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Willkommen im Wilden Westen der Raumfahrttechnik! Ashlee Vance, Bestsellerautor der millionenfach verkauften Ausnahmebiografie über Elon Musk, erzählt die Geschichte von Pionierunternehmen, die völlig neuartige Raumfahrtsysteme bauen und versuchen, Raketen- und Satellitenstarts schnell und billig zu machen und so die erdnahe Umlaufbahn für die Wirtschaft zu erschließen – und sie zum nächsten Spielfeld für den technologischen Fortschritt der Menschheit zu entwickeln. Für seine Recherchen reiste Vance an die entlegensten Orte der Welt – von den USA bis Neuseeland, von der Ukraine bis Indien. Noch nie zuvor hatte ein Journalist einen so beispiellosen Zugang zu den Unternehmen, ihren Laboren und den streng geheimen Startplätzen auf der ganzen Welt. Er enthüllt das spektakuläre Chaos des neuen Weltraumgeschäfts, indem er zeigt, was passiert, wenn die idealistischen, ehrgeizigen und gleichsam klügsten Köpfe des Silicon Valley ihre ungezügelte Vision auf die grenzenlose Weite des Universums richten. Es ist nicht weniger als die wahrscheinlich bahnbrechendste und gleichsam kontroverseste Technologiegeschichte unserer Zeit, eine Geschichte faszinierender Charaktere, die beim Wettlauf um den Weltraum unvorstellbare Ziele verfolgen
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Seitenzahl: 900
Autor des New York Times-Bestsellers Elon Musk
ASHLEE VANCE
Wie Außenseiter, Milliardäre und Genies den Weltraum für uns nutzbar machen
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1. Auflage 2023
© 2023 by FinanzBuch Verlag, ein Imprint der Münchner Verlagsgruppe GmbH,
Türkenstraße 89
80799 München
Tel.: 089 651285-0
Fax: 089 652096
Die englische Ausgabe erschien 2023 bei HarperCollins Publishers unter dem Titel When the Heavens Went On Sale.
Copyright © 2023 by Ashlee Vance
All rights reserved.
Alle Rechte, insbesondere das Recht der Vervielfältigung und Verbreitung sowie der Übersetzung, vorbehalten. Kein Teil des Werkes darf in irgendeiner Form (durch Fotokopie, Mikrofilm oder ein anderes Verfahren) ohne schriftliche Genehmigung des Verlages reproduziert oder unter Verwendung elektronischer Systeme gespeichert, verarbeitet, vervielfältigt oder verbreitet werden.
Übersetzung: Thomas Gilbert
Redaktion: Rainer Weber
Korrektorat: Matthias Höhne
Umschlaggestaltung: in Anlehnung an das Cover der Originalausgabe Sonja Vallant, München
Umschlagabbildung: iStock/Daniel Hull
Abbildungen Innenteil: Shutterstock.com/Mirgunova
Satz: Daniel Förster
eBook: ePUBoo.com
ISBN Print 978-3-95972-324-4
ISBN E-Book (PDF) 978-3-98609-600-9
ISBN E-Book (EPUB, Mobi) 978-3-98609-601-6
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FÜR MELINDA
Es tut mir leid, dass du dir das mit ansehen musstest.
Liebe Leserin, lieber Leser
PrologEin gemeinsames Trugbild
DER allgegenwärtige COMPUTER
Kapitel 1When Doves Fly
Kapitel 2Space Force
Kapitel 3Willkommen, Lord Vader!
Kapitel 4Die Rainbow Mansion
Kapitel 5Phoning home – Anruf aus dem All
Kapitel 6Ein Planet erblickt die Welt
Kapitel 7Der allgegenwärtige Computer
DAS PETER-BECK-PROJEKT
Kapitel 8Großartig – wenn’s wirklich so kommt
Kapitel 9Die Abenteuerwerkstatt
Kapitel 10Sobald du den Startknopf drückst, kannst du nur noch beten
Kapitel 11Nicht mehr mein Amerika
Kapitel 12So schön können nur Raketen fliegen
Kapitel 13Wie man sich beim Militär Freunde macht
Kapitel 14Auftritt Electron
Kapitel 15WIR SIND GANZ BEI IHNEN
AD ASTRA – ZU DEN STERNEN
Kapitel 16RAKETEN OHNE ENDE
Kapitel 17CHRIS KEMP ÜBER CHRIS KEMP, IM FRÜHLING 2017
Kapitel 18DER LANGE, HARTE WEG
Kapitel 19PARTY, BIS DER MORGEN GRAUT
Kapitel 20DAS FREUNDLICHE NEBELMONSTER AUS DER NACHBARSCHAFT
Kapitel 21NICHT MEHR GANZ SO HEIMLICH
Kapitel 22AUSGERECHNET ALASKA
Kapitel 23ROCKET 2
Kapitel 24Es ist ein Job
Kapitel 25Der Reset-Button
Kapitel 26GELD IN FLAMMEN
Kapitel 27ODER ERGIBT DAS ALLES KEINEN sinn?
MAD MAX 2.0
Kapitel 28ÜBER DIE LEIDENSCHAFT
Kapitel 29GOTT HAT MICH BEAUFTRAGT
Kapitel 30VOLLE ATTACKE
Kapitel 31RAKETEN KOSTEN EINE STANGE GELD
Kapitel 32GRENZEN
Kapitel 33ZAPPENDUSTER
Epilog
Danksagung
dieses Buch deckt etwa fünf Jahre journalistischer Berichterstattung auf vier verschiedenen Kontinenten ab und spiegelt viele Hundert Stunden wider, die ich mich diesem Thema gewidmet habe. Die Protagonisten in diesem Band waren so großzügig, mich ihre Welt beobachten zu lassen – sowohl in Zeiten, in denen alles rosig lief, als auch in schweren Zeiten, und dabei haben sie nie versucht, meine Berichterstattung einzuschränken. Es gab zahlreiche Gelegenheiten, bei denen mir während meiner Arbeit sogar Einblick in ihr Privatleben erlaubt wurde, was durchaus riskant sein kann, und dafür bin ich ihnen sehr dankbar. Dies gab mir erst die Möglichkeit, ihre jeweilige Persönlichkeit besser zu verstehen, ihre Motivation und ihre Perspektiven – Einsichten, die anderen Journalisten sonst nur selten gewährt werden.
Jedes Zitat in diesem Buch ist das Resultat meiner direkten, eigenen Recherche – wo dies nicht der Fall ist, habe ich Hinweise eingefügt. Wie Sie sehen werden, habe ich die jeweiligen Personen im gesamten Buch mit ihrer eigenen Stimme zu Wort kommen lassen und auch längere Passagen eingefügt. Mir war es wichtig, dass sie selbst ihre Geschichten erzählen, damit Sie, als Lesende, ungefiltert hören können, wie diese Personen sprechen und denken. Nur selten habe ich, wo nötig, den Wortlaut der Zitate verändert, etwa um Zweideutigkeiten zu vermeiden oder um zu kürzen. Doch niemals hat das Bedürfnis nach einfacherer Lesbarkeit Vorrang bekommen vor dem Primat der korrekten Wiedergabe. Auf meiner journalistischen Reise habe ich hin und wieder auch auf Geschichten über manche der in diesem Buch erwähnten Figuren zurückgegriffen, die ich für das Magazin Bloomberg Businessweek geschrieben hatte. Ganz selten habe ich Passagen von diesen Artikeln genutzt – und dann einfach nur, weil mir die Art und Weise, wie ich etwas umschrieben hatte, immer noch so gut gefiel.
Ich habe mich redlich bemüht, alle Daten und Fakten, die mir mitgeteilt und beschrieben wurden, zu verifizieren. Die im Buch aufgeführten Fakten wurden mehrfach überprüft und abgeglichen. Jegliche Veränderungen der Faktenlage werden in den zukünftigen Auflagen dieses Buches berücksichtigt werden und werden zudem auf meiner Website bereitgestellt: www.ashleevance.com. Über diese Website können Sie gerne auch Ihre Meinung äußern und mich kontaktieren.
Ich hoffe sehr, dass Ihnen die Lektüre dieses Buches ebenso viel Freude bereiten wird, wie ich hatte, als ich daran arbeitete.
Oh Erde, schaut hinauf
Schaut hinauf, über die Grenzen unseres Jahrhunderts hinaus, wo das Licht des kommenden Jahrtausends bereits den Himmel trübt, mit fremden und neuartigen Farben
Schaut hinauf: Wir haben die Gesetze der Schwerkraft aufgehoben, das Dach der Welt niedergerissen, das so tief hing
Der Himmel gehört nun euch, neue Gestade aus Cirruswolken, neue Täler aus Stratocumuli
Erhebt eure Häupter! Ihr seid nicht dazu gemacht, euer ganzes Leben lang auf Rinnsale, Schlamm und Pfützen zu starren, und dennoch, ihr habt es nicht gewagt, den Blick zu heben, aus Angst, dass das, wonach ihr sehnlich sucht, nicht existiert
Schaut hinauf und ihr werdet es sehen: die Gestalt, die in den Träumen und Legenden der Menschen wiederkehrt, seit wir vor Urzeiten zum ersten Mal aus dem Dschungel spähten und uns fragten, was wohl auf jenen blauen und fernen Hügeln, auf den Bergen dort wohnen mag …
Oh Erde, schaut hinauf
Alan Moore, Miracleman, Marvel-Comic, Band 13, 2014
»Aus wirtschaftlicher Sicht ist die Erschließung des interplanetaren Weltraums unerlässlich, um den Fortbestand der menschlichen Spezies zu sichern; und wenn wir der Meinung sind, dass die Evolution im Laufe der Jahrmillionen im Menschen ihren höchsten Punkt erreicht hat, dann müssen der Fortbestand des Lebens und die Weiterführung des Fortschritts das höchste Ziel der Menschheit sein und das Ende der Menschheit die größte vorstellbare Katastrophe.«
Robert Goddard, Raketenpionier, 1913
Die anfängliche Begeisterung war zu einem großen Teil einer bedrückenden Mischung aus Angst und Verzweiflung gewichen.
