Die Entstehung der Kontinente und Ozeane - Alfred Wegener - E-Book

Die Entstehung der Kontinente und Ozeane E-Book

Alfred Wegener

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Beschreibung

Dies ist das grundlegende Werk über die Entdeckung der Kontinentaldrift und die Entstehung der Kontinente. Wegeners Theorie von der Verschiebung der Kontinente blieb zu seinen Lebzeiten immer umstritten und geriet nach seinem Tod rasch in Vergessenheit. Erst seit den 1970er Jahren ist seine Theorie allgemein anerkannt. Seit dem Jahr 1911 fand er mehrfache Belege dafür, z.B. die Ähnlichkeit der Konturen von Südamerika und Afrika, dass die bisherige Auffassung von feststehenden Kontinenten nicht richtig sein konnte. Wegener geht in seiner Theorie von einem Urkontinent aus. Aus diesem Urkontinent names "Gondwana" haben sich demnach im Laufe der Erdgeschichte durch Auseinanderbrechen des Urkontinents und anschließenden Auseinanderdriftens der Bruchteile die verschiedenen Kontinente und Ozeane gebildet. Ungeklärt ist bei Wegener allerdings die Ursache der Kräfte, die für das Auseinanderdriften sorgen. Auch deshalb fand seine Theorie zu seinen Lebzeiten nur wenig Anerkennung und führte zum späten Durchbruch der Theorie.

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Alfred Wegener
Die Entstehung der Kontinente und Ozeane

Dritte E-Book-Auflage, April 2014

www.mach-mir-ein-ebook.de, Hamburg

ISBN: 978-3-944309-00-2

Originalausgabe: Friedr. Vieweg & Sohn Akt.-Ges., 1929 Cover: Die Erde während der Kreidezeit vor 150 Mio. Jahren, Rekonstruktion: Dr. Ron Blakey, Lizenz: CC-BY-SA 3.0 unported

Schrift: »DejaVu Serif«, Copyright (c) 2003 by Bitstream, Inc. All Rights Reserved. Bitstream Vera is a trademark of Bitstream, Inc. Diese Schriftart ist unter der DejaVu Fonts License verfügbar.

