Die Doppel-Kekse 1: Einmal Zwilling, immer Zwilling - Patricia Schröder - E-Book

Die Doppel-Kekse 1: Einmal Zwilling, immer Zwilling E-Book

Patricia Schröder

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Beschreibung

„Zwengelchen“ – so werden Lea und Lucie von Leipnitz liebevoll von ihrem Opa Pistorix genannt. Doch die Abkürzung für „Zwillings-Engelchen“ trifft es nicht immer: Die eineiigen Zwillinge sorgen nämlich für reichlich Chaos im Schul- und Familienalltag. So zum Beispiel, als sich ihr Papa, der obendrein ihr Mathelehrer ist, ein bisschen zu sehr um die neue Referendarin kümmert … Dass Lea und Lucie genau in dem Moment auf eine Zeltfreizeit verfrachtet werden, hilft da nicht wirklich weiter. Höchste Zwillingsverwechslungs- und Verdoppelungskunst ist gefragt, um alles wieder in die richtige Bahn zu lenken …

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Buchinfo

»Zwengelchen« – so werden Lea und Lucie von Leipnitz liebevoll von ihrem Opa Pistorix genannt. Doch die Abkürzung für »Zwillings-Engelchen« trifft es nicht immer: Die eineiigen Zwillinge sorgen nämlich für reichlich Chaos im Schul- und Familienalltag. So zum Beispiel, als sich ihr Papa, der obendrein ihr Mathelehrer ist, ein bisschen zu sehr um die neue Referendarin kümmert … Dass Lea und Lucie genau in dem Moment auf eine Zeltfreizeit verfrachtet werden, hilft da nicht wirklich weiter. Höchste Zwillingsverwechslungs- und Verdoppelungskunst ist gefragt, um alles wieder in die richtige Bahn zu lenken …

Autorenvita

© privat

Patricia Schröder, 1960 geboren, lebt mit ihrem Mann und einer Handvoll Tieren auf einer Warft an der Nordsee. Ihr »richtiger« Beruf ist Textildesignerin, noch lieber aber als Muster für Blusen, T-Shirts oder Krawatten denkt sie sich Geschichten für junge Mädchen aus, und so hängte sie ihren ersten Beruf vor einigen Jahren kurzerhand an den Nagel. Inzwischen gehört sie zu den erfolgreichsten und beliebtesten deutschen Kinder- und Jugendbuchautorinnen.

www.patricia-schroeder.de

Lucie liebt Snoop Dogg im Doggie-Style.

Lea führt lieber Hunde aus.

Lucie flippt mal hier, mal da.

Lea lümmelt eher gern zu Haus.

»Hey, was kritzelst du denn da?«, raunte Lea ihrer Zwillingsschwester zu.

»Nix«, gab Lucie kurz angebunden zurück.

»Nix wäre aber unsichtbar«, erwiderte Lea und strich sich eine dunkelbraune Locke aus der Stirn.

»Stimmt.« Lucie hob den Kopf und tippte sich nachdenklich mit dem Stift gegen die Lippen. »Cool, danke!«, sagte sie dann und begann mit einem neuen Text.

Nix.

Nix da.

Nix da, oder?

Nix da, oder doch?

Nix da, oder doch da?

In Leas blauen Augen blitzte es. Energisch stupste sie ihre Schwester mit dem Ellenbogen an.

»Hallo! Wir haben Mathe.«

»Haben wir nicht«, brummte Lucie. »Oder siehst du hier irgendwo einen Mathelehrer?« Sie machte eine weit ausholende Geste, die ihre Mitschüler mitsamt der kompletten Einrichtung des Klassenraums umfasste. »Außerdem beschäftigt sich gerade jeder mit was anderem.«

»Nur Mathe-Mats nicht«, entgegnete Lea.

Lucie zuckte mit den Schultern. »Klar. Was sonst?«

Mathe-Mats, alias Mats Hoffach, war nämlich das Rechengenie der 6b.

Er zählte die Brotkrümel am Boden, teilte sie durch die Schülerzahl und multiplizierte das Ergebnis mit Tagen, Wochen, Monaten und Jahren. Auf diese Weise hatte er bereits ausgerechnet, wie lange es dauern würde, bis der Klassenraum komplett mit Krümeln ausgefüllt war. Putzfrauen, die Tag für Tag alles zusammenfegten und damit dem Sinn einer solchen Berechnung ganz praktisch mit Handfeger und Kehrblech zu Leibe rückten, interessierten Mats dabei nicht. Für ihn war so etwas eine nervige Nebensächlichkeit, die die Logik der Mathematik nur störte.