Wir schrieben den 28. September 2008. Eine Gruppe von etwa 15 Angestellten von SpaceX hatte sich auf einer winzigen tropischen Insel eingefunden, um sich darauf vorzubereiten, die weiße Falcon-1-Rakete des Unternehmens in den Orbit zu befördern. Für viele von ihnen war dieser Moment der Höhepunkt von sechs Jahren nervenaufreibender Arbeit und sollte ihnen eigentlich die Chance bieten, Glück in Reinform zu kosten. Das Problem war nur, dass sie diese Situation schon mehrfach erlebt hatten – und es alles andere als gut gelaufen war. Bereits drei Raketen waren von diesem kleinen Fleckchen Dschungel mitten im Nirgendwo gezündet worden, und alle waren bislang entweder kurz nach dem Start explodiert oder während des Fluges auseinandergebrochen. Das Resultat dieser Misserfolge war, dass viele der SpaceX-Ingenieure und -Techniker erheblich an sich selbst zu zweifeln begonnen hatten. Vielleicht waren sie doch nicht so klug und erfinderisch, wie sie es sich eingeredet hatten. Vielleicht hatte Elon Musk, der Gründer und CEO von SpaceX, einen schrecklichen und kostspieligen Fehler gemacht, als er an sie glaubte. Vielleicht standen sie kurz davor, sich einen neuen Job suchen zu müssen.
Ironischerweise waren die Voraussetzungen für diese Art von Vorhaben von Anfang an alles andere als ideal gewesen. SpaceX hatte seine Basis für den Raketenstart auf dem Kwajalein-Atoll eingerichtet, einer Ansammlung von rund hundert Inseln, die mitten im Pazifischen Ozean liegen. Man könnte Hawaii und Australien als deren Nachbarn bezeichnen, doch sie liegen in denkbar weiter Ferne. Die Inseln ragen gerade mal aus dem Wasser, und sie alle sind geprägt von hoher Luftfeuchtigkeit, gnadenlosem Sonnenschein und salziger Gischt. Bei einem Urlaub in den Tropen sind solche Merkmale willkommen, aber wenn man körperlich arbeitet, und das auch noch mit Maschinen, sind solche Zustände eher abschreckend.
Einige aus dem SpaceX-Team hatten bereits im Jahr 2003 zum ersten Mal Kwajalein einen Besuch abgestattet, in der Hoffnung, einen Ort zu finden, an dem sie ihre kühnen Raketenexperimente ohne allzu große Störungen durchführen konnten. Rein rational betrachtet machte die Lage durchaus Sinn. Das US-Militär hatte jahrzehntelang von Kwajalein aus Operationen durchgeführt, insbesondere in Verbindung mit seinen Radar- und Raketenabwehrsystemen. Um solche Einsätze zu erleichtern, hatte die Armee auf Kwajalein eine entsprechende Infrastruktur aufgebaut, um die täglichen Bedürfnisse von tausend Menschen zu gewährleisten und die komplexen Tests der Waffensysteme durchführen zu können. Das Beste daran war, dass die Einheimischen daran gewöhnt waren, dass Dinge in die Luft gesprengt wurden, und es sie wahrscheinlich nicht weiter störte, dass nun eine Gruppe von unerfahrenen Mittzwanzigern und ein Dotcom-Millionär mit einem riesigen Metallrohr voller explosiver Flüssigkeiten und einer nicht minder großen Portion Zuversicht auf der Bildfläche erschienen.
Der Alltag des SpaceX-Teams glich jedoch eher den Anekdoten aus der TV-Kult-Robinsonade Gilligan’s Island als einem gut geölten militärischen Außenposten. Der Hauptgrund dafür war, dass sich alle guten Dinge – die Ausrüstung, Unterkünfte, Geschäfte, Restaurants und Bars – auf Kwajalein befanden, der größten der Inseln, wohingegen SpaceX auf die Insel Omelek verbannt worden war, ein acht Hektar großes Stück Land mit einer Infrastruktur, die aus ein paar Bootsanlegern, einem Hubschrauberlandeplatz, vier Lagerhallen und etwa hundert Palmen bestand. Hierhin bekam die SpaceX-Crew Raketenteile von den Produktionsstätten des Unternehmens in Kalifornien und Texas geschickt, baute sie zusammen, testete sie und startete schließlich eine komplette Rakete.
Im Jahr 2005 begannen die eigentlichen Vorbereitungen, um die kleine Insel Omelek in einen funktionsfähigen Arbeitsplatz zu verwandeln. SpaceX-Mitarbeiter gossen eine große Betonplatte, die als Startrampe für die Rakete dienen sollte. Sie errichteten ein großes Zelt, um einen schattigen Platz für die Arbeit an der Rakete und die Lagerung ihrer Werkzeuge zu haben. Einige Wohnwagen aus den 1960er-Jahren wurden zu Wohn- und Büroräumen umfunktioniert. Um seine sanitären Bedürfnisse musste sich jeder selbst kümmern, und die Mahlzeiten bestanden aus abgepackten Sandwiches oder dem, was sie aus dem Meer fischen konnten.
Trotz der schwierigen Bedingungen arbeitete die SpaceX-Crew erstaunlich schnell, insbesondere wenn man bedenkt, dass die Raumfahrtindustrie Verzögerungen nicht in Wochen oder Monaten, sondern in Jahren zu messen pflegt. Das einst karge Omelek füllte sich nach und nach mit großen zylindrischen Tanks, in denen der flüssige Sauerstoff und das Kerosin für den Antrieb der Rakete sowie das Helium für den notwendigen Druck in den verschiedenen mechanischen Systemen gelagert werden sollten. Die Gasgeneratoren glichen himmlischen Gesandten, denn sie betrieben die Klimaanlagen der Wohnwagen, was bedeutete, dass man ein paar Minuten lang nicht schwitzen musste und die Anspannung nicht ganz so hochkochte, wenn mal etwas schieflief. Ein paar engagierte Teammitglieder installierten schließlich richtige Toiletten und Duschen. Und endlich, Anfang September 2005, hatte SpaceX einen Turm aus Metallgerüsten errichtet, der eine aufrecht stehende Rakete in Position halten und vor dem Start stützen konnte.
Etwa einmal im Monat traf ein Frachtschiff mit großen Containern voller Material ein. Ende September lieferte eines der Schiffe die erste Stufe oder den Hauptteil der Falcon 1. Ende Oktober war die Rakete zusammengebaut, auf die Startrampe gebracht und in die nötige senkrechte Position gehievt worden. Die meisten Ingenieure waren, nun ja, Ingenieure und hatten keinen besonderen Sinn für die Symbolik des Moments. Allerdings sah Falcon 1 wirklich wie ein religiöses Totem aus: ein bizarrer Obelisk aus Aluminium, der aus einer Lichtung im Dschungel ragte und unverkennbar so hoch wie nur möglich emporfliegen wollte.
Genau das ist der Augenblick in jedem neuen Raketenprogramm, wo über einen längeren Zeitraum hinweg immer wieder etwas schiefgeht. Die Rakete als solche ist bereits entworfen, und ihre einzelnen Bauteile sind fertiggestellt. Die Triebwerke, in der Regel die kniffligsten Teile, wurden an einem anderen Ort getestet und immer wieder gezündet, bis man sicher sein konnte, dass sie funktionieren, wenn der große Moment gekommen ist. Viele Zeilen Softwarecode wurden geschrieben, auf Fehler untersucht und optimiert. Auch die vielen Kabel im Inneren der Rakete wurden sorgfältig verlegt. Ein hoffnungsvoller Optimist darf nun erwarten, dass all diese Dinge, wenn man sie miteinander verbindet, einwandfrei funktionieren. Aber die Raketengötter lassen dies niemals zu.
Bis eine Rakete fertig montiert ist und die Erdatmosphäre durchdringen kann, muss sie Hunderte von Tests am Boden bestehen. Nicht selten werden die Tests durch ein relativ unbedeutendes Bauteil torpediert. Ein 50-Dollar-Ventil funktioniert nicht richtig und muss ausgetauscht werden, was bedeutet, dass man eine Luke am Rumpf der Rakete öffnen und schweißgebadet nach dem defekten Metallstück suchen muss. Oder vielleicht ist Feuchtigkeit in einen Akku eingedrungen, der nun ebenfalls ausgetauscht werden muss.
Manchmal misslingen die Tests oder finden aus logistischen Gründen gar nicht statt. So müssen zum Beispiel immer wieder riesige Mengen flüssigen Sauerstoffs in die Treibstoffkammer einer Rakete gepumpt werden, während die Rakete für den Start vorbereitet wird. Der Trick dabei ist, dass LOX, wie es in der Luft- und Raumfahrt genannt wird, unglaublich kalt gehalten werden muss, um flüssig zu bleiben, und sofort zu kochen beginnt, wenn es aus einem gekühlten, eigens dafür gebauten Tank in die Treibstoffkammer der Rakete gelangt, wo es durch die umgebende Atmosphäre erwärmt wird. Oft wird die Rakete mit LOX befüllt, und dann wird vor einem Test eine Kleinigkeit nach der anderen repariert, und dann muss man feststellen, dass zu dem Zeitpunkt, an dem man endlich bereit ist, mit dem Test fortzufahren, zu viel LOX verdampft ist, um den Test durchzuführen. Doch jetzt stellt man fest, dass, weil man dieselbe Prozedur im Laufe des Tages etwa fünfmal durchlaufen hat, die LOX-Lagerbehälter aufgebraucht sind, und man wird sich wieder schmerzlich des Umstands bewusst, dass man sich auf einer winzigen Insel im Pazifischen Ozean befindet und dass sich im Umkreis von 3000 Kilometer niemand dafür interessiert, ob man vor Einbruch der Dunkelheit noch irgendwie an mehr Flüssigsauerstoff kommt, und dass man auch keine Möglichkeit hat, auf die Schnelle welchen zu beschaffen.
