Die deutsche Karikatur im 19. Jahrhundert - Hermann, Georg - kostenlos E-Book

Die deutsche Karikatur im 19. Jahrhundert E-Book

Georg, Hermann

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The Project Gutenberg EBook of Die deutsche Karikatur im 19. Jahrhundert, by Georg HermannThis eBook is for the use of anyone anywhere at no cost and withalmost no restrictions whatsoever.  You may copy it, give it away orre-use it under the terms of the Project Gutenberg License includedwith this eBook or online at www.gutenberg.org/licenseTitle: Die deutsche Karikatur im 19. JahrhundertAuthor: Georg HermannRelease Date: May 30, 2016 [EBook #52185]Language: German*** START OF THIS PROJECT GUTENBERG EBOOK DIE DEUTSCHE KARIKATUR ***Produced by Peter Becker and the Online DistributedProofreading Team at http://www.pgdp.net

Liebhaber-Ausgaben

Sammlung Illustrierter Monographien

Herausgegeben in Verbindung mit Anderen

von

Hanns von Zobeltitz

2.

Die deutsche Karikaturim 19. Jahrhundert

Bielefeld und Leipzig

Verlag von Velhagen & Klasing 1901

Die deutsche Karikaturim 19. Jahrhundert

Von

Georg Hermann

Mit 6 Kunstbeilagen und 177 Abbildungen

Bielefeld und LeipzigVerlag von Velhagen & Klasing 1901

Alle Rechte vorbehalten.

Druck von Fischer & Wittig in Leipzig.

Vorwort.

Es soll in Folgendem der Versuch gemacht werden, einen Überblick zu geben über die wichtigsten Erscheinungen der deutschen politischen und sozialen Karikatur, sowie unserer humoristischen Zeichnung im neunzehnten Jahrhundert.

Und wenn es vielleicht sich ermöglichen ließe, zu erkennen, welche Bahnen diese Schaffensart technisch, geistig, künstlerisch durchlaufen hat; wenn es gelingen sollte, hie und da den Kontakt mit der Zeitgeschichte zu bestimmen; wenn es glücken sollte, einmal die Rolle zu umschreiben, welche die Karikatur im Leben einer Epoche gespielt hat, glücken sollte, zu verstehen, wie in ihr die feinen Äußerungen des gesellschaftlichen Beieinander, der Geistes- und Gemütskultur Deutschlands Widerhall gefunden haben, und wie in ihr das zu festen Formen erstarrte, was sonst der rasche Tag hinweggerafft hätte, — ich meine all das, was neben der Geschichte ist, und eben zu zart, zu flüchtig, zu wechselnd, als daß es Klio mit ehernem Griffel in ihre ehernen Tafeln ritzen könnte ... wenn es glücken sollte, einem oder dem andern dieser Dinge nur annähernd gerecht zu werden, so will der Verfasser mehr denn zufrieden sein.

Aber zu guter Stunde sei es gesagt, um den Ruhm, ein brauchbares Nachschlagebuch zu schaffen, welches nur alles irgendwie wissenswerte Material enthielte, geizt er nicht. Der nach allen Seiten überquellende Reichtum des Stoffes ließe sich auch nicht in einem Büchelchen, wie dem vorliegenden — und sei es selbst in Gestalt der nüchternsten Nomenclatur — bändigen. Es kann sich darin nur um einen flüchtigen Überblick, einen kleinen Spaziergang durch dieses interessante Gebiet handeln.

So wird zwar das Werkchen des streng wissenschaftlichen Charakters entbehren, aber vielleicht wird es dennoch Freunde finden; allein schon deshalb, weil es sich mit einem Stoff beschäftigt, der in den letzten Jahren mehr und mehr in den Vordergrund der künstlerischen Anteilnahme gerückt ist, und der uns heute reizvoller und schätzenswerter, als je, erscheint.

Ich bin in meinen Arbeiten in freundlicher Weise durch Bibliotheken, Museen, Verleger, Sammler unterstützt worden und sage hiermit allen — besonders aber den Herren Braun und Schneider, Bassermann (München), Herrn A. Hofmann und Emanuel Mai (Berlin) — meinen Dank.

Berlin, im Mai 1900.

Georg Hermann.

