Tagebuch eines Abenteuers - Alfred Wegener - E-Book

Tagebuch eines Abenteuers E-Book

Alfred Wegener

4,9

Beschreibung

Als vor dem Aufstieg zum Inlandeis der Gletscher unmittelbar über dem Expeditionslager kalbte, befanden sich der dänische Kartograph Johan Peter Koch, der deutsche Wissenschaftler Alfred Wegener und ihre beiden Helfer in einer Lage, die vor ihnen noch nie ein Mensch lebend überstanden hat. Überhaupt war diese Grönlanddurchquerung 1912 bis 1913 ein echtes Abenteuer: Moschusochsen machten die Packpferde scheu, Eisbären zerstörten Depots, Wegener brach sich eine Rippe, Koch stürzte in eine Gletscherspalte, ein Pferd nach dem anderen ging an Erschöpfung zugrunde. Hinzu kamen noch die Belastungen durch den langen stockdunklen Polarwinter in einer Hütte auf dem grönländischen Inlandeis. Selten waren Wissenschaft und Abenteuer so eng miteinander verquickt. Wegeners Tagebücher lassen die Ereignisse noch heute so lebendig erscheinen, wie sie damals waren.

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Inhalt

Vorbemerkung

Vorwort

Von der Stormbucht bis zum Rande des Inlandeises

Das Haus auf dem Eis

Quer durch Grönland

Vorbemerkung

Von Johanna Grabow

Stellen Sie sich vor, Sie wären am 28. Juni 1913 auf dem Inlandeis unweit der westgrönländischen Küste unterwegs gewesen. Dann hätte sich Ihnen dieses befremdliche Bild geboten: Vier Männer, schwer beladen und vom Wetter gezeichnet, schieben ein auf einem Schlitten festgebundendes Islandpferd einen Hang hinunter. Begleitet werden sie von einem Hund, der brav hinterher trottet. Die Männer schnaufen, hieven und fluchen, das Pferd hebt müde den Kopf, nur um ihn rasch entkräftet wieder sinken zu lassen.

So oder so ähnlich hat es sich wohl zugetragen, als Alfred Wegener und seine drei Begleiter das Inlandeis Grönlands von Ost nach West an seiner breitesten Stelle überquert haben. Kurz vor dem Ziel in Kangersuatsiaq (dem dänischen Prøven) verlassen sie alle Kräfte. Gezeichnet von den Strapazen der vergangenen Wochen bricht auch ihr letztes verbliebenes Islandpferd zusammen; doch die Männer wollen es unbedingt retten und beschließen, es auf dem Schlitten zu transportieren. Eine Meile vor dem rettenden Depot verstirbt das Tier schließlich.

Ihnen selbst steht Schlimmes bevor: Völlig entkräftet, die Nahrungsreserven zur Neige gegangen, entkommen die vier Entdecker mit Mühe dem Tod. Die Grönlanddurchquerung von 1912/13 entgeht nur knapp einer Katastrophe.

Der in Berlin geborene Naturwissenschaftler Alfred Wegener, der dänische Expeditionsleiter Johan Peter Koch, der Isländer Vigfús Sigurðsson und der dänische Matrose Lars Larsen haben Großes vollbracht. Auf einer 1200 km langen Durchquerung Grönlands gewinnt die Mannschaft wichtige Kenntnisse über die Topographie und Geographie der Region, fotografiert Nordlichter und optische Täuschungen auf dem Eis – und sie erlebt hautnah die Kalbung eines Gletschers. Als ständige Begleiter sorgen anfänglich 16 Islandponys sowie ihr isländischer Hund Gloë für allerlei Unterhaltung und die ein oder andere Strapaze.

Der vorliegende Band ist eine Neuauflage von Wegeners Tagebuch, erstmalig 1961 posthum von seiner Frau Else Wegener herausgegeben. Bereits einige Monate nach der Durchquerung publiziert der Expeditionsleiter J. P. Koch sein Reisetagebuch, welches 1919 von Alfred und Else Wegener unter dem Titel »Durch die weiße Wüste« übersetzt wird. Beide Veröffentlichungen berichten von den unvorstellbaren Strapazen und Anstrengungen, denen sich die Expeditionsmitglieder während der Durchquerung ausgesetzt sahen.

Die Strecke von Danmarkshavn im Osten nach Prøven im Westen ist schon die zweite Grönlandreise für Alfred Wegener – und es soll nicht seine letzte sein. Bereits 1906-1908 bereist er das Land als Meterologe der Danmark-Expedition und lernt dort J. P. Koch kennen, der ein enger Freund Wegeners und schließlich Expeditionsleiter der Inlanddurchquerung wird.

