Die Entfernung der Nähe - Marijo Sertic - E-Book

Die Entfernung der Nähe E-Book

Marijo Sertic

0,0

Beschreibung

»Die Entfernung der Nähe« erzählt auf leichtfüßige Art die Geschichte der tiefgehenden Begegnung zwischen Elisa und Mario. Sie zeichnet ein filigranes Bild von Liebe und den damit verwobenen Ängsten und Hoffnungen. Poetisch und gefühlsstark entführt der Liebesroman sein Publikum in einen schwerelosen Raum der Sehnsucht und diffuser Stimmungen von großer Intensität, die im Herzen berühren, ohne dass der Kopf sie zu hundert Prozent erfassen könnte. Eine zauberhafte Erzählung für alle Menschen, die an die Kraft der Liebe glauben.

Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:

Android
iOS
von Legimi
zertifizierten E-Readern
Kindle™-E-Readern
(für ausgewählte Pakete)

Seitenzahl: 225

Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:

Android
iOS
Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Für Kathrin

Inhaltsverzeichnis

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

1

Sophie lag in ihrem Bett, die Augen weit geöffnet, den Blick starr auf die tanzenden Schatten der Bäume gerichtet, die der Mond an die Decke warf. Ihr Körper fühlte sich schwer an, als hätte die Schlaflosigkeit sich in ihren Knochen eingenistet. Das leise Ticken der nostalgischen Wanduhr zählte die Sekunden in einem unerbittlichen Rhythmus, der die Stille der Nacht durchbrach und die Unruhe in ihrem Inneren noch verstärkte. Jedes Ticken schien eine Erinnerung an die Zeit zu sein, die unaufhaltsam voranschritt, während ihre Gedanken wie Blätter im Wind umherwirbelten, ohne festen Halt.

Sie setzte sich auf und strich sich durch das zerzauste Haar, atmete tief ein. Der Geruch von Papier und Tinte, der von ihrem Schreibtisch herüberwehte, mischte sich mit dem Duft des Sommerabends, der durch das geöffnete Fenster hereinströmte. Die kühle Brise auf ihrer Haut brachte keine Erleichterung; sie zog die Decke enger um sich, als könnte sie sich so vor der Gedankenleere schützen.

Das weiße Blatt Papier auf ihrem Schreibtisch lag da wie ein stummer Vorwurf, die Ecken leicht abgerundet von den vielen Berührungen. Die Tasten ihrer Tastatur warteten still und geduldig, doch der vertraute Klang des Tippens blieb aus. Ihre Finger ruhten auf den Tasten, spürten ihre Glätte, aber die Worte blieben in ihrem Kopf gefangen, unerreichbar und stumm. Schließlich stand sie auf und ging zum Fenster, lehnte sich hinaus und lauschte dem sanften Rauschen der Blätter im Wind. Es klang, als flüsterten sie Geschichten, die sie nicht greifen konnte.

Die Nacht war erfüllt von den leisen Geräuschen der Natur, doch in ihrem Kopf herrschte eine beklemmende Stille. Der Geschmack von frischer Luft lag auf ihren Lippen, aber sie fühlte sich, als würde sie ersticken an der Leere ihrer Gedanken. Die Welt draußen schien weit weg, ein ferner Ort, den sie nicht erreichen konnte. Sie dachte an die Zeit, als das Schreiben leicht von der Hand ging, als die Worte nur so aus ihr herausflossen. Doch jetzt fühlte sie sich wie ein hohles Gefäß, ausgebrannt und verloren. Sie schloss die Augen und ließ die Nacht sie umhüllen, in der Hoffnung, dass die Dunkelheit ihre Gedanken klären und die Inspiration zurückbringen würde. Doch selbst in der Dunkelheit blieb alles still.

So blieb sie noch eine Weile am Fenster stehen, das leise Rauschen des Windes umspielte ihre Sinne wie ein vergessener Traum. Schließlich wandte sie sich ab und ging langsam zurück zu ihrem Bett, die Schritte hallten leise auf dem alten Holzboden wider.