Nach einer farbigen Lithographie von L. Baltz (mutmaßlich Pseudonym für Löffler). Um 1855. (Sammlung v. Lipperheide.)
Abb. 1. Daniel Chodowiecki: Leiste mit Karikaturen. (Originalgröße.)

Die einzige Arbeit, welche bisher die gesamte deutsche Karikatur im Zusammenhange darzustellen sich bemüht, hat den französischen Kenner dieser Materie J. Grand-Carteret zum Verfasser. Sie erschien in Paris 1885 und beleuchtet infolgedessen noch nicht die letzte, so interessante Phase der deutschen Karikatur, welche sich fast wie absichtlich in Gegensatz zu der jeder früheren Epoche setzt. Das Werk Grand-Carterets hat den großen Vorzug, eine — wenn auch noch lückenhafte — so doch überaus fleißige und dankenswerte Zusammenstellung des Materials zu liefern und durch die biographischen Notizen über die Künstler, sowie durch einen gewissenhaften Katalog der periodisch erscheinenden und erschienenen illustrierten humoristischen und politisch-satirischen Blätter jedem Späteren viel Mühe und Arbeit zu ersparen. Während Grand-Carteret die Karikatur — man fasse hier diesen Begriff im weitesten Sinne, als Sammelwort für Darstellungen jeder Art, welche in der Absicht geschaffen sind, unsere Heiterkeit, unsere lachende Anteilnahme, unseren bitteren Spott, unsere Verachtung zu erregen; man nehme Sittenschilderung, wie politische Satire in ihm auf; ja selbst das zwecklose, liebenswürdige Spiel der künstlerischen Phantasie rechne man zu ihm — während der Franzose also die deutsche Karikatur, soweit die deutsche Zunge klingt, in den Rahmen seiner Besprechung aufnimmt, Deutschland, Oesterreich, Schweiz, wird der Schreiber nur die Arbeiten Deutschlands im neunzehnten Jahrhundert berücksichtigen. Wenn er trotzdem den Schweizer Toepfer in der Debatte zu Worte kommen lassen wird, so erscheint ihm dieser zuerst als Künstler von Interesse, und er muß als geistiger Ahne des größten niederdeutschen Humoristen und Zeichners Wilhelm Busch unserer doppelten Anteilnahme gewiß sein.

Was man dem Werk Grand-Carterets zum Vorwurf machen könnte, ist einzig und allein in der Herkunft des Verfassers begründet. Nicht, daß es irgendwie tendenziös färbte, — in diesen Fehler verfällt er nur selten, — aber wie ist es überhaupt denkbar, daß ein Mensch anderer Rasse volles, eingehendes Nachempfinden für alle Eigenheiten deutscher Arbeiten haben könnte; und wie kann es ihm möglich sein, sich in das einzuleben, was die intimsten Eigenheiten fremder Volksseele offenbart? Ja, uns, die doch Sprache, Denken, tausend Erscheinungen der Rasse, des Empfindens unbewußt miteinander verbindet, wie schwer wird es schon uns, den Witz, den Humor, die Karikatur einer vergangenen Epoche, läge sie nur fünfzig Jahre zurück, zu verstehen, sich da hineinzufinden; und wir haben doch schon durch Geburt vor jenen hierin einen Vorsprung voraus, den selbst das ernsteste Streben nicht wett zu machen vermag. Alles, was Grand-Carteret durch Arbeit und Gewissenhaftigkeit erreichen konnte, ist erreicht; und wenn er meines Erachtens trotzdem zum Verständnis der Bewegung nichts von Belang beigebracht hat, so hat das seine Begründung in einem Etwas, welches stärker ist als er.

Was in der Arbeit Grand-Carterets besonders vermißt wird, ist das Eingehen auf künstlerische Eigenart einzelner Zeichner, wie ganzer Epochen, und der Hinweis auf die fundamentalen Änderungen, welche die fortschreitende Entwickelung der Vervielfältigungsverfahren mit sich brachte. Ebenso scheint mir die Entwickelung und Wandlung der humoristischen und satirischen Momente, die vollkommene Umgestaltung unserer seelischen Struktur im Laufe eines Jahrhunderts — das, was eigentlich der leitende Gedanke sein müßte, — nirgends hervorgehoben.

Abb. 2. Neujahrswunsch um 1800. (Sammlung v. Lipperheide.)

