Tagebuch der Danmark-Expedition 1906-1908 - Alfred Wegener - E-Book

Tagebuch der Danmark-Expedition 1906-1908 E-Book

Alfred Wegener

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Beschreibung

Im Jahre 1906 nahm der damals 26jährige Alfred Wegener als Meteorologe an einer dänische Expedition für zwei Jahre nach Nordostgrönland teil. Das Hauptziel der Expedition unter Leitung des Schriftstellers Mylius-Erichsen war die Kartographierung der Küste von Kap Bismarck (77 Grad nördlicher Breite), bis wohin die deutsche Germania-Expedition im Jahre 1870 von Süden her vorgedrungen war, bis Kap Bridgman (83 Grad nördlicher Breite), das der Amerikaner Peary 1900 von Norden her erreicht hatte. Das Expeditions­schiff »Danmark« kämpfte sich durch das Eis der Grönlandsee bis Kap Bismarck vor, wo eine Station für meteorologische und hydrologische Beobachtungen errichtet wurde sowie botanische, zoologische, geologische, glaziologische und ethnographische Untersuchungen gemacht wurden. Die Bekanntschaft mit der überwältigenden Natur Grönlands, ihrer Schön­heit, aber auch Härte, ihren wissenschaftlichen Prob­lemen hat einen bleibenden Einfluß auf Wegener gehabt. Seine Tagebücher zeigen, wie tief er die Romantik der Schlittenreisen in der Winternacht und die großartigen Landschaftsbilder im hohen Norden genossen hat und dabei Erfahrungen sammelte, um sie auf späteren Expeditio­nen in Polargebiete anzuwenden. Sie vermitteln ein lebhaftes Bild von Wegeners Le­ben in Grönland.

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Wichtige Routen und Stationen von Grönland-Expeditionen

Vorwort

Im Jahre 1906 erfuhr der damals 26jährige Alfred Wegener, daß eine dänische Expedition für zwei Jahre nach Nordostgrönland gehen wollte. Kurz entschlossen fuhr er nach Kopenhagen, bot dem Leiter der Unternehmung, dem Schriftsteller Mylius-Erichsen, an, als Meteorologe mitzugehen und wurde angenommen. Das Hauptziel der Reise war die Kartographierung der Küste von Kap Bismarck (77 Grad nördlicher Breite), bis wohin die deutsche Germania-Expedition im Jahre 1870 von Süden her vorgedrungen war, bis Kap Bridgman (83 Grad nördlicher Breite), das der Amerikaner Peary 1900 von Norden her erreicht hatte. Das Expeditionsschiff, die »Danmark«, sollte versuchen, durch das Eis der Grönlandsee bis Kap Bismarck vorzudringen und dort eine Station zu errichten, an der meteorologische und hydrologische Beobachtungen sowie botanische, zoologische, geologische, glaziologische und ethnographische Untersuchungen gemacht werden sollten. Von dort aus waren Schlittenreisen nach Norden und, wenn möglich, auch ins Innere Grönlands geplant. Neben den beiden Kartographen, den Premierleutnants Koch und Hagen, nahmen außer Wegener noch fünf Wissenschaftler und zwei Kunstmaler teil, die alle während der Überfahrt neben den Seeleuten als Leichtmatrosen arbeiteten.

Als Alfred Wegener hochbefriedigt von seinen Abmachungen aus Kopenhagen zurückkehrte und seinen Eltern seine Absicht mitteilte, an einer Grönlandexpedition teilzunehmen, machte sein Vater kein Hehl aus seinem Entsetzen über diesen Entschluß. Der alte Philologe hatte schon mit Unwillen von den wagemutigen Ballonfahrten seiner Söhne gehört. War Kurt doch sogar einmal über die Nordsee nach England geflogen! Seiner Meinung nach war es Zeit, daß die beiden sich nach einer pensionsberechtigten Stelle umsahen und einen Hausstand gründeten, statt auf Forschungsreisen zu gehen. Als er aber einsah, daß er Alfred nicht von seinem Entschluß abbringen konnte, half er ihm, so gut er konnte, die finanziellen Schwierigkeiten bei der Beschaffung der wissenschaftlichen und persönlichen Ausrüstung durch Vorschüsse zu überwinden. Das Nicht verstehen blieb.

