Der letzte Hansbur Ein Bauernroman aus der Lüneburger Heide - Löns, Hermann - kostenlos E-Book

Der letzte Hansbur Ein Bauernroman aus der Lüneburger Heide E-Book

Hermann, Löns

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The Project Gutenberg EBook of Der letzte Hansbur, by Hermann LönsThis eBook is for the use of anyone anywhere in the United States and mostother parts of the world at no cost and with almost no restrictionswhatsoever.  You may copy it, give it away or re-use it under the terms ofthe Project Gutenberg License included with this eBook or online atwww.gutenberg.org.  If you are not located in the United States, you'll haveto check the laws of the country where you are located before using this ebook.Title: Der letzte Hansbur       Ein Bauernroman aus der Lüneburger HeideAuthor: Hermann LönsRelease Date: March 21, 2016 [EBook #51517]Language: German*** START OF THIS PROJECT GUTENBERG EBOOK DER LETZTE HANSBUR ***Produced by The Online Distributed Proofreading Team athttp://www.pgdp.net

Anmerkungen zur Transkription

Das Original ist in Fraktur gesetzt.

Im Original in Antiqua gesetzter Text ist so ausgezeichnet.

Im Original gesperrter Text ist so ausgezeichnet.

Weitere Anmerkungen zur Transkription befinden sich am Ende des Buches.

Hermann Löns

Der letzte Hansbur

Ein Bauernroman aus der Lüneburger Heide

Adolf Sponholtz Verlag, G. m. b. H. / Hannover

Als ich damit begann, die Geschichte des letzten Hansburen niederzuschreiben, war ich mir darüber klar, daß es unmöglich sei, die Gespräche plattdeutsch wiederzugeben, da eine Erzählung nicht in zwei Sprachen geschrieben werden kann. Ganz von selber kam ich dann dazu, den gesamten Text in der Denk- und Sprechweise der Haidjer zu halten, woraus sich, wie mir scheint, eine glückliche Einheit zwischen dem Stoffe und der Form ergab. Diese Darstellungsweise zwang mich, vielfach Worte und Wendungen zu gebrauchen, die manchem Leser ungewohnt sein werden, weswegen ich am Schlusse des Buches die notwendigen Erläuterungen gebe. / H. L.

Copyright 1909 by Adolf Sponholtz Verlag G. m. b. H. Hannover.

Der Bullerborn.

Es war meist noch Nacht, da warf der Storch den Tau von sich und flog los.

Mitten in der Heide lag ein klarer Pump, der Bullerborn geheißen; da ließ er sich nieder.

Die Nebelhexen verjagten sich, als der Adebar angebraust kam, und als ein heller Wind über die Heide lief und sie bei Seite stieß, und als die Sonne über die Wohld stieg und sie scharf ansah, da gaben sie das Tanzen über dem Bullerborn auf und machten, daß sie in das Bruch kamen.

Der Storch ging um den Born herum und nickte mit dem Kopfe. Fische gab es nicht in dem Wasser, dazu war es zu frisch, und Frösche erst recht nicht, denn dazu war es zu wild. Wer aber lange in den Born sah, in dem das Wasser immer um und um ging, daß der weiße Sand nur so mülmte, der wußte, was der Storch da suchte, und wenn der Pastor von Lichtelohe es auch einen Heidenschnack nannte, daß der Adebar aus dem Bullerborn die Seelen für die kleinen Kinder holen sollte, die Bauern wußten das besser.

Als die Sonne so hoch stand, daß sie just in den Born hineinsehen konnte, nahm der Storch sich auf und flog über das Bruch und die hohe Heide und die Felder, bis er da war, wo er hergekommen war, auf dem Hehlenhof, der ganz allein für sich in seinem Hausbusche lag, so daß man vor lauter Eichen und Hülsen und Holderbüschen, die hinter der mächtigen Mauer aus Ortsteinen wuchsen, nichts von ihm sah, als den Herdrauch.

