Gesammelte Expeditionsberichte der Grönlandreisen - Alfred Wegener - E-Book

Gesammelte Expeditionsberichte der Grönlandreisen E-Book

Alfred Wegener

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Beschreibung

Alfred Wegeners Expeditionsberichte seiner vier Grönlandreisen. Die erste fand 1906 statt, die letzte, auf der er starb, im Jahr 1930.

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Inhaltsverzeichnis

Tagebuch der Danmark-Expedition 1906-1908

Vorwort

Tagebuch eines Abenteuers. Mit Pferdeschlitten quer durch Grönland

Vorwort

Kapitel I: Von der Stormbucht bis zum Rande des Inlandeises

Kapitel II: Das Haus auf dem Eis

Kapitel III: Quer durch Grönland

Mit Motorboot und Schlitten in Grönland

Vorwort

1. Kapitel: Die ersten Motorbootsfahrten

2. Kapitel: Mit Handschlitten auf dem Inlandeis

3. Kapitel: Erkundungsfahrten

4. Kapitel: Die Besteigung des Umanak Von Ernst Sorge

»An Wegener und Loewe

5. Kapitel: Wissenschaftliche Arbeiten auf dem Inlandeise

6. Kapitel: Hundeschlittenfahrten

Unsere Schlittenreise nach Norden Von F. Loewe

7. Kapitel. Der Ausklang

Im Faltboot zum Jakobshavner Eisstrom Von J. Georgi

Das letzte Abenteuer

Alfred Wegeners letzte Grönlandfahrt Die Erlebnisse der Deutschen Grönland-Expedition 1930/31 geschildert von seinen Reisegefährten und nach Tagebüchern des Forschers

Vorwort

Einleitung: Plan und Ziele der Deutschen Grönland-Expedition Alfred Wegener

Ausreise und Wartezeit in Uvkusigsat: Nach Alfred Wegeners Tagebuch

Transporte: Von Georg Lissey und nach Alfred Wegeners Tagebuch

Propellerschlitten: Von Curt Schif

Die erste Schlittenreise ins Innere und die Errichtung der Station »Eismitte«: Von Johannes Georgi

Die vierte Schlittenreise bis 151 Kilometer Randabstand Von Fritz Loewe

Wintereinbruch: Von Karl Weiken

Bau des Winterhauses und die letzten Transporte Von Kurt Herdemerten

Meteorologische Arbeiten an der Weststation Von Rupert Holzapfel

Entsatzreise: Von Karl Weiken

Winternacht an der Weststation: Von Hugo Jülg

Winternacht und Frühjahr in Kamarujuk: Von Georg Lissey

Die Frühjahrsschlittenreise nach »Eismitte« Von Karl Weiken und Manfred Kraus

Ende der letzten Herbstschlittenreise: Von Fritz Loewe

Überwinterung in »Eismitte«: Von Ernst Sorge

Die Auffindung Alfred Wegeners: Nach Berichten von Ernst Sorge und Karl Weiken

Die Suche nach Rasmus: Von Ernst Sorge

Worterklärungen und Erläuterungen

Eisdickenmessung: Nach Kurt Wölcken

Inhalt

Tagebuch der Danmark-Expedition 1906-1908

Tagebuch eines Abenteuers. Mit Pferdeschlitten quer durch Grönland

Mit Motorboot und Schlitten in Grönland

Alfred Wegeners letzte Grönlandfahrt Die Erlebnisse der Deutschen Grönland-Expedition 1930/31 geschildert von seinen Reisegefährten und nach Tagebüchern des Forschers

Tagebuch der Danmark-Expedition 1906-1908

Vorwort

Im Jahre 1906 erfuhr der damals 26jährige Alfred Wegener, daß eine dänische Expedition für zwei Jahre nach Nordostgrönland gehen wollte. Kurz entschlossen fuhr er nach Kopenhagen, bot dem Leiter der Unternehmung, dem Schriftsteller Mylius-Erichsen, an, als Meteorologe mitzugehen und wurde angenommen. Das Hauptziel der Reise war die Kartographierung der Küste von Kap Bismarck (77 Grad nördlicher Breite), bis wohin die deutsche Germania-Expedition im Jahre 1870 von Süden her vorgedrungen war, bis Kap Bridgman (83 Grad nördlicher Breite), das der Amerikaner Peary 1900 von Norden her erreicht hatte. Das Expeditionsschiff, die »Danmark«, sollte versuchen, durch das Eis der Grönlandsee bis Kap Bismarck vorzudringen und dort eine Station zu errichten, an der meteorologische und hydrologische Beobachtungen sowie botanische, zoologische, geologische, glaziologische und ethnographische Untersuchungen gemacht werden sollten. Von dort aus waren Schlittenreisen nach Norden und, wenn möglich, auch ins Innere Grönlands geplant. Neben den beiden Kartographen, den Premierleutnants Koch und Hagen, nahmen außer Wegener noch fünf Wissenschaftler und zwei Kunstmaler teil, die alle während der Überfahrt neben den Seeleuten als Leichtmatrosen arbeiteten.

Als Alfred Wegener hochbefriedigt von seinen Abmachungen aus Kopenhagen zurückkehrte und seinen Eltern seine Absicht mitteilte, an einer Grönlandexpedition teilzunehmen, machte sein Vater kein Hehl aus seinem Entsetzen über diesen Entschluß. Der alte Philologe hatte schon mit Unwillen von den wagemutigen Ballonfahrten seiner Söhne gehört. War Kurt doch sogar einmal über die Nordsee nach England geflogen! Seiner Meinung nach war es Zeit, daß die beiden sich nach einer pensionsberechtigten Stelle umsahen und einen Hausstand gründeten, statt auf Forschungs reisen zu gehen. Als er aber einsah, daß er Alfred nicht von seinem Entschluß abbringen konnte, half er ihm, so gut er konnte, die finanziellen Schwierigkeiten bei der Beschaffung der wissenschaftlichen und persönlichen Ausrüstung durch Vorschüsse zu überwinden. Das Nicht verstehen blieb.

Wegener wollte in Grönland die Atmosphäre mit Drachen und Ballons erforschen, wie er es in Lindenberg gelernt hatte, und wandte sich um Überlassung der nötigen Geräte und Instrumente an die zuständigen Institute. Er hatte während seiner Assistentenzeit am Aeronautischen Observatorium eine Anzahl Aufsätze über Erscheinungen in den oberen Luftschichten veröffentlicht und war daher in meteorologischen Fachkreisen kein Unbekannter mehr. So schrieb er auch an den Leiter der Drachenstation in Großborstel bei Hamburg, Professor Dr. Koppen:

Lindenberg, den 28. März 1906

Hochverehrter Herr Professor!

Ich werde an der Polarexpedition von Mylius-Erichsen (nach Ostgrönland) als Meteorologe und Physiker teilnehmen und beabsichtige, dort auch Drachen- und Ballonaufstiege auszuführen. Bei der Kürze der Zeit (die Expedition bricht Ende Juni von Kopenhagen auf) und der Knappheit der Mittel ist es mir aber nur dann möglich, dies Programm durchzuführen, wenn ich von seiten der hier in Frage kommenden Institute eine weitgehende Unterstützung finde. Ich erlaube mir daher die Anfrage, ob Sie geneigt wären, mir einige Drachen Ihres Systems gegen eine billige Bezahlung zu überlassen oder neu zu bauen. In betreff des Baues einer Drachenwinde … sowie über das ganze Arbeitsprogramm hoffe ich mir Ihren Rat noch persönlich einholen zu können.

Indem ich Sie bitte, diese Belästigung meinem lebhaften Wunsche, das aerologische Programm der Expedition zu einem befriedigenden Ende zu führen, zugute halten wollen, bin ich in vorzüglicher Hochachtung

Ihr sehr ergebener

Dr. A. Wegener

Dieser Brief rief die ganze stets wache Hilfsbereitschaft des alten Gelehrten für den jungen Wissenschaftler auf, der hier der Meteorologie ganz neue Gebiete erschließen wollte. Er leitete eine jahrzehntelange Zusammenarbeit und Freundschaft zwischen dem 60 jährigen und dem um 35 Jahre Jüngeren ein, den es hinaustrieb ins Neue, Unbekannte.

Die Bekanntschaft mit der Natur Grönlands, ihrer Schönheit, ihrer Härte, ihren wissenschaftlichen Problemen hat einen bleibenden Einfluß auf Alfred Wegener gehabt. Seine Tagebücher zeigen, wie tief er die Romantik der Schlittenreisen in der Winternacht und die großartigen Landschaftsbilder im hohen Norden genossen hat, dabei immer darauf bedacht, Erfahrungen zu sammeln und die Technik des Reisens in Polargebieten zu erlernen, um sie auf späteren Expeditionen zu verwerten. Sie geben ein lebhaftes Bild seines Lebens in Grönland.

Nach der Rückkehr aus Grönland bearbeitete Alfred Wegener mit einigen Mitarbeitern in den nächsten drei Jahren die Ergebnisse seiner Beobachtungen, die in den Meddelelser om Grönland erschienen: Danmark-Ekspeditionen til Grönlands Nordöstkyst 1906-1908, Bd. 2.

Else Wegener

Alfred Wegener im Jahr 1906

AUS ALFRED WEGENERS TAGEBUCH AUF DER DANMARK-EXPEDITION 1906-1908

24. Juni 1906. Die Abfahrt aus Kopenhagen fand unter nicht endenwollendem Jubel der Zuschauer statt. Ob man auch so jubeln wird, wenn wir zurückkommen? Meine Eltern standen in dem dichten Menschenknäuel auf der Langelinje. Gesehen habe ich sie nicht mehr. Ich teile die Kajüte mit Premierleutnant Koch, dem Kartographen, der gut Deutsch spricht. Meine Unkenntnis der dänischen Sprache ist doch sehr lästig. Ich verstehe einstweilen von der Unterhaltung kein Wort und sitze dabei wie ein Tauber. Auch das ganze Leben an Bord wird dadurch erschwert … – Alles ist nun in Wachen eingeteilt, sowohl Seeleute wie Wissenschaftler. Ich gehöre mit Koch zur zweiten Wache. Wir haben immer vier Stunden Wache, vier Stunden Freizeit. Während der Wache müssen wir körperlich stramm arbeiten, so daß man am besten tut, die Freiwache zum Schlafen zu verwenden.

