Der Begriff der Religion im System der Philosophie - Cohen, Hermann - kostenlos E-Book

Der Begriff der Religion im System der Philosophie E-Book

Hermann, Cohen

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The Project Gutenberg EBook of Der Begriff der Religion im System derPhilosophie, by Hermann CohenThis eBook is for the use of anyone anywhere at no cost and withalmost no restrictions whatsoever.  You may copy it, give it away orre-use it under the terms of the Project Gutenberg License includedwith this eBook or online at www.gutenberg.org/licenseTitle: Der Begriff der Religion im System der PhilosophieAuthor: Hermann CohenRelease Date: December 22, 2014 [EBook #47741]Language: German*** START OF THIS PROJECT GUTENBERG EBOOK DER BEGRIFF DER RELIGION IM SYSTEM DER PHILOSOPHIE ***Produced by Jana Srna, Martin Oswald and the OnlineDistributed Proofreading Team at http://www.pgdp.net

Anmerkungen zur Transkription:

Die Rechtschreibung und Zeichensetzung des Originals wurde weitgehend übernommen, lediglich offensichtliche Druckfehler sowie innerhalb des Werkes voneinander abweichende Schreibweisen wurden korrigiert. Am Ende des Textes befindet sich eine Liste korrigierter Druckfehler. Textbereiche, die im Originaltext durch Sperrung hervorgehoben waren, sind auf E-Book-Betrachtern im laufenden Text kursiv, im Register fett wiedergegeben. Das Titelbild für Ebook-Betrachter wurde vom Bearbeiter erzeugt und in die Public Domain eingestellt.

DER BEGRIFF DER RELIGION IM SYSTEM DER PHILOSOPHIE

VON

HERMANN COHEN

VERLAG VON ALFRED TÖPELMANN

(VORMALS J. RICKER) GIESSEN 1915

PHILOSOPHISCHE ARBEITEN

HERAUSGEGEBEN VON

HERMANN COHEN

UND

PAUL NATORP

IN BERLIN

IN MARBURG

X. BAND 1. HEFT

Alle Rechte, insbesondere das Recht der Übersetzung, vorbehalten.

Copyright 1915 by Alfred Töpelmann

(Vorgeschriebener Wortlaut für den Schutz des Urheberrechts in Amerika)

DER MARBURGER SCHULE

IN DANK UND ZUVERSICHT

GEWIDMET

Vorrede.

Die Widmung dieser Schrift ist zu allernächst die schuldige Antwort auf die Sammlung der »Philosophischen Abhandlungen«, mit der die Freunde meinen 70. Geburtstag ausgezeichnet haben. Wie ich nun in dieser Schrift den systematischen Begriff der Religion in dem Begriffe des Individuums zu begründen suche, so wende ich mich auch an die lieben Freunde, die persönlichen Träger und Glieder dieser Schule, mit meinem innigen Danke, mit meinen treuen Wünschen und Hoffnungen für die Erhaltung und Hochhaltung unserer Arbeitsgemeinschaft, der immer neue Anhänger des Geistes unserer Methode sich anschließen mögen.

Das Alter ist die Zeit des Gedenkens. Der Greis hängt sich an die Vergangenheit, wenn er noch so sehr den Blick in die Zukunft sich zu bewahren strebt. Es teilen sich dem Alter auch immer mehr Lebensabschnitte ein, die das Gedenken fruchtbar machen sollen. Auch diese Widmung fällt in die Zeit, in der ich vor funfzig Jahren die philosophische Doktorwürde erlangte. Und obzwar ich von da ab den damaligen Verhältnissen des philosophischen Studiums gemäß eine geraume Wartezeit mir auferlegte, so lenkt sich zugleich jetzt die Erinnerung unwillkürlich zurück an meine Aufnahme in Marburg, die ich nicht überschätze, wenn ich sie als ein bedeutsames Beispiel, vielleicht darf ich sagen, als ein Vorbild in der Geschichte der Habilitationen bezeichne.

Hier muß ich nun wiederum des herrlichen Mannes zuallererst gedenken, der, eine lebendige Personifikation des deutschen Idealismus, nicht nur den Eintritt dort mir ermöglicht, sondern auch mit seinem Ansehen bei dem gesamten Lehrkörper das allgemeine Vertrauen in mein Wollen und Streben alsbald mir geworben und befestigt hat.

Mit Friederich Albert Lange muß mein Gedenken nun auch alle die Männer verknüpfen, die durch ihr sachliches Zutrauen und ihre persönliche Sympathie in diesen ersten Anfängen mein Wirken unterstützten. Alle diese Männer hatten noch das historische Bewußtsein von der Bedeutung der Philosophie überhaupt für das wahrhaftige Leben der Universität. Und wenn sie auch nicht alle meine ersten Arbeiten in eigener Lektüre begleiteten, so hatten sie doch alle die wissenschaftliche Überzeugung, daß ein rechter Weg da angebahnt werde, daß der neue Weg zu Kant einen Einschnitt und einen Aufstieg bedeute in der Laufbahn des deutschen Geistes. Aus allen Wissenschaften und Fakultäten wurde ich durch einsichtige Zustimmung zu der angestrebten Arbeitsweise ermutigt. Sie sind fast alle inzwischen dahingegangen, und ihnen allen habe ich, wenn auch in verschiedenem Grade, zu danken. Nur die Gruppen seien bezeichnet. Mit den Philologen verbanden sich die Historiker und nicht minder die Theologen, aber auch die Naturforscher und Mediziner schenkten mir ihr Interesse für meine literarische, wie auch für meine Lehrtätigkeit, sofern sie in dem Studium der wissenschaftlichen Fächer Blüten hervortrieb.

Die ersten Jahre nach der Gründung des Reiches, der ideale Aufschwung des Nationalbewußtseins im echten deutschen Geiste begünstigte meine ersten Schritte. Als dann aber auch in die philosophische Klause, die in geräuschloser Stille und nur in engen Kreisen arbeiten wollte, die andere Zeitwendung mit ihrer Mißstimmung und Ungunst hereinbrach, da war zuvor schon der Beistand erschienen und rastlos erstarkt, ohne den die Schule nicht zu ihrer Gediegenheit hätte kommen können, der mir selbst in den schweren Kämpfen, die ich für die Sache der Philosophie, wie wir sie bekennen, in wachsender Schärfe zu bestehen hatte, ein starker und zuverlässiger Helfer wurde, und von dessen unermüdlicher Schaffenskraft, wie von seiner Hingebung an alle die großen und die kleineren Aufgaben des philosophischen Lehrers die Zukunft der Schule zu allernächst abhängt: Paul Natorp sei an diesem Lebensabschnitt mein Dank aus tiefster Seele ausgesprochen.