»Abgesehen davon sind unsere Klassenkameraden ja auch nicht Papas Kinder«, bemerkte Lea.

Sie und ihre Zwillingsschwester hatten nämlich das Pech, in Mathematik von ihrem eigenen Vater unterrichtet zu werden. Und aus Angst, seine Töchter zu bevorzugen, hatte Gerald von Leipnitz stets ein besonders strenges Auge auf seine Töchter – was Lucie und Lea natürlich ganz schön ungerecht fanden.

»Haha«, kicherte Lucie jetzt. »Das wär’s ja wohl noch!«

Ein Vater hat zweiunddreißig Kinder.

Wie hat er das wohl gemacht?

Eine Familie verspeist im Jahr zweidrittel Rinder.

Auch das hätt ich niemals gedacht!

notierte sie flugs auf ihrem Kollegblock.

»Ich glaube, er kommt«, zischte Alina, die auf dem Platz links von Lea saß.

Sie nickte in Richtung Tür und ließ hastig ihr Pferdemagazin in ihrem Rucksack verschwinden.

Tatsächlich waren draußen auf dem Gang Schritte zu hören.

Klack – klack – klack – klack – klacker-klack …

Lucie hob den Kopf und lauschte.

»Seit wann trägt Papa Stöckelschuhe?«, murmelte sie.

»Seit wann hat er blonde Locken und sieht aus wie eine Frau?«, wisperte Lea, die außer Mats als Einzige ihre Mathesachen bereits aufgeschlagen auf dem Tisch liegen hatte.

»Guten Morgen zusammen!«, ertönte eine glockenhelle Stimme.

Die dazugehörige Person war eindeutig weiblich und laut Lucies Schätzung allerhöchstens fünfundzwanzig Jahre jung. Sie hatte schulterlange blonde Locken, rosige Lippen und große grüne Katzenaugen.

»Herr von Leipnitz lässt sich für weitere fünf bis zehn Minuten entschuldigen.«

»Was ist denn mit ihm?«, fragte Lea besorgt.

»Nichts, worüber ihr euch Gedanken machen müsst«, erwiderte die junge Frau.

Sie zog die Tür hinter sich zu, nahm ein Stück Kreide aus der Ablage und schrieb mit anmutigem Schwung

Johanna Knippke

an die Tafel.

»Das ist mein Name«, erklärte sie, während sie auf ihren hummerroten Slingpumps weiter zum Lehrertisch klackerte. »Ich bin Referendarin und werde in den nächsten drei Monaten einen Teil des Mathematikunterrichts in eurer Klasse übernehmen.«

»Pfff!«, entfuhr es Lucie. »Warum hat Papa uns nichts davon erzählt?«, platzte es aus ihr heraus.

Ein Lächeln huschte über Johanna Knippkes Gesicht.

»Du musst Lucie sein«, sagte sie. Ihr Blick wanderte zu Lea. »Und du ihre Zwillingsschwester. Stimmt’s?«

Ilkay reckte seinen Daumen in die Luft.

»Perfekt geraten!«, rief er anerkennend.

»Falsch«, erwiderte Johanna Knippke noch immer lächelnd. »Auswendig gelernt.«

Sie ließ die große dunkelblaue Umhängetasche von ihrer Schulter auf den Tisch gleiten, schlug die Lasche zurück und holte eine Kladde heraus.

»Hier drin befinden sich die Bilder, die der Schulfotograf im letzten Herbst von euch gemacht hat, mitsamt den dazugehörigen Namen.«

»Sie kennen uns also schon, obwohl Sie uns noch nie gesehen haben?«, schlussfolgerte Ron verblüfft.

»Sozusagen«, bestätigte die Referendarin.

»Wow!«, stieß Natalie aus. »Dann sind Sie aber die Erste!«

»Das mag sein«, gab Johanna Knippke zurück. »Ich finde es einfach sinnvoll, wenn ich die wenige Zeit, die uns für die Mathematik bleibt, nicht auch noch mit dem Entziffern von Namensschildern verbringen muss.«

»Das ist gut«, meldete sich Mats zu Wort. »Darf ich fragen, was unser nächstes Thema ist?«

»Bruchrechnen«, antwortete Gerald von Leipnitz.

Lucie zuckte zusammen.