Wegener wollte in Grönland die Atmosphäre mit Drachen und Ballons erforschen, wie er es in Lindenberg gelernt hatte, und wandte sich um Überlassung der nötigen Geräte und Instrumente an die zuständigen Institute. Er hatte während seiner Assistentenzeit am Aeronautischen Observatorium eine Anzahl Aufsätze über Erscheinungen in den oberen Luftschichten veröffentlicht und war daher in meteorologischen Fachkreisen kein Unbekannter mehr. So schrieb er auch an den Leiter der Drachenstation in Großborstel bei Hamburg, Professor Dr. Koppen:

Lindenberg, den 28. März 1906

Hochverehrter Herr Professor!

Ich werde an der Polarexpedition von Mylius-Erichsen (nach Ostgrönland) als Meteorologe und Physiker teilnehmen und beabsichtige, dort auch Drachen- und Ballonaufstiege auszuführen. Bei der Kürze der Zeit (die Expedition bricht Ende Juni von Kopenhagen auf) und der Knappheit der Mittel ist es mir aber nur dann möglich, dies Programm durchzuführen, wenn ich von seiten der hier in Frage kommenden Institute eine weitgehende Unterstützung finde. Ich erlaube mir daher die Anfrage, ob Sie geneigt wären, mir einige Drachen Ihres Systems gegen eine billige Bezahlung zu überlassen oder neu zu bauen. In betreff des Baues einer Drachenwinde … sowie über das ganze Arbeitsprogramm hoffe ich mir Ihren Rat noch persönlich einholen zu können.

Indem ich Sie bitte, diese Belästigung meinem lebhaften Wunsche, das aerologische Programm der Expedition zu einem befriedigenden Ende zu führen, zugute halten wollen, bin ich in vorzüglicher Hochachtung

Ihr sehr ergebener

Dr. A. Wegener

Dieser Brief rief die ganze stets wache Hilfsbereitschaft des alten Gelehrten für den jungen Wissenschaftler auf, der hier der Meteorologie ganz neue Gebiete erschließen wollte. Er leitete eine jahrzehntelange Zusammenarbeit und Freundschaft zwischen dem 60 jährigen und dem um 35 Jahre Jüngeren ein, den es hinaustrieb ins Neue, Unbekannte.

Die Bekanntschaft mit der Natur Grönlands, ihrer Schönheit, ihrer Härte, ihren wissenschaftlichen Problemen hat einen bleibenden Einfluß auf Alfred Wegener gehabt. Seine Tagebücher zeigen, wie tief er die Romantik der Schlittenreisen in der Winternacht und die großartigen Landschaftsbilder im hohen Norden genossen hat, dabei immer darauf bedacht, Erfahrungen zu sammeln und die Technik des Reisens in Polargebieten zu erlernen, um sie auf späteren Expeditionen zu verwerten. Sie geben ein lebhaftes Bild seines Lebens in Grönland.

Nach der Rückkehr aus Grönland bearbeitete Alfred Wegener mit einigen Mitarbeitern in den nächsten drei Jahren die Ergebnisse seiner Beobachtungen, die in den Meddelelser om Grönland erschienen: Danmark-Ekspeditionen til Grönlands Nordöstkyst 1906-1908, Bd. 2.

Else Wegener

Alfred Wegener im Jahr 1906

AUS ALFRED WEGENERS TAGEBUCH AUF DER DANMARK-EXPEDITION 1906-1908

24. Juni 1906. Die Abfahrt aus Kopenhagen fand unter nicht endenwollendem Jubel der Zuschauer statt. Ob man auch so jubeln wird, wenn wir zurückkommen? Meine Eltern standen in dem dichten Menschenknäuel auf der Langelinje. Gesehen habe ich sie nicht mehr. Ich teile die Kajüte mit Premierleutnant Koch, dem Kartographen, der gut Deutsch spricht. Meine Unkenntnis der dänischen Sprache ist doch sehr lästig. Ich verstehe einstweilen von der Unterhaltung kein Wort und sitze dabei wie ein Tauber. Auch das ganze Leben an Bord wird dadurch erschwert … – Alles ist nun in Wachen eingeteilt, sowohl Seeleute wie Wissenschaftler. Ich gehöre mit Koch zur zweiten Wache. Wir haben immer vier Stunden Wache, vier Stunden Freizeit. Während der Wache müssen wir körperlich stramm arbeiten, so daß man am besten tut, die Freiwache zum Schlafen zu verwenden.

