Alfred Wegeners letzte Grönlandfahrt - Alfred Wegener - E-Book

Alfred Wegeners letzte Grönlandfahrt E-Book

Alfred Wegener

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Beschreibung

1930 traf der Geophysiker und Meteorologe Prof. Alfred Wegener, begleitet von zahlreichen anderen Wissenschaftlern, an Grönlands Westküste ein. Unter großen Schwierigkeiten gelangte die Expedition zu aufsehenerregenden wissenschaftlichen Erkenntnissen und lieferte einen wertvollen Beitrag zur Erforschung der Arktis. Alfred Wegener opferte für das Gelingen des Unternehmens sein Leben. Das vorliegende Buch, von der Witwe des Forschers aus Tagebuchaufzeichnungen und Berichten seiner Gefährten zusammengestellt, erzählt eindringlich die Geschichte dieser letzten großen deutschen Arktisexpedition und vermittelt ein Bild von den dramatischen Begebenheiten, die sich in den Jahren 1930/31 auf dem fernen Grönland abgespielt haben. Packend sind die Schilderungen der entbehrungsreichen Hundeschlittenreisen ins Innere Grönlands, wo 400 km von beiden Küsten entfernt die Station »Eismitte« eingerichtet wurde. Zum ersten Mal in der Polargeschichte überwintern Menschen im Inneren Grönlands, was bislang für unmöglich gehalten wurde. »Alfred Wegeners letzte Grönlandreise« zählt zu den besten und ergreifendsten Darstellungen der Polarliteratur.

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Inhalt

Vorwort

Einleitung:

Plan und Ziele der Deutschen Grönland-Expedition Alfred Wegener

Ausreise und Wartezeit in Uvkusigsat.

Nach Alfred Wegeners Tagebuch

Transporte.

Von Georg Lissey und nach Alfred Wegeners Tagebuch

Propellerschlitten.

Von Curt Schif

Die erste Schlittenreise ins Innere und die Errichtung der Station »Eismitte«.

Von Johannes Georgi

Die vierte Schlittenreise bis 151 Kilometer Randabstand

Von Fritz Loewe

Wintereinbruch.

Von Karl Weiken

Bau des Winterhauses und die letzten Transporte

Von Kurt Herdemerten

Meteorologische Arbeiten an der Weststation

Von Rupert Holzapfel

Entsatzreise.

Von Karl Weiken

Winternacht an der Weststation.

Von Hugo Jülg

Winternacht und Frühjahr in Kamarujuk.

Von Georg Lissey

Die Frühjahrsschlittenreise nach »Eismitte«

Von Karl Weiken und Manfred Kraus

Ende der letzten Herbstschlittenreise.

Von Fritz Loewe

Überwinterung in »Eismitte«.

Von Ernst Sorge

Die Auffindung Alfred Wegeners.

Nach Berichten von Ernst Sorge und Karl Weiken

Die Suche nach Rasmus.

Von Ernst Sorge

Worterklärungen und Erläuterungen

Eisdickenmessung. Nach Kurt Wölcken

Bildtafeln

Bildnachweise

Vorwort

Vorliegendes Buch ist ein Ausschnitt aus dem 1932 im Verlag F. A. Brockhaus, Leipzig, erschienenen, von Frau Else Wegener, der Witwe des Forschers, unter Mitwirkung von Dr. Fritz Loewe herausgegebenen Reisebericht über Alfred Wegeners Grönland-Expedition 1930/31. Es enthält Auszüge aus Wegeners Tagebuch und Berichte einzelner Expeditionsteilnehmer. In diesen Aufzeichnungen sind die Erlebnisse vom April 1930 bis Ende Juni 1931 geschildert, d. h. bis zu der Zeit, da nach langen Winterwochen voll banger Sorge um das Schicksal ihres Führers seine Mitarbeiter die furchtbare Gewißheit seines Todes erhielten. In den in dieser Neuauflage nicht aufgenommenen Berichten von Fritz Loewe, Hugo Jülg, Curt Schif, Johannes Georgi, Ernst Sorge, Kurt Wölcken, Karl Weiken werden die Arbeiten der Expedition nach Wegeners Tod geschildert; über die Erlebnisse der Oststation berichtet Walther Kopp. Diese Berichte sind im Einleitungskapitel kurz zusammengefaßt.

Die reichen wissenschaftlichen Resultate der Gesamtexpedition wurden veröffentlicht in den 7 Bänden der »Wissenschaftlichen Ergebnisse der Grönland-Expedition Alfred Wegener« im Verlag F. A. Brockhaus, Leipzig, 1933-1940.

Übersichtskarte von Grönland mit den Routen der Forschungsreisen

Einleitung

Plan und Ziele der Deutschen Grönland-Expedition Alfred Wegener

Im Sommer 1928 faßte Alfred Wegener, damals Professor der Geophysik und Meteorologie an der Universität Graz, den Plan zu einer neuen Grönland-Expedition. Sein Programm umspannte den ganzen Aufgabenkreis, der sich ihm auf seinen beiden früheren Grönland-Expeditionen und bei der wissenschaftlichen Bearbeitung ihrer Ergebnisse erschloß. Vor allem aber wollte er Eisdickenmessungen durchführen. Auf der Danmark-Expedition 1906 bis 1908 betrat er zum erstenmal das grönländische Inlandeis, 1912/13 durchquerte er die Insel von Ost nach West unter der Leitung des dänischen Grönlandforschers J. P. Koch, wobei er sich sehr eingehend mit gletscherkundlichen Studien des Inlandeises beschäftigte, die ihn auf wichtige und höchst bedeutsame Fragen führten. Der Beantwortung dieser Fragen sollte die neue Expedition dienen und dadurch gewissermaßen den Abschluß seiner Grönlandforschungen bilden.

Es war ein einheitlich und groß angelegter Plan zur systematischen Erforschung des Inlandeises und seines Klimas, den Alfred Wegener entwarf.

Durch Eisdickenmessungen an verschiedenen Punkten im Innern Grönlands sollte die Mächtigkeit des Inlandeises, dieses einzigartigen Überbleibsels der Eiszeit, bestimmt werden. Es wurde vorgesehen, die barometrischen Höhenmessungen durch trigonometrische Vermessungen zu kontrollieren; gleichzeitig sollten Schweremessungen die Frage entscheiden, ob die grönländische Scholle sich im Auftauchen befindet. Wichtig war ferner, in tiefen Schächten am Rande und im Innern die Temperaturen des Eises in verschiedenen Tiefen zu messen, die Zusammensetzung und das Gefüge von Eis und Firn zu untersuchen sowie eine Reihe gletscherkundlicher Einzelbeobachtungen durchzuführen.