Alfred Wegener, gelernter Physiker, Meteorologe und Astronom, passionierter Raucher und Liebhaber der Lyrik Christian Morgensterns, wird maßgeblich mit der Planung und Durchführung der Expedition beauftragt. Durch seinen Gleichmut und sein Durchhaltevermögen im Angesicht von Unannehmlichkeiten und Problemen zeichnet sich Wegener als wertvolles Mitglied aus. Denn bereits einige Monate vor der Grönlandreise muss er sich behaupten: Bei der Hauptversammlung der Geologischen Vereinigung in Frankfurt am Main am 6. Januar 1912 hält Wegener einen Vortrag zur Kontinentalverschiebung der Ozeane und Kontinente und bringt die Menge gegen sich auf. »Passt die Ostküste Südamerikas nicht genau zur Westküste Afrikas?« postuliert der Naturwissenschaftler und schlussfolgert, dass die Kontinente Buchstücke eines einzigen Superkontinentes, Pangaea, gewesen sein müssen. Schon vor ihm wurden ähnliche Hypothesen zur Kontinentalverschiebung formuliert und stets verworfen. Scharf kritisiert von der wissenschaftlichen Gemeinschaft, befindet sich auch Wegener allein auf weiter Flur. Doch seine Überlegungen zur Kontinentalverschiebung erweisen sich als richtig und bilden heute die Grundlage zur Theorie der Entstehung der Kontinente.

Wegener führt ein bewegtes Leben, stets im Sinne der Wissenschaft. Auf seinen Grönlandexpeditionen leistet er Pionierarbeit, um die noch weißen Flecken (oder die »weiße Wüste«, um die Worte Wegeners zu benutzen) unserer Erde zu erkunden. Im Jahr 1929 kehrt er schließlich als Expeditionsleiter zurück nach Grönland und erforscht erneut die Westküste in einer Vorexpedition. Während der Hauptexpedition 1930/31 findet er schließlich tragisch den Tod. Das Eis Grönlands ist somit auch Wegeners Grab geworden.

Als vielseitiger und kreativer Wissenschaftler erfolgt die Dissertation in Astronomie, die darauffolgende wissenschaftliche Karriere in Meteorologie und kosmischer Physik, danach eine Professur in Meteorologie und Geophysik. Mit 26 Jahren stellt Alfred Wegener zusammen mit seinem Bruder Kurt einen Dauer-Rekord für die längste Ballonfahrt auf. Unsterblich geworben ist Wegener jedoch durch die Entdeckung der Kontinentaldrift.

Die vorliegende Neuauflage ist eine Hommage an den Abenteurer, Lyriker und Polarforscher, den begeisterten Wissenschaftler und fleißigen Gelehrten. Naturwissenschaftler durch und durch, schlug Alfred Wegener Brücken zwischen den Disziplinen, ohne jemals die Welt da draußen zu vergessen. Wohl selten waren Wissenschaft und Abenteuer so eng verbunden wie im Leben und Schaffen Alfred Wegeners. Das letzte Wort geht deshalb an ihn selbst:

»Hier draußen gibt es viel Arbeit, die des Mannes wert sind, hier gewinnt das Leben Inhalt. Mögen Schwächlinge daheim bleiben und alle Theorien der Welt auswendig lernen, hier draußen Auge in Auge der Natur gegenüberstehen und seinen Scharfsinn an ihren Rätseln erproben, das gibt dem Leben einen ganz ungeahnten Inhalt.«

VORWORT

Von Else Wegener

Alfred Wegener ging zum erstenmal nach Grönland als Meteorologe der Danmark-Expedition, die von 1906-1908 am Danmarkshavn auf Germanialand unter 77° nördlicher Breite arbeitete. Von diesem Stützpunkt aus bereiste und kartographierte sie die bisher unbekannte Küste Nordostgrönlands bis 83° n. Breite. Wegener nahm an den Schlittenreisen teil, machte meteorologische Beobachtungen und Ballon- und Drachenaufstiege und beteiligte sich an den astronomischen und glaziologischen Arbeiten des Kartographen der Expedition, Infanteriehauptmann J. P. Koch. Sie wohnten mit dem Botaniker Andreas Lundager und dem Maler Aage Bertelsen zusammen in der »Villa«, einem am Ufer erbauten Holzhaus, während die anderen Expeditionsteilnehmer auf dem daneben verankerten Schiff lebten.