Inhalt

Vorwort
Erstes Kapitel: Geschichtliche Vorbemerkungen
Entstehung der Verschiebungstheorie – Charakter der vorliegenden Auflage – Vorläufer
Zweites Kapitel: Das Wesen der Verschiebungstheorie und ihr Verhältnis zu den bisher herrschenden Vorstellungen über die Änderungen der Erdoberfläche in geologischen Zeiten
Ehemalige Landverbindungen – Hypothese versunkener Zwischenkontinente – Die Kontraktionstheorie – Beträge des Gebirgszusammenschubs – Radioaktive Wärmeerzeugung – Flachseenatur der marinen Sedimente – Wasserverdrängung der Zwischenkontinente – Isostasie – Postglaziale Hebung Fennoskandiens – Permanenztheorie – Theorie der Kontinentverschiebungen
Drittes Kapitel: Geodätische Argumente
Zeitdauer der geologischen Perioden – Zu erwartende heutige Verschiebungen – Anzeichen für Längenänderung Grönlands nach Mondbeobachtungen – Nachweis der Verschiebung Grönlands durch funkentelegraphische Längenbestimmung – Die Längendifferenz Nordamerika– Europa (Vergleiche hierzu den Anhang). – Änderung der Länge von Madagaskar – Breitenänderungen
Viertes Kapitel: Geophysikalische Argumente
Die beiden Häufigkeitsmaxima der Höhenverteilung – Deutung derselben – Andere Deutungsversuche – Komplikationen beim Tiefseeboden – Schweremessungen – Deutung derselben nach Pratt und Airy – Heutiges Aufsteigen Skandinaviens und die Schwereverteilung – Geschwindigkeitssprung der Erdbebenwellen in 60 km Tiefe – Fehlen der Schichtgrenze im Pazifik – Geschwindigkeit seismischer Oberflächenwellen auf ozeanischem und kontinentalem Gebiet – Andere seismische Verschiedenheiten zwischen Kontinent und Ozean – Erdmagnetische Belege für größeren Eisengehalt des Ozeanbodens – Vulkanische Dredschproben aus der Tiefsee – Sima und Sial – Material der Hauptschichten des Erdkörpers – Schichtenfolge Granit, Basalt, Dunit – Der Zähigkeitskoeffizient der Erde – Schätzungen von Schweydar, Jeffreys, Meyermann – Optimale Schicht für Schmelzung – Granitaufschmelzungen – Übermäßige radioaktive Wärmeerzeugung unter Kontinenten – Geothermische Tiefenstufe in Europa und Amerika – Unterströmungen – Konvektionsströmungen
Fünftes Kapitel: Geologische Argumente
Breiten des Atlantischen Ozeans – Kapgebirge und Sierren von Buenos Aires – Gleichheit der Eruptivserien in Südamerika und Afrika – Gleichheit der Sedimente – Streichrichtungen in Brasilien und Afrika – Geologische Vergleichung durch du Toit – Beweis ehemaliger Nachbarschaft aus den Faziesunterschieden – Weitere Zeugnisse – Das Atlasgebirge – Atlantische Inseln – Die Großen Antillen – Die karbonische Faltung in Europa – Ihre Fortsetzung in Nordamerika – Die kaledonische Faltung – Die algonkische Faltung – Grenzen des quartären Inlandeises – Bedeutung der gehäuften Übereinstimmungen – Grönland – Neufundland – Island – Mittelatlantische Bodenschwelle – Madagaskar – Vorderindien – Himalaja – Nebenerscheinung bei dessen Zusammenschub – Argands Auffassung – Gesamtbau Südamerikas und Afrikas nach Argand – Argumente aus der Faltungstonnage nach Argand – Vorderindiens Zusammenhang mit Australien – Faltung in Ostaustralien und auf Neuseeland – Tiefenkarte um Neuguinea – Verteilung des Vulkanismus – Prüfung der Verschiebungstheorie im Sunda–Archipel durch Smit Sibinga – Australiens Zusammenhang mit Antarktika – Feuerland und Grahamland als Musterbeispiel für Kontinentverschiebung – Argands Résumé
Sechstes Kapitel: Paläontologische und biologische Argumente
Berichtigung der Fragestellung – Anzeichen früherer Landverbindung zwischen Brasilien und Afrika – Desgleichen zwischen Nordamerika und Europa – Beispiele – v. Ubischs Urteil – Aal-Laichplätze – Flora Grönlands und Grinnell–Lands – Floren der atlantischen Inseln – Lemurien und Gondwanaland – Tierwelt Australiens – Neuseeland – Pazifik – Pazifische Inseln – Gesamtverbreitung der Blütenpflanzen nach Irmscher – Verbreitung der Koniferen nach Koch und Studt – Verbreitung der Regenwürmer nach Michaelsen
Siebentes Kapitel: Paläoklimatische Argumente
Untersuchung von Köppen und Wegener – Heutiges Klimasystem – Höhe der Schneegrenze – Moränen als Klimazeugen – Kohlen – Salz, Gips, Wüstensandstein – Marine Kalke – Pflanzenwelt – Tierwelt – Klimaänderung Europas seit dem Tertiär – Klimaänderung Spitzbergens – Entgegengesetzte Klimaänderung Südafrikas – Polwanderungen – Bisheriges Mißlingen der Erklärung durch solche – Beseitigung der Schwierigkeiten durch die Verschiebungstheorie – Die permokarbone Vereisung der Südkohtinente – Unmöglichkeit der Erklärung bei heutiger Lage der Kontinente – Pseudoglaziale Bildungen – Squantum-Tillit – Lage der Eisspuren nach der Verschiebungstheorie – Der Hauptsteinkohlengürtel des Karbons – Potoniés Gründe für tropische Herkunft – Einwände – Notwendigkeit der Verschiebungstheorie beim Kohlengürtel – Permkohlen auf den Moränen des Gondwanalandes – Trockengebiete im Karbon und Perm – Die folgenden Zeiten
Achtes Kapitel: Grundsätzliches über Kontinentverschiebungen und Polwanderungen
Definition der Kontinentverschiebung –Ausgeglichene Kontinentverschiebung – Definition der Polwanderung –Absolute Polwanderung – Der Nachweis einer gegenwärtigen Polwanderung – Definition der Krustenwanderung – Anzeichen einer Gesamtkrustendrehung nach Westen – Anzeichen partieller Krustenwanderung zum Äquator – Anzeichen für Krustenwanderung aus der Schwereverteilung – Interne Achsenverlagerung, Stimmen dazu – Theoretische Betrachtungen – Kriterium aus der Schwereverteilung – Anzeichen für interne Achsenverlagerungen aus dem Transgressionswechsel – Prüfung für die ganze Erde für die Zeit Devon bis Perm – Prüfung für Europa für die Zeit seit dem Karbon Astronomische Achsenverlagerungen – 40 000jährige Periode der Ekliptikschiefe – Änderungen des Polarklimas im Laufe der Erdgeschichte – Deutung derselben durch Änderungen der Ekliptikschiefe
Neuntes Kapitel: Die verschiebenden Kräfte
Der induktive und deduktive Weg – Die Polflucht – Die Polfluchtkraft – Lelys Versuch zur Demonstration der Polfluchtkraft – Unzulänglichkeit der Polfluchtkraft zur Erklärung der Gebirge – Gezeitenreibung – Schweydars Westverschiebungskraft – Kräfte aus Abweichungen vom Rotationsellipsoid – Massenströmungen bei internen Achsenverlagerungen – Mitschleppende Konvektionsströmungen im Sima – Identität der Verschiebungskräfte mit den gebirgsbildenden Kräften
Zehntes Kapitel: Ergänzende Bemerkungen über die Sialsphäre
Die Grenzen der Sialschollen – Rolle der Sedimente – Transgressionen – Mögliche Ursachen derselben – Faltung – Staffelfalten und normale Falten – Spaltung – Ostafrikanische Brüche – Fließbewegungen der unteren Schollenteile – Fjordbildung – Untermeerische Flußmündungen – Girlanden von Ostasien – Entstehung – Gleiten von Randketten – Erdbebenverwerfung bei San Franzisko – Hinterindien – Atlantischer und pazifischer Küstenbau – Vulkanismus – Urzustand der Sialdecke
Elftes Kapitel: Ergänzende Bemerkungen über die Tiefseeböden
Mitteltiefen der Ozeane – Entstehung der Unterschiede durch Temperatur – Ebene Flächen am Tiefseeboden – Material der mittelatlantischen Bodenschwelle – Basalt und Dunit – Strömungserscheinungen am Tiefseeboden – Tiefseerinnen
Anhang zum dritten Kapitel: Nachweis der Verschiebung Nordamerikas durch neue Längenmessungen
Literatur