Für einen Außenstehenden kann dieser langwierige Teil des Entwicklungsprozesses einer Rakete absurd erscheinen. Im Grunde genommen ist das Ding fertig und flugbereit. Da kann es doch nicht monatelang kleine bis mittelgroße Probleme geben, die eines nach dem anderen auftauchen. Aber so ist es nun mal. Der Witz an der Sache ist, dass der wirklich schwierige, »raketenwissenschaftliche« Teil des Problems, die physikalischen Aspekte, schon vor Ewigkeiten geklärt wurde. Was die Rakete jetzt noch aufhält, ist Routinearbeit. Was man jetzt braucht, sind unermüdliche, lösungsorientierte Mechaniker, keine Doktoranden.
Von Oktober 2005 bis März 2006 hatte das SpaceX-Team mit genau diesem Szenario zu kämpfen. Jeden Tag machte sich die Crew auf den Weg zur Rakete und schlug sich von Sonnenaufgang bis weit nach Sonnenuntergang mit ihr herum. Die Tage waren anstrengend und oft enttäuschend, aber die Aussicht auf einen Start hielt alle aufrecht. SpaceX war 2002 gegründet worden, und Musk – wie er nun einmal ist – hatte sich sofort das völlig unrealistische Ziel gesetzt, innerhalb eines Jahres die erste Rakete des Unternehmens in die Umlaufbahn zu bringen. Doch die vier Jahre, die das SpaceX-Team gebraucht hatte, waren immer noch ein historisches Tempo für ein neues Raketenprogramm. Das Team zehrte von der Energie. Es profitierte von Musks überzogenen Forderungen und seinem grenzenlosen Unterstützungsangebot. Sie lebten von der Idee, dass sie die Bürokratie der traditionellen Luft- und Raumfahrt zu einem Relikt machen und einen neuen Weg für die Branche einschlagen würden.
Die Falcon 1 war beileibe nicht die beeindruckendste Trägerrakete, die je gebaut wurde. Wahrhaftig nicht. Dennoch hatte sie ihre Reize. Sie war 20 Meter hoch und hatte einen Durchmesser von knapp 1,70 Meter. Sie war problemlos in der Lage, rund 500 Kilogramm Fracht in die Umlaufbahn zu befördern, und das zu einem Preis von nur etwa sieben Millionen Dollar pro Start. Das Bemerkenswerteste an der Rakete waren ihre Herstellungskosten. Normalerweise kosten Raketen, die Satelliten in die Umlaufbahn befördern, zwischen 80 und 300 Millionen Dollar pro Start. Sie bestehen aus Teilen, die von Hunderten von Auftragnehmern geliefert werden, die alle versuchen, maximale Profite für ihre spezialisierte Hardware zu erzielen. SpaceX hatte die ganze Gleichung umgedreht, indem es versuchte, aus den billigsten verfügbaren Teilen etwas ziemlich Nützliches zu bauen und so viel von der Rakete wie möglich selbst zu produzieren.
Am 24. März war endlich der Moment gekommen, die Theorie in die Praxis umzusetzen. Während sich einige Mitarbeiter mit Musk im Kontrollzentrum auf dem Kwajalein-Atoll aufhielten, standen die anderen auf Abruf bereit, um auf etwaige mechanische Probleme auf Omelek zu reagieren. Die Startvorbereitungen hatten bereits am frühen Morgen begonnen: Man ging Checklisten durch, die Rakete wurde für ihren großen Augenblick vorbereitet. Um Punkt 10:30 Uhr hob die Falcon 1 ab. Ihr feuriges Grollen erschütterte die provisorischen Bauten auf Omelek für ein paar Sekunden, bevor die Rakete ihren Kampf gegen die Schwerkraft begann und sich in den Himmel erhob. Für die SpaceX-Mitarbeiter, die alle emotional an der Falcon 1 hingen, schien sich die Zeit auszudehnen. Jede Sekunde fühlte sich wie eine Minute an, während die Augen der Mitarbeiter kontinuierlich die Außenhülle der Rakete abtasteten, um ihren Zustand visuell zu überprüfen.
Selbst einem zufälligen Beobachter1 musste jedoch bald auffallen, dass mit der Rakete etwas nicht stimmte. Nach dem Start geriet der Flugkörper ins Rotieren und Schlingern, was ein sehr schlechtes Zeichen ist, wenn es sich um einen geradlinigen Flug handeln sollte. Und dann, 30 Sekunden nach dem Start, schaltete sich das Triebwerk der Rakete ab. Statt weiter aufzusteigen, hielt die Rakete für einen kurzen Moment inne und stürzte dann herab in Richtung Erde. Zu diesem Zeitpunkt war sie im Grunde eine Bombe mit Omelek als Primärziel. Die Masse aus Metall und Treibstoff prallte 200 Meter vom Startplatz entfernt auf ein Riff und explodierte. Die Nutzlast der Rakete, ein kleiner Satellit der Air Force, schoss in die Luft und durchschlug dann das Dach eines Geräteschuppens. Tausende von Raketenteilen verteilten sich über Omelek, andere flogen in den Ozean.
Die SpaceX-Mitarbeiter waren von dem Ergebnis alles andere als begeistert, aber überrascht waren sie nicht. Nur selten ist eine neu entwickelte Rakete bei ihrem Jungfernflug erfolgreich. Das wirklich Demütigende waren die auf Omelek verteilten Raketentrümmer. Wenn eine Rakete explodiert, dann am besten in großer Höhe und über dem Meer. Niemand aus dem SpaceX-Team wollte die Schmach auf sich nehmen, auf die Insel zurückkehren zu müssen, um all die Mahnmale ihrer Unzulänglichkeiten als Ingenieure von Hand aufzulesen.2
In den folgenden Tagen wurden die Daten des kurzen Fluges analysiert und die Raketenreste forensisch untersucht. Bald stellte sich heraus, dass eine Aluminiummutter, die ein Treibstoffrohr an seinem Platz hielt, korrodiert war, nachdem sie monatelang der warmen, salzhaltigen Luft von Kwajalein ausgesetzt gewesen war. Das Teil, das gerade einmal fünf Dollar gekostet hatte, war gerissen und hatte Kerosin austreten lassen, was einen Brand im Triebwerk auslöste. Ironischerweise beschloss SpaceX, das Problem bei künftigen Raketen durch die Verwendung noch billigerer Edelstahlmuttern zu beheben.
SpaceX brauchte ein weiteres Jahr, um eine neue Rakete zu bauen, alle Tests durchzuführen und im März 2007 einen neuen Startversuch zu unternehmen. Die zweite Rakete funktionierte viel besser und flog mehr als sieben Minuten lang, bevor der Treibstoff auf unerwartete Weise im Inneren der Rakete herumschwappte und das Triebwerk nicht mehr mit genügend Treibstoff versorgt werden konnte. Erneut stürzte die Rakete in Richtung Erde, aber diesmal war sie so weit aufgestiegen, dass sie in der Atmosphäre verglühte. Fast 18 Monate vergingen, bevor SpaceX im August 2008 seinen dritten Start versuchte. Die Rakete funktionierte tadellos bis zu dem Moment, als die obere Stufe der Rakete sich von der größeren, unteren Stufe lösen sollte, dabei aber stecken blieb und dadurch eine Panne verursachte, bevor sie die Umlaufbahn erreicht hatte. »Falcon 1 hat es wieder vermasselt«, schrieb ein Journalist, der über den Start berichtete.
Zu diesem Zeitpunkt war das SpaceX-Team buchstäblich ausgebrannt. Das Leben auf Kwajalein war längst nicht mehr so anregend exotisch. Es war die reinste Qual. Die nächtlichen Trinkgelage in der »Snake Pit Bar« dienten kaum mehr dazu, die Arbeit des Tages Revue passieren zu lassen oder sich in kuriose Fragen der Weltraumforschung zu vertiefen. Stattdessen planten die Leute, wie man von hier entkommen könne. Ein Ingenieur, der diverse Red Bull mit Wodka intus hatte, kam auf die glorreiche Idee, dass er von der Insel gefeuert werden könnte, wenn er nackt über die Landebahn des Flughafens rennen würde. Nachdem sich alle am Tisch geeinigt hatten, dass er mit dieser Vermutung wohl recht haben würde, war der Ingenieur motiviert genug. Er sprintete los und führte seinen Plan aus. Doch zu seinem Pech hatten die Militärs wirklich schon Schlimmeres gesehen, und so musste er am nächsten Tag zurück nach Omelek.
In der Öffentlichkeit sagten Musk, die Vertreter der NASA und andere Personen in der US-Regierung all die richtigen Dinge. Neue Raketentypen würden nun mal explodieren. SpaceX sei immerhin in der Lage gewesen, die Ursachen aller Probleme zu identifizieren und zu beheben. Das sei eben der natürliche Lauf der Dinge in der Luft- und Raumfahrttechnik. Hinter vorgehaltener Hand gab es jedoch große Bedenken. Musk verballerte sein privates Vermögen in einem alarmierenden Tempo, und zudem schien er keine Lust mehr zu haben, sich wie üblich einmal im Jahr der Presse zu stellen, um zu erklären, warum SpaceX es schon wieder nicht in den Orbit geschafft hatte. Die Regierungsvertreter begannen sich auch zu fragen, ob etwa der Typ im SpaceX-Kontrollzentrum mit dem orangefarbenen Irokesenschnitt, den er mithilfe von Eiweiß dazu brachte, hoch von seinem Kopf abzustehen, repräsentativ für eine Unternehmenskultur war, die weniger auf amüsante Weise exzentrisch als vielmehr zutiefst dysfunktional war. Die großen Mengen an Bier und Schnaps, die auf dem Gelände von Omelek gelagert wurden, schienen diese Zweifel zusätzlich zu bestärken.
