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"Die Musik hat mich angegriffen!", behauptet der Regisseur Raymondo Kappelhoff, nachdem er einer Probe des Orchesters 'Colorphoniker' beigewohnt hat. Die drei ??? sind sich uneinig: Ist der Mann verrückt? Oder steckt wirklich eine Gefahr hinter den Klängen des Ensembles? Justus, Peter und Bob brechen sofort zu Ermittlungen vor Ort auf und nehmen die "Villa der Künste" unter die Lupe. Ob ihnen bei diesem Fall Hören und Sehen vergeht?
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Seitenzahl: 157
Sinfonie der Angst
erzählt von Kari Erlhoff und Kai Schwind
Kosmos
Umschlagillustration von Silvia Christoph
Umschlaggestaltung von eStudio Calamar, Girona, auf der Grundlage
der Gestaltung von Aiga Rasch (9. Juli 1941 – 24. Dezember 2009)
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© 2014, Franckh-Kosmos Verlags-GmbH & Co. KG, Stuttgart
Alle Rechte vorbehalten
Mit freundlicher Genehmigung der Universität Michigan
Based on characters by Robert Arthur.
ISBN 978-3-440-14320-9
eBook-Konvertierung: le-tex publishing services GmbH, Leipzig
»Grundgütiger, Titus! Bist du von allen guten Geistern verlassen?« Tante Mathilda stand in der Auffahrt des Gebrauchtwarencenters T. Jonas. Sie sah aus, als wäre sie kurz davor, ihren Ehemann samt seinen neuesten Einkäufen vom Hof zu jagen. Onkel Titus sank auf dem Fahrersitz seines Pick-ups um ein paar Zentimeter zusammen. »Es war ein Angebot, dem ich nicht widerstehen konnte!«
»Du kannst grundsätzlich keinem Angebot widerstehen!«, sagte Mathilda forsch. »Es ist doch immer wieder dieselbe alte Leier– in diesem Fall geradezu wörtlich! Wir werden zusehen müssen, dass wir die Dinger schnell loswerden.«
Sie sah sich mit ihrem gefürchteten Adlerblick um. Keine zwei Sekunden später hatte sie Justus und seine beiden Freunde entdeckt, die den Pick-up und dessen Ladung aus sicherer Entfernung beobachtet hatten. Bevor sie auch nur daran denken konnten, sich in ihr Geheimversteck zu flüchten, wurden sie von MrsJonas herangewinkt. »Wir brauchen den Wagen heute noch, daher müsst ihr die Einkäufe jetzt gleich abladen«, sagte sie mit strenger Miene. »Hinter den Gartengeräten und den Autoteilen ist noch etwas Platz. Bitte stellt alles ordentlich auf!«
Justus spähte neugierig hinüber zu seinem Onkel, der nun den Pick-up parkte. Auf der Ladefläche des Wagens waren offenbar einige Kisten gestapelt, über die MrJonas eine blaue Plane gespannt hatte.
»Die Leute wollen Stühle und Betten, Werkzeuge oder Blumenkübel«, ereiferte sich Tante Mathilda. »Sie brauchen Autoteile, einen günstigen Gartenschlauch oder hübsches Porzellan. Aber kein Mensch braucht alte Leierkästen!«
»Du irrst dich, meine Liebste!« Onkel Titus sprang etwas steifbeinig aus dem Wagen. »Unterschätze niemals die Macht der Musik!«
»Die Macht der Musik!«, echote Tante Mathilda mit vehementem Kopfschütteln.
Onkel Titus ignorierte die Geste. »Ganze Schwärme von Kunden werden den nostalgischen Klängen einer längst vergangenen Zeit erliegen.«
»Ich fürchte, der Einzige, der hier nostalgisch wird, bist du!« Tante Mathilda sah ihren Mann noch immer vorwurfsvoll an, allerdings schwang nun auch ein kleines bisschen Verständnis in ihrer Stimme mit. Titus Jonas hatte als junger Mann als Drehorgelspieler bei einem Zirkus gearbeitet. Die Erinnerungen an diese Phase seines Lebens waren ihm bis heute wert und teuer. Er hatte sich vor einigen Jahren– ebenfalls zum Entsetzen seiner Frau– sogar eine gebrauchte Orgel angeschafft und abends auf dem Hof alte Schlager und Seemannslieder gespielt. Der Mittwoch, an dem ein Kunde sie für einen wirklich guten Preis gekauft hatte, war ein schwarzer Tag für Onkel Titus gewesen.
Gemeinsam mit Peter und Bob löste Justus die Plane von der Ladefläche. Dabei kamen neun Leierkästen zum Vorschein. Sie waren teilweise etwas ramponiert: Bei einigen blätterte die Farbe ab, andere hatten nur noch drei Räder oder waren komplett von Spinnweben überzogen. Auf einem Kasten saß ein abgewetzter Stoffaffe mit verrosteten Becken in den Pfoten.
