Vertraulicher Bericht über die Grönland-Expedition 1929 - Alfred Wegener - E-Book

Vertraulicher Bericht über die Grönland-Expedition 1929 E-Book

Alfred Wegener

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Beschreibung

Grönland war sein Schicksal. Auf der größten Insel der Welt hat Alfred Wegener seine abenteuerlichsten Expeditionen absolviert, die immer im Zeichen der Wissenschaft standen. Die Vorexpedition von 1929 als Probelauf für Wegeners großen Traum einer eigenen, von ihm geleiteten, mehr als ein Jahr dauernden Grönlandexpedition sollte die Entscheidungsgrundlagen liefern, um die idealen Lande- und Aufstiegsplätze auf das grönländische Inlandeis zu finden. Begleitet wurde Wegener von Johannes Georgi, Fritz Loewe und Ernst Sorge, die sich auf dieser Explorationsreise mit dem Gebrauch der Hundeschlitten, den Feinheiten der Fahrtechnik und dem Umgang mit dem Motorboot »Krabbe« vertraut machten. Auf ihrer Suche nach einer geeigneten Aufstiegsroute auf das Inlandeis führten die Expeditionsteilnehmer ausgedehnte Reisen mit dem Hundeschlitten durch. Insgesamt wurden dabei 850 km zurückgelegt. Wegener und Georgi drangen mit ihrem grönländischen Schlittenführer 209 km nach Osten vor und erreichten eine Höhe von 2500 m.

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Inhalt

Vorwort

Die ersten Fahrten mit dem Motorboot »Krabbe«

Die Handschlittenreise auf dem Inlandeise von Quervainshavn aus

Bericht über den Verlauf der Grönland-Expedition von Mitte Juni bis Mitte Juli 1929

Hundeschlittenreisen und wissenschaftliche Arbeiten auf dem Inlandeise

Letzte Unternehmungen und Heimreise

Kartenskizzen und Fotos von A. Wegener (Beilage zum vertraulichen Bericht)

Alfred Wegeners Vorexpedition zur großen Grönland-Expedition 1930/31

Grönland war sein Schicksal. Auf der größten Insel der Welt hat er seine abenteuerlichsten Expeditionen erlebt, die immer im Zeichen der Wissenschaft standen. Der 1880 geborene Alfred Wegener studierte Geometrie, Physik, Astrophysik, Astronomie und Meteorologie in Berlin, Heidelberg und Innsbruck. Daneben besuchte er vereinzelte Vorlesungen in Botanik und Philosophie.

Von 1906 bis 1908 nahm Wegener an der Danmark-Expedition nach Nordostgrönland teil, absolvierte 1910 aerologische Experimente in Südamerika, durchquerte 1913 mit drei Kameraden Grönland von Ost nach West an der breitesten Stelle und beteiligte sich 1922 an einer 97tätigen Forschungsreise durch Kuba, Mexiko und Teile der USA, bei der 132 Ballonaufstiege durchgeführt wurden. 1929, zum Zeitpunkt seiner dritten Grönland-Reise, hatte Alfred Wegener eine Professur für Meteorologie und Geophysik an der Universität in Graz inne.

Schon während der Grönland-Durchquerung 1912/1913 hatte Wegener zusammen mit Johan Peter Koch den Plan entworfen, eine Überwinterungsstation zentral auf dem grönländischen Inlandeis zu errichten. Der Erste Weltkrieg und seine Nachwirkungen sowie Wegeners berufliche Etablierung als Wissenschaftler und Hochschulprofessor haben dieses Vorhaben wohl in den Hintergrund treten lassen. Als ihn um die Jahreswende 1927/28 ein Brief von Johannes Georgi, seines Zeichens Mitarbeiter der Deutschen Seewarte in Hamburg, erreichte, in dem dieser seine Pläne zu neuen aerologischen Untersuchungen in Grönland darlegte, schien noch einmal das Arktisfieber in Alfred Wegener zu erwachen. In seinem Antwortschreiben an Georgi schrieb er: »Sie berühren auch die Frage einer Station auf dem Inlandeis. Das ist ja ein Altplan von FREUCHEN, KOCH und mir. Wäre der Krieg nicht gekommen, so wäre der Plan wohl schon ausgeführt. Aber inzwischen ist FREUCHEN ein Bein abgenommen worden, KOCH ist zu alt geworden und liegt im Krankenhaus und auch ich habe einen kleinen ›Knacks‹ und bin kein Jüngling mehr.« Mit dem »kleinen Knacks« spielte Wegener auf ein bereits 1914 diagostiziertes Herzleiden an. Unterstützung für den Plan der Errichtung einer Überwinterungsstation in Zentralgrönland, um Eisdicken-, Schwere- und trigonometrische Höhenmessungen durchzuführen, erhielt Alfred Wegener Mitte 1928 durch Prof. Meinradus, Ordinarius für Geographie in Göttingen, welcher der Notgemeinschaft der Deutschen Wissenschaften die Durchführung einer solchen wissenschaftlichen Grönland-Expedition vorgeschlagen hatte. Die erforderlichen Mittel wurden bewilligt, zuerst sollte jedoch eine sogenannte Vorexpedition erfolgen, um die Gegebenheiten vor Ort zu erkunden und Fragen der Ausrüstung zu klären, insbesondere des Transportsystems, wofür Hundeschlitten, Pferde und Propellerschlitten in Frage kamen. Die Kosten dieser Vorexpedition, die 1929 stattfinden sollte, schätzte Wegener auf 40.000 Mark. Weil Alfred Wegener zu jener Zeit österreichischer Hochschullehrer in Graz war, mußte er beim österreichischen Ministerium für Unterricht einen Antrag auf Beurlaubung mit Gehalt für das Sommersemester 1929 sowie für die Zeit von Frühjahr 1930 bis Herbst 1931 stellen.