Der Mond tauchte das Zimmer in ein schummriges Licht, das die Konturen der Möbel aus dunklem Holz, die von der Zeit gezeichnet waren und dessen Oberfläche von unzähligen kleinen Kratzern durchzogen war verwischte. Sie ließ sich auf das Bett sinken und starrte wieder an die Decke, wo die Schatten der Blätter ein flüchtiges Muster bildeten. Die Schlaflosigkeit war wie eine alte Bekannte, die sich in ihren Geist eingenistet hatte und sie nicht losließ. Sie schloss die Augen und versuchte, sich an einen Ort zu denken, an dem sie Ruhe finden könnte, doch die Leere in ihrem Kopf blieb bestehen.

Plötzlich fiel ihr Blick auf eine kleine Schachtel, die halb unter dem Bett hervorschaute. Sophie hatte sie schon lange nicht mehr beachtet, aber etwas in ihr zog sie jetzt magisch an. Beherzt griff sie nach der Schachtel und öffnete sie vorsichtig. Darin fand sie alte Briefe und Fotos, Erinnerungen an eine vergangene Zeit, als das Schreiben noch schwerelos war und die Inspiration sie ständig begleitete. Ein Foto stach ihr besonders ins Auge: Es zeigte einen alten See, umgeben von hohen Bäumen. Ein zweites zeigte ihre Mutter, wie sie einen Handstand machte und ein drittes, wie sie einfach nur am Ufer saß und auf den See starrte.

Ein Lächeln huschte über ihr Gesicht, als sie sich an diesen Ort erinnerte. Sie hatte ihn als Kind mit ihrer Mutter oft besucht und dort glückliche Stunden verbracht. Trauer und Wehmut überfluteten sie, als sie an ihre Mutter dachte, die sie seit vielen Jahren nicht mehr gesehen hatte, wie Wellen, die unaufhaltsam an die Küste branden und die Stille der Nacht durchdringen.

Der Gedanke daran, wieder dorthin zurückzukehren, brachte eine unerwartete Wärme in ihr Herz. Entschlossen stand sie auf, zog eine Reisetasche unter dem Bett hervor und begann, einige Sachen zu packen. Von plötzlicher Eile getrieben, stopfte sie nur das Nötigste in die Tasche, ihre alten Manuskripte und einen kleinen Koffer voller Erinnerungen.

Als der Morgen dämmerte und der Zug sich durch die Nebel der ländlichen Gebiete schlängelte, spürte sie eine seltsame Erleichterung. Die Welt draußen schien in einem zeitlosen Zustand zu verharren, als ob die Natur selbst beschlossen hätte, ihr eine Atempause zu gewähren. Die Hügel, die sich harmonisch in die Ferne erstreckten, wirkten wie eine Einladung, sich dem Fluss des Lebens erneut hinzugeben, aber diesmal in einem ruhigeren Tempo.

Sophie wusste, dass sie einen Tapetenwechsel brauchte, einen Ort, der weit weg von der Hektik der Stadt war und ihr die Ruhe bringen konnte, nach der sie sich so sehr sehnte.

Auch wenn die Geräuschkulisse der Stadt nicht mehr von den Fahrzeugen mit Verbrennungsmotoren dominiert wurde, hatte der ständige Fluss von Menschen, sie unruhig und müde gemacht. Die Reise mit dem Zug führte sie durch grüne Landschaften und kleine Ortschaften. Während sie aus dem Fenster blickte, erinnerten die schnell entfliehenden Bilder sie an ihre Mutter und die schönen Zeiten, die sie miteinander verbracht hatten. Ihr Zug verlangsamte seine Geschwindigkeit, und die Gedanken an die Mutter lösten sich wie Nebel im Morgenlicht auf. Gegen Mittag erreichte sie ein kleines Dorf.

Der Ort schien in einer eigenartigen Zeitlosigkeit zu verweilen. Schritt für Schritt setzte sie ihren Weg zu Fuß fort, eingehüllt in das Flüstern des Windes und die leisen Geräusche, die nur sie zu hören schien.

Nach eineinhalb Stunden erblickte sie den See. Ein Gefühl der Befreiung und Freude stieg in ihr auf, als ob eine unsichtbare Last von ihren Schultern glitt. Das Wasser spiegelte den Himmel wider, und das leise Plätschern der Wellen klang wie ein längst vergessenes Lied, das tief in ihrem Inneren widerhallte.

Sie ließ sich vor Müdigkeit und Erleichterung unter einem Baum nieder und lauschte ihren Gedanken. Da war nichts. Nur die stille Leere, die sie sacht umfing, wie ein alter Freund, der schon lange nicht mehr zu Besuch gewesen war. Sie spürte, dass sie hier richtig war. Es war ein Gefühl, das sich leise in ihr ausbreitete, als ob der Ort sie mit einer unsichtbaren, wohlwollenden Hand umarmte.