»Ich wette, dein Onkel wird sie nachher alle ausprobieren, Just!«, prophezeite Peter, während er die Ladung betrachtete.
Bob lächelte. »Was findet dein Onkel bloß an diesen alten Dingern?«
»Sein Herz hängt beinahe so sehr an der Musik wie an Kuriositäten und besonderen Antiquitäten«, erklärte Justus seinem Freund. Hinter sich hörte er ein Räuspern. Er drehte sich rasch um und sah Tante Mathilda, die nun direkt neben dem Pick-up stand. »Wenn Titus’ Herz tatsächlich so an der Musik hängt, dann hätte er mir zum letzten Hochzeitstag Karten für die Oper schenken können! Aber stattdessen habe ich ein Grubenlicht bekommen.«
»Du hast dich doch immer beschwert, dass es im Keller zu dunkel ist!«, verteidigte sich Onkel Titus. »Und die Lampe ist ein historisches Original aus einem europäischen Bergwerk– ein echtes Museumsstück!«
Tante Mathilda winkte energisch ab. »Eine neue, zeitgemäße Kellerbeleuchtung hätte es auch getan. Abgesehen davon habe ich in den Wochen vor unserem Hochzeitstag mehrfach erwähnt, dass ich gerne mal wieder in ein Konzert oder in die Oper gehen würde– und zwar nicht so provinziell hier in Rocky Beach, sondern ganz schick in Los Angeles!«
»Ich glaube, wir laden dann mal ab!«, verkündete Justus schnell, bevor sein Onkel und seine Tante einen richtigen Streit anfangen konnten. »Zeigst du uns, wo die Leierkästen hinsollen, Tante Mathilda?«
Es dauerte nicht lange, bis alle Drehorgeln einen guten Platz gefunden hatten und vom gröbsten Dreck befreit waren. Da standen sie nun nebeneinander in der kalifornischen Sonne und warteten auf Kundschaft. Onkel Titus’ Augen leuchteten, als er seinen Einkauf betrachtete. »Ich denke, wir sollten hier eine Musik-Ecke aufmachen. Es ist immer besser, die Waren thematisch zu sortieren. Irgendwo müsste noch eine Kiste mit Triangeln und einem Xylofon sein und neulich habe ich bei einer Haushaltsauflösung eine Sammlung von Eruptivgesteinen ersteigert.«
Als die drei??? ihn fragend ansahen, zuckte er mit den Schultern. »Diese Dinger haben einem Musikologen aus San Francisco gehört. Irgendetwas werden sie also schon mit Musik zu tun haben.«
»Sollen wir dir mit der Musik-Ecke helfen?«, fragte Justus.
Onkel Titus zögerte. »Ich sollte diese Idee besser mit meiner holden Mathilda besprechen. Nicht, dass es am Ende noch richtig Ärger gibt. Ihr könnt meinetwegen für heute Schluss machen.«
Die drei??? ließen Titus Jonas bei seinen neuesten Errungenschaften zurück und schlenderten zwischen Stapeln rostiger Blechröhren, einem Haufen antiker Vogelkäfige, einer Ansammlung alter Zinkeimer und ein paar verwitterten Hollywood-Schaukeln über den Platz.
»Hoffentlich können sie sich einigen«, meinte Bob, als Justus’ Onkel außer Hörweite war.
»Die beiden haben sich noch jedes Mal wieder vertragen«, sagte der Erste Detektiv zuversichtlich. »Tante Mathilda kann sich vehement durchsetzen, aber sie hat auch ein großes Herz. Lange ist sie meinem Onkel nie böse.«
»Dann ist ja gut«, kam es von Peter. »Vielleicht sollten wir uns jetzt endlich mal unserem neuen Fall zuwenden.«
Seine beiden Freunde sahen ihn irritiert an. »Fall?«
Peter grinste. »Ja, da guckt ihr, was? Unser neuer Fall– der schon seit Tagen liegen geblieben ist und der unsere Auftraggeberin langsam, aber sicher zur Weißglut bringt.«
»Dass wir derzeit an einem Fall arbeiten, entzieht sich komplett meiner Kenntnis!« Justus sah den Zweiten Detektiv prüfend an. Im Kopf ging er eilig alle möglichen Fälle durch, an denen sie in der letzten Zeit gearbeitet hatten. Aber alle waren ganz zu ihrer Zufriedenheit abgeschlossen worden. Neue Aufträge hatten sie schon seit Wochen nicht mehr bekommen.
»Wir haben diese Auftraggeberin heute schon in Rage erlebt«, erklärte Peter.
Justus runzelte die Stirn. »Du meinst–«
»Ich sage nur: Tante Mathilda und Zaun!«, kam ihm Peter zuvor.
