Kino und Kunst Lichtbühnen-Bibliothek Nr. 2 - Häfker, Hermann - kostenlos E-Book

Kino und Kunst Lichtbühnen-Bibliothek Nr. 2 E-Book

Hermann, Häfker

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The Project Gutenberg EBook of Kino und Kunst, by Hermann HäfkerThis eBook is for the use of anyone anywhere at no cost and withalmost no restrictions whatsoever.  You may copy it, give it away orre-use it under the terms of the Project Gutenberg License includedwith this eBook or online at www.gutenberg.orgTitle: Kino und Kunst       Lichtbühnen-Bibliothek Nr. 2Author: Hermann HäfkerRelease Date: May 23, 2014 [EBook #45725]Language: German*** START OF THIS PROJECT GUTENBERG EBOOK KINO UND KUNST ***Produced by Jana Srna, Reiner Ruf, Norbert H. Langkau andthe Online Distributed Proofreading Team athttp://www.pgdp.net

Original-Bucheinband

Lichtbühnen-Bibliothek

Kino und Kunst

Von Hermann Häfker

Zweites Heft :: Preis eine Mark

Kino und Kunst

von Hermann Häfker

Lichtbühnen-Bibliothek Nr. 2

Herausgegeben von der Lichtbilderei Volksvereins-Verlag GmbH., M.Gladbach 1913

Inhalt

A.

Allgemeines:

1.

Der Ruf nach Kunst

5

2.

Das Wesen der Kinematographie

11

3.

Die künstlerische Aufgabe

16

B.

Die Herstellung des Films:

1.

Die künstlerischen Gesichtspunkte in der technischen Filmherstellung

19

2.

Technische, industrielle usw. Lehr- und Verdeutlichungsaufnahmen

24

3.

Geschichtliche und kulturgeschichtliche Aufnahmen, Bildnisse

27

4.

Die Schönheit der natürlichen Bewegung

32

5.

Gestellte Bilder

41

Die Schönheit der menschlichen Bewegung (Tanz, Gebärde)

Kino und Humor

Das Drama

C.

Die Vorführung:

1.

Kinematographie oder Kinetographie

49

2.

Das „Programm“

55

3.

Einzelheiten

62

4.

Wege

70

A. Allgemeines

1. Der Ruf nach Kunst

Die gewaltige Bewegung, der von viel tausend Stimmen aufgenommene Ruf nach „ästhetischer Kultur“, nach „Kunst überall“ ist hervorgegangen aus der eigentümlichen Not einer Zeit, die anders ist als eine je vordem dagewesene. Ehedem thronten in ihren Tempeln erhabener Würde die Künste: Musik, Malerei, Bildhauerei, Dichtkunst, Baukunst. Der Widerschein der Schönheiten, die sie schufen, fiel spärlich und milden Glanzes auf das ganze Alltagsleben, seine Gebrauchsgegenstände und seine geistigen Äußerungen. Gelehrte stritten sich um höchste Schönheit und echten Stil, Kirchen, Fürsten und Reiche führten den „Geschmack“. Wo Kunst war, war eine große Idee, großes Wollen, großes Können, Lebensverdichtung. Aus den Werken der Kunst strömten große Empfindungen, stark bewegend und doch fern von allen Alltagsleidenschaften in den Beschauer über. Der Anblick von Kunst war ein Fest, weil er selten wie ein Festtag war.