Die Schule besteht von Anfang an nicht nur aus unmittelbaren Schülern, und der Anschluß von außerhalb dürfte ihr höheres Recht bewähren. Einem solchen Freunde habe ich hier noch zu danken für das Dokument einer Gemeinschaft des Geistes und der Gesinnung, das er diesem Büchlein in dem Kunstwerke des Index gestiftet hat. Möge diese Krönung meiner Arbeit weithin nicht nur das Studium ihrer selbst erleichtern, sondern auch für das gesamte System sich als Wegweiser und Führer nützlich erweisen.

So habe ich denn in dem Vorwort dieser Widmung den Weg beschritten, auf den der Grundgedanke dieser Schrift hinweist. Auch hier ist der Begriff der Schule kein Kollektivbegriff geblieben, sondern menschliche Personen hat die Dankbarkeit hervorgehoben: ohne deren Vorarbeit die Schule nicht hätte ins Leben treten können — auf deren Erfolg wir nicht hingearbeitet, nicht hingedacht hatten, deren Erscheinung wir schon unter der Ungunst der allgemein herrschenden Verhältnisse nicht erwarten konnten. Daher beirrt uns aber auch die Situation nicht, die inzwischen eingetreten und der alsbald die große Zeit der Sorgen und der Hoffnungen gefolgt ist. Der wissenschaftliche Charakter, den eine Universität einmal, in einer engsten Richtung selbst, angenommen hat, behält seine Tradition in der Geschichte — zumal wenn er von einer verwandten Geistesrichtung als genius loci bestätigt wird. Und solche Hilfe hat die Theologie in die Annalen der alma mater Philippina für uns eingetragen. Auch diesen Dank möchte diese Schrift über Religion endlich noch andeuten dürfen.

Und so lasset uns unverzagt und unentwegt weiter arbeiten, im unerschütterlichen Vertrauen auf die fortwirkende Gemeinschaft des Geistes in allen Richtungen des deutschen Schaffens mit seiner Philosophie.

Inhaltsverzeichnis.

Seite

I.

Das Problem des Begriffs der Religion im Verhältnis zur Religionsgeschichte und zur Metaphysik

1

II.

Das Verhältnis der Religion zur Logik

16

III.

Das Verhältnis der Religion zur Ethik

32

IV.

Das Verhältnis der Religion zur Ästhetik

85

V.

Das Verhältnis der Religion zur Psychologie

108

Register

141

I. Das Problem des Begriffs der Religion im Verhältnis zur Religionsgeschichte und zur Metaphysik.

1. Den Begriff einer Wissenschaft zu bestimmen, ist überall eine schwierige Aufgabe. Und nicht leichter wahrlich ist die Begriffsbestimmung bei einem Faktum der geistigen Kultur, dessen Charakter als Wissenschaft zweifelhaft ist. Hier scheint die einzige Möglichkeit, zu einem Begriffe zu gelangen, bei der Induktion gelegen. Ihr schwebt der Begriff nur als ein allgemeines Ziel vor, dem Sammlung und Sichtung zugehöriger Tatsachen, soweit das Material sich ausdehnt, dennoch zustreben soll und kann.

Über die Zweideutigkeit, die in dem Symptom der Zugehörigkeit liegt, setzt man sich hinweg. Sie bleibt in der Schwebe mit dem gesuchten Begriffe. Aber wie anders sollte man diesen Begriff erfassen können, erfassen wollen, denn als das Allgemeine, welches das zu suchende Material der Tatsachen unter dem Gesichtspunkte der Zugehörigkeit zu ordnen erdacht wird?

2. So ist in der neueren Zeit die Religionsgeschichte in Aufschwung gekommen, nicht nur kraft des Gewichtes ihres neuen Materials nebst den Einsichten, die dabei mit aufkamen, sondern auch in einem ernsthaften Gegensatze zu aller bisherigen Art, das Faktum der Religion zu erhellen und zu würdigen.

3. Die bisherige Art, die Religion zu beurteilen, war freilich keineswegs eine einheitliche; sie war sogar von einem inneren Widerspruch zentraler Kulturmotive beherrscht: sie war nämlich einerseits innerhalb der Religion selbst, wie als eine Entwickelung und Pflege derselben entstanden und fortgeführt, andererseits aber war sie auf dem Acker der Philosophie gesät und dort gepflügt worden.

Und damit erschöpft sich der Gegensatz noch nicht; denn es ist noch hinzuzunehmen, daß, was im Gebiete der Philosophie entstanden war, auf das der Religion verpflanzt wurde. Man muß daher vielleicht von vornherein ins Auge fassen, daß auch rein religiöses Arbeitsgut in die Philosophie eingeschlichen war, oder gar mit Bewußtsein und Nachdruck von ihr übernommen wurde. So durchschlingen sich hier die Probleme und daher wohl auch die Methoden in Religion und Philosophie.

Schwierige Kreuzungen und Verwirrungen waren dabei unvermeidlich; sie sind ja überall so schwer zu überwinden, wo immer die Grenzfrage zwischen irgendeiner Wissenschaft und der Philosophie erhoben wird. Überall scheint der eine Ausweg nur übrigzubleiben: daß man allein von der Philosophie aus den Begriff einer jeden Wissenschaft, als solcher, zu bilden vermöge. Es dürfte nicht anders stehen bei den Fragen um den Begriff der Mathematik, wie auch um den der Rechtswissenschaft.

So wird es denn begreiflich, daß die Religionsgeschichte wie eine neue Offenbarung erscheinen mochte. Denn die beiden Arten, sich mit der Religion in Verhältnis zu setzen, haben beide Schiffbruch erlitten: sowohl die Philosophie innerhalb der angeblich selbständigen Glaubenslehre, wie die in der Religionsphilosophie, in welcher die Religion selbst durch Philosophie gebunden war. Beide litten an dem allgemeinen Fehler der Deduktion: an der dogmatischen Voraussetzung eines Begriffs der Religion.

Und dabei hatte sich die Philosophie nicht weniger befangen gezeigt als die Religion. Diese konnte sich in den neueren Zeiten noch den Schein historischer Entwicklung beilegen, indem sie das Spätere als das Wahrere erkennen ließ, während die Religionsphilosophie, von der anerkannten Absolutheit ihrer Methode getragen, auch dem Begriffe der Religion an dieser Absolutheit Anteil verlieh.