Hand in Hand mit diesen geophysikalischen Arbeiten war die Erforschung des Klimas über dem Inlandeis geplant. Meteorologische und aerologische Beobachtungen an drei Stationen während eines vollen Jahres sollten einen aerologischen Querschnitt durch das Gebiet hohen Luftdruckes geben, das bis jetzt jede Expedition über dem Inlandeis beobachtet hatte. Das Klima des Inneren Grönlands war bisher nur auf Sommerreisen erforscht worden, denn die Winterstation der Koch-Wegenerschen Expedition lag ja noch im Randgebiet des Inlandeises. Eine der Beobachtungsstationen mußte also mindestens 250 Kilometer landeinwärts im Kerngebiet der kalten Luftmassen liegen.

Für die Durchführung dieses Arbeitsplanes faßte Wegener die Gegend um den 71. Breitenkreis, die noch nicht bereist worden war, ins Auge. Sie lag nördlich des Weges, auf dem der Schweizer de Quervain 1912 die Insel durchquert hatte, und südlich von dem Weg Kochs und Wegeners im Jahre 1913.

Man beabsichtigte, in dieser Breite drei Stationen zu errichten, eine am Westrande, eine in der Mitte Grönlands und die dritte an der Ostküste. Voraussetzung dafür war die Möglichkeit, in dieser Gegend das Inlandeis zu ersteigen und das sehr umfangreiche Gepäck der Expedition dorthin zu bringen.

Aus diesem Programm ergibt sich die gesamte Anlage der Expedition beinahe zwangsläufig. Die Hauptschwierigkeit des Unternehmens bildete die mühsame und zeitraubende Beförderung der wissenschaftlichen Instrumente, der Winterhäuser, des Heizmaterials und der Verpflegung für Mensch und Tier auf das Inlandeis. Es mußte möglichst früh im Jahr damit begonnen werden. Da die Westküste Grönlands wesentlich früher schneefrei wird als die Ostküste, war es von vornherein gegeben, die Hauptstation auf dem Westrande des Inlandeises zu errichten und von Westen aus die Zentralstation nach Eismitte vorzutreiben, während die Oststation unabhängig davon bezogen werden sollte.

Es war daher notwendig, auf einer eigenen Vorexpedition festzustellen, ob in der geplanten Gegend, dem Umanak-Distrikt, die Beschaffenheit des Inlandeises einen Transport des Expeditionsgepäcks zuließ. Mit der Erkundung einer passenden Aufstiegstelle auf das Inlandeis wollte man noch wissenschaftliche Untersuchungen sowie die Erprobung von Instrumenten verbinden.

Ende März 1929 reiste Wegener mit drei Begleitern, Dr. Johannes Georgi, Dr. Fritz Loewe und Dr. Ernst Sorge, nach Westgrönland. In Holstensborg brachten sie das Motorboot der Expedition, die »Krabbe«, zu Wasser, das ihnen von da ab, ausgenommen die Zeit der Schlittenreisen, als Wohnung diente. Von Holstensborg fuhren sie zunächst nach Jakobshavn. Dort nahmen sie den Grönländer Tobias Gabrielsen, der schon auf der Danmark-Expedition Wegeners Kamerad gewesen war, als zweiten Maschinisten und Bootswache für die Zeit der Schlittenreisen an Bord. Er machte auch die Hauptexpedition zum großen Teil mit.

Die erste Aufgabe war die Erkundung einer Reserveaufstiegstelle auf das Inlandeis von Quervainshavn aus, über die der Anstieg der Hauptexpedition führen sollte, falls im Umanak-Distrikt kein geeigneter Zugang vorhanden wäre. Mit Handschlitten fuhren sie dann auf dem Inlandeis 150 Kilometer weit nach Nordosten bis zu einer Seehöhe von 2000 Metern, um die persönliche Leistungsfähigkeit der Teilnehmer, Proviant, Kochapparat, Handschlitten, Wegmarkierung u. ä. zu erproben. Dabei wurden auch Pegel ausgesteckt, an denen im nächsten Jahre die Abschmelzung des Eises in den unteren Höhenlagen während der Dauer eines Jahres abgelesen werden sollte.

Nach der Rückkehr zur Küste fuhr die kleine Expeditionsgesellschaft mit dem Motorboot zur Nordostbucht, um die zweite Hauptaufgabe, die Erkundung eines geeigneten Aufstiegpunktes über einen Gletscher im Umanak-Distrikt, in Angriff zu nehmen.

Der Gletscher durfte keine zu große Geschwindigkeit besitzen, weil sonst zu befürchten war, daß durch ein plötzliches Loslösen großer Eismassen vom Gletscher (Kalbung) die Transporte auf das höchste gefährdet würden. Alfred Wegener hatte ja selbst bei seinem Aufstieg auf das Inlandeis im Jahre 1912 eine solche Kalbung miterlebt und war damals mit seinen Gefährten nur wie durch ein Wunder mit dem Leben davongekommen. Anderseits durfte die Gletscherzunge aber auch nicht zu weit im Landinnern liegen, weil dadurch der Transport über die steinige und im Sommer schneefreie Landstrecke außerordentlich schwierig werden würde. Schließlich durfte der Gletscher nicht zu steil und zu zerklüftet sein.

In mühevollen Wanderungen untersuchten nun die Forscher der Reihe nach fast alle großen Eisströme, die in der Umanak-Bucht vom Inlandeis herabfließen; aber nur der Kamarujuk-Gletscher erwies sich als geeignet, der großen Expedition als Anstiegweg zu dienen. Trotz der auch hier vorhandenen bedeutenden Schwierigkeiten entschied sich Wegener endgültig dafür, an dieser Stelle das Gepäck der Hauptexpedition hinaufschaffen zu lassen.

Der Kamarujuk-Gletscher fließt zwischen steilen Felswänden in einem engen, ein bis zwei Kilometer breiten, von Nordost nach Südwest streichenden Tal vom Inlandeis (1000 Meter Seehöhe) über eine Steilstufe des Untergrundes zur Küste herab. Er endet in etwa 400 Meter Entfernung vom Meere in einer flachen Schotterebene und ist nur etwa vier Kilometer lang. Die Hauptschwierigkeit für die Beförderung des Gepäcks bildete der »Bruch«, die sehr zerklüftete Steilstufe. Zu ihrer Überwindung benötigte man für die großen Lasten der Hauptexpedition Tragtiere, und dafür wählte Wegener isländische Pferde, deren Leistungsfähigkeit er auf der Kochschen Expedition kennengelernt hatte.