»Boah, Papa!«, wetterte sie. »Wo kommst du denn so plötzlich her?«

»Das solltet ihr mal Mr Spock vom Raumschiff Enterprise fragen«, entgegnete ihr Vater augenzwinkernd.

»Hä?«, fragte Ilkay.

Lucie sah kurz zu ihm hin und winkte sofort ab.

»Das kannst du vergessen«, sagte sie. »Die kennen nur Star Wars. Außerdem hast du dich nicht hergebeamt, sondern reingeschlichen.«

»Das Ergebnis dürfte dasselbe sein«, erwiderte ihr Vater.

Gemächlich spazierte er an den Tischen vorbei bis ans hintere Ende des Klassenraums und setzte sich auf einen freien Platz in der letzten Reihe.

Lucie stöhnte leise.

»Was wird das denn jetzt?«

»Schsch!«, zischte Lea. »Halt endlich mal dein Plappermaul.«

»So kann ich mich aber nicht konzentrieren«, knurrte Lucie. »Papas Kontrollblick hat bereits zwei Löcher in mein T-Shirt gebrannt.«

»Quatsch!« Alina lehnte sich mit ihrem Stuhl zurück, kniff ihre dunkelbraunen Schokoaugen zusammen und begutachtete Lucies Rückseite. »Da ist nichts.«

»Wart’s ab«, raunte Lucie. »Gleich fängt’s an zu dampfen.«

»Würdet ihr eure Aufmerksamkeit nun bitte nach vorn richten«, mahnte Gerald von Leipnitz. »Ich möchte ab sofort kein Getuschel mehr hören!«

Aye Sir, dachte Lucie und schickte ein leises Grummeln in seine Richtung.

Unterdessen klackerte Johanna Knippke in ihren Slingpumps vor der Tafel auf und ab. Schließlich blieb sie stehen und verkündete: »Wie Herr von Leipnitz eben schon sagte, wollen wir uns ab heute mit der Bruchrechnung beschäftigen.«

Ilkay schüttelte den Kopf.

»Wollen wir nicht. Und schon gar nicht so kurz vor den Pfingstferien!«

»Ich schon«, erwiderte Mats und begann, eifrig in seinem Mathebuch zu blättern. »Auf Seite vierundsechzig geht’s los«, stellte er mit einem zufriedenen Grunzen fest.

»Gut«, sagte Johanna Knippke. »Dann kommt ihr zwei doch bitte mal nach vorne.«

»Wieso?«, wollte Ilkay wissen.

Die Referendarin sah ihn mit leicht zur Seite geneigtem Kopf an.

»Magst du Überraschungen?«, fragte sie.

»Klar.« Ilkay zuckte die Achseln. »Wer nicht?«

»Gut.« Johanna Knippke nickte. »Hast du eine Lieblingsfarbe?«

Ilkay runzelte misstrauisch die Stirn.

»Wieso?«, fragte er noch einmal.

Der Blick der Referendarin glitt zu Mats hinüber, der bereits aufgestanden war. »Du?«

»Logisch«, antwortete er. »Blau.«

»Okay.« Johanna Knippke hielt ihm ein blaues Kreidestück entgegen. »Rechts oder links?«

»Links ist kürzer«, entgegnete Mats.

Mit drei Sätzen war er bei der Referendarin, nahm ihr das blaue Kreidestück aus der Hand und postierte sich links von ihr an der Tafel.

Ilkay sprang von seinem Stuhl hoch und sprintete nun ebenfalls nach vorn. Bei jedem Schritt quietschte der Linoleumboden unter seinen Schuhsohlen.

Lea schüttelte sich. Diese Geräusche bescherten ihr jedes Mal eine Ganzkörpergänsehaut.

»Ich nehm Grün«, meinte Ilkay. »Aber nicht von Ihnen.«

»Aha?« Johanna Knippkes Augenbrauen wanderten nach oben und verschwanden unter ihrem blonden Lockenpony. »Muss ich das verstehen?«

»Nö.« Ilkay schüttelte den Kopf und angelte ein grünes Kreidestück aus der Ablage. »Was soll ich schreiben?«

»Das verrate ich dir gleich«, entgegnete die Referendarin und wandte sich dann wieder der Klasse zu. »Wer von euch möchte sich nicht mit Bruchrechnung beschäftigen?«

Lucie tauschte einen Blick mit Lea und Alina.

