Die Frauen vom Nikolaifleet – Der ferne Glanz - Katharina Lansing - E-Book
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Die Frauen vom Nikolaifleet – Der ferne Glanz E-Book

Katharina Lansing

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Beschreibung

Eine junge Frau kämpft für ihr Glück und für ihre Leidenschaft  Hamburg 1925: Von klein auf ist Leonores jüngste Tochter Ada in dem Kolonialwarenladen am Nikolaifleet aufgeblüht. Doch als es darum geht, offiziell in das Familiengeschäft einzusteigen, flüchtet sich Ada vor der Verantwortung nach Berlin und stürzt sich dort in eine leidenschaftliche Affäre zu einem Schriftsteller. Als sie auch noch eine Anstellung in einem Delikatessenhaus bekommt, könnte ihr Glück perfekt sein. Aber schon bald muss Ada erkennen, dass sie sich vom Glanz der großen Stadt hat täuschen lassen und ihr Herz das Nikolaifleet nie verlassen hat …  

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Die Frauen vom Nikolaifleet – Der ferne Glanz

Die Autorin

KATHARINA LANSING ist gebürtige Westfälin und lebt seit vielen Jahren in Niedersachsen. Hamburg und das besondere Flair dieser Stadt haben sie schon immer fasziniert. Sie erzählt leidenschaftlich gerne von Frauen, die heute wie damals für ihre Träume kämpfen.Von Katharina Lansing ist in unserem Hause bereits erschienen:Die Frauen vom Nikolaifleet – Der Traum von Übersee

Katharina Lansing

Die Frauen vom Nikolaifleet – Der ferne Glanz

Roman

Ullstein

Besuchen Sie uns im Internet:www.ullstein.de

Originalausgabe im Ullstein Taschenbuch1. Auflage Januar 2021© Ullstein Buchverlage GmbH, Berlin 2021Umschlaggestaltung: bürosüd GmbH, MünchenTitelabbildung: Trevillion Images / © Lee Avison (Frau); www.buerosued.de (Hintergrund)E-Book-Konvertierung powered by pepyrus.comAlle Rechte vorbehalten.

ISBN 978-3-8437-2373-2

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Inhalt

Titelei

Die Autorin / Das Buch

Titelseite

Impressum

I. Teil

1.

2.

3.

4.

5.

6.

7.

8.

9.

10.

11.

12.

13.

14.

15.

16.

17.

18.

II. Teil

19.

20.

21.

22.

23.

24.

25.

26.

27.

28.

29.

30.

31.

32.

33.

34.

35.

36.

37.

III. Teil

38.

39.

40.

41.

42.

43.

44.

45.

46.

47.

48.

49.

50.

51.

Anhang

Rezepte

Danke

Social Media

Vorablesen.de

Cover

Titelseite

Inhalt

I. Teil

Widmung

Für meine Großmutter Alwine, die Ada gemocht hätte

Motto

Herzen sind die Verwahrer von Geheimnissen,Lippen ihre Schlösserund Zungen ihre Schlüssel.

– Arabisches Sprichwort –

Personen

Die Konradis

Leonore

, Inhaberin des Kolonialwarenladens

Grieve & Konradi

Julius,

ihr Mann

Greta

, ihre älteste Tochter

Ada

, ihre jüngste Tochter

Weitere Figuren

Lisbeth

Freudenreich

, Adas Freundin und Mitbewohnerin

Paul Wechold

, Schriftsteller, ihre erste Liebe

Waltraud Ingelmann

, Verkäuferin im Modegeschäft

Kröger & Sohn

Gotthilf Kröger

, Inhaber

Gustav Meier

, Schauspieler im

Theater am Schiffbauerdamm

Theo Koslowsky

, Schauspieler im selben Theater

Alma

, Tänzerin

Sonja Dehnert

, Sekretärin im Theater

Gerold Bach

, Direktor des Theaters

Walter Stephan

, Inhaber des

Delikatessenhauses

Berthold

, sein Mitarbeiter

Magdalena (Leni)

, seine Mitarbeiterin

Ilse Klingbiel

, seine Mitarbeiterin

Toni

, Inhaber eines Tanzlokals

Carl Grieve senior

, Adas Großvater

Johannes

Konradi

, ihr Cousin

Isabel

Konradi

, seine Mutter

Sofie

Schmitt

, Adas Patentante

Carl Grieve junior

, ihr Onkel

Mary,

seine Frau

Ruth und Dorothy (Dotty),

seine Töchter

3.