Es wäre also eine ebenso verdienstvolle, wie schwierige Aufgabe, einmal eine Geschichte der deutschen Karikatur zu schreiben, in der die Entwickelungslinien deutlich gezeichnet wären. Der Verfasser müßte als Künstler, als Historiker, als kulturgeschichtlicher Forscher gleich verständnisvoll dem Thema gegenüberstehen. Dieses Buch fehlt uns, wie das liebe Brot; aber wer hätte wohl Mut und Fähigkeiten genug, um diese Herkulesarbeit zu bewältigen?

Abb. 3–5. »Nürnberger Schimpfwörter.« Um 1790.

Und daß der leitende Gedanke dieser Entwickelung auch anderwärts nirgends betont wird, das ist es, was mich davon abhält, der Begründung und philosophischen Klärung der Begriffe nachzugehen, mit welchen wir uns hier befassen werden. Mit all den geistvollen, ästhetischen Erörterungen fördern wir nichts; denn nirgends ist berücksichtigt, daß der Witz, Humor, die Karikatur Wandlungen unterworfen sind, sich abnutzen, Neuem Platz machen; daß das, was vor fünfzig Jahren noch als komisch, humorvoll, karikaturistisch erschien, was die Menschen in Fröhlichkeit versetzte, uns nicht mehr lachen macht, in uns nicht mehr die Gefühle auslöst, welche erst den Dingen ihre Tendenz, ihren Gehalt geben. Ein Messer, mit dem man nicht mehr schneiden kann, ist und bleibt nur ein Stück Metall, und wenn es auch zehnmal die Gestalt eines Messers hätte. Und ebensowenig, wie uns diese fernen Dinge heute noch ergötzen, würde von Früheren unsere heutige Heiterkeit und ihre Gründe begriffen werden. Was würde ein Jemand von vor hundert Jahren über uns denken, wenn wir vor einem Th. Th. Heine ihm sagten: Sieh' einmal: diese Linie erregt schon — nur als abstrakte Linie — durch ihre bizarre Bewegung eine Heiterkeit, oder ich finde in dem absichtlichen Mißklang dieser Farbenzusammenstellung einen Grund zum Lachen. Und so gut diese Dinge nichts Feststehendes in der Zeit haben, nur in ewigem Wandel, in steter Veränderung ihr Leben fristen können, ebenso sehr wird ihre völlige Verschiedenheit bestimmt durch örtliche Entfernung, ist sie den Unterschieden der Rasse unterworfen. Jedes Volk hat seinen Witz; überall äußert er sich anders, — allein schon der norddeutsche Witz ist dem Süddeutschen oft unverständlich, und der Norddeutsche möchte heute umgekehrt den des Süddeutschen flach und nichtssagend finden. Rassenerbteil, Bildungshöhe, Sittlichkeit, Denkschnelle, geistige Behäbigkeit, alles, alles beeinflußt den Witz, scheint ihn in seinen Grundfesten umzuwandeln, und ich möchte es leugnen, daß Humor, Witz, Karikatur überall und stets von den gleichen Quellen unseres Geistes genährt werden und genährt wurden.

Abb. 6. »Herr Alt und Frau Jung.« Handkoloriertes Blatt; um 1810. (Sammlung v. Lipperheide.)

Gerade, daß sich all diese Deutungen so wenig mit der bildenden Kunst befassen, nirgends eine Analyse bildlicher Darstellung bieten, stets das geistige, aber selten das rein ästhetische Moment betonen, macht es uns desto leichter, über sie hinwegzugehen. Nein, mich dünkt auch für unser Seelenleben gibt es keine Ewigkeitswerte, und mit dem Witz des Wortes und des Bildes ändern sich auch seine Ursachen und Wirkungen; lassen wir diese Frage offen, nur soviel: Weder scheint mir das Komische in einer Auflösung des Erwarteten begründet, noch möchte ich mich dem zuwenden, daß das Lustgefühl beim Komischen ein gemischtes ist, und daß es im Anschwellen, Überheben unseres Ichs dem Dargestellten gegenüber wurzelt, im Gegensatze zum Erhabenen, welches ein Verdrängen, Unterdrücken unseres Ichs hervorbringt. Gerade in der modernen Karikatur sind Momente hinzugetreten, welche meines Erachtens in keiner Deutung restlos aufgehen, und deren Wirkung auf mich von keiner der Erklärungen gedeckt wird, nicht von der eines Kant, Jean Paul, Vischer, noch von der moderner Psychologen, eines Hecker, Kraepelin, Lipps.