Heute ist diese Zeit auf Niewiedergewinn verloren. Bildmäßiges und Plastisches, Wort und Klang, Farben und Linien, früher die Wahrzeichen jener Festtagskunst, strömen wie Hagelwetter auf die Nerven des modernen Menschen — besonders, aber nicht allein, in der Großstadt — ein. Beim Aufstehen begrüßt ihn neben dem Frühstück ein dickes neues Buch: die „Zeitung“. Lauter zu uns gesprochene Worte, geistige Beeinflussung mannigfacher und auf Nervenaufpeitschung berechneter Ordnung, die sich durchaus der Mittel der Literatur bedient. Aus unserm Hausrat, bis hin zu unserer Tapete spricht die malerische und plastische Phantasie vieler Menschen, ja vieler und großer Zeiten zu uns. Ein Gang durch die Straße führt uns an Ankündigungssäulen, Wandflächen voller Bilder und lauten Reden vorbei. Die Ladenfenster entfalten alle Kräfte der Seelengewinnung, die ihre Hersteller den raffiniertesten Erzeugnissen der Künste abgesehen haben. Die Buchläden locken und reden mit tausend Zungen auf uns ein. Im Café warten unserer — und selbst in der volkstümlichen Lesehalle — Hunderte von glänzend „illustrierten“ Zeitschriften und Zeitungen. Musikkapellen spielen dazu. Abends verwandelt sich die Großstadtstraße in ein Feuerwerk, dessen jähe und blendende Pracht unsere Sinne und Gedanken lange abzieht und im Banne hält. Man darf sagen: Wer überhaupt für diese Dinge noch Sinne hat (dem in der Großstadt gesund Aufgewachsenen wächst in der Tat, wie mir scheint, bald eine Art Schutzhaut, aber die reifend von draußen hereinkommen, sind die Opfer) — ich sage: Wer diese Dinge ernst nimmt, naiv zu verarbeiten sucht als das, als was sie sich doch durchaus geben, als Künste — der braucht kostbare Entwicklungsjahre, um sich überhaupt hindurch zu finden. Um hindurchzukommen, vom ersten Begeisterungsrausch durch erwachende innere Gegenwehr bis zur nötigen Abgebrühtheit. Denn alles, was hier mit den Mitteln der Künste arbeitet, erzeugt nicht reine, sondern Fuselrauschstimmung, wenn es nicht hohen und reinen Dingen dient, aus hohem und reinem Geiste hervorgegangen ist. Es ist nicht nur die ständige Aufpeitschung der Sinne, die an all dem liegt, durch kitzelnde Genüsse — es ist alles auch „Ausdruck“. „Ausdruck“ von einer Wirklichkeitswelt und einer Gesinnung, die dahinter liegt.

Die Gesinnung, die sich durch dies alles ausdrücken will, die Ideen, die dies alles suggerieren will, sind nicht selten, nicht menschlich hoch und echt. Vom einfachen Anpreisen und Einredenwollen mehr oder weniger zweifelhafter Bedürfnisse bis zum zwecklosen Spiel mit Ausdrucksformen vergangener Zeiten, ist dies alles gemeine Alltäglichkeit. Gemeine Alltäglichkeit in aufregende festliche Gebärden gekleidet. Massenhaft — nicht selten und echt — ist schon die Erfindung, die dem meisten dieser Art zugrunde liegt. Das ist das eine Eigentümliche. Und diese Massenerfindung wird nun — das ist das zweite — mit einem geringsten von Menschenmühe, automatisch-chemisch-maschinell vervielfältigt. Nicht, wie die Platte des Holzschneiders, langsam und mühevoll einige hundert Male — sondern Tausende und Hunderttausende von Malen, mühelos, schnell und billig. So kommt es, daß ein einziger Einfall, etwas Gemeines mit künstlerischem Mittel (bildlich, musikalisch, dichterisch) „auszudrücken“, morgen nicht eine Verkehrsecke in einer Stadt schändet, sondern von den Wänden, Läden, Schaufenstern und Lichtgerüsten aller Städte und vieler Dörfer — nicht Deutschlands, sondern ganz Europas, oft der ganzen Welt — herunterschreit. Und jeder Tag bringt Neues. Noch nie, solange es eine Geschichte gibt, hat jeder einzelne Mensch, er mag wollen oder nicht, so viele eindringliche, mit den wirkungsvollen und oft gewandt gehandhabten Mitteln der Künste hämmernde Eindrücke auf Sinne, Herz und Denken aushalten müssen, wie der, der heute mittags aus Bureau und Geschäft tausend Schritte bis zu seiner Mahlzeit geht.

Lange Zeit war der Buchstabendruck die einzige herrschende Form, Kunstähnliches — in Worte geprägte Gedanken — in Massen zu verbreiten und zwangsweise, unausweichlich, dem Menschen aufzudrängen. Die literarischen Künste waren die einzigen, die darunter leiden mußten. Wer Musik oder ein gutes Drama hören wollte, wen’s nach Bildern oder plastischen Werken gelüstete, der mußte sich noch extra rüsten, mußte Konzerte oder Theatersaal, Ausstellung oder Museum aufsuchen.