Die Störchin stand auf, als der Storch kam; er aber flog über das Hausdach fort und ließ sich im Blumengarten hinter dem Wohnhause nieder, wo der Flieder durch den Tau roch und der Goldregen über den Zaun hing. Er stand zwischen den Buchsbaumrabatten und sah sich um; dann ging er bis zu der Ecke, wo das Fenster der Dönze offen stand.

Das Totenhuhn, das auf dem Windbrett saß und einen Diener über den anderen machte, drehte sich bald den Hals ab, aber es konnte nicht sehen, was der Adebar da machte, denn er war hinter einem der spitzen Machangelbüsche, die rechts und links vor der Türe standen, kam aber bald wieder heraus, ging bis mitten in den Garten und flog fort.

Adebarstag.

In der Schlafbutze der Dönze lag die Bäuerin und in ihrem Arme der Hoferbe und beide atmeten durcheinander.

Als der Storch fortflog, schlug das Kind die Augen auf und meldete sich.

Die Bäuerin seufzte den Schlaf fort, strich sich den Schweiß von der Stirn, sah um sich und lächelte, als sie das Kind sah, das mit den Händen nach ihrer Brust fühlte.

Sie legte es an und sah zu, wie es trank. Im Flett gingen bedächtige Schritte, die Dönzentür ging leise auf und der Bauer kam auf Strümpfen herein.

Seine Augen lächelten, als er vor die Butze trat. Er strich mit seiner großen Hand über die Backe seiner Frau und mit einer Fingerspitze über den Kopf des Kindes, nickte und sagte: »Nötigen braucht man ihn nicht.«

Im Flett kamen wieder Schritte näher, eine große, breite Frau mit schönem Gesicht stand in der Türe.

»Komm' man her, Großmutter,« sagte der Bauer, »ich muß jetzt nach den Wiesen. Bei Uhre elfe bin ich wieder zurück.«

Er ging, aber in der Türe drehte er sich noch einmal um: »Es ist eine wahre Pracht, wie er trinkt.«

Die Großmutter nickte und sah zu, wie das Kind trank, und als es die Mutterbrust von sich stieß, nahm sie es hin und wickelte es aus.

Sie lachte, als sie die breite Brust und die geraden Glieder des Kindes sah. »Er ist fast zu schön für ein Dreitagekind, Detta,« meinte sie, »so schier und eben. Und welche Masse Haare er hat, als wenn er sechs Wochen alt wäre. Und hat man schon bei einem Kinde, das noch nicht wochenalt ist, solche festen Nägel gesehen?«

Sie klopfte es zärtlich, aber dann nahm sie das rechte Händchen des Kindes zwischen ihre Finger: »Den alten dummerhaftigen Beifinger, den brauchte er nicht zu haben. Junge, Junge, was brauchst du elf Finger?«

Ihre Tochter lächelte: »Ach, Mutter, das ist ja wohl kein Unglück! Wer lang hat, läßt lang hängen. Und sein Großvater hat ja sogar zwölf gehabt.«

Die Großmutter machte eine krause Stirne: »Das ist es ja eben, das mit dem Großvater. Hätte er zehn Finger gehabt, dann hätte er wohl noch ein Enkelkind hüten können. Die alten vermuckten Beifinger! Alle Hehlmanns mit überzähligen Fingern hatten zuviel Hitze im Geblüt. Aber wenn man dieses Kind sieht, so hübsch, als wie es daliegt, mit Augen, wie der liebe Himmel, dann sollte man meinen, daß das bloß ein dummer Aberglauben ist. Die Zukunft liegt in Gottes Hand; wir wollen uns darüber keine Gedanken machen. Wer zu lang vorausdenkt, macht sich zu früh Sorgen.«