8. Juli. Ich bin sehr erfreut darüber, daß ich gar nicht seekrank werde. In der ersten Zeit fühlte ich mich dauernd etwas unbehaglich, habe aber niemals eine Wache oder eine Mahlzeit zu versäumen brauchen. Und dabei arbeitet das Schiff so, daß wirklich alles, was nicht niet- und nagelfest ist, durcheinanderpurzelt. Die Mahlzeiten werden meist freihändig, nicht am Tisch eingenommen. Jetzt verursachen mir auch die heftigsten Bewegungen des Schiffes nicht die Spur mehr von Unbehagen.

11. Juli. Ich muß jetzt beginnen, meine Mitarbeiter mit den meteorologischen Instrumenten bekanntzumachen. Gestern habe ich Peter Freuchen (Medizinstudent) das Anemometer gezeigt und mit ihm eine Ablesung gemacht. In Island will ich die Thermometerhütte aufstellen und von da ab regelmäßig beobachten lassen. Ich will auch noch ein schriftliches Programm aufsetzen. – Mittags kommen die Färöer in Sicht … Drei Grönländer kommen an Bord, desgleichen die Hunde und mehrere Kajaks.

18. Juli. Früh um 7 Uhr werfen wir Anker in Eskefjord. Die Drachenwinde ist da. Wir bekommen Post, können Wäsche waschen lassen. Ich öffne sofort eine Büchse mit Dreifarbenplatten, aber die Dunkelkammer ist bis zur Decke mit Pelzzeug vollgestopft. Wo soll ich nun Platten einlegen? Die Berge am Fjord sind sehr schön, Terrassen von Basalt, mit grüner Rasendecke überzogen. Im Hafen ankern noch zwei Schiffe, es ist ein farbiges Bild. Vormittags geht Koch mit mir Sachen kaufen, Ölzeug, Sweater, Seife usw., nachmittags reiten wir mit Bertelsen und einem Führer den Fjord entlang.

25. Juli. Abends passierten wir den Polarkreis, ganz ohne Feierlichkeiten. Die Luft wird jetzt merklich kühler.

29. Juli. Gestern habe ich einen Rentierpelz empfangen. Koch kühlte meine Freude aber sehr ab, indem er sagte, ich hätte vermutlich einige hundert Läuse mit empfangen. Nach seiner Ansicht haben alle Grönländer Läuse und alles Pelzwerk, was von da kommt. Wir haben dann das Corpus delicti gleich unter ärztlicher Hilfe mit Insektenpulver eingepudert. – Mit dem Dänisch geht es jetzt besser. Ich kann wenigstens so viel verstehen und sprechen, daß die Leute meinen guten Willen sehen, und das ist die Hauptsache.

31. Juli. Gestern haben wir das erste Treibeis gesehen! Es sind farbenprächtige Bilder, diese wunderlichen Schmelzfiguren! Ich war überrascht über die Schönheit. Leider konnte man nicht photographieren, es war zu dunkel, aber Bertelsen hat sofort gemalt.

1. August. Es ist merkwürdig, wie wenig Eis wir treffen. Mittags haben wir etwa die Hälfte des Eisstroms durchquert und können auch jetzt ruhig weiterdampfen, wenn auch das Steuern etwas beschwerlich ist und wir hin und wieder an einen Eiskoloß anrennen. So günstig hat es wohl noch keine Expedition getroffen. Abends und nachts liegt nur ein ganz dünner Nebel über dem Wasser, und die Mitternachtssonne beleuchtet alles mit einem fahlgelben Licht – ein wundervolles Stimmungsbild.

4. August. Heute abend war ich eine Stunde in der Tonne. Der Blick bei schönem Wetter über das Eis ist wirklich über alle Maßen schön. Nichts als Farbenglimmer! Das blaue Wasser, das saubere, weiße Eis, die gelbrote Sonne, die hellgrünen Eisfüße unter dem Wasser – zauberhaft. Auf dem Eise kommen alle Farbtöne vor. Wir sahen eine Scholle, die durch die Sonne intensiv violett gefärbt war. – Wir photographieren jetzt wütend, es ist aber auch zu herrlich.

6. August. Großer meteorologischer Termin. Heute habe ich die Barometerwerte und das Thermometer verglichen und manches Unerfreuliche gefunden. Es muß folgendes gemacht werden: Die Trockenfische, die auf der Thermometerhütte liegen, müssen fort, damit sie besser ventiliert ist. Der Thermograph muß aufgehängt werden, damit er nicht alle Erschütterungen bekommt. Auch muß eine Korrektionskurve für ihn ermittelt werden.

7. August. Heute nachmittag waren wir in einer kritischen Situation. Wir waren ganz von schweren, großen Schollen besetzt worden. Es sah aus, als sollten wir den Winter hier bleiben. Doch gelang es Steuermann Thostrup, in der Hundewache zu entwischen, und nun warten wir in einer größeren Wake ab, ob sich nicht irgendwo eine Fahrstraße öffnet. – Das Hygrometer wird auf jeder Wache mit großer Genugtuung von den Seeleuten abgelesen. Im Schiffsjournal findet sich nämlich eine Rubrik für Feuchtigkeit, und sie sind stolz wie die Spanier, daß wir nun diese Rubrik ausfüllen können. Auch der Barograph wird eifrig benutzt. Ihm verdanke ich zum Teil meine Stellung unter den Seeleuten. Er wird täglich zirka fünfmal konsultiert, und meine Kabine, wo er hängt, ist so eine Art Allerheiligstes.

8. August. Heute ist Land in Sicht! Diese Eisschiffahrt ist doch etwas Merkwürdiges. Wir bewegen uns seit längerer Zeit auf einem Gebiet, auf dem man sich eigentlich nicht mit einem Schiff bewegen kann. Die Pointe ist immer die, daß man beim Warten in einem hinreichend großen offenen Wasser liegt, damit man möglichst viele Möglichkeiten des Entwischens hat. Jetzt haben wir Nebel und dampfen ganz lustig drauflos – auch ein Kunststückchen. Man sieht, man muß nicht schematisieren. Freilich dauert die Freude nur bis Mittag, da müssen wir wieder vertäuen. Nachmittags wird ein Rettungsmanöver ausgeführt … Alles stürzt mit seinen Siebensachen zu den Booten, welche in aller Hast (wie falsch!) zu Wasser gelassen und bepackt werden, und rudern dann zu einer Eisscholle und ziehen das Boot hinauf. Aber das ganze Manöver war verfehlt. Eines der andern Boote hatte zum Beispiel drei Kisten Mixed Pickles als Proviant an Bord. Nicht einmal ein Mann als Hundewache war an Bord gelassen worden. Die Hunde sind natürlich in die Wohnräume, Küche, Speisekammer, Salon, ja, in die Maschine eingebrochen und haben namentlich in der Küche ein unglaubliches Unheil angerichtet. Hinterher mußte ein großes Reinemachen angehen.

12. August. Mittags werden zwei Bären gesichtet, und Koch und ich gehen diesmal mit hinaus, aber nur mit Photoapparat bewaffnet. Wir schlugen die Bären glänzend in die Flucht, schon aus 1000 Meter Entfernung. So kamen wir zwar nicht zum Photographieren, aber ich hatte die Stiefel voll Schnee. Wir hatten bis jetzt drei vergebliche und zwei erfolgreiche Bärenjagden.

13. August. Wir sind schon ziemlich nahe an Kap Bismarck. Das Eis ist hier außerordentlich dick. Nachmittags fahren wir an die nördliche Koldewey-Insel heran und landen auf einige Stunden. Ich gehe auch mit und mache Aufnahmen. Wir finden eine große Menge von Versteinerungen, Ammoniten in Sandstein, zahllose Muscheln in Kalk, versteinertes Holz.

14. August. Leider schlafe ich, als wir bei Kap Bismarck vorbeikommen. So habe ich also den denkwürdigen Punkt, wo die deutsche Expedition1 ihre Chancen aufgab, diesmal nicht gesehen. Es ist doch ein eigenartiger Gedanke, daß wir hier so mühelos (jetzt in ganz offenem Küstenwasser) vorbeidampfen, wo die Deutschen unter den denkbar größten Anstrengungen über das Eis mit Schlitten gezogen sind. Allerdings habe ich hier auch gesehen, was es heißt, energisch im Eis vorzudringen. Die Erfahrung unseres Eislotsen Ring, der vierzehnmal hier im Eis gewesen ist, scheint auch in der Tat vortrefflich zu sein. Heute hat Koch mit mir gesprochen wegen der Triangulierung. Ich soll die »Rekognoszierung und Festlegung der Hauptfigur« übernehmen, während er mit dem Motorboot weiter nach Norden fährt. Vielleicht kann ich dies machen, während man die Häuser aufstellt. Ich will ja auch gern ein wenig herauskommen und nicht immer hinter meinen Instrumenten sitzen. Da ist es wohl gut, das Angenehme mit dem Nützlichen zu verbinden. Eine Rekognoszierungstour in die Umgegend ist auch für meine eigenen Arbeiten von großem Wert. Ich muß ja über das Terrain Bescheid wissen, um über lokale Störungen, meteorologischen Föhn, Niederschläge, Windverhältnisse, meteorologische Höhenstation usw. ein Urteil zu bekommen. Auch über die Möglichkeit, luftelektrische Beobachtungen auf einer Bergspitze anstellen zu können, sowie über etwaige Gletschervermessungen wird man dabei eine gute Übersicht bekommen.