Abb. 7. Matthieu Oesterreich: Gesellschaftsstudie 1752. (Verkleinert.)

Für die Zwitterstellung, welche die Karikatur in der Kunst einnimmt, indem sie in einer bestimmten Absicht geschaffen wird und vielfach Dinge gibt, die eigentlich in das Gebiet des gesprochenen Wortes fallen, die Grenzen der bildlichen Darstellung verschieben und überschreiten, — für diese eigentümliche Stellung scheint es mir nicht ohne Belang, daß viele Schriftsteller — Künstler des Wortes — bis in die modernste Zeit, bis auf Johannes Schlafs »geschundenen Pegasus«, den Hang zur bildlichen Karikatur gezeigt haben, und daß wirklich oftmals hier eine starke Begabung mit der litterarischen Hand in Hand ging. Die Schöpfungen sind meist nicht reif genug, um hier Raum zu finden; selbst die bekannten Karikaturen Schillers »Abenteuer des neuen Telemachs« sind zu dilettantisch, um ernst beurteilt zu werden. Eigenartig, bizarr, von leichter Hand, zeigt sich vor allem nur Theodor Amadeus Hoffmann, in dem sicherlich das Zeug zu einem der merkwürdigsten Karikaturenzeichner des beginnenden neunzehnten Jahrhunderts gesteckt hat. Seine phantastischen Gestalten, — wie die des wahnsinnigen Kreislers, — sind Ausgeburten krankhafter Phantasie, Bilder eines zweiten Gesichts, grause Spukgestalten von satanischem Humor, wie sie schreckhaft starre Augen in Fieberträumen zu sehen wähnen. Gerade diese Note, welche wir z. B. in dem Spanier Goya, bei Jacques Callot und in dem Belgier Félicien Rops wiederfinden, ist bis heute der deutschen Karikatur fast vollends fremd geblieben, und doch möchte auch sie bei uns einer eigenen Entwickelung fähig sein.

Abb. 8. Spottbild auf die Gallsche Schädellehre. Um 1800.

Wir haben zu unterscheiden zwischen humoristischer und karikaturistischer Zeichnung. Die erste schafft tendenzlos, nur die eine Absicht kennend, uns ihr Lachen mitzuteilen. Sie will nicht beleuchten, aufreizen oder beruhigen, wandeln oder bessern, das Ethische tritt vollends hinter dem Ästhetischen zurück; sie treibt ein zweckloses, frei-künstlerisches Spiel mit den Dingen und will uns nur ihre Weltanschauung vermitteln, eben jene, welche man Humor nennt. Friedrich Theodor Vischer sagt vom Humor: Als poetische Thätigkeit bringt er ein Ganzes aus sich heraus, ein Kunstwerk, das von ihm durchdrungen ist, — und geistvoll trifft Vischer ferner seine Eigenheiten: »Der unendliche Widerspruch von Höhe und Niedrigkeit in der Menschenwelt, die rührend-komische Wahrheit, daß der große Mensch so klein, dieses weisheitsvollste Wesen so kindisch, schildert er erfinderisch in den individuellsten Kollisionen, aber immer (?) mild und mit Liebe. Der Humor ist voll Unschuld, aber es ist nicht die einfache Unschuld eines Kindes, sondern eine solche, die durch innere Wehen, durch Zerrissenheit, Kampf, Schuldbewußtsein hindurchgegangen ist, und sich wieder mit ihrem Gott versöhnt hat. Diesen Kampf, die Erfahrung des Abfalls vom Unendlichen, die Erkenntnis des Bösen, die Zerstörung der jugendlich schönen Illusionen setzt der Humor allerdings voraus.« Uns muß diese Auslassung um so wichtiger erscheinen, weil sie aus dem Jahre 1837 von dem Gleichen stammt, der im Jahre 1880 in Verkennung gerade dieser, hier so scharfsinnig gedeuteten Thatsachen, Wilhelm Busch Pornographie vorwarf. — Die humoristische Zeichnung ist es vorzüglich, welche der steten Wandlung und Umgestaltung unterworfen ist, und welche am reinsten deutsche Eigenart ausspricht; sie hat bei uns die höchste künstlerische Form erreicht, im Gegensatz zu Frankreich, wo sich seit Mitte des Jahrhunderts besonders soziale und politische Karikatur in unerreichter Kraft und Vollkommenheit auslebt.