»Was ist denn das für eine Frage?«, formte sie lautlos mit den Lippen.

Unterdessen schnellten unzählige Hände nach oben.

Eindeutig mehr als die Hälfte.

Sind dagegen.

Dagegen.

Dagegen!

Wogegen eigentlich?

notierte Lucie hastig auf ihrem Kollegblock.

»Kannst du zählen?«, hörte sie Johanna Knippke fragen.

»Hä?«, machte Ilkay. »Klar kann ich das!«

»Na ja, bisher hast du nicht gerade viel von deinen Fähigkeiten gezeigt«, erwiderte die Referendarin achselzuckend.

Ilkay grummelte etwas Unverständliches. Mit zusammengekniffenen Augen musterte er seine Klassenkameraden. Unterdessen schrieb Mats eine große blaue 9 auf die linke Tafelseite, wofür Johanna Knippke ihm ein zustimmendes Lächeln schenkte.

»Vielen Dank, Mats.«

»Hä?«, machte Ilkay noch einmal.

»Bist du fertig?«, fragte die Referendarin.

»Womit?«

»Mit Zählen.«

»Nee, bin ich nicht.«

»Na gut, dann versuchen wir es mal anders«, sagte Johanna Knippke. »Wie viel ist zweiunddreißig minus neun?«

»Einundzwanzig. Wieso?«, kam es wie aus der Pistole geschossen von Ilkay.

Ein Raunen ging durch die Klasse.

»Das ist falsch, du Pfosten!«, rief Ron.

Ilkay tippte sich an die Stirn. »Das wüsste ich aber.«

»Also, für einen Pfosten war das tatsächlich gar nicht mal schlecht«, bemerkte Gerald von Leipnitz.

Ron und ein paar weitere Schüler fingen an zu lachen. Auch Jenny, Ronja, Geli und Antonia, die auf der anderen Seite des Klassenzimmers am Fenster saßen, steckten kichernd ihre Köpfe zusammen. Die vier »Barbie-Dolls«, wie Lea und Lucie sie nannten, waren gegen alles, was nichts mit Klamotten, Schminke und Girlie-Zeitschriften zu tun hatte, und hatten logischerweise auch ihre Hände gehoben.

»Du kannst wieder an deinen Platz«, sagte Johanna Knippke zu Mats. »Du nicht!«, fügte sie energisch hinzu, als Ilkay sich ebenfalls in Bewegung setzen wollte.

»Und wieso nicht?«, knurrte er.

»Deshalb«, erwiderte die Referendarin.

Sie griff in ihre Umhängetasche und holte eine Handvoll Cellophanpäckchen hervor, in denen etwas Buntes schimmerte.

»Geil! Bonbons!«, jubelte Mirko.

Ron trommelte vor Begeisterung auf der Tischplatte herum. »Kann ich zwei?«

»Nicht nur du«, erwiderte Johanna Knippke. »Ilkay, verteilst du die Tüten bitte an alle deine Mitschüler, die keine Lust haben, sich mit Bruchrechnen zu beschäftigen!«

»Wie cool ist das denn!«, kiekste Jenny. »Jetzt kriegen wir sogar eine Belohnung!«

»Och nee!« Ilkay verdrehte stöhnend seine dunklen Augen. »Kann sich die nicht jeder selber abholen?«

»Nein«, sagte Johanna Knippke.

»Okay. Aber nur, wenn Sie die Dinger auf den Tisch legen«, machte Ilkay zur Bedingung.

»Wie du willst«, meinte die Referendarin seufzend und schaufelte einen ganzen Haufen knisternder Cellophantütchen aus ihrer Tasche aufs Lehrerpult.

Ilkay ließ sich eine Menge Zeit und transportierte jedes Päckchen einzeln zu seinen Mitschülern.

»Ey, das sind gar keine Bonbons, sondern Marshmallows«, flötete Geli und riss ihre Tüte auf. »Lecker.«

»Mhm«, raunte Lucie ihrer Zwillingsschwester ins Ohr, »eine echte Geli-Katesse.«

»Das sind doch Ohrstöpsel, oder?«, wisperte Lea und gluckste leise in ihre Hand.