Oberhalb des Kamarujuk-Gletschers ragt eine Felskuppe aus dem Inlandeis hervor, der Nunatak Scheideck, der den Kamarujuk-Gletscher vom Kangerdluarsuk-Gletscher scheidet. In seiner Nähe sollte die westliche Randstation der Hauptexpedition liegen. Sorge und Loewe führten hier an verschiedenen Punkten Eisdickenmessungen aus, die zu sehr aufschlußreichen Ergebnissen führten. Dann unternahmen sie einen Vorstoß mit Hundeschlitten 75 Kilometer weit nach Norden. Inzwischen fuhren Wegener, Georgi und der Grönländer Johann Davidson mit Hundeschlitten 200 Kilometer weit nach Osten ins Innere. Sie litten sehr unter den Unbilden des Wetters, stellten aber fest, daß sich in diesem Teil des Inlandeises der Beförderung des Gepäcks für die zentrale Firnstation keine unüberwindlichen Schwierigkeiten entgegenstellen würden. Auf dieser Strecke wollte man auf der Hauptexpedition Hundeschlitten verwenden. Die dazu notwendigen Grönländer konnten im Bezirk Umanak angeworben werden, ebenso konnte man dort Hunde kaufen oder leihen. Außerdem war vorgesehen, zwei Propellerschlitten mitzunehmen. Gelang es, diese durch den Bruch zu bringen und oben in Gang zu setzen, so waren sie den Hundeschlitten an Schnelligkeit überlegen und verlangten in der Zeit ihrer Nichtverwendung während der wissenschaftlichen Arbeiten keine Wartung. Sie waren jedoch die einzige unsichere Größe im Expeditionsplan, noch auf keiner Polarexpedition erprobt. Den Beweis ihrer Leistungsfähigkeit mußten sie noch erbringen.

Nachdem die »Krabbe« in Godhavn ins Winterquartier gebracht war, schifften sich die Teilnehmer der Vorexpedition nach Europa ein und landeten am 2. November wieder in Kopenhagen.1

So war die Vorexpedition glücklich und erfolgreich beendet. Mit ihren Gefahren, Mühsalen, Anstrengungen und Entbehrungen gab sie den Teilnehmern einen Vorgeschmack von dem, was sie während der Winternacht im Grönlandeis erwartete. Aber sie hatte ihnen auch gezeigt, was Zähigkeit, Ausdauer und eiserner Wille vermögen.

Die Vorbereitung der Hauptexpedition bot noch viele Schwierigkeiten, die überwunden werden mußten. Erst kurz vor Weihnachten war die Finanzierung der Expedition wenigstens zum Teil sichergestellt; nach Neujahr ging es dann endgültig an die Vorbereitungen.

Bei den Vorbereitungen für eine so groß angelegte Reise ist es dem Leiter unmöglich, sich um alles selbst zu kümmern. Alfred Wegener übernahm die Beschaffung der allgemeinen Ausrüstung, während Besonderheiten, wie die Propellerschlitten, das Funk- und Lichtbildgerät, von anderen Expeditionsteilnehmern oder von Fachkundigen besorgt wur­­den, die sich in aufopfernder Weise Wegener zur Verfügung gestellt hatten. Die Instrumente und Hilfsmittel für die eigenen Untersuchungen mußte natürlich jeder Wissenschaftler selbst beschaffen. Doch stand Wegener jedem mit seiner Polarerfahrung zur Seite.

Auch die Art der Verpackung war sorgfältig zu überlegen. Damit umständliches Umpacken in Grönland vermieden wurde, mußte das Expeditionsgepäck möglichst schon zu Hause in Pferdetraglasten verteilt werden.

Äußerst wichtig war natürlich die Auswahl der Teilnehmer. Es kamen zwar Angebote von allen Seiten, aber Wegener knüpfte ganz bestimmte Bedingungen an die Teilnehmer. Er brauchte Fachwissenschaftler und Spezialtechniker, die körperlich leistungsfähig waren und Unternehmungsgeist, Ausdauer und Selbstverleugnung für eine Forschungsreise in Grönland mitbrachten. Wer an einer Expedition ins Eisgebiet teilnimmt, muß willens und imstande sein, schwere körperliche Arbeit zu verrichten, Entbehrungen, Hunger und Kälte zu ertragen. Alle Expeditionsmitglieder mußten bereit sein, bei der Beförderung des Gepäcks über den Gletscher und ins Innere selbst Hand anzulegen und in dieser Zeit ihre wissenschaftlichen Arbeiten zurückzustellen.

Die endgültige Wahl Wegeners ergab folgende Liste der Expeditionsteilnehmer:

Dr. Alfred Wegener, Professor der Geophysik und Meteorologie an der Universität Graz. Er war Leiter der Expedition und übernahm als Fachwissenschaft die Glaziologie (Eis- und Gletscherkunde).

Dr. Johannes Georgi, Regierungsrat an der deutschen Seewarte in Hamburg, übernahm die Leitung der zentralen Firnstation als Meteorologe und Aerologe.

Dr. Rupert Holzapfel, österreichischer Meteorologe, vertrat sein Fach an der Weststation.

Dr. Fritz Loewe von der Flugwetterstelle Berlin sollte Wegeners Assistent bei den glaziologischen Arbeiten an der Weststation sein.

Dr. Ernst Sorge, Studienrat aus Berlin, wollte glaziologische Untersuchungen und Eisdickenmessungen an der zentralen Firnstation ausführen.

Dr. Karl Weiken vom geodätischen Institut in Potsdam übernahm die Schweremessungen und die trigonometrische Vermessung von der Westküste bis Eismitte.

Dr. Kurt Wölcken vom geophysikalischen Institut in Göttingen war Fachmann für Eisdickenmessungen an der Weststation und auf dem Inlandeis.

Ingenieur Kurt Herdemerten aus Düsseldorf kam als Sprengsachverständiger und für den Schachtbau mit.

Mittelschulprofessor Hugo Jülg aus Linz und

cand. ing. Georg Lissey aus Hamburg, waren beide Assistenten für die trigonometrischen Arbeiten.

Emil Friedrichs, Feinmechaniker von der deutschen Seewarte in Hamburg, besorgte den Motor der »Krabbe« und sonstige in sein Fach schlagende Arbeiten.

Franz Kelbl, Monteur, und

Manfred Kraus, Monteur, waren Motorschlittenführer und Funker.

Dipl.-Ingenieur Curt Schif von der deutschen Versuchsanstalt für Luftfahrt in Berlin-Adlershof sollte die Expedition nur den Sommer 1930 über mitmachen, die Beförderung sowie die Montage der Propellerschlitten leiten und im Herbst mit den Isländern zusammen nach Europa zurückkehren.

Vigfus Sigurdsson, Wegeners Kamerad von Kochs Expedition, besorgte in seiner Heimat Island 25 isländische Pferde und ging als Pferdeführer mit. Ebenso

Jon Jonsson aus Island und

Gudmundur Gislason, Student der Medizin aus Island.

Dr. Bernhard Brockamp, wissenschaftlicher Mitarbeiter bei den Askania-Werken, Berlin, stieß erst im Sommer 1931 zur Expedition, um Eisdickenmessungen besonderer Art durchzuführen.

Der Meteorologe Professor Dr. Kurt Wegener aus Berlin reiste im Auftrage der Notgemeinschaft der Deutschen Wissenschaft im Sommer 1931 nach Grönland, um nach dem Tode seines Bruders die Leitung der Expedition zu übernehmen und sie zu Ende zu führen. Ihm wurde auch die Herausgabe der wissenschaftlichen Ergebnisse übertragen.