Abb. 9. Daniel Hildebrandt (Daniel Heß): Der Scharringelhof, Blatt 5. 1801. (Verkleinert.)

Die soziale Karikatur, welche erst ganz neuerdings in Deutschland mit dem klaren Bewußtsein des Klassenkampfes hervortrat, ist ein Bindeglied zwischen humoristischer Zeichnung und der mit politischer Tendenz, oder sie ist vielleicht nur als eine neue, vornehmere Form der letzten zu betrachten. Sie ordnet die agitatorischen Intentionen den künstlerischen unter, und gerade sie schafft die intimen, für unsere Zeit eigentümlichen Kunstwerke, während der politischen Karikatur niemand intime Wirkungen nachsagen kann. Vischer bezeichnet die politische Karikatur in seiner Arbeit über satirische Zeichnung als »gemischte Kunst«, und, als fürchte er einen Zusammenstoß seiner Ästhetik mit dem Leben, setzt er hinzu: »Hat man nur erst gründlich eingesehen, daß die Kunst mit Tendenz keine reine ist, so kann man ihr ohne Scheu, mit voller Überzeugung, ihr großes, geschichtliches Recht wiedergeben«. Die Erörterung, welche sich hieran knüpfen müßte, ist müßig, manche der beigegebenen Illustrationen werden zeigen, daß Kunstwert und Tendenz restlos ineinander aufgehen können, und daß in keiner Weise politische Karikatur, nur weil sie handelnd in das öffentliche Leben eingreift, eine subalterne Kunstübung ist; so wenig wie das Schaffen eines Schrankes nun eine niedere Bethätigung wäre, weil dieser Gegenstand neben ästhetischem Genügen noch praktischen Zwecken dient. Jedenfalls hat die politische Karikatur so, wie sie eine eigene Stelle im Leben einnimmt, auch eigene Gesetze in der künstlerischen Wirkung. Eduard Fuchs versucht in seinem »1848 in der Karikatur« die Rolle, welche diese in den politischen Wirren als Kampfmittel gespielt hat, zu schildern: doch ist es schwer und unmöglich, zahlengemäß die Richtigkeit der Ausführungen zu belegen. Besser wären diese Untersuchungen bei der Dreyfußaffaire angebracht gewesen, wo man einmal in Frankreich von Tag zu Tag den Einfluß der führenden Zeichner: Forain, Caran d'Ache, Ibels, Léandre u. s. f. im Psst...!, Sifflet, Rire — auf die Stimmung der Massen hätte erkennen können. Die neuen Arbeiten Grand-Carterets streifen ähnliche Probleme. Eine im Wesen des politischen Bildes begründete Eigenheit ist es, daß sie fast stets auf Seite der Opposition, des Schwächeren, des Unterliegenden steht. Die deutschen Karikaturen, z. B. im Krieg 1870, sind geringfügig, in minderer Anzahl und ohne Stachel, während die Franzosen — als Besiegte — ihrer bittersten Spottlust alle Zügel schießen lassen und eine Unzahl Blätter von gewaltiger, wuchtiger Kraft geschaffen haben, — jedes ein aufstachelndes Kriegslied, flammend, voller Hohn und Verachtung. So wird die politische Karikatur ihren Höhepunkt stets in den Zeiten politischer Erregtheit haben, in ruhigeren wird sie dann wieder ebben, verflachen, um plötzlich wie eine Springwelle von neuem emporzuschnellen. Und schon diese Linie zeigt ihre Stellung im Streite der Mächte und Meinungen, ihre Wichtigkeit als Kampfmittel. Man könnte sie die Biblia pauperum des öffentlichen Lebens nennen. Wie sich die Armenbibel an die wandte, denen das geschriebene, gedruckte Wort kein Leben gewann, um zu ihnen mit der stärkeren Suggestion des bildlichen Eindrucks zu sprechen, so wendet sich die politische Karikatur — vorzüglich die frühere, welche mit sogenannten »fliegenden Blättern«, »Einblattdrucken« oder mit Plakaten das Land überschwemmte — agitatorisch an die breitesten Massen derer, welche nicht scharfsinnig den Bewegungen zu folgen verstehen. Und selbst denen, welche im politischen Leben stehen, will sie, wie in einer Anmerkung, einer glossierenden Fußnote zur Zeitgeschichte, noch einmal in schlagender Weise das vorführen, was hier das Springende ist. Kurz und klar will sie den Sinn erfassen, knapp und scharf ihn zum Ausdruck bringen. Sie will nicht mit uns unterhandeln, uns mit Gründen der Vernunft etwas beweisen, sondern sie will uns blenden, uns überzeugen, ehe wir nachdenken können. Der große Nutzen dieser Kunstübung also ist es, daß sie mit scheinbarem Spiel den indifferenten Massen eine starke Anteilnahme am öffentlichen Leben erhält. Ohne unsere satirisch-politischen Witzblätter würden sich die Leiter der Politik kaum heute einer solchen Volkstümlichkeit erfreuen.