Unter den vier Kameraden entwickelte sich eine enge Freundschaft. So war es nicht verwunderlich, daß sie schon in Grönland Pläne schmiedeten zur weiteren Erforschung dieser noch wenig bekannten Insel. Wie mochte es weiter im Innern jenseits der Küstenberge aussehen, zwischen denen die Eisströme vom Inlandeis herabzogen und in hohen Steilwänden ins Meer abbrachen? Wie tief sanken die Temperaturen in der Winternacht auf dem Inlandeis? Wie bewegten sich die Gletscher in dieser Gegend, wo die Temperaturen stets unter dem Gefrierpunkt lagen? War die Eiskappe Grönlands im Zu- oder Abnehmen? Um diese Fragen zu beantworten, mußte man hinein in dieses unwirtliche Land des ewigen Eises. Auf der Danmark-Expedition machten sie mehrere Vorstöße nach Westen, wo die Berge des Dronning-Louise-Landes drohend und verlockend aus den Gletschern aufragten. Aber sie waren dafür nicht genügend ausgerüstet, und es fehlte ihnen die Zeit neben ihren andern wissenschaftlichen Arbeiten. Bisher hatte nur Fridtjof Nansen 1888 Grönland im Süden durchquert. Im Innern hatte er keine Berge, nur Eis und Schnee angetroffen. Wie würden die Verhältnisse weiter nördlich sein?

Koch und Wegener beschlossen, Grönland auf einer 1200 km langen Route an seiner breitesten Stelle zu durchqueren. Sie wollten von Germanialand im Osten ausgehen und bis zum Küstengebirge der nördlichsten dänischen Kolonie Pröven im Westen durchstoßen.

1912 war endlich genügend Geld zusammengebracht. Der Hauptteil stammte aus dänischen Mitteln, und so sollte es wieder eine dänische Expedition werden unter der Leitung von J. P. Koch. Für Alfred Wegeners Teilnahme und für seine wissenschaftlichen Untersuchungen hatten deutsche Stellen 15.100 M zur Verfügung gestellt. Außerdem wollten noch Andreas Lundager und ein isländischer Pferdepfleger teilnehmen, denn die Expedition sollte mit Pferden reisen, nicht mit Hunden, wie dies sonst in Grönland üblich war. Koch hatte bei seinen kartographischen Arbeiten auf Island die Zähigkeit und Ausdauer der kleinen isländischen Pferde kennen und schätzen gelernt. Er hielt sie im sommerlich eisfreien gebirgigen Küstenstreifen von Germania- und Dronning-Louise-Land für brauchbarer als Schlittenhunde, da sie dort als Packtiere verwendet werden konnten. Allerdings würden sie die Geschwindigkeit der Reise im Innern stark herabsetzen, aber ein längeres Verweilen dort war wegen der klimatologischen und glaziologischen Untersuchungen nur wünschenswert.

Schon im Sommer 1911 reiste Lundager nach Westgrönland und legte in den Küstenbergen ein Depot aus an der Stelle, wo die Expedition das Inlandeis verlassen sollte. Damit schien ihr Weitermarsch durch das gebirgige Land nach Pröven gesichert.

Im Frühling 1912 wurde das gesamte Gepäck von 20.000 Kilogramm Gewicht im Grönlandhafen in Kopenhagen gesammelt und zum Verladen auf den Dampfer »Godthaab« bereitgestellt. Da lagen neben Haufen von Proviantkisten Ballen mit Heu und Kraftfutter für die Pferde, Holzplatten für das Winterhaus, Zelte, Schlitten, Kisten mit wissenschaftlichen Instrumenten, ein Motorboot und ein Lastprahm. Am 1. Juni fuhren Koch, Lundager und Wegener über Bergen nach Island. Dort trafen sie mit Vigfus Sigurdson und seinen Leuten und Pferden zusammen und unternahmen einen Marsch über den großen Gletscher Vatna-Jökul, um Menschen und Pferde zu schulen und zu prüfen. Nach Akureyri zurückgekehrt, schifften sie sich mit den 15 besten Pferden auf der »Godthaab« ein, die sie so weit wie möglich an der Ostküste Grönlands entlang nach Norden bringen sollte. Am liebsten wollten sie ihr Gepäck an ihrem früheren Überwinterungsplatz Danmarkshavn ausladen und es dann mit dem Motorboot und dem Prahm auf dem Wasser und mit den Packpferden über Land so weit wie möglich in die Dovebucht hineinbringen. Dann mußten die vier Mann das ganze Gepäck über den Rand des Inlandeises hinaufschaffen, damit sie ihr Winterhaus auf einem Berge des Dronning-Louise-Landes oder auf dem Inlandeis selbst errichten konnten. Die Reise durch das Innere Grönlands sollte erst im Sommer 1913 durchgeführt werden.