Für die Oststation, die ganz selbständig arbeiten sollte, wurden gewonnen:

Dr. Walther Kopp vom aerologischen Observatorium in Lindenberg als Leiter, Meteorologe und Aerologe, mit den beiden Assistenten

cand. ing. Arnold Ernsting aus Darmstadt und

Dr. Hermann B. Peters, Zoologe aus Kiel.

Von den deutschen Teilnehmern der Expedition kannten Grönland außer Wegener nur Georgi, Loewe und Sorge, die die Vorexpedition mitgemacht hatten; nur Wegener und der Isländer Vigfus hatten schon im Polareis überwintert. Für alle übrigen war das Reisen und Leben dort etwas vollkommen Neues und Unbekanntes.

Wegener beabsichtigte deshalb, die erste Hundeschlittenreise ins Innere selbst zu führen. Er wollte den Platz für die zentrale Firnstation persönlich aussuchen, denn er war sich klar darüber, wie wichtig die richtige Einteilung der Schlittenreisen ins Innere war. Er mußte aber auch die Verbindung mit den dänischen Niederlassungen leiten, da er als einziger Teilnehmer der Expedition fließend Dänisch sprach. Auch die Verhandlungen mit den dänischen Behörden in Kopenhagen oblagen selbstverständlich ihm und machten vor der Expedition seine mehrmalige Anwesenheit dort nötig.

Als Expeditionsschiff war die »Disko« vorgesehen, das größte Schiff des grönländischen Handels. Sie war das einzige, auf dem die 25 Pferde während der Überfahrt über das offene Meer geschützt unten im Laderaum stehen konnten. Die »Disko« sollte von Kopenhagen zuerst nach Island fahren, hier Pferde und Isländer an Bord nehmen und die Expedition nach Holstensborg in Südgrönland bringen. Weiter nördlich konnte sie so früh im Jahr (April) nicht gelangen, da sie nicht auf Eisfahrt eingerichtet war. In Holstensborg würde die Expedition an Bord des kleineren Schiffes »Gustav Holm« übersiedeln, das so viel von dem Gepäck nehmen sollte, wie es fassen konnte; das übrige sollte dann auf einer zweiten Fahrt nachgebracht werden. Die »Gustav Holm« hatte Eishaut und Ausgucktonne, so daß sie im Treibeis manövrieren konnte. Lag in der Umanak-Bucht noch festes Eis, mußte das Gepäck an der Eiskante ausgeladen und mit Schlitten an Land gebracht werden.

Am 1. April 1930 waren alle Expeditionsmitglieder der Weststation und der zentralen Firnstation an Bord der »Disko« in Kopenhagen versammelt. Im Rumpf des Schiffes war der Hauptteil des 100.000 Kilogramm schweren Gepäcks, etwa 10 Eisenbahnwagenladungen, verstaut, der Rest auf dem »Hans Egede« verladen, der acht Tage später nach Grönland abging.

Was die Expeditionsteilnehmer erlebten, wieweit Wegeners Plan der Expedition verwirklicht werden konnte, wird in den folgenden Kapiteln dieses Buches nach Alfred Wegeners Tagebuch und in den Berichten seiner Kameraden geschildert.

Nach dem tragischen Tod Alfred Wegeners wurde die Expedition unter Leitung seines Bruders, Dr. Kurt Wegener, fortgeführt, der im Juli 1931 in Grönland eintraf.

Das zweite Expeditionsjahr brachte, nachdem das erste Jahr im Zeichen der schwierigen Vorbereitungs-, besonders der Transportarbeiten gestanden hatte, die Erfüllung der wissenschaftlichen Pläne ganz im Sinne des nicht mehr unter ihnen weilenden Leiters. Hugo Jülg führte Gletscherforschungen an dem sich ständig verändernden Kamarujuk-Gletscher durch, beobachtete die die Eisoberfläche zernagenden Abflüsse, studierte die Gletscherspalten, stellte die Menge des Eises fest, die im Sommer in den verschiedenen Meereshöhen abschmilzt, und anderseits den Zuwachs des Inlandeises landeinwärts, also Forschungen zur Lösung des Problems der Speisung der Inlandeismasse. Mit seismischen Methoden versuchte man ferner die Mächtigkeit des Inlandeises festzustellen. Dies erforderte besonders große Transportleistungen. 1000 kg Sprengstoff, dazu sehr gefährliche Sprengkapseln, Instrumente, ein Dunkelzelt, die photographische Ausrüstung, Batterien und Ersatzteile wurden mit Hundeschlitten auf das Inlandeis geschafft. Wölcken als Wissenschaftler und Herdemerten als Sprengungsingenieur, die mit dieser Aufgabe betreut waren, begannen schon im Frühjahr 1931 mit ihrer wissenschaftlichen Arbeit und führten, unterstützt von Jülg und Brockamp, in einem Nord-Süd-Profil rund 50 Eisdickenbestimmungen aus, die ergaben, daß das Inlandeis am Rand 500 bis 1000 m, bei km 100 etwa 1700 m dick ist. Sie stellten gleichzeitig fest, daß der Untergrund Grönlands nicht eben ist, sondern eine Gebirgslandschaft darstellt. Ergänzt wurden ihre Messungen durch die von Sorge unter Mithilfe von Georgi, Kraus, Schif und dem Grönländer Jeremias kurz vor der Aufgabe der Station Eismitte dort ausgeführten Untersuchungen, die in 400 km Abstand von der Küste eine Mächtigkeit des Inlandeises von 1700 bis 1900 m ergaben.

Viele Schwierigkeiten verursachten die von Wegener vorgesehenen Schweremessungen und das trigonometrische Nivellement, in der Hauptsache das Arbeitsgebiet Weikens. Schon im Sommer 1930 begann er damit, als Grundlage für alle weiteren Höhenmessungen die mittlere Höhe des Meeresspiegels festzustellen. Im Frühjahr und Sommer 1931 arbeitete er dann mit Jülg gemeinsam. In geringer Entfernung von den im Vorjahr als Wegmarkierung aufgestellten Flaggen und Schneemännern wurde die gesamte Strecke von der Küste bis Eismitte nivelliert, und zwar in drei Abschnitten. Man begann bei km 200 und ging westwärts bis km 38. Leider behinderte das ungünstige Wetter das Voranschreiten der Arbeit; für das letzte Stück bis zur Küste mußte man sich mit der astronomischen Aufnahme begnügen. Später konnten die beiden Forscher noch die Strecke km 300 bis km 200 aufnehmen; der Rest der Strecke von km 400 bis km 300 wurde aus zeitlichen Gründen von Lissey und Gudmund vermessen.

Als sich gegen Ende des Sommers 1931 beim Rückgang des Schnees die im vergangenen Herbst eingeschneiten Teile des Pendelapparates fanden, setzten Jülg und Weiken diesen instand und führten noch vier Schweremessungen aus: bei Scheideck, km 81, km 120, km 300.