16. August. Bei Kap Philipp sperrte das Eis uns den Weg, festes ungebrochenes Landeis! Wir lagen eine Zeitlang am Eise vertäut und rüsteten eine Expedition unter Koch aus. Zweck: Anlegen von Depots weiter nördlich. Wie ich sie beneidete, zumal gerade diejenigen Personen dabei waren, welche ich bis jetzt am meisten schätzen gelernt habe. Am Abend dampften wir nach Süden, und ich steuerte unseren lieben alten Dickhäuter von Schiff (das von außen jetzt schon so aussieht, daß man sich geniert, es zu photographieren) rund um die dem Kap Bismarck vorgelagerten Schären in die Meerenge zwischen dem Kap und den Koldewey-Inseln. Es dauerte nicht lange, so hatten wir unseren Hafen gefunden. Noch ziemlich an der Außenküste, am Südabhang des Landes, umgeben von nicht allzu hohen Bergen, mit einem breiten Vorland zwischen Wasser und Berg ist die Lage für die wissenschaftlichen Aufgaben, wie mir scheint, gut. Das Gestein ist Urgestein, und zwar vollständig moutonniert, bisweilen in grotesker Weise. Gegen die magnetischen und luftelektrischen Beobachtungen wird man hier nichts einwenden können. Die Drachenaufstiege werden sich bei der Breite des Flachlandes und dem sanften Gehänge der Berge auch ausführen lassen. Von Gletschervermessungen kann natürlich nicht die Rede sein, wir haben ja keine Gletscher. Dagegen scheinen im Innern des großen Fjords, an dessen Mündung wir offenbar liegen (Dovebucht), Gletscher zu sein, da ich auf dieser Seite einige kleine Eisberge gesehen habe. Dort muß ich einmal hin, es scheint da hohe Berge zu geben … Jetzt sollen die Wissenschaftler aufhören, Matrosen zu sein und mit ihrer wissenschaftlichen Arbeit beginnen …

23. August. Heute ist alles Drachengepäck an Land geschafft worden, nun will ich sehen, daß ich morgen die Winde in Ordnung bringen kann.

25. August. Gestern packte ich die zwei Ballonkisten aus. Die Ballons kleben furchtbar, sind aber glücklicherweise noch nicht verdorben. Den einen habe ich gleich aufgeblasen, wobei er aber natürlich eine Menge Unrat auf sich geladen hat. Man kann sich eine noch so schöne Unterlage machen, dann laufen ein paar Hunde darüber, und alles liegt wieder voller Sand und Steinchen! Es war eine schreckliche Arbeit, den Ballon auseinander zu bekommen, und ich hatte gestern gar keine Hilfe! Wenn wir morgen mit dem Aufrollen des Drahts auf die Winde fertig werden, so will ich, wenn wir günstigen Wind haben, zur Sonntagsbelustigung unseren ersten Probeaufstieg versuchen. So hoffe ich, noch den September voll und ganz für die Drachen zu gewinnen. Vom Ersten an muß ich auch mit der meteorologischen Landstation beginnen. Außer Sonntag haben wir noch fünf Tage. Sollte es gelingen, in dieser Zeit alles aufzustellen? Dabei ist gar keine Aussicht, daß ich am Ersten ins Haus einziehen kann, denn man hat noch immer nicht mit dem Bau begonnen. Es ist niemand hier, der außer mir Interesse daran hat, und die Arbeit geht in einem fürchterlichen Bummelschritt.

1. September. Erster Drachenaufstieg mit Apparat, Vier-Quadratmeter-Drachen. Trug nur etwa 800 Meter Draht. Windabnahme. Zweiter Drachen, schon aufgebaut, mußte fortgelassen und schleunigst eingeholt werden. 20 Minuten nach der Landung kam der Wind aus der entgegengesetzten Richtung! Offenbar war der Kern einer nur durch Wolken, Wind und das Barometer, aber nicht durch Niederschlag kenntlichen Depression über uns weggezogen. Nachmittags Abfahrt mit Motorboot mit Koch, Hagen und Hagerup. Wir wollen Warten bauen auf Kap Bismarck, im Osten der großen Koldewey-Insel und auf dem höchsten Punkt der südlichen Koldewey-Insel. Die ersten beiden Punkte erledigten wir gleich am Abend und zelteten dann auf der südlichen Insel. Der Aufstieg auf den 1000 Meter hohen Gipfel war beschwerlich und uninteressant, nur der Blick von oben in die steilen Wände der andern Seite war herrlich. Am nächsten Tag herrlicher Gebirgsweg auf den Gipfel der nördlichen Koldewey-Insel, ich muß hier noch einmal allein hin zum Photographieren. Diese Parforcetouren mit Koch sind sehr interessant, namentlich kann man lernen, die Zeit raffiniert auszunutzen, aber eine zweite Aufgabe läßt sich schlecht mit seinen Zwecken vereinigen.

4. September. Heute habe ich den Mast für das Anemometer aufgestellt und vertäut. Es muß noch gerichtet werden. Auch das Gestell für den Thermometerschrank habe ich eingegraben. Das Haus wächst jetzt.

5. September. Heute zwei Pfähle eingegraben und den Regenmesser schon aufgestellt. Gestern ist der erste Schnee gefallen, und wer weiß, ob das Instrument nicht bald gebraucht wird.

7. September. War im Land und habe mit Koch Himmelsrichtungen festgelegt. Ich brauchte diese Richtungen, um das Kreuz des Anemometers zu orientieren. – Die Nächte sind jetzt schon sehr dunkel, man sieht die Sterne und kann die Instrumente im Freien um 12 Uhr nur noch mit besonderen Kniffen ablesen. – Ich beneide Koch um seine Wirksamkeit. Einmal ist die Aufgabe eine äußerliche, so daß man sieht, was man baut, und dann wird die Kartographie (ja mit Recht) als die Hauptaufgabe der Expedition angesehen, und er arbeitet infolgedessen mit allen Mitteln der Expedition, ihm stellen sich die besten Kräfte freiwillig zur Verfügung. Er ist aber auch wunderbar für diesen Zweck veranlagt. Selbst eine Bärennatur mit eisernem Körper, und dann diese unvergleichliche Energie, die ich wirklich bewundere. Die ganze Arbeit ist stets durchdacht. Wo es seine Arbeit durchzuführen gilt, kann er rücksichtslos sein, aber auch das bewundere ich. Ich glaube, ich kann viel von ihm lernen, in jedem Fall aber ist mir das Zusammenleben mit ihm einfach nützlich, da seine gewaltige Energie auch mich mit anspornt und immer aufs neue zur Arbeit bringt. Man ist in beständiger Versuchung, mit seiner Energie zusammenzuklappen und unzufrieden und tatenlos herumzusitzen … Ich lerne viel hier. Namentlich imponiert mir die außerordentliche Beweglichkeit der Expedition, die im schärfsten Gegensatz zur deutschen Südpolarexpedition steht, wo alles beim Schiff blieb. Mylius-Erichsen treibt sich nun schon etwa einen Monat westlich von uns in dem Fjord herum, Koch ist andauernd mit dem Motorboot unterwegs, wenn dies nicht zu andern Zwecken gebraucht wird, dazu spazieren dauernd Leute über Land zu Mylius-Erichsen, kurz, die Expedition hat einen Aktionsradius, der wirklich imponierend ist. Dabei kommen die Hauptbeförderungsmittel, Ski und Schlitten, noch nicht zur Anwendung. Natürlich darf man nicht verkennen, daß unsere Gegend wegen des dauernd guten Wetters, der im Sommer stets eisfreien Fjorde, alle diese kleinen Unternehmungen außerordentlich erleichtert. In Südpolargegenden dürfte das schwerer sein. Ich hoffe jedenfalls, hier so viel Selbständigkeit zu lernen, daß ich bei einer deutschen Expedition eine solche Rolle wie Koch spielen kann.

11. September. Drachenaufstieg zusammen mit Koch, nachmittags habe ich ihm dafür an seinem Observatorium geholfen.

13. September. Ist heute nicht Papas Geburtstag? Ich weiß es wirklich nicht mehr ganz bestimmt. Da sitzen sie wohl zu Hause, haben Besuch, vielleicht auch von Kurt, und unterhalten sich gewiß auch über mich. –

14. September. Vormittags Befestigung und Aufhängung des großen Hg-Barometers. Zuerst war eine Luftblase in das Rohr gekommen, doch scheint es geglückt zu sein, sie zu entfernen. Über Mittag ließ ich mir vom Doktor etwas Äther geben für die luftelektrischen Instrumente. Dann haben wir zu vieren die Teile des – übrigens sehr unpraktischen – magnetischen Hauses an ihren Bestimmungsort geschleppt, ferner eines der kleinen Provianthäuser neben dem Wohnhaus aufgebaut und endlich begonnen, den Haufen Proviantkisten in einen Drachenstall zu verwandeln. – Es ist merkwürdig, über welche gleichgültigen Dinge man hier Tagebuch führt. Aber es ist bezeichnend. Wenn ich berichte, was ich alles an dem betreffenden Tage getan habe, so ist das eine Art Rechtfertigung, es ist ein Triumph, daß es mir gelungen ist, mich zweckmäßig zu beschäftigen. – Für mich ist diese Expedition sicherlich äußerst wertvoll. Ich habe zwar schon früher über eine gewisse Art von Energie einigermaßen verfügt, ich möchte es hier des Gegensatzes halber moralische Energie nennen, hier lerne ich praktische Energie, Energie der Tätigkeit. Alle diese Dinge, die einem so unbedeutend erscheinen, also zum Beispiel das tägliche Waschen, das Beseitigen irgendeines störenden Elements, egal, was es sei – alle diese Kleinigkeiten, die das tägliche Leben zusammensetzen, sie sind es, bei denen man praktische Energie lernen kann.