Jetzt begann auch Bob zu verstehen, worüber seine Freunde redeten. »Stimmt ja, Justs Tante hat uns gebeten, den Bretterzaun auf der Innenseite zu streichen.«
Peter nickte. »Ja, und das machen wir jetzt auch. Farbe und Pinsel stehen bereits in der Freiluftwerkstatt, wir können also gleich loslegen.«
»Vielleicht belohnt deine Tante uns dann mit ihrem Kirschkuchen«, sagte Bob hoffnungsvoll. »Oder sie macht wieder diese leckeren Schokoladenkekse.«
Justus sah nicht gerade begeistert aus. »Die Außenseite des Zaunes wurde von Künstlern aus der Gegend gestaltet. Es wäre doch naheliegend, die Innenseite nun auch in talentierte Hände zu geben.«
Bob konnte sich ein Lachen nicht verkneifen. »Gib doch zu, dass du auf solche handwerklichen Arbeiten keine Lust hast. Du lässt lieber deine grauen Zellen arbeiten.«
»So ist es«, bestätigte der Erste Detektiv. »Bei einem echten Fall könnte ich meine mir angeborenen Fähigkeiten besser einsetzen als bei der farbigen Neugestaltung des Zaunes!«
Bevor Bob und Peter etwas antworten konnten, kam ein Mann direkt auf sie zu. Er schwankte leicht, als wäre er betrunken oder an Bord eines Schiffes mit starkem Seegang. Dazu passte auch die blasse Haut, die einen leicht grünlichen Stich hatte.
Justus musterte den Mann von oben bis unten: Er trug eine Art Dauerwelle, die merkwürdig anmutete– besonders, da die hellbraunen Haare oben am Kopf kurz geschnitten waren, im Nacken jedoch so lang waren, dass sie ihm auf die Schultern fielen. Nicht weniger auffällig war seine Kleidung: eine hellblaue Röhrenjeans, ein kurzes Jackett und ein türkises T-Shirt mit aufgedruckten bunten Sonnenbrillen. Der Mann wirkte, als wäre er einem Popmusik-Video aus den Achtzigerjahren entsprungen.
»Ihr… ich… ist das hier der Trödelmarkt von Titus Jonas?«, stammelte er atemlos. Mit einer fahrigen Bewegung wischte er sich über die Stirn. Justus schätzte den Mann auf Mitte vierzig, vielleicht sogar älter. Fest stand, dass es ihm nicht gut ging. Vielleicht war er einfach nur ein betrunkener Kunde, aber er weckte definitiv die Neugierde des Ersten Detektivs. »In der Tat ist das hier das Gebrauchtwarencenter T. Jonas«, bestätigte er freundlich. »Interessieren Sie sich für etwas Bestimmtes, Sir?«
Der Mann hielt sich an einer Kommode fest, als könnte er jeden Moment umkippen. »Nein… das heißt, ja… Ich… ich bin auf der Suche nach den drei Detektiven.«
Das hörte Justus gern. Schon witterte er einen neuen Fall. Die Auftragsflaute hatte schon viel zu lange gedauert. »Da sind sie absolut richtig– wir sind die drei Detektive.«
»Was?« Nun wirkte der seltsam angezogene Mann noch verwirrter als zuvor. Er sah die Jungen zweifelnd an. »Ihr seid diese Detektive? Das kann nicht sein! Ihr seid doch viel zu jung.«
Die drei??? tauschten einen raschen Blick. Dann zog Justus die Visitenkarte ihres Detektivunternehmens aus der Tasche und reichte sie seinem Gegenüber.
Der Mann mit der altmodischen Dauerwelle studierte die Karte eine ganze Weile– deutlich länger, als es die Leute sonst für gewöhnlich taten. Peter wurde bereits ungeduldig, als der Mann endlich aufsah.
»Bitte, Sir, können wir Ihnen weiterhelfen?«, fragte Justus. Der Angesprochene antwortete nicht. Stattdessen griff er sich an die Stirn. Sein Gesicht wirkte für einen Moment schmerzverzerrt.
Nun war Justus ehrlich besorgt. »Sir? Hören Sie mich?«
»Die Musik…«, murmelte der Mann. »Sie… sie war unter meiner Haut… Sie war in meinem Blut… Sie… hat mich angegriffen!«
»Nehmen Sie doch Platz!« Die drei??? hatten den Mann mit der Dauerwelle in ihre Freiluftwerkstatt geführt und dort einen Gartenstuhl aufgeklappt. Er ließ sich erschöpft auf das Polster sinken. »Bitte entschuldigt mein Auftreten… Ich… ich habe mich noch nicht einmal vorgestellt, mein Name ist Raymondo Kappelhoff. Ich bin noch ganz durcheinander… Es ist ja noch nicht mal eine Stunde her…«
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