Die Falschheit der Deduktion schien auch hier ihren Gipfel zu erreichen. Die Religion schien hier aller Bestimmtheit ihres Inhalts verlustig zu gehen. Nur auf die Bergung der Religion im Gesamtgehalt der philosophischen Wahrheiten schien es abgesehen zu sein, mochte darüber immerhin der Sondergehalt der Religion verdunkelt werden und verlorengehen. Wenn nur nach der allgemeinen Schablone das Verhältnis zwischen Subjekt und Objekt auch hier zur Aufstellung kommen kann, so ist mit dem durchherrschenden Grundbegriffe dem Problem der Religion Genüge geschehen.

So standen die Dinge in der Blüte der Religionsphilosophie, die aus Hegels System bei seinen Nachfolgern aufging.

4. Es war begreiflich, daß auf dem Boden der Theologie selbst ein scharfes Mißtrauen und Unbehagen an dieser Metaphysik der Religion entstehen konnte. Und der Grund dieser Abweisung war nicht dahin mißzuverstehen, als ob er auf der Abneigung gegen Philosophie überhaupt beruhte. Albrecht Ritschl hatte gegen die Metaphysik die kritische Philosophie angerufen. Damit war gegen die Unklarheiten, die mit dem Schicksal der Metaphysik verbunden sind, die Heerstraße der Ethik freigemacht für den selbständigen Weg, den nunmehr die Religion geführt werden sollte, den sie jetzt erst einschlagen konnte. Aber jetzt zeigte es sich, daß die Notlage der Religion mehr in der Philosophie als in der Theologie wurzelt.

Als Ritschl an die Ethik Kants sich anschloß, konnten nur diejenigen seine wahrhaften Anhänger werden, die die philosophische Reife hatten, die Ethik Kants in ihrer vollen Systematik zu begreifen und ihr Begriffsspiel zu beherrschen. Für diese Wenigen war ein genau begrenzter begrifflicher Ausgangspunkt gewonnen, von dem aus die Spekulation ihren methodischen Weg nehmen konnte, um die Eigenart und die Selbständigkeit der Religion sicherzustellen. Denn der Leitgedanke war sicherlich ein richtiger, der die Selbständigkeit oder zum mindesten die Eigenart der Religion zum Problem machte.

Über diese engere Frage war noch keine Entscheidung getroffen worden. Die Hauptfrage mußte erst gestellt und durchberaten werden: wie steht es um das Verhältnis zwischen Religion und Ethik? Nur auf Grund dieser Verhältnisbestimmung konnte die Forderung aufrechterhalten werden, den Begriff der Religion in ihrer Eigenart zu bestimmen.

5. Es braucht nur auf die leidige Tatsache hingewiesen zu werden, daß die Weisheit Kants keineswegs zum Gemeingut unserer wissenschaftlichen Kultur geworden ist; nicht einmal in der streng theoretischen, geschweige auf den schweifenden Gebieten einer logischen Methodik. Und doch muß man zum Ruhme der protestantischen Theologie es anerkennen, daß sie vor allen Geisteswissenschaften sich ausgezeichnet hat durch das Eindringen in den letzten ethischen Sinn der Kantischen Lehre, während man gemeinhin den kategorischen Imperativ nicht um den Erweis seiner Wahrheit befragte, ohne den er aber eine stumpfe, wenn auch blinkende Waffe bleibt.

So konnte es denn kommen, daß die Religionsgeschichte in eine Aufnahme kam, die sich beinahe mehr gegen die Philosophie und ihre Ethik als gegen die Theologie richtete: die ohnehin dadurch nicht allein in ihrer Dogmatik angegriffen wurde, sondern nicht minder auch in ihren beiden Sektionen biblischer Exegese. Und wenn man hier einwenden wollte, daß diese beiden Exegesen auf einen Religionsbegriff beschränkt seien, der jenen beiden Urkunden entspricht, so kann auch dieser Einwand nicht der Religionsgeschichte zustatten kommen. Denn dieses Entsprechen ist keine einfache Sache, die sich nur dem Buchstaben nach aus jenen Urkunden herauslesen und deuten ließe. Dem widerspricht schon die Zweiheit dieser Urkunden, deren Einheit keineswegs gegeben ist, die vielmehr ebensosehr ein vorausgesetzter Leitbegriff ist, wie der ihr entsprechende Religionsbegriff, oder aber wie die beiden Religionsbegriffe selbst es sind, die jenen beiden Urkunden entsprechen.

So ist bei der biblischen Exegese der Religionsbegriff immer ein deduktives Problem, das als solches gedacht und formuliert werden muß, wenn die biblische Exegese es gleichsam induktiv bestätigen soll. Schon daß der Begriff Gottes oder gar des einzigen Gottes hier die Voraussetzung bildet, bindet den Religionsbegriff an sie.

6. Die Religionsgeschichte hingegen geht nicht bloß nicht von Gott aus und nicht von den Göttern, sondern sie erweitert den Begriff des Göttlichen durch eine Erweiterung des Seelischen über das gesamte Gebiet der Natur- und Menschenwelt hinaus. Man könnte die Religionsgeschichte geradezu auch Seelengeschichte nennen; denn das ganze Gebiet des Seelenglaubens und Aberglaubens wird hier zum Bereiche der Religion. Der Fetisch, das Tabu, der Totem, sie alle werden mit dem allgemeinen Dämonenglauben zusammengeführt; und ebenso auch das Tier- und das Menschenopfer zugleich mit dem Hymnus und dem Gebet.

Auch der Kultus nämlich läßt sich nicht als ein unterscheidendes Kriterium festhalten. Auch in ihm gehen die Völker in eine allgemeine Harmonie zusammen, die Inder und die Chinesen, die Ägypter und die Babylonier, die Griechen und die Israeliten, sie alle vereinigt auch im Kultus derselbe Religionsbegriff, der für die Religionsgeschichte überall ein ungelöstes Fragezeichen bleibt. Und es kann nicht anders sein: wo alles Menschliche und alles Göttliche in dem Begriffe alles Seelischen zusammengefaßt ist, da kann nichts Spezifisches übrigbleiben für den Begriff der Religion: die in Seelenkultus über- und untergegangen ist.

7. Der genauere Nachweis dieses Urteils kann hier nicht angestrebt werden, nämlich nicht in einer eingehenden Kritik der religionsgeschichtlichen Forschung und ihrer Probleme; er soll positiv hier durch die Begründung des Religionsbegriffs erbracht werden. Zur Orientierung nur sei auf die Analogie hingewiesen, welche in dem Verhältnis der Ethik zur Soziologie besteht. Auch von dieser darf die Ethik nicht abhängig, geschweige durch sie erledigt sein. Und auch die Ethik kann nur durch ihre eigene Begründung die zentrale Kritik der Soziologie, wie der Religion, durchführen. Auch der Begriff der Gesellschaft bildet das zentrale Problem der Ethik, wie der Begriff der Religion das der Soziologie.