Überwältigt von den Eindrücken, schlief sie unter dem Baum ein. Als sie wieder erwachte, fühlte sie sich voller Energie und Tatendrang, als ob der Schlaf sie mit neuer Kraft erfüllt hätte. Entschlossen raffte sie sich auf, die Gegend, um den See zu erkunden, angezogen von einem unbestimmten, aber unwiderstehlichen Drang nach Entdeckung.

Sie ging weiter um den See herum, durch den dichten Wald, immer darauf bedacht, das Wasser im Blick zu behalten. Links neben dem Hauptpfad, in Richtung See, öffnete sich ein schmaler, kaum erkennbarer Weg, der fast vollständig von wilden Pflanzen überwuchert war. Ohne sich um die Verletzungen durch das teilweise dornige Gewächs zu kümmern, trat sie mit ihren Sandalen fest auf den Weg.

Als sie ein verlassenes Haus entdeckte, hielt sie inne und betrachtete es zunächst aus der Ferne. Ihre Schritte waren vorsichtig, doch ihre Augen leuchteten, als sie um das verlassene Holzhaus schlich. Grüne Ranken umklammerten die verwitterten Holzbalken, und sie streckte die Hand aus, um das raue Holz unter den dichten Blättern zu fühlen. Sie beugte sich vor, um durch die zerbrochenen Fenster zu spähen, ihr Atem stockte in Erwartung dessen, was sie entdecken könnte. Staubpartikel tanzten im Licht der Sonnenstrahlen. Der Geruch von feuchter Erde und verwittertem Holz stieg in ihre Nase, vermischte sich mit dem frischen, grünen Bukett der Bäume. Sie atmete tief ein, fühlte die kühle Feuchtigkeit des Bodens und das erdige Aroma, das von den morschen Balken ausging, während der Duft von Tannennadeln und wildem Moos in der Luft hing. Es war, als ob die Vergangenheit und die Gegenwart in dem Wind tanzten, ein flüchtiger Moment, eingefangen zwischen den Bäumen und dem alten Haus.

Sie öffnete die Tür und trat ein, ihre Finger strichen langsam über die raue Textur der Holzwände, während sie den warmen Geruch von altem Holz und aufgewirbeltem Staub in ihre Lungen sog, ein Aroma, das gleichzeitig beruhigend und melancholisch wirkte. Der Holzboden knirschte unter ihren Schritten, ein leises, vertrautes Echo vergangener Zeiten. Raum um Raum durchquerte sie, bis sie vor einer Treppe aus dunklem Holz zum Stehen kam, die sich in eine geheimnisvolle Stille hinaufschwang.

Sie setzte den Fuß auf die knirschende Holztreppe, die nach oben führte und lauschte den leisen Geheimnissen, die jede Stufe ihr zuflüsterte. Schritt für Schritt näherte sie sich dem Dachboden, einem Raum, der in tiefen Frieden gehüllt war.

Oben angekommen, drang der schwache Lichtschein der Morgensonne durch die Lücken in der Dachkonstruktion und tauchte den Raum in ein gedämpftes, staubiges Licht.

In einer dunklen Ecke erblickte sie eine Kiste, dick mit Staub bedeckt, die lange unberührt auf sie zu warten schien. Mit vorsichtiger Neugierde öffnete sie den Deckel und enthüllte ein altes, in Leder gebundenes Manuskript. Eine zarte, von Hand gestickte Blume zierte das kastanienbraune Leder. Es fühlte sich unter ihren Fingern glatt und geschmeidig an und die leicht vergilbten Seiten knisterten, als sie das Buch aufschlug.

Sie ließ sich langsam auf den Boden nieder, lehnte sich an die kühle Wand, das Manuskript fest in ihren Händen. Während sie die erste Seite aufschlug, umhüllte sie die Stille des Dachbodens. Ihre Augen wurden von den Zeilen, die sie entdeckten, unweigerlich in eine neue Welt gezogen, jede Seite eine neue Offenbarung.