Neben diesen Arbeiten, die sich über das gesamte Gebiet zwischen der Weststation und Eismitte erstreckten, wurden an den festen Stationen, in Eismitte und im Winterhaus an der Westküste, laufend Untersuchungen von Eis und Schnee sowie meteorologische und aerologische Beobachtungen gemacht, die der Erforschung des grönländischen Klimas dienten. Zum ersten Male wurde der klimatische Ablauf eines ganzen Jahres auf dem Inlandeis untersucht.

Die damals begonnenen klimatischen und glazialen Forschungen wurden erst in neuester Zeit wieder aufgenommen und fortgesetzt, denn im Herbst 1949 errichteten französische Wissenschaftler an der Stelle »Eismitte« in 710 10,8 ’n. Br. und 390 56,2’ w. L., 2986 m ü. M.,2 wo die Meteorologen Georgi, Loewe und Sorge 1930/31 ihre Beobachtungen durchführten, eine neue Forschungsstation. Sie konnten sich dabei die großen Erfahrungen Alfred Wegeners und seiner Begleiter zunutze machen, die in entsagungsvoller Weise auf den unendlichen Weiten des Inlandeises Pionierarbeit geleistet hatten.

Eine gemeinsame Rückkehr aller Expeditionsteilnehmer erwies sich als unmöglich. Sie verließen daher Grönland in drei Abteilungen. Die letzten Zehn erreichten Kopenhagen am 13. November 1931. Die Freude über den ehrenden Empfang durch die dänische Regierung und das Wiedersehen mit ihren Angehörigen und Freunden war überschattet durch den Gedanken an Alfred Wegener, dessen Geist die Expedition entsprungen und dessen Name für immer mit ihr verknüpft ist.

Der Plan Alfred Wegeners sah auch eine Oststation vor, die im Innern des auf 71 Grad Nord gelegenen Scoresby-Sundes aufgebaut werden sollte. Da es wegen des Eises jedoch erst im Hochsommer möglich ist, diesen Teil Ostgrönlands zu erreichen, verließen die für diese Station bestimmten Expeditionsteilnehmer die Heimat erst Mitte Juli 1930. Da das Eis noch immer nicht auf gegangen war, wurde die aerologische Station bei der dänischen Kolonie in der Nähe von Kap Tobin an der Außenküste errichtet und später mit Motorboot weiter ins Innere des Scoresby-Sundes verlegt. Die Mitglieder dieser Abteilung, Dr. Walther Kopp, cand. ing. Ernsting und der Zoologe Dr. Peters, führten meteorologische, aerologische und zoologische Untersuchungen durch. Ende November war die Funkverbindung mit der Weststation hergestellt.

Wegen mangelnder Jagdmöglichkeiten wurde die Proviantlage der Oststation im Frühjahr 1931 schwierig. Peters überstand im März eine Blinddarmentzündung, konnte aber nicht zur Kolonie gebracht werden, da die Eskimos, die zu Hilfe kommen wollten, in den noch lockeren Schneemassen des Winters die Station nicht erreichen konnten. Anfang Mai ging es Peters wieder schlechter, so gab man die Station auf; nach mühsamem Marsch erreichten die drei Kameraden die Kolonie. Später holten Kopp und Ernsting mit Hilfe der Eskimos und der dänischen Beamten noch das wissenschaftliche Material, und im Juli 1931 wurde mit dem einzigen Schiff des Sommers die Heimreise angetreten.

Die Arbeiten in Grönland, besonders aber die Beobachtungen auf der Station »Eismitte«, lieferten einen wertvollen Beitrag zur Erforschung der Polarwelt. Ihre Ergebnisse hatten besonders große Bedeutung, weil in der westlichen Arktis bis in die letzten Jahre hinein nur verhältnismäßig wenige exakt wissenschaftliche Untersuchungen durchgeführt worden waren im Unterschied zum östlichen Teil, wo die sowjetische Wissenschaft hervorragende Ergebnisse erzielte und Großtaten in den polaren Gebieten vollbrachte. Auf mehr als 300 Expeditionen hat sie die Natur des Nordens weitgehend entschleiert. Über 100 Beobachtungsstationen wurden angelegt, die sich in den europäischen und asiatischen Gebieten der Arktis zu einem verhältnismäßig engmaschigen Netz zusammenschließen.

1 Alfred Wegener: Mit Motorboot und Schlitten in Grönland. – Deutsche Forschung. Heft 13. Prof. Dr. A. Wegener: Deutsche Inlandeis-Expedition nach Grönland. Vorexpedition 1929.

2 Nach Berechnungen von Kohlschütter, 1940

Ausreise und Wartezeit in Uvkusigsat

Nach Alfred Wegeners Tagebuch

1. April 1930. An Bord der »Disko«. Heute um 10 Uhr früh fuhr die »Disko« von Kopenhagen ab. Abschied, Tücherschwenken – ja, nun ist der Faden abgeschnitten, jetzt beginnt die Expedition.

3. April. An die Stelle des Abfahrttrubels ist die dumpfe Dösigkeit getreten, die schwerer Seegang hervorruft. Es ist trüb, hin und wieder fegt Gischt über das Deck, es steht eine Himmelsee, und selbst die träge »Disko« ist ganz gegen ihre Gewohnheit lebendig geworden. Da der Wind von hinten kommt, machen wir brüllende Fahrt, morgen müssen wir uns bei Vigfus in Island anmelden, und es sieht ganz so aus, als ob wir vor »Gustav Holm« nach Holstensborg kommen werden und die Pferde dort an Land geben müssen.

8. April. Reykjavik. Eben haben wir unsere 25 Pferde an Bord genommen. Sie sind drall und sehen einfach »herzig« aus. Hoffentlich geht es nun mit der Seereise gut.

10. April. Gestern abend war so hohe See, daß Kapitän Hansen zu mir kam und verlangte, unsere drei Isländer sollten bei den Pferden Wache halten. In der Nacht arbeitete die »Disko« so, daß alle Augenblicke schwere Spritzer über Deck fegten. Um 9 Uhr war ich unten bei den Pferden. Man kann sie jetzt immer nur mit Gefahr, naß zu werden, erreichen. Alle Pferde standen gut, fraßen und tranken gut, waren nicht so verschwitzt wie gestern und waren mobil. Sie haben es jetzt schon gut gelernt, trotz der Schiffsschwankungen fest zu stehen, ohne zu straucheln. Hätten wir das Wetter von heute nacht gleich bei der Abfahrt gehabt, so wäre es vermutlich schiefgegangen.

14. April. Strahlendes Wetter, Windstille, ruhige See. Prachtvoll für die Pferde. Eben war ich unten bei ihnen. Sie sind so fidel, daß sie sich immerzu beißen. Die grönländische Küste liegt als schneebedeckte Gipfelkette neben uns. Es ist kalt.

15. April, abends. Holstensborg. Nun liegen wir vor der uns so gut bekannten Kolonie Holstensborg. Es war ein seltsames Gefühl bei der Einfahrt, als wir an der kleinen Klippeninsel vorbeikamen, bis zu der wir im vorigen Jahr die »Disko« mit unserm kleinen Motorboot »Krabbe« hinausgeleitet hatten, und dann die bunten Häuser der Kolonie auftauchten. Jetzt, tief im Winterschnee, sieht die Kolonie idyllisch aus, und die hohen Berge dahinter schmücken das Bild. »Gustav Holm« ist noch nicht hier.