Die Überwinterung war nötig, weil man die Ostküste Grönlands wegen des spät aufbrechenden Meereises erst im Juli erreichen kann, und wünschenswert wegen der meteorologischen Beobachtungen in der Winternacht, den ersten ihrer Art auf dem Inlandeis selbst.

Daß ihnen große körperliche Anstrengungen bevorstanden, war selbstverständlich. Jeder Polarforscher erwartet es nicht anders. Mit welch unerwarteten Gefahren das Inlandeis sie bedrohte, ahnten sie nicht.

I

VON DER STORMBUCHT BIS ZUM RANDE DES INLANDEISES

Landung in der Stormbucht – Jagd auf entlaufene Pferde – Während Koch und Larsen mit dem Motorboot das Gepäck befördern, ziehen Wegener und Vigfus mit den Pferden an der Küste entlang – Übergang über den Laxelv – Mörkefjord – Pustervig – Hellefjord – Vereinigung bei Kap Stop

7. Juni 1912. Nun sind wir mit der »Godthaab« in See, ohne Lundager. Er war auf der Islandreise den Anstrengungen nicht mehr recht gewachsen und wünschte daher selbst zurückzutreten. Es ist noch unsicher, ob wir einen Matrosen als vierten Mann mitnehmen. Wir haben auch einen isländischen Hund für zehn Kronen gekauft. Er heißt Gloë.

Vigfus liegt seekrank im Bett, so daß Koch und ich die Pferde besorgen müssen. Vormittags sind wir auch etwas seekrank. Wir richten eine Dunkelkammer ein.

11. Juli. Gestern abend trafen wir das erste Eis. Anscheinend eine nach Osten vorgeschobene Zunge. Nur zerstreute Schollen, so daß wir unseren Kurs nach Norden beibehalten. Der Seegang hat aufgehört, Vigfus erscheint wieder aus der Unterwelt; leider regnet es weiter. Ich arbeite dauernd photographisch.

13. Juli. Der 26-jährige Matrose, der sich als vierter Mann gemeldet hat, heißt Lars Larsen. Er macht einen sehr guten Eindruck.

16. Juli. Dienstag. Seit Sonntag sinken die Aktien. Bis Sonntag früh kamen wir gut vorwärts. Da trafen wir auf dichtes gepacktes Eis und mußten zurück. Seitdem versuchen wir es immer weiter südlich, treffen aber die Grenze dieses Eises immer weiter östlich. Wir haben nun endlich beschlossen, in dies Eis hineinzugehen, da es nur aus sehr kleinen, wenn auch eng gepackten Schollen besteht.

19. Juli. Auch ein zweiter Versuch, nach Westen vorzustoßen, endigte wie der erste mit Umkehr. Wir sind dann, ohne aus dem Eise herauszugehen, erheblich weiter nach Süden gegangen und haben hier endlich günstigere Verhältnisse getroffen. Auch das Wetter ist jetzt schön, so daß wir gut avanciert sind. Die Hälfte des Eisstromes liegt nun hinter uns, und in der schwachen Luftspiegelung, die heute nachmittag sichtbar war, glaubten wir bereits die große Koldewey-Insel zu sehen. Wir müssen uns nun aber wieder nach Norden heraufarbeiten, wenn wir zum Danmarkshavn kommen wollen.

20. Juli. Heute früh um 6 Uhr, als Koch und ich noch schliefen, fuhren wir an einem Bären vorbei, ohne aber haltzumachen. Wir treffen nun in der Nähe des Landes immer weniger Eis, zuletzt ein förmlich eisfreies Meer, das wir mit »Vollkraft« durcheilen. So kommen wir ganz unerwartet schnell am