8. Und auch darin besteht die Analogie: daß das Problem des Religionsbegriffs ebensosehr das ganze weite Material der Religionsgeschichte als seine Vorbedingung umfaßt, wie der ethische Begriff der Gesellschaft das ganze weite Material der Soziologie. Aber darin allein besteht hier, wie dort, der Unterschied: das Material ist die negative Vorbedingung; der Begriff aber ist das Problem der positiven Schöpfung, die nur der Deduktion, niemals der Induktion gelingen kann. Die Tatsachen können niemals und nirgends den Begriff hervorbringen, der selbst vielmehr ihr eigenes geistiges Band — nein, schlechthin ihre geistige Erschaffung ist.

Wo immer das Problem des Begriffs entsteht, da ist nichts anderes die Frage als der Sinn und der Wert eines Ursprünglichen, eines Ewigen, eines über alle Entwicklungsmöglichkeiten Hinausragenden, das nur Prinzip sein kann und Prinzip sein muß, ebensosehr für alle Erforschung der Erfahrung in ihren Tatsachen, wie für alles Erdenken ihrer Probleme. Es ist überall dieselbe Frage: ob die Forderung des a priori ein leerer Wahn ist, oder ob ohne sie alle Forschung ein blindes Suchen bleibt. Es ist überall nur die eine Frage: ob der Begriff nur als Idee gefunden werden kann, oder ob die Idee ein Trugbild ist und die Induktion allein den Begriff zu entdecken vermag. Bei jeder philosophischen Frage ist es das Recht des Idealismus, das in Frage steht.

9. So wird der Begriff der Religion zu einem Problem der Philosophie.

Wir fragen hiergegen nicht, ob die Religion selbst und die Theologie, als Religionswissenschaft, mit dieser Verweisung ihres Begriffs an die Philosophie einverstanden sein kann; wir setzen vielmehr voraus, daß sie damit einverstanden sein muß: weil ihre eigene Geschichte, dieser Überweisung zufolge, als ein Grenzgebiet der Philosophie sich vollzogen hat. Und es war gar nicht einmal immer Überweisung, die dabei stattfand, sondern in beiden Gebieten war gleichmäßig und urwüchsig dasselbe Problem lebendig. Im Mythos schon, der Urform alles Geistes, war Göttliches, mit allem Menschlichen verbunden und verwachsen, gleichsam Religion mit Philosophie. Und als die Kultur sich lichtete und abteilte, vermochte sich weder die Philosophie von allem Mythos, geschweige von allem Wesenhaften der Religion abzuschließen, noch die Religion in ihren Mysterien und nicht anders in ihrem offenbaren Kultus von den Spekulationen der Philosophie. Und so ist es für alle Folgezeit geblieben. Nicht nur die Philosophie hat den urwüchsigen Zusammenhang mit den religiösen Urgedanken festgehalten und immer neu ausgestattet; auch die Religion, sofern sie eine wissenschaftliche Gestaltung anstrebte, mußte in der Philosophie ihren Wahrheitsgrund und damit ihren Lebens- und Seelengrund immerdar erkennen und aufsuchen. Was wäre, was würde die Religion, wenn sie von anderen Quellen sich wollte entspringen, sich wollte auch nur speisen lassen als von denen, die den Born der Wahrheit bilden? Was wäre, was würde die Religion, wenn sie nicht mehr Wahrheit sein sollte, sein wollte? Und wie könnte sie anders ihren Anteil an der Wahrheit gewinnen und behaupten als durch den Anteil an der Philosophie? Soll es etwa wiederum eine zwiefache Wahrheit geben, eine für das Göttliche und eine andere für das Menschliche? Ist die Wahrheit nicht, wie unser philosophischer Dichter sagt, eine einzige, ungeteilte?

10. Die Menschheit hat allezeit den Weg beschritten, den dieser Wegweiser nicht als Fragezeichen stehen ließ. Die Religion hat sich in allen ihren Höhepunkten mit echter Philosophie durchdrungen, und die Philosophie selbst hat nicht nur, wie im Platonischen Altertum, mit der Poesie der heimatlichen Götterwelt gespielt; und es ist auch nicht richtig, daß sie ganze Zeitalter hindurch sich nur in stumpfe Abhängigkeit von der theologischen Religion versetzt hätte; vielmehr ist eigenes Leben und Fortbilden der Philosophie in allen jenen Auseinandersetzungen mit der Religion zu erkennen; und es wäre förderlich auch für die Philosophie, wenn diese Erkenntnis mehr als bisher zum Problem der mittelalterlichen Forschung würde.

Und auch für die Neuzeit muß es klarer herausgestellt, genauer zum eigentlichen Problem gemacht werden, welchen schöpferischen Anteil der religiöse Gedanke an den Formulierungen hat, die das Aussehen ursprünglich logischer Forderungen haben. Innerlichen Anteil hat die Religion an der Philosophie der Neuzeit. Es sei nur an die Ethik erinnert.

11. Wie könnte es danach auffallen, daß der Philosophie ein innerer Anteil an der Religion zusteht? Man wird dies nicht so verstehen, daß demgemäß in der neueren Zeit die Religionsphilosophie als ein besonderer Zweig der Philosophie entstanden ist. Die vielen Zweige, die sich heute an dem alten Stamm ausbreiten, beweisen nichts für das echte Leben des Stammes, nichts für seine unvergängliche Wurzel; sie beweisen vielmehr ebenso die Abirrung der Geschichtsprobleme von der Ethik, als der Wurzel, aus der sie ihre Lebenssäfte ziehen, wie ehemals und jetzt wiederum die Naturphilosophie aus dem Mißverhältnis zur reinen Logik hervorgegangen ist.

12. Der Anteil der Philosophie an der Religion ist beinah so alt wie beide selbst. Nur haben sich im Altertum schon die Relationen verändert, welche die Religion zur Philosophie einnehmen wollte. Bei den alten Klassikern waltet noch der Schleier der Naivetät über den zarten Fragen, und solange das Heidentum als Volksreligion herrschte, brauchte dieser Schleier nicht gelüftet zu werden; er kam ebensosehr der Philosophie, wie der Religion, zugute. Erst als das Judentum in Berührung kam mit dem Griechentum, mußte diese Diskretion aufhören; denn jetzt war die Einheit gebrochen zwischen dem in den Mythen und dem in den Keimen der Philosophie waltenden Volksgeiste.