17. April. Am Vormittag wurden die Pferde an Land gebracht. Es ging meist ganz glatt, nur ein Pferd glitt vom Steg ab und fiel in ziemlich tiefes Wasser, bekam einen Schreck und schlug sich dann etwas beim eiligen Heraussteigen. Jetzt stehen sie alle in einem für sie reservierten Packhaus, ein Hängeschloß ist vor der Tür, und Vigfus hat den Schlüssel in der Tasche. Er wurde übrigens bei der Landung der Pferde ziemlich naß. Wasserscheu ist er nicht. Er sprang einmal einfach bis zur Brust ins Wasser.

19. April. Gestern abend um 10 Uhr kam »Gustav Holm«. Es ist heute wieder schönes Wetter. Die meisten Expeditionsmitglieder sind an Land. Unser Gepäck wird aus der »Disko« ausgeladen, und wir benutzen die freie Zeit zu kleinen Bergbesteigungen, Skikursen unter Herdemertens Leitung und photographischen Razzien.

20. April, Ostersonntag. In den letzten Tagen haben wir viel von unserm Gepäck gesehen, weil manche Sachen schon jetzt ausgegeben und daher viele Kisten geöffnet werden. Beim Umladen wird natürlich leider ziemlich viel ruiniert, Hausecken werden abgestoßen, Proviantkisten erhalten Löcher, fünf Benzindunke sind durch einen herabfallenden Stein zerdrückt, der Inhalt aber gerettet, ein Ballen Preßheu fiel ins Wasser. Aber Ernstliches ist bisher nicht geschehen.

Es ist einfach fabelhaft, was wir alles haben. Lissey hat neulich zusammengezählt, daß wir 2500 Kollis haben, was allgemeines Entsetzen hervorrief. Aber wenn man jedes Kolli zu 40 Kilogramm rechnet, so kommt man auf die geschätzten 100.000 Kilogramm. Es stimmt genau!

Unser Gepäck bietet einen imponierenden Anblick; wäre unsere Teilnehmer- und unsere Pferdezahl nicht auch ziemlich groß, so könnte man auch sagen: einen hoffnungslosen Anblick! Aber wir werden es schon über den Gletscher hinaufbringen, wenn wir nur erst einmal in Kamarujuk sind.

25. April. »Gustav Holm« ist ein richtiges Expeditionsschiff mit dicker Eishaut und Ausguckstonne. Freilich ist es für uns sehr eng, aber die Hauptsache ist: Wir haben unser ganzes Gepäck an Bord. Petroleumdunke stehen unter Deck im Kohlenbunker, das Deck steht gerammelt voll Benzinkannen, über die man weggehen muß, oben auf diesen wieder steht der Leichter, und darin sind wieder Benzinkannen. Das Dynamit liegt im Heu für die Pferde, die Kiste mit Zündkapseln in einem der Rettungsboote. Der Proviant liegt zuunterst unter dem Heu. Leider hatte niemand daran gedacht, die sechs Proviantkisten beiseite zu stellen, die für Loewes Schlittenreise und die Fahrt der »Krabbe« gebraucht werden. Nun versuchen wir, uns vom vorderen Eingang zur Last einen Weg durch das Heu zu den Proviantkisten zu wühlen. Wir müssen die Kisten in Godhavn zur Hand haben, wenn die fünf Mann an Bord unseres Motorboots gehen, um zum Quervainshavn zu fahren. Loewe soll von dort aus auf einer Schlittenreise unsere vorjährigen Abschmelzstationen ablesen und über das Inlandeis nach Scheideck und Kamarujuk gehen. – Eben höre ich, daß es geglückt ist, die sechs Proviantkisten herauszuholen. –

Wir laden jetzt nur noch Deckslast. Die großen Kisten mit den Propellerschlitten stehen rechts und links von der Großluke. Wären sie einen Zoll breiter und einen Viertelmeter länger, so gingen sie nicht mehr hin. Die Pferde stehen auf Deck, hinter den großen Kisten. Sie haben dort Lee. Es ist gerade, als ob wir unser Gepäck auf »Gustav Holm« zugeschnitten hätten.

27. April. An Bord des »Gustav Holm«. Auf unserem Expeditionsschiff ist es sehr gemütlich, wenn auch eng. Zwei von uns schlafen noch im Salon auf dem Fußboden, weil wir nicht genug Kojen haben, aber im Heu sind ja Schlafplätze ad libitum. Vor der Abfahrt kam noch der Kolonieleiter nebst Damen an Bord, es gab einen Rumtoddy, und wir improvisierten Musik mit Mundharmonika (Wölcken) und Gitarre (Holzapfel).

29. April. Seit gestern nachmittag sind wir in Godhavn. Der Landsvogt kam mit dem Kolonieleiter an Bord, aber die Nachrichten, die er brachte, sind nicht besonders gut. Die Nordostbucht hat festes Eis gehabt, und es ist sehr fraglich, ob wir die Kolonie Umanak und die Kamarujuk-Bucht mit dem Schiff erreichen können.

Wir haben rührendes Wiedersehen mit der »Krabbe« gefeiert. Sie lag bereits im Wasser und soll heute aufgetakelt und neben »Gustav Holm« gelegt werden. Gestern bei der Einfahrt hatten wir neun Grad Kälte, heute ist Schneewetter – der grönländische Sommer will noch nicht kommen. Ich habe mich jetzt endgültig von europäischer Kleidung freigemacht, auch bei dem heute bevorstehenden Frühstück beim Landsvogt.

30. April. Es ist doch eine verd … kitzlige Fracht, die wir haben. Kriegen wir Feuer an Bord, so sind wir fertig. An Löschen ist bei Benzin nicht zu denken. Immerhin ein Trost: Es wird dann eine hochanständige Feuerbestattung mit erheblichem Kostenaufwand.

2. Mai. Abends feierten wir den Abschied von unsern Kameraden. Loewe, Holzapfel und Jülg, unsere Schlittenreisenden, bekamen außer den Hundepelzen noch viele gute Ratschläge mit auf den Weg. Und Friedrichs und Kraus, unsere Seehelden, wurden vermahnt, die »Krabbe« auch heil nach Umanak zu bringen. Wir gehen jetzt los. Hoffentlich geht nun alles gut.