21. Juli, 5 Uhr nachmittags, zum Danmarkshavn. Kapitän Kjöller, Gustav Thostrup1, Koch, Vigfus und ich gingen gleich an Land und zur »Villa«, die wir in ziemlich trauriger Verfassung vorfanden. Wir baten hauptsächlich aus diesem Grunde den Kapitän, uns doch in der Stormbucht an Land zu setzen. In seiner Instruktion stand zwar ausdrücklich, er dürfe nicht weiter in den Fjord hineingehen als bis zum Danmarkshavn, aber in letzterem lag noch soviel Eis, daß er nicht an das Ufer, an dem die »Villa« liegt, herankonnte, und so glaubte er, das Risiko übernehmen zu können. Noch am selben Abend ankerten wir in der Mündung des Stormelv2. Am nächsten Morgen wurden zunächst die Heusäcke mit dem Prahm an Land gebracht. Inzwischen probierten wir den Motor unseres Bootes aus, der nach kurzer Zeit havarierte. Im Laufe des Tages gelang es, das Motorboot so weit auf das Land hinaufzuziehen, daß die Maschinisten der »Godthaab« den Schaden reparieren konnten. Mit der zweiten Ladung folgten die Pferde. Um ihnen nach der langen Seereise ein wenig Bewegung zu verschaffen, ließen wir sie los. Leider machten sie von ihrer Freiheit einen zu reichlichen Gebrauch, denn sie liefen nicht nur bis zum nächsten Moor, wie wir erwartet hatten, sondern »über alle Berge«. Drei Pferde hatten wir vorsichtigerweise gebunden. Der ganze Tag verging mit Suchen. Umsonst, die andern waren weg. Sie mußten weit gelaufen sein, und es wurde beschlossen, daß Vigfus und ich auf eine sechstägige Tour gehen sollten, um sie wieder zu fangen, während Koch und Larsen schon einen Teil des ausgeladenen Gepäcks soweit wie möglich mit Motorboot und Prahm ins Innere der Dovebucht bringen wollen. Restliche Lasten wollen wir mit den Pferden über Land dorthin schaffen.

24. Juli. Mittags 2 Uhr brachen Vigfus und ich mit den drei Pferden, über die wir im Augenblick verfügen, auf. Gloë folgte mit. Nach etwa einer Stunde trafen wir einen Moschusochsen, an dem wir nicht vorbei konnten, ohne einen Umweg zu machen. Er stand gerade auf unserem Wege. Obwohl wir im Augenblick nur wenig Verwendung für das Fleisch hatten, beschlossen wir aus verschiedenen Gründen, ihn zu schießen. Vigfus schoß einmal ohne Resultat, dann erlegte ich ihn mit zwei Kugeln. Wir häuteten dann den Ochsen, der sich als außergewöhnlich groß erwies, und schnitten nur die vier Schenkelstücke ab, legten drei in ein – wegen Zeitmangels wenig solide angelegtes – Depot und nahmen einen Schenkel mit. Gloë bekam reichliches Futter. Die Jagd, das Zerlegen und Anlegen des Depots nahm im ganzen 1 1/2 Stunde in Anspruch.

Beim Passieren des Stormelv mußte Gloë von Vigfus getragen werden. Der Elv hat heute nicht mehr so viel Wasser wie gestern. Um 7 Uhr erreichten wir das Depot, wo wir das Zelt aufschlugen und uns mit Proviant für sechs Tage versahen.

25. Juli. Aufgestanden 6 Uhr morgens, abmarschiert 8.10 Uhr morgens. Es zeigte sich leider, daß man der Spur der anderen Pferde nicht folgen konnte. Im steinigen Terrain verschwindet sie. Wir ritten die Uferberge an ihrem Osthang entlang, ohne auf Spuren zu treffen, bis wir plötzlich drei Pferde vor uns an einem kleinen See sahen. Nachdem wir sie eingefangen hatten, ritt Vigfus noch eine kleine Rundtour und entdeckte dabei noch fünf. Bei der weiteren Suche gingen wir möglichst systematisch vor, um uns zu vergewissern, daß die Pferde nicht über die Bergkette gelaufen sind. Um 9 1/2 Uhr abends machten wir halt an einem Elv, in dessen unmittelbarer Nähe wir die Pferde gefunden hatten, und an dem die Spuren aufwärts führen. Wir nehmen an, daß sich die sechs fehlenden schon früher abgezweigt haben, und hoffen, sie morgen, wenn wir dem Elv abwärts folgen, zu finden.

26. Juli. Unsere Hoffnung von gestern ist fehlgeschlagen. Das Terrain rückwärts bis zum Depot enthält offenbar keine Pferde mehr. Wir kamen um 1 Uhr mittags ohne weitere Resultate dort an.– Die Nacht, die wir ohne Zelt im Schlafsack verbrachten, war sehr unangenehm. Über jedem Schlafsack stand eine Wolke von Mücken, die rücksichtslos eindrangen. Vigfus schlief nur wenige Stunden, ich gar nicht. Als um 5 Uhr morgens die Pferde trotz ihrer Fußfesseln einen Versuch machten auszureißen, gaben wir die Sache auf und rüsteten zum Aufbruch. Wir brachten zunächst alle erbeuteten Pferde mit Fußfesseln auf dem großen Moos an, wo sie hoffentlich stehen bleiben werden. Dann zogen wir, ohne neue zu sehen, zu den Moschusochsenbergen und schlugen in einem Tal zwischen zwei Parallelketten unser Nachtquartier auf.