Da kamen neue Erfindungen herzu, die auch alle andern Künste wehrlos machten. Von denen, die billige Vervielfältigung architektonischer und neuerdings plastischer Werke ermöglichten, schweige ich hier. Aber man kam jetzt auf den Weg, diejenigen Sinneseindrücke, die durch „Wellen“ physikalischer Natur erzeugt werden, dadurch festzuhalten und zu vertausendfachen, daß man diese Wellen — die optischen und die akustischen — sich selbst in festem Stoffe fangen und „aufschreiben“ ließ. Von dieser so gewonnenen „Naturmatrize“ konnte man nun so viel „Abdrücke“ nehmen, wie man wollte. Der Stoff zum Auffangen optischer (Gesichts-) Eindrücke (Lichtwellen) war die photographische Schicht, der zum Auffangen phonetischer (Gehörs-) Eindrücke (Klangwellen), war die — verschieden zusammengesetzte — Walze oder Platte der Phonographen und die Schablonen automatischer Musikinstrumente. Phonograph (Grammophon, Pianola) und Photographie waren die neu gewonnenen Techniken. Von ihnen hat zuerst die Photographie mit ihrer immer größern Vervollkommnung einen Siegeszug durch die ganze Welt genommen. Infolge ihres bescheidenen und gewissenhaften, hingebenden Automatismus wurde sie zu einer wertvollen Helferin ästhetischer Kultur durch massenhafte Verbreitung künstlerischer Einzelvorlagen und eine selbständige Deuterin und Weiserin der Natur durch fälschungslose Wiedergabe gewisser Seiten von ihr. Sie ist es, die — vielen noch unbewußt — uns auch aus den meisten bildlichen Eindrücken der Straße und des öffentlichen Lebens anspricht, die scheinbar Werke ursprünglicher Handkunst sind.

In ihrer einfachen Gestalt als Augenblicksaufnahme hat die Photographie gewiß mehr Segen als Unheil gestiftet. Dann aber arbeitete der Erfindungssinn einen Weg zu ihrer Anwendung aus, durch den sie plötzlich eine unheimliche und verheerende Macht über menschliche Gemüter und menschliche Kultur gewann. Sie wurde zur Kinematographie. An sich nichts als eine planmäßige, durch einen wunderbaren Mechanismus ermöglichte Vorführung tausender von Augenblicksaufnahmen nacheinander, ahmte doch diese Photographie nicht nur Licht und Schatten eines toten Bildes nach, sondern selbst Plastik und Bewegung lebendiger Wirklichkeit. So trat sie mit einemmal als Nebenbuhlerin nicht nur der Malerei, sondern selbst des Schauspiels, in einem gewissen Grade selbst der Plastik, und in Verbindung mit der Grammophonie selbst der Oper und der Vortragskunst auf. Mit den verdichteten Reizen dieser seelenaufrüttelnden Künste verband sie etwas von der trockenen Stilisierung des Puppentheaters und fügte hinzu die — äußerste Wohlfeilheit sensationeller Jahrmarktsgenüsse.

Sie fügte den automatisch erzeugten und vervielfältigten kunstähnlichen Eindrücken, die sich dem Straßenmenschen heute aufdrängen, ihn zauberhaft locken, vielleicht den mächtigsten hinzu. Auch um deswegen den mächtigsten, weil sie schon von allen am kunstähnlichsten ist, will sagen, ihre Gebärden von einer ganzen Reihe und von den an sich schon eindrucksvollsten Künsten borgt. Sie hat dadurch wirklich Theatern „Konkurrenz“ gemacht, das beweist doch: sie hat Zuschauer an sich gezogen, die „Kunst“ gesucht haben, und denen die Kunst der Schaubühne mindestens zu umständlich zugänglich und — zu teuer war. Die Eindrücke, die sie bot, waren allerdings jetzt fast ausnahmslos das Gegenteil künstlerischer: sie waren nicht „rein“, sondern beruhten auf einem Aufschäumen solcher Instinkte, deren gemeinste auch die Hunde am Prellstein erregen: Geschlechtsgefühle, Angst, Gier, Eitelkeit, erkitzeltes Gelächter, fuselhafte, anstrengungs- und maßlose, begeisterungsüßliche Rührsamkeit. Und das „Große“, das durch sie zu den Besuchern sprechen wollte, denen diese Kunst „Ausdruck“ wurde, war nur oder fast nur das großgeschriebene „Verdienen“!