Die Worte verflossen vor ihren Augen und weckten eine lang vergessene Leidenschaft tief in ihrem Inneren. Mit jedem Satz tauchte sie tiefer ein, die Geschichte nahm Gestalt an und sie spürte die vertraute Wärme einer Liebesgeschichte, die sich zwischen den Buchstaben entfaltete. Es war, als würde die Vergangenheit durch die Seiten hindurch zu ihr sprechen, sie in eine Welt voller Sehnsucht und verlorener Träume ziehen.

2

Elisa schob einen schmalen Spalt zwischen den Blättern der Jalousie an der Schaufensterscheibe des Cafés auf. Ein feiner Streifen Morgenlicht fiel ins Innere und ihre Augen suchten die Tische ab, um zu erkunden, ob ein Platz frei wäre, bis sie an einem Mann in der hintersten Ecke hängen blieben. Er rückte ein kleines rotes Sofa hin und her. Sie blinzelte, um schärfer zu sehen.

Neugierig bewegte sie sich in Richtung Eingangstür, wie von einer unsichtbaren Kraft vorwärts geschoben. Ihre Schritte waren leicht und beschwingt. Die letzten Stufen überwindend, legte sie ihre Hand auf die Tür, die sich mühelos öffnete, als wäre sie seit Ewigkeiten darauf vorbereitet.

Im selben Moment, fast wie ein stiller Dialog ohne Worte, hob der Mann im Raum den Blick. Seine Aufmerksamkeit wanderte von dem kleinen roten Sofa, das er gerade noch geordnet hatte, zu der Frau am Eingang.

Ihre Schuhe schienen schon viele Abenteuer erlebt zu haben, ihre Jeans sahen aus, als wären sie ein Lieblingsstück und die graue Winterjacke, die sie eng umschlungen hielt, wippte im Takt ihrer Schritte. Ihre kurzen, dunklen Haare waren sorgfältig zur Seite gekämmt. Jeder Strang schien seinen Platz in einem unsichtbaren Muster zu finden, das ihre Anmut und Eleganz unterstrich.

In der dezenten Beleuchtung des Cafés wirkte sie wie eine Figur aus einem alten Gemälde, zeitlos und doch lebendig. Er beobachtete sie, wie sie sich bewegte, ruhig und bedacht. Es war, als ob jede ihrer Gesten eine Geschichte erzählte, eine Geschichte von Stärke und Zartheit, von Geheimnissen und Offenbarungen.

Sie bestellte einen Kaffee und fand einen Platz nicht weit von ihm. Die Minuten vergingen, während er sie verstohlen beobachtete. Sie holte ein Buch aus ihrer Tasche und schien in ihre Lektüre schnell einzutauchen. Doch dann legte sie das Buch beiseite, sah auf und ihre Blicke trafen sich. Ein flüchtiges Lächeln spielte um ihre Lippen, als wäre ihr plötzlich bewusst geworden, dass sie beobachtet wurde.

»Ist das Buch gut?», fragte er, die Stille durchbrechend und nach einer Brücke suchend.

»Es ist faszinierend«, antwortete sie.

»Es öffnet eine ganz neue Perspektive. Möchten Sie vielleicht einen Blick hineinwerfen?«, fragte sie.

Sie hielt ihm das Buch hinüber. Ihr Tonfall war einladend und er spürte eine seltsame Mischung aus Nervosität und Vorfreude.

Er nahm das Buch, seine Finger streiften kurz die ihren.

»Die Eleganz des Igels, Muriel Barbery«, las er vor sich hin.

»Vielleicht könnten Sie mir später Ihre Gedanken dazu erzählen?«, fragte er erwartungsvoll.

Sie nickte, ein Lächeln breitete sich aus.

»Das würde ich gerne tun. Vielleicht bei einem zweiten Kaffee?«

»Wenn Sie möchten, können Sie neben mir auf dem gemütlichen Sofa Platz nehmen!?«, sagte er einladend.

Sie erhob sich lächelnd und setzte sich neben ihn.

»Elisa«, stellte sie sich mit einem breiten Lächeln vor.

»Mario«, entgegnete er mit strahlenden Lippen.

»Dieses Sofa hat eine besondere Geschichte«, fing er an zu erzählen.

»Erzähl mir mehr«, sagte sie, ihre Neugierde geweckt.

Sie ließ sich auf das Sofa sinken, die Hände auf den weichen samtigen Stoff gelegt.

»Es gehörte einst einem alten Freund von mir«, begann er.

»Er sagte immer, dass es ein magisches Sofa sei – jeder, der darauf saß, würde eine besondere Begegnung erleben.«

»Eine besondere Begegnung?«, wiederholte sie leise fragend.