8. Juli. Ich bin sehr erfreut darüber, daß ich gar nicht seekrank werde. In der ersten Zeit fühlte ich mich dauernd etwas unbehaglich, habe aber niemals eine Wache oder eine Mahlzeit zu versäumen brauchen. Und dabei arbeitet das Schiff so, daß wirklich alles, was nicht niet- und nagelfest ist, durcheinanderpurzelt. Die Mahlzeiten werden meist freihändig, nicht am Tisch eingenommen. Jetzt verursachen mir auch die heftigsten Bewegungen des Schiffes nicht die Spur mehr von Unbehagen.

11. Juli. Ich muß jetzt beginnen, meine Mitarbeiter mit den meteorologischen Instrumenten bekanntzumachen. Gestern habe ich Peter Freuchen (Medizinstudent) das Anemometer gezeigt und mit ihm eine Ablesung gemacht. In Island will ich die Thermometerhütte aufstellen und von da ab regelmäßig beobachten lassen. Ich will auch noch ein schriftliches Programm aufsetzen. – Mittags kommen die Färöer in Sicht … Drei Grönländer kommen an Bord, desgleichen die Hunde und mehrere Kajaks.

18. Juli. Früh um 7 Uhr werfen wir Anker in Eskefjord. Die Drachenwinde ist da. Wir bekommen Post, können Wäsche waschen lassen. Ich öffne sofort eine Büchse mit Dreifarbenplatten, aber die Dunkelkammer ist bis zur Decke mit Pelzzeug vollgestopft. Wo soll ich nun Platten einlegen? Die Berge am Fjord sind sehr schön, Terrassen von Basalt, mit grüner Rasendecke überzogen. Im Hafen ankern noch zwei Schiffe, es ist ein farbiges Bild. Vormittags geht Koch mit mir Sachen kaufen, Ölzeug, Sweater, Seife usw., nachmittags reiten wir mit Bertelsen und einem Führer den Fjord entlang.

25. Juli. Abends passierten wir den Polarkreis, ganz ohne Feierlichkeiten. Die Luft wird jetzt merklich kühler.

29. Juli. Gestern habe ich einen Rentierpelz empfangen. Koch kühlte meine Freude aber sehr ab, indem er sagte, ich hätte vermutlich einige hundert Läuse mit empfangen. Nach seiner Ansicht haben alle Grönländer Läuse und alles Pelzwerk, was von da kommt. Wir haben dann das Corpus delicti gleich unter ärztlicher Hilfe mit Insektenpulver eingepudert. – Mit dem Dänisch geht es jetzt besser. Ich kann wenigstens so viel verstehen und sprechen, daß die Leute meinen guten Willen sehen, und das ist die Hauptsache.

31. Juli. Gestern haben wir das erste Treibeis gesehen! Es sind farbenprächtige Bilder, diese wunderlichen Schmelzfiguren! Ich war überrascht über die Schönheit. Leider konnte man nicht photographieren, es war zu dunkel, aber Bertelsen hat sofort gemalt.

1. August. Es ist merkwürdig, wie wenig Eis wir treffen. Mittags haben wir etwa die Hälfte des Eisstroms durchquert und können auch jetzt ruhig weiterdampfen, wenn auch das Steuern etwas beschwerlich ist und wir hin und wieder an einen Eiskoloß anrennen. So günstig hat es wohl noch keine Expedition getroffen. Abends und nachts liegt nur ein ganz dünner Nebel über dem Wasser, und die Mitternachtssonne beleuchtet alles mit einem fahlgelben Licht – ein wundervolles Stimmungsbild.