27. Juli. Heute nacht habe ich ausgezeichnet geschlafen, da der Wind die Mücken verjagte. Vigfus dagegen schlecht. Er ist infolgedessen etwas mitgenommen. Wir gingen über die Hauptkette der Moschusochsenberge und fanden jenseits derselben im Winkel an der Lumskebucht zahlreiche Spuren von anscheinend mindestens vier Pferden. Wir waren heute von 8.15 Uhr morgens bis 10.15 Uhr abends unterwegs; 12 Uhr nachts im Schlafsack.

28. Juli. Sonntag. Feierten Sonntag damit, daß wir morgens statt Hafergrütze Pemmikan aßen und uns wuschen. Schlecht geschlafen wegen Mücken und zu großer Wärme.

5 1/2 Uhr aufgestanden, 7 Uhr Abmarsch. Wir ritten, meist auf getrennten Routen, bis zum Laxelv, ohne eine Spur von den Pferden zu sehen. Es bleibt also nur übrig, daß sie wieder die Moschusochsenberge hinaufgegangen sind. – Kamen abends noch ein Stück bergauf auf unserer früheren Abstiegsroute, machten um 9 Uhr abends halt.

29. Juli. Auf 5.50 Uhr früh, ab 7.15 Uhr morgens. Über den Paß auf den Moschusochsenbergen zurück. Auf dem Rückweg fand Vigfus Kochs Reitpferd. Am Depot hatten sich zwei andere angefunden; sie waren von selbst zurückgelaufen. Koch und Larsen waren am Depot und bewirteten uns sehr zuvorkommend. Sie hatten viel Havarien gehabt, bis sie hier angekommen waren. Einen kleinen Bären haben sie geschossen, von dem wir etwas Fett für die Stiefel und eine Keule als Hundefutter nahmen.– 11 Uhr im Schlafsack.

30. Juli. Dienstag. Heute mittag dampften Koch und Larsen mit Motorboot und Prahm ab. Vigfus hat sich in aller Eile noch als wohlbewanderter Motormann erwiesen; Koch erzählte gestern abend, daß die Gliederkette mitunter aus unerklärten Gründen ganz straff und dann wieder ganz schlaff wird. Vigfus fand heraus, daß ein Reguliermechanismus vorhanden ist, mit dessen Hilfe die Kette gestrafft oder gelockert werden kann, und dieser Mechanismus war nicht festgestellt und verstellte sich selbst während der Fahrt. – So haben die anderen doch einen kleinen Nutzen von unserem Hiersein gehabt. Hoffentlich kommen sie ohne Havarien soweit, wie es das Eis erlaubt. Zu Anfang stand eine Zeitlang der ganze Motor in Flammen, dann ging es aber gut. – Wir haben nun 22 Heusäcke mit Packschnüren versehen – bei dem Regenwetter eine anstrengende Arbeit – , bei mehreren Pferden den Beschlag erneuert und Proviant klargemacht. So sind wir bereit, morgen früh mit einer Ladung Heu nach dem Rypefjeld zu gehen. Mit viermal hin und zurück muß es möglich sein, die etwa 90 Säcke, die hier liegen, dorthin zu schaffen, so daß nur noch eine Prahm-Last hier auf Stormkap zurückbleibt.

31. Juli. Wir verschlafen die Zeit und stehen erst um 5 statt um 4 Uhr auf. Sofort ohne Kaffee in Sturm und Schnee hinaus, um die Pferde zusammenzusuchen. Nach eineinhalb Stunden hatten wir sie beim Depot. Das Aufladen war eine harte Arbeit, da zwei Mann die 14 Pferde nur schlecht regieren können. Vier Stunden nach dem Aufstehen kamen wir endlich fort. Der Marsch ging recht gut. Nur bei Suenäs hatten wir Havarie. Wir mußten einen sehr steilen Klippenabhang hinab, wobei den Pferden die Packsättel auf den Hals rutschten, woraus dann alles mögliche Unheil entstand. Ein Pferd verlor seine beiden Heusäcke. Der eine trudelte in lustigen Sprüngen bergab, während wir oben zusahen, gespannt, ob er noch vor dem Meere liegen bleiben würde. Das letzte Ende war eine Schneewehe, glücklicherweise nur schwach geneigt. Einen Meter vom Meer entfernt, blieb der Heusack liegen, so daß wir ihn wieder holen konnten. Im Anschluß daran mußten wir ein etwa zehn Meter breites, steiles Stück dieser Schneewehe passieren, auf dem alle Pferde ins Rutschen kamen. Das brachte die Packsättel wieder auf ihren richtigen Platz. Dann zogen wir ein langes Stück über den durch die Ebbe trockengelegten Meeresboden, zum Teil durch das Wasser, und sind somit also auch durch das nördliche Polarmeer geritten. Am Strande begegneten wir kurz darauf vier entsetzlich fetten Walrossen, die am Ufer lagen und uns ruhig herankommen ließen. Wir baten sie, recht freundlich auszusehen, und photographierten sie dreimal. Leider zeigte sich, daß der Laxelv an seinem Ursprung aus dem Sälsee nicht passierbar ist, ohne daß die Pferde schwimmen müssen. Wir können daher unser Ziel, das Rypefjeld, nicht erreichen und liegen an der Mündung des Flusses, um morgen früh bei Ebbe die Verhältnisse hier zu prüfen.

