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Seitenzahl: 62
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Title: Boccaccio Author: Hesse, Hermann Release Date: February 26, 2013 [EBook #42213] Language: German Character set encoding: UTF-8
*** START OF THIS PROJECT GUTENBERG EBOOK BOCCACCIO ***
Produced by Jana Srna, Enrico Segre, and the Online Distributed Proofreading Team at http://www.pgdp.net.
... conciossiecosachè le buone novelle sempre possan giovare, con attento animo son da ricogliere, chi che d'esse sia il dicitore.
Verehrte Herrschaften und vor allem Ihr, schöne und angebetete Damen! Es ist üblich, dass demjenigen, der ein schönes Geschenk oder Kleinod überbringt, ein guter Dank und Lohn zuteil wird; und so werdet auch Ihr, wenn ich Euch einen reichen Schatz ohne allen Anspruch auf Gewinn oder Lohn übergebe und anpreise, es freundlich aufnehmen und mir im stillen Dank dafür wissen. Dies tue ich aber, indem ich Euch das Buch meines Freundes Giovanni Boccaccio aus Florenz in die Hände lege; denn Ihr werdet, sofern Ihr es verständig leset, in demselben eine solche Fülle von schönen, klugen, erfreulichen, rührenden und lächerlichen Geschichten entdecken, wie sie vielleicht ausserdem kein anderes Buch irgend eines Dichters enthält.
Seid Ihr nie an einem schönen, warmen Tage im Frühsommer an einem fremden Garten vorüber gegangen? Ihr waret allein und verdrossen, und aus dem Garten brachte der Wind den Geruch von Rosen und Orangeblüten, das Silbergetön einer plätschernden Fontäne, die Klänge einer Guitarre und das von Gelächter unterbrochene Plaudern fröhlicher junger Leute zu Euch heraus. Da ergriff Euch Traurigkeit und eine mächtige Sehnsucht, hinein zu gehen, die staubige Landstrasse mit grünem Rasen und Blumenbeeten zu vertauschen, die Lieder der Sänger und die frohen Gespräche der Glücklichen anzuhören und Eure Sehnsucht an all der Heiterkeit und Freude nach Herzenslust zu ersättigen.
Wohlan, Ihr werten Leute, hier ist das Tor des Gartens: es ist geöffnet, und aus den Büschen dringt Blütenduft, Gelächter, Liedergesang und Saitenspiel. Tretet ein, nehmet Platz, sättiget Euer Verlangen! Höret Ihr gerne schöne Lieder an? Oder habt Ihr Lust, Euch eine traurige Liebesmäre erzählen zu lassen? Oder freut es Euch, einen Witz, eine Posse, eine kräftige Anekdote zu vernehmen? Oder von Beispielen des Edelsinns und höchster Tugend zu hören? Traget Ihr Verlangen nach vielfältigen und unerhörten Abenteuern, oder mehr nach galanten Historien, bei welchen die Damen erröten und sich, der guten Sitte halber, ein wenig entrüstet stellen?
Ihr alle möget eintreten, und jeder wird finden, wonach er sich sehnte. Denn die hundert Geschichten des edlen Herrn Boccaccio sind so beschaffen, dass sie die Jünglinge zum Entzücken, die Mädchen zum Erröten oder zur Rührung, die Männer zum Lachen, die Weisen zum Nachdenken nötigen. Man findet in diesen Geschichten die verschiedenen Arten der menschlichen Natur und Temperamente, der Liebe und Freundschaft, der Schicksale in Leben und Sterben, alles auf eine anmutige und wahrhaftige Art erzählt und dargestellt. Für Kinder von zartem und unerfahrenem Alter sind sie nicht geeignet, auch nicht für blöd gewordene Greise, auch nicht für Leute von feindseliger, kleinlicher und mürrischer Sinnesart. Ausser diesen aber mögen sie von Jungen und Alten jeder Art mit grossem Vergnügen und gewiss auch nicht ohne Nutzen gelesen werden.
Ehe ich weiter von diesem merkwürdigen Buche mit Euch rede, will ich aber erzählen, wer eigentlich jener Herr Boccaccio war (denn er ist leider schon seit längeren Zeiten verstorben), und wie er das Dekameron geschrieben hat.
Wer jemals auch nur die kleinste Novelle von ihm gelesen hat, der kann nicht daran zweifeln, dass jener ein echter Florentiner war. Denn wenn es auch einem Fremden vielleicht möglich gewesen wäre, die schöne und glänzende florentinische Sprache so vollkommen zu erlernen, so würde ihm doch immer noch der bewegliche, kecke und witzige Geist des geborenen Florentiners mangeln, den man nicht lernen kann. Denn wohl haben in späteren Zeiten auch manche weichliche Neapolitaner, leichtsinnige Mailänder, träge Venetianer und plumpe Sienesen hübsche Novellen geschrieben; allein diese alle hatten den Boccaccio zum Lehrmeister, welcher der Vater und Urheber dieser Kunst gewesen ist.
Wenn man nun bedenkt, in welcher Zeit das Buch Dekameron verfasst wurde, so begreift man leicht, weshalb die Stadt Florenz seine Heimat sein musste. Diese reiche und prächtige Stadt, welche auch heute noch eine der schönsten auf Erden ist, befand sich eben zu jener Zeit zwar in mancherlei Kämpfen und politischen Nöten, jedoch begann sie schon sichtbar nach jener unvergleichlichen Blüte hinzustreben, welche sie hundert Jahre später erreichte. So erfreute sie sich einer emsigen und glücklichen Tätigkeit auf allen Gebieten und nahm nicht weniger im Handel als in den Künsten täglich an Ruhm und Glücke zu, während das mächtige Rom kläglich darnieder lag, indem der Papst samt seinem ganzen Hofhalte sich nach Avignon in der Provence verzogen hatte. Es war von Florenz sowohl der berühmte Petrarca als der grosse Dichter Dante gebürtig, obwohl dieser in der Verbannung gestorben war, wie denn auch infolge beständiger Bürgerkriege des Petrarca Familie vertrieben war und in Arezzo lebte. Und was die Florentiner an jenem göttlichen Dichter gesündigt hatten, suchten sie desto eifriger zu sühnen, indem sie damals und noch lange nachher eine grosse Zahl von Gelehrten, Dichtern, Künstlern und anderen Männern beherbergten, deren Ruhm ihrer Stadt zur Ehre gereichte und sie gewürdigt hat, bis auf diesen Tag die