Die Fahnen - Miroslav Krleža - E-Book

Die Fahnen E-Book

Miroslav Krleža

4,8

Beschreibung

Ein Jahrhundert vor unserem literarischen Auge. Das epochale Werk des Meisters der Erzählung Südosteuropas liegt nun endlich in einer mustergültigen, gewissenhaften Übersetzung von Gero Fischer und Silvija Hinzmann vor. Die Fahnen zeigen ein Kaleidoskop der europäischen Geistes- und Kulturgeschichte, das Krleža zu einem großen europäischen Schriftsteller des 20. Jahrhunderts macht. Ina Jun-Broda rief mich 1978 zu sich. Sie redete auf mich ein: "Die Fahnen, die müssen Sie verlegen." Ich, jung, unerfahren, wurde von der Dicke des Romans fast erschlagen. Fünf Bände, 3000 Seiten. Mein verlegerisches Leben hatte erst begonnen. 1979 erzählte mir Ina Jun-Broda, die legendäre Übersetzerin aus den jugoslawischen Sprachen, von ihrem Gespräch mit Miroslav Krleža: "Für eine deutschsprachige Übersetzung kürze ich Ihnen Die Fahnen ein. Auf 800 Seiten. Weniger geht nicht. Und Sie übersetzen das!" Krleža stirbt Ende 1981, Ina folgt bald danach (August 1983). Krieg und Frieden. Europa zerfällt. Zwischen Wien und Zagreb, Budapest und Belgrad – quer durch Musils Kakanien. Die letzten Tage der Menschheit brechen an. Züge rasen hin und her. Politik, Wirtschaft, Regierungen, Beziehungen und Familien zerbrechen. In seinem umfangreichsten Werk, dem ab 1962 veröffentlichten fünfbändigen Roman Die Fahnen (Zastave), der in den Jahren 1912 bis 1922 spielt und jetzt erstmals in einer deutschen Übersetzung vorliegt, zeichnet Krleža ein Panorama von der geistesgeschichtlichen und politischen Situation Europas zu Beginn des 20. Jahrhunderts. Das Schicksal von Bürgern, Aristokraten, Politikern, Ministern, Bürokraten, Generälen, Kriegsgewinnlern und Träumern, die ganze Galerie der ungarischen, kroatischen und serbischen Intelligenz – steht im Vordergrund dieser Chronik. Kriegsereignisse und Liebesbeziehungen werden miteinander verwoben.

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KRLEŽA • DIE FAHNEN

MIROSLAV KRLEŽA

Die Fahnen

Band 1

Übersetzung aus dem KroatischenSilvija Hinzmann

Die Übertragung dieses Werkes ins Deutschewurde zum Teil vom Kulturministeriumder Republik Kroatien gefördert.

Der Verlag bedankt sich überdies sehr herzlichfür die Übernahme der Patenschaften durchdie STRABAG AG, die Ithuba Capital AG, Radio Agoraund den Abgeordneten zum Europaparlament Eugen Freundund freut sich mit ihnen auf zahlreiche Leserinnen und Leser!

Titel des Originals:

Miroslav Krleža: Zastave, Knjige 1–5.Übersetzung nach der Ausgabe beiOslobođenje, Sarajevo 1979.Copyright © Hrvatska akademija znanosti iumjetnosti, Zagreb, vertreten durch dieHRVATSKA AUTORSKA AGENCIJA –Centar za intelektualno vlasništvo d.o.o.,Zagreb, Kroatien.

A-9020 Klagenfurt/Celovec, 8.-Mai-Straße 12Tel. + 43(0)463 37036, Fax + 43(0)463 [email protected]

Copyright © der deutschsprachigen Ausgabe 2016bei Wieser Verlag GmbH, Klagenfurt/CelovecLektorat: Gerhard MaierhoferISBN 978-3-99047-072-5

Inhalt

Audienz beim ungarischen Ministerpräsidenten

Joja nach Glina und Kamilo ins Hungaricum

Der Tod der Hochwohlgeborenen

Im Schatten von Mutters Totenbahre

Auf der Rückfahrt

Mittagsmahl zu Ehren von Herrn Minister Stevan Mihailović Gruić

Anmerkungen*

* Die Anmerkungen in den Romanbänden und der Glossarband wurden vom Übersetzer und vom Verlagslektorat zum besseren Verständnis des Textes angefügt. Das Original enthält zahlreiche deutschsprachige Textpassagen. Sie wurden nicht besonders hervorgehoben. Hinweise zur Aussprache kroatischer, polnischer und ungarischer Namen siehe S. 6.

Aussprache kroatischer Namen und Wörter

c

: wie z in »Zeit«

č

: wie tsch in »deutsch«

ć

: weicher als tsch

: wie j in engl. »John«

đ

: weicher als dž

h

: wie ch in »Buch«

lj

: wie ital. gl in »figlio«

nj

: wie franz. gn in »cognac«

s

: stimmlos wie ß

š

: wie sch in »Schule«

v

: w wie in »Wein«

z

: stimmhaft wie in »See«

ž

: wie j in franz.: »jour«

Aussprache polnischer Namen

ł

: Jagiełłoński; ähnlich dem w in engl. »water«, »world«

ń

: Jagiełłoński; weiches n wie in »cognac«

ó

: Gródek; wie ein deutsches u

rz

: Przemyśl; nach p, t, k und ch stimmloses sch wie im deutschen »Schule«, sonst stimmhaftes sch wie g in »Garage«.

ś

: Przemyśl; ein Laut zwischen s und sz, der Ähnlichkeit mit dem deutschen ch in »Küche« hat.

Aussprache ungarischer Namen

á, é, ó, ó: Akzente markieren im Ungarischen lange Vokale bzw. Umlaute

cz

: Emericzi; gesprochen wie z

cs

: Pejacsevich; gesprochen wie tsch

ch

: Pejacsevich; am Wortende wie tsch

sz

: Adony-Pusztaszabolcs; wie stimmloses s (ß)

Audienz beim ungarischen Ministerpräsidenten

Durchlaucht, bitte untertänigst, Seine Exzellenz verlangt nach Ihnen, meldete sich im Stil des banschen Zeremoniells die Stimme des »dienstbeflissenen« Präsidialsekretärs Doktor Zlatko Šafranek Čavka am Telefon des Kabinetts der königlichen kroatisch-slawonisch-dalmatinischen politischen Provinzverwaltung im Arbeitskabinett des Herrn Präsidenten, des durchlauchten Herrn Doktor Emerički, Kamilo de Emericzi1, des ehemaligen langjährigen Sekretärs und Referenten des ungarisch-kroatischen Regnikolarausschusses, als Mitglied der königlichen Delegation des Kroatischen Sabor im gemeinsamen ungarisch-kroatischen Parlament in Budapest.

– Ich bin es, Emerički, bitte, deiner Gnaden untertänigster Diener, guten Morgen, Exzellenz, zu Diensten, bitte, meldete sich einen Moment später der Leiter der königlichen kroatisch-slawonisch-dalmatinischen Landesregierung, Durchlaucht Emerički bei seinem erlauchten Chef, dem Kommissar des Dreieinigen Königreichs, kaiserlich-königlichem Hofrat und Turopoljer »Kartoffelbaron«, mit dem Tonfall und nach der Art und Weise, wie sich die Beamtenseelen an Präsidialtelefonen »von unten nach oben« zu melden pflegen.

– Entschuldige, dass ich störe, mein Lieber, ich habe, nun ja, gerade mit Pešt gesprochen, Reviczky lässt fragen, ob es dir bekannt ist, bitte, wie die Dinge mit der Beschlagnahme des Artikels »Die saldokontistische Variation« im Agramer Tagblatt und in der Pokret vom vergangenen Samstag stehen.

– Bitte untertänigst, auswendig weiß ich das nicht, nicht wahr, aber bitte, im Prinzip, natürlich, ich erinnere mich, wir haben der Zensurstelle gesagt, sie solle ihn löschen, denn immerhin, Durchlaucht, nicht wahr, alles hat seine Grenzen, diese Schweinerei, eine Übersetzung aus dem Ungarischen, wurde lege artis beschlagnahmt, als Erster hat sie Supilo nachgedruckt, natürlich, völlig klar, und über Herrn Supilo hat ihr die Mailänder Presse breiteste Publizität gegeben, sodass die Unsrigen zu der Überzeugung kamen, dass es sich um eine agentprovocatorische Intrige aus der Fiumer Küche handelt, und so in etwa, bitte …

– Jaja, Emericzi, ich weiß, das ist in Ordnung, aber du siehst, oben in Pešt wurde dieser regnikolare Unsinn nicht beschlagnahmt, bitte, und jetzt bringt es die gesamte Pešter Morgenpresse als Skandal heraus, dass bei uns Dinge beschlagnahmt würden, die bei ihnen frei durchgingen, und dieser habe auch die Fiumer Zensur passiert, und Andrássy, Justh und Company haben sich natürlich unsere Zensur zunutze gemacht, und die Budapesti hírlap sowieso, bitte, so eine trägt keinen Schaden davon wie ein Dummkopf mit kurzen Ärmeln, und wir seien ohnehin die »Zartl« der Budapesti hírlap.2

– Die Budapesti hírlap, wieso, ich verstehe nicht.

– Auch die Budapesti hírlap hat eine Notiz veröffentlicht, dass dieser Skandal, dass in Kroatien ungarische Texte beschlagnahmt werden, als Beweis dafür spreche, dass die Dinge in Kroatien nicht in bester Ordnung seien, und so weiter, und warum wir ewige Papisten des Heiligen Vaters seien und warum wir uns immer wieder vor den Karren spannen ließen, diese Blamage haben wir nicht gebraucht, um Gottes willen.

– Ich bin perplex, ich, bitte schön, verstehe von alledem rein gar nichts.

– Auch mir, mein Lieber, ist das alles nicht klar, aber wenn wir uns schon entschlossen haben zu beschlagnahmen, hätte man wissen müssen, worum es sich handelt, nicht wahr?