»Und was ist deine Geschichte mit diesem Sofa?« Mario lächelte und setzte sich ihr gegenüber.

»Meine Geschichte ist noch im Entstehen begriffen. Aber vielleicht, nur vielleicht, beginnt sie heute.«

Das Gespräch begann zögerlich, entwickelte sich aber schnell zu einem lebhaften Austausch über ihre Lieblingsbücher, Filme und die unerwarteten Wendungen des Lebens. Als der Kaffee zu Ende ging, war es, als hätten sie eine unsichtbare Schwelle überschritten, von Fremden zu etwas Vertrautem, ein Versprechen von weiteren Begegnungen, die noch vor ihnen lagen.

Ihre Blicke trafen sich erneut und für einen Moment war der Duft des Kaffees nur eine ferne Melodie, während die unausgesprochenen Worte zwischen ihnen wie ein Hauch in der Luft schwebten. Er schaute ihr in die Augen und sie lächelte, als der Kellner zwei Tassen Kaffee, deren heiße, aromatische Wellen noch intensiver seine Sinne umhüllten, vor ihnen abstellte.

Die Stille zwischen Mario und Elisa war nicht unangenehm, sondern beruhigend, wie ein bekanntes Lied, das im Hintergrund spielte. Die Welt draußen schien weit entfernt und für einen Moment existierten nur dieses kleine Café, dieser Tisch, er und sie.

Marios Augen funkelten, als er über eine Anekdote aus seiner Kindheit sprach und Elisa konnte nicht anders, als zu lächeln. Die Wärme des Kaffees, die Lebendigkeit seiner Stimme und die vertraute Atmosphäre schufen einen Augenblick der Harmonie, in dem alles genau richtig zu sein schien.

»Was machst du normalerweise an einem Sonntagmorgen?«, fragte Mario und lehnte sich leicht zurück, seine Augen ruhten aufmerksam auf ihr.

»Normalerweise? Nichts Besonderes«, antwortete sie nachdenklich.

»Ich arbeite für ein Reiseunternehmen und versuche mich als Schriftstellerin.«

»Als Schriftstellerin?«, fragte er neugierig.

»Ich würde auch gerne etwas schreiben, aber ich denke, mir fehlt das Talent dafür«, stellte er wehmütig fest.

»Hast du einen Lieblingsautor?«, fragte er.

»Es gibt viele gute Autoren, aber einen hervorzuheben, würde ich mir nicht anmaßen.«

»Vielleicht werde ich eines Tages meine Lieblingsautorin finden«, sagte er mit einem Hauch Doppeldeutigkeit.

Elisa legte ihre Tasse behutsam auf den Untersetzer, ein zarter Klang, der kurz in der Stille widerhallte. Sie strich eine lose Haarsträhne hinters Ohr und schaute Mario direkt in die Augen, als ob sie versuchte, in die Tiefe seiner Gedanken zu blicken. Ein sanftes Lächeln spielte um ihre Lippen, das einen Hauch von Neugier und Zurückhaltung in sich trug.

»Und was treibst du so, wenn du nicht gerade im Café bist?«, fragte sie, ihre Stimme leise und doch von einer unerklärlichen Präsenz erfüllt.

Es war eine Frage, die nicht nur eine Antwort suchte, sondern scheinbar einen verborgenen Teil seines Lebens berühren wollte, einen Teil, der sich jenseits der alltäglichen Begegnungen verbarg.

Marios Blick wanderte kurz zur Fensterscheibe, wo das Tageslicht spielerisch tanzte, bevor er zurück zu Elisa fand.

Er spürte, dass diese Frage mehr war als nur eine beiläufige Konversation, sie war eine Einladung, sich zu öffnen und die unsichtbaren Fäden seines Lebens mit ihren zu verweben.

»Ich arbeite als Therapeut«, begann Mario, während er den letzten Schluck seines Kaffees genüsslich auskostete.

Seine Stimme klang ruhig, fast nachdenklich, als er die Tasse wieder auf den Tisch stellte.

»Aber der Job erfüllt mich nicht mehr«, ergänzte er.

Elisas Augen ruhten auf ihm, aufmerksam und verständnisvoll, während sie auf seine nächsten Worte wartete.

»Ich überlege, etwas anderes zu machen«, fuhr er fort, ein Hauch von Unsicherheit schlich sich in seine Stimme.