»Der dritte Flug war der absolute Tiefpunkt«, erinnert sich Tim Buzza, eine der zentralen Figuren bei SpaceX, wenn es um die Falcon 1 und die Arbeiten auf Omelek geht. »Elon gingen langsam das Geld und die Zeit aus. Fast alles wurde angezweifelt, und es fühlte sich katastrophal an. Das war das erste Mal, dass viele von uns dachten, dass das Projekt vielleicht untergeht. Und dann hielt Elon eine Telefonkonferenz mit dem gesamten Unternehmen ab. Er sagte: ›Ich werde mir etwas Geld leihen. Wir haben noch eine Rakete übrig, und die müssen wir in acht Wochen starten.‹«
Das nackte Grauen: Dieses Gefühl überkommt einen, wenn man erfährt, dass man einen Prozess, der normalerweise ein Jahr beansprucht, auf ein paar Monate verkürzen soll und dass alles – das Unternehmen, die eigene Karriere, die Idee der privaten Raumfahrt – davon abhängt, dass man diesen überstürzten Auftrag präzise ausführt. Doch das SpaceX-Team stürzte sich auf die Arbeit und beschloss, noch einmal alles zu geben.
Das unmittelbarste Problem, das sich aus der abstrusen Deadline ergab, bestand darin, die vierte Falcon-1-Rakete so schnell wie möglich vom SpaceX-Firmensitz in Kalifornien nach Omelek zu bringen. In der Vergangenheit waren die Raketen mit dem Frachtschiff gekommen, das einmal im Monat anlegte. Doch dieses Mal musste die Rakete auf die Insel geflogen werden, und dafür war ein sehr großes Flugzeug erforderlich, nämlich ein C-17-Militärtransporter. Irgendwie gelang es Buzza und seinen Kollegen, eine C-17 und einige Piloten aufzutreiben und die Rakete kurz darauf in das Flugzeug verladen zu lassen. Das war die gute Nachricht.
Die schlechte Nachricht war, dass es sich bei den Piloten um ehemalige Militärflieger handelte, die ihre Maschinen zum Spaß gerne an ihre Grenzen brachten. Anstatt das Flugzeug sanft auf die Landebahn zu setzen, flogen die Piloten die C-17 an, als wäre sie ein Kampfjet. Der rasche Anstieg des Luftdrucks bewirkte, dass der dünne Metallkörper der Rakete in sich zusammenzufallen drohte. Entsetzt griffen einige SpaceX-Ingenieure nach verfügbaren Werkzeugen und begannen, Entlüftungsschlitze an der Rakete zu öffnen, um einen Druckausgleich zwischen dem Inneren der Maschine und den Bedingungen im Flugzeug zu erreichen. Durch ihr schnelles Handeln konnten weitere Schäden verhindert werden, aber die Rakete kam in einem Zustand an, der alles andere als ideal war.
Die Stimmung im SpaceX-Team sank nach diesem Debakel noch tiefer. Einige Mitglieder der Inselcrew hielten es für nahezu unmöglich, die ramponierte Rakete vor dem Start wieder in einen funktionsfähigen Zustand zu bringen. Eine arme Seele musste Musk anrufen und ihm sagen, was passiert war. Wie üblich bestand Musks Antwort in der Aufforderung, eine Lösung zu finden und einfach unbeirrt weiterzumachen.
Von Anfang August 2008 bis zum 28. September gaben die SpaceX-Ingenieure und -Techniker ihr Bestes für das verhexte Fluggerät. Tag für Tag wurde der Rumpf der Falcon 1 gewartet und repariert, sodass die monotone Reihe von Flugvorbereitungstests beginnen konnte. Eine besonders große Kokosnusskrabbe, die gut einen Meter lang war und von den SpaceX-Mitarbeitern »Elon« genannt wurde, stattete dem Arbeitsbereich gelegentlich einen Besuch ab, um das Geschehen zu beobachten, und das schien ein gutes Omen zu sein.
Und so nahmen am 28. September alle noch einmal ihre Plätze ein. Inzwischen hatte das SpaceX-Team Erfahrung, auch wenn von allen Raketen, die sie bisher in die Umlaufbahn geschickt hatten, diese hier wegen des verrückten Tempos, mit dem sie auf die Startrampe gebracht worden war, wohl am wenigsten Erfolg versprach. Nichtsdestotrotz zündete um 11:15 Uhr das Triebwerk der Falcon 1, und die Rakete hob sich in den blauen Himmel und dann in den Weltraum. Im Kontrollzentrum herrschte die meiste Zeit über Totenstille, bis auf gelegentliche »Fuck, yeah«-Rufe, wenn die Rakete an einem kritischen Punkt das tat, was sie sollte. Dann endlich – nach all den Anstrengungen – wurde allen klar, dass die Rakete perfekt funktionierte und die Umlaufbahn erreicht hatte. Im Weltraum angekommen, öffnete sich die obere Spitze wie eine Muschel. Allerdings setzte sie keinen Satelliten, sondern einen simplen Metallhaufen ab, weil es keine Kunden mehr gegeben hatte, die bereit waren, eine echte Nutzlast auf eine der SpaceX-Maschinen zu laden.
In den ersten Momenten, als klar wurde, dass der Flug geglückt war, klatschten sich die SpaceX-Mitglieder auf Omelek gegenseitig ab, feierten aber nur verhalten. Sie mussten zur Rampe zurückkehren, um die Treibstoffzufuhrsysteme und andere Vorrichtungen abzuschalten. In der Zwischenzeit stiegen die anderen SpaceX-Mitarbeiter auf Kwajalein in Boote und machten sich auf den Weg nach Omelek. Als die Sicherheitsarbeiten abgeschlossen waren und das gesamte Team sich versammelt hatte, begann jemand zu schreien: »ORBIIIITTTTTTTTT!!!!!!! ORBIIIITTTTTTTTTT!!!!!!! ORBIIIITTTTTTTTTT!!!!!!!« Dann fingen auch alle anderen an zu schreien, und der Ruf »Orbit, Orbit, Orbit!« ergriff die ganze Gruppe wie ein Urschrei. Die nachmittäglichen Feierlichkeiten auf Omelek gingen in abendliche und nächtliche Gelage auf Kwajalein über. Immer wieder begannen die Gesänge der betrunkenen Ingenieure, die sechs Jahre harter Arbeit in einem spektakulären gemeinsamen Gefühlsausbruch auslebten. Ein wahrer Raketenrausch.
DIESES BUCH HANDELT NICHT von SpaceX, weshalb Sie sich jetzt vielleicht fragen, warum ich so viele Worte über das Unternehmen und seine Rakete verloren habe. Ich möchte jedoch darauf hinweisen, dass Sie über die Falcon 1 und alles, was damit zu tun hat, Bescheid wissen müssen, denn die Falcon 1 hat die Handlung in diesem Buch in Gang gesetzt – und sehr wahrscheinlich den Lauf der Menschheitsgeschichte geändert.
Ganz praktisch gesehen hat die Falcon 1 dazu beigetragen, SpaceX zum ersten privaten Unternehmen zu machen, das mit einer selbst gebauten und kostengünstigen Rakete den Orbit erreicht hat. Es war ein Meilenstein der Ingenieurskunst und eine Errungenschaft, von der viele Menschen in der Luft- und Raumfahrtindustrie seit Jahrzehnten geträumt hatten.
Die Ingenieure von SpaceX hatten, symbolisch betrachtet, die natürliche Ordnung der Dinge auf den Kopf gestellt. Damals, im Jahr 2008, war vielleicht noch nicht klar, dass dieser erste Start in die Umlaufbahn zu einem einschneidenden Ereignis werden würde. Wie Roger Bannister, der als erster Sportler die englische Meile in unter vier Minuten gelaufen ist, brachte SpaceX die Menschen dazu, ihr Verständnis von Grenzen neu zu definieren, vor allem mit Blick auf Reisen ins All. Die Vorstellungskraft und Leidenschaft von Ingenieuren und Träumern auf der ganzen Welt erschloss neue Horizonte. Ein Wendepunkt war erreicht, und ein neues Weltraumfieber war entfacht.
Seit die Vereinigten Staaten und die Sowjetunion begonnen hatten, zum Mond zu fliegen, konzentrierte sich die Geschichte der Raumfahrt weitgehend auf die Bemühungen einer Handvoll Regierungen. Es bedurfte der Macht der Vereinigten Staaten, Chinas oder der Europäischen Union, um ein Raketenprogramm zu finanzieren. Diese Staaten hatten die Raumfahrt zu einem raren und kostbaren Gut gemacht. Die wenigen wohlhabenden Einzelpersonen, die in den vergangenen Jahren versucht hatten, ihre eigenen Raketen zu bauen und das Gleichgewicht der Kräfte zu verändern, waren gescheitert. Es besteht kein Zweifel daran, dass SpaceX von der NASA und dem US-Militär ermutigt und finanziell unterstützt wurde. Aber es war Musk, der mit 100 Millionen Dollar seines Privatvermögens aus dem Nichts auftauchte und SpaceX ins Leben rief. Er bewies, dass eine leidenschaftliche Privatperson, der ein Unternehmen voller kluger, hart arbeitender Menschen zur Seite steht, es mit ganzen Nationen aufnehmen und sie eines Tages vielleicht sogar übertreffen kann.
Ganz grundsätzlich betrachtet hat SpaceX viele der »Glaubenssätze« der alten, staatlich geförderten Luft- und Raumfahrtindustrie über den Haufen geworfen. Das Unternehmen hatte bewiesen, dass ein neuartiger Ansatz in der Raketentechnik funktionieren kann. Raketen mussten nicht mehr aus teuren, von spezialisierten Unternehmen als geeignet für diese Aufgabe zertifizierten »weltraumtauglichen« Materialien hergestellt werden. Die Entwicklung der Verbraucherelektronik war so weit fortgeschritten, dass die gängigen Produkte für den Massenmarkt nun oft gut genug waren, um den Anforderungen der Raumfahrt zu genügen. Große Fortschritte bei der Software und leistungsfähige Computer bedeuteten zudem, dass die Ingenieure jetzt viel mehr erreichen konnten als in der Vergangenheit. Indem man sich von dem bürokratischen, festgefahrenen Denken befreite, das noch aus den 1960er-Jahren stammte, konnte man den Bau von Raketen modernisieren und effizienter gestalten. All das ebnete den Weg für Neuerungen.