»Stimmt«, pflichtete Alina ihr bei. »Meine Mam hat auch solche Dinger in ihrer Nachttischschublade, weil Paps immer so laut schnarcht. Allerdings sind die nicht bunt, sondern hautfarben.«

»Das sind auch keine Marshmallows!«, rief Mirko, der sich inzwischen ein grün-türkis marmoriertes Teil in den Mund gesteckt und gründlich darauf herumgekaut hatte. »Und wenn doch, dann schmecken sie total kacke.«

»Echt?« Geli schob sich ebenfalls eins der bunten Dinger zwischen die Lippen, verzog angeekelt das Gesicht und spuckte es sofort wieder aus. »Bäääh!«, quiekte sie. »Das ist doch nie im Leben was zu essen.«

»Richtig getippt«, bestätigte Johanna Knippke. »Die Dinger gibt’s auf die Ohren.«

»Hä, wieso?« Irritiert betrachtete Ron das Tütchen in seiner Hand. Doch schon im nächsten Moment hellte seine Miene sich wieder auf. »Ach so!«, stieß er freudig aus. »Damit wir von der Bruchrechnung nicht belästigt werden.«

»Bravo! Du hast es erfasst.«

Die Referendarin lächelte ihr Lächeln, aber nur Lucie, Lea, Alina und noch sechs weiteren Klassenkameraden fiel auf, dass es nicht mehr ganz so freundlich ausfiel wie zu Anfang, sondern nun beinahe etwas Hinterlistiges hatte.

Mit ein paar knappen Sätzen erklärte Johanna Knippke, wie man die Ohrstöpsel einführte, und wartete geduldig, bis alle dreiundzwanzig bruchrechnenunwilligen Schüler verplombt waren. Dann begann sie mit dem Unterricht.

»Bei der müssen wir verdammt aufpassen«, orakelte Lea, als Lucie, Alina und sie sich in der großen Pause in die Schlange vor dem Cafeteria-Kiosk einreihten. »Die hat es faustdick hinter den Ohren.«

»Du meinst wohl, zwischen den Ohren«, erwiderte Alina grinsend und tippte sich rechts und links gegen die Schläfen. »Frau Knippkes Einführungsvorstellung war jedenfalls ziemlich genial.«

»Mhm.« Lucie nickte. »Und bei unserer süßen Geli-Katesse steckt’s anscheinend noch immer in den Ohren fest«, meinte sie kichernd. Sie schob sich den einsamen Lakritz-Drop, der sich erfreulicherweise noch in ihrer Hosentasche angefunden hatte, in den Mund und nickte zum Ecktisch auf der gegenüberliegenden Seite hinüber – dem Stammplatz der Barbie-Dolls.

Jenny, Ronja und Antonia nuckelten an ihren Orangensaft-Trink-Packs, während Geli hektisch in ihrer rechten Ohrmuschel herumpulte.

»Besonders glücklich sieht sie nicht aus«, meinte Lea.

»Selbst schuld«, entgegnete Alina schulterzuckend. »So bescheuert wie sie, Ron, Ilkay und die anderen muss man erst mal sein.«

»Mir tun sie auch nicht leid«, sagte Lucie. »Und Geli sowieso nicht.«

Lea seufzte leise. »Jenny, Ronja und Antonia könnten ihr wenigstens helfen. Ist bestimmt ein blödes Gefühl, wenn man so einen Stöpsel nicht mehr rauskriegt.«

»Wenn sie zu dusselig ist, um zu Frau Ludwig zu gehen und sich eine Pinzette geben zu lassen, kann man ihr nicht helfen«, betonte Lucie. Sie holte tief Luft und rief dann quer durch die Cafeteria: »Pass bloß auf, dass du dir das Ding nicht ins Gehirn drückst!«

Alina winkte kichernd ab.

»Ach, das tut bestimmt nicht weh.«

»Nee«, meinte Lucie. »Wahrscheinlich macht es einfach nur plopp … und das war’s.«

Jenny, Ronja und Antonia ließen ihre Trink-Packs sinken und streckten Lucie die Zunge raus.

»Lasst doch die blöden Streber-Kühe«, tönte Geli und pfriemelte weiter in ihrem Ohr rum.

»Du bist aber auch fies«, wies Lea ihre Schwester zurecht. »Das meine ich absolut ernst«, setzte sie nachdrücklich hinzu, als Lucie nicht auf ihren Vorwurf reagierte und den Barbie-Dolls stattdessen einen Vogel zeigte.

»Wenn die nicht so bescheuert wären …«, brummte Lucie.