Um seinem Anliegen Nachdruck zu verschaffen, hielt Wegener im Januar 1929 in der Geographischen Gesellschaft in Wien einen Vortrag über »Die deutsche Inlandeis-Expedition nach Grönland, Sommer 1929«, den er im Februar im Rahmen des Naturwissenschaftlichen Vereins für Steiermark in Graz wiederholte.

Wegeners hier publizierte Beschreibung über den Verlauf der Vorexpedition beruht auf drei Berichten, die er zwischen August und November 1929 an die Notgemeinschaft der Deutschen Wissenschaften schickte. Verfaßt hat er sie höchstwahrscheinlich noch während der Expedition. »Vertraulich« nannte er seine Berichte vermutlich deshalb, weil sie für ihn den Charakter eines unfertigen Arbeitsentwurfs hatten. Die Erlebnisse dieser Reise schilderte Wegener später in populärer, geradezu belletristisch anmutender Form im 1930 erschienenen Buch »Mit Motorboot und Schlitten in Grönland«. Dieses Buch war die letzte Publikation Wegeners, die zu seinen Lebzeiten erschien. Im Jahr 1930 ereilte ihn ein allzu früher Tod im ewigen Eis Grönlands. Über diesen Tod erhielt Wegeners Frau Else am 19. Mai 1931 vom Präsidenten der Notgemeinschaft Deutscher Wissenschaften, Staatsminister Schmidt-Ott, folgende Mitteilung:

»Hoch verehrte gnädige Frau!

Soeben ist von WEGENERs Weststation folgendes Telegramm eingelaufen: Weststation 18. Mai. Schlittenreise WEIKEN SORGE 5 Grönländer eintrafen vorgestern wohlbehalten Weststation. Fand zwischen WEGENERs Skiern bei 189 km durch Turgrabung WEGENER. War von RASMUS sorgfältig in zwei Decken eingemacht und mit Pelzen zugedeckt im Firn beigesetzt, Anzug, besonders Fußbekleidung in bestem Zustand, nach Aussehen und allen Anzeichen schmerzloser Tod im Feld, nicht durch Erfrierung. Tagebücher und sonstige Aufzeichnungen sind nicht vorhanden. Wahrscheinlich von RASMUS mitgenommen. WEGENER wurde an gleicher Stelle in einer Gruft aus Firnquardern mit einem NANSENschlitten und weiteren Firnquardern vorläufig wieder beigesetzt. Nördlich der Route bei 171 km und bei Schneemann 170 km wurden Zeltplätze RASMUS gefunden, bei 155 km ein Hundelager, wahrscheinlicher Zeltplatz. RASMUS spätere Depots unberührt, trotz Aufgrabungen an allen Schneemännern keine weiteren Anzeichen. Nachforschungen nach RASMUS und WEGENERs Tagebüchern werden fortgesetzt. Wenn wir hernach Ihren von uns geliebten und verehrten Herrn Gemahl nicht mehr unter den Lebenden wissen, so ist es uns doch eine große Beruhigung, daß sein Ende nicht mit Qualen verbunden gewesen ist. Sie und die Ihren bitte ich, unserer innigsten Teilnahme gewiß zu sein. Mit größter Hochschätzung, Staatsminister SCHMIDT-OTT.«

Die Vorexpedition von 1929 als Probelauf für Wegeners großen Traum einer eigenen, von ihm geleiteten, mehr als ein Jahr dauernden Grönlandexpedition sollte die Entscheidungsgrundlagen liefern, um die idealen Lande- und Aufstiegsplätze auf das grönländische Inlandeis zu finden. Begleitet wurde Wegener von Johannes Georgi (1888-1972), Fritz Loewe (1895-1974) und Ernst Sorge (1899-1946), die sich auf dieser Vorexpedition mit dem Gebrauch der Hundeschlitten, den Feinheiten der Fahrtechnik sowie dem Umgang mit dem Motorboot »Krabbe« vertraut machten. Das 8-Tonnen-Boot – 9 Meter lang, mit einem 8 PS-Motor und zusätzlichen Segeln ausgestattet – erwies sich dabei als ideales Schiff für die Expeditionszwecke.

Wegener ließ in Deutschland aus einem windschlüpfrigen Stoff für sich und seine Kameraden Anoraks herstellen. Er hatte dieses Inuit-Kleidungsstück 1913 von seiner Grönlanddurchquerung mitgebracht und quasi in die europäische Bekleidungsmode eingeführt.