– Ja, aber sind wir denn Schwarzkünstler, um vorauszusehen, ob die Budapesti hírlap mit dem linken oder mit dem rechten Fuß aufgestanden ist?

– Das nicht, aber bitte, nicht ich habe Reviczky angerufen, sondern die uns.

– Und warum haben die uns nicht angerufen und gesagt, dass die da oben liberale Kämpfer für die Pressefreiheit geworden sind?

– Tja, und jetzt haben sie uns am Telefon auch noch gefragt, wer Professor Ottokar und wer Koronai ist, und wieso wir nicht wüssten, dass der alte Jude Koronais Kreatur ist.

– Koronai ist ein homo aulicus, sozusagen mehr oder weniger ein belvederischer.

– Na ja, aber was kann ich da machen, auch die Arbeiter Zeitung hat dich an den Pranger gestellt! Diese Freimaurer bis hin zu Herrn Kunfi, alle zitieren deinen verfluchten regnikolaren Bandwurm, natürlich mit Kommentar, man weiß, auf wessen Rechnung, und jetzt stehen wir da wie begossene Pudel, nicht wahr, mein lieber Durchlaucht, na also, doch wir haben diesen Unsinn automatisch ohne Kommentar beschlagnahmt, und das Kabinett wundert sich, warum wir das nicht auch begründet haben, dann stünden wir heute nicht so deppert da.

– Verzeihung, möge mich deine Exzellenz pardonieren, bitte, aber da protestiere ich energisch, gut, ein Witz ist ein Witz, nicht wahr, aber in dieser Hinsicht halte ich mich streng an die Direktiven, gut, wenn wir es uns schon gefallen lassen müssen, dass man uns auf die Nase kackt, in Ordnung, ich bin dafür, aber dann sollte man bitte sagen, es war so und so.

– In Ordnung, mein Lieber, aber wer kennt sich da aus um diesen Hexenkessel herum, die gestrige Reichspost zitiert aus dieser regnikolaren Predigt einen ganzen Korb von Betrügereien in Millionenhöhe auf Rechnung von Kroatien, natürlich mit dem bekannten großösterreichisch-trialistischen Tenor, nach deren altem Rezept – Hungariam delendam, und sie hat sich natürlich auf unsere Kosten gesundgestoßen.

– Na also, du siehst, dass das alles ohne Sinn und Verstand ist, sind wir die Diener der Reichspost, Pardon, für unser Kriterium gibt es auch ein paar unserer Perspektiven auf diese Dinge, nicht wahr, im Übrigen, was geht das uns an, soll uns doch Reviczky mitteilen, worum es sich handelt, ich werde ihm antworten, das übersteigt alle Grenzen, was kümmert es uns, was die Reichspost zitiert und was nicht, nein, nein, ich bin intransingent, dieses Pamphlet ist eine solche Schweinerei, dass man es auch schon wegen unserer »Koalition« hätte beschlagnahmen müssen, sollen doch die Herrschaften sehen, dass sie nicht machen können, was sie wollen.

– Natürlich, mein Lieber, du sprichst von »Perspektiven«, versteht sich, Perspektiven sind stets schöne Dinge, aber, nun, die Wiener Kanzlei hat mich auch angerufen, man mutet einem Ondit zufolge zu, dass man irgendwo hinter den Kulissen, im Schatten der höchsten Stelle, diesen antiunionistischen Schweinereien wohlwollend geneigt wäre, ein belvederischer Beweis mehr, dass man im Belvedere die Arbeit unseres Herrn Grafen planmäßig beschädigt, denn der alte Fuchs Erdélyl hat ja auch keinen Korb mit Fliegenpilzen gegessen, Herr Koronai weiß, was er tut, natürlich, aber was soll ich da sagen, mi capisci, lieber amice, sapienti sat3, wo Koronai seine Finger drin hat, weiß man, dass da etwas im Busch ist.

– Von diesem Quiproquo4, bitte, wenn ich bemerken darf, verstehe ich kein einziges Wort.

– Na ja, wie man’s nimmt, das alles ist nicht gerade Metaphysik, wir sitzen so oder so in der Patsche.

– Aus einer Fliege einen Elefanten machen, ein alter fiskalischer Trick.

– Ich weiß nicht, mich würde eher interessieren, ob du überhaupt weißt, wovon die Rede ist. Hattest du den inkriminierten Text eigentlich in der Hand, denn bitte, wenn dir die Sache nicht präsent ist …

– Ich erinnere mich, ich habe den Entwurf des Beschlagnahmebeschlusses durchgesehen, den mir der junge Chavrak vorgelegt hat! Die ganze Sache wimmelt nur so von Verbalinjurien, wie üblich, der Ton ist ein wenig blasiert, gravaminales Gerede, ein Redeschwall gegen den ungarisch-kroatischen Ausgleich mit klischeehaften »finanziell selbstständigen« Invektiven, aber es gab da auch einige Phrasen über das Blut und Allusionen mit zweifellos hochverräterischen Provokationen, nein, nein, egal, ob es eine Übersetzung aus dem Ungarischen ist oder nicht, das hätte nach keinem Kriterium durchgelassen werden dürfen, ja, bei Gott, wir wissen, was wir tun, wir sind nicht von gestern.

– Das nicht, aber wir wissen Gott sei Dank, was ein politisches Ringelspiel ist, du genauso gut wie ich, mein Lieber, ich sage es noch einmal, sollen wir päpstlicher sein als der Papst, von welchem Kriterium ist da die Rede, das sind keine Gravamina, das ist eine solide finanzanalytische Retrospektive mit authentischen Zahlen aus erster Hand, und außerdem ist alles mit der eindeutigen Tendenz verfasst, dass die Zeit gekommen sei, die Dinge in Kroatien zum Status quo ante5 1868 zurückzuversetzen.

– Also gut, dann ist die Sache in Ordnung, wenn das so ist, und ich frage mich, warum, bitte untertänig, hätte man diese Schweinerei dann nicht beschlagnahmen sollen?

– Ich habe nicht gesagt, dass man sie nicht hätte beschlagnahmen sollen, aber man hätte wissen müssen, wie spät es ist.

– Und wo?

– Na, in Pešt.

– Und haben sie dir gemeldet, wie viel Uhr es dort ist?

– Nein, natürlich nicht, aber ich bin nicht derjenige, der für dieses Durcheinander verantwortlich ist, sondern du, amice, und wenn du ihn schon beschlagnahmt hast, dann frage ich dich, hast du wenigstens diesen verdammten Text in der Hand gehabt, ich meine diesen regnikolaren Blödsinn oder wie dieser dumme Verdruss heißt.

– Nein, das habe ich dir doch gesagt, in extenso nein!

– Dann, mein Lieber, nimm bitte den Text in extenso, und sei so gut, lies ihn genau durch, nicht wahr, und zwar Zeile für Zeile, bitte untertänigst, und außerdem, vielleicht würde es dich interessieren, wer der Autor des Textes ist, denn darin liegt ja die Pikanterie der Sache selbst, die mir Reviczky aufgetischt hat, und deshalb habe ich dich auch angerufen.

– Irgendeine Chiffre, ich erinnere mich nicht.

– Ja, eine Chiffre, ein einziger Buchstabe, der Buchstabe »Zet«, und weißt du auch, wer sich hinter diesem einzigen Buchstaben »Zet« verbirgt?

– Nein, ich habe keine Ahnung, aber schließlich ist das auch wurscht, wir sind auf keinem Maskenball, warum so mysteriös?

– Das ist nicht mysteriös, mein Lieber, sondern traurig!

– Also gut, ist es jemand aus der regnikolaren Umgebung?

– Ja, ja, aus der regnikolaren und präsidialen, aus unserer quasi engeren, familiären Umgebung, mein lieber Illustrissime, der Autor des Artikels ist nämlich dein Herr Sohn, der intimste Beziehungen zur Familie des Herrn »Soziologen« Erdélyi unterhält, genauer zu seiner Frau, und falls du detaillierte Informationen möchtest, das ist das Tratschthema bei den Leopoldstädter Jours fixes!

Durchlaucht Emerički blieb am anderen Ende der Leitung, man könnte sagen, erstaunlich gleichgültig. Dass der Autor des beschlagnahmten Artikels sein eigener Sohn war, überraschte ihn viel weniger als die Tatsache, dass der erlauchte »Kartoffelbaron« über seinen Einziggeborenen so frei redete, als handelte es sich um ein öffentliches Geheimnis. »Das heißt, diese kompromittierende Beziehung ist das wichtigste Tratschhema des gesamten Präsidiums, also schön schauen wir aus …«

– Was ist, mein Alter, entschuldige, aber so ist die Lage, meine Paulina ist aus Pešt zurückgekommen, und wir wissen ja, wie die Pešter sind, Madame Erdélyi ist eine nationale Größe.

– Ja, ich verstehe, aber »ein reines Herz, das ist’s, was wir uns vor Gott erbitten sollen«, dass mein Kamilo der Verfasser dieser Schweinerei ist, das, Exzellenz, kam mir nicht in den Sinn.

– Wieso kam es dir nicht in den Sinn, mein Lieber, wo diese Sache ausgerechnet in der Barjak6 abgedruckt wurde, und deswegen melde ich es dir ja, damit dich kein anderer damit erfreut, ich muss allerdings zugeben, dass ich persönlich, als es mir Reviczky heute Morgen am Telefon erzählte, nicht im Geringsten erstaunt war!

– Jaja, ihr alle um mich herum wisst das alles viel besser, nur ich bin der einzige Blinde unter euch.

– Das habe ich nicht gesagt, das Vaterherz kann blind sein, das ist keine Schande.

– Gut, ich frage dich, was kann man machen, wenn sich der Wahnsinnige ins Verderben stürzt, seine Liaison hat meine Hortensia zu Tode aufgeregt.

– Nun ja, was die galante Seite betrifft, gut, alles in Ehren, aber wenn sich der Bursche schon mit der Politik beschäftigt, sollte er trotzdem etwas mehr Rücksicht nehmen.