Unter dieser Sintflut von „Ausdrucks“-Techniken, die die Welt seit wenigen Jahrzehnten — auf Niewiedervergehen — überschwemmten, bäumte sich, nach anfänglichem Versagen, die gesunde Widerstandskraft des menschlichen Geistes auf. Große Bewegungen strebten, unter verschiedenen Namen, in diese neue Welt von Geisteseinwirkungen das hineinzubringen, was ihr fehlte: Gewissenhaftigkeit. Aber mit „moralischen“ Schlagworten wäre man hier nicht weit gekommen.

Denn wer um Moral prozessiert, hat die Last des Beweises zu tragen. Wer aber jemandem nachweisen will, daß er irgendetwas getan oder geschaffen habe aus „unmoralischer“ Gesinnung, der müßte in den Herzen lesen können. Die Behauptung, moralisch in gutem Glauben gewesen zu sein, ist schwer zu widerlegen. Es kann auch eine Tat oder ein Werk als Leistung durchaus moralisch sein, das in der Wirkung, wenigstens auf einen Teil der Beeinflußten, unmoralisch ist. Wer einen Mann oder ein Werk als „unmoralisch“ verklagt, muß den objektiven Beweis der Unmoral führen: Moral aber ist zumeist Gesinnungssache.

Unter den kinematographierten „Dramen“ befinden sich viele, die von „Moral“ nur so triefen, und die doch das Verwerflichste und Verbildendste sind, das erdacht werden kann. Anderseits haben nicht nur „Schund“-Werke, sondern es haben auch Goethes „Werther“ Selbstmorde, Schillers „Räuber“ Totschläge angeregt. Von einem Schaffenden „Moral“ fordern, heißt seine Gewissenhaftigkeit ansprechen — sie nachzumessen gibt es keinen menschlichen Maßstab. Die moralische Forderung ist kein Schutz gegen das Verderbliche in Literatur, Kunst und denjenigen Tätigkeiten, die sich künstlerischer oder kunstähnlicher Mittel bedienen.

Die künstlerische Forderung aber wendet sich nicht an den Schaffenden — dem kann sie nach getaner Arbeit oder bei mangelnder persönlicher Veranlagung nichts nützen — sondern sie wendet sich an den Empfangenden. Sie öffnet ihm Sinne und Bewußtsein, um das Echte, das im ungeweihten Ohr von jedem Lärm übertönt wird, zu vernehmen, sie gibt ihm Schutz, Gegengift und das Mittel zu bewußter Ablehnung des aus fauler Quelle Geflossenen. Die „künstlerische“ Forderung umschließt die moralische: weil das künstlerische Sehen etwas erschauen läßt, das Widerstandskraft und einen Widerwillen gegen jede Sinnenreizung niedrigerer, „unmoralischer“ Natur erzeugt. Was wir als schmutzig und gemein erkennen, ist niemals Kunst,— nicht weil es schmutzig und gemein ist, sondern weil es andere Nerven in Mitschwingung versetzt als die, durch die wir das Künstlerische erkennen. Wohl können auch künstlerische und gemeine, schmutzige Bestandteile in einem Werke vereint sein, aber eben sie sofort zu unterscheiden, die einen anzunehmen, gegen die andern immun zu bleiben, das ist wesentlicher Segen der „ästhetischen Kultur“, d. i. „Sinnenschulung“.