Doch ein Großteil der bestehenden Luft- und Raumfahrtbranche lehnte diese Neuerungen ab. Sie betrachteten SpaceX immer noch als Abnormität, als einen unbedeutenden Akteur. Die Falcon 1 konnte gerade mal eine halbe Tonne Fracht in die Umlaufbahn befördern, während die gigantischen Raketen der alten Garde viele Tonnen transportieren konnten. Wollte SpaceX ernst genommen werden und etwas Größeres bauen, würde das für das Unternehmen sehr schmerzhaft werden. Die Entwicklungskosten würden das Bankkonto von Musk aufzehren. Den Ingenieuren würde es nicht gelingen, ihre Fähigkeiten und modernen Methoden auf fortschrittlichere Maschinen zu übertragen. Im besten Fall würde SpaceX genauso aufgebläht und teuer werden wie all die anderen Unternehmen der alten Generation. Schlimmstenfalls würde das Unternehmen bei dem Versuch kläglich scheitern, und dieses Szenario hielt man für das wahrscheinlichste.
Im Nachhinein hat sich gezeigt, dass die traditionelle Luft- und Raumfahrtindustrie Musk und seine SpaceX-Ingenieure unterschätzt hat – und je nachdem, wie man es sieht, fühlt man sich demütig oder beschämt. Innerhalb von gut zwölf Jahren nach dem Start der Falcon 1 hat SpaceX drei weitere Raketentypen gebaut, von denen einer größer als der andere war. Das Zugpferd des Unternehmens, die Falcon 9, dominiert heute die kommerzielle Trägerraketenbranche und bringt Woche für Woche Satelliten in die Umlaufbahn. Das Unternehmen hat die Technologie der wiederverwendbaren Raketen perfektioniert, die es ihm ermöglicht, Raketenkörper zur Erde zurückzubringen und erneut zu verwenden, während seine Konkurrenten ihre einmal benutzte Hardware weiterhin im Meer versenken. SpaceX hat auch ein Satellitengeschäft aufgebaut und produziert und befördert mehr Satelliten als jedes andere Unternehmen in der Geschichte. Während Covid-19 die Welt zum Stillstand brachte, schickte SpaceX im Jahr 2020 sechs Astronauten zur Internationalen Raumstation und ermöglichte es den Vereinigten Staaten zum ersten Mal seit der Stilllegung des Spaceshuttles im Jahr 2011, Menschen wieder ins All zu bringen. Im Süden von Texas baut SpaceX derweil an Starship, einem Raumschiff, das Musks ultimatives Ziel, eine menschliche Kolonie auf dem Mars zu gründen, verwirklichen soll.
Die traditionellen Akteure der Luft- und Raumfahrtbranche haben ihr Geschäft aufgrund der Präsenz von SpaceX nicht wesentlich geändert. Ihre Untätigkeit konnte jedoch nicht verhindern, dass die Auswirkungen der Falcon 1 weit über Musks Imperium hinausgingen und die Beziehung der Menschen zum Weltraum verändert haben. Ingenieure, Unternehmer und Investoren beobachteten, was SpaceX erreicht hatte, und fingen an, ihre eigenen kühnen Visionen dessen, was sie erreichen könnten, zu entwickeln. Auch sie, so die Überzeugung, könnten auf der Welle der immer weiter fortschreitenden Elektronik, Computertechnologie und Software reiten und ihre eigenen Raumfahrtunternehmen gründen. Menschen auf der ganzen Welt begannen, sich selbst als den nächsten Elon Musk zu sehen – ob das gut ist, ist eine andere Sache.
»Die Großen kontrollierten alles«, betont Fred Kennedy, ein ehemaliger Oberst der U.S. Air Force und früherer Direktor der Raumfahrtentwicklungsbehörde des Verteidigungsministeriums. »Ich verzweifelte immer daran, dass man keine Chance hatte, wenn man sich nicht auf die großen Auftragnehmer einließ. Dann hat Elon gezeigt, wie man den Durchbruch schafft. Er hat bewiesen, dass man es auch anders machen kann. Ich glaube, das hat die Fantasie aller geweckt.«
In der breiten Presse konzentrierte sich die Zunahme der privaten Raumfahrtaktivitäten auf Musk und seine Gleichgesinnten, wie Jeff Bezos, Richard Branson und den verstorbenen Paul Allen von Microsoft. Diese Männer haben allesamt den Bau von Raketen oder Raumfahrzeugen finanziert. Die Faszination findet sich hauptsächlich bei Milliardären, die hoffen, den Weltraumtourismus anzukurbeln oder, wie Musk, den Mond oder den Mars zu besiedeln.
Was die Öffentlichkeit weniger zur Kenntnis genommen hat, ist die rasante Aktivität von Hunderten anderer Unternehmen, die über die ganze Welt verstreut sind und neue Arten von Raketen und Satelliten bauen. Diese Unternehmen befinden sich in einem Wettlauf, der sich unmittelbarer und greifbarer anfühlt, als wenn Menschen auf dem Mond ihre Runden drehen oder auf dem Mars ihre Wäsche waschen. Sie versuchen, eine Wirtschaft in der erdnahen Umlaufbahn (auch bekannt als niedrige Umlaufbahn oder erdnaher Orbit) aufzubauen, in jenem Bereich des Weltraums zwischen etwa 200 und 2000 Kilometern über der Erdoberfläche, der im Grunde das nächste Spielfeld in der technologischen Entwicklung der Menschheit darstellt.
Von den 1960er-Jahren bis ins Jahr 2020 stieg die Zahl der in den Weltraum geschickten Satelliten langsam und stetig an, sodass heute etwa 2500 Flugkörper die Erde umkreisen. Die meisten von ihnen wurden in den Weltraum geschickt, um Aufgaben für militärische Einrichtungen, Kommunikationsunternehmen und Wissenschaftler zu erfüllen. Vor dem Start wurde jeder Satellit wie ein kostbares technisches Wunderwerk behandelt. Die Entwicklung und der Bau dauerten viele Jahre, und sie waren am Ende oft so groß wie ein Lieferwagen oder ein kleiner Schulbus. Den vorherrschenden Traditionen in der Luft- und Raumfahrt entsprechend durften bei diesen Satelliten keine Kosten gescheut werden, denn sie sollten zehn bis 20 Jahre lang ihre Aufgabe erfüllen und mussten in dieser Zeit die rauen Bedingungen des Fluges durch das All überstehen. Daher konnte ein einziger Satellit eine Milliarde Dollar oder mehr kosten.
In den Jahren 2020 bis 2022 geschah etwas Erstaunliches: Die Zahl der Satelliten verdoppelte sich auf 5000. In den nächsten zehn Jahren soll diese Zahl auf 50 000 bis 100 000 Satelliten ansteigen, je nachdem, welchen Unternehmensprognosen man Glauben schenkt. (Nehmen Sie sich mal einen Moment Zeit und lassen Sie diese Zahlen ein wenig in Ihrem Kopf herumschwirren.) Eine Handvoll Länder und Unternehmen, darunter SpaceX und Amazon, wollen Zehntausende von Satelliten installieren, um weltraumgestützte Internetsysteme zu schaffen. Die Satelliten sollen Hochgeschwindigkeits-Internetdienste für die 3,5 Milliarden Menschen bereitstellen, die heute noch nicht über Glasfaserkabel erreichbar sind. Darüber hinaus sollen sie den Globus mit einem ständig präsenten Internet-Herzschlag überziehen, der es Drohnen, Autos, Flugzeugen und allen Arten von Computergeräten und Sensoren ermöglicht, Daten zu senden und zu empfangen, egal wo sie sich befinden.
Über das Internet im Weltraum hinaus gibt es bereits Hunderte von Satelliten, die die Erde umkreisen und fast stündlich Bilder und Videos von allem aufnehmen, was unten auf der Erde passiert. Im Gegensatz zu den bisherigen Spionagesatelliten, die ihre Bilder an Regierungen liefern, gehören diese neuen Bildsatelliten jungen Start-up-Unternehmen, die es fast jedem ermöglichen, die von ihnen aufgenommenen Bilder zu kaufen. Organisationen haben damit begonnen, Zehntausende von Bildern zu sammeln und zu analysieren, um sowohl politische als auch kommerzielle Erkenntnisse zu gewinnen. Sie bewerten Dinge wie die militärischen Aktivitäten Nordkoreas und den Umfang der Ölförderung in China, wie viele Menschen zu Schulbeginn bei Walmart einkaufen und wie schnell der Regenwald im Amazonasgebiet abgeholzt wird. Die Satelliten, die mit KI-Software bestückt sind, können die Gesamtheit der menschlichen Aktivitäten überwachen. Sie sind vergleichbar mit einem Buchführungssystem, das die Erde in Echtzeit erfasst.
Das liegt vor allem daran, dass die Satelliten kleiner und kostengünstiger sind als je zuvor, was wiederum auf die Weiterentwicklung der Elektronik und der Computertechnik zurückzuführen ist, die wir in anderen Bereichen des Lebens und der Wirtschaft beobachten können. Statt einer Milliarde Dollar pro Stück kosten die neuen Satelliten zwischen 100 000 und ein paar Millionen Dollar. Sie sind so groß wie ein Kartenspiel, ein Schuhkarton oder, sagen wir, ein Kühlschrank. Sie sind häufig so konzipiert, dass sie in einer Gruppe eingesetzt werden oder, wie die Branche es nennt, eine »Satellitenkonstellation« bilden, die nur drei oder vier Jahre im Weltraum bleibt, bevor all diese Satelliten die Umlaufbahn verlassen und beim Wiedereintritt in die Erdatmosphäre verglühen. Aufgrund ihrer niedrigen Kosten können es sich die Satellitenunternehmen leisten, ständig neue Satelliten in den Weltraum zu schicken und alte Geräte durch modernste Technologie zu ersetzen, anstatt zu versuchen, aus etwas, das zehn oder 20 Jahre alt ist, mehr Leistung herauszuholen. Das bedeutet auch, dass es sich mehr Unternehmen als je zuvor leisten können, im Weltraum aktiv zu werden, sei es im Bereich der Kommunikation, der Bilderfassung, der Wissenschaft oder einer anderen Anwendung. Infolgedessen stehen jetzt Hunderte von Satelliten-Start-ups in den Startlöchern und hoffen, mit der ihnen eigenen Kühnheit in die erdnahe Umlaufbahn vorzudringen.