21. September. Todmüde. Den ganzen Tag energische Erdarbeit am Haus. Seit vier Tagen wohnen Lundager (Botaniker), Bertelsen (Maler) und ich darin, heute kam Koch als vierter dazu. Es war für ihn der letzte Termin mit dem Motorboot, sie konnten gerade noch durch das Jungeis durchkommen. Seit gestern gehen wir zu Fuß über das Eis zum Schiff.

22. September. Nach vieler Arbeit endlich zu dem gewünschten Resultat gekommen. Wir haben den ersten Ballonaufstieg gemacht! Es war kein Vergnügen, zu dreien, zeitweise zu vieren, den verklebten Ballon auseinanderzupellen. Wir haben stundenlang daran gearbeitet, und das Ende vom Liede war, daß einer ein Loch hineinriß. Das mußte nun geflickt werden. Gummi saß nicht auf dem spiegelglatt gefrorenen Firnis, und so mußte ich nähen, im Freien bei sieben Grad Kälte immerhin ein eigenes Vergnügen. Aber schließlich war ich auch damit fertig, nur war es inzwischen Mittag geworden. Nachmittags mußte ich warten, bis man den Bären geschossen hatte, der auf dem Neueis zum Schiff kam und – unglaublich dumm – einer aufgebauten Reihe von Schützen bis auf 100 Meter gerade in die Arme lief. Dann konnte ich das Instrument klaren – es ist schrecklich, wieviel man überlegen muß, wenn man alle diese Befestigungen zum ersten Male machen soll – , und schließlich bekam ich auch Hilfe von Lundager und Hagen, und so konnten wir Füllschlauch und Ballon holen und an die Arbeit gehen. Alle folgenden Manöver, von denen manche durch die Tatsache verursacht wurden, daß es der erste Ballonaufstieg war, glückten, und der Aufstieg gelang. Sogar der Apparat hatte geschrieben. Wir haben dann den Ballon in das neue Drachenhaus gebracht. Dort liegt er wohl gut geschützt vor Wind, allein das Haus ist zu klein, und ich fürchte, der Ballon ist in unangenehme Berührung mit ein paar Nägeln gekommen, was sich morgen zeigen wird. Auf alle Fälle ist dieses Hineinquetschen in ein zu enges Loch eine Behandlung, die er nicht lange vertragen wird. Ich muß etwas anderes ersinnen. Im Augenblick weiß ich aber nichts.

23. September. Heute glückte der zweite Ballonaufstieg. Nebel, Inversion2 bis 14 Grad! … Koch hat heute mit Mylius-Erichsen gesprochen und verlangt, daß ich an den großen Frühjahrsschlittenreisen teilnehmen soll. Also soll ich anscheinend mit nach der Nordspitze Grönlands! Ich bin sehr befriedigt von diesem Gedanken, zweifle allerdings, ob meine Observationen inzwischen besorgt werden.

5. Oktober. Ich soll bei dieser Expedition nur Drachen- und Ballonaufstiege zu machen haben und dazu einen Gehilfen haben wie in Lindenberg, der das Material in Ordnung hält. Dann könnte man etwas leisten! Immerhin hoffe ich, so viel zu machen, daß man den Wert dieser Experimente bei einer Polarexpedition sieht. So weit ich bis jetzt sehe, bleibt es eine Untersuchung der Luftschichten bis 1000 Meter Höhe. Wir sind auf Handbetrieb angewiesen und können demnach keine großen Höhen erreichen. Immerhin ist ja auch diese Untersuchung bis 1000 Meter Höhe von Interesse. Man muß doch noch etwas für spätere Expeditionen übriglassen! Wenn ich diese Untersuchungen durchführen kann und dabei zu Resultaten komme, und wenn ich außerdem noch Erfahrungen in Schlittenreisen und Kartographie sammle, so sind diese zwei Jahre reichlich bezahlt. Die Methode ist noch sehr verbesserungsfähig.

7. Oktober. Heute habe ich freiwillige Nachtwache. Ich observiere nämlich jede zweite Stunde in der Tonne.3 Das ist recht anstrengend, ich habe praktisch nur eine Stunde Zwischenraum, und es ist wirklich eine Quälerei, zwölfmal hinauf in die Tonne. Bertelsen hat mir für diese Nacht seinen Revolver geliehen. Ein Rencontre mit einem Bären ist zwar sehr unwahrscheinlich, aber ich würde dabei in eine unangenehme Lage kommen. Ich habe nicht viel Zeit, mich umzusehen, auch ist die deutliche Sehweite sehr beschränkt. Endlich habe ich stets beide Hände voll und vom Hantieren mit Metall ganz steifgefrorene Finger. Das sind keine guten Bedingungen, um eine Waffe gut zu gebrauchen, und die Mit nahme des Revolvers wird somit ziemlich illusorisch.

12. Oktober. Ich habe jetzt mit Koch folgendes verabredet: Wir wollen mit Mylius-Erichsen nach der Sabine-Insel, Koch soll dort Zeitbestimmungen im Vertikal des Polarsterns zum Zweck der Längenübertragung machen, und ich will auf dem magnetischen Pfeiler der deutschen Expedition absolute magnetische Beobachtungen machen. Morgen will ich deshalb hier beginnen. Das ist übrigens eine verdammt kalte Geschichte. Heute bei einer Probe hätte ich mir um ein Haar den linken Zeigefinger erfroren. Mein linkes Ohr hat neulich schon etwas abbekommen, kurz, man muß sich jetzt vorsehen. Heute abend sind - 19,2 Grad. Die Temperatur geht rapide herunter.

15. Oktober. Ein Tycho-Brahe-Tag. Bei der magnetischen Beobachtung ließ ich Kochs Taschenchronometer fallen, und es blieb stehen. Wahrscheinlich ist eine Achse gebrochen oder so etwas, was hier nicht wieder repariert werden kann. Das ist an und für sich sehr peinlich, aber speziell für meine magnetischen Beobachtungen unangenehm.

18. Oktober. Es ist schrecklich peinlich für mich, daß ich nicht selbst eine gute Uhr besitze, sondern sie jedesmal leihen muß. Das war ein Fehler, daß ich mich hierin nicht selbständig gemacht habe, sondern auf andere angewiesen bin. – Gestern hatten wir unsern höchsten Drachenaufstieg (2400 Meter), mehr als 6000 Meter Draht und vier Drachen draußen. Das Einholen war schwierig, weil unten zu viel Wind auf kam. Es war eine sehr große Anstrengung. Die Maschinisten finden sich aber jetzt besser in die Drachenarbeit hinein. – Es hätte nicht viel gefehlt, so hätten wir Frostschäden bekommen. Im Gesicht hatte ich mehrmals weiße Flecken. Man merkt draußen nichts, und wenn man nicht von andern darauf aufmerksam gemacht wird, kann man sich dauernde Frostschäden zuziehen.

22. Oktober. Die letzten Tage waren schlimm. Stimmungen! Diesmal hatten mich zwei verschiedene Gründe heruntergebracht: hauptsächlich das Mißgeschick mit der Uhr (die Unruhe ist gebrochen) und meine Ungeschicklichkeit, mich nicht gleich freiwillig zur Nachtwache zu melden, sondern zu warten, bis Mylius-Erichsen mich fragte, ob ich regelmäßig daran teilnehmen wolle. So habe ich in den letzten Tagen einen gehörigen moralischen Katzenjammer gehabt. Ich könnte in solchen Zeiten schlechter Stimmung zwar sehr gut arbeiten, habe auch Lust dazu, aber ich kann es dann nicht verhindern, daß ich für meine Umgebung ein unleidlicher Kamerad werde. So habe ich viel gelesen und bin nun über den Berg.

26. Oktober. Ich bin jetzt wieder vollkommen arbeitsfähig. Diese Uhrgeschichte hat mich wirklich stark mitgenommen und dann diese vielerlei Observationen! Heute ist es klar und still. Also sollte ich eigentlich einen Ballonaufstieg, einen Ballon-Sonde-Aufstieg, magnetische Beobachtungen machen, mit luftelektrischen Beobachtungen beginnen, an den astronomischen Beobachtungen teilnehmen. Zu vielerlei! Aber ich glaube, ich komme noch zu Rande mit der ganzen Historie, wenn ich nur die nötige Ruhe habe. – Morgen sollen wir auf Schlittenreise. Für mich soll es eine Probe sein. Mylius-Erichsen will offenbar sehen, wie ich mich auf Schlittenreisen benehme. Ich bin jetzt vollständig aus allem Training, in der letzten Zeit habe ich fast keine Bewegung gehabt. Ich freue mich aber sehr, einmal herauszukommen. Es wird wirklich Zeit! Wenn man von den zwei bis drei Tagen mit Koch im Motorboot absieht, so habe ich die Schiffsmasten noch nicht außer Sicht verloren.