– Ich weiß nicht, er beschäftigt sich mit verschiedenen Dingen, die Politik verachtet er.

– »Er beschäftigt sich mit verschiedenen Dingen«, aber entschuldige, er politisiert dennoch! Ich glaube, dass er mit seinen »Variationen« Spott betreibt, das sind für ihn staatsrechtliche Witzeleien, aber ich weiß nicht, ob du unseren Disput in der »Englischen Königin« im letzten Herbst nach jenem Koalitionsbankett vergessen hast. Alles, was dein Bengel damals über Serbien deklamiert hat, jener Lobgesang auf die Königsmörder da unten, und so weiter, na, also, das alles war ja direkt herausfordernd, was hat er da nicht alles zusammengeplappert, jawohl, und ich hab mich gewundert, dass du überhaupt nicht reagiert hast, und deswegen, ich muss gestehen, all das nun, in der Barjak, entschuldige, ist für mich nicht die geringste Enthüllung. Entschuldige, ich weiß, dass dir mein Lamentieren nicht besonders angenehm ist, aber ich meine, dass es trotzdem besser ist, wenn du es von mir persönlich erfährst, und jetzt sei bitte so gut und schau dir das Meisterwerk deines Herrn Sohnes an, und noch etwas, nimm bitte die diesjährige Gesamtausgabe der Barjak, alle Artikelchen, die dort mit »Zeno« signiert sind, sind Produkte aus seiner Feder. Oben, in den freimaurerischen koronai’schen, um es so auszudrücken, Kreisen, hält man deinen jungen Herrn Sohn für die hoffnungsvollste politische Feder der ungarischen progressiven »Linken«, er ist, mein Bruder, eine Art Junius Hungaricus – in statu nascendi, und das ist für die Karriere keine quantité négligeable – durch dass Hintertürl, also, servus, nichts für ungut, mein Alter, ich bedaure, aber das musste dir gesagt werden, und noch so brühwarm, als man mir es servierte, mit gewisser schadenfroher Miene, so viel für diesmal, bei uns ist alles in Ordnung, als ob nichts geschehen wäre, melde dich, auf Wiedersehen, Handkuss der Gnädigen, und Paulina lässt euch beide grüßen, meldet euch, servus!

Es ist nicht das erste Mal, dass sich Satan bei Durchlaucht wegen seines Einziggeborenen meldet.

»Das Studium in Paris hat er abgebrochen, und jetzt, nach dem vierten Jurasemester in Pešt, ist er zu den Skribenten dissidiert, und dazu auch noch zu den politischen, er hat beschlossen, zur Kunstgeschichte zurückzukehren – ausgerechnet –, bei Dvořák in Wien, denn er will nicht mehr Jura studieren, der Herr ist des Rechts überdrüssig geworden, er will sich vermählen, und mit wem, mit irgendeiner alten Schachtel, die seine Schwiegermutter sein könnte, und er verlangt, dass ihm seine Mutter den Zdenčaj-Hof überschreibt, und wie man sieht, beschäftigt sich der Mann mit Politik, mit kompromittierendem Geschmiere, und zwar zur größten Freude seines generösen Vaters, der seit Jahren den Ausbruch dieser Paranoia befürchtet, die ihn früher oder später den Kopf kosten wird.«

Empört, voll schlimmer Ahnungen rief er Doktor Čavka an, damit er ihm unverzüglich den inkriminierten Text aus der letzten Nummer der Barjak bringt.

– Čavka (Durchlaucht nennt seinen Kabinettchef konsequent nur bei seinem Vogelnamen7, weil er ihm so irgendwie volkstümlicher klingt als das böhmische botanische Hypokoristikum – Šafránek), bitte geben Sie mir irgendeine Nummer von dieser Barjak von Erdélyi, ich meine die Pešter Zeitschrift Barjak.

– Das sind die Barjaci XX stoljeća8, Illustrissime, aber wir haben für die kein Abonnement mehr, Illustrissime, wir hatten es bis Neujahr, aber es wurde gekündigt.

– So, Čavka, und wer hat das Abonnement gekündigt, wenn ich fragen darf?

– Sie selbst, Durchlaucht, es habe keinen Sinn, Geld hinauszuwerfen, weil die Barjaci ohnehin in die Jurjevska geliefert würden, an Ihre Privatadresse, auf den Namen des jungen Herrn.

– Ja, ach ja, stimmt, natürlich, so ist es, na gut, ist mein Sohn der einzige Abonnent dieser Barjak bei uns, gibt es im ganzen Präsidium sonst keinen, der diesen Barjak liest, hat unsere Präsidialbibliothek die ungarischen Periodika nicht abonniert? Der Sabor auch nicht? Die Politische Verwaltung auch nicht? Na, also fabelhaft, da ist eins schöner als das andere, na gut, wenn es so ist, ist es so, wir sind ja Kroaten, also dann, ich bitte Sie, lieber Čavka, springen Sie zu mir hinüber, in meinem Kabinett, dort auf dem kleinen Tisch zwischen zwei Fenstern werden Sie die zitronengelb broschierten Gesamtausgaben finden, bringen Sie sie mir bitte, ich brauche diese Flaggen, und jetzt bitte, geben Sie mir die kroatische Übersetzung des Artikels »Die saldokontistische Variation« oder wie der noch heißt, ich meine jenen Text vom Samstag im Agramer Tagblatt oder in der Pokret, den Chavrak beschlagnahmt hat, Čavka, ich hoffe, dass das Präsidium wenigstens das hat, bitte also sofort, ich muss Seiner Exzellenz aus dieser beschlagnahmten Nummer vom Samstag etwas referieren, Reviczky hat von oben interveniert …

Den Text des inkriminierten Artikels »Die saldokontistische Variation zum regnikolaren Thema über einen königlichen Betrug« aus der beschlagnahmten Nummer der Pokret vom Samstag legte Doktor Zlatko Šafránek Čavka quasi im selben Moment auf Durchlauchts Tisch, entfernte sich lautlos, damit sich Durchlaucht in aller Ruhe dem Studium dieser höllischen Versuchung widmen konnte.

Während er spürte, wie sich seine Eingeweide zusammenzogen wie bei einem Mann, der kurz vor dem Sprung in einen gefährlichen Abgrund steht, ärgerte sich Durchlaucht über seine eigene hochgeschätzte Wenigkeit, wieso es ihm zum Teufel nicht in den Sinn gekommen war, dass der Autor dieser frechen Epistel sein Sohn ist, wo er doch schon seit einem Jahr gewusst hat, dass der junge Herr ein Mitarbeiter dieser schrecklichen Koronaier Barjaci ist, und dass es sich um die Feder seines Herrn Sohnes handelte, daran konnte man vom ersten Satz dieser Philippika an wirklich nicht mehr zweifeln.

Es geht um den »Ausgleich«, das heißt um den sogenannten ungarisch-kroatischen »Kompromiss« aus dem Jahre 1868, über den schon seit mehr als vier Jahrzehnten methodisch nach staatsbildendem Plan gelogen wird.

»Natürlich, es wird methodisch gelogen, dass der Ausgleich ›die Quelle aller kroatischen Sorgen‹ ist, wir kennen es auswendig, ›ein granitfester Garant unserer nationalen Zukunft und das einzige Pfand der historischen Vergangenheit‹, der Junge beginnt gleich in der zweiten Präambel seine bekannten Ideen über ›Blamagen, räuberische Steuern, ungarische Grafen und ihre livrierte Dienerschaft am Markusplatz und so weiter, und so weiter …‹ zu entwickeln.«

Es ist bekannt, dass nach dem Vorbild des österreichisch-ungarischen »Kompromisses« von 1867 ein Jahr später, anno 1868, die Variante des kroatisch-ungarischen »Kompromisses« unter besonderen politischen und strategischen Umständen unterzeichnet wurde: Nach der Blamage der österreichischen kaiserlichen Armee bei Königgrätz, unter Donnerschlägen der preußischen Kanonen, im Feuer und Rauch des Schießpulvers, in der wenig beneidenswerten Rolle der Schiffbrüchigen, blieb Habsburg nichts anderes übrig, als sich unter die ungarische quasirevolutionäre »Souveränität« von 1848 zu retten, von der, aus der Kossuth’schen Perspektive, nichts geblieben war als ein paar legitimistische Floskeln. Um im letzten Moment die wohlgesinnte Gnade der ungarischen Grafen zu erbitten, verzichtete Habsburg auf seine drei Königreiche, und zwar Kroatien, Slawonien und Dalmatien, und stellte Kroatien vor das Fait accompli einer Kapitulation, die gegen die vitalsten kroatischen nationalen Interessen erfolgte.

In jedem Land gibt es Hochstapler, sodass sich auch in Kroatien einige deutsche deklassierte Barone fanden, die diesen habsburgischen Betrug als »die Verwirklichung der kroatischen nationalen Ideale« verkündeten und so ihre Unterschrift unter die beschämende Betrügerei von 1868 setzten, dabei auf alle kroatischen staatsrechtlichen Attribute verzichtend, die noch vor der Wahl des ersten Habsburgers auf den kroatischen Thron im Jahre 1527 anerkannt waren.

Diese erbärmliche kroatische Ergebenheit auf Gnade und Ungnade der ungarischen Aristokratie aus dem Jahre 1868, die, damit die Ironie noch provokanter wird, unter dem Namen Ausgleich bekannt ist, der, notabene, vom Kroatischen Sabor nie anerkannt worden ist und dessen Delegation bei der Inthronisierung des kroatischen Königs in Budim auch nicht anwesend war, hat für beide Seiten, neben aller Zweideutigkeit des Textes, immerhin den Vorteil, dass die Autoren ihn als ein »Provisorium« betrachteten, sodass beide Seiten damit einverstanden waren, dieses »Provisorium eines Vertrages« nur auf zehn Jahre abzuschließen, mit der eventuellen Aussicht, ihn unter der Voraussetzung einer selbstverständlich beiderseitigen Zustimmung der Vertragsparteien alle zehn Jahre zu erneuern.