Auf ihrer Suche nach einer geeigneten Aufstiegsroute auf das Inlandeis führten die Expeditionsteilnehmer ausgedehnte Reisen mit dem Hundeschlitten durch. Insgesamt wurden dabei 850 km zurückgelegt. Wegener und Georgi drangen mit ihrem grönländischen Schlittenführer 209 km nach Osten vor und erreichten eine Höhe von 2500 m.

Der Expeditionsleiter Alfred Wegener wählte schließlich den Kamarujuk-Gletscher als Aufstiegsstelle aus. Dort wurde im Juni 1930 die Weststation eröffnet, von der aus die Transporte der wissenschaftlichen Geräte, der Einrichtung sowie der Verpflegung für die 400 km landeinwärts gelegene Station Eismitte erfolgten.

Ebenfalls auf der Vorexpedition getestet wurden zwei Handschlitten von ca. 4,5 kg bzw. 8 kg Gewicht, auf denen etwa 50 kg Gepäck transportiert werden konnte. Erstmals wurden in Grönland solche Schlitten eingesetzt, während auf früheren Expeditionen große Schlitten verwendet wurden, die von allen Männern gleichzeitig gezogen werden mußten. Insgesamt absolvierten die vier Wissenschaftler 23 Reisetage – die zweitlängste Handschlittenreise, die jemals auf Grönland durchgeführt wurde. Besonders beeindruckend war für sie das Erlebnis der plötzlichen Entleerung eines Randsees.

Wegener nutzte die Rekognoszierungstour auch für erste wissenschaftliche Vorversuche wie Eisbohrungen zur Beurteilung der Eisschmelze und -akkumulation sowie seismische Eisdickemessungen mittels Sprengstoff. Die Vermessung mehrerer Gletscher ergab in der Mehrzahl der Fälle den Befund, daß diese – im Vergleich zu Messungen früherer Expeditionen – zurückgegangen waren. Dies bereits im Jahr 1929, wo das Wort Klimaerwärmung noch nicht in aller Munde war.

Was die Verpflegung anging, so wurde von den Teilnehmern der Vorexpedition auch der berühmte Amundsen-Pemmikan (eine noch konzentriertere Fett-Fleisch-Mischung als der normale Pemmikan) getestet, der sich jedoch als sehr schwer verträglich für deutsche Mägen erwies.

Bei ihrer Reise übers Inlandeis erreichte die Gruppe, nachdem sie die Randzone hinter sich gelassen hatte, das sogenannte Firngebiet, etwa 200 km vom Eisrand entfernt. Wegener schreibt darüber: »Unser Ziel war erreicht, wir hatten gesiegt! Unser Wille war stärker gewesen als der Widerstand der Natur! (…) Es war mir außerordentlich feierlich zu Mute bei dem Gedanken, daß nun das letzte Ziel unserer Expedition erreicht war. Ich holte unsere deutsche Flagge hervor und befestigte sie an unserer letzten, hier als Zuwachsstation aufgestellten Bambusstange … Nun hatten wir sie also doch schon halbwegs bis zur Mitte Grönlands getragen!«

Klaus Isele

Vertraulich!

Bericht Professor Dr. WEGENERs über seine Reise nach Grönland bis zum 15. Juni 1929

1. Die ersten Fahrten mit dem Motorboot »Krabbe«

Die Expedition besteht aus Dr. GEORGI – Hamburg,

Dr. LOEWE – Berlin, Studienrat SORGE – Berlin

sowie Professor Dr. WEGENER – Graz als Leiter.

Wir fuhren mit dem Dampfer »Disko« des Kgl. grönländischen Handels, der auch unser Motorboot »Krabbe« auf Deck mitführte, am 27. März von Kopenhagen ab. Einen Aufenthalt in Godthaab benutzten wir zu einer Besteigung des Berges Store Malene (790 m); auch lernten wir hier unter anderem den Landsfoged von Südgrönland HONOREPETERSEN kennen, der von hier ab bis Holstensborg unser Mitpassagier auf der »Disko« wurde. Nach nochmaligem Aufenthalt in Sukkertoppen kamen wir am 21. April in Holstensborg an. Vom Kapitän HANSEN der »Disko«, den ich von KOCHs Expedition her kannte, hatte ich mir eine ausrangierte, aber noch wohlerhaltene 100 m lange Trosse ausgebeten und kostenlos erhalten, da wir noch zu wenig Vertauungsmaterial für unser Boot hatten. Diese Trosse wurde uns sehr bald unentbehrlich. In Holstensborg wurde die Expedition ausgeschifft. Beim Zuwasserbringen des Motorboots erhielt dies infolge einer Unvorsichtigkeit der Schiffsbesatzung ein Leck, das aber sofort vom Zimmermann repariert wurde und bisher keine weiteren Folgen gehabt hat. Am 22. April konnten wir anfangen, uns im Motorboot einzurichten und das Boot aufzuriggen, wobei uns der Leiter der staatlichen Fischkonservenfabrik Martin HANSEN – Bruder meines verstorbenen Expeditionskameraden Peter