Vorwort.

Die Erkenntnis, daß zur Entschleierung der früheren Zustände unserer Erde alle Geo-Wissenschaften Indizien beizusteuern haben, und daß die Wahrheit nur durch Zusammenfassung aller dieser Anzeichen ermittelt werden kann, scheint noch immer nicht in dem wünschenswerten Grade Allgemeingut der Forscher geworden zu sein.

So schrieb erst kürzlich der bekannte südafrikanische Geologe du Toit [78]: „Indessen muß, wie schon gesagt, dem geologischen Nachweis so gut wie vollständig die Entscheidung über die Wahrscheinlichkeit dieser Hypothese (der Kontinentverschiebungen) zufallen, denn solche Argumente, die auf der Verbreitung der Tiere beruhen, sind unfähig hierzu, da sie in der Regel in gleicher Weise, wenn auch weniger glatt, nach der orthodoxen Anschauung erklärbar sind, die ausgedehnte, später im Ozean versunkene Landverbindungen annimmt.“

Der Paläontologe v. Ihering [122] dagegen meint kurz und bündig: „Es ist nicht meine Aufgabe, um geophysische Vorgänge mich zu kümmern.“ Er hat die „Überzeugung, daß nur die Geschichte des Lebens auf Erden die Erfassung der verflossenen geographischen Wandlungen gestattet“.