Sie legte das Kind hin, rief die Kleinmagd, daß sie das Wasserwarmbier bringe, und als die Wöchnerin die Suppe ausgelöffelt hatte, strich ihr die Mutter das Kissen zurecht, schloß das Fenster der Fliegen wegen dicht zu und mahnte: »So, nun schlaf' man, daß du bald wieder beinig wirst.«

In der Tür blieb sie stehen: »Er sieht heute ganz anders aus den Augen, als wie die Tage vorher; er sieht einen heute schon ordentlich an, als wenn er einen kennen täte. Gestern hatte er noch gar keinen Blick in den Augen.«

Ihre Tochter lächelte: »Ja, Mutter, das bedünkt mich auch so. Aber heute ist ja auch Adebarstag.«

»Heidenschnack«, warf die Großmutter lächelnd hin, und dann ließ sie Tochter und Enkel für sich.

Der Beifinger.

Das Kind schlief, und Detta Hehlmann sah es an, bis daß der gelbe Vogel draußen so laut an zu pfeifen fing, daß sie nach dem Fenster sehen mußte.

Im Garten ging der Wind; das Weinlaub war rege und ein weißer Nägelchenbusch ging immer auf und ab.

Der jungen Frau bedünkte es, als hätte sie das alles noch kein mal gesehen. Vier Tage waren es erst her, daß sie von den Füßen mußte, aber ihr war zu Mute, als wenn ein Jahr darüber hin wäre.

Noch kein mal war ihr das Weinlaub so schön vorgekommen und noch nie hatte der Wigelwagel so süß in den Hofeichen gesungen.

Ihr wurde ganz weichmütig zu Sinne und die Augen gingen ihr über. Ihr war so wunderlich, daß sie die Hände falten mußte.

Ihren Johann hatte sie, einen guten Mann, und dann dieses Kind, so schön und so gesund. Am ersten Maitage in der Frühe war es dagewesen, ein Morgenkind, ein Maikind, und darum war es wohl so schön.

Die Mutter hatte recht; heute hatte der Junge ganz andere Augen.

Detta lächelte und dachte an die Worte der alten Magd: »Am dritten Tage bekommt ein Kind die Seele. Der Adebar bringt sie ihm. Bis dahin ist es nicht mehr, als ein unvernünftiges Vieh.«

Das alte Mädchen steckte voll von Heidenglauben. Sie war manchmal nicht ganz bei sich, die alte Hermine; sie hatte auch ein trauriges Leben gehabt.

Sie war mit einem Großknecht versprochen gewesen. Da kam der Bonaparte und nahm ihr den Bräutigam.

»Ich wollte ihm etwas Gutes mitgeben,« hatte die alte Magd an Dettas Ehrentage erzählt, »und da konnte ich nicht anders, als meinem Karl zu willen sein. Und das ist mir heute noch nicht gereut.«

Der Bräutigam blieb in Rußland; es kam nie wieder eine Kunde von ihm. Sein Kind aber wuchs auf dem Hehlenhofe zu einem strammen Jungen heran und kein Mensch trug es ihm nach, daß er ein lediges Kind war. Zwei Jahre war er schon Kleinknecht, da schlug ihn der Schimmel tot.

Das arme alte Mädchen! Die junge Frau sah zu ihrem Kinde hinab. Das rechte Händchen mit dem Beifinger lag auf dem Kissen.

Ihr trat der Großvater ihres Jungen vor die Augen. Der wilde Hehlmann hatte er geheißen. Ein Kerl, wie eine Tanne war er, mit Augen, die einen hellen Blick hatten.

Der war auch mit zwölf Fingern auf die Welt gekommen und sein Haar hatte im Nacken just solchen Wirbel, wie sein Enkelkind, das er nicht mehr sehen sollte, denn er lag schon einige Jahre neben der Kirche.

Durch eigene Schuld war er mit sechzig Jahren unter die Erde gekommen, denn von Rechts wegen mußte er es auf hundert bringen. Aber seine zwölfhundert Morgen Eigenjagd waren ihm zu wenig; er hatte immer den Grenzstein in der Tasche und jagte, soweit der Himmel blau und die Heide braun war.