4. August. Heute abend war ich eine Stunde in der Tonne. Der Blick bei schönem Wetter über das Eis ist wirklich über alle Maßen schön. Nichts als Farbenglimmer! Das blaue Wasser, das saubere, weiße Eis, die gelbrote Sonne, die hellgrünen Eisfüße unter dem Wasser – zauberhaft. Auf dem Eise kommen alle Farbtöne vor. Wir sahen eine Scholle, die durch die Sonne intensiv violett gefärbt war. – Wir photographieren jetzt wütend, es ist aber auch zu herrlich.

6. August. Großer meteorologischer Termin. Heute habe ich die Barometerwerte und das Thermometer verglichen und manches Unerfreuliche gefunden. Es muß folgendes gemacht werden: Die Trockenfische, die auf der Thermometerhütte liegen, müssen fort, damit sie besser ventiliert ist. Der Thermograph muß aufgehängt werden, damit er nicht alle Erschütterungen bekommt. Auch muß eine Korrektionskurve für ihn ermittelt werden.

7. August. Heute nachmittag waren wir in einer kritischen Situation. Wir waren ganz von schweren, großen Schollen besetzt worden. Es sah aus, als sollten wir den Winter hier bleiben. Doch gelang es Steuermann Thostrup, in der Hundewache zu entwischen, und nun warten wir in einer größeren Wake ab, ob sich nicht irgendwo eine Fahrstraße öffnet. – Das Hygrometer wird auf jeder Wache mit großer Genugtuung von den Seeleuten abgelesen. Im Schiffsjournal findet sich nämlich eine Rubrik für Feuchtigkeit, und sie sind stolz wie die Spanier, daß wir nun diese Rubrik ausfüllen können. Auch der Barograph wird eifrig benutzt. Ihm verdanke ich zum Teil meine Stellung unter den Seeleuten. Er wird täglich zirka fünfmal konsultiert, und meine Kabine, wo er hängt, ist so eine Art Allerheiligstes.

8. August. Heute ist Land in Sicht! Diese Eisschiffahrt ist doch etwas Merkwürdiges. Wir bewegen uns seit längerer Zeit auf einem Gebiet, auf dem man sich eigentlich nicht mit einem Schiff bewegen kann. Die Pointe ist immer die, daß man beim Warten in einem hinreichend großen offenen Wasser liegt, damit man möglichst viele Möglichkeiten des Entwischens hat. Jetzt haben wir Nebel und dampfen ganz lustig drauflos – auch ein Kunststückchen. Man sieht, man muß nicht schematisieren. Freilich dauert die Freude nur bis Mittag, da müssen wir wieder vertäuen. Nachmittags wird ein Rettungsmanöver ausgeführt … Alles stürzt mit seinen Siebensachen zu den Booten, welche in aller Hast (wie falsch!) zu Wasser gelassen und bepackt werden, und rudern dann zu einer Eisscholle und ziehen das Boot hinauf. Aber das ganze Manöver war verfehlt. Eines der andern Boote hatte zum Beispiel drei Kisten Mixed Pickles als Proviant an Bord. Nicht einmal ein Mann als Hundewache war an Bord gelassen worden. Die Hunde sind natürlich in die Wohnräume, Küche, Speisekammer, Salon, ja, in die Maschine eingebrochen und haben namentlich in der Küche ein unglaubliches Unheil angerichtet. Hinterher mußte ein großes Reinemachen angehen.

12. August. Mittags werden zwei Bären gesichtet, und Koch und ich gehen diesmal mit hinaus, aber nur mit Photoapparat bewaffnet. Wir schlugen die Bären glänzend in die Flucht, schon aus 1000 Meter Entfernung. So kamen wir zwar nicht zum Photographieren, aber ich hatte die Stiefel voll Schnee. Wir hatten bis jetzt drei vergebliche und zwei erfolgreiche Bärenjagden.

13. August. Wir sind schon ziemlich nahe an Kap Bismarck. Das Eis ist hier außerordentlich dick. Nachmittags fahren wir an die nördliche Koldewey-Insel heran und landen auf einige Stunden. Ich gehe auch mit und mache Aufnahmen. Wir finden eine große Menge von Versteinerungen, Ammoniten in Sandstein, zahllose Muscheln in Kalk, versteinertes Holz.

14. August. Leider schlafe ich, als wir bei Kap Bismarck vorbeikommen. So habe ich also den denkwürdigen Punkt, wo die deutsche Expedition1