Ja auch ich selber habe einmal in einer schwachen Stunde von der Verschiebungstheorie geschrieben [121]: „Dennoch glaube ich, daß die endgültige Entscheidung über sie nur durch die Geophysik gefällt werden kann, da nur sie über genügend exakte Methoden verfügt. Käme die Geophysik zu dem Ergebnis, daß die Verschiebungstheorie falsch ist, so müßte diese auch in den systematischen Geo-Wissenschaften trotz aller Bestätigungen aufgegeben werden, und es müßte für deren Tatsachen eine andere Erklärung gesucht werden.“

Solche Urteile, nach denen jeder Forscher gerade sein eigenes Fachgebiet für das am meisten oder gar allein kompetente hält, ließen sich wohl noch leicht vermehren.

Aber die Dinge liegen doch offenbar anders. Die Erde kann zu einer bestimmten Zeit durchaus nur ein Aussehen gehabt haben. Direkte Auskunft hierüber gibt sie nicht. Wir stehen ihr gegenüber wie der Richter gegenüber einem Angeklagten, der jede Auskunft verweigert, und haben die Aufgabe, die Wahrheit auf dem Wege des Indizienbeweises zu ermitteln. Alle Belege, die wir beibringen können, tragen den trügerischen Charakter von Indizien. Wie würden wir den Richter beurteilen, der sein Urteil nur auf Grund eines Teiles der verfügbaren Indizien fällt?

Nur durch Zusammenfassung aller Geo-Wissenschaften dürfen wir hoffen, die „Wahrheit“ zu ermitteln, d. h. dasjenige Bild zu finden, das die Gesamtheit der bekannten Tatsachen in der besten Ordnung darstellt und deshalb den Anspruch auf größte Wahrscheinlichkeit hat; und auch dann müssen wir ständig darauf gefaßt sein, daß jede neue Entdeckung, aus welcher Wissenschaft immer sie hervorgehen möge, das Ergebnis modifizieren kann.

Diese Überzeugung diente mir als Ansporn, wenn mir bei der Neubearbeitung dieses Buches bisweilen der Mut sinken wollte. Denn es übersteigt die Arbeitskraft des einzelnen, die lawinenartig wachsende Literatur über die Verschiebungstheorie in den verschiedenen Wissenschaften lückenlos zu verfolgen, und es werden sich daher in dem vorliegenden Buche trotz aller darauf verwendeten Mühe zahlreiche und auch empfindliche Lücken in der Berichterstattung aufweisen lassen. Daß mir dieselbe überhaupt in dem erreichten Umfang möglich war, verdanke ich lediglich der außerordentlich großen Zahl von Zusendungen aus allen in Frage kommenden Fachgebieten, deren Spendern herzlich gedankt sei.

Das Buch wendet sich in gleicher Weise an Geodäten, Geophysiker, Geologen, Paläontologen, Tiergeographen, Pflanzengeographen und Paläoklimatologen. Es bezweckt nicht nur, den Forschern auf diesen Gebieten eine skizzenhafte Darstellung der Bedeutung und Leistungsfähigkeit der Verschiebungstheorie auf ihrem eigenen Gebiet zu geben, sondern vor allem auch sie zu orientieren über die Anwendungen und Bestätigungen, die diese Theorie auf den übrigen Gebieten gefunden hat.

Über die Geschichte dieses Buches, die zugleich die Geschichte der Verschiebungstheorie ist, findet der Leser alles Wissenswerte im ersten Kapitel.