4. Mai. Die Schwierigkeiten beginnen. In der Nacht zu heute kamen wir an die Eiskante, die noch vor Umanak liegt. Ein Versuch, das Eis zu brechen, um in die Bucht hineinzukommen, mißlang. Aber es kam ein Hundeschlitten, dem ich einen Brief an den Kolonieleiter mitgab. Nach ein paar Stunden kamen der Arzt, der Kolonieleiter Dan Möller und der Motorschonerführer Olsen an Bord. Wir hörten schon hier, daß das Eis noch bis zu den Inseln Kekertat geht. Wir fuhren, alle Schlitten und Hunde an Bord nehmend, an die Stelle des Eisrandes, die dem Nordrand von Umanak am nächsten liegt. Der Kolonieleiter und der Arzt gingen hier mit Hundeschlitten wieder an Land, und wir luden auch gleich die Instrumente für die meteorologische Station in Umanak aus, die der Katechet für uns bedienen soll. Nur Olsen begleitete uns weiter bis Kekertat. Es war eine wundervolle Fahrt zwischen den jetzt noch verschneiten Bergkolossen. Nach dem Mittagessen machte der Kapitän mit dem Ersten Steuermann, Vigfus, Herdemerten und mir einen Ausflug mit dem kleinen Motorboot des »Gustav Holm« an der Eiskante entlang. Wir beschlossen, morgen früh an der Eiskante etwa in der Mitte zwischen Kekertat und Agpatat mit dem Ausladen zu beginnen und alles ausgeladene Gepäck sogleich mit Hundeschlitten die zehn Kilometer nach Uvkusigsat fahren zu lassen. Inzwischen waren die Grönländer zum Schiff geströmt. Johann Fleischer, unser vorjähriger Freund, der Leiter der Außenstelle Uvkusigsat, war auch dabei, und ich habe gleich alles mit ihm verabredet. Er soll uns bis morgen früh zehn Schlitten aus Kekertat beschaffen und gegen Abend zehn aus Agpatat und Uvkusigsat.

Sorge und Georgi, die von den Erkundungsfahrten des vorigen Jahres her die Gegend kennen, sind mit Olsen auf Hundeschlitten zur Kamarujuk-Bucht gefahren, um die Eisverhältnisse dort zu untersuchen.

Ja, der zweite Punkt unseres Programms, die Erreichung der Kamarujuk-Bucht mit »Gustav Holm«, ist nicht geglückt, das läßt sich nicht leugnen. Nun müssen wir durch Tüchtigkeit gutmachen, was das Glück versäumt hat. Wenn es glückt, noch mit den Pferden zur Kamarujuk-Bucht über das Eis zu kommen, so können wir aus der Not eine Tugend machen und auf dem Gletscher früher zu arbeiten beginnen, als wir gedacht haben. Wenn nicht, so müssen wir eben warten, wofür Uvkusigsat immerhin ein annehmbarer Platz ist.

5. Mai. Wir müssen noch ein Stockwerk tiefer mit unsern Ewartungen. Georgi erzählt, das Eis in der Kamarujuk-Bucht sei jetzt schon so schlecht, daß man einen Stock glatt hindurchstecken kann. Die Pferde könnten dort schon jetzt nicht mehr gehen.

6. Mai. An der Eiskante. Gestern war ein ereignisreicher Tag. Nach zwei vergeblichen Versuchen, das Eis zu sprengen, gelang es, durch Einrammen des »Gustav Holm« eine Art Hafen am Eisrand zu schaffen, und wir konnten ans Ausladen gehen. Nach und nach kamen auch Hundeschlitten, und nachdem bekanntgeworden war, daß wir 1 Öre je Kilogramm Gepäck bis Uvkusigsat zahlten, suchte jeder Grönländer möglichst viel auf seinen Schlitten zu laden. Die Isländer arbeiteten inzwischen daran, die Pferde klar zu machen (leider können wir noch nicht an die Hufeisen heran), und um 1/2 8 Uhr abends konnte auch die erste Pferdekolonne losgehen: elf Schlitten, zwölf Pferde, zehn Kutscher. Die Pferde und Gudmund blieben in Uvkusigsat. Dort wurden wir von Johann Fleischer zu mitternächtlicher Stunde mit grönländischem Bier bewirtet und fuhren dann auf drei leeren Hundeschlitten zum Schiff zurück. Unter dem Gepäck war auch unser Leichter, der Eisschienen hat und leicht von zwei Pferden gezogen werden konnte. Wir konnten bei der Arbeit Hunde und Pferde nicht getrennt halten, aber bisher hat keiner der doch recht wilden Hunde ein Pferd angefallen. Als wir um 1 Uhr nachts von Uvkusigsat zurückkamen, hatten die Propellerschlitten gerade ihren Vormarsch mit Hundevorspann angetreten. Sorge, Schif, Kelbl und Olsen gehen mit. Sie wollen versuchen, unmittelbar bis zur Kamarujuk-Bucht zu fahren. Im ganzen haben wir nach Aussage des Ersten Offiziers gestern 35.000 Kilogramm an Land gebracht, eine geradezu erstaunliche Leistung.

Es war übrigens prachtvoll, die Grönländer wiederzusehen, die uns im vorigen Jahre geholfen haben. Einige kamen geradeswegs auf mich zu, um mir die Hand zu geben, alle freuten sich offenbar. Und dann das Wiedersehen mit den Hunden! Lille Smule, das Gespann von Abraham, alles war da, wenn auch mit Neulingen vermischt.

7. Mai. Gestern wurden 40.000 Kilogramm an Land gebracht. Abends fuhren alle Expeditionsmitglieder mit der zweiten Hälfte der Pferde nach Uvkusigsat; als wir noch nicht weit vom Schiff entfernt waren, kam die Kamarujuk-Gruppe zurück. Es war ihnen geglückt, die beiden Propellerschlitten heil hinzubringen. Aber es war auch die allerhöchste Zeit. Olsen brach einmal glatt durch das Eis, auf dem Rückweg auch schon die Hunde. Wenn uns doch jetzt noch das Wetter zu Hilfe kommen, der Wind umspringen und das Eis brechen wollte!

8. Mai. Heute ist unser ganzes Gepäck in Uvkusigsat.

10. Mai. Uvkusigsat. Die erste Nacht auf grönländischem Boden ist vorbei. Unser Abschied vom »Gustav Holm« war sehr herzlich, und als wir abfuhren, gab es Böllerschüsse und Flaggengruß! Nun beginnt ein neuer Abschnitt der Expedition: Die leidige Wartezeit. Nun gilt es, nicht nervös zu werden.

Abends. Jetzt stehen unsere zwei Sommerhäuser in der Nähe von Uvkusigsat. Heute haben wir aus den Schusterkisten«3 alles Nötige ausgepackt und in Betrieb gesetzt. Ich sitze in unserm schönen großen Zelt mit Holzfußboden auf meiner Schiffskiste, den Rücken gegen das solide Kojengestell gelehnt, vor mir steht der Tisch, in dessen Schublade bereits Messer, Gabeln, Löffel und Tassen für uns sechs Zeltinsassen und drei Besucher liegen, daneben stehen zwei Klappstühle mit Rückenlehne, Vigfus kocht Pemmikan auf unserm funkelnagelneuen Primus, und daneben brennt einer unserer zahlreichen geschenkten Petroleumöfen. Auf dem Drahtgeflecht der Kojen liegen Strohsäcke, mit Heu gefüllt, und auf ihnen herrliche neue Daunenschlafsäcke. Draußen hängt ein Thermometer, das im Augenblick 1/2 Grad unter Null zeigt, aber hier im Zelt ist es warm. Das Zelt ist mit ganz famosen eisernen Sturmheringen festgesetzt, Schustersches Riesenformat, trifft aber in unserm Falle gerade das Richtige. Es herrscht allgemeine Begeisterung über alles, was Schuster geliefert hat, bis herab zu den handfesten Dosenöffnern! Auch das obere Zelt schwelgt in Einrichtungsfreuden und hat daneben ein lichtdichtes Seismozelt als Dunkelkammer aufgestellt. Herdemerten stellt triumphierend seine Harmonikamöbel auf, die Christoph und Unmack4 zum Winterhaus zugegeben haben, und alles schwelgt in Seligkeit. Eine so wohnliche und behagliche Sommerfrische hat noch niemand erlebt!