13.Philo ist gewiß über alle Maßen bestrebt, die Einheit zwischen Platon und Mose herzustellen, aber beide müssen ihm dennoch als verschiedene Autoritäten gelten, während Platon selbst noch ganz naiv mit den Mythen der Heimat seine Lehrgedanken durchzieht. Bei Philo schon werden Religion und Philosophie zu Grenzproblemen, und wenn auch er selbst noch die Religion von der Philosophie aufgesogen werden lassen möchte, so erhebt sich dagegen im jüdischen Monotheismus eine heterogene Potenz, die niemals ohne Rest in aller Idealisierung des Griechentums, des Platonismus selbst aufgehen kann. Mose wird zum Träger der Religion und Platon zu dem der Philosophie.

14. Jede Differenz, die unter den Richtungen des Kulturbewußtseins auftritt, trägt Konflikte in sich. So ist es auch hier gekommen. Es ist aber verkehrt, wenn man die Selbständigkeit der beiden Mächte durch ihren Konflikt miteinander bedroht glaubt. Es ist falsch, daß durch die innigere Berührung mit der Philosophie die Religion ihren Auflösungsprozeß anträte. Es ist ebenso falsch, daß die Philosophie ihre Methodik und damit ihren logischen Charakter aufgäbe oder auch nur beeinträchtigte, wenn sie mit der Religion überhaupt ein Verhältnis eingeht. Dieses Verhältnis ist ihr eingeboren; und es ist ihre dauernde Aufgabe, stets von neuem dieses Verhältnis zu vollziehen, es zu kontrollieren und zu berichtigen. Es ist ein verhängnisvolles Vorurteil, wenn man der Klarstellung dieses Verhältnisses sich entziehen zu dürfen glaubt. Dadurch würde die Philosophie nur mit Mystik belastet, und in die Religion würde Intuition einschleichen.

15.Die Philosophie muß als ein gleichartiger Faktor der Religion immer genauer und bestimmter zur Klarheit gebracht werden, wenn anders wahrhafte Kulturreife in der Philosophie herrschen soll. Es darf hier nicht anders vonstatten gehen, als es mit allen Grundmächten der Kultur ergangen ist. Von ihrer Faktizität gehen wir aus und fragen daraufhin nach ihrem Rechte. Dieser transzendentalen Inquisition haben sich Mathematik und Physik unterwerfen müssen und nicht minder auch Recht und Staat; und endlich das Kulturfaktum der Kunst: wie sollte die Religion als ein solches Faktum zu umgehen sein, das sich der Frage nach dem Rechtsgrunde ihres Bestehens und ihres Bestandes entziehen könnte?

16. Die Logik ist immanent in aller Wissenschaft; in vorbildlicher Methodik aber enthüllt sie sich in der mathematischen Naturwissenschaft. In allen Geisteswissenschaften ist die Logik immanent; aber als eine neue Logik steigt für sie aus dem Bewußtsein des reinen Denkens herauf die Ethik, in der das reine Denken sich zum reinen Wollen entwickelt.

Auch eine neue Art von Mathematik haben wir versucht, der Ethik zugrunde zu legen, indem wir in der Rechtswissenschaft ein Gerüst von Begriffen auszeichnen können, die in ihrer logischen Struktur einer ethischen Funktionierung fähig werden. Und in Analogie zur Natur ließe sich eine Einheit der Rechtsbegriffe in dem großen Problembegriffe des Staates aufstellen.

17. So ist nun auch das Kulturfaktum der Religion dieser transzendentalen Frage zu unterstellen. Diese Fortführung der Frage wäre nicht möglich, wenn der Anteil der Philosophie an der Religion nicht vorauszusetzen wäre. Die Immanenz der Philosophie in allen Hauptrichtungen der Kultur ist jedoch die allgemeine Voraussetzung des philosophierenden Bewußtseins und glücklicherweise auch die jeder reiferen Bildung. Und so wenig diese Immanenz ein täuschender Schein ist, so wenig ist die philosophische Lebenskraft der Religion etwa gar ihr Todeskeim oder auch nur der Keim einer Mißbildung. Schon das griechische Heidentum hat Religionsphilosophie aus sich heraus entwickelt, und diese Isolierung der philosophischen Motive, ihre Herausarbeitung aus der Fülle des religiösen Urmaterials, ihre Musterung und Würdigung nach beiden Seiten hin ist im Monotheismus überall lebendig geblieben; und es sind überall die besten Zeiten religiöser Kraft und Fruchtbarkeit, sowohl im Judentum, wie im Christentum, in denen diese natürliche Scholastik in Blüte stand.

18. Dennoch aber kann es darin nicht sein Bewenden haben, daß die Immanenz der Philosophie in der Religion festgestellt, und die Auszeichnung der philosophischen Motive in der Religion zum Gegenstande der Religionsphilosophie gemacht würde. Damit würde das transzendentale Geschäft nur oberflächlich ins Werk gesetzt; die Rechnung würde dann ohne den Wirt gemacht. Der Wirt aber ist überall das einheitliche System der Philosophie.

19. Es muß daher die neue Frage werden: Welche Stellung kommt der Religion zu im System der Philosophie? Oder kommt ihr überhaupt keine selbständige Stellung im System zu? — Steht es vielleicht so mit der Religion, daß sie einen natürlichen und nicht minder einen methodischen Anhang zur Ethik bildet?

Diese Frage ist von grundlegender Wichtigkeit: sie kann gar nicht schlechterdings verneint, sondern nur in bestimmter Bedingtheit bejaht werden. Die Religion darf dem lebendigen Zusammenhange mit der Ethik nicht entrissen werden, selbst wenn sie deswegen keiner Selbständigkeit fähig würde.

Die Selbständigkeit kann erst eine spätere Frage werden, wenn die Angliederung der Religion an die Ethik gesichert und unverbrüchlich festgelegt ist. Dann erst kann die Frage erwogen werden: ob aus diesem Zusammenhange heraus eine Eigenart, und auf diese hin eine Art von Selbständigkeit für die Religion zu ermitteln sein werde.

20. Das Kulturfaktum der Religion an sich bildet keine hinlängliche Instanz für die transzendentale Anfrage, weil die Ethik die erste Auskunft, die erste und die unumgängliche, zu erteilen hat. Und die Einheit des Systems weist auch keine Lücke auf, welche die Religion ausfüllen könnte, weder für die Glieder des Systems, die durch die Ethik befriedigt sind, noch für die den Kulturinhalt erzeugenden Richtungen des Bewußtseins, welche durch Erkenntnis, Wille und Gefühl, alle drei in Reinheit begriffen, erschöpft zu sein scheinen.