Diese Einsicht hat gewiß sehr dazu beigetragen, die von verdienstvollen Stellen gepredigte „Ausdruckskultur“ so allgemein angenommen werden zu lassen, aber es wäre ein Irrtum, sie nur um dieser, ihrer „moralischen“ Wirkung willen, fordern und pflegen zu helfen. Man kann ebensogut den künstlerischen Charakter eines Erzeugnisses darin erblicken, daß es die Gesundheit des Genießens wie des Schaffens, oder daß es den wirtschaftlichsten Kraftverbrauch auf beiden Seiten im stofflichen wie im geistigen Sinne verbürgt. Beides sind Werte, deren sich der einzelne wie die Gemeinsamkeit praktisch nur dadurch vergewissern kann, daß sie all ihr Tun wie ihr Genießen zur Kunst erheben. Suchen wir aber die Bedeutung der künstlerischen Forderung und ihre innere Kraft ganz allgemein gerade für die unserer Zeit eigentümliche Not zu erfassen, so kommen wir immer wieder darauf, daß sie auf eine Eindämmung des Vielzuvielen, auf die Wiederunterwerfung der herbeigerufenen Maschinen- und Automaten-Massenproduktionsgeister unter den wollenden menschlichen Geist hinausläuft. An die Stelle der Herrschaft mechanischer Bequemlichkeiten und automatisch-stofflicher Sinnenreizungen setzt sie wieder den wählenden und ablehnenden Menschen, an die Stelle passiven Leben-über-sich-ergehen-Lassens setzt sie das Tun, das Schaffen, das Eigen- und Selbstsein, die Bejahung und Erhöhung des Lebendigen in uns. Sie setzt uns selber an die Stelle unserer Lebensverzierungen und Nervenkitzelmaschinen.

In diesem Sinne ist’s, daß angesichts der besondern Not der Zeit die alte Forderung wieder allgemein wurde, ja erst eigentlich feste Gestalt und tiefere Begründung erhalten hat, daß wir alles, was wir tun, als Kunst tun sollen. Eine Sache künstlerisch machen, heißt aber, nach Schiller, in letzter Linie nichts anderes, als sie „vollkommen“ machen: sie so innerhalb der durch ihre stoffliche und technische Eigenart, ihrer wirtschaftlichen und Zweckbedingungen gesteckten Grenzen bis zum Rande mit eigengefühltem Leben anfüllen, daß das Ergebnis in jedem einzelnen Falle das höchsterreichbare ist.

Die Kinematographie zur Kunst erheben, sie als Kunst ausüben, läuft also darauf hinaus, sich zunächst einmal so ehrlich und unvoreingenommen wie möglich in ihr Wesen und ihre Bedingungen zu vertiefen, sich ihrer Grenzen wie ihrer Aufgaben und Möglichkeiten bewußt zu werden. Zu zweit ist dann die Aufgabe, diese gegebenen Möglichkeiten innerhalb des Gebots des Echtbleibens so mit Leben zu erfüllen, daß das fertige Lichtschauspiel, wie irgendeine andere Kunst, der lebendigste „Ausdruck“ eines hinter ihm stehenden menschlichen Wollens, menschlichen Empfindens, Freuens und Leidens wird. Von diesem Drange nach Fülle erfüllt, wird auch der Kinokünstler von selber seine Arbeit nicht Wertlosem oder Alltäglichem widmen, sondern das Beste und Gehaltvollste hineinlegen wollen, das der Tag dem Tage geben mag.

Stellen wir uns das Kinoschauspiel so von Seichtheit, Schmutz, Geschmacklosigkeit, gehaltlosem Sinnenkitzel, vor allem von aller Kräfteverschwendung und -verzappelung, von allem Zuviel gereinigt vor, und erinnern uns dann an die geschäftliche Organisation auf der es beruht, und an die es gebunden ist, so muß uns das Herz höherschlagen. Dann würde allwöchentlich in aller weiten Welt aus tausend weiten Stätten heitern, jedermann zugänglichen Genusses eine Fülle reiner stärkender Geistesnahrung in alle Volksschichten hineindringen, würden Volksschichten und Völker der Erde in einem gewissen Grade in gleichen Empfindungen, Gedanken und Anschauungen, in gleichem Wissen und ausgleichender Bildung zu einer Kulturmenschheit zusammengewöhnt werden können. Das Kinoschauspiel vermöchte da mehr als das gedruckte Wort, weil es seinen wirtschaftlichen Bedingungen nach — im Gegensatz zum Wort — an eine sehr beschränkte und sehr zentralisierte Erzeugung und an einige nur wenig zu vermehrende, großartige Verbreitungsorganisationen gebunden ist. Und weil es, wie schon bemerkt, vermöge seiner unmittelbaren Anschaulichkeit, seiner sinnenpackenden Lebensähnlichkeit und seiner Voraussetzungslosigkeit seltener, aber unvergeßlicher auf den Menschen, besonders den weniger vorgebildeten wirkt.