Hamburg am Heiligen Abend

Am frühen Nachmittag stand Ada in der Küche, die Ärmel ihrer Bluse bis zu den Ellbogen hochgekrempelt, um ihr Haar hatte sie ein Tuch gebunden.

Sie backte leidenschaftlich gern, aber heute war es wie verhext. Sie schlug mit der Faust auf den Teig, um ihn geschmeidiger zu machen, und pustete sich eine Haarsträhne aus dem Gesicht. Sie rollte den Teig aus und nahm die Ausstechform. In kürzester Zeit war das Blech voll mit kleinen und großen Sternen, Glöckchen und Halbmonden. Sie schob es in den Ofen und wischte ihre Hände an der Schürze ab.

Ihre Schwester würde bald da sein, und es gab noch so viel zu tun. Der Tisch im Esszimmer musste gedeckt und das Besteck geputzt werden. Immerhin war der Eierpunsch schon fertig.

Als sie den Kopf hob, sah sie Greta die Straße entlangkommen. Nanu? Hatte sie einen früheren Zug genommen?

Ada lief zur Tür und wischte sich die Hände an der Schürze ab.

Ihre Schwester hatte die Gartenpforte geöffnet und winkte ihr zu. Mit schnellen Schritten eilte sie zur Haustür, stellte ihre Reisetasche ab und zog Ada in ihre Arme. »Du hast mir gefehlt, Schwesterchen.« Sie schnürte Ada fast die Luft ab. »Hast du mit Mama und Papa geredet?«, raunte sie.

»Nein.«

Greta seufzte kopfschüttelnd. »Herrje, Ada, am Ende stehst du mit gepackten Koffern in der Diele und stellst sie so vor vollendete Tatsachen.«

»Ich weiß«, gab Ada kleinlaut zu. »Es gab einfach noch keinen geeigneten Zeitpunkt.« Doch, den hatte es wohl gegeben, und zwar mehrfach.

Greta legte die Hände auf ihre Schultern und schaute sie eindringlich an. »Das Jahr ist bald zu Ende.«

»Ich rede nach Weihnachten mit ihnen.« Ada machte sich los. »Versprochen.« Sie hielt ihre Schwester etwas von sich. »Du siehst großartig aus. Neuer Mantel?«

Greta drehte sich einmal um sich selbst. »Gefällt er dir?«

»Er ist todschick und wahrscheinlich sündhaft teuer gewesen, oder?«

Greta schnalzte mit der Zunge. »Erkennst du ihn wirklich nicht?«

Ada war verwirrt. »Nein, sollte ich?«

»Es ist Tante Isabels alter Wintermantel. Er gefiel mir immer so gut, und sie trägt ihn nicht mehr. Ich habe ihn ihr abgeschwatzt und ihn reinigen und neu füttern lassen. Und den Saum musste ich etwas auslassen.« Sie drehte sich wieder. »Et voilà.«

Es war ein beigefarbener Wollmantel, mit großen aufgesetzten Taschen und einem Kragen, der inzwischen wieder modern war. An den Seiten war er abgesetzt, sodass er Gretas schlanke Taille hübsch zur Geltung brachte.

»Sehr schick. Hast du auch eine neue Frisur?«

»Darf ich erst mal hereinkommen, Schwesterherz?«

Ada trat beiseite, und Greta zog ihren Mantel aus, schlüpfte aus ihren Stiefeln, nahm ihren Hut ab und richtete im Spiegel ihr Haar, das zu einem kurzen Bob geschnitten war. Sie trug einen knielangen Rock und darüber einen weißen Pullover mit V-Ausschnitt, einen sogenannten Jumper, der hervorragend zum Rock passte.