In einem Jahr werden typischerweise etwa 100 Raketen in die Umlaufbahn gebracht, um Nutzlasten abzusetzen. Etwa drei Viertel der Starts entfallen auf China, Russland und die Vereinigten Staaten, der Rest auf Europa, Indien und Japan. Aber nichts ist mehr verlässlich oder typisch, wenn es um die Raumfahrt geht, und es gibt einfach nicht genug Raketen, um die Nachfrage all der Unternehmen und Regierungen zu befriedigen, die diese Zehntausende von Satelliten in den Orbit befördern wollen.
Aus diesem Grund sind in den letzten Jahren etwa 100 Raketen-Start-ups entstanden, die darauf hoffen, so etwas wie der FedEx des Weltraums zu werden. Diese jungen Unternehmen haben meist radikale Ideen: Sie sind nicht daran interessiert, große Raketen zu bauen, die zwischen 60 und 300 Millionen Dollar pro Start kosten. Und sie wollen auch nicht nur einmal im Monat starten, wie es bei den traditionellen Herstellern von Raketen üblich ist. Stattdessen planen sie den Bau kleinerer Raketen, die zwischen einer und 15 Millionen Dollar pro Start kosten und wöchentlich, wenn nicht sogar täglich starten können. (Die radikalste Idee ist ein Raumfahrt-Katapult, das für 250 000 Dollar pro Start Raketen in den Orbit schleudern könnte, und zwar achtmal am Tag. Einige sehr kluge Leute sind der Überzeugung, dass dies ein seriöser Ansatz ist.)
Die Falcon 1 war ursprünglich auch als eine Art FedEx-Rakete gedacht. Aber nicht lange nach dem ersten erfolgreichen Start im Jahr 2008 beschloss Musk, keine kleinen Raketen mehr zu bauen und seine Ressourcen und Energie auf größere Modelle zu konzentrieren. Damals, im Jahr 2008, machte diese Strategie in jeder Hinsicht Sinn. Damals gab es nicht so viele Kleinsatelliten, und SpaceX musste mit dem Start großer Satelliten für Regierungen und Kommunikationsunternehmen ausreichend Geld verdienen, um überhaupt zu bestehen. Darüber hinaus bestand Musks langfristiger Plan darin, Menschen in den Weltraum zu bringen und sie dann mit Tausenden von Tonnen Material zum Mars zu befördern. Beide Vorhaben ließen sich mit einer kleinen Rakete nicht verwirklichen.
In die Lücke, die das Ende der Falcon 1 hinterließ, stürzten sich die Raketen-Start-ups in der Annahme, dass die Zeit gekommen sei für günstige Raketen, die nach Belieben abgefeuert werden können. Das Unternehmen, das diese Ansicht wohl am besten bewahrheitet hat, ist Rocket Lab, das von Peter Beck in Auckland in Neuseeland gegründet wurde. Beck geht weder mit berühmten Schauspielerinnen aus, noch hat er ein Unternehmen für Elektroautos oder postet verwegene Sprüche auf Twitter. Dennoch ist seine Geschichte ebenso bemerkenswert und unglaublich wie die von Musk. Er ist Autodidakt, ein Raketenwissenschaftler, der nie studiert hat und dem es dennoch irgendwie gelungen ist, in Neuseeland, das keine Luft- und Raumfahrtindustrie hat, auf die er sich stützen könnte, ein Raketenunternehmen aufzubauen. Rocket Lab begann 2017 mit dem Start seiner komplett schwarzen, 17 Meter hohen Electron-Rakete und war schon im Jahr 2020 regelmäßig im Einsatz. Damit ist Rocket Lab neben SpaceX das einzige private Unternehmen, das regelmäßig für zahlende Kunden Satelliten in die Umlaufbahn bringt.
Unzählige andere kleine Raketenfirmen wollen sich dem Hype anschließen. Die meisten von ihnen sind personell und finanziell völlig unterbesetzt und werden von Hobby-Raketenbauern betrieben, die etwas Großartiges erreichen wollen. Doch nur etwa zehn von ihnen sind ernst zu nehmen und haben tatsächlich eine Chance, in den Raketenmarkt einzusteigen. Einige von ihnen haben ihren Sitz in den Vereinigten Staaten, andere in Australien, Europa und Asien. Musk und später Beck brachten die Idee auf den Weg, dass jeder, der klug und unerschütterlich genug ist, nahezu an jedem Ort der Welt eine Rakete bauen kann.
Zweifellos haben die Unternehmen, die kleinere Raketen herstellen, ein gravierendes Problem: Sie können einfach nicht viel Fracht ins All befördern. Wenn man eine 60 Millionen Dollar teure SpaceX-Rakete mit Hunderten oder Tausenden von kleinen Satelliten belädt, bringt sie diese auf einmal ins All, und das zu geringeren Kosten pro Kilogramm als eine billigere, kleinere Rakete. (Man denke nur an einen einzigen Sattelzug mit 18 Rädern im Vergleich zu Dutzenden von Minivans.) Die kleineren Raketenhersteller setzen darauf, dass viele, viele Unternehmen und Regierungen viel mehr Objekte viel häufiger in den Weltraum schicken werden, wenn sie wissen, dass immer eine preiswerte Rakete verfügbar ist. Anstatt sich 18 Monate im Voraus um einen Platz in der Startliste von SpaceX bewerben zu müssen, können sie einfach auf die Website von Rocket Lab gehen und einen Flug buchen, der innerhalb weniger Wochen starten kann. Sobald die Menschen wissen, dass sie sich auf ein solches System verlassen können, werden sich die wirtschaftlichen Bedingungen im erdnahen Orbit dramatisch verändern. Die zugrunde liegende Infrastruktur wird sich von einem Kampf um den Zugang zu ein paar Routen in etwas verwandeln, das dem Massentransport sehr viel näher kommt.
Noch im Jahr 2008 flossen kaum Investitionsgelder in private Raumfahrtunternehmen. Musk und Bezos mit seinem Start-up Blue Origin waren die wichtigsten privaten Raketenbetreiber, und es gab nur sehr wenige Satelliten-Start-ups. In den letzten zehn Jahren sind jedoch Dutzende von Milliarden Dollar in die private Raumfahrtindustrie geflossen. Dabei hat sich der Übergang von Regierungen zu Milliardären und dann zu Risikokapitalgebern ganz folgerichtig vollzogen. Um eine Idee im Weltraum auszuprobieren, bedarf es nicht mehr der Zustimmung des Kongresses oder eines verrückten Träumers, der bereit ist, sein persönliches Vermögen zu riskieren: Es genügt, wenn sich ein paar Leute in einem Raum darauf einigen, dass sie bereit sind, das Geld eines anderen für ein großes Risiko auszugeben.
Die Zukunft, an der all diese Weltraumfanatiker bereits arbeiten, ist eine Zukunft, in der jeden Tag viele Raketen abheben werden. Diese Raketen werden Tausende von Satelliten tragen, die nicht allzu weit über unseren Köpfen fliegen werden. Die Satelliten werden die Art und Weise, wie die Kommunikation auf der Erde funktioniert, verändern, indem sie zum Beispiel das Internet allgegenwärtig machen, mit allem Positiven und Negativen, das dies mit sich bringt. Die Satelliten werden auch die Erde auf bisher nicht vorstellbare Weise beobachten und analysieren. Die Datenzentren, die das Leben auf unserem Planeten maßgeblich bestimmt haben, werden in die Umlaufbahn gebracht. Wir bauen sozusagen eine Computerhülle um unseren Planeten.
Obwohl sich dieser Prozess schon seit Jahrzehnten abzeichnet, ist das Tempo, mit dem er sich in den letzten Jahren vollzogen hat, atemberaubend und sowohl inspirierend als auch beunruhigend. Die Personen, die hinter der jüngsten Raumfahrtbewegung stehen, ähneln selten ihren behäbigen bürokratischen Vorgängern. Bei den Raketen-Start-ups findet man zum Beispiel eher einen Schweißer, der früher auf Ölbohrtürmen gearbeitet hat, oder einen Motorenbauer für Formel-1-Rennwagen als jemanden, der am MIT eine Doktorarbeit in Astrophysik geschrieben hat. Sicher, diese Leute bauen Raketen, die Fracht in die Umlaufbahn befördern sollen, aber in gewisser Weise bauen sie das Äquivalent zu privatisierten ballistischen Interkontinentalraketen, und sie bieten ihre Dienste momentan dem Meistbietenden an. Es ist der Wilde Westen der Raumfahrttechnik. Inzwischen haben wir draußen im Satellitenland bereits gesehen, wie mindestens ein Unternehmen seine Fracht auf eine Rakete gepackt und in die Umlaufbahn geschickt hat, ohne die üblichen behördlichen Genehmigungen einzuholen. Frei nach dem Motto: Es ist besser, seine Fracht schnell in den Weltraum zu bringen, wenn man sich einen Platz in der erdnahen Umlaufbahn sichern will – danach kann man immer noch um Entschuldigung bitten.