1. August. Auf 5 Uhr, ab 7 1/2 Uhr, nachdem Vigfus bei Ebbe noch einen Versuch gemacht hatte, über die Elvmündung zu reiten. Man kann nicht hinüber kommen, ohne daß die Pferde schwimmen müssen. Wir ritten dann über den Paß auf den Moschusochsenbergen zurück, fanden den Weg hier aber doch im allgemeinen schlechter als denjenigen am Meer.

2. August. Die Pferde waren glücklicherweise diese Nacht im Moos zusammengeblieben und hatten uns nur die Futterbeutel verschleppt. Infolgedessen konnten wir schon um 11 Uhr mit der Arbeit am Depot beginnen. – Das Eis ist bei dem südöstlichen Winde gegen das Land gepreßt, so daß Koch und Larsen, auch wenn sie mit dem Auspacken fertig geworden sein sollten, wohl nicht herkommen können. – Es ist recht unangenehm, daß wir so lange ohne Verbindung miteinander sind. Hoffentlich ist den anderen alles glatt gegangen.

3. August. Wir verschlafen die Zeit und stehen erst um 6 Uhr statt um 4 Uhr auf. Der Weg erwies sich im übrigen als sehr gut, und wir kamen schon um 6 1/2 Uhr am Laxelv an. Eigentlich sollten wir nun wohl mit unseren Reitpferden über den Elv schwimmen, um Verbindung mit den anderen aufzunehmen. Wir haben aber einstweilen keinen rechten Mut: Weder hier noch am Zelt auf Stormkap haben wir Sachen zum Wechseln, und um nackt hinüberzureiten, ist es zu kalt. Und dabei müssen wir zweimal hinüber, weil wir zu unseren Pferden zurückmüssen. Wir bleiben daher diesseits und hoffen, daß es mit Koch und Larsen gut geht. Wahrscheinlich sind sie in Pustervig und wissen gar nicht, daß wir nicht über den Elv können. – Um 9 Uhr sehr abgespannt im Schlafsack.

Gloë auf der Überfahrt Die Pferde werden ausgeladen

Schraubeis am Ufer NO-Grönlands

Von den beiden uns fehlenden Pferden haben wir noch immer nichts gesehen.

4. August. Wir waschen uns! Vigfus behauptet, es wäre Sonntag, da ist das ja sehr passend. Die Folge ist freilich, daß wir beide jämmerlich an den Händen frieren. Der Schmutz muß also doch wohl wärmen. Ich machte heute einige Photos: Unsere Lagerstätte unter freiem Himmel, die zu zweien aneinandergebundenen Pferde. Der Kopf des einen ist für die Rast an den Schwanz des andern gebunden, wodurch ihre sonst geradlinige Bewegung in Wirbelbewegung verwandelt wird. Das Resultat ist, daß sie die ganze Nacht wandern können, ohne vom Fleck zu kommen.

Den Rückweg legten wir wieder über die Moschusochsenberge, um dabei nach den zwei fehlenden Pferden auszuschauen.

5. August. Den ganzen Tag harte Arbeit am Depot. Morgens suchten wir eine Stunde lang die Pferde. Mit Suchen, Zusammentreiben und Füttern gehen stets etwa eineinhalb Stunden hin. Dann huldigten wir dem Seilerhandwerk und stellten »nach allen Regeln der Kunst« 25 Packschnüre für die Heusäcke fertig. Nach der Mittagspause kam dann der unangenehmste Teil: das Schnüren der 22 Heusäcke, die wir morgen mitnehmen wollen. Oha! Man hängt sich mit seinem ganzen Gewicht an das Seilende, das durch den Ring hindurchgezogen ist, und zieht, zieht, zieht. Die Hände reißen auf, der Rücken wird lahm, die Arme werden so überanstrengt, daß man sie zuletzt kaum noch heben kann. 22-mal hintereinander seine ganze Lebensenergie in Ziehkraft umzusetzen, das ist etwas viel. Und besieht man sich nachher das Resultat, so sitzen die Schnüre zwar im Augenblick wunderschön stramm, aber wenn wir am Laxelv ankommen, sind sie locker. Heute abend haben wir uns unsere Reitpferde zum Zelt geholt, damit morgen früh das Pferdesuchen schneller geht. Hoffentlich laufen sie nicht in die Zeltpardunen, wie am Esjufjöll auf Island, und reißen das Zelt kaputt.