Als er wieder einmal im Königlichen jagte, hatten ihn die Förster spitz gekriegt und mit dem Hunde seine Spur ausgearbeitet. Aber der alte Hehlmann hatte es gemerkt, und obzwar es wintertags war, hatte er sich nicht besonnen und war drei Male bis an die Brust quer durch die Beeke gegangen und hatte dann naß wie eine Katze im Bruch den Abend abgewartet, ehe er auf Umwegen nach seinem Hofe ging.

Acht Tage hinterher lag er steif und kalt auf dem Schragen; eine Lungenentzündung hatte ihn umgeworfen.

»Bis auf das Letzte ist er gegen den Tod angegangen,« hatte die alte Hermine erzählt. »Er wollte und wollte nicht sterben. Noch nicht, noch nicht, schrie er immer; es war schrecklich anzuhören. Schlecht war er nicht, aber er gehörte hier nicht her. Er hielt den Kopf höher, wie ein adeliger Herr, und es war keine Frau und kein Mädchen, das ihm in die Augen sehen konnte, ohne daß ihr das Blut in die Backen sprang. Gegen Kinder und Hunde war er von Herzen gut, aber die Mannsleute kriegten gefährliche Augen, wenn die Rede auf ihn kam. Wo ein glattes Gesicht war, da war er nicht weit; in seinem letzten Jahre mußte seinethalben noch eine Magd vom Hehlenhofe. Er war kein Mann für geruhige Zeiten; es war ein Kerl, wie man sie braucht, wenn die Kriegsvölker zu Gange sind.«

Dettas Gesicht wurde ernst. Der Beifinger ihres Jungen und der Haarwirbel im Nacken wollten ihr nicht aus dem Sinne.

Und dann dachte sie an das, was man von dem Großvater des Großvaters erzählte, von Hans Detel Hehlmann.

Mit dem hatte es ein schlimmes Ende genommen. Er hatte den Hut aufbehalten, als der adelige Herr vorüberging, denn er hatte einmal einen Ärger mit ihm gehabt. Da hatte der Herr ihn mit der Peitsche über den Hut geschlagen und gerufen: »Mach' dich bar, Bauer!« Und da war der Bauer zugesprungen, und hatte den Ritter mit der baren Faust totgeschlagen.

Bei Nacht und Nebel war er aus dem Lande gegangen und in dem Hausbuche stehen hinter seinem Namen die Worte: »Es kam niemals wieder eine Kunde von ihm. R. i. p.«

Dettas Augen wurden wieder heller. »Die Welt geht jetzt einen geruhigeren Gang,« dachte sie. »Und ist der Junge auch an der Reihe, daß das wilde Blut bei ihm hochkommt, Johann und ich, wir wollen schon dafür sorgen, daß es sich in Zucht und Sitte hält. Alle Mannsleute sind zuletzt von wilder Art, die besseren wenigstens.«

Sie dachte an ihren Jochen, der ihr anfangs fast zu gut vorgekommen war. Eines Tages jedoch hatte der Knecht den Rappen mit dem Forkenstiel über das Maul geschlagen; da hatte der Bauer aber losgelegt; wie ein Ungewitter polterten seine Worte über den Knecht her. Und da wurde der Knecht frech und machte eine ausverschämte Redensart. Es sollte ihn bald gereuen. Hehlmanns Augen wurden rund und blank; mit einem Griffe hatte er den Burschen bei der Brust, und ehe der es sich versah, lag er im Entenpump. Ganz voll von Entenflott kam er wieder heraus, nahm seinen Lohn, packte seine Sachen und machte, daß er weiter kam.

Der Fink im Garten sang immer und immer wieder dasselbe Lied und der Wigelwagel flötete in einem fort auf die gleiche Art. Und immer und immer wieder gingen die grünen Blätter und die weißen Blumen hinter den kleinen Scheiben auf und ab.