»Ich finde, sie sind echt genug gestraft damit, dass sie die Mathehausaufgaben nicht machen können, weil sie vom Unterricht nichts mitbekommen haben«, entgegnete Lea. »Und jetzt hat Geli auch noch dieses blöde Ding im Ohr.«

»Dann geh du doch zu Frau Ludwig und hol ihr eine Pinzette«, schlug Lucie vor.

»Ach, du bist blöd«, gab Lea zurück und verpasste ihrer Schwester einen Stoß zwischen die Rippen.

»Und du machst dir zu viele Gedanken um die Leute, die sich lieber um sich selber kümmern sollten«, erwiderte Lucie. »So kleine Pupse wie wir können schließlich nicht die Welt retten.«

»Das stimmt. Jedenfalls nicht die ganze«, überlegte Alina laut. »Aber vielleicht lasse ich Ronja abschreiben.«

»Spinnst du!«, knurrte Lucie.

»Wieso denn?«, verteidigte sich Alina. »Wenn Jenny, Geli und Antonia nicht dabei sind, ist Ronja eigentlich ganz okay.«

Lea bedachte ihre Freundin mit einem Stirnrunzeln, während Lucie unwillig den Kopf schüttelte.

»Darum geht es doch gar nicht«, sagte sie. »Die Knippke hat Ilkay und Co. eine Lektion erteilt. Und die wirkt nicht, wenn wir uns da einmischen. Außerdem wäre es echt ungerecht, wenn die Barbie-Dolls morgen mit Hausis antanzen und der Rest der Ohrverstöpselten nicht.«

»Vielleicht lässt Mats ja auch jemanden abschreiben«, meinte Alina schulterzuckend.

»Garantiert nicht«, entgegnete Lucie. »Eher fällt der Mond in euren Gartenteich.«

»Ich bin mir nicht sicher, aber ich glaube, man darf das gar nicht«, murmelte Lea vor sich hin, während sie in der Schlange einen Schritt vorrückte.

»Was meinst du damit?«, fragte Alina. »Wer darf was nicht?«

»Die Lehrer so viele Schüler vom Unterricht ausschließen«, antwortete Lea.

»Wieso denn ausschließen?«, hielt Lucie sofort dagegen. »Die Knippke hat doch niemanden vor die Tür gesetzt. Und die Pfropfen haben ja wohl alle freiwillig benutzt. Dazu wurde keiner gezwungen.«

»Das schon«, lenkte Lea ein. »Aber es ist doch irgendwie eigenartig, oder? Ich meine, welcher Lehrer schleppt so viele Ohrstöpsel mit sich rum?«

Alina löste das Haargummi an ihrem Hinterkopf, mit dem sie ihre störrische rote Krause zu einem Knoten bändigte, und nickte.

»Find ich auch. Das war garantiert geplant.«

»Und Papa hat auch noch mitgemacht«, fügte Lea hinzu.

»Ach Quatsch«, gab Lucie zurück. »Bloß weil er sich nicht eingemischt hat, muss er doch nicht gleich mit der Knippke unter einer Decke stecken. Im Übrigen fand ich die Aktion ziemlich witzig. Mathe hat mir heute richtig Spaß gemacht. Mit wenigen Schülern, die sich für den Stoff interessieren, bringt der Unterricht nämlich gleich viel mehr.«

»Dann sollten wir unsere dreiundzwanzig uninteressierten Klassenkameraden also doch vor die Tür setzen, oder wie?«, bemerkte Lea finster.

»Och nö«, meinte Lucie, während sie ihre Geldbörse aus der Seitentasche ihres Kapuzenpullis holte und ein paar Kupfermünzen hervorkramte. »Ganz ohne sie wäre es vielleicht doch ein bisschen langweilig. Mir würde es schon reichen, wenn wir sie dauerverstöpseln.« Sie steckte die Geldbörse zurück und zählte das Geld in ihrer Hand. »Kann mir jemand dreißig Cent leihen?«

»Jemand?«, hakte Lea nach. »Oder eine von uns?«

Lucie grinste verschmitzt. »Eine von euch wäre gut.«

»Was willst du dir denn kaufen?«, fragte Lea.

»Eine Apfelschorle.« Lucie seufzte. »Ich hab aber nur noch einundzwanzig Cent.«

»Was ist denn mit den fünf Euro Cafeteria-Geld, das Mama dir am Montag gegeben hat?«, bohrte Lea nach.