Erst während der Korrektur erschien der im Anhang mitgeteilte Nachweis der Verschiebung Nordamerikas durch die 1927 ausgeführte neue Längenbestimmung, auf die der Leser hingewiesen sei.

Graz, im November 1928.

Alfred Wegener.

Erstes Kapitel.

Geschichtliche Vorbemerkungen.

Die Vorgeschichte dieses Buches ist nicht ganz ohne Interesse. Die erste Idee der Kontinentverschiebungen kam mir bereits im Jahre 1910 bei der Betrachtung der Weltkarte unter dem unmittelbaren Eindruck von der Kongruenz der atlantischen Küsten, ich ließ sie aber zunächst unbeachtet, weil ich sie für unwahrscheinlich hielt. Im Herbst 1911 wurde ich mit den mir bis dahin unbekannten paläontologischen Ergebnissen über die frühere Landverbindung zwischen Brasilien und Afrika durch ein Sammelreferat bekannt, das mir durch Zufall in die Hände fiel. Dies veranlaßte mich, eine zunächst flüchtige Durchmusterung der für die Frage in Betracht kommenden Forschungsergebnisse auf geologischem und paläontologischem Gebiet vorzunehmen, wobei sich sogleich so wichtige Bestätigungen ergaben, daß die Überzeugung von der grundsätzlichen Richtigkeit bei mir Wurzel schlug. Am 6. Januar 1912 trat ich zum erstenmal mit der Idee in einem Vortrag in der Geologischen Vereinigung in Frankfurt a. M. hervor, der betitelt war: „Die Herausbildung der Großformen der Erdrinde (Kontinente und Ozeane) auf geophysikalischer Grundlage“. Diesem Vortrag folgte am 10. Januar ein zweiter über „Horizontalverschiebungen der Kontinente" in der Ges. z. Beförd. d. gesamten Naturwiss. zu Marburg. Im gleichen Jahre 1912 folgten auch die beiden ersten Veröffentlichungen [1, 2]. Zunächst verhinderte mich die Teilnahme an der Grönlanddurchquerung unter J. P. Koch 1912/13 und später der Kriegsdienst an der weiteren Ausarbeitung der Theorie. 1915 konnte ich jedoch einen längeren Krankenurlaub dazu benutzen, eine etwas ausführlichere Darstellung unter dem Titel dieses Buches in der Sammlung Vieweg zu geben [3]. Als nach Schluß des Krieges hiervon eine zweite Auflage (1920) nötig wurde, willigte der Verlag dankenswerterweise ein, dieselbe aus der Sammlung Vieweg in die Sammlung Wissenschaft hinüberzunehmen, wodurch die Möglichkeit zu einer erheblich weitergehenden Durcharbeitung gegeben war. 1922 erschien bereits die 3. Auflage, wiederum wesentlich verbessert. Diese Auflage wurde in einer ungewöhnlich hohen Zahl gedruckt, um mir die Möglichkeit zu schaffen, mich einige Jahre mit anderen Aufgaben zu beschäftigen. Sie ist seit einiger Zeit wieder völlig vergriffen. Von dieser Auflage entstand auch eine Reihe von Übersetzungen, und zwar zwei in das Russische, und je eine ins Englische, Französische, Spanische und Schwedische. Für die letztere, die 1926 erschien, habe ich bereits einige Änderungen des deutschen Textes vorgenommen.