Auch die Rhetorik hat sich in Bezug auf den Weltraum rasant verändert. Früher gaben die Staaten Milliarden und Abermilliarden von Dollar aus, um die Fähigkeiten ihrer Wissenschaftler unter Beweis zu stellen und die Sicherheit ihrer Bürger zu gewährleisten. Aktivitäten im Weltraum waren mit Nationalismus und Patriotismus verknüpft. Als Milliardäre wie Musk und Bezos auf den Plan traten, propagierten sie den Zugang zum Weltraum als edles, notwendiges Ziel, das das Schicksal der Menschheit bestimmen würde. Sie vertraten die Auffassung, dass wir von Natur aus Entdecker sind und dass wir in allen Menschen Optimismus auslösen, wenn wir unsere Intelligenz und Technologie bis an die Grenzen ausreizen und ins Unbekannte vordringen, und sei es nur, um das Überleben und Gedeihen unserer Spezies zu sichern. Natürlich fließen dieselben Beweggründe in die neue Arbeit im Weltraum ein, aber es gibt auch deutlich weniger hehre Motive. Das unaufhörliche Streben des Silicon Valley nach Reichtum, Kontrolle und Macht erfährt im wahrsten Sinne des Wortes neue Höhen. Um die Dinge auf den Punkt zu bringen: Der Weltraum, der uns umgibt, ist zu einem Eldorado für Geschäfte geworden. Die Eroberung des Himmels ist der Goldrausch des 21. Jahrhunderts und darüber hinaus.
IN DEN LETZTEN PAAR JAHREN konnte ich die Entwicklung dieses besonderen Moments unserer gemeinsamen Geschichte hautnah beobachten. Eine Reise, die damit begann, dass ich den Geschicken von Musk und SpaceX folgte, hat mich nach Kalifornien, Texas, Alaska, Neuseeland, in die Ukraine, nach Indien, England, Spitzbergen und Französisch-Guayana geführt und mich in Räume gebracht, die Reporter normalerweise nicht betreten dürfen. Ich habe lange Nächte in schmutzigen Lagerhallen mit Ingenieuren ausgeharrt, die versuchten, ihre Raketentriebwerke zum ersten Mal zu zünden, und ich habe ruhmreiche Raketenstarts im südamerikanischen Dschungel erlebt. Von Privatjets über Kommunen zu bewaffneten Bodyguards, von Halluzinogenen und einem Trupp männlicher Stripper zu dem verrottenden Kadaverrest eines Wals, der in einer Badewanne lag, von Spionagevorwürfen und Razzien des FBI bis hin zu Space-Hippies und Multimillionären, die sich volllaufen ließen, um den Schmerz zu betäuben, während ihr Vermögen dahinschmolz, habe ich alles erlebt.
In diesem Buch habe ich versucht, Sie mitten ins Geschehen zu versetzen, zu zeigen, wie Menschen auf der ganzen Welt von einer großen neuen Herausforderung besessen sind. Die Geschichte folgt vier Unternehmen – Planet Labs, Rocket Lab, Astra und Firefly Aerospace – auf ihren Missionen, neue Arten von Satelliten und Raketen zu bauen. Die Unternehmen, ihre Führungskräfte und Ingenieure befinden sich in einer unbekannten Welt, die den Anfängen des Personal Computers oder des Internets nicht unähnlich ist. Sie spüren, dass etwas Fantastisches in greifbarer Nähe ist und dass sie die Chance haben, die Zukunft mitzugestalten.
Viele der Geschichten, die dahinterstecken, sind inspirierend. Planet zum Beispiel hat die Raumfahrttechnologie und die Ökonomie in der erdnahen Umlaufbahn auf ebenso dramatische Weise verändert wie SpaceX. Inzwischen gibt es Menschen wie Brigadegeneral Pete Worden, der lange vor Elon Musk auf der Bildfläche erschien und im Hintergrund arbeitete, um diese Revolution in Gang zu setzen. Es gibt Idealisten und Weltverbesserer und sehr kluge Menschen, die außergewöhnliche Dinge tun. Einige der Protagonisten haben sich auf eine wahre Odyssee begeben und enorme Hindernisse überwunden. Ich möchte Sie jedoch warnen, dass nicht alles gut ausgeht für unsere Hauptakteure. Auf dem Weg dorthin begegnen wir nicht wenigen Situationen, die mal komisch, mal tragisch, mal beides zugleich sind. Die Geschichten in diesem Buch versuchen, den spektakulären Wahnsinn des Ganzen wiederzugeben.
Und es ist Wahnsinn. Denn sosehr ich auch der Ansicht bin, dass sich die Raumfahrt zu einem echten Wirtschaftszweig entwickelt, bleibt sie doch einzigartig im Hinblick auf die Aktivitäten, mit denen die Menschen Geld verdienen. Der Weltraum ist geprägt von jahrhundertealter Mythologie und Vorstellungskraft. Die Falcon 1 auf Kwajalein ähnelte einem Totem, weil sie ein Totem war – eine prometheische Röhre voller Feuer, die den Kern des menschlichen Ehrgeizes ansprach. Selbst der zynischste Schweißer, der behauptet, er arbeite nur wegen des Lohnes bis zwei Uhr morgens, schwelgt in der Vorstellung, eines Tages seinen Freunden erzählen zu können, dass er zu etwas beigetragen hat: nämlich etwas in die große Leere zu setzen, die über uns allen schwebt. Die Chefingenieure, die CEOs, die reichen Investoren sehen sich selbst als Abenteurer. Sie gehen unglaubliche Risiken ein, um jedes Hindernis zu überwinden, das sich ihnen in den Weg stellt – um die Physik selbst zu überwinden und um zu beweisen, dass selbst der Planet Erde ihren Willen nicht bremsen kann. Auf einer elementaren inneren Ebene wollen sie etwas erobern. Auf einer abstrakteren Ebene erlaubt es der Weltraum den Menschen, sich als Teil einer zeitlosen Geschichte zu begreifen und ihr Glück in der Unendlichkeit zu suchen.
Ich bin inzwischen zu der Ansicht gelangt, dass die aktuelle Entwicklung der Raumfahrtindustrie von einer Art gemeinsamem Trugbild angetrieben wird. Wenn man die Leute in ruhigen Momenten fragt, ob all die Raketen und Satelliten Sinn machen oder ob ihre Unternehmen eines Tages Gewinn abwerfen werden, gestehen sie manchmal, dass niemand wirklich weiß, ob irgendetwas von diesem Kram funktionieren wird. Dennoch fließen weiterhin viele Milliarden Dollar, und manche der neuen unternehmerischen Vorhaben muten noch seltsamer an, als sie es schon früher taten. Idealismus, Leidenschaft, Erfindungsgeist, Ego, Gier: Die üblichen Verdächtigen sind alle am Start und bestimmen jegliches Handeln. Aber das gilt auch für das allem zugrunde liegende Credo, das die große Illusion vorantreibt: nicht zu viele Fragen stellen, nicht zu lange über die Konsequenzen nachdenken und sich nicht durch die Realität von seinen Hoffnungen und Träumen abbringen lassen. Schließlich geht es um den Weltraum. Am besten, man sagt sich einfach: »Scheiß drauf – F*** it! Lass uns diese Sache machen, was bleibt uns anderes übrig!?«
Als Robbie Schingler seine Reise nach Indien antrat, wollte er Geschichte schreiben.
Im Februar 2017 war er in Chennai gelandet, dieser chaotischen Millionenstadt an der Ostküste des Landes. Schingler, der auf die 40 zuging, hätte als typischer Tourist durchgehen können. Er hatte einen durchschnittlichen Körper, trug Jeans und ein kurzärmeliges Hemd, dazu eine Sonnenbrille auf seinem braunen Haarschopf. Nach seiner Ankunft checkte Schingler in ein schönes Hotel ein und versuchte, seinen Jetlag zu überwinden und sich an die örtlichen Gegebenheiten zu gewöhnen, indem er herumlief und sich ein paar Sehenswürdigkeiten anschaute. Die Hitze, die Luftfeuchtigkeit und die Reizüberflutung in Chennai sind jedoch gewaltig: Nur wenige Schritte jenseits des Hotelgeländes wimmelte es von Menschen, die ihren alltäglichen Aufgaben nachgingen, Tuk-Tuks rasten vorbei, und Farben, Gerüche und Geräusche übermannten ihn in unerbittlichen Wellen. Nach dem Spaziergang erlag Schingler seinem Jetlag und machte ein Nickerchen.
Sich an diesem 13. Februar schlafen zu legen, fand ich schon beeindruckend. Schingler war Mitbegründer eines Unternehmens namens Planet Labs, das Satelliten baute. In zwei Tagen sollten 88 der schuhkartongroßen Geräte an Bord einer indischen Rakete, dem sogenannten Polar Satellite Launch Vehicle (PSLV), in die Umlaufbahn geschossen werden. Neben den Satelliten von Planet sollten 16 weitere Satelliten von Universitäten, Start-ups und Forschungsgruppen in die Umlaufbahn gebracht werden. Nie zuvor hatte eine Rakete mehr als 104 Satelliten in den Weltraum befördert, und die indische Presse berichtete von dem bevorstehenden und rekordverdächtigen Ereignis mit großem Nationalstolz.
Auch wenn es schön ist, Rekorde aufzustellen, tatsächlich stand die Existenz von Planet als Unternehmen auf dem Spiel. Die 2010 gegründete Firma hatte sich vorgenommen, sowohl die Satellitenindustrie als auch unser Verständnis der Erde zu revolutionieren. Die von Planet gebauten Satelliten sind im Grunde genommen Kameras, die uns umkreisen und ständig Bilder von dem aufnehmen, was auf der Erde vor sich geht. Wesentlich größere und teurere Versionen dieser Bildaufnahmesatelliten gab es bereits seit Jahrzehnten. Aber es gab nicht viele von ihnen, und die Orte, die sie beobachten konnten, waren begrenzt. Außerdem gingen die Bilder, die sie produzierten, in der Regel zuerst an Regierungen oder das Militär und dann an eine kleine Anzahl von Unternehmen, die es sich leisten konnten, sie käuflich zu erwerben.