Der jungen Frau fielen die Augen zu. Aber mit einem Male seufzte sie auf und sah wild um sich. Sie sah nach der Wiege und dann hinter dem Traume her, der eben bei ihr gewesen war.

Da hatten auf einmal zwei Frauen bei der Wiege gestanden. Die eine, die mit dem braunen Gesicht und den Augen, so schwarz und blank, wie der Ruß am Rehmen, war aus dem Moore gekommen, denn sie roch nach Post.

Die andere, deren Gesicht wie Milch war, mit Augen, so blau wie Bachblumen, war über die Wiesen gekommen, denn von ihren Kleidern kam der Geruch von Gras und Blumen.

Sie standen bei der Wiege und besahen das Kind. Die Frau mit dem gelben Gesicht hatte gemurmelt: »Als wie ein Herr sollst du leben.« Dann machte sie das Hexenkreuz über dem Kinde und war verschwunden.

Die andere Frau aber machte über dem Jungen das Zeichen, das die Bauern vom Hehlenhofe seit unvordenklichen Zeiten als Hausmarke hatten, und flüsterte: »Und dein Knecht sollst du sein.« Dann war sie nicht mehr zu sehen.

Die junge Frau dachte nach. Träume sind Schäume, sagt der Pastor, und dann fiel ihr die alte Hermine ein, die so fest an Träume glaubte, daß sie ihr eigenes Begräbnis voraussagte.

»Mein Karl hat mich wissen lassen, ich soll Sonntag bei ihm sein,« hatte sie Freitag gesagt. Am Sonnabend Morgen lag sie tot im Bette.

»Wer hat recht?« dachte die junge Frau und sah nach dem Fenster. »Hat der Pastor recht oder Hermine? Der Pastor hat die Wissenschaft, aber das alte Mädchen hatte den Glauben.«

Wieder lächelte sie, es kam ihr in den Sinn, daß sie als Schulmädchen ein Buch gelesen hatte, in dem die Geschichte von der guten und der bösen Patenfee stand.

Dieses alte Märchen war ihr im Schlaf wieder eingefallen.

Das Hausbuch.

»Johannes Gotthard Georgius soll er heißen,« sagte der Hansbur.

Den ganzen Sonntag Nachmittag hatte er in der Dönze gesessen und in dem Hausbuche gelesen.

Das war ein altes Buch in Schweinsleder gebunden und mit einem Schlosse aus Messing. Auf der ersten Seite war dieser Spruch zu lesen: »De Mensche van ejner Frouwen geboren leuet ejne Korte tidt unde is vull vnrowe«.

Allerlei war darin zu lesen, von Kriegsnöten und Pest, Mord und Brand, von hungrigen Zeiten und fetten Jahren.

Fromme Sprüche waren darin aufgezeichnet und alte Mittel, dem Vieh zu helfen mit Kräutern und Besprechung.

Unterschiedlich war die Handschrift, bald kraus und bunt, bald steif und steil; hier wie gestochen, und da krumm und schief, wie Fuhrentelgen.

Absonderliche Belebnisse standen darin: »Die Wölfe haben so gehecket, dieweil keiner ist, der ihnen zu Leibe gehen kann, daß wir uns deren nicht erwehren können. Gestern sind wieder drei Schafe weniger in den Kaben zurückgekommen, als morgens herausgelassen waren. Das sind siebzehn Stück in diesem Frühjahre.«

Hehlmann blätterte um, denn das war es nicht, was er suchte. Aber dieses hier mußte er doch lesen: »Der englische Schweiß geht wieder im Lande um. In Ohldörpe sind letzte Woche bei Zwanzig Leute abgestorben, die mehrsten vor dem dritten Tage. In Lichtelohe sind sieben neue Gräber bei der Kirche. Herr, halte deine Hand über uns!«