30. Oktober. Diese erste Schlittenreise war unglaublich interessant. Ich mußte immerzu an die arme deutsche Expedition denken, die sich in demselben Terrain, wo wir mit fliegender Fahrt einherzogen, im Schweiße ihres Angesichts quälte, den ungefügen Schlitten vorwärtszuschleppen. Welch ein Unterschied! Freilich hatten wir keine vollgelasteten Schlitten, aber trotzdem! Das Tempo war dauernd Hundetrab, bei Stellen mit tiefem Schnee mußte man jedesmal abspringen, um es aufrechtzuerhalten. Man kann gerade gut mitlaufen. Man reist also so, als ob man die ganze Strecke im Dauerlauf zurücklegt. Dabei hat man stets die Möglichkeit, sich zu schonen, und kann daher ganz anders haushalten mit seinen Kräften. Ich hatte Kochs Hunde und wurde sehr gut mit ihnen fertig. Mylius-Erichsen war sehr erstaunt darüber oder markierte doch, es zu sein … Ich will ihm bei Gelegenheit noch mitteilen, daß ich Wert darauf lege, es als sein Schüler recht weit zu bringen in der Fertigkeit, mit Hunden zu fahren usw. Das wird mir die Teilnahme an den Hauptunternehmungen erleichtern (die große Reise nach Norden und eventuell über das Inlandeis). Dies ist mir gegenwärtig die Hauptsache. Und dies bißchen Schmeichelei widerspricht ja der Wahrheit keineswegs. Ich bewundere tatsächlich die Beweglichkeit dieser Expedition, die Genialität, mit der die verschiedenen Beförderungsmittel gehandhabt werden. – Am Abend unserer Ankunft auf der Walroß-Halbinsel hörten wir in unmittelbarer Nähe das Geheul der Wölfe, die wir in ihrem Abendfraß (die Reste der von uns geschossenen Walrosse) gestört hatten. Man konnte meinen, eine zweite Expedition läge dort, so täuschend glich das Geheul dem unserer Hunde. Das Dressieren der Hunde, in einer bestimmten Ordnung zu laufen, auf ein gegebenes Kommando stehenzubleiben, auf ein anderes aufzuspringen und loszurennen, ist sehr unterhaltend, besonders weil man sieht, wie schnell die Tiere das lernen, was sie lernen sollen. Und dann dieses unglaubliche Interesse, das sie alle beseelt, den Schlitten vorwärtszuziehen. Es ist wirklich rührend. Stunde für Stunde laufen sie so ohne Aufenthalt, sie haben offenbar nur den einen Gedanken, den Schlitten zu ziehen. Man lernt die Hunde sehr bald unterscheiden und die verschiedenen Eigentümlichkeiten kennen. – Bei meiner Rückkehr empfing mich Freuchen mit der Nachricht, daß unsere Station Thermometerberg vom letzten Sturm fortgeblasen und alle dortigen Instrumente zertrümmert seien. So hat dieser erste Nordsturm doch erhebliche Opfer gekostet: das Drachenhaus zerstört, zwei bis drei Drachen demoliert, den Stationsthermograph und das Hygrometer außer Funktion gesetzt, die Lederkappe des magnetischen Stativs fortgeblasen, das astronomische Observatorium Kochs beinahe ganz mit Schnee gefüllt, unser Entree am Haus aufgeblasen und mit Schnee gefüllt, so daß wir uns ausgraben mußten, das Fenster zur Hälfte unter einer Schneewehe vergraben.

2. November. (…) Wir haben gestern und heute – wohl zum letzten Male – eine Spur von der Sonne gesehen.

6. November. Vorbereitungen zur Fahrt nach Sabine-Insel. Ich habe mir zwei gewaltig große Kamikker4 aus Rentierfell genäht, die jedem Elefanten Ehre machen würden. Ferner mußte ich den Schlafsack, den ich auf der kleinen Tour mithatte, verlängern. Dann müssen Sohlen geschnitten, Gesichtsmasken gefertigt werden usw. Endlich muß ich auch an meine Instrumente denken. Es sind in letzter Zeit viel Frostschäden vorgekommen. Man muß sich offenbar höllisch vorsehen, namentlich scheint man bei längerer Dauer der Tour unvorsichtig zu werden. Ich werde mir aber jetzt vornehmen, mir nichts zu erfrieren, da ich glaube, daß das Resultat dieser Schlittenreise von entscheidendem Einfluß auf meine Teilnahme an der Frühjahrsschlittenreise nach Norden ist. Diese Reise wird als besonders schwierig angesehen – wohl mit Recht. Unsere normale Temperatur gegenwärtig ist - 20 bis - 22 Grad, und bis zum 1. Dezember (so lange müssen wir mindestens rechnen) wird sie auf - 25 absinken. Dabei kommen natürlich Tage mit - 30 und - 35 vor. - 28 sind bereits auf einer Schlittenreise gemessen worden. Meine anderen Observationen gehen wahrscheinlich für die Zeit ziemlich in Stücke, namentlich die Drachenaufstiege. Damit müssen wir dann wieder im Dezember beginnen. Wir haben ja noch viel Zeit, und ich werde schon ein ganz ansehnliches Material zurückbringen. Eine solche Gelegenheit zu Schlittenreisen kommt dagegen nicht wieder. – Bertelsen litt gestern und heute an einer ähnlichen Depression wie ich neulich. Es scheint also bis zu einem gewissen Grad eine Wirkung der anbrechenden Winternacht zu sein. Ein Mißgeschick gibt den Anlaß, und dann bekommt man einen moralischen Katzenjammer. Auch bei Koch hat ein Streit mit Mylius eine kleine Depression hinterlassen. Und wenn man auch in seinem Verkehr mit andern nichts davon merkt, so kann man doch aus tausend Kleinigkeiten sehen, wie er Mühe hat, seine Energie aufrechtzuerhalten. Bis zu einem gewissen Grad ist mir dies ein Trost, zu sehen, wie auch diese enorme Energie durch ein kleines Mißgeschick lahmgelegt werden kann. Jetzt haben wir es alle gehabt. Bertelsen ist seiner Natur nach mehr still leidend. Bezeichnend für Koch ist, daß er zu mir sagte, er hielte es für zweifelhaft, ob man mit seiner Energie den ganzen Winter durchhielte oder schließlich doch so weit herunterkäme, daß man den halben Tag im Schlafsack läge. Lundager schläft zwar weit mehr als früher, ist aber ebenso wirksam wie sonst. Er leistet mir jetzt für meine Instrumente unschätzbare Dienste. Heute hat er den Aspirator des Stationspsychrometers, der wiederholt versagte, ganz auseinandergeschraubt und gereinigt – eine Operation, die wohl nicht auf jeder Expedition durchgeführt wird.