»Du siehst wirklich sehr hübsch aus«, sagte Ada neidlos.

»Duftet es hier nach Nussplätzchen?« Greta schnupperte. »Ach, ich liebe Weihnachten!«

Das letzte Blech war gerade im Ofen, als ihr Vater hereinkam. Er hatte geschlafen, wie Ada an seiner rechten Wange erkennen konnte, auf der ein Kissenabdruck zu sehen war. Er schloss Greta in die Arme. »Hattest du eine gute Reise?«

»Einigermaßen. Es war schrecklich voll in den Abteilen.«

»Kein Wunder, alle möchten Weihnachten bei ihrer Familie sein.«

»Ist Mama noch im Laden?«, wollte sie wissen.

»Ja, aber sie müsste gleich hier sein. Ich sehe mal nach dem Baum.« Er ging wieder hinaus, hatte aber vorher ein Plätzchen vom Blech stibitzt, das auf dem Tisch lag.

Die Gartenpforte quietschte, und Ada ging zum Fenster. Das müsste ihre Mutter sein.

Sie hätte nicht überraschter sein können, als sie ihre Patentante entdeckte, die elegant wie eh und je durch den Vorgarten kam. Auch sie trug einen langen Wollmantel mit aufgesetzten Taschen und großem Kragen. Dazu einen Hut mit kleiner Krempe und Lederhandschuhe.

Ada öffnete die Tür, und ein Schwall kalter Luft drang in die Diele. »Tante Sofie. Ich dachte, du wolltest erst zum Tee kommen.«

»Wenn ich unerwünscht bin, musst du es nur sagen, meine Liebe.« Sofie hauchte ihr einen Kuss auf die Wange. »Um ehrlich zu sein, habe ich mich zu Hause gelangweilt und dachte, ich könnte euch vielleicht ein bisschen zur Hand gehen.«

Ada musste lachen. »Na, wenn das so ist …«

Sofie ließ sich Mantel und Hut abnehmen, zog ihre Handschuhe aus und ging voran in die Küche. Wie Greta trug sie Rock und Jumper. Unmodische Kleidung – für Sofie undenkbar. Um den Hals hatte sie mehrere Ketten geschlungen, die beim Gehen leise klingelten. »Greta!«

Sie umarmte Adas Schwester und hielt sie anschließend von sich, um sie genauestens zu bewundern. »Diese Frisur ist hinreißend. Ich werde gleich nächste Woche losgehen und meinen Friseur bitten, mir das Haar auch so zu schneiden.« Sie griff sich mit der Hand hinein. »Aber ob mir das überhaupt steht?«

»Du wirst großartig damit aussehen«, meinte Greta, und Ada nickte zustimmend.

Ihre Patentante könnte mit einer Puddingschüssel auf dem Kopf durch Hamburg spazieren, und die Leute würden sich nicht nach ihr umdrehen, weil sie so lustig aussähe, sondern weil sie selbst dann noch Eleganz ausstrahlen würde.

Sofie war eine enge Freundin ihrer Mutter, auch wenn die beiden Frauen ein Altersunterschied von mehr als zwanzig Jahren trennte. Doch es war nicht allein das, Sofie hatte immer ein vollkommen anderes, sehr viel komfortableres Leben geführt, mit Dienstmädchen, Köchin und Gärtner. Sie war mit einem wohlhabenden Tuchkaufmann verheiratet gewesen und lebte in einer Villa in Blankenese. Sie hatte sich niemals sorgen müssen, ob die Speisekammer gefüllt war.

Vor einem Jahr war ihr Mann gestorben, seitdem kümmerten sich sowohl Ada als auch ihre Mutter sehr liebevoll um sie.

Sofie gehörte längst zur Familie.