Die Grönländer meinen, wenn das Wetter kalt bleibt, würde das Eis in 14 Tagen, bei warmem Wetter in 8 Tagen gehen. Hoffen wir also, daß es warm wird! Heute weht immer noch kühler Wind von der See her, der die zerbrochenen Schollen nicht fortläßt und auch nicht am Eise zehrt. – Die Wartezeit wird uns lang werden!

14. Mai. Heute habe ich mit Lissey und einem Grönländer eine Tour mit Hundeschlitten nach Kekertat gemacht und dort zwei Proviantkisten für die »Krabbe« abgestellt. Sie kann jetzt kaum noch Proviant haben. Wo sie nur bleibt? – Unsere Radioleute, Weiken und Kelbl, übertreffen sich im Anlegen von Antennen. Heute wurde eine Antenne die Steilwand hinaufgebracht, 300 Meter lang! Aber sie hören leider noch nichts auf langen Wellen. Weiken richtet sich eine Pendelstation ein, und Georgi hat eine feinmechanische Werkstatt aufgemacht, wo er meteorologische Instrumente ausbessert, die auf dem Transport gelitten haben. Jetzt haben wir auch mit Hilfe von Grönländern alle Kisten vom Eisfuß aufs trockene Land hinaufgeschafft, damit die kommende Springflut ihnen nichts mehr anhaben kann. – Unsere Schachspiele sind eifrig im Gebrauch, Sorge im oberen und Gudmund im unteren Zelt sind die Hauptmatadore.

18. Mai. Es schneit wieder den ganzen Tag. Die geplante Besteigung des Spitzberges von Uvkusigsat mußte verschoben werden.

Heute morgen war ich Koch und habe die Hafergrütze gemacht. Es geht wieder die Reihe herum. Das Eis liegt noch immer fest. Wer doch Sturm hexen könnte! Aber es herrscht seit neun Tagen fast völlige Windstille!

Abends. Die »Krabbe« ist da! Als ich heute mittag im oberen Zelt war, um einige Arbeitspläne zu besprechen, hörten wir Georgi rufen: »Die ›Krabbe‹ ist in Kekertat!« Ich lief sofort hinunter, und da kam auch schon Kraus, mit großem Hallo begrüßt; er brachte gute Nachrichten. Quervainshavn war ganz eisfrei. Bei der Landung wusch ihnen zwar eine Kalbungswelle ihr Gepäck vom Ufer ins Wasser, aber sie konnten fast alles wieder auffischen. Loewe hofft, am 25. in Scheideck einzutreffen.

19. Mai. 10. Wartetag. Ich fuhr mit Lissey mit Hundeschlitten nach Kekertat, was leider noch immer möglich ist. Das Wetter ist schlecht, dichter Schneefall, alle Berge im Nebel. Das Eis ist nicht entscheidend weiter zurückgegangen. Draußen auf dem Meere stürmt es. Diese lange Periode schlechten Wetters könnte nun endlich einmal ein Ende nehmen. Auch für unser Gepäck ist es schlecht. Das Schmelzwasser vom Schnee läuft in alle Kisten und verdirbt vieles. Vom Heu ist der größte Teil mit Persenningen zugedeckt, aber doch nur der größte Teil, und alles andere wird sehr naß. Tobias und Friedrichs begrüßten uns herzlich. Leider war ihnen gerade eine Reinigungsnadel in der Düse des Primuskochers steckengeblieben, so daß wir das gemeinsame Mittagessen mit der Lötlampe kochen mußten.

Es war hübsch, die »Krabbe« wiederzusehen, das brave Boot, das so viele Erinnerungen birgt, und abends in die Koje zu kriechen und dort warm und weich zu liegen, leise gewiegt, und wieder das klik-klak-kluk der Wellen an der Bootswand zu hören! Eben habe ich ein paar Photos von der »Krabbe« und dem Beiboot gemacht, die ganz mit Eiszapfen behangen sind, jetzt, am Ende des Wonnemonds!

21. Mai. 12. Wartetag. Gegen Mittag klarte das Wetter auf. Der Sturm hat das Eis so weit gebrochen, daß jetzt freies Fahrwasser ganz um die Kekertat-Inseln herum herrscht. Wir wollen versuchen, nach Umanak zu kommen.

Abends in Umanak! Wer hätte das gedacht? Der Hafen ist ganz eisfrei und auch ringsherum keine Spur von Eis zu sehen. Wir sind das erste einlaufende Schiff in diesem Jahr, denn der Motorschoner »Hvidfisken« lag ja den ganzen Winter hier.

23. Mai. Umanak. Gestern waren wir beim Kolonieleiter und beim Arzt zu Gast, haben einen Besuch an Bord des »Hvidfisken« gemacht, der unser Gepäck von Uvkusigsat nach Kamarujuk bringen soll, sobald das Fahrwasser frei ist, und dann Einkäufe in der »Stadt« Umanak. Am Abend brachten Friedrichs und Tobias die »Krabbe« aus dem Hafen heraus und in den Nothafen an der Westseite der Insel, denn der Ostwind trieb jetzt große Treibeismassen gegen den Hafen, der sich kurz nach unserer Abfahrt stark mit Eis füllte.

Nachts 24./25. Mai. Uvkusigsat. Nach stürmischer Fahrt ankerten wir heute an der Eiskante, und hier gingen Lissey und ich mit drei Grönländern, die wir gestern mitsamt ihren Hunden und Schlitten an Bord genommen hatten, da sie durch eine breite Rinne vom Lande abgeschnitten waren, aufs Eis und fuhren dann im rasenden Galopp gegen den Föhnsturm durch das auf dem Eis stehende Wasser, über und über bespritzt von den patschenden Hundebeinen, in einer halben Stunde nach Uvkusigsat. Hier ist inzwischen eine Längenbestimmung gemacht worden, auch das Radio geht jetzt gut. Weiken erhält seine Zeitsignale und fängt schon an zu pendeln. Wir müssen uns nach Loewe umsehen. Dazu wollen wir mit Schlitten, Ski und zu Fuß eine Erkundung nach Kamarujuk machen.

1 Uhr nachts 29./30. Mai. Kamarujuk