6. Dezember. Von der Schlittenreise zur Sabine-Insel zurück! Ich will nun versuchen, aus meinen sehr unvollständigen Tagebuchnotizen und der frischen Erinnerung eine vollständige Beschreibung zu geben. Gleich der erste Reisetag brachte einen guten Marsch … Eine Schwierigkeit war es für mich, der ich bis dahin noch keine eigentliche Schlittenreise gemacht hatte, mich im Dunkeln am Zeltplatz mit all dem Gerät, dessen Handhabung ich noch nicht kannte, zurechtzufinden … Auch der zweite Reisetag brachte einen langen Marsch. Wir liefen unterwegs das Depot bei Kap Peschei an, und ich bekam hier eine Proviantkiste mehr auf den Schlitten, weil meine Hunde so rasch liefen. Die Folge war nun freilich, daß ich zurückblieb. Koch und Thostrup waren so rücksichtsvoll, von Zeit zu Zeit zu stoppen und auf mich zu warten. Sonst war es äußerst interessant, ganz allein in dieser Nacht zu fahren, wo man kaum einige 100 Meter weit sehen konnte. Lautlos gleitet der Schlitten über diese ebene Schnee- und Eiswüste dahin. Meist hatte ich den Eindruck, als führe ich über ein endloses Nichts hinweg. Ich mußte auf die eifrig arbeitenden 16 Hundehinterbeine sehen, um mich zu überzeugen, daß wir noch mit der gewohnten Geschwindigkeit über den Schnee dahinglitten. Der nächste Tag war nicht so erfolgreich. Wir kamen nur auf die andere Seite von Haystack. Rings um diese vorspringende Klippe liegt Schraubeis,5 und es war eine harte Arbeit, hier durchzukommen … Alle Augenblicke ging ein Schlitten in Stücke, und Brönlund, der einzige Grönländer von der Partie, hatte nicht wenig Arbeit, sie zu reparieren. Ich geriet mit meinen ungeduldigen Hunden, die hier besonders schwierig waren, oft in recht unangenehme Situationen. Mehrmals lag ich mit den Beinen unter dem Schlitten oder wurde geschleift, einmal liefen mir die Hunde davon, und ich konnte sie erst wieder einholen, als sie bei den vorderen Schlitten, die inzwischen Havarie gehabt hatten, angekommen waren. Schließlich trafen wir einen Bären. Brönlund und Mylius, die ganz vorn waren, liefen hin und schossen ihn, eine gute Ergänzung unseres Hundefutters. Ich half dann – zum ersten Male – bei der Abhäutung. Wir lagen mit den Zelten gut in Lee, aber man konnte an den Windstößen, die von Zeit zu Zeit den Abhang herunterkamen, gut merken, daß Sturm im Gange war. Mein Schlafsack wurde vom Schlitten heruntergeweht, und leider ging dabei der eine der beiden Elefantenkamikker verloren. Der andere hat mir gleichwohl in der Folgezeit gute Dienste geleistet … Am nächsten Tag kamen wir wieder ins Schraubeis, dazu herrschte Schneetreiben. Bald war Mylius-Erichsen voraus, ich und Thostrup folgten ihm unmittelbar. Als wir pausierten, um die andern auflaufen zu lassen, kamen sie nicht. Mylius-Erichsen ging zurück, mußte aber konstatieren, daß unsere Spur verweht war. So waren wir getrennt. Glücklicherweise hatten wir drei, obwohl wir nicht zusammengehörten, Zelt und Proviant. Wir bauten das Zelt in Lee eines großen Steines auf, und als wir Kaffee kochten, kam zu unserer Freude die andere Partie, die uns durch Brönlunds Scharfsinn wieder gefunden hatte … Der Sturm brauste mit unverminderter Kraft weiter … erst am zweiten Tag wurde es stiller, und wir konnten einen Spaziergang an Land machen und abends die Schlitten reparieren. Der nächste Tag brachte dann eine herrliche und sehr lange Reise. Wir kamen beinahe bis zur SW-Ecke der Shannon-Insel. Mylius-Erichsens Prinzip – und ich finde es sehr gut – ist: Reisen nur unter günstigen Bedingungen, nicht allzu lange in Zeit, aber so hurtig wie möglich … An diesem Abend auf Shannon spürten wir die Kälte weit mehr als früher, es war aber auch die niedrigste Temperatur, die wir bisher gehabt haben (- 28 Grad) … Wir reisten noch zusammen bis zum Südpunkt von Shannon, dann nahmen wir Kurs auf die Pendulum-Straße, Mylius-Erichsen auf das Depot auf Shannon. Wir hatten nun keinen geübten Vorfahrer mehr, und man konnte gut merken, daß unsere Geschwindigkeit nun weit geringer war. Es ist eine eigentümliche Schwierigkeit, die Hunde zum schnellen Laufen zu bringen, sobald kein Schlitten mehr vor ihnen ist. Dieselben Hunde, die früher vor Ungeduld fast nicht zu halten waren und stets an dem vordersten Schlitten vorbeilaufen wollten, werden nun träge und ziehen nicht mehr. Wir wechselten ab mit »Vorfahren«, so daß auch ich dazukam, es zu probieren. Es wurde spät, bis wir in die Pendulum-Straße kamen. Allein wir konnten nur noch etwa eine Meile vom Germania-Hafen entfernt sein, und so mußten wir durchhalten. Es ging nun auf dem Eisfuß entlang dem Lande. Schließlich wurde dieser unwegsam, und wir mußten hinunter auf das Neueis … Mit ziemlich starkem Wind im Rücken sausten wir bald über das Neueis fort, Koch weit vor mir, Thostrup weit außer Sicht zur Rechten. Einmal kam mein Schlitten über eine dunklere Stelle weg. Das Eis schien hier dünner zu sein als sonst, wir kamen aber ohne Unfall hinüber … Nicht lange darauf hörte ich Koch rufen, er lief mir entgegen und stoppte meine Hunde, und es gelang mir, meinen Schlitten zum Stehen zu bringen, ziemlich scharf vor der Wake, in die Koch hineingefahren war. Wir riefen Thostrup heran, und nun gingen wir an die Arbeit, den Schlitten wieder herauszuziehen. Es gelang überraschend schnell, er schwamm im Wasser so, daß der vorderste Teil der Kufen, der aufwärts gebogen ist, noch über das Eis herausragte … Leider hatte Koch sich dabei an den Schlitteneisen die Hände stark verbrannt. Er bekam Blasen längs der Innenseite aller Finger. Auch war sein Schlafsack sehr naß, und Hundefutter, Werkzeugkasten usw. waren mit Wasser gefüllt, das natürlich sofort gefror. Nun nahmen wir direkt Kurs auf das Land zu. Hier war es nicht leicht, die Schlitten auf den Eisfuß zu bringen, weil das Neueis an dieser Stelle, wo die Gezeiten es immer wieder in Stücke schlagen, überall unsicher ist. Man trat oft hindurch. In der rabenschwarzen Nacht brachte das Leuchten der Seetiere, die unter dem Eise unter unseren Tritten aufleuchteten, ein recht phantastisches Moment in die Situation. Wir mußten die Schlitten auf dem Eise ablasten und alle Teile einzeln hinauftransportieren, weil sonst das Neueis am Rande gebrochen wäre. Es war spät nachts, als wir endlich mit unserer Mahlzeit im Zelt fertig waren und in die Schlafsäcke krochen. Die schwache Helligkeit der Mittagszeit benutzten wir zu einer Rekognoszierungstour nach Süden, die das Resultat hatte, daß wir beschlossen, im Norden um Sabine-Insel herumzufahren. Schier endlos dehnte sich dieser Weg, und als wir endlich den Germania-Hafen erreichten und neben der magnetischen Hausruine unser Zelt aufgeschlagen hatten, war es so spät, daß Kochs Uhren stehengeblieben waren. So war die Pointe der ganzen Reise für ihn verlorengegangen … Am nächsten Morgen machten wir einen Spaziergang nach der gegenüberliegenden Halbinsel, um nach dem dort deponierten Bericht der deutschen Expedition zu suchen. Leider war es vergebens. Nachts kam Nordsturm auf, so lagen wir den nächsten Tag meist in den Federn. Zu unserer Überraschung erschien Brönlund mit Hundefutter und Proviant aus dem amerikanischen Depot auf Baßrock und einem Brief von Mylius-Erichsen. Sie hatten das Depot auf Shannon nicht erreicht, weil die ganze Freedensbucht offen war, auch auf dem Wege nach Baßrock waren sie beinahe ins Wasser gefahren. Brönlund, der ja auch durch die Pendulum-Straße zu uns kommen sollte, hatte sich in sehr geschickter Art – nach echter Grönländer Weise – aus der Klemme gezogen. Er hatte an dem Verhalten der Hunde gemerkt, daß offenes Wasser kam. Da hatte er einen Hund gelöst und mit seiner Hilfe unseren Zeltplatz gefunden. Nun wußte er, daß hier etwas los war. Er hatte in seinem Schlafsack im Freien übernachtet, bei Tageslicht das offene Wasser gesehen, und so war er sofort im klaren, daß er den andern Weg herum mußte. Wir schlemmten diesen Abend in amerikanischen Leckereien. Mittags zogen Brönlund und Thostrup ab zu Mylius-Erichsen, und abends begann ich meine Observationen, bei denen Koch mir in der aufopferndsten Weise half. Es war eine Qual, in der Kälte zu beobachten. Koch wurde vor Kälte ganz krank und konnte auch im Schlafsack nicht warm werden. Allein am nächsten Morgen war es besser, und wir konnten den ganzen Tag unseren Messungen widmen … Abends machte ich allein einen Spaziergang im Mondschein, der mir außerordentlich starke Eindrücke verschaffte. Ich hatte hier zum ersten Male das Gefühl der trostlosen Verlassenheit, das wohl so manches Mal die Menschen in Polargebieten überfallen und ihre Arbeit lahmgelegt hat. Wir waren aufrichtig froh, als Thostrup am nächsten Abend zurückkam. Die Freude vermehrte sich noch, als er uns mitteilte, daß er Schlafsäcke, Wolldecken, Strümpfe, Finnenschuhe usw. aus dem amerikanischen Depot mitgebracht hatte. Luxus für uns in unseren schon ziemlich nassen Sachen! Natürlich brachte er auch wieder einige amerikanische Leckereien mit, und wir lebten wieder hoch und herrlich. Am folgenden Morgen brachen wir auf. Wir legten eine tüchtige Strecke zurück und übernachteten auf dem Eise zwischen Shannon-Khun- und Sabine-Insel. Eine phantastische Reise ist es doch im Mondschein auf diesen Schnee- und Eisgefilden! Wir begannen immer gegen 10 Uhr mit der Tagesdämmerung, an die sich dann der Mondschein anschloß … Als wir nach Haystack kamen, erlebten wir eine Überraschung: Wir trafen auf Mylius-Erichsens Partie, die hier einen Bären geschossen hatte und daher liegengeblieben war. Nun hatten wir den Vorteil, mit geübten Vorfahrern zu fahren, und von nun an ging es in sehr viel schnellerem Tempo. Bei Kap Peschei lagen wir an dem Depot, das Hagen inzwischen für uns angelegt hatte. Ein Bär hatte die Fische für die Hunde auseinandergerissen, die Fahnenstange geknickt und seine Zähne in den Blechkasten der Proviantkiste gebohrt – ohne aber weiteren Schaden angerichtet zu haben. Hier war unser letztes Zeltlager auf dieser Reise. Es folgte ein langer, langer Marsch von über 80 Kilometer. Wolken verdeckten den Mond und schufen eine phantastische Beleuchtung. Koch traf den Nagel auf den Kopf, als er sagte, er hätte sich nicht gewundert, wenn er Feuer aus den Mäulern der Hunde hätte sprühen sehen. Wie Gespenster glitten die anderen Schlitten, in der Dunkelheit nur mit Mühe erkennbar, lautlos vor einem dahin, und dazu diese fahle Beleuchtung – ungefähr so wie zu Hause vor einem hereinbrechenden Unwetter – , zur Rechten von uns die hohe Felswand der Koldewey-Insel … Später wurde ich so müde, daß ich mehrfach beinahe eingeschlafen und vom Schlitten gefallen wäre – bei - 30 Grad und dem hurtigen Hundetrab ist das nicht ganz ungefährlich … Unsere Rückreise dauerte nur fünf Tage und war 315 Kilometer lang, pro Tag also 63 Kilometer! Gewiß eine gute Leistung! Ich habe wirklich Respekt vor den Hundeschlitten bekommen. Wenn man es versteht, die Schnelligkeit der Hunde auszunutzen, so kann man viel erreichen. Ich habe eine ganze Reihe kleiner, aber wertvoller Erfahrungen gesammelt. Wie man einen zerbrochenen Schlitten repariert, wie man am schnellsten die Zugriemen der Hunde klart, wie man verhindert, daß die Hunde nach dem Halten durcheinanderlaufen (man muß sich auf die Riemen stellen, so daß die Hunde ganz kurz angebunden sind) usw. Auch die Behandlung der Kamikker, der Schlafsäcke, des Zeltes und zu guter Letzt des Schlittenproviants mit seinen Vorzügen und Kombinationsmöglichkeiten usw. (…)

7. Dezember. Ein Sturmtag, wohl der schlimmste, den wir gehabt haben. Starker Schneefall bei stark fallendem Barometer. Die Luft ist so angefüllt mit Schnee, daß man nicht weiter als einen Meter sehen kann. Im Lauf des Tages wurde es schlimmer und schlimmer. Zur Zwischenmahlzeit um 12 Uhr gingen wir noch aufs Schiff. Koch verfehlte es aber und erreichte es nur auf großen Umwegen. Zur Hauptmahlzeit verzichteten wir darauf, zum Schiff zu gehen, und kochten uns selbst etwas im Hause. Freuchen hatte einen schweren Stand mit den Observationen, er mußte einen Grönländer mitnehmen.