Abb. 10. D. Chodowiecki: Liberté, Égalité, Sansculotte.
Abb. 11. Daniel Chodowiecki: Wallfahrt nach Französisch-Buchholz.
Abb. 12. D. Chodowiecki: Phétion, Marat und das Fischweib.
Abb. 13. Silhouette zu Kortums »Jobsiade«.

Die Beleuchtungsart der politischen Karikatur hat etwas vom elektrischen Scheinwerfer, welcher hier breite Lichtmassen häuft, um sie gegen tiefschwarze Schatten noch greller wirken zu lassen. Diese Art der Beleuchtung zwingt die politische Karikatur in ihren Angriffen scharf und oft ungerecht zu werden, aber das ist eben in ihrem Wesen und ihren Zielen begründet, und man kann es ihr nicht zum Vorwurf machen. Das volle Bewußtsein der Ziele und des Wesens hat der politischen Karikatur in der letzten Zeit, in einem Jüttner, Feininger, Brandt, in den Franzosen Léandre, Forain einen ganz eigenen künstlerischen Stil gegeben. Die Zeichner lernen wie Volksredner Schlagworte münzen, schaffen Bilder, die sie suggestiv uns einprägen; sie schreiben Lapidarschrift, weisen monumentale Züge auf, schreiten im Gegensatz zu aller früheren Karikatur zu einer absichtlichen, kräftigen Einfachheit, Großzügigkeit fort, welche sich trefflich für die Wichtigkeit ihrer Aufgaben eignet; und die Zeit, in der die politische Karikatur, — wie Fuchs sagt, — »als Kampfmittel unterschätzt, in ihren Aufgaben verkannt, als Kunstwerk verachtet wurde«, ist heute vorüber. Gerade die zum Stil gewordene Großzügigkeit zeigt uns, daß hier Fragen im Spiele sind, die hoch über dem kleinen Leben, über dem engen Kreise des Einzelnen stehen. Der Ton der politischen Karikatur klingt jetzt kräftiger und doch vornehmer, wie früher; man bewahrt einen gewissen Anstand dem Gegner gegenüber, und so witzlose, wüste — bildliche und wörtliche — Schimpfereien, wie sie die Fehden der Reformationszeit heraufbeschworen, möchte man heute anderen Gebieten zurechnen. Die Angriffe gegen einzelne Personen sind auch schon heute in der politischen Karikatur — im Verhältnis zu 1848, dem eigentlichen Geburtsjahr der deutschen satirischen und humoristischen Zeichner — seltener geworden; und selbst dieses bedeutet einen Fortschritt; denn man hat nicht mehr das bedrängende Gefühl, daß die Leute in ihren Privatinteressen geschädigt werden, sondern daß, was man in ihnen dem Spott preisgibt, das ist das, was sie vertreten; sie sind nur die Schale, nicht der Kern. Die höchste Form der politischen Karikatur ist die, welche, ohne Persönlichkeiten hineinzuziehen, die Zustände geißelt; denn sie scheint sub specie aeternitatis geschaffen.

Abb. 14. J. H. Ramberg: Aus »Till Eulenspiegel«. (Verkleinert.)