Hehlmann blätterte zurück; da stand zu lesen: »Des Herrn Wege sind wunderlich. Johann Detel Georg Hehlmann hat uns ein Schreiben zukommen lassen. Zweimal zehn Jahre ist er verschollen gewesen für uns. Er hat mit Bravour gegen die Türken gefochten und ist immer mehr geworden, zuletzt ein hoher General und Anführer über viele Kriegsvölker. Der Kaiser hat ihm große Güter gegeben und einen Grafen aus ihm gemacht, so daß er jetzt Graf Hehlmann von Gollenstedt geheißen wird. Hier hatte er nicht taugen wollen.«

Darunter stand: »Ohm Hein sagt, er hat sechs Finger an jeder Hand gehabt und sein Haar ist in zwei Wirbeln gelegen.«

Hehlmann sah auf: das war der erste mit Beifingern und mehr als einem Haarwirbel. Der hatte es zu etwas gebracht, aber sein Geschlecht war bald ausgestorben und die Güter waren wieder dem Kaiser zugefallen. Ein Hehlmann hatte darum geklagt; die Herren vom Gericht hatten aber herausgefunden, daß die Verwandtschaft zu weitläufig war.

Der Bauer dachte nach. »Detel soll er nicht heißen,« beschloß er bei sich. »Drei Namen haben wir alle. Der erste ist immer der alte Name, wonach die Bauern solange Hansbur hießen, bis die Regierung befahl, daß sie sich nach einem Beinamen umsehen mußten. Auf den dritten Namen kommt es nicht an, aber auf den zweiten, denn mit dem wurden sie gerufen. Und Detel war kein guter Name.«

Er las weiter. »Johann Hinrich Detel« stand da und ein Kreuz dahinter und die Worte: »Der Herr erbarme sich seiner armen Seele.«

Weiter stand nichts da, aber mit anderer Schrift war an den Rand geschrieben: »Er hat im Kruge zu Eschede im Mai 1711 einen Handelsmann mit dem Messer beim Kartjen erstochen. Am 8. Juni mit dem Schwerte zu Zelle vom Leben zum Tode gebracht. In den Gerichtsakten steht als absonderliches Merkzeichen: Er hatte eilfen Finger.«

Hehlmann machte die Stirne kraus. Also Hinrich, das ging auch nicht. Und einen neuen Namen wollte er nicht haben für den Jungen.

Er schlug weiter um. Über die Frauennamen las er weg. Aber bei dem einen blieb er doch hängen. »Dorothea Hille Sophia Hehlmann, geb. 13. Mai 1773. Gest. 13. Mai 1813. Sie hat sich weggeschmissen.«

Mit roter Tinte stand in zierlicher Schrift am Rande: »Wir wollen keinen Stein auf ihr werfen. Sie soll ausnehmend schön gewesen sein und ist nach vielfachen Fahrten eines achtbaren Mannes ehelich Weib geworden. Gotth. H. Hehlmann, P.«

Der Wigelwagel pfiff in den Hofeichen und schrie hinterher ganz unmäßig. Hehlmann war es so, als ob er Detel oder Hinrich schrie.

»Nein, Detel und Hinrich sind keine Namen für meinen Jungen,« dachte er, »so scharf und spitz, das hat keine Art. So ein Name, der muß sein, daß er in sich selbst Bestand hat.«

Er blätterte wieder weiter. »Johannes Gotthard Hinrich Hehlmann, Pastor zu Lichtelohe. Sein Andenken bleibt ewiglich in Ehren. Er war ein frommer Knecht des Herrn.«

Hehlmann nickte. »Gotthard hört sich vortrefflich an, ruhig und sinnig. Das ist ein Name, der einem Manne zu Gesichte steht, wie ein ehrbarer Rock.«

Er schlug weiter um: »Johannes Gotthard Antonius. Er war ein Mehrer des Hofes und hat ihn aus den Schulden herausgebracht.«