Dennoch soll die transzendentale Frage hier einsetzen, weil es gilt, den philosophischen Anteil der Religion zu entdecken und auf seine systematische Reinheit zu bestimmen. Dieser systematisch-philosophische Anteil bildet das Problem, das der transzendentalen Frage den Einlaß verleiht. Worin besteht er? Er muß entdeckt werden. Wäre er selbst in Anerkanntheit gegeben, so bliebe seine reine Erzeugung, seine systematische Entdeckung, seine Auszeichnung unter den Grundbegriffen und Grundrichtungen des das System der Philosophie bildenden Bewußtseins eine berechtigte, eine notwendige Frage.

21. Damit aber tritt das Interesse an der Selbständigkeit der Religion zurück gegen das an ihrer Eigenart. Wenn es gelingt, ihre Eigenart reinzustellen im System der Philosophie und sie in dieses einzugliedern, so würde die so begründete Eigenart reichlich ersetzen, was an sogenannter Selbständigkeit verlorenginge. Es würde die Frage entstehen: ob es überhaupt eine Selbständigkeit für eine Richtung des Kulturbewußtseins geben kann, die nicht in der Eingliederung in das System der Philosophie bestände. Und wenn diese, welche die Eigenart zur Voraussetzung hat, gesichert ist, so kann die Selbständigkeit überhaupt kein anderes Problem in einer zulässigen Bedeutung bilden. Auf die Eigenart allein kommt es an. Und diese muß für die Religion, wie für alle von der Ethik abstammenden Geisteswissenschaften, durch diese ihre Abstammung von der Ethik bedingt sein. Die Ethik ist für sie alle ihre zweite Logik. Dies muß für die Religion gelten, wie für Staat und Recht und für alle Philosophie der Geschichte.

22. Indem wir die transzendentale Methodik hier zu einer neuen Anwendung bringen wollen, dürfte es für das genaue Verständnis derselben ersprießlich sein, ihre Differenz von der sogenannten Metaphysik und den inneren Grund für die Ablehnung derselben eingehend zu erwägen; auch für den rechten Zugang zu dem Begriffe der Religion dürfte dies zweckmäßig sein. Es handelt sich bei dieser Ablehnung der Metaphysik immer um die Behauptung der systematischen Zentralität der Ethik.

23. Die Ethik rückt seit Sokrates in den Mittelpunkt der Philosophie. Dieses Verhältnis bleibt bei Platon ungeschwächt bestehen; der Vorrang der Logik hat eine methodische Bedeutung, durch welche die Position der Ethik nur bestärkt wird. Und bei der Komposition der Platonischen Dialoge tut es der Ethik auch keinen Eintrag, daß sie immer durchflossen und unterströmt wird von den rein logischen Problemen; denn ihre Eigenart und ihre Prärogative werden überall dabei außer Zweifel gestellt.

Anders aber stellt sich Aristoteles zu dieser Lebensfrage der Philosophie. Hier ist er mit vollem Selbstbewußtsein ganz und nur Empirist, der er sonst nur zur Hälfte sein will. Sein Argwohn gegen den eigentlichen Sinn der Idee trifft ins Schwarze: in der Idee bekämpft er die Idee des Guten. Daß es sonstwie Ideen mit Recht geben mag, würde er gar nicht bestreiten können, aber daß es eine Idee des Guten gebe, das will er bestreiten; denn die Ethik soll nur eine Erfahrungslehre sein, deren Quintessenz sogar in die Praxis gelegt wird: »auf daß wir Gute werden«. Nicht aber dürfe die Ethik eine Ideallehre sein wollen von dem, was das Gute sei. In der Idee will Aristoteles hauptsächlich die Idee des Guten niederschlagen.

24. Und danach kommt nun seine Metaphysik, wie die Nachfolger sie in der Unterscheidung von Logik und von Ethik benannt haben. Denn es bleibt ja bei dem Dualismus des Aristoteles auch für die Ethik nicht einseitig und eindeutig beim Empirismus. Das letzte Wort, das letzte Kapitel dagegen geht über diese praktische Ethik hinaus; es wird gar nicht mehr an den Menschen angeschlossen.

Ebenso verhält es sich ja auch in dem Aristotelischen Buche der Metaphysik mit den Problemen des Seins: sie bleiben nicht auf das Sein der Natur beschränkt. Und wie die Metaphysik mit dem Buche über Gott abschließt, so die Nikomachische Ethik mit dem Buche über die Eudämonie des Denkens, die nur dem göttlichen Geiste zu eigen ist; die für den menschlichen Geist in günstigster Deutung eine mystische Zweideutigkeit bleibt. Nur der Gegensatz zur systematischen Ethik ist auch hier festgehalten.

25. Dieser Gegensatz zu einer reinen, apriorischen, idealen, schöpferischen Ethik dürfte einer der Hauptgründe sein für die Subordination der Scholastik unter die Autorität des Aristoteles. Denn weder Gott, noch das Gute, sollten die Eigenprobleme der Ethik bilden. Schon die Unterscheidung des Guten von Gott wird hier anstößig. Gott ist selbst das Gute, nicht nur das höchste, sondern das einzige Gute. Es soll kein Unterschied gemacht werden zwischen dem Gute und dem Guten, zwischen dem Guten in Gott und dem Guten für den Menschen.

Daher soll die Metaphysik, als eine zweite Theologie, den eigentlichen Schwerpunkt der Philosophie bilden: damit dieser nur durchaus nicht in die Ethik verlegt werde. Und weil der Ethik diese Präponderanz bestritten werden soll, wird auch zwischen Logik und Metaphysik die Differenz behauptet, die jedoch nur durch Gott und höchstens noch durch die Seele begründet werden kann, wenn einmal diese beiden Begriffe der Ethik fremd bleiben sollen. Ohne diese Tendenz gegen die Ethik hätte die Differenz zwischen Logik und Metaphysik keinen verständlichen Sinn. Nur eine Art von Theologie, welche der Selbständigkeit der Ethik mißtraut, leitet überall den Feldzug für die Metaphysik, und der Logik gegenüber das Feldgeschrei gegen den Rationalismus und für die Intuition. Die Feindschaft gegen die Ethik ist und bleibt auch der Grund der Metaphysik, wie sie nach Kant wieder geltend gemacht wird.