Humoristische und karikaturistische Zeichnung ist in Deutschland jüngeren Datums; daß wir zuerst einen eigenen Stil dieser Kunstübung aufweisen können, liegt kaum fünfzig Jahre zurück. Als verachtet hat sie lange Männer von echter Begabung von sich fern gehalten, und nur Talente dritten Grades haben sich in ihr bethätigt. Daß die meisten Einzelblätter politischer Satire namenlos erschienen sind, ist in der Lage der Dinge begründet; nur selten werden wir die früheren Zeichner feststellen können, oft ist es auch unmöglich, die Beziehungen zu ergründen; doch dann werden es meist Anlässe von geringfügigem Interesse sein, welche wohl der Spezialforschung von Nutzen, aber hier für uns in keiner Weise fördernd wären.

In der ersten Hälfte des achtzehnten Jahrhunderts finden wir keine deutsche Karikatur von irgend welcher Wichtigkeit, weder politisch noch sittengeschichtlich; es scheint überhaupt das Bedürfnis für sie bei den gebildeten Ständen vollends geschwunden zu sein, und nur die niederen Formen der Komik mögen beim Volk ihre Freunde finden. Das politische Leben leidet an der großen Erschlaffung nach schwerer Krankheit; dem Deutschen ist die Lust am Lachen gründlich abhanden gekommen, versiegt mit den Quellen seines Spottes, und bis der deutsche Humor wieder ein eigenes Gewand bekommt, darüber vergehen weitere hundert Jahre. Solange leben wir fast nur von Anleihen bei den Nachbarn oder können uns doch nicht zu einem eigenen Stil ermannen. Der derbe, alte, deutsche Humor, der in den Steinmetzarbeiten des romanischen und gotischen Kirchenschmucks in tausend Formen seinen Ausdruck fand, der selbst im Spiel mit dem Grausigen, wie in Holbeins Totentanz, seine Überkraft offenbart, der in Fischart, in Sebastian Brandts Narrenschiff, in bösartigen, monströsen Satiren der Reformation seine Rechte behauptete, der in der alten Sage vom Reinecke Fuchs so viel Geist und Laune aufwies — er ist vollends vergessen, und wie er sich wieder hervorwagt, da ist aus seiner breiten, totschlagfreudigen Kraft eine armselige Spießbürgerlichkeit geworden, die nicht fähig ist, herzhaft zu lachen, noch weniger, herzhaft zu hassen. Jedes Band, das die politische Zerrissenheit verknüpfen konnte, fehlt, und das, was heute der deutschen Karikatur ihren Reichtum gibt, die Vielheit der Stämme, die Summe der Centren, welche sich unter einer Einheit zusammenfindet, stellt uns, solange diese Einheit fehlt, ihre tiefste Ohnmacht dar. Frankreich hat im Gegensatz zu Deutschland nur eine geistige Kraftcentrale: Paris, während sich in Deutschland eine Reihe von Stätten der Kunst und des Wissens entwickelt hat. Jede zeigt hier ein eigenes Gesicht, und doch werden alle heute von einem gemeinsamen Band gehalten. In dieser Vielheit ist die Größe und Zukunft deutscher Kultur zu sehen.

Abb. 15. Napoleonskarikatur 1813.
Abb. 16. J. M. Volz: Das wahre Porträt des Eroberers. 1813.