15. Dezember. In der letzten Zeit hatte ich vielfach Gelegenheit, Beobachtungen über den durch die andauernde Nacht hervorgerufenen Energielapsus, sowohl bei mir selbst als bei anderen anzustellen. Es ist eine merkwürdige Sache damit. Es dreht sich alles um einen Punkt: Man entbehrt Eindrücke. Welche Befreiung empfindet man, wenn man einmal zur Mittagszeit die Berge der nächsten Umgebung, wenn auch nur in Umrissen, erkennt, welche Unternehmungslust schöpft man aus einem einzigen solchen Anblick! Gestern mittag arbeiteten Koch und ich am Drachenhaus. Man sollte meinen, es wäre eine Erholung, bei stillem Wetter einmal eine Tätigkeit im Freien zu haben. Aber es war nicht der Fall. Alle Arbeit draußen im Dunkeln ist unangenehm, weil man nichts sieht. Es ist merkwürdig, bis zu welchem Grade das Verlangen nach äußeren Eindrücken geht. Mit dem allergrößten Interesse sieht man die Photos durch, die man selbst angefertigt hat, man blättert rastlos in allen möglichen Büchern. Man liebt die elende Petroleumlampe, die über dem Tisch hängt, und haßt alle Arbeit draußen in der Dunkelheit. – Ich glaube, bei einer künftigen Expedition sollte man für die Winternacht mehr solche Arbeiten planen, die sich bei Lampenlicht machen lassen … Ganz außerordentlich gute Dienste müßte ein Projektionsapparat leisten. Er gibt ja diese Eindrücke, die man so entbehrt.

17. Dezember. Vorgestern abend hatten wir das prächtigste Nordlicht, das wir bisher gesehen haben. Jörgen Brönlund sagte sogar, er hätte es noch nie so schön gesehen. Glücklicherweise war unser magnetischer Registrierapparat in Tätigkeit, heute will ich die Kurve entwickeln … Heute früh begann ein Schneesturm, nicht sehr stark. Ich versuchte einen Drachenaufstieg, aber trotz aller Energie gelang er uns nicht. Es ist bei der herrschenden Dunkelheit bei ungünstiger Witterung so gut wie unmöglich – ein sehr betrübliches Resultat. Es ist nur gut, daß ich im Herbst gute Aufstiege zustande gebracht habe. Der nächste Sommer wird ja auch wieder gehen. Ich habe in der Tat die Schwierigkeiten der Winternacht unterschätzt. Auch objektiv sind sie ganz außerordentlich, hervorgerufen durch zu primitive Ausrüstung. Ein gutes Drachenhaus, in dem man arbeiten kann, würde vieles ändern. Hätte ich hier einen interessierten Gehilfen wie in Lindenberg, so wäre ich sicher, daß er diese Kleinigkeiten, deren Summe so unüberwindliche Schwierigkeiten ausmacht, in seiner freien Zeit ordnete. Auch Koch krankt daran, daß er keinen wirklichen Gehilfen hat. Die arktisch-technische Erfahrung, die ich hier sammle, ist allein so viel wert, daß sich die zwei Jahre lohnen. Im übrigen hoffe ich dennoch, ein gutes Drachen- und Ballonmaterial heimzubringen, ebenso gute meteorologische Beobachtungen, leidliche magnetische und schlechte luftelektrische. Das ist ja aber auch genug. Eine einzige wirkliche Entdeckung ist mehr wert als zehn dicke Beobachtungsbände.

21. Dezember. In den letzten Tagen bin ich mörderlich energisch gewesen. Das scheint so periodisch zu gehen, ich habe aber den Eindruck, daß aller Energielapsus gänzlich vorüber sein wird, sobald sich Lichtzunahme bemerkbar macht.

22./23. Dezember. Nachtwache. Ich habe jetzt das Nordlicht oft genug gesehen, um eine lebendige Anschauung zu haben. Sieht man dies prächtige Lichtphänomen zum ersten Male, so steht man der Erscheinung, wenn auch bezaubert von ihrer Schönheit, hoffnungslos gegenüber. Was soll ich hier messen an dieser unsteten, über den ganzen Himmel hinspielenden Lichterscheinung? Richte ich den Theodoliten auf eine prägnante Stelle, so habe ich die Einstellung noch nicht beendet, und das Nordlicht steht bereits an einer ganz anderen Stelle des Himmels. Exponiere ich die photographische Platte, so huscht es fort, ehe es einen Eindruck auf die Platte gemacht hat. Überall entschlüpft es unseren Instrumenten.

25. Dezember. »Julaften« überstanden, und was mehr ist, mit leidlich konserviertem Magen. Doch man soll den Tag nicht vor dem Abend loben. Morgen ist auch noch ein Feiertag und sogar übermorgen auch.

Dann erst hört diese übermäßige Fresserei auf. Es ist wirklich beinahe zu viel. – Mit Hagen habe ich jetzt einen ersten Versuch gemacht, die Kontur des Nordlichtes auf eine nach Marcuse durchgepauste Sternkarte einzuzeichnen. Der Versuch fiel zur Zufriedenheit aus, und ich hoffe, wir werden von dem beabsichtigten Aufenthalt Hagens auf Walroßnäs Nutzen haben. Das magnetische Registrierinstrument macht jetzt ernstlich Beschwer, da wir versuchen, es durch Aufwärmen des Observatoriums dauernd in Gang zu halten. Eine gewöhnliche Petroleumlampe versagte, da das Petroleum gefror. Der Versuch, nur das Instrument durch eine kleine Spirituslampe aufzuwärmen, scheiterte an der enormen Eisund Reifbildung daran. Nun will Hagerup eine Petroleumlampe bauen, die sich selbst warm genug hält, so daß das Petroleum nicht zum Gefrieren kommt. Außerdem werden wir wohl eine Schneemauer um das ganze Observatorium bauen müssen. –

Heute sitzen sie wohl daheim in gewohnter Weise mit Bekannten zusammen, Kurt ist natürlich auf Urlaub da. Wie wird es daheim aussehen, wenn ich zurückkomme? Ich glaube, ich werde mein erstes Telegramm mit einer gewissen Bangigkeit absenden. Aber ich fühle auch, daß mich diese Empfindungen schwerlich abhalten werden, wieder hinauszugehen. Hier draußen gibt es Arbeit, die des Mannes wert ist, hier gewinnt das Leben Inhalt. Mögen Schwächlinge daheim bleiben und alle Theorien der Welt auswendig lernen, hier draußen Auge in Auge der Natur gegenüberstehen und seinen Scharfsinn an ihren Rätseln erproben, das gibt dem Leben einen ganz ungeahnten Inhalt.

Heute habe ich bei totenstiller Luft – jetzt weht es schon wieder – lange Zeit draußen gestanden und die Stille der Polarnacht genossen. Wie sie kalt und schweigend daliegen, diese harten, von gewaltigen Naturkräften einst polierten Felsenhügel! Nichts regt sich, selbst das Meer liegt in eisiger Starre, überglitzert vom Mondschein, der mit Mühe durch einen Schleier von Eiskristallen dringt. So starrt die ganze Ostküste von Grönland in ihrer endlosen Erstrekkung. Nur in dem schwarzen Fleck dort unten, der »Danmark«, an deren Anblick mit den hohen, etwas nach Steuerbord überhängenden Masten ich mich so gewöhnt habe, herrscht Leben und Treiben, sonst Stille, nichts als Stille – Totenstille. Nur eine Naturkraft ist hier wirksam, sie arbeitet still, aber unaufhörlich, die Kälte. Ihr Ziel ist die Versteinerung der gesamten Natur. Langsam, aber unaufhaltsam wachsen die Eiskristalle, und der rinnende Tropfen erstarrt. Selbst die Luft wird träger und träger. In diesem Augenblick scheint es, als ob das Werk gelungen wäre. Ein lebendes Tier in diesem Bilde käme mir wie etwas Undenkbares, Ungeheuerliches vor. Das Eis beginnt zu stöhnen und zu ächzen. Die Flut kommt. Noch dringt der Puls des Meeres hindurch durch diesen Eispanzer. Aber wird es der Kälte nicht gelingen, auch diesen Lebensquell zu erstarren? (…) Die Hunde, durch irgend etwas aufmerksam gemacht, zerstören das Bild. Nun konstatiere ich auch, daß mir in meiner leichten Kleidung beinahe die Ohren erfroren sind, und die Poesie muß wieder der Realität weichen. Ich nehme mir aber vor, mir diesen Genuß von nun an öfter zu verschaffen. Dazu muß ich freilich allein sein, ganz allein.

31. Dezember. Ich habe Mylius-Erichsen mein Programm für 1907 eingereicht. Leider werde ich bei der Frühjahrsschlittenreise nur eine untergeordnete Rolle spielen können, da keine guten Hunde für mich da sind. Ich muß wahrscheinlich mit den jungen Hunden fahren, die noch nicht ziehen können. Aber es ist ja immerhin sehr interessant, wenn ich eine selbständige kartographische Aufgabe zugewiesen erhalte.