Ada erinnerte sich gern an die herrlichen Gartenfeste bei den Schmitts. Einmal war überraschend das Wetter umgeschlagen, und der Wind hatte die Tischdecke heruntergefegt und in einen der Apfelbäume gewirbelt. Ada war in den Baum geklettert und hatte sie aus den Ästen befreit. »Spring, Ada!«, hatte Sofie lachend gerufen. »Ich fange dich auf!«

»Das möchte ich sehen«, hatte Ada zurückgerufen.

»Nun mach schon!« Ihre Patentante hatte die Arme ausgebreitet.

Am Ende hatten sie beide auf dem akkurat gemähten Rasen gelegen.

»Ada? Wo bist du mit deinen Gedanken?«, fragte Sofie sie.

Sie blinzelte, das Bild wollte dennoch nicht verschwinden. »Ich habe gerade daran gedacht, wie schön deine Sommerfeste früher waren.«

»Ja, nicht wahr? Erinnert ihr euch an den Platzregen, der so plötzlich kam, dass wir es nicht mehr geschafft haben, die Tische abzuräumen?«

»Greta und ich haben das Regenwasser aus den Teetassen getrunken. Es ist schön, dass du da bist, Tante Sofie. Allerdings finde ich den Gedanken, du könntest mit Schürze und Kopftuch durch unsere Küche wirbeln und die Kartoffeln schälen, sehr erheiternd. Oder möchtest du lieber die Gläser polieren? Oder vielleicht die Servietten falten? Das gute Besteck auf Hochglanz bringen?«

»Du traust mir all dies also nicht zu? Na, das wollen wir doch mal sehen.«

Während ihre Eltern, ihr Großvater und ihre Patentante in der Stube waren und plauderten, waren Ada und Greta nach oben gegangen und hatten sich auf Gretas Bett gesetzt.

Ihre Schwester studierte in Berlin Medizin und kam nur noch unregelmäßig nach Hause. Schon als kleines Mädchen wollte sie Ärztin werden und war einen sehr klaren Weg gegangen: Fleißige Schülerin, glänzender Schulabschluss, keine nennenswerten Probleme beim Studium. Sie war ordentlich, ehrgeizig und zielstrebig und außergewöhnlich diszipliniert. Es gab keine Tiefschläge, dafür aber auch keine Höhenflüge. Wenn ihre Kommilitonen tanzen gingen, hockte Greta über den Büchern, und während andere junge Frauen sich einen Mann und eine eigene Familie wünschten, wollte sie Menschen helfen und als Ärztin ernst genommen werden.

Auch Adas Weg war schnurgeradeaus, wenn auch ganz anders verlaufen. Sie war eine eher gelangweilte Schülerin gewesen, die den Schulabschluss nur als reine Notwendigkeit gesehen hatte. Es war immer klar gewesen, dass sie danach im Laden mitarbeiten würde. Wozu also sich großartig anstrengen?

Doch irgendwann – sie wusste nicht mehr, wann es angefangen hatte – waren ihr Zweifel gekommen, ob dieser Weg wirklich der einzige für sie war. Der Wunsch nach Unabhängigkeit und Freiheit war immer größer und drängender geworden, und sie hatte begriffen, dass sie ihn nicht länger ignorieren oder unterdrücken durfte.

»Mir fehlt, dass du abends in mein Bett gekrochen kommst, weil dir kalt ist«, sagte Greta und holte sie damit ins Hier und Jetzt zurück.

»Das hab ich schon ewig nicht mehr getan.«

»Ostern zuletzt«, erwiderte Greta trocken. »Wenn du möchtest, sprechen wir gemeinsam mit Mama und Papa.«

»Nein, ich muss das allein tun, Greta.« Sie würden aus allen Wolken fallen.

»Sie werden es verstehen.«

Ada schüttelte den Kopf. »Das glaube ich nicht.« Sie hatte schon viel zu lange gezögert, und mit jedem weiteren Tag machte sie es noch schlimmer.