Als dieses sogenannte »Provisorium« zum ersten Mal, im Jahre 1878, erneuert wurde, kam es zu großen Unannehmlichkeiten, weil durch die Erneuerung der kompromissartigen Vertragsbeziehung administrativ neue Gebiete der damals schon im Prinzip demilitarisierten kaiserlichen Grenze erfasst werden sollten, mit all ihren Stiftungen und Fonds, was jedenfalls keine unbedeutende Transaktion war, da bei der Schätzung der Materialgüter tatsächlich kriminell, zum Nachteil der Grenzregion vorgegangen wurde. Bei der zweiten »Erneuerung«, zwanzig Jahre später, 1898, konnten sich die »hohen Vertragsparteien« wiederum nicht über die Art und Weise der Abrechnung der Einnahmen und Ausgaben einigen, das heißt, es konnte technisch nicht festgestellt werden, wer wem wie viel schuldet und wer wen bezahlt, das heißt, wer der Betrüger und wer der Betrogene war.

Schon bei der zweiten »Erneuerung« dieses Vertrages 1898 tauchte in der kroatischen Öffentlichkeit die These auf, die aufgrund der sorgfältigen Prüfung dieses offensichtlichen Betrugs nachwies, dass Kroatien jährlich einige Millionen Kronen verlor, wohingegen es nach ungarischer Auffassung Ungarn war, das das defizitäre Kroatien mit sieben bis zehn Millionen Kronen jährlich finanziere.

Zur dritten »Erneuerung« des Ausgleichsvertrages von 1868 kam es bekanntlich nicht rechtzeitig wegen der dilettantischen Verwirrung um die ungarische »Verfassungsfrage«, und so ist es dem ungarischen »Parlament« (das nach demokratischen Kriterien auch nie eines war) nicht gelungen, seinen Regnikolarausschuss zu organisieren, um sich dem kroatischen Regnikolarausschuss zur Prüfung dieses in jeder Hinsicht zweifelhaften Buchhaltungskontos anzuschließen. Wenn es um die Steuern, den Verkehr, den Handel, die Wasser- und Landverbindungen und schließlich um die nicht weniger wichtige Frage der kaiserlich-königlichen und königlichen ungarischen Armee und deren Bewaffnung geht, ist es tatsächlich schwer festzustellen, ob der österreichische Kaiser den ungarischen König oder der ungarische König den kroatischen König betrügt, wenn wie in diesem Fall, wie ein türkisches Sprichwort sagt, der kaiserliche und königliche Kadi klagt und der königliche ungarische Kadi in seiner eigenen jerusalemisch dualistischen apostolisch erhabenen Person richtet.

Rund um den »staatsrechtlich-paritätischen Kompromiss«, der das Grundgesetz der königlichen kroatisch-ungarischen Beziehungen darstellt, begann sich ein Walpurgisreigen aus grotesken Begriffen zu drehen, sodass heute ganze Kaskaden kasuistischer Floskeln um die armselige Membran des ungebildeten kroatischen Gehirns schwappen, das durch die trüben Schleier unverdächtiger Zauberkünste durchzublicken versucht, um die sich nun schon seit vierzig Jahren ein Tintenstrom ergießt. Das ist der plutonische Gesang des schicksalhaften, gefährlichen unterirdischen Flusses, der die Mauern von Budim von Zeit zu Zeit dramatisch und dann wieder tückisch leise bedroht, je nachdem, wie viel von dem schmarotzerhaften Champagner in der »Englischen Königin« auf präsidialen Banketten getrunken wurde und bei welchen alle lügen, das heißt, wo niemand die Wahrheit aussprechen will.

Wir wollen uns nicht auf die Entschlüsselung der nicht unbedingt rätselhaften Rebusse einlassen, von denen es in den königlich teuflischen Ausgleichskontobüchern nur so wimmelt, als wären es Heilssprüche eines Hodža: Was ist »Produktivität«, und was sind »Korrektiven«, was sind »Quoten« und was »Tangenten«, was ist »staatsrechtlich« und was »ein außervertraglicher Standpunkt«, und wie wird sowohl das eine als das andere »ausgeschlossen«, weil uns diese erhabene apostolisch königliche ungarische Ausgleichspraxis seit dem Jahre 1868 lehrt, dass es in dieser Sache so lange keine Klarheit geben wird, bis nicht saubere Rechnungen auf den Tisch gelegt werden, damit man sieht, wer von diesen Königen wem was gestohlen hat und wer wem was schuldet, der kroatische König dem ungarischen oder umgekehrt?

– Sollen wir unsere Hosentaschen umstülpen, Herrschaften, damit man wie bei zigeunerischen Rekruten sieht, wie es mit den gestohlenen Silberuhren steht?

Die paritätischen kroatisch-ungarischen »königlichen Ausschüsse«, die schon seit Jahren in Pešter Bordellen zechen, würden ihren »paritätischen Königen«, Königreichen, Ländern, Völkern und Kronen, Parlamenten und Versammlungen bestimmt einen großen Gefallen tun, wenn sie statt mit den Paragrafen Versteck zu spielen, endlich einmal die königlichen Rechnungsbücher aufschlügen, damit man sieht, worum es wirklich geht. Denn dieses augurische, mit der schwarzen Toga der königlichen ungarischen und ungarisch-kroatischen Taschenspielerei verhüllte Spiel spielt mit Paragrafen (ob Paragraf »22« oder Paragraf »29«, ob Paragraf »11« oder doch jener »12« des Grundgesetzes von 1868) oder mit Prozenten (sind es 8,127 % aus dem Jahre 1906, das heißt 0,931 % mehr als in der Finanzvereinbarung von 1878). Das Advokaten-Dribbling, ob die königliche Nuntion, das heißt die königliche Bekanntmachung aus dem Jahre 1878 oder das königliche Renuntiationsschreiben von 1898 recht hatte, was realer Steuerzuwachs ist und was Verbrauchssteuern, was die Autonomie und was die Zentralverwaltung ist, all das besagt, dass in der kroatischen Politik, wie sie derzeit praktiziert wird, weder eine Unze gesunden Menschenverstandes noch die geringste Dosis gesellschaftlicher Konventionen vorhanden ist, die auch in den primitivsten Zivilisationen gepflegt werden, jenen in den Büchern des Alten Testaments zum Beispiel.

Dieses Königreich, dieses königliche Land, das Kroatien heißt, war nach dem internationalen Recht bis 1790 politisch und finanziell selbstständig, was in unserem Text nur deswegen betont wird, weil das eine auch von den ungarischen Pharisäern anerkannte Tatsache ist. Kroatien hat dieses eigene »Recht« an die gemeinsame kroatisch-ungarische Versammlung in einer dramatischen Phase des Kampfes gegen Wien übergeben, wobei Kroatien auf sein souveränes »Recht« nicht verzichtet hat, und dass es als finanziell selbstständiges Land diese Übergabe immer und überall widerrufen kann, sodass sogar der Autor des witzigen »Kompromisses« von 1868, diese unter uns echten Kossuth-Anhängern schwarz-gelbe Schande Franjo Deák erklärte, wie man weiß, wir zitieren: dass er sich Kroatiens Autonomie nicht ohne die finanzielle Selbstständigkeit vorstellen kann.

Wenn auf Deáks Definition von ungarischer Seite erwidert wird, man bedauere, aber die Kroaten hätten selbst, sua sponte, auf ihre finanzielle Selbstständigkeit 1868 verzichtet – man bedauert natürlich, aber trotz dieser Krokodilstränen wird schadenfroh konstatiert, dass es im selben Jahr zum unwiderlegbar vollzogenen Akt in Form der kroatischen finanziellen und politischen Kapitulation gekommen sei, sodass, nachdem die Kroaten bei vollem politischem Bewusstsein aus eigenem Willen auf ihre politische und finanzielle Selbstständigkeit verzichtet hätten, heute darüber zu reden für diese Art der ungarischen Logik leider ein Märchen vom letztjährigen Schnee sei.

Diese ungarische regnikolare Logik, dass ein Diebstahl oder Betrug mit der naiven Dummheit derjenigen Person gerechtfertigt wird, die bestohlen oder betrogen worden ist, klingt ohne Zweifel zigeunerisch überzeugend, und die Budimer Präsidialkasuistik um die »Frage des Ausgleichs« ist durchwoben mit subtilem Sinn für shylocksche Methoden, aber sie ist leider trotzdem ohne jede auch nur geringste Dosis an Rechtsverstand. Denn wenn die ungarische These richtig ist, dass der Unterschied zwischen der kroatischen Quote und der ungarischen Tangente sieben Millionen Kronen jährlich beträgt, dann ist Kroatien zweifellos defizitär, dann wird Kroatien im Rahmen dieses Vertragsverhältnisses tatsächlich von den ungarischen Herrschaften mit Stipendien gefördert, und wir fragen uns, warum die Herren Ungarn so beharrlich betonen, dass sie dem armen und bedürftigen Kroatien jährlich sieben Millionen Kronen mehr bezahlen, schlicht aus sentimentalen Gründen, wenn sie diesen für ungarische Interessen so sündteuer defizitären Vertrag auf keinen Fall auflösen möchten.

Wenn es jedoch stimmt, was schon seit Jahren von kroatischer Seite behauptet wird, und zwar nicht auf der Harmica, sondern im Kroatischen Sabor, dass die ungarischen Rechnungen falsch sind, dass die ungarischen Steuererklärungen gefälscht sind, dass die ungarischen Staatsdokumente falsifiziert sind, dass die Abschlussrechnungen auf dem Papier angepasst und frisiert werden wie ein ordinärer, zynischer saldokontistischer Betrug, wenn also auch die kleinste Möglichkeit besteht, dass die kroatischen Behauptungen glaubhaft sind, ist es unverständlich, warum man die Kontobücher nicht öffnet, damit beide politischen Völker königlich gleichberechtigt abrechnen, so wie normalste Handelsrechnungen nach dem Soll-und-Haben-Prinzip nach einzelnen Posten abgerechnet werden.