»Ich schreibe auch gerne. Aber es sind nur kleine Liebesgeschichten«, fügte er hinzu.

Die Reflexionen der Lichter auf dem Glas schienen in seinen Gedanken zu tanzen, während er sich an die stillen Stunden erinnerte, die er mit dem Schreiben verbracht hatte.

»Diese Geschichten...« Er hielt inne, suchte nach den richtigen Worten. »Sie sind wie kleine Fragmente meiner Seele, verstreut auf Papier. Sie sind nicht viel, aber sie sind ein Teil von mir.«

Elisa lächelte, ihre Augen funkelten im schummrigen Licht des Cafés.

»Manchmal sind es gerade die kleinen Geschichten, die die größten Wahrheiten enthalten«, sagte sie.

In diesem Moment schien das Café eine Oase der Ruhe zu sein, ein Zufluchtsort, wo Gedanken und Gefühle ungehindert fließen konnten.

Mario sah sie eine Weile schweigend an, dann sagte er leise: »Vielleicht ist es kein Zufall, dass wir uns heute getroffen haben. So wie in einer Geschichte – zwei Fremde, die durch eine unsichtbare Verbindung zusammengeführt werden.«

Elisa lachte.

»Möglicherweise sind wir tatsächlich Charaktere in einer Geschichte. Das würde vieles erklären«, ergänzte sie.

»Darf ich dich noch auf einen Spaziergang einladen?«, fragte er sie, seine Stimme getragen von einer hoffnungsvollen Note, gefüllt mit Spannung eines möglichen neuen Anfangs.

Seine Augen suchten die ihren, als ob er versuchte, ihre Antwort zu erahnen, bevor sie sie aussprach.

»Ja, sehr gerne«, sagte sie voller Zustimmung.

Ein leises Lächeln zeichnete sich auf ihrem Gesicht ab, während ein Ausdruck der Erleichterung und Freude über seine Züge huschte. Ihre Antwort schien das diffuse Licht des Cafés für einen Moment heller zu machen und mit ihrer Zustimmung schien auch die Umgebung etwas von ihrer Spannung zu verlieren.

Draußen empfing sie eine ungewöhnlich warme Dezembersonne. Ihre Schritte synchronisierten sich, eine stille Symphonie, die das Geräusch seiner und ihrer Schuhe auf dem Pflaster erzeugte. Es war, als ob seine und ihre Seele in einem unsichtbaren Takt vereint wären, ein Tanz, der schon lange vor diesem Moment begonnen hatte. Ab und zu streifte er ihre Hände, ein flüchtiges Kitzeln, das durch seinen Körper lief und in ihr ein leises Lächeln hervorrief. Die Welt um ihn herum verblasste, als er mit Elisa zum Flussufer ging, wo das Wasser in der Morgensonne funkelte und die sanfte Brise Geschichten von fernen Orten erzählte. Während er mit ihr spazierte, verlor er sich in dem Gedanken an ihre Lippen. Sie erinnerten an die Wellen eines ruhigen Sees. Sie waren voll und formten das schönste Lächeln, das er je gesehen hatte.

Die vertraute Stille ihres Spaziergangs wurde plötzlich von Elisas Stimme durchbrochen, als sie fragte:

»Woran denkst du gerade?«

Mario hielt einen Moment inne, seine Gedanken wie die sanften Wellen des Flusses, die sich in unendlichen Mustern bewegten. Er konnte den leisen Wind spüren, der durch die Bäume raschelte, als ob die Natur selbst auf ihre Antwort wartete.

»Ich denke an die Zeit«, sagte er schließlich, seine Stimme ruhig und nachdenklich. »Wie sie uns führt, uns verbindet und uns in solchen Momenten festhält. Ich denke an die flüchtigen Augenblicke, die wie Träume erscheinen und doch realer sind als alles andere.«

Elisa lächelte, ihre Augen spiegelten das sanfte Licht des Morgens wider.

»Es ist seltsam, wie die Zeit in solchen Momenten stillzustehen scheint«, murmelte sie.

Mario nickte, ihre Worte resonierten tief in ihm.

»Ja, genau so fühlt es sich an, als ob wir einen geheimen Raum betreten hätten. Einen Raum, der aus unseren Gedanken und Gefühlen geformt ist.«

Er ging weiter, seine Schritte leicht und synchron mit ihren, während der Fluss ruhig dahinfloss. Die Welt schien in diesen Momenten kleiner und zugleich unendlich groß, als ob sie alle Zeit der Welt hätten, um einfach nur zu sein.