1. Januar 1907. Das neue Jahr hat begonnen ohne andere Feierlichkeit, als daß wir bei einem Glase Punsch und Kuchen uns gegenseitig ein »glädelig Nytaar og Tak for det Gamle« wünschten. Keine Reden wurden gehalten. Ich kann mir schwerlich eine deutsche Expedition vorstellen, bei welcher der Leiter nicht die Gelegenheit wahrnähme, etwas über die bisherigen Resultate und über die Aussichten und Hoffnungen der Expedition zu sprechen. Ich könnte für meine Person wohl mit den Resultaten ganz zufrieden sein. Die Einrichtung der meteorologischen Station ist mir nicht nur gelungen, sondern sowohl in instrumenteller Hinsicht wie in bezug auf Beobachtungen habe ich schon manches originelle Material, das sich sicher noch weiter vermehren wird. Die 24-Stunden-Beobachtung in der Tonne bildet etwas völlig Originelles, dessen Bedeutung wohl von allen Fachmeteorologen anerkannt werden wird. Die Drachenund Ballonaufstiege im Herbst haben das gebracht, was man vernünftigerweise erwarten konnte. Die Maximalhöhe von 2400 Meter ist ganz respektabel. Leider versagte der Betrieb so gut wie ganz im Winter wegen Lichtmangels, doch hoffe ich bereits zur kältesten Jahreszeit wieder auf der Höhe zu sein, und die Erfahrungen dieses Winters werden hoffentlich dazu führen, im nächsten Winter wenigstens ein bescheidenes Programm zu ermöglichen. – Mit der Luftelektrizität ist es mir noch nicht vergönnt gewesen, etwas zu schaffen. Allein im Sommer müßte es wirklich sonderbar zugehen, wenn ich nicht zu luftelektrischen Messungen käme. Dagegen geht es ja einigermaßen mit den magnetischen Beobachtungen. Rechnet man dazu meine Teilnahme an dieser einzig dastehenden Schlittenreise zur Sabine-Insel in der Winternacht mit der originellen Messung am Germania-Hafen und meine, wie ich glaube, nicht schlechte photographische Ausbeute, so kann ich wohl zufrieden sein. Persönlich schätze ich von allem, was mir 1906 gebracht hat, diese beiden Sachen am meisten. Und ist dieser persönliche Maßstab nicht schließlich der allein maßgebende?

13. Januar. Meine Stellung hier bei der Expedition ist doch sehr beeinträchtigt dadurch, daß ich Ausländer bin. Was könnte ich hier für eine Stellung haben, wenn ich meine Sprache gebrauchen könnte! Ich freue mich oft auf eine künftige deutsche Expedition; es muß eine Freude sein, dort zu arbeiten … Für die Leitung einer Expedition bin ich nach meiner Rückkehr noch zu jung, aber vielleicht könnte ich mit Drygalski nach dem Südpolargebiet gehen und dort Schlittenreisen machen.

14. Januar. Gestern abend gingen Freuchen und Mylius-Erichsen bei starkem Schneetreiben auf den Thermometerberg, um das Papier auf dem Thermographen zu wechseln. Das alte Papier wurde fortgeweht, und außerdem ging die Tinte verloren, abgesehen davon ging aber alles gut, denn selbst Freuchens erfrorene Finger wurden rechtzeitig wieder rot, so daß kein Schaden zurückgeblieben ist. Ich hatte ihm geraten, bei dem schlechten Wetter lieber einen Tag zu warten, denn es ist ja ziemlich gleichgültig, ob die Feder einmal über den Stift hinausschreibt. Aber Freuchen will ja durchaus etwas erleben, und Erfahrungen kann man nur selbst machen.

1. Februar. Die Meteorologie einschließlich meteorologische Optik und Drachenaufstiege ist doch das Gebiet, wo ich am besten und auch mit der größten Freudigkeit arbeite. Die magnetischen Beobachtungen sind nur so lange interessant, wie man lernt, sei es, daß sich das Lernen auf Methode und Theorie oder auf die Überwindung der durch die Natur gegebenen Hindernisse bezieht. Die Luftelektrizität ist mir bis jetzt ein Dorn im Auge, natürlich weil ich noch nichts geschafft habe. Ich glaube aber auch, daß ihr Instrumentarium noch zu wenig praktisch durchgearbeitet und da her für die Verhältnisse auf einer Polarexpedition nicht robust genug ist.

2. Februar. Ein merkwürdiges Wetter! Wohl die interessanteste Barometer- und Thermographenkurve! Als ich heute früh zum Frühstück zum Schiff ging, war es beinahe lebensgefährlich, und in der Nacht hat es gestürmt wie noch nie. Die Abendablesung gestern war die schlimmste, die ich bisher gehabt habe. Als ich aus dem Hause trat, sah ich nichts, buchstäblich nichts. Die Luft war ganz mit Neuschnee angefüllt, dabei etwa 15 Meter Wind und rabenschwarze Nacht! Neben der Längsseite des Hauses hergehend, fand ich es äußerst schwierig, diese Richtung einzuhalten. Da man sich in Lee des Hauses befindet, kann man nicht sogleich die Richtung des Windes ausnehmen. Halbwegs zum Thermometerhaus ging mir die Lampe aus. Lundager machte mir eine andere Lampe zurecht. So glückte die Ablesung. Beim Rückweg konnte ich das Haus nicht finden und endete damit, daß ich einen Schneewall hinauflief. Unschlüssig, was ich tun sollte, blieb ich stehen und beobachtete meine Umgebung längere Zeit. Da sah ich in einem lichten Moment unmittelbar rechts von mir einen Lichtschein durchschimmern. Ich stand etwa drei Meter von unserem Fenster entfernt! Jetzt ist es wieder ganz still.

8. Februar. Es herrscht jetzt eine allgemeine Mißstimmung bei der Expedition. Es könnte wohl viel besser sein, wenn Mylius-Erichsen mehr Wissenschaftler wäre und mehr mit den einzelnen Teilnehmern über ihre Arbeit sprechen und sie so zur Wiederaufnahme derselben veranlassen könnte. Vor allem aber müßte diese blödsinnige Näherei aufhören. Es ist ein Mißbrauch der Kräfte der Expedition, denn das hätte alles zu Hause gemacht werden können. Koch näht auf Leben und Tod und tut nichts für seine Arbeit, die beiden Maler malen nicht, sie nähen … Wenn Koch mit der Arbeit anfinge, könnte er schon jetzt die halbe Expedition mit interessanten, Anregung bringenden Aufgaben beschäftigen. Wir im Hause werden glücklich gepriesen, weil wir von dem ganzen Rummel auf dem Schiff nichts hören und im schönsten Frieden leben. Na, ohne so etwas geht es bei keiner Expedition. Ich kann zufrieden sein, daß ich ganz außerhalb der Sache stehe … Koch und ich machen jetzt Südpolarpläne …

9. Februar. Heute sahen wir mittags die Sonne zum ersten Male wieder. Der Winter ist vorüber!

17. Februar. Es ist merkwürdig, wie sehr mich der Gedanke an eine Südpolarexpedition gefangennimmt. Mein Plan ist gut und sehr wahrscheinlich durchführbar. Ich habe ihn oft mit Koch besprochen und bei ihm Zustimmung gefunden. Sollte es denn für Deutsche wirklich unmöglich sein, eine erfolgreiche Polarexpedition durchzuführen? Ich glaube, daß der Entschluß, mich an dieser Expedition zu beteiligen, entscheidend für mein Leben sein wird. Die Winternacht ist jetzt vorüber, und anstatt der Verhältnisse überdrüssig zu sein, glaube ich jetzt mehr denn je, daß ich bei der Fahne bleiben werde.

28. Februar. Meine Arbeitskraft wächst mit der Sonnendeklination. Die letzten Tage war ich sehr tätig. Schlafsacknähen, Drachenaufstiege, Nachtwache.

8. März. Ich vermisse doch sehr Literatur, namentlich die, welche mich geistig am meisten beschäftigt hat und die sich, wie ich glaube, ganz besonders für solche Expeditionen eignet, besonders wenn man die Möglichkeit hat, nachher über das Gelesene Gedanken auszutauschen. Ich meine hauptsächlich Darwin, Haeckel, Chamberlain, Bölsche, Meyer (seine populäre Astronomie), Diesterweg, Förster (einiges). Romane halte ich nicht für gleich geeignet. Ich empfinde hier keine Befriedigung dabei, einen Roman zu lesen.

26. März. Morgen wollen wir zur großen Schlittenreise nach dem Norden aufbrechen. Wie wird es gehen? Das ist der Gedanke, um den sich alles dreht.

2. April. Gestern und vorgestern sahen wir schöne Luftspiegelungen. Die Landschaft ist herrlich, hocharktisch, imponierende Eisbildungen … Ich habe mir leider im Lauf der ersten Tage mit ihrer harten Arbeit und dem schlechten Wetter eine Reihe von Fingerspitzen erfroren, so daß Blasen darauf stehenblieben. Das wird mich wohl noch tüchtig genieren. Die Reise ist für mich sehr anstrengend, der schlechten Hunde wegen. Ich muß überall doppelt soviel laufen wie die andern und komme doch stets später zum Zeltplatz, und alle Arbeit dort wird Hastarbeit.

5. April. Die Bahn wurde sehr schlecht, die Schlitten zerbrachen. Die Eisbildung ist sehr interessant, ewiges Eis auf dem Meere vor einem Gletscher, der hier einmündet. Wir liegen hier dicht neben einer gewaltigen Spalte. Vorgestern abend Luftspiegelung: Zwischen zwei Inseln sah man die bekannte Vertikalverzerrung des Meereises, welche hier mit unglaublicher Deutlichkeit einen Steilabfall eines großen Gletschers, der hier direkt das Inlandeis repräsentieren müßte, vortäuschte. Offenbar sind manche falsche Gletschersichten so zu deuten (für Meteorologie zu benutzen).

8. April