»Was soll schon damit sein?«, entgegnete Lucie ungeduldig. »Ausgegeben hab ich’s. Du weißt doch, dass ich nicht so gut im Einteilen bin wie du.«

»Was ist denn daran so schwer?«, stöhnte ihre Schwester. »Fünf Euro die Woche macht einen Euro pro Tag. Wenn du jeden Morgen nur einen Euro einsteckst, kann eigentlich gar nichts schiefgehen.«

»Ja, wenn«, blaffte Lucie. »Mama hat mir aber leider einen Schein hingelegt.«

»Jetzt zofft euch doch nicht«, mischte Alina sich ein. Sie fischte eine Fünfzig-Cent-Münze aus ihrer Jeans hervor und legte sie zu den Kupfermünzen in Lucies Hand. »Hier. Ich spendier dir eine Apfelschorle.«

»Oh, danke!« Lucies große blaue Augen strahlten. »Das ist echt total süß von dir.«

»Ja, ja«, grummelte Lea. »Alina und ihr großes Herz.«

Sie konnte sich allerdings ein Schmunzeln nicht verkneifen.

»Genau dafür lieben wir sie, oder?«, meinte Lucie und drückte Alina einen Kuss auf die Wange. »Jetzt kann ich mir sogar noch einen Lakritzlolli leisten.«

»Mhm.« Lea zog die Mundwinkel ein. »Anstatt dir das Geld für nächste Woche aufzuheben.«

»Du und deine Logik, Schwesterkeks«, erwiderte Lucie. »Ob ich mir den Lolli nun heute oder nächste Woche kaufe, kommt am Ende ja wohl aufs Gleiche raus.«

Das fürchte ich allerdings auch, dachte Lea bei sich, während sie ihrer Zwillingsschwester ein vielsagendes Lächeln schenkte.

Völlig egal, wie viel Geld Lucie zur Verfügung hatte, im Grunde war sie immer pleite.

»Die Pause ist gleich um«, stellte Alina nach einem Blick auf die große bunte Uhr, die an der gelb getünchten Wand über dem Kioskfenster hing, fest. »Und wir haben noch immer nix.«

»Wir hätten eben nicht so trödeln sollen«, erwiderte Lea und sah über ihre Schulter zurück. »Die hinter uns haben übrigens bereits aufgege…«

Vor Schreck blieb ihr die letzte Silbe im Hals stecken.

Ihr Vater und Johanna Knippke liefen gerade den Gang entlang in Richtung Lehrerzimmer.

Lea schloss kurz die Augen und holte tief Luft.

Okay, sie war sich nicht zu hundert Prozent sicher, aber doch mindestens zu fünfundneunzig, dass Butterkeks Gerald von Leipnitz und die neue Referendarin sich für eine kaum wahrnehmbare Milliblitzsekunde an den Händen berührt – wenn nicht sogar gehalten! – hatten.

»Das kann nicht sein.« Lucie stoppte ihr Fahrrad, sprang auf den Bürgersteig und schüttelte energisch den Kopf. »Unmöglich! Du hast dich bestimmt verguckt.«

Anders als ihre Zwillingsschwester zog Lea sachte die Handbremse und ließ das Rad ausrollen, bevor sie abstieg.

»Das hab ich zuerst ja auch gedacht«, erwiderte sie. »Zumindest zu fünf Prozent. Aber irgendwie hat sich exakt dieses Bild hier eingebrannt!«, schimpfte sie und schlug sich zornig mit dem Handballen gegen die Stirn.

Lucie hievte ihren Drahtesel über die Bordsteinkante und lehnte ihn gegen den Stromverteilerkasten. Mit vor der Brust gekreuzten Armen und skeptisch vorgeschobener Unterlippe ging sie auf ihre Schwester zu.

»Ich glaub das einfach nicht«, bekräftigte sie.

»Würde ich ja auch gern«, jammerte Lea. »Ach, verdammt!«, fluchte sie. »Hätte ich mich vorhin in der Cafeteria doch bloß nicht umgedreht!«

»Ehrlich gesagt, hätte ich das auch besser gefunden«, gab Lucie zurück. »Mannomann! Ausgerechnet heute, wo die Butterkekse Hochzeitstag haben!«

Dreizehn Jahre waren Rosanna und Gerald von Leipnitz inzwischen verheiratet. Klar hatte es hin und wieder mal Meinungsverschiedenheiten gegeben, aber niemals einen ernsthaften Streit. Heute Morgen beim Frühstück hatten sie noch geturtelt wie zwei frisch verliebte Täubchen – und jetzt DAS!