Er verriet ihr nicht seine wahren Gedanken. Stattdessen ließ er sich von der flüchtigen Stille umhüllen. Seine Gedanken wanderten zurück zu dem Moment im Café, als sie die Tasse mit dem duftenden Kaffee in ihren Händen hielt. Ihre Hände schienen ihm weich und voller Tastsinn. Sie waren wie Kunstwerke, filigran und präzise geformt. Es war nicht nur die äußere Form ihrer Hände, die ihn fesselte, sondern auch die stille Anmut, die in ihren Bewegungen lag, die subtile Sprache, die sie ohne Worte sprach.

Er beobachtete, wie sie die Tasse an ihre Lippen führte, und diese Erinnerung hatte sich in sein Gedächtnis gebrannt.

Ihre Lippen, die sich beim Trinken leicht kräuselten, als ob sie dem heißen Getränk einen stummen Kuss gaben. Diese Lippen, die für ihn eine unergründliche Anziehungskraft besaßen, erzählten Geschichten von zarter Wärme und stiller Leidenschaft. Sie waren ein Tor zu einer Welt, die er nur zu gerne erkunden wollte, eine Welt, die in jedem Lächeln, jedem Wort und jedem Moment aufblühte. Während er mit ihr weiterging, ließ er seine Gedanken schweifen, ihre Präsenz und die Worte, die er nicht aussprach, erfüllten den Raum zwischen ihnen. Er wusste, dass es Zeiten gab, in denen Worte unnötig waren, in denen das Ungesagte mehr Bedeutung hatte als das Gesagte. Ihre Hände, ihre Lippen – sie waren Fragmente eines größeren Bildes, eines Mosaiks, das sich langsam in seinem Herzen zusammensetzte.

Er ließ die Erinnerung an ihre Hände und Lippen in sich nachklingen, während sie weitergingen, seine Schritte synchron mit ihren und die Welt um ihn herum ein kristallenes Echo der unausgesprochenen Gedanken.

Plötzlich vibrierte Marios Handy in seiner Hosentasche. Das mechanische Summen riss ihn aus seinen Gedanken, wie ein unerwarteter Windstoß, der die Oberfläche eines stillen Sees kräuselt. Er holte das Gerät heraus und warf einen Blick aufs Display.

Elisa beobachtete ihn aus den Augenwinkeln und sah, wie sich seine zuvor zufriedene und friedvolle Mimik veränderte. Eine Welle von Unruhe durchlief seine Gesichtszüge und ein Hauch von Geheimnis legte sich über seine Augen. Für einen Moment schien die Zeit stillzustehen, die Umgebung verblasste und nur das leise Summen des Handys blieb in der Luft hängen. Marios Finger zögerten, bevor sie den Bildschirm berührten, als ob er sich auf eine ungewisse Reise vorbereitete.

Er konnte die Spannung spüren, die sich wie eine unsichtbare Kluft zwischen ihnen auftat. Sie machte eine Mimik, als ob sie sich fragte, welche Worte oder Bilder auf dem kleinen Bildschirm erschienen waren.

Doch sie sagte nichts, als ob sie wüsste, dass es Momente gab, die besser unberührt blieben, Geheimnisse, die ihre eigene Zeit und ihren eigenen Raum benötigten, um sich zu offenbaren.

Er steckte das Gerät wieder in die Tasche, ohne ein Wort zu sagen. Die Bewegung war ruhig und kontrolliert. Es war, als ob das Handy, nun wieder versteckt, eine unsichtbare Grenze zwischen ihnen gezogen hätte.

Mario sah auf den Fluss hinaus, sein Blick verlor sich in den Wellen, die im Morgenlicht glitzerten. Das Lichtspiel auf dem Wasser warf tanzende Muster auf sein Gesicht, die ihn daran erinnerten, wie vergänglich und ungreifbar die inneren Welten eines Menschen sein können.

Das Schweigen zwischen ihnen war nicht unangenehm, sondern eher dicht und voller unausgesprochener Worte. Elisa Blick verriet, als wollte ihn fragen, was los sei, aber irgendetwas hielt sie zurück. Vielleicht war es die Art, wie seine Schultern sich leicht anspannten, oder der entfernte Ausdruck in seinen Augen, der sie daran erinnerte, dass jeder Mensch seine eigenen Geheimnisse und seine eigene Einsamkeit hatte.