26. Im Mittelalter freilich mußte die Metaphysik auch abgesehen von der Ethik, ihrer selbst wegen und ihres Verhältnisses zur Theologie wegen, selbständig bleiben. Das Prinzip des Christentums selbst forderte dies. Denn in ihm bilden Gott und Mensch nicht zwei Begriffe, die beide etwa in die Ethik, mithin in den Schwerpunkt des Menschen verlegt werden könnten, noch die beide, wie immer getrennt oder vereinbart, der Metaphysik überantwortet blieben, sondern diese beiden Begriffe bilden eine Einheit im Gottesbegriffe des Christentums. Daher kann die Metaphysik nicht nur ohne Beeinträchtigung der Theologie aufrechterhalten werden, sondern sie wird sogar ein wichtiges und allgemeines Rüstzeug derselben. Die Probleme des Seins werden dem dualistischen Gottesbegriffe angeschmiegt, dem sie daher auch außerhalb des Dogmas zu einer logischen Begründung dienstbar gemacht werden. Es ist auch hier Logik, was als Metaphysik gebraucht und benannt wird, daher auch findet der Begriff des Nichtseins hier eine vielseitige Verwendung.

27. Charakteristisch unterscheidet sich hierin die jüdische von der christlichen Philosophie. Während die christliche die Metaphysik selbständig bestehen läßt, zieht die jüdische sie gänzlich in ihren Bereich herein. Schon bei Philo bahnt sich dieser Weg an. Es wird keine Scheidung bei ihm angestrebt zwischen seinem Platonismus und seiner Theologie; und vielleicht erleichtert ihm auch der Platonismus sein Streben der Verschmelzung beider Kulturkräfte, während Aristoteles trotz seiner Teleologie, wegen seines Dualismus, zur Ethik immer eine formalistische Starrheit bewahrt: dem lebendigen Gedanken von Gott sich entgegenstellt. Und ohnehin ist durch den Logos, zwar auch die Vermittlung zwischen Gott und Mensch angebahnt, ebenso aber diese auch vom Wesen Gottes selbst abgetrennt und nur auf die Wirksamkeit Gottes, auf das Verhältnis zur Natur- und Menschenwelt eingeschränkt. Und wie der Logos, bleibt auch die Philosophie überhaupt mit der Religion nicht zwar mehr verschmolzen, aber verbunden, keines vom andern getrennt.

28. Und so bleibt es das ganze jüdische Mittelalter hindurch, wie es wohl auch im Islam, der für das Judentum in seiner Philosophie die geistige Führung hat, vorbildlich ist. Die Philosophie soll nicht neben der Theologie, die Theologie nicht neben der Philosophie selbständigen Bestand haben; der Religion wird die Lebenskraft abgegraben, wenn sie der Philosophie entblößt wird. Diesen Idealismus bringt schon der erste Jude in dieser Kulturgruppe, der Gaon Saadja, in dem Titel seines philosophischen Hauptwerkes zu einem prägnanten Ausdruck. Emunoth we Deoth dürfte als ein ἓν διὰ δυοῖν aufzufassen und zu übersetzen sein: die Erkenntnisse der Glaubenslehre. So werden im Titel schon beide Geistesrichtungen zueinander in Verhältnis gesetzt; und es bleibt nur die Zweideutigkeit bestehen, nach welcher Seite das Übergewicht fällt: ob der Rationalismus die Offenbarung einschränken, oder aber schlechterdings decken soll. Immerhin bleibt das Verhältnis ein immanentes; und es bedarf keiner aparten Metaphysik. Durch Maimonides wird diese Immanenz im Judentum befestigt, und der Rationalismus sucht sich selbst, aller scheinbaren Starrheit des Rabbinismus entgegen, überragend zu behaupten.

29. Vielleicht war es gerade diese Immanenz der Philosophie in der Theologie, welche der christlichen Scholastik die Benutzung der jüdischen Quellen erleichtert hat: sie hat nicht sowohl Judentum als vielmehr Philosophie aus dieser Theologie entlehnt. Und es hatten sich ja die beiden Hauptquellen der antiken Philosophie in diesem Lager ausgebreitet: der Aristotelismus auf der Platonischen Grundlage, und andererseits der Neuplatonismus mit seiner Tendenz zum Pantheismus. Diese beiden Richtungen durchziehen die gesamte jüdische Philosophie von ihren Anfängen bis zu ihrem Abschluß in Spinoza.

Und von Spinoza geht wieder eine neue Beeinflussung der deutschen Philosophie überhaupt aus, und insbesondere daher auf die Philosophie der Religion, die in den neueren Zeiten unvermeidlicherweise sich aus dem Gesamtgebiete der Philosophie abzweigen muß.

30. So stehen wir denn wieder da, wohin unsere Erwägung über den Begriff der Philosophie uns bereits geführt hatte. Die Immanenz konnte nicht aufrechterhalten bleiben; die bloße, unbestimmte, nicht systematisch dirigierte Abzweigung aber bleibt haltlos und unmotiviert, wenn nicht der Mittelpunkt bestimmt ist, von dem sie ausstrahlt. Dieser Mittelpunkt ist uns im System der Philosophie bestimmt.

Wir sind daher auch der Frage enthoben, mit welcher Eigenart des Bewußtseins wir der Religion uns versichern und bemächtigen können; denn nur aus dem System heraus kann eine solche Bemächtigung erfolgen, eine solche Eigenart des Bewußtseins sich begründen. Und diese Einschränkung muß ergänzt werden durch die positive Bestimmung: daß die gesuchte religiöse Eigenart eine neue Erfüllung für den Systembegriff der Philosophie zu erbringen hat.

Nicht in einer Psychologie des Bewußtseins kann die Eigenart der Religion begründet werden, sondern nur innerhalb der Systematik der Philosophie.

31. Hier erheben sich nun aber gewichtige Bedenken. Das System der Philosophie scheint in den drei Gliedern, welche Kant aufgestellt hat, geschlossen, und der vierte Teil, den unser eigener Systemversuch in Aussicht genommen hat, kann diese Bedenken nur verstärken. Alle Richtungen des einen eigenen reinen Inhalt erzeugenden Bewußtseins scheinen erschöpft zu sein. Was könnte es noch Anderes geben außer der reinen Erkenntnis, dem reinen Willen, dem reinen Gefühle und der sie alle zusammenfassenden Einheit des Bewußtseins?

Daher bildet die Wahl des Gefühls für die Religion ein lehrreiches Symptom, welches zeigt, daß zum mindesten die Ästhetik in Gefahr kommt, beseitigt oder verkürzt zu werden, wenn die Religion eine selbständige Stellung im Gefühl antritt: und welche andere seelische Potenz könnte sonst angesprochen werden? Es scheint daher durchaus aussichtslos, eine Bewußtseinspotenz zu erdenken, welche die Eigenart der Religion gewährleisten könnte.