Allen politischen Ereignissen des achtzehnten Jahrhunderts gegenüber zeigt sich in der Karikatur eine merkwürdige Anteillosigkeit; selbst die Kriege Friedrichs des Großen finden nur ein geringes Widerspiel, und sogar noch die französische Revolution erreicht kaum eine eigene Berücksichtigung. Die Almanache bringen fast nur Nachbildungen englischer und französischer Arbeiten, und »London und Paris«, eine in Weimar erscheinende Publikation, ist naturgemäß nur mit fremden Blättern, vorzüglich von Gillray, Cruikshank, Rowlandson ausgestattet. Die Schweizer Heß und Duncker sind die Hauptkünstler der politischen Zeichnung der Revolutionszeit. David Heß (1770–1843) steht im Stil ganz unter dem Einfluß der Engländer und hat selbst später an der Manier seiner Jugend festgehalten; und doch muß man ihn zu den befähigtsten deutschen Zeichnern der Epoche zählen. Die »Hollandia Regenerata« (London 1799) befaßt sich mit der Verspottung der französischen Revolution und ihrer Errungenschaften. Sie ist von dem giftigen Witz, jener uns abstoßenden Gefühlsroheit, die auch noch der politischen Karikatur im napoleonischen Zeitalter eigen ist; aber gerade durch ihre scharfe Gehässigkeit, durch Wut und Verachtung wirken diese Blätter noch heute auf uns, besonders da sie auch zeichnerisch nicht uninteressant sind und den Engländern das manierierte, ausdrucksvolle Mienenspiel, die übertriebene Bewegung und das Dramatische des Vorganges gut abgelauscht haben. Diese Blätter sind verkleinert den deutschen Revolutionsalmanachen in Stichen von Schubert und Riepenhausen beigegeben und hier mit langen Erklärungen ad usum Delphini des deutschen Kleinbürgers zugeschnitten worden. In den Almanachen verstreut finden wir hie und da Karikaturistisches, doch wie mager diese Ernte ausfällt, zeigen am besten »Falks Taschenbücher für Freunde des Scherzes und der Satire«, die alles in allem herzlich matt sind. In Berlin sind es Funke und Niegelsohn, die hin und wieder ein Blatt gegen die Revolution nach englischen Vorbildern auf den Markt bringen. Während in der Litteratur der englische Roman, das französische Lustspiel bald verdrängt wurden, ist gerade in unserem Feld nur Nachahmung zu finden; oder die eigenen Erzeugnisse sind von so plumper Form, so handwerksmäßiger Mache, daß es sich kaum lohnt, auf sie hinzuweisen. Und doch lebt unter der Jahrmarktsware, den Neujahrswünschen (Abb. 2), den Blättern mit Ermahnungen, mit symbolischer Darstellung der Laster, der Kleinen wie der Großen, der Moden wie der Sitten, noch etwas wie ein Rest der alten Kraft. Künstlerisch bieten sie uns heute nichts mehr, und besonderen Witz können wir ihnen nicht nachsagen, und doch ist ein Etwas an ihnen, eine Unbefangenheit, die uns gewinnt. — Ein häufiges Motiv ist der arme Podagräer, der schon von Dürer und Hans Sachs her immer wieder daran glauben muß. Alles verhöhnt den alten Sünder, und gibt er seiner schlimmen Laune Worte, erscheint er erst recht jämmerlich und willenlos.

Abb. 17. Wellington und Napoleon I. 1814. Nach Cruikshank.
Mich ärgert jetzt vor Schmerz die Fliege an der Wand,Und da ich fressen will, bin ich es nicht im Stand'.
Abb. 18. J. M. Volz: »Da habe ich einen netten Bock geschossen.« (Verkleinert.)
Abb. 19. Napoleonskarikatur von 1815.

Einen weiteren Grund zur Heiterkeit geben altmodische Typen von Ärzten, gelahrten Herren, Bramarbassen, deren Kleidung und Gebaren, deren originell ernste, aufgeblasene Wichtigkeit den Spott weckt. Man schafft Gestalten, wie den Horribilescribifax oder den »achtbaren und übernatürlich studierten Herrn Vergilius Physicgangius von Grillenberg«, der in sehr »tiefen Spekulationen und Meditationen wohlbedächtig und gemächlich die Straße betritt«. Diese Blätter stammen meistenteils aus Augsburger Offizinen. Oder wir bewundern in der Sammlung »Nürnberger Schimpfwörter« (Nürnberg um 1790) den großen Reichtum an fraglichen Schmeichelworten, mit denen der lebhafte Franke seinen Mitmenschen zu bedenken liebt. Die Figürchen (Abb. 3, 4, 5) sind, wenn auch künstlerisch wertlos, so doch ganz lustig und geschickt ersonnen und geben gut und klar das Gewollte. Ganze Bilderfolgen erzählen von den Übelständen, die daraus erwachsen, wenn alte Männer junge Frauen, oder wenn umgekehrt junge Männer sich mit alten Frauen ehelich verbinden. Wie bescheiden dieser Witz! Bescheiden, wie die Ansprüche des damaligen Lustspiels, und sicherlich hat das Lustspiel hier Pate gestanden. Das beigegebene Blatt (Abb. 6