»Du hast zu lange unter Mamas Knute gestanden«, meinte Greta und knuffte sie freundschaftlich. »Mein Studium ist ungeheuer anstrengend, das kannst du mir glauben, aber ich würde es als ungleich anstrengender empfinden, mit Mama im Laden stehen zu müssen.«

Ada sprang auf, nahm ihre Hände und tanzte mit ihr durchs Zimmer. »In Berlin werde ich mir ein Grammofon anschaffen. Oder ein Radio.« Sie kicherte. »Oder beides. Ach, ich freue mich schon so.«

»Warte, ich zeige dir was.« Greta machte sich los und tanzte allein weiter. Dabei zog sie die Knie abwechselnd an und bewegte die Hände auf und ab. »Das nennt man Charleston.«

»Sieht aus, als wäre das Klosett gerade besetzt.«

»Wenn du erst mal in Berlin wohnst, gehen wir tanzen.«

Ada nickte lächelnd. Endlich konnte sie dem Fernweh und der Sehnsucht nachgeben.

Zwischen Weihnachten und Neujahr kam Adas Cousin Johannes überraschend zu Besuch. »Ich hatte beruflich in Hamburg zu tun und bin anschließend in die Deichstraße gefahren, aber deine Mutter sagte, du wärst schon zu Hause.«

Ada hatte Kaffee gekocht, einen Teller mit den letzten Weihnachtsplätzchen dazugestellt und war mit Johannes in die Stube gegangen. »Es war nicht viel zu tun.«

Ihr Lieblingscousin war auch immer ihr guter Freund gewesen. Als Kinder waren sie beide recht wild und abenteuerlustig gewesen und hatten so manches Familienfest durcheinandergewirbelt.

Johannes würde eines Tages das Tuchgeschäft seines Vaters übernehmen, der es wiederum von seinem Vater, ihrem Großvater, übernommen hatte.

»Hast du nie darüber nachgedacht, etwas ganz anderes als dein Vater und dein Großvater zu machen?«, fragte Ada ihn unvermittelt.

»Doch.« Er zuckte die Schultern, schien sich über ihre Frage nicht weiter zu wundern. »Aber es ist wohl einfach mein Weg.«

»Was ist mit deinem Bruder? Friedrich könnte doch auch die Geschäfte übernehmen.«

»Er wollte immer Jurist werden, und Papa ist so stolz auf ihn.«

»Genau wie auf dich.«

Er sah sie von der Seite an. »Ehrlich gesagt, hatte ich immer den Eindruck, als sei er auf Friedrich viel stolzer als auf mich.«

»Das bildest du dir bestimmt ein. Du wirst seine Geschäfte weiterführen, das sollte ihn unglaublich stolz machen.«

Er erwiderte nichts darauf.

Wieder dachte Ada, dass der Weg, der einem vorherbestimmt zu sein scheint, nicht unbedingt auch der richtige und einzige sein muss. Wie gut, dass sie sich endlich davon freigemacht hatte. Sie hätte sich vermutlich niemals abnabeln können und wäre stets die Tochter von Leonore Konradi geblieben, selbst wenn sie den Laden eines Tages allein weitergeführt hätte.

»Du selbst stellst dir all diese Fragen, stimmt’s, Cousine?«

»Ich habe mir diese Fragen gestellt«, gab sie ohne Umschweife zu. »Ich hatte lange Sehnsucht nach etwas und wusste nicht, wonach. Es ist schwer, etwas zu ändern, wenn man nicht weiß, was.«

»Das klingt, als wüsstest du es inzwischen.«

Sie nickte. »Kann ich dir etwas anvertrauen?«

»Das weißt du doch.«

»Versprichst du, es vorerst für dich zu behalten?«

»Natürlich.«

»Ich werde auch nach Berlin gehen. Im Januar.«

Johannes schaute sie mit großen Augen an. »Ich höre wohl nicht recht. Und deine Eltern wissen es noch nicht?«

Sie schüttelte den Kopf. »Ich wusste nicht, wie.«

»Manchmal gibt es nur den direkten, schonungslosen Weg. Das hast du mir selbst mal irgendwann gesagt. Ich weiß nicht mehr, wann. Du glaubst, du würdest deine Mutter im Stich lassen, nicht wahr?