Die zentrale Idee von Planet war, viele kleinere, billigere Satelliten zu bauen und sie zu einer Satellitenkonstellation zu formieren. Indem Hunderte von Satelliten die Erde in einem bestimmten Muster umkreisen, könnte Planet jeden Tag Bilder von jedem Punkt der Erde aufnehmen. Eine solche technologische Errungenschaft wäre von enormer Tragweite. Fotos von den Aktivitäten auf der Erde wären nicht mehr rar und würden nicht mehr nur von wenigen angeboten und gekauft. Stattdessen würde Planet eine ständige Aufzeichnung von allem, was auf der Erde passiert, erstellen und die Fotos über einen Online-Dienst anbieten, den jeder nutzen könnte. Ob Fotos von einem Truppenaufmarsch auf der Krim, von Frachtschiffen, die über den Ozean fahren, von Hochhäusern in Shenzhen oder sogar von Raketentests in Nordkorea – Planet würde gegen eine geringe Gebühr und zum sofortigen Herunterladen Bilder von diesen alltäglichen Vorgängen zur Verfügung stellen.
Das klingt nach der Welt von Spionage und Geheimdienstinformationen, und sicherlich würde eine solche Konstellation für derartige Aktivitäten genutzt werden können. Aber Schingler und seine Mitbegründer, Will Marshall und Chris Boshuizen, waren eine Mischung aus Weltraum-Nerds und Space-Hippies. In ihrer Vorstellung würden ihre Satelliten eine positive Wirkung haben. Die Menschen könnten die von den Geräten erzeugten Bilder nutzen, um Regenwälder zu überwachen, den Methan- und Kohlendioxidgehalt in der Atmosphäre zu bestimmen und die Flüchtlingsströme in Kriegsregionen zu verfolgen. Wenn die Satelliten für nachrichtendienstliche Zwecke benutzt würden, dann hoffentlich, um die objektive Faktenlage über einen Waffentest oder eine Umweltkatastrophe zu ermitteln und zu verhindern, dass eine Regierung versucht, den Vorfall zu vertuschen oder falsch darzustellen. Vor diesem Hintergrund beschloss Planet, seine Satelliten »Doves«, also Tauben, zu nennen.
Im Vorfeld des Raketenstarts im Jahr 2017 hatte Planet bereits Dutzende seiner Satelliten in die Umlaufbahn gebracht, um die grundlegenden Ideen hinter seiner These zu erproben und die dahinterstehende Technologie zu verbessern. Dieser Start würde die Konstellation vervollständigen und es möglich machen, zu jeder Zeit alles zu erfassen. Wenn die Geräte von Planet wie angekündigt funktionierten, würden sie mehrere wichtige Meilensteine setzen. Ein Start-up würde zum Betreiber der meisten Satelliten in der erdnahen Umlaufbahn werden, wodurch Planet neben SpaceX zum nächsten bedeutenden Player und Freigeist im »New Space«3 avancieren könnte. Das Unternehmen würde auch zeigen, dass kleine, billige Satelliten, die im Verbund arbeiten, den großen, teuren Maschinen, die die Branche seit jeher beherrschen, ebenbürtig oder sogar überlegen sind. Und der Weltraum würde auf eine Art und Weise demokratisiert werden, die zuvor als unvorstellbar galt. Jeder, der einen Computer besaß, könnte die Erde bis ins kleinste Detail untersuchen und die Gesamtheit der menschlichen Aktivitäten analysieren.
Als der nächste Tag anbrach, war an ein Nickerchen nicht mehr zu denken. Ein von der Regierung zur Verfügung gestellter Geländewagen holte Schingler am Morgen von seinem Hotel ab und begann die fast dreistündige Fahrt nach Norden zum Satish Dhawan Space Centre.
Unter den Raumfahrtnationen nimmt Indien einen Spitzenplatz ein. Das Land verfügt über ein enormes Potenzial an Ingenieuren, hinzu kommen die niedrigen Kosten für Arbeitslöhne. Dies macht die Trägerrakete PSLV, das Arbeitspferd des Landes, zu einer zuverlässigen und erschwinglichen Wahl sowohl für einheimische Satelliten als auch für solche, die von Indiens zahlreichen Partnerländern, einschließlich der USA, hergestellt werden. Jedes Jahr befördern etwa drei bis fünf PSLV-Raketen Fracht in die Umlaufbahn, wobei die Missionen von einer staatlich unterstützten Einrichtung, der Indian Space Research Organisation (ISRO), geleitet werden. Die Leistungen der ISRO werden im eigenen Land so sehr gelobt, dass ein Bild von Mangalyaan, dem ersten asiatischen Raumfahrzeug, das den Mars umkreist hat, auf der 2000-Rupien-Banknote zu finden ist.
Indien hat mehrere Startanlagen für Raketen, aber das Satish Dhawan Space Centre ist vielleicht die exotischste. Der Weltraumflughafen wurde 1971 auf der Insel Sriharikota im Golf von Bengalen eröffnet. Aus der Luft sieht Sriharikota aus wie eine Schlange, die gerade dabei ist, eine Ziege zu verdauen. Die Insel hat schmale Abschnitte am oberen und unteren Ende ihrer 27 Kilometer langen Küste und einen ausgedehnten Mittelteil mit einem Durchmesser von acht Kilometern. Um den Startkomplex von Chennai aus zu erreichen, fährt man auf einer Landstraße, auf der die reinste Anarchie herrscht, weil dort Schweine, Kühe, Sattelschlepper, Motorräder, Busse und Frauen mit Plastikeimern auf dem Kopf um einen Platz auf der Straße wetteifern. Schließlich biegt man von diesem Highway auf eine Nebenstraße ab, die zu einem Damm führt, der von Sümpfen, Salzwassertümpeln und Schlamm umgeben ist und von opportunistischer Vegetation überwuchert wird.
Jeder Raketenstartplatz, den ich je besucht habe, löst das gleiche Gefühl der Irritation aus. Das Gehirn schaltet in den Raketenmodus und erwartet, mit Bildern von glatten, futuristischen Objekten gefüttert zu werden. Schließlich ist man Zeuge der Homebase einer der höchsten wissenschaftlichen und technischen Errungenschaften der Menschheit. Die Startkomplexe sind jedoch eher roh und rau als top und tauglich. Das liegt vor allem daran, dass die Raumfahrtagenturen ihre Startrampen an abgelegenen Orten in Küstennähe platzieren, wo es weniger wahrscheinlich ist, dass verirrte Geschosse Menschen töten oder größere Schäden verursachen. Zudem wurden viele dieser Anlagen in den Anfangszeiten des Wettlaufs um die Raumfahrt gebaut und in den vergangenen Jahrzehnten nicht wesentlich modernisiert.
Als Schingler endlich ankam, wirkte das Satish Dhawan Space Centre eher wie eine heruntergekommene Disco als wie ein Science-Fiction-Traum. Er fuhr vor ein Sicherheitstor, wo ein paar Polizeibeamte nach den Ausweispapieren fragten. Anschließend forderten die Beamten alle Insassen auf, auszusteigen und ihre elektronischen Geräte wie Laptops und Mobiltelefone vorzulegen, und schrieben die Seriennummer jedes Geräts von Hand in ein Verzeichnis. Ein Mangobaum spendete während der langwierigen Prozedur Schatten, während ein paar weiße Kühe nach Herzenslust auf dem Grundstück herumstreunten. Nach dieser Überprüfung wurde Schingler in ein nahe gelegenes zweites Büro geschickt, um einige Anmeldedokumente in Empfang zu nehmen. Dort hingen Glühbirnen an frei liegenden Kabelbündeln von der Decke, und vergilbte Poster von Raketen und Wissenschaftlern waren wahllos an die Wände geheftet. Zwei barfüßige Angestellte erhoben sich von ihren Schreibtischen, nahmen Schinglers Unterlagen entgegen und kehrten eine Weile später mit seiner Zugangsberechtigung zurück.
Nachdem Schingler sein Gepäck in einer Art Schlafsaal abgestellt hatte, kamen einige hochrangige Beamte der ISRO vorbei, um ihn über den Rest seines Ausfluges zu informieren. Da er viele Millionen Dollar für einen Raketenstart bezahlt hatte, wurde ihm eine große Tour geboten, die einen Besuch direkt an der Rakete und einen Blick in das Kontrollzentrum beinhaltete. An jedem Halt hatte die ISRO ein Stück des dichten Tropenwaldes gerodet, um Platz für ihre Gebäude zu schaffen. Während der gesamten Fahrt konnte man die Geräusche von Affen hören, die zwischen den Bäumen herumturnten, und gelegentlich musste das Regierungsfahrzeug anhalten und warten, bis eine oder zwei Kühe die Straße überquert hatten.
Am Abend vor dem Start gab es nicht viel zu tun, außer zu warten. Ein paar Mitarbeiter von Planet waren nach Indien gekommen, um den Start von außerhalb des Komplexes zu beobachten, da sie das Gelände des Raumfahrtzentrums nicht betreten durften. Es gelang ihnen, zu Ehren der Satelliten 88 Ganesha-Figuren zu erwerben, und sie riefen Schingler an, um ihn über ihren Kauf zu informieren. Schingler hoffte, dass die kleinen Skulpturen der hinduistischen Gottheit der Weisheit, der Wissenschaften und der Künste ihm Glück bringen würden.
Am Morgen des Starts verstärkte Schingler seine Bemühungen, das Karma von Planet positiv zu beeinflussen. Er wachte vor Sonnenaufgang auf, frühstückte in einer Cafeteria und ging dann zu einem Tempel in der Nähe der Unterkunft. Er meditierte und betete. Planet hatte bei früheren Starts besonders viel Pech gehabt, als seine Satelliten zerstört wurden, nachdem erst eine Antares-Rakete und dann eine SpaceX-Rakete explodiert war. Ironischerweise bestätigten diese Explosionen den Ansatz von Planet bei der Satellitenherstellung: Da das Unternehmen viele kleine, billige Satelliten herstellte, konnte es sich leisten, sie hin und wieder zu verlieren. Frühere Unternehmen, die oft ein Jahrzehnt dafür aufbringen mussten, eine einzige, 500-Millionen-Dollar teure Rakete zu konstruieren, konnten das nicht von sich behaupten. Dennoch wäre der Verlust von 88 Satelliten auf einen Schlag ein furchtbares Szenario. Es würde das Bestreben von Planet, schneller voranzukommen, beträchtlich erschweren.