Hehlmanns Augen wurden hell. Es kamen zwei leere Seiten, dann vier Seiten mit frommen Sprüchen und Heilmitteln für das Vieh, und dann stand wieder da: »Johann Gotthard Hermen; ist über achtzig geworden und hatte noch alle Zähne und solche Kraft, daß er das junge Volk bei der Arbeit hinter sich ließ. Er hatte für jedermann einen Rat und ein trostreiches Wort und wurde in allen Nöten des Leibes und der Seele um Hülfe angegangen. Wenn einer, so ruhet er in Abrahams Schoß.«

Der Bauer tauchte die Feder ein und schrieb: »Johannes Gotthard«, dann besann er sich eine Weile nach einem dritten Namen und schrieb »Georgius«, denn so hieß der nächstverwandte Hehlmann, Ohm Jürn, der die Schnucken unter sich hatte.

Hehlmann scharrte Sand von den Dielen, streute ihn auf die Schrift, las noch einmal, was er geschrieben hatte und sprach vor sich hin: »Johannes Gotthard Georgius«, und nach einer Weile: »Gotthard Hehlmann«.

Dann schlug er das Buch zu und legte es in die Beilade.

Das Osterfeuer.

Göde riefen sie den Jungen, denn Gotthard nahm ihnen zuviel Zeit.

Der Junge wuchs, daß es ein Staat war. Er hatte einen ansehnlichen Vater und seine Mutter war das glattste Mädchen weit und breit gewesen. So war es kein Wunder, daß der Junge rundumher als das schönste Kind galt.

Und gesund war er und kernfest, wie die Eichen auf dem Hofe. Er hatte Licht und Luft und gute Hut, und als seine Mutter mit ihm ging, hatte sie ihre Augen hell und ihr Herz rein gehalten.

Keinmal hatte sie beim Nähen schwarzen Zwirn über den Hals gehängt, nie einen Faden abgebissen, niemals die Leinwand gerissen.

Eins nur machte ihr Sorge: Als sie fühlte, daß sie guter Hoffnung war, war der Viehhändler Seligmann auf den Hof gekommen. Sie hatte ihn nie so recht leiden können. Als er ihr auf so wunderliche Art die Hand gab, sie mit Augen ansah, als hätten sie zusammen Holz gestohlen, und sie schmusternd fragte: »Nun, schöne, junge Frau, hat der Adebar schon geklappert?« da hatte sie den Kopf geschüttelt. Wenn aber eine Mutter ihr Kind ableugnet, dann bleibt es nicht bei der Wahrheit.

Aber das mochte nur wieder so ein Schnack sein von Mutter Griebsch, die der jungen Frau sagte, was sie tun dürfe und was nicht.

Detta gab auf alle diese Dinge nicht so ganz viel, denn zuoft hatte der Pastor dagegen von der Kanzel geredet; deswegen stellte sie die Wiege aber doch immer fest, wenn das Kind nicht darin lag, damit sie nicht taub hin und her ging und der Junge Kopfweh bekam. Sie sorgte dafür, daß keine jungen Hunde auf dem Hofe waren, und nahm nicht die Schere, wuchsen dem Kinde die Nägel über.

Weil der Junge elf Finger hatte, zog sie ihn durch die Zwille einer jungen Eiche, und als der Finger trotzdem nicht zurückging, band sie ihn mit einem weißen Faden ab und tat den Saft von Jesuwundenkraut darauf, und es blieb nichts zurück, als eine kleine rote Stelle.

Die große bunte Wiege von Eichenholz, die seit 1564 auf dem Hofe war, wurde zu kurz, als Göde ein knappes Jahr alt war, so wuchs der Junge.

Durchschnittlich war er ein freundliches Kind, aber einmal, als seine Mutter sich verjagt hatte, als das Wetter in eine von den großen Eichen schlug und die ganze Deele voll von blauem Feuer war, mußte ihr wohl die Milch hart geworden sein, denn als der Junge trinken wollte,