2. Wesen der Kinematographie

Wir sprachen vom „Kinoschauspiel“, von dem wir hohe Wirkungen erwarteten. Da werden wir von vielen mißverstanden worden sein. Im gewöhnten Wortsinn versteht man unter einem „Kino-Schauspiel“ das, woran die meisten unter „Kinematographie“ überhaupt zuerst und fast ausschließlich denken: nämlich nicht das „Schauspiel“ besonderer Art, das durch die kinematographische Bildervorführung und ihr Zubehör — Vortrag, Musik usw. — im Kinotheater auf der Leinwand zustande kommt, sondern ein der Bühnendichtung nachgeahmtes „Schauspiel“ — eine Posse oder ein „Drama“ usw. —, dessen optische Erscheinung zum Teil (ohne die Farben u. a.) vom Kinematographen aufgenommen, vervielfältigt und zu einem Bilde verflacht wiedergegeben wird. Ein wenig Nachdenken zeigt uns, daß diese Art von Kinoschauspiel in unsere Auseinandersetzungen nur zum Teil und in einem besondern Sinne gehört. Wir wollen im wesentlichen überlegen, wie wir die Kinematographie selbst zur Kunst erheben können, und nur nebenbei fragen, in welchem Verhältnis sie (als Dienende und Vermittelnde, als Aufbewahrerin und Vervielfältigerin) zu andern Künsten steht. Zum Kinodrama (wie wir’s mal nennen wollen) steht die Kinematographie in zweierlei ganz verschiedenem Verhältnis. Entweder sie will nur dazu dienen, dramatische Darstellungen, schauspielerische Leistungen von besonderm Erinnerungswert der Nachwelt aufzubewahren: sie soll besondere Regieleistungen, Glanzszenen berühmter Schauspieler, Bühnenvorschriften usw. für Archive zu fachlichen oder kultur- und kunstgeschichtlichen Zwecken festhalten. Dann kann sie selber „künstlerisch“ nur sein durch eine besonders vollkommene Erfüllung ihrer technischen Aufgabe, das Gewünschte dokumentarisch getreu, automatisch widerzuspiegeln. Sie kann zu künstlerischem Werte steigen dadurch, daß sie hinter das dramatische Kunstwerk völlig zurücktritt. Niemals aber würde man die betreffende schauspielerische, dichterische Leistung selber „kinematographische Kunst“ nennen. Oder es kann ein Schauspiel erdacht, eine Szene gespielt werden nur zu dem Zwecke, in der kinematographischen Wiedergabe zu wirken: zu dieser Art gehört oder sollte gehören das meiste, was in Kinotheatern an „Dramen“ usw. gezeigt wird. Hier ist weder das Spiel selber noch die kinematographische Aufnahme das „Kunstwerk“, sondern das Kunstwerk ist erst die Verschmelzung von beiden, das fertige Bild auf der Projektionsleinwand. Man kann hier eigentlich weder von einem „Schauspiel“ (im gewohnten Sinne) wenigstens nicht von einem „Drama“ sprechen noch von „zur Kunst erhobener Kinematographie“, sondern man müßte einen ganz neuen Namen suchen, wie es denn ja auch geschehen ist: kinematographische Bilderspiele, Kino-Schattenspiele, lebende Bilder, Licht-Pantomimen o. dgl. In der Hauptsache unterliegen solche Spiele dem Gesetzgebiet der Dramaturgie, die ja angibt, wie ein Schauspiel aufgebaut, ein Spiel beschaffen sein muß, je nachdem es etwa auf einer modernen Bühne, einem antiken Theater, in einem Zirkus oder einem Puppentheater usw., kurz unter bestimmten Zweckgesichtspunkten zur Geltung kommen soll. Mit diesen Fragen wird sich ja ein anderes Bändchen dieser Sammlung ausführlich befassen. Wir werden an seiner Stelle nur insoweit darauf zurückkommen, wie wir es von unserm