Damit wir uns verstehen, Herrschaften! Im Rahmen dieser Abhandlung ist weder die Rede von dekorativen regnikolardeputationalen Phrasen noch von Fahnen, weder die Rede von Rechten der Krone noch von politischer Parität, sondern von der buchhalterischen Logik. Worum also handelt es sich?

Als die kroatischen Regnikolarier 1898, anlässlich der zweiten Erneuerung des Vertrags von 1868 feststellten, dass für die kroatischen Einnahmen keine gesonderten Rechnungsabschlüsse vorgenommen worden waren, und nachdem sie innerhalb der folgenden zehn Jahre die Ehre hatten, diesen fatalen Umstand abermals festzustellen, hätten sie von ihrem rätselhaften Befund auch den Kroatischen Sabor benachrichtigen können, denn zu diesem Zweck sind sie als Mandatsträger des Sabor auch gewählt worden! Doch die Herrschaften taten es schlicht deshalb nicht, weil sie in den Regnikolarausschuss zum gegenteiligen Zweck gewählt wurden, nämlich um mit ihren hinterhältigen Manövern diese mit guten Sitten zweifellos unvereinbare Situation zu verschleiern. Die ehrenwerten Herren Abgesandten hätten ja die ungarischen bürgerlichen Behörden ersuchen können, die Güte zu haben, im Sinne der geltenden Gesetzesbestimmungen über die akkurate Führung von Bankbüchern und Konten zwei, drei Bankprüfer zu benennen und sie zu beauftragen, eine Revision durchzuführen, damit man sieht, was wem gehört. Die kroatischen Regnikolarier haben aber, weil sie ihr Gewissen als rein erachteten, in dieser Hinsicht nichts unternommen, denn sie sind von der ungarischen Regierung als Stipendiaten bestochen und ihre einzige Aufgabe ist es, bei saldokontistischen Séancen böse Geister heraufzubeschwören, und weil sie – more hungaro-croatico – immer bereit sind, für ein Gulasch gegen jede eigene bessere Überzeugung zu stimmen.

Unsere Herren Regnikolarier zechen lieber in Hotels von Pešt, als in Bankbüchern zu schnüffeln. Solche Phänomene gehören zu den menschlichen Schwächen, aber die ritterliche Budimer Regierung, an deren Spitze Aristokraten ohne Furcht und Tadel, Grafen und Fürsten sitzen, für die eine Aufforderung zum Duell zur »Reinigung der eigenen Ehre« ein alltäglicher Witz ist, diese erhabene königliche Regierung hätte in den vergangenen Jahrzehnten auch einen nuancierteren Sinn für das Ergründen der saldokontistischen Korrektheit zeigen können, wo sie so stoisch und hartnäckig nicht einmal mit der Wimper zucken will, wenn man ihr ins Gesicht sagt, dass sie mehr als vierzig Millionen kroatischer Gelder gestohlen, unterschlagen und veruntreut hat. Im Gegensatz dazu behauptet die vornehme ungarische Regierung, sich bewusst, dass sie die Unwahrheit sagt, dass Kroatien, für zehn Millionen jährlich verschuldet, längst schon wie ein Bettler zugrunde gegangen wäre, würde es sich nicht mit ungarischen Stipendien über Wasser halten.

Auf die sachlichen Anschuldigungen, sie stehle kroatisches Geld, hier bitte, was die ungarischen Regierung durch ihre Sprecher erwidert hat: der Prozentsatz von 8,127 % der Partizipation bei den gemeinsamen Einnahmen sei vollkommen realistisch, er entpreche den tatächlichen kroatischen Einnahmen und stelle eine eventuelle Begleichung der kroatischen Defizite in Aussicht – pro futuro. Die Tangente habe 1902 16 Millionen betragen und im Jahre 1905 um 5 Millionen mehr, die Staatsschulden des Jahres 1849 haben 63,3 Millionen betragen, doch schon 1894 337,4 Millionen, die kroatische Quote von 7,93 % habe jeweils 21,17 Millionen der Annuität ausgemacht, bei den Wasserbauarbeiten partizipiere Kroatien, wohl wahr, um 14 % und bei der Forstwirtschaft um 10 % der Investitionen mehr als Ungarn, dieses sei allerdings logisch, und folglich seien diese Rechnungen ein solches Labyrinth, dass sich die ungarische königliche Delegation nicht als Ariadne verstehe, die einen Ausweg aus den finsteren buchhalterischen Katakomben finden könnte, und deshalb, und so weiter, wenn es stimme, dass eine eventuelle Begleichung des kroatischen Defizits – pro futuro – als reale Voraussetzung angenommen werden könnte, dann könnte man sie wahrscheinlich nicht wirklich beweisen, und zwar deshalb nicht, weil niemandem in den Sinn kam, die königlichen kroatischen Einnahmen gesondert abzurechnen, das heißt auf eine andere Weise, als die Einnahmen der ungarischen Gespanschaften abgerechnet werden, und wo sei heutzutage ein solcher Archimedes, der sich in den gespanschaftlichen ungarischkroatischen Buchführungen von vor dreißig oder vierzig Jahren zurechtfinden kann?

Doch all diese königlichen ungarischen Fallstricke waren und sind trotzdem nicht so verworren, wie es den Anschein hat. Der letzte gemeinsame Regnikolarausschuss legte die Einnahmenquote Kroatiens auf 8,127 % fest, obwohl die ungarische Regierung im Haushalt nur 7 % vorgesehen hatte, also stimmten, nach der ungarischen regnikolaren Version, die Kroaten aus eigener Initiative der um 1,27 % höheren Einnahmenquote zu, was jährlich 2 bis 7 Millionen Mehreinnahmen ausmacht.

Um im Stil des hohen Ideals von der Würde der regnikolaren Logik vollkommen eingehüllt zu bleiben, nehmen wir als Grundlage unserer Analyse das staatliche ungarisch-kroatische Budget für das Jahr 1906 mit einer Summe von einer Milliarde und zweihundertdreißig Millionen Kronen, was mit 8,127 % der kroatischen Partizipation einen Betrag von einhundert Millionen Kronen ergibt; das heißt, Kroatien steuert im Rahmen des gemeinsamen Haushalts einhundert Millionen Kronen Jahreseinkommen bei, und mit diesen einhundert Millionen Kronen Jahreseinkommen in der gemeinsamen Kasse wandern jährlich mehr als dreißigtausend deklassierte und mittellose Bettler ins Ausland ab.

Nach den in der Tat fragmentarischen regnikolaren aproximativen Daten erhielt Kroatien im Zeitraum von 1894 bis 1903 auf Rechnung der Tangente einhundertundvierundsechzig Millionen und siebenhunderttausend Kronen, allerdings hätte es nach der Berechnung des eigenen Regnikolarausschusses zweihundertunddrei Millionen Kronen bekommen sollen, also verlor es im Zeitraum von 1894 bis 1903 mehr als achtunddreißig Millionen Kronen, und wenn es proportional genauso viel im Zeitraum von 1883 bis 1893, wie auch im Zeitraum von 1878 bis 1888 und von 1868 bis 1878 verloren hat, das heißt viermal je vierzig Millionen Kronen, das heißt einhundertsechzig Millionen Kronen in vierzig Jahren (seitdem nämlich dieses schwesterliche Vertragsverhältnis dauert), dann ist es kein Wunder, dass in unserem unglücklichen Land, das dazu verurteilt ist, sich in Gießereien und Bergwerken in Übersee zu proletarisieren, Frau Armut herrscht.

Wenn die ungarischen Regnikolarherrschaften meinen, dass man die Barrikaden der Moral, des progressiven Denkens und des allernormalsten buchhalterischen Geschäftsgebarens mit Polizeiterror niederwerfen kann, dann täuschen sie sich natürlich. Mögen die loyalen Schreiberlinge in der schwarz-gelben, legitimistisch ungarischen Presse mit Kanonen und Kavallerie drohen, so viel sie wollen, das wird an der Faktenlage der kroatisch-ungarischen Beziehungen nichts ändern, denn hier geht es um nichts anderes als um Betrug, der nach gutem altem Brauch der Ächtung anheimfällt, denn das sind Fragen, die nicht durch das Vergießen von Tinte, sondern von Blut gelöst werden.

Kein Zweifel, das sind Kamilos Ton und Stil, das alles ist mit derselben Stimme gesprochen, mit der er ihn schon seit jenen fernen Tagen aufregt, als er mit seinem Freund Joja ungarische Fenster einschlug und Sprengstoffanschläge verübte, ganz klar, das ist Kamilos Repertoire: »In Kroatien herrschen betrunkene Barone«, »die Kroaten haben kapituliert wie Idioten«, »die Kroaten sind nach Meinung der Ungarn Stipendiaten, aber eigentlich zahlen sie jährlich Millionen dazu«, und wenn »Kroatien finanziell unabhängig wäre«, würde Honig im Medveščak-Bach fließen, »Zehn-Millionen-Betrug«, »Zwanzig-«, »Vierzig-«, schließlich »Hundertsechzig-Millionen-Betrug«, aber »eines Tages wird alles im Blut versinken«, und an alledem sind »die Regnikolarier schuld«, und selbstverständlich steht an der Spitze dieser »Bagage« Kamilos liebes Papilein … Ja, ja, das sind Kamilos Deklamationen zum regnikolaren Thema, die er sich seit Jahren anhört, noch aus der Zeit, als Joja ins Zuchthaus von Glina gesteckt wurde, dabei hatte der Bengel damals nur mit Mühe die Unterstufe geschafft, und als er sozusagen ins Hungaricum verbannt wurde, provozierte er gleich am Anfang einen unerhörten politischen Skandal, und man hätte ihn beinahe hinausgeworfen, weil er die ungarische Hymne nicht singen wollte, und jetzt ist es ausgerechnet er, dieser Esel da, der wie Kassandra droht, und das auch noch mit Blutvergießen.

Čavka kehrte triumphierend mit einer noch unaufgeschnittenen Ausgabe der Barjaci zurück, und Durchlaucht machte sich abermals daran, die Prophezeiungen seines Sohnes nun im Original zu lesen. Mit der blanken Messerschneide, die in einer behaarten Rehpfote steckte, Seite um Seite in der gelben Zeitschrift umblätternd, war es ihm, so zornig er auch war, trotzdem nicht unrecht, dass dieser Esel die ungarische Syntax so perfekt beherrscht.

Keine Frage, begabt ist er, der Lump, das muss man ihm lassen, warum bloß unterschreibt er seine wahnsinnigen Provokationen als »Zeno«, wie kam ihm nur dieses bizarre Pseudonym in den Sinn? So hatte er schon einige seiner Aufsätze in der Schülerzeitung Der Lorbeer unterschrieben, ungefähr in der zweiten oder dritten Klasse des Gymnasiums, als er anlässlich des fünfundneunzigsten Geburtstags von Darwin schrieb, der Mensch stamme vom Affen ab, was als »das Debüt eines Wunderkindes« betrachtet wurde, und diese Idioten beim Agramer Tagblatt waren Gott sei Dank immerhin so intelligent und haben nicht alle provozierenden Frechheiten von Kamilo wörtlich übersetzt, denn das, was wir beschlagnahmt haben, ist eigentlich ein richtiges Zuckerwasser im Vergleich zum Original …

Wenn man diese Eselei ernst nimmt, und wenn Kamilos Philippika an eine bestimmte Adresse gerichtet ist, dann doch direkt an ihn persönlich, den regnikolaren Abgesandten der königlichen Deputation, der jahrelang die Rechte des Königreichs auf eine Weise verteidigt hat, die sein Sohn als Gaunerei betrachtet, bravo! Ein Schreiben an den Vater, den königlichen Abgesandten, vom Sohn, dem »Gerechten«, der beschlossen hat, die Rolle des nationalen Gewissens zu spielen, und zwar nicht mehr unter vier Augen, sondern in aller Öffentlichkeit, dazu noch im Zentrum der ungarischen Öffentlichkeit, in einem Pešter Boulevardblatt, bravissimo!

Es ist nicht das erste Mal, dass Durchlaucht spürt, dass das Einzige, was er unternehmen könnte, wäre, sich wütend die Kleider zu zerreißen und diese seine Ausgeburt auf ewig zu verstoßen, denn, wenn er schon wegen seines verlorenen Sohnes verzweifelt, sollte man wissen, wer er ist, woher er in unsere verworrenen und schlimmen Verhältnisse kam, von welchen stolzen Ahnen und unter welchen ruhmreichen Dächern, wenn er sich am Rande der krankhaften Melancholie in quälender Ungewissheit über das eigene und das Schicksal des Herzens seines Stammes verliert, wo sich immer fataler der Charakter seines Einziggeborenen als eine unheilvolle Drohung abzeichnet und ihn jeden Moment auf den Grund der Hölle stoßen könnte, zu den Verdammten, deren Schicksal es ist, von der perversen Hand des eigenen perversen Kindes zu stürzen …

Seine Durchlaucht, Herr Doktor Kamilo von Emerički, ist einer jener treuen Beamten des banschen Präsidialapparates, der entsprechend seiner krautjunkerischen Herkunft, entsprechend dem hohen Ansehen des Wiener Doktorats und einigen Semestern diplomatischer Ausbildung in Paris für die höchste Karriere bestimmt ist, und die Tatsache, dass ihn die »höheren Faktoren« bis heute bei der Ernennung für riskante kommissarische Missionen übergangen haben, hat er dem Umstand zu verdanken, dass das bansche Präsidium über keine allzu große Auswahl dieser Art von loyalen Kadern verfügt, die als Liberale vor der modernen Gesellschaft einerseits die Rolle der Freigeister spielen könnten, und auf die man sich andererseits bei der Erledigung delikatester unionistischer Aufgaben verlassen kann, die schon seit Jahren hinter den Kulissen erledigt werden, und die oft viel wichtiger sind als alles andere, was sich im Scheinwerferlicht der Presse im Vordergrund der politischen Bühne abspielt.

Seine Durchlaucht Herr de Emericzi ist eine protokollarische banschaftliche, eine hundertprozentig loyale königliche kroatischslawonisch-dalmatinische Persönlichkeit, man könnte sagen, ein Mann, der seine Rolle perfekt spielt. Unabhängig von eigenen Sorgen und Stimmungen wird er, wenn er sich offiziell äußert, nie zulassen, dass ihn irgendeine unerwartete Wendung unter das Niveau der erhabenen Präsidialen Würde hinunterzieht. Wenn einer ein Rhetoriker ist, dem die rechten Worte am rechten Platz nicht fehlen, wenn einer ein Chef ist, der auch im grauesten Beamtenherz den warmen, rechtschaffenen Funken der echten Begeisterung für gerechte banschaftliche ungarisch-kroatische Angelegenheiten entzünden kann, dann ist das unsere Durchlaucht, der schon seit Jahrzehnten etliche Tricks des politischen Apparates im Sabor und in der königlichen Deputation beherrscht, als ein Mann, der das unumstößliche Vertrauen der höchsten Budimer »Macher« genießt, vor allem aber das des Grafen Premier, der von Durchlaucht die höchste Meinung als seinem loyalsten Mitarbeiter hat.

Als er die präsidiale Politische Verwaltung übernahm, im Zusammenhang mit der Ernennung des neuen königlichen Beauftragten (der direkt aus dem Budimer Präsidium mit der Mission gekommen war, dem erniedrigten und gekränkten, durch das langjährige Kommissariat blutenden Königreich Kroatien die Verfassung zurückzubringen), begrüßte ihn einer der Banschaftsräte des Präsidialamtes vor der versammelten Beamtenschaft als den neu ernannten Chef mit honigsüßen Worten, wie man sie schon seit Jahrzehnten den neu ernannten Vorgesetzten um den Bart schmiert, wenn ihnen einer aus der Herde der namenlosen Banaschaftsräte in seinem abgewetzten Salonrock die Begrüßungsrede vorliest, die er in einem schmierigen, schweißnassen Zylinder versteckt hat, und alles muffelt nach Naphthalin aus alten, ungelüfteten Schränken, auf welchen ganze Batterien von Kompottgläsern, diesem einzigartigen Meisterwerk ihrer holden Gattinnen, aufbewahrt werden.

Durchlaucht lauscht seinem subalternen Banschaftsratskollegen, irgendeinem verehrten Zidarić, Grabarić oder Horvatić, wie er sich abmüht, vom Boden seines fettigen Zylinders Wort für Wort des festlichen Textes zu dechiffrieren, den er, als er ihn in der Nacht zuvor abschreibend auswendig gelernt hatte, aber trotzdem, sicherheitshalber, um sich wegen des Lampenfiebers nicht zu versprechen, hatte der Mann dieses Geschwafel für alle Fälle als Spickzettel in diese verfluchte Hasenfellrolle gesteckt, und nun liest er sein Meisterwerk mit zitternder Stimme vor, dass die Beamtenversammlung des königlichen Politischen Amtes vor das Angesicht Seiner Durchlaucht getreten sei, vor allem um sich vor dem neu ernannten Oberhaupt der Politischen Verwaltung untertänigst zu verneigen.

– Die Pflichten unseres mühseligen Beamtenberufes in diesem ehrenhaften Präsidium, Illustrissime, sind selbstaufopfernde Pflichten, jawohl, und überaus schwierig, aber wir erfüllen sie emsig und gewissenhaft unter der Aufsicht der uns immer wohlgesonnenen Durchlaucht und mit dem Vertrauen des Kaisers, wie heute, so auch in Zukunft, als Ihre loyalen Mitarbeiter, er lebe hoch, hoch, hoch …

Seine Durchlaucht, der unzählige Male schon bei einer ähnlichen, wirklich immer in derselben Weise inszenierten Vorstellung zugegen war, war sich bewusst, dass kein einziges gesagtes Wort ehrlich ist, dennoch kann er nicht widerstehen, sich dem Magneten seiner mit rednerischer Leidenschaft ausgedachten Begrüßung zu ergeben, die er in Form eines pathetischen Monologs die ganze Nacht über ersonnen hat, es ein wenig genießend, wie frei er mit einzelnen flüchtigen Phrasen spielt, so als suche er das richtige Wort, um sich im nächsten Moment der von aller vermeintlichen Schwere befreiten Inspiration seiner politischen Ideen und Ideale hinzugeben.

– Ich danke Ihnen, meine Herren, für Ihren ergebenen und überaus aufrichtigen Empfang, und wenn ich Ihnen sagte, ich sei gerührt, habe ich nicht zu viel gesagt. Erlauben Sie mir, Ihnen mit einigen wenigen Worten zu veranschaulichen, wie ich mir als Ihr Vorgesetzter und Ihr Kollege unsere Zusammenarbeit – pro futuro – vorstelle. Da ich die Ehre habe, bei unserer ersten gemeinsamen Sitzung anwesend zu sein, ist es mir ein Bedürfnis zu betonen, dass dieser unser idealer Dienst, meine Herren, nicht zu den letzten Berufen auf dieser Welt zählt. Wenn wir uns fragen, wen wir vertreten, was unsere Mission vor unserem Volk ist und was unsere moralischen Überzeugungen sind, könnte jeder von uns nach dem Prinzip des geringsten Widerstands antworten, dass wir alle hier nichts anderes sind als das, was wir sind, nämlich Beamte! Also gut, meine Herren, wenn wir das wirklich sind, was wir im Grunde sind, nämlich »Beamte«, dann fragen wir uns, was wir an dieser Stelle zu tun haben, um unserem erhabenen Beruf Genüge zu tun. Die Generationen vor uns, meine Herrschaften, erwidern uns aufgrund ihrer historischen Erfahrung: So wenig wie möglich reden, dafür umso mehr hören! (»Kuschen und weiterdienen«, hallte es in Durchlauchts Erinnerung wider, dass damals sein seliger Vater über diese so jämmerlich bezahlte bansche Arbeit zu sagen pflegte, »denn, natürlich, wenn du keine Rente hast, musst du ›vom Ersten zum Ersten‹ überleben, und niemand bezahlt dich umsonst.« Auf dieser nackten Welt besitzt du nichts, außer Ladanje Gornje, das jedoch reicht gerade aus für Hortensias Reisen nach Gastein und Abbazia: Die Gnädigste hat ihre Gewohnheiten, ihre Nerven, und das Zdenčaj-Gut der Habdelićs war von Anfang an eine zweifelhafte Mitgift gewesen, da hatten ihn die Habdelićs übervorteilt, weil von den hundertzwanzig Morgen siebzig unter Wasser stehen, und so unterhält Ladanje Gornje auch Zdenčaj mit, und nach Hortensias Willen soll Kamilo später Zdenčaj erben, doch der verrückte Bursche fordert gerade dieser Tage, ihm Zdenčaj jetzt schon zu überschreiben, weil er heiraten will, dabei hat er nicht einmal absolviert, geschweige diplomiert, er wechselt sowohl die Berufe als auch Städte, konspiriert mit jenen serbischen Nichtsnutzen, schreibt Idiotien in Zeitungen und will jetzt noch zu alledem seine »Braut« unter das Dach seines Elternhauses führen, ubi terrarum sumus9, ach ja, also, was wollten wir noch über die Beamten und den erhabenen und idealen Beruf der Beamten sagen?)

– Der Beamte, meine Herren, ich sage es Ihnen aus meinem reichen Erfahrungsschatz, der Beamter nach etwa dreißig Jahren anstrengenden Dienstes, der Beamte, wie ich bereits sagte, und sei er auch egal wie und wie oft abwesend, ich meine geistig, ist kein taubstummes Wesen, sondern ein Untertan, und als Untertan ist der Beamte parallel dazu selbstverständlich auch ein Bürger dieses Landes, und als Bürger dieses Landes genießt er die Bürgerrechte, und so, seine Bürgerrechte genießend, egal ob hoch auf der Leiter der Hierarchie oder erst am Beginn seiner Karriere, muss er die Ereignisse verfolgen, ich meine die politischen, und die politischen Ereignisse verfolgend muss er freilich, ganz natürlich, auch im Interesse seines Vaterlandes politisch denken, denn wenn er nüchtern urteilen kann, verwandelt er sich logischerweise in einen loyalen Patrioten, in einen aktiven kroatischen Patrioten, und wir fragen uns, meine Herren, was könnte ein aktiver kroatischer Patriot anderes sein als ein loyaler Untertan dieser unserer ungarisch-kroatischen Staatsgemeinschaft, denn wenn er wirklich logisch ist, muss er die geltenden Gesetze achten, und indem er die geltenden Gesetze achtet, erfüllt er seine kroatische patriotische Pflicht und bewahrt das Erbe unserer glorreichen und heldenhaften Vorfahren, und das ist unsere achthundertjährige Union mit dem Schwesterland Ungarn.

Denn man muss sich, meine Herren, ins Faktum selbst hineindenken, dass ein solches politisches und kulturelles Phänomen, wie es die kroatisch-ungarische Union ist, fortbestanden hat, dass es ganze acht Jahrhunderte bestehen konnte, und das inmitten dieser chaotischen Welt, die uns umgibt und wo uns die historische Erfahrung lehrt, dass um uns herum so viele Kronen, so viele Herzogtümer, so viele Kaiserreiche, so viele Staaten, so viele Herrscher und Städte untergegangen sind, Byzanz ist untergegangen, unzählige kleine Ephemeriden von der Zeta bis zur Bosna und von Nin bis Split und Zadar sind untergegangen, die kroatischen Könige, die Venezianier und der Türke und so viele andere Könige und Königreiche in Europa sind untergegangen, aber unsere Union trotzt den historischen Stürmen wie ein Fels, stolz auf ihre erhabene Mission vom ersten Tage an.

Und sollen doch die heutigen sogenannten »Modernisten« aller Couleur und Nuancen sagen, der Geist beherrsche die Materie nicht, sollen unsere Freidenker, die derzeit die politische Emanzipation predigen, ihre dummen Geschichten erzählen, dass aus der Krone des heiligen Stephan keine höhere Idee strahle, sollen sie gegen unsere Gemeinschaft mit unserem Schwesterland Ungarn anschreien, sollen sie bestreiten, dass unsere Union der einzige Garant der Freiheit, des Fortschritts und des Wohlstands ist; wir fragen uns logischerweise, hätte unsere Union dem Sturm der Jahrhunderte widerstehen können, wenn ihre Berufung im metaphysischen Sinne nicht nach den tieferen Gesetzen der Vorsehung vorherbestimmt wäre? Nein, sie hätte es nicht können, meine Herren, ich behaupte entschieden nach allen Gesetzen des gesunden Menschenverstandes, das hätte sie auf keinen Fall gekonnt! Diese unsere Union, als Produkt des historischen, ökonomischen oder irgendeines anderen Zufalls, wäre längst schon verschwunden und es gäbe heute keine einzige Spur mehr von ihr, wenn sie nur von dieser Welt wäre. Doch wenn sie besteht und den vor uns liegenden Jahrhunderten trotzt, noch immer genauso siegreich und triumphierend, in ihrem fortwährenden Streben als ein Symbol des Friedens mit einem Ölzweig zwischen den wilden, unzivilisierten Balkanvölkern zu wirken, dann fragen wir uns zu Recht, wie konnten unsere fernen Vorfahren vor achthundert und mehr Jahren so visionär, so großartig inspiriert gewesen sein und es geschafft haben, zur Wahrung ihrer königlichen kroatischen und ungarischen Interessen die geeignetste Formel zu wählen? Es war eine geniale staatsbildende Inspiration unserer Ahnen, es war derselbe Geist, der heute jeden unserer politischen Gedanken inspiriert, und wenn uns eine höhere Ambition innewohnt, dann ist es die, dass unsere staatsbildenden, humanen und edlen Ideen auch weiterhin methodisch, planmäßig in unserem Bewusstsein gepflegt werden müssen, denn indem wir sie beständig und immer intensiver weiterentwickeln, meine Herren, werden wir nur so im Geiste der staatlichen Einheit mit unseren ungarischen Brüdern nördlich der Drau wirken, und diese staatliche Einheit, eines der Axiome unserer Politischen Verwaltung, beruht auf dem Granitfelsen des Artikels XXX unseres Grundgesetzes aus dem Jahre 1868.

Kamilo Emerički ist nicht der erste de Emericzi, der im Geiste der ungarisch-kroatischen Union wirkt, und zwischen den Adelsporträts der de Emericzis im Salon in der Jurjevska ist er der vierte de Emericzi, der als königlicher Abgesandter die Rechte des Königreiches Kroatien verteidigte in diesem im Grunde endlosen Kampf gegen die arpadische Vormachtstellung, dieses unwiderstehliche Phänomen, das seit der Zeit des seligen Königs Koloman (als dieser bis zu seinem Tode an Sehnsucht nach den Benediktinerinnen von Zadar litt) die kroatischen Geister empört.

Der erste Regnikolarier des ehrwürdigen Hauses de Emericzi, Mikùla, geboren im Jahre 1737, der schon in seinem dreißigsten Lebensjahr als Protonotar Regni die gerechte Sache des Sabor verteidigte, damit Kroatien seine Steuern auf dem Gebiet des Königreiches nach eigenem herrschaftlichen Willen bestimmen und erheben konnte, war stolz darauf, dass laut Ivan Lucić Lucius, dem bekannten Historiker, in einer der Zadarer königlichen Urkunden aus dem Jahre 1067 der erste Emerički als Emericus, Regalis curiae judex, zitiert wird, und wo bitte waren damals die Ungarn, als die Emeričkis unter König Krešimir die königliche Gerechtigkeit verkündeten.

Ein Gegner der Jesuiten, ein Mann von mariatheresianischem Profil, wurde Mikùla Emerički nach einer kurzen Karriere, sich in den Augen der Ungarn wegen seiner regnikolaren, man könnte auch sagen geradezu querulantischen Aufsässigkeit kompromittierend, aufgrund der Wiener (hauptsächlich klerikalen) Beziehungen zum Präses der Königlichen akademischen Kommission im Distrikt Zagreb ernannt, der sich als districtus Zagrabiensis bis nach Petrovaradin erstreckte. In den geheimen Wiener Annalen sind einige Daten über den Mann erhalten geblieben – velut ab insigni doctrina et eruditione nobis peculiariter commendato10, was ihn bis zum Ende vor der launischen Willkür der Zagreber antijosephinischen Kreise um Kaptol beschützte, und derer gab es nicht gerade wenige, und man könnte nicht sagen, dass sie in Wien keine hochrangigen Gönner hatten.

Nach dem Abschluss der Rechtswissenschaften in Wien verbrachte Mikùla ein Jahr am Illyrischen Kollegium in Bologna, schon seit seiner frühesten Jugend für die bischöfliche Karriere bestimmt; im Geiste aber hatte er sich längst von den prälatischen Idealen losgesagt, sodass es dem Kavallerieoberst Graf Patačić nicht sehr schwergefallen war, den jungen Jusstudenten als Leutnant für das Leben voll husarischer Csárdás-Virtuosität zu begeistern, nach dem bewährten Motto »savoir vivre«, und so wurde unser Mikùla, der erste kroatische Regnikolar, bekannt von Pressburg bis Budim, als Trunkenbold berühmt, der einen Dreiliterkrug Tokajer in einem Zug auszutrinken vermochte. Mit Apolonia Markanova, der Tochter von Markány und Blatnja, bekam Mikùla im Jahre 1779 seinen einzigen Sohn Baltasar, den späteren kaiserlichen Rittmeister, der nach den napoleonischen Kriegen nach Ladanje Gornje zurückkehrte und hier 1820 seinen Sohn Kalman bekam, der Protonotar des Königreichs und der Regnikolardeputation im Parlament von Pressburg wurde, so wie das schon sein Vater gewesen war und wie das sein einziger Sohn Kamilo, unsere Durchlaucht Kamilo de Emericzi, geboren im Jahre 1859, sein würde, der wiederum mit Hortensia von Habdelić 1891 seinen einzigen Sohn Kamilo bekam, den heutigen Pešter Juristen und Autor dieser, wie man sieht, sensationellen »saldokontistischen Variation« in den Barjaci, den Flaggen des XX. Jahrhunderts, einem Boulevardblatt des Budapester Universitätsprofessors, Freimaurers und Denkers Ottokar Erdélyi.

– Čavka, verbinden Sie mich bitte direkt mit Reviczky, ja, hallo, bist du es, Gyula, hier Emericus, ja, danke, ich bitte dich, hast du heute Morgen Exzellenz dieses Pseudonym »Zeno« in den Flaggen dechiffriert, ach so, das ist ein öffentliches Geheimnis, »Dabbelju« (Wekerle) hat davon im Kasino gesprochen, das heißt, wenn es »Dabbelju« (dem Wekerle) bekannt ist, dann ist es allen bekannt, verstehe, und ich, nun, ich habe es erst heute Morgen erfahren, und zwar als Letzter, seltsam, der Baron hat es mir heute Morgen mitgeteilt, ich wusste nicht, dass er es von dir gehört hat, wenn das so ist, in Ordnung, und was meinst du nun, finché dura, so also, es ist nicht gerade tröstlich, aber ja, ich verstehe, du musstest, oh mein alter Gyula, es wäre besser gewesen, wenn du mich direkt informiert hättest, ich weiß, verstehe, du warst überzeugt, dass ich es weiß, doch siehst du, im Gegenteil, ich hatte keine Ahnung, in dem Hause des Gehängten11, ja, ja, so ist es immer schon gewesen, also dann, ich danke dir, dann nichts, gut, und hast du diese Schweinerei in den Flaggen gelesen, ja, was denn, du findest auch, dass es nicht so schlimm ist, na, hör mal, mein Lieber, aber was ist skandalös, wenn nicht das, jaja, du hast gut reden, mein Lieber, und außerdem gibt es bei uns ein Sprichwort über den Mann, der mit fremdem Schwanz leicht wedeln kann, mein Bruder, aber siehst du, wenn ich es dir sage, ich bin nicht weit von dem Gedanken entfernt, mich aufzuhängen, ja, ja, ach so, du hast dem Grafen gesagt, dass ich in der Lage wäre, mich aufzuhängen, das heißt, er weiß auch Bescheid, ich weiß nicht, was ich machen soll, wenn er in Reichweite wäre, der Rotzbengel, würde ich ihn an Ort und Stelle in Stücke reißen, nein, nein, ich bin nicht sicher, na gut, natürlich, vermutlich werde ich nichts machen, aber dass Kinder die große Versuchung Gottes sind, das, meine ich, ist eine Binsenweisheit, und man weiß in der Tat nicht, was besser ist, dass das eigene Kind ein Idiot oder ein Genie ist, beides ist ein Fluch! Um eines bitte ich dich auf jeden Fall, mein alter Gyula, sollte die Sache beim Chef nochmals aufs Tapet kommen, erkläre ihm bitte, dass ich in einer solchen Verfassung bin, dass das Einzige, was man machen kann, ist, mir zu kondolieren, und was ich tun werde, ist mir noch nicht klar, ich weiß nicht, mein Kopf ist leer, ich habe keine Idee, und wenn ich könnte, würde ich den Revolver nehmen, ich weiß, das ist dumm, das ist im Affekt, aber du musst mir zugestehen, dass ein Mann das Recht hat, in manchen Situationen im Affekt zu reagieren, danke dir, mein Lieber, du warst mir immer ein guter Freund, danke dir von Herzen, mein Alter, und das Einzige, worum ich dich bitte, überbringe unserem Chef, das heißt, richte ihm aus, dass ich mich gemeldet habe und momentan in einer solch miserablen Verfassung bin, dass ich einfach nicht weiß, was ich machen soll, denn dieser Idiot von Sohn meldet sich nicht, so also, bitte, Gyula, und nochmal danke.

Er legte den Hörer auf, und wie bei einem Kind, das in einer leeren Muschel dem Rauschen des großen wogenden Meeres lauscht, hallte in seinem Ohr das dumpfe Dröhnen seines Blutkreislaufs wider, auf einer Klippe, in vollkommen dunkler, abgrundfinsterer Nacht, am Ufer des Meeres, über der stürmischen See fühlte er sich allein und verlassen, unter einem undurchdringlichen, schweren schwarzen Himmel, der wie alte, vertrocknete Tinte aussah, so zäh und klebrig, in einer Mischung aus Pech und höllischem Harz. Abermals griff er zum Telefon, als ihm blitzartig klar wurde, dass dieser Skandal keine solche Kleinigkeit war, als dass man ihn mit einem Telefonanruf bei Reviczky übergehen könnte, und außerdem, was sind das für Machenschaften, und was läuft da hinter den Kulissen ab, wenn sich das Kabinett dafür interessiert, warum wurde dieser Schwachsinn beschlagnahmt, wo es doch offensichtlich ist, dass man ihn nicht hätte beschlagnahmen müssen, das sollte man aufklären.

– Čavka, geben Sie mir bitte noch einmal Pešt, Reviczky direkt, ja, ja, dringend, hallo, ich bin es noch einmal, Gyula, entschuldige, dass ich dich derangiere, aber dennoch, je länger ich über diesen Skandal nachdenke, desto mehr bin ich im Tourbillon12, aber nein, ich übertreibe nicht, mein Lieber, wirklich buchstäblich im Tourbillon, ja, du hast es leicht von deiner Junggesellenwarte aus, du weißt nicht, was es heißt, Vater zu sein, nein, nein, es handelt sich nicht um meinen Rotzbengel, sondern um mich, es geht um meine Beziehung zum Grafen, ich kann doch nicht, Bruder, diese Provokation einfach übergehen, als ob nichts geschehen wäre, ich bitte dich, könntest du eine Audienz für mich vereinbaren, morgen, ja, ja, schon morgen, wenn es irgendwie möglich ist, egal, vom frühen Morgen an, ich würde heute um zwei Uhr siebzehn abfahren, ja, noch heute, ich bitte dich, komm, frag an, ja, sofort, du weißt, wie es ist, ich habe mich gerade vom ersten Schock erholt, ich weiß einfach nicht, wo mir der Kopf steht, aber ich kann um Gottes willen den Mann nicht so mir nichts, dir nichts verlassen, als hätten wir ihm nicht ins Gesicht gespuckt, sowohl ihm als auch seiner Politik, und das ausgerechnet wir Emeričkis, nämlich mein Herr Sohn und ich, wir sind ja keine Zigeuner, also bitte ich auf jeden Fall um eine Audienz, ich warte, ich muss mit ihm reden, das ist wohl verständlich, ich habe einfach das menschliche Bedürfnis, ihm zu sagen, was ich ihm zu sagen habe, auch er ist ein Vater, ich habe einige Zeit bei ihnen in der Familie gelebt, ich weiß, wie er auf solche Dinge reagiert, ich möchte mit ihm reden, ja doch, das ist ganz normal, bitte, erklär ihm die Situation, sei mir behilflich, ich bitte dich, ich warte.

Es war Gyula Reviczky de Újlaky et Újlak, Durchlauchts alter Präsidialfreund aus den Budimer regnikolaren Tagen, jetzt Chef des Kabinetts a latere des Ministerpräsidenten, der sich sozusagen augenblicklich meldete, unter dem Eindruck des Gesprächs mit dem Grafen allem Anschein nach gut gelaunt, selig über alle Sorgen erhaben.

– Exzellenz lässt dich grüßen, er bittet dich, sich nicht aufzuregen, das alles ist ihm bekannt, du weißt, er ist sehr großzügig, er ist überhaupt nicht der Ansicht, dass diese Sache so tragisch ist, im Gegenteil, Kamilo, hör zu, beruhige dich, ich kann dir nicht alles sagen, aber, rebus hic et nunc, die Sache ist willkommen, ja, ich sage es dir, die Sache ist willkommen, so ist es, die Hauptrichtung ändert sich, du bekommst darüber entsprechende Direktiven, und das alles habe ich dem Baron bereits erklärt, er hat dir gegenüber natürlich keinen Ton gesagt, ja, ja, das ist seine Art, ich verstehe, also ich bitte dich, reg dich nicht auf, diese regnikolare Intrige ist irgendwie gut ausgefallen, du siehst ja, dass man der Ansicht ist, dass man sie nicht hätte beschlagnahmen sollen, na, also servus, auf Wiedersehen, wir werden das alles besprechen, wenn es dich freut, er würde sich freuen, mit dir zu reden, es freut ihn, dass er dich sehen wird, also morgen um neun, hier im Kabinett, alles Gute, mein Alter, auf Wiedersehen, sei ein Mann, das sind alles Kleinigkeiten, ich freue mich auch, dich zu sehen, sursum corda13.

– Pardon, noch etwas, Gyula, bitte tu mir den Gefallen, benachrichtige diesen meinen Esel, ich meine Kamilo, melde es ihm über die Kamráths, er ist dort bei ihnen en famille, er fungiert dort als Verlobter von Jolanda Kamráth, sie sollen ihm ausrichten, dass er mich am Bahnhof abholen kommt, heute Abend, der Fiumer Schnellzug um neun Uhr zehn, entschuldige, bitte, er soll unbedingt am Bahnhof auf mich warten, sie sollen ihm ausrichten, dass die Sache sehr wichtig ist, ich danke dir und auf Wiedersehen.