Die gegenwärtige 4. Auflage des deutschen Originals ist wiederum wesentlich umgearbeitet, ja sie ist nahe daran, einen anderen Charakter anzunehmen als ihre Vorgänger. Als nämlich die vorige Auflage geschrieben wurde, war zwar auch schon eine umfangreiche Literatur über die Frage der Kontinentverschiebungen entstanden und zu berücksichtigen. Aber diese Literatur beschränkte sich in der Hauptsache auf zustimmende oder ablehnende Äußerungen und auf Anführung von Einzelbeobachtungen, die entweder für oder gegen die Richtigkeit sprachen oder zu sprechen schienen. Seit 1922 hat aber die Diskussion dieser Fragen in den verschiedenen Geo-Wissenschaften nicht nur außerordentlich zugenommen, sondern teilweise auch ihren Charakter geändert, indem die Theorie in zunehmendem Maße als Grundlage für weitergehende Untersuchungen benutzt wird. Dazu kommt noch der soeben erfolgte exakte Nachweis für die gegenwärtige Verschiebung Grönlands, durch den die Diskussion der ganzen Frage wohl für viele auf eine ganz andere Basis gestellt wird. Während daher die früheren Auflagen im wesentlichen nur eine Darstellung der Theorie selber und eine Zusammenstellung der für ihre Richtigkeit sprechenden Einzeltatsachen enthielten, stellt die gegenwärtige bereits eine Übergangsform zu einem Sammelreferat über diese neuen Forschungszweige dar.

Schon bei der ersten Beschäftigung mit dieser Frage und von Zeit zu Zeit auch bei der späteren Entwicklung stieß ich mehrfach auf Anklänge an meine eigenen Vorstellungen bei älteren Autoren. Schon 1857 sprach Green von „Segmenten der Erdkruste, die auf dem flüssigen Kern schwimmen“ [63]. Eine Drehung der gesamten Erdkruste – deren Teile aber dabei ihre gegenseitige Lage nicht ändern sollten – ist bereits von mehreren Autoren, wie Löffelholz von Colberg [4], Kreichgauer [5], Evans u. a. angenommen worden. H. Wettstein hat ein Buch geschrieben [6], in welchem neben vielen Ungereimtheiten doch auch Ahnungen | von großen horizontalen Relativverschiebungen der Kontinente vorkommen. Die Kontinente – deren Schelfe er allerdings nicht mit berücksichtigt – erleiden nach ihm nicht nur Verschiebungen, sondern auch Deformationen; sie wandern sämtlich nach Westen, gezogen durch die Flutkräfte der Sonne im zähflüssigen Erdkörper (was auch E. H. L. Schwarz [7] annimmt). Aber die Ozeane sind auch bei ihm versunkene Kontinente, und über die sogenannten geographischen Homologien und andere Probleme des Erdantlitzes äußert er phantastische Vorstellungen, die wir übergehen. Ebenso wie der Verfasser ist auch Pickering von der Kongruenz der südatlantischen Küsten ausgegangen in einer Arbeit [8], in der er die Vermutung ausspricht, Amerika sei von Europa-Afrika abgerissen und um die Breite des Atlantik fortgezogen worden. Er hat aber nicht beachtet, daß man in der geologischen Geschichte dieser beiden Kontinente tatsächlich einen früheren Zusammenhang bis zur Kreidezeit anzunehmen genötigt ist, und so verlegte er diesen Zusammenhang in eine graue Vorzeit und dachte sich das Abreißen verbunden mit der von G. H. Darwin angenommenen einstmaligen Abschleuderung der Mondmasse von der Erde, deren Spur er noch im pazifischen Becken zu sehen meinte.

Mantovani [86] hat 1909 in einem kurzen Artikel Ideen über Kontinentverschiebungen geäußert und durch Kärtchen erläutert, die zwar zum Teil von den meinigen abweichen, an einigen Stellen aber, wie z. B. in bezug auf die ehemalige Gruppierung der Südkontinente um Südafrika, erstaunlich damit übereinstimmen. Brieflich wurde ich darauf aufmerksam gemacht, daß Coxworthy in einem nach 1890 erschienenen Buch die Hypothese ausgesprochen haben soll, die heutigen Kontinente seien die zerrissenen Teile einer ehemals zusammenhängenden Masse [9]. Selbst hatte ich keine Gelegenheit, dies Buch einzusehen.