6. August. Ab 9 Uhr in dichtem Nebel. Ich freute mich wieder darüber, welchen Ortssinn Vigfus hat. Nur einmal kam er von der Spur ab, fand sie aber gleich wieder. Unterwegs stöberte unser Hund Gloë einen Hermelin auf, und wir standen dabei, wie er das behende Tierchen eine Zeitlang verfolgte. Es springt alle Augenblicke im rechten Winkel ab, so daß sein Verfolger vorbeisaust. Schließlich verschwand es in einem Loch, und Gloë hatte das Nachsehen – was ja ganz gut war, denn was sollten wir mit einem totgebissenen Hermelin anfangen? Während des Reitens bemerkte ich einen Stein – roten Sandstein – , auf dem anscheinend Pflanzenabdrücke zu sehen waren, und nahm ihn zur näheren Untersuchung mit. Am Laxelv luden wir unsere Heusäcke ab – jetzt liegen dort 63 – und kehrten zu einem kleinen Bach zurück, der etwa eine Stunde östlich davon liegt und wo die Pferde gutes Gras fanden. Die Nacht hier im Freien im nässenden Nebel war nicht sehr behaglich. Aber wenn man im Schlafsack aus Rentierpelz liegt, so ist man ja weit ab von der Außenwelt.

7. August. Auf 7 Uhr, ab 9 Uhr. Rückkehr zum Depot auf Stormkap. Unterwegs sahen wir einen Moschusochsen, gingen hin zu ihm und photographierten ihn. Es war ein junges Tier, das jedesmal bei unserer Annäherung Fersengeld gab und einen höchst drolligen Galopp produzierte, bei dem die Zotteln seines Pelzes hoch in die Luft flogen.

Wenn nur bald Nordwestwind käme. Der Südost preßt dauernd das Eis der Dovebucht gegen Germania-Land, so daß Koch und Larsen nicht zum Stormkap zurück können. Wahrscheinlich sind sie längst mit dem Ausladen in Pustervig oder sonstwo fertig und warten nur auf freies Fahrwasser, um zum Stormkap zurückzukehren. Jetzt sind es acht Tage, seit wir von den anderen Abschied nahmen, in der Erwartung, sie nach ein bis zwei Tagen wieder zu treffen. Wir bedürfen verschiedener Dinge, die sie mitgenommen haben, namentlich Wollsachen, Photographieplatten, Hufeisen und Eis-Spitzen für die Pferde. – Mein Magen ist wieder etwas in Unordnung, und ich muß (oh Jammer!) auf meine Schlafsack-Pfeife verzichten.

8. August. Ich kann wieder Pfeife rauchen.

Die Arbeit mit den Heusäcken wurde mir heute besonders schwer, aber da wir das letzte Mal schon die ganze Seilerarbeit erledigt hatten, waren wir mit dem Schnüren schon zu Mittag fertig und konnten uns nach dem Essen eine gemütliche Pfeife leisten. Und wie es gewöhnlich geht: Hat man Muße, so kommen die guten Gedanken. Ich schlug Vigfus vor, aus zwei leeren Petroleumkannen und dem fast wasserdichten Küchenkasten als Schwimmkörper ein Floß zu bauen. Drei Bretter, im Dreieck darüber festgeschnürt, bildeten dann das Fahrzeug, Wir probierten es, und es trug gerade einen Menschen. Außerdem haben wir eine 30 Meter lange Trosse und noch anderes Tauwerk. Das muß genügen, um den Übergang über den dummen Fluß zu bewerkstelligen. Der Himmel mag wissen, ob es gut geht, aber die Idee ist gut, und unsere Probe fiel so zufriedenstellend aus, daß unsere Stimmung sehr gehoben ist.

9. August. Auf 5 Uhr, ab 11 Uhr (!). Sechs Stunden dauerte es, bis wir klar wurden. Die Pferde waren des Morgens sehr verstreut, so daß wir weit reiten mußten, bis wir sie wieder zusammen hatten. Teilweise in sausendem Galopp auf meinem kleinen Roten. Wir mußten sehr vorsichtig marschieren, da wir lauter unmögliche Dinge aufgeladen hatten: drei leere Petroleumkannen ziemlich großen Kalibers, vier lange Bretter etc. Die Bretter werden einfach am hin