32. Indessen schwebt hier eine Unklarheit vor. Ist es denn richtig, daß man eine Art des Bewußtseins für die Religion zu erdenken haben soll? Und ist es richtig, daß man eine methodische Grundfrage von dem Gelingen dieser Aufgabe abhängig macht? Ist es denn überhaupt richtig, daß man eine eigne Art des Bewußtseins auszeichnen müsse, um die Eigenart der Religion zu ermöglichen? Verwechselt man hier nicht die Eigenart mit der Selbständigkeit? Vielleicht aber ist die Eigenart nur mit dem Beding festzustellen, daß die Selbständigkeit keine unbedingte sei, sondern vielmehr von den drei oder vier systematischen Richtungen des Bewußtseins getragen werde. Wenn es sich so verhalten sollte, so wäre es ein verkehrtes Beginnen, für die so bestimmte Eigenart eine eigene und selbständige Richtung des Bewußtseins zu erfinden.

Jetzt haben wir den Angelpunkt gewonnen, aus dem der systematische Begriff der Religion ermittelt und gehoben werden kann. Und ehe wir die Betrachtung über die Eigenart des gesuchten Bewußtseins wieder aufnehmen, haben wir die Vorbedingungen durchzudenken, die in den systematischen Richtungen des Bewußtseins für die religiöse Eigenart vorliegen und dem Begriffe des Systems gemäß verwendet und aufgesogen werden müssen.

II. Das Verhältnis der Religion zur Logik.

1. Wie in alter Zeit, wird auch heute noch darüber gestritten, ob der Religion, weil Wahrheitsgehalt, darum auch der Anspruch auf Erkenntnis zusteht. Von unserer Methodik aus kann darüber kein Zweifel aufkommen. Wenn von der Religion Philosophie möglich werden soll, so kann dieses Problem nur in dem genauen Sinne statthaft sein, daß die Religion dem System der Philosophie eingegliedert werde. Es gibt nur eine Art von Philosophie: die systematische. Damit aber ist die Frage nach der Religion, als Erkenntnis, in voller Klarheit aufgelöst. Die Religion könnte nicht der Philosophie zugehörig werden, wenn nicht auf Grund ihres Eintrittes in die Philosophie durch die Pforte der Logik.

Wäre die Logik etwa nur für die mathematische Naturwissenschaft vorhanden, oder wäre sie bei den Geisteswissenschaften nur die negative Vorbedingung, die positiv durch die Ethik zu ersetzen wäre, oder hätte diese selbst mit der Logik gar keinen positiven Zusammenhang?

Und andererseits, faßt die Ethik allein und ausschließlich alle Probleme der sittlichen Erkenntnis, alle Aufgaben der Wahrheit in sich? Dann wäre die Religion aus dem Gebiete der Philosophie ausgeschlossen, dem sie ja nur auf Grund ihres Zusammenhangs mit den aus der Ethik abzweigenden Geisteswissenschaften angehören kann. Ihr Zusammenhang mit der Ethik mithin bedingt zugleich ihren Zusammenhang mit der Logik.

2. Aber auch der Zusammenhang mit der Ethik ist ja gar nicht über allen Zweifel sichergestellt. An dem Problem der Metaphysik hat sich uns dies schon aufgedeckt. Die Frage der Selbständigkeit will hier über die der Eigenart entscheiden. Da aber die Selbständigkeit der Religion der Ethik gegenüber keinen zulässigen Sinn mehr haben kann, so kann die Eigenart nur in den Fragen Problem werden, welche den Begriff des Sittlichen scheinbar über die Ethik hinaus zur Bestimmung bringen, sei es daß sie den Umfang des Begriffs erweitern, sei es seinen Inhalt verengen. Immer bildet das Sittliche der Ethik die Grundlage und die Voraussetzung des Lehrstoffs und des eingeteilten Stoffgebietes. Wenn jedoch diese Voraussetzung der Ethik uneingeschränkt für die Religion zu gelten hat, so bleibt in aller Kraft die Frage bestehen: durch die Hinzufügung welcher Begriffe und welcher Bestimmungen ihres Anwendungsgebietes nicht zwar über das Sittliche hinaus, sondern am Sittlichen selbst die Religion die Eigenart eines einen eigenen Inhalt rein erzeugenden Bewußtseins zu gewinnen vermag.

3. Daß zwischen Kunst und Religion Beziehungen obwalten, und demgemäß zwischen Ästhetik und Religion ein Verhältnis zu bestimmen sein werde, das setzt die einfachste Überlegung außer Zweifel. Denn alle Gebiete der Kunst berühren diese Grenze. Früher als Herrensitze errichtet die Baukunst Göttertempel. Und dieselbe Priorität vollzieht sich in der Plastik. Nicht allein Homer hat den Griechen ihre Götter gegeben, sondern auch Phidias ist an ihrer Entwicklung beteiligt, wennschon das Epos sie erschaffen haben mag. Aber auch das Drama, ja sogar auch die Lyrik ist eine Mitschöpferin der Religion; dafür genügt der Gedanke an die Psalmen.

4. Und was sich historisch so leicht überschauen läßt, das wird durch die schlichteste Erwägung bestätigt. Wenn anders im Unterschiede von Erkenntnis und Willen das Gefühl die Richtung bezeichnet, kraft deren das Bewußtsein alle Kunstgebilde hervorruft, so kann man den Inhalt dieses Gefühls noch so unbestimmt denken, ja dieses Gefühl selbst, als eine Kraft des Bewußtseins, noch so allgemein fassen: man wird dennoch in dem Gefühl und seinem unmittelbaren Inhalt die Beziehung zur Religion als eine natürliche, unausweichliche, unersetzliche ansehen, wie unbestimmt immer man den Begriff der Religion auch denken mag. Auch der Anspruch der Metaphysik auf die Religion gründet sich nicht zuletzt auf diese universelle Beziehung der Religion zur Kunst, durch die sie erst ihre Universalität, die in alle Gebiete des Bewußtseins eingreift, gewinnt und begründet.

5. Dieser Zusammenhang ist ein so intimer, daß daraus eine besondere Schwierigkeit entstanden ist, nämlich eine Kollision der Mittel, die für die systematische Begründung der Religion verfügbar sind. Wie die Kunst auf das Gefühl begründet wird, so beruft sich auch die Religion auf das Gefühl. Dasselbe Gefühl kann jedoch nicht zwei Probleme der Systematik vertreten. Wenn aber dennoch die Religion das Gefühl in Anspruch nimmt, so erweist sich in diesem Anspruch auf geradem Wege der innere Zusammenhang, der zwischen Religion und Kunst besteht. Aber es entsteht daraus für die systematische Begründung der Religion eine schwere Gefahr.