Große Ähnlichkeit mit meinen eigenen Ideen fand ich auch in einer 1910 erschienenen Arbeit von F. B. Taylor [10], in welcher dieser für die Tertiärzeit nicht unbedeutende horizontale Verschiebungen einzelner Kontinente annimmt, die er dann mit den großen tertiären Faltensystemen in Zusammenhang bringt. Für die Lostrennung Grönlands von Nordamerika kommt er z. B. zu praktisch den gleichen Vorstellungen wie ich. Beim Atlantik nimmt er an, daß nur ein Teil seiner Breite durch Fortziehen der amerikanischen Schollen entstanden sei, während der Rest abgesunken sei und die mittelatlantische Bodenschwelle darstelle. Auch diese Vorstellung unterscheidet sich nur quantitativ, aber nicht in dem Entscheidenden, Neuen, von der meinigen. Aus diesem Grunde wird die Verschiebungstheorie von den Amerikanern bisweilen die Taylor-Wegenersche Theorie genannt. Allerdings habe ich selbst beim Lesen von Taylors Schrift den Eindruck, daß er vor allem ein gestaltendes Prinzip für die Anordnung der großen Gebirgsketten suchte und dieses in einer Polflucht des Landes zu finden glaubte, und daß bei diesem Gedankengange die Verschiebung einiger Kontinente in unserem Sinne nur eine untergeordnete Rolle spielte und auch nur sehr kurz begründet wurde.

Ich selbst habe alle diese Arbeiten – auch die von Taylor – erst zu einer Zeit kennengelernt, zu der die Verschiebungstheorie in ihren Hauptzügen von mir bereits ausgearbeitet war, einige sogar noch wesentlich später. Es ist wohl nicht ausgeschlossen, daß im Laufe der Zeit noch weitere Arbeiten entdeckt werden, die Anklänge an die Verschiebungstheorie enthalten oder diesen oder jenen Punkt vorwegnehmen. Eine historische Untersuchung hierüber ist noch nicht angestellt und im gegenwärtigen Buche nicht beabsichtigt.

Zweites Kapitel.

Das Wesen der Verschiebungstheorie und ihr Verhältnis zu den bisher herrschenden Vorstellungen über die Änderungen der Erdoberfläche in geologischen Zeiten.

Es ist eine seltsame und für den gegenwärtigen unfertigen Stand unserer Kenntnisse bezeichnende Tatsache, daß man hinsichtlich der vorzeitlichen Zustände unserer Erde zu ganz entgegengesetzten Resultaten kommt, je nachdem man von der biologischen oder der geophysikalischen Seite an das Problem herantritt.

Die Paläontologen und ebenso die Tier- und Pflanzengeographen kommen immer wieder zu dem Ergebnis, daß die Mehrzahl der heute durch eine breite Tiefsee getrennten Kontinente in der Vorzeit eine Landverbindung gehabt haben müssen, über welche hinweg sich ein ungestörter Austausch der Landfauna und Landflora vollzog. Die Paläontologen schließen dies aus dem Vorkommen zahlreicher identischer Arten, die in der Vorzeit hüben und drüben nachweislich gelebt haben und deren gleichzeitige getrennte Entstehung an verschiedenen Orten undenkbar erscheint. Und wenn immer nur ein beschränkter Prozentsatz von Identitäten in den gleichzeitigen fossilen Faunen oder Floren gefunden wird, so erklärt sich dies natürlich leicht aus dem Umstand, daß nur ein Bruchteil der gesamten damals lebenden Organismenwelt in fossilem Zustande erhalten ist und bisher gefunden wurde. Denn selbst wenn die ganze Organismenwelt auf zwei solchen Kontinenten einst restlos identisch war, wird die Unvollständigkeit unserer Kenntnis zur Folge haben müssen, daß die beiderseits gemachten Funde nur teilweise identisch ausfallen, zum anderen, meist größeren Teile aber Unterschiede vortäuschen; und dazu kommt natürlich noch der Umstand, daß die Organismenwelt auch bei vollkommener Austauschmöglichkeit doch nicht vollkommen identisch gewesen sein wird, wie ja auch heute z. B. Europa und Asien keineswegs identische Fauna und Flora haben.

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

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