So gingen sie weiter, Seite an Seite, die Hände beinahe sich berührend, doch in Gedanken versunken. Der Fluss floss ruhig dahin, ein Zeuge seiner stillschweigenden Gedanken und der dezenten Spannung, die nun zwischen ihr und ihn schwebte.

Elisa warf einen Blick auf ihre Armbanduhr und machte einen verwunderten Gesichtsausdruck.

Die Zeit schien heimlich und unbemerkt an ihnen vorbeigezogen zu sein, wie ein Windhauch, der die Blätter kaum bewegte.

»Oh, es ist schon zwölf!«, sagte sie, ihre Stimme durchbrach die Stille um sie herum.

»Ich bin gleich noch mit einer Freundin verabredet.«

Ihre Worte hingen für einen Moment in der Luft, als ob sie das ruhige Plätschern des Flusses widerspiegelten. Mario nickte langsam, seine Gedanken schienen noch immer weit entfernt, irgendwo jenseits des glitzernden Wassers.

»Natürlich.« Erwiderte er schließlich, ein schwaches Lächeln spielte um seine Lippen.

»Ich hoffe, du hast eine schöne Zeit«, sagte er.

Er fühlte eine seltsame Mischung aus Bedauern und Erleichterung. Der Moment, der sie bis eben noch umgeben hatte, löste sich auf, und die Realität kehrte zurück, mit all ihren Verpflichtungen und Verabredungen.

Sie nahm seine Hand, drückte sie kurz und ließ sie dann los.

»Wir sehen uns bald wieder«, sagte sie, mehr eine Hoffnung als eine Feststellung.

Mario nickte erneut und Elisa drehte sich um, ging langsam den Weg zurück, den sie gemeinsam gegangen waren. Hinter ihr blieb nur noch das Rauschen des Flusses.

Seine Gedanken, in denen er verweilte, wurden plötzlich vom Blitz eines Instinktgedankens weggefegt. Ein Augenblick der Klarheit durchbrach die Wellen seines Bewusstseins: Er hatte ihre Telefonnummer nicht. Wie sollte er sie wiedersehen?

Eine unerwartete Kälte legte sich über sein Herz, während er ihr hinterherblickte. Die Frau in der grauen Winterjacke verschwand langsam in der Ferne und jede ihrer Bewegungen schien ihn weiter in die Realität zurückzuholen. Er erinnerte sich an das Lächeln, das sie ihm schenkte, an den leisen Klang ihrer Stimme, als sie sich verabschiedete. All diese Details wurden plötzlich zu fragilen Erinnerungen, die drohten, in der Ungewissheit der Zukunft zu verblassen.

Mario blieb stehen, seine Gedanken wirbelten um die unerwartete Erkenntnis. Die Welt um ihn herum schien stillzustehen, während die Schwere dieses einen, schlichten Fakts über ihm hing. Er spürte das Verstreichen der Sekunden wie Sandkörner, die unaufhaltsam durch seine Finger rieselten.

Er sah sich um, als könnte die Umgebung ihm eine Antwort geben, ein Zeichen, eine Möglichkeit, sie wiederzufinden. Doch die Natur schwieg in ihrer zeitlosen Weise. Der Fluss strebte unbeirrt weiter, und die Bäume standen stumm wie immer.

Er musste einen Weg finden, dachte er, während er langsam den Pfad zurückging. Das Leben hatte eine seltsame Art, unerwartete Begegnungen zu weben, aber auch, sie wieder zu entwirren. Und doch spürte er eine leise Hoffnung, dass ihre Wege sich wieder kreuzen würden, auf die eine oder andere Weise, in dieser rätselhaften Choreografie des Schicksals.

Mit dieser Hoffnung im Herzen setzte er seinen Weg fort, das leise Rauschen des Flusses begleitete ihn, ein steter Begleiter seiner Gedanken und Wünsche.

Doch etwas schien ihn zurückzuhalten, als ob eine unsichtbare Hand seine Schritte bremste. Ein Hauch von Unsicherheit schwebte über ihm, aber der Gedanke an den verronnenen Moment des Abschieds trieb ihn voran. Er rannte, so schnell er konnte, zurück, in die Richtung, in der Elisa verschwand.