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"Man darf staunen: Bis zur Neuzeit sucht man solche Zeilen aus weiblicher Feder in Europa vergeblich." Stefan Weidner, NZZ
Vom überraschend freizügigen erotischen Vers aus dem 7. Jahrhundert bis zum zeitgenössischen Gedicht über Krieg, Flucht und Exil: Diese zweisprachige Sammlung bietet erstaunliche Einblicke in das Selbstverständnis arabischer Dichterinnen. Über fünfzig Autorinnen entwerfen eine weibliche Identität jenseits aller Tabus und Denkverbote und leisten einen poetischen Beitrag zur Debatte über den Islam.
Der Blick auf die arabische Tradition ist bis heute von Stereotypen geprägt. Dieses Buch regt zu einer differenzierten Sichtweise an und präsentiert die arabische Literatur aus ungewohnter, nämlich spezifisch weiblicher Perspektive.
Eindrucksvoll beweist die Sammlung, dass die großartige arabische Dichtkunst keine ausschließliche Domäne der Männer ist – und widerlegt dabei so manches Klischee. Bereits in frühmuslimischer Zeit formulieren Frauen offen ihre Ansprüche an das Leben und scheuen dabei nicht die Provokation.
Die Autorinnen – u.a. aus dem Irak, Syrien, dem Jemen, Marokko und Ägypten – lassen uns teilhaben an ihren Sehnsüchten und ihrer Trauer, malen die Härten des Beduinenlebens aus oder hinterfragen nachdrücklich ihre Rolle als Ehefrau, Geliebte und Mutter. Die neuesten Gedichte sind ergreifende Botschaften aus einer von Krieg und Vertreibung erschütterten Region.
Das Buch ist in seidig glänzendes, mitternachtsblaues Leinen gebunden und mit einem dazu passenden Lesebändchen versehen.
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Seitenzahl: 61
Die Flügel meines schweren Herzens
Lyrik arabischer Dichterinnen vom 5. Jahrhundert bis heute
Herausgegebenvon Khalid Al-Maaly
Aus dem Arabischen übersetzt von Khalid Al-Maaly und Heribert Becker
MANESSE VERLAGZÜRICH
LAILA BINT LUKEIZ AL-AFIFA
Hätte Albarraq nur Augen, zu sehen,
was ich für Qualen und Mühen erleide!
O Kuleib, Uqeil, Guneid, ihr meine Brüder,
steht mir beim Weinen bei!
Eure Schwester, weh euch, wurde
des Morgens und Abends mit Undank gequält.
Die Fremden lügen, mir hat sich keiner genähert,
denn ich besitze noch einen Kern von Schamgefühl.
Kettet mich an, fesselt mich und
macht mit mir, was immer ihr wollt,
Denn was ihr plant, das hasse ich,
und die Bitterkeit des Todes ist mir süßer geworden.
Führt ihr etwa einen Ritter zu uns,
ihr Söhne von Anmar, ihr Hurensöhne?
O Iyyad, ihr habt eure Schlacht verloren,
und finster ward die Umgebung vor Nieselregen.
Bastarde ihr, ihr solltet Adnans Söhnen
die Gründe der Hoffnung zunichtemachen.
Dann folgen Geduld und schöner Trost, nach
jeder Niederlage nämlich hofft man auf einen Sieg.
Sag Adnans Söhnen, ich opfere mich euch, ihr sollt
für der Fremden Söhne wie Schlächter vorbereitet sein.
Und verteilt die Fahnen auf ihre Plätze im Heer,
zieht die Säbel und macht euch früh auf den Weg.
O ihr Söhne von Tagleb, geht vorwärts, tragt
den Sieg davon und vermeidet Schlaf und Unachtsamkeit!
Und hütet euch, den Nachkommen und auch
euch selbst Schande zu machen, solange ihr lebt!
ASHRAKA AL-MUHARIBIYA
Ich lief in der Arena der Leidenschaft mit den Liebenden
um die Wette, ich wurde Siegerin und kehrte langsam zurück.
Die Kleider, die die Liebenden an- oder auszogen,
waren solche, die ich schon getragen hatte,
Und das, was sie an Bitterem und Süßem aus dem Kelch der Liebe
tranken, war nur der Bodensatz von dem, was ich getrunken.
AL-KHANSA
Der Überraschungen voll ist die Zeit, sie ließ
einen Schwanz uns zurück, der Kopf jedoch ist abgetrennt.
Sie ließ uns alles Unbekannte zurück, suchte uns heim
mit dem Tod der Träumenden, die Leichen und Gräber sind.
Die Nacht und der Tag mit ihrem Kommen und Gehen,
sie bleiben stets gleich, doch die Menschen verderben.
Der Sonnenaufgang gemahnt mich an Sakhr,
und bei jedem Sonnenuntergang kommt sein Name mir in den Sinn.
Wären da nicht die vielen um mich herum, die weinen
um ihre Brüder, so hätte ich mir das Leben genommen.
Hast du ein Staubkorn im Auge? Tut es
dir weh oder tränt es, weil das Haus verwaist ist?
Denk’ ich an ihn, strömen Tränen aus meinen Augen
und überfluten meine Wangen.
Ich weine tränenreich und schluchzend um Sakhr,
vor mir die Wand aus frisch umgegrabener Erde.
[…]
Und Sakhr war’s, unser Herr und Beschützer,
der, wenn’s Winter wurde, sehr freigiebig war.
Tapfer war Sakhr, wenn sie zum Kampfe aufbrachen,
und hungerten sie, dann schlachtete er Tiere für sie.
Und Sakhr war’s auch, der den Führern ein Wegweiser war,
einem Berge gleich, auf dessen Gipfel Feuer brennt.
DAHIYA AL-HILALIYA
Mein Vater soll mich verlieren, wenn ich je Speichel wie den
des Geliebten gekostet habe, reiner als selbst das Regenwasser.
Und ich schwöre, hätt’ ich die Wahl zwischen ihm und
meinem Vater, ich entschiede mich, vaterlos zu sein.
Und wenn ich beim Schlafen nicht einen Knaben vom Stamme Hilal
in meinen Armen habe, dann soll Lahmheit meine Finger befallen.
ANONYMA
Was kann denn eine Beduinin dafür, wenn sie
unverhofft den Wechselfällen des Fernseins begegnet?
Denkt sie ans Wasser des Süßen und daran, wie gut es schmeckt,
und an die Kälte der Kiesel am Ende der Nacht, dann sehnt sie sich.
Am Abend stößt sie ein Stöhnen aus, ein Stöhnen auch
am frühen Morgen, ohne das verfiele sie sicher dem Wahnsinn.
SAFIA BINT KHALID AL-BAHILIA
Wir beide lebten wie zwei Zweige eines Baums
und wuchsen so, wie Bäume am schönsten wachsen,
bis es hieß, die Zweige seien lang geworden,
schön schlank, und sie trügen ansehnliche Früchte.
Die Unberechenbarkeit der Zeit hat einen von uns
vernichtet, niemanden und nichts verschont sie.
Wir waren wie Sterne der Nacht, und zwischen uns ein Mond,
der die Schwärze vertrieb, denn er war der Mond zwischen uns.
UMM AL-WARD AL-ADJLANIA
Wenn ihr mich nach ihm fragt, so sage ich euch:
Der Alte quälte mich, indem er mich nicht schlafen ließ,
und kurze Zeit bevor der Morgen graute,
steckt’ er den Schlüssel ins Schloss und brach es auf,
und seine hint’re Öffnung donnerte ohne Regen.
ANONYMA
Warum sucht uns Abu Hamza nicht auf?
Er verweilt in dem Haus hinter unserem.
Zürnt er uns, weil wir ihm keine Knaben gebaren?
Bei Gott, das liegt doch nicht in unsrer Hand!
Wir nehmen doch nur, was man uns gibt.
ANONYMA
So angenehm ist des Knäbleins Geruch –
Lavendelgeruch weit übers Land hin.
Verhält sich das mit jedem Knäblein so,
oder wurde vor dem meinen noch keines geboren?
UMM AD-DAHHAK AL-MUHARIBIYA
Du Reiter, der du deines Weges ziehst,
komm her, ich möcht’ dir sagen, was ich fühle:
Alle Liebesglut, die Menschen je empfanden,
und noch mehr von diesem Glühen wirst du bei mir finden.
Ich wünsche mir, dass er mich anerkennt, sein Glück
und seine Liebe erstreb’ ich bis zum letzten Tag.
Heilung von der Liebe heißt Küssen und Umarmen
und dass ein Bauch sich auf dem andern reibe,
heißt Stoßen, dass die Augen übergehen,
und Zerren an Haut und Haaren.
LAILA AL-’AMARIYA
1
Der Madjnun war in keinem Zustand,
in welchem nicht auch ich selbst mich befand,
doch er deckte das Geheimnis seiner Leidenschaft auf,
während ich vor lauter Verbergen dahinschmolz.
2
Der Madjnun von Amer deckte seine Leidenschaft auf,
während ich die meine verbarg und starb an meinem Leiden,
und wenn am Jüngsten Tage laut gefragt wird,
wen die Leidenschaft getötet habe, so trete ich ganz allein vor.
MAISUN BINT BAHDAL AL-KALBIA
Ein Haus, in dem Seelen atmen,
ist mir lieber als ein hoher Palast,
und ein Hund, der Vorübergehende ankläfft,
ist mir lieber als eine häusliche Katze.
Einen Umhang zu tragen und mich wohlzufühlen,
ist mir lieber, als in Gaze gekleidet zu sein,
und ein Stückchen trocknes Brot, im Schatten meines
Hauses gegessen, ist mir lieber als ein Fladenbrot.
Und die Stimme des Windes, aus allen Richtungen wehend,
ist mir lieber als das Schlagen des Tamburins,
und ein magrer, zerlumpter Verwandter
ist mir lieber als ein wohlgenährter Fremdling.
Die Härte meines Daseins als Beduinin
ist mir lieber als das bequeme Leben –
ich will nirgendwo als zu Hause sein,
das genügt mir als edle Heimstatt.
LAILA AL-ACHILIA
Dich, den Bittsteller, hielt ich zur Verschwiegenheit an,
denn solange du lebst, wird deine Bitte niemals erfüllt.
Ich habe einen Gefährten, den ich nicht betrügen soll,
und auch du bist verbunden mit einer anderen Frau.
RABI’A AL-ADAWIA
Ich liebe dich auf zweierlei Weise, mit
Leidenschaft und mit Achtung vor deinen Verdiensten.
Was die leidenschaftliche Liebe betrifft, so hält
der Gedanke an dich mich von jedem anderen fern,
und die Liebe zu deinen Verdiensten
lüftet den Schleier, damit ich dich sehe.
So ist kein Dank in dieser, und jene gehört mir nicht,
doch Ihm gebühret Lob in dieser und in jener.
Ich hab’ dich im Herzen zu meinem Vertrauten gemacht
und hab’ jedem gestattet, an meiner Seite zu sitzen,
denn dem, der neben mir sitzt, leistet mein Leib Gesellschaft,
während mein Liebster mir im Herzen Gesellschaft leistet.
AL-HADJNA BINT NUSAIB