben.
»Such dir ’ne andere Koje«, fuhr er ihn an. »Unser Zelt ist voll besetzt.«
»Aber ihr seid doch nur zu zweit«, wandte Arratay völlig zutreffend ein und sah sich im Zelt um.
»Du hast ihn doch gehört«, fuhr Kord ihn an. »Und jetzt schau, dass du weiterkommst.«
Arratay zuckte mit den Schultern. »Wenn du meinst …«
»Tu ich«, sagte Kord. »Also hau ab!«
Mit einem Schulterzucken nahm der Neuling seinen Leinensack und verließ das Zelt.
Jerrel grinste Kord an. Das war einfach, dachte er. Gleich darauf verzog er jedoch das Gesicht, als er eine laute Stimme vor dem Zelt hörte.
»Du da! A-rattee – oder wie du dich nennst! Wo willst du denn hin? Hab ich dir nicht gesagt, du sollst dich im Zelt dreiundvierzig stationieren?«
»Das Zelt ist voll, Adjutant Griff«, erwiderte Arratay.
»Den Teufel ist es!« Kord und Jerrel tauschten genervte Blicke aus, als sie hörten, wie Schritte sich näherten. Dann wurde die Zeltklappe zurückgeschlagen und die untersetzte Gestalt von Adjutant Griff erschien im Eingang.
»Voll, voll! Was soll das heißen: voll? Voll hab ich höchstens die Schnauze!« Er sah die beiden Zeltinsassen aufgebracht an. »Ihr zwei macht Platz!«, bellte er.
»Zu Befehl, Adjutant Griff«, antwortete Jerrel mürrisch. Kord stieß ein nicht weniger mürrisches Grunzen hervor. Als Arratay wieder ins Zelt trat, stellte sich Griff mit in die Seiten gestemmten Händen vor ihn.
»Und was dich betrifft, du kannst dich sofort in der Feldküche melden und den restlichen Tag Kochtöpfe schrubben. Dann merkst du dir vielleicht das nächste Mal, dass man in der Armee immer das tut, was einem befohlen wird. Verstanden?«
»Ja, Adjutant Griff«, antwortete der schmächtige Mann mit niedergeschlagenem Blick und vermied es, dem aufgebrachten Offizier in die Augen zu sehen. Doch als Griff hinausmarschierte, machte er hinter dessen Rücken eine beleidigende Geste. Mit einem Schulterzucken drehte er sich zu Jerrel und Kord.
»Tut mir leid«, sagte er.
Jerrel und Kord sahen sich kurz an, dann stand Jerrel auf, nahm Arratays Sack und legte ihn auf eine freie Matratze.
»Kann man nichts machen. Griff ist einfach ein echter Vollidiot. Sieh lieber zu, dass du in die Feldküche kommst, sonst tritt er dir gleich wieder auf die Füße.«
Er warf Kord einen Blick zu. Sobald Arratay weg wäre, könnten sie seine Sachen durchsuchen und schauen, ob es irgendetwas gab, was es wert war, gestohlen zu werden.
Kord nickte unauffällig. Er hatte den gleichen Gedanken.
Arratay seufzte und drehte sich um. Als er am Zelteingang war, rief Kord ihm nach: »Vielleicht hast du ja nach der Arbeit Lust auf ein kleines Würfelspiel?«
Arratay nickte mit einem Lächeln. »Das hört sich nach jeder Menge Spaß an.«
In gespielter Ratlosigkeit hob Kord ausholend die Hände.
»Schon wieder so ein Wurf! Hast du immer so viel Glück, Arratay?«
Der schmächtige Soldat grinste glücklich, während er seinen Gewinn einstrich. Er hatte dreimal nacheinander die meisten Punkte erwürfelt und jetzt lag ein respektabler Stoß an Münzen auf dem niedrigen Tisch, an dem sie saßen.
»Ist wohl einfach mein Glückstag«, sagte er, schob einen neuen Wetteinsatz vor und schüttelte die Würfel in der Tasse. Die viereckigen Knochenstücke klapperten, dann schüttete er sie auf den Tisch.
»Schon wieder zweimal die Sechs!«, rief Jerrel aus. »Ich glaube es einfach nicht!« Er blickte zu Kord. »Anscheinend haben wir einen Profi ins Zelt bekommen.« Kord nickte düster, doch Arratay lachte nur.
»Damit kannst du gewiss nicht mich meinen. Für mich gibt es immer nur ein ordentliches Leben und ein sauberes Gewissen, das ist alles. Sollen wir die Einsätze erhöhen?«, fügte er beiläufig hinzu. Der schnelle, verstohlene Blick, der zwischen den beiden Männern ausgetauscht wurde, entging ihm nicht.
Kord stimmte nach einem kurzen, gespielten Zögern zu. »Na ja, es ist wahrscheinlich verrückt, aber warum nicht? So haben wir vielleicht eine Chance, etwas von unserem Geld zurückzugewinnen.«
»Oder ich nehme euch noch schneller alles ab«, grinste Arratay. Er schob wieder seinen Wetteinsatz in die Mitte, wartete, bis die anderen ihren Einsatz gemacht hatten, dann würfelte er erneut. Elf dieses Mal, aber dennoch schon so gut wie gewonnen.
»Kannst du nichts anderes als Fünfen und Sechsen würfeln?«, sagte Jerrel.
»Nicht, wenn ich einen so guten Lauf habe.« Arratay grinste. Doch seine Augen wurden schmal, als er merkte, dass Kord ihn diesmal nicht selbst die Würfel einsammeln ließ, sondern sie blitzschnell eingesammelt hatte und sie ihm dann reichte.
Er hat den Austausch vorgenommen, registrierte Walt, um den es sich hier natürlich in Wirklichkeit handelte. Er nahm die Würfel, warf sie in die Tasse, schüttelte und ließ sie auf den Tisch rollen.
Seine beiden Spielgenossen johlten ironisch, als die Würfel diesmal eine zwei und eine Eins zeigten.
»Drei!«, sagte Jerrel. »Und das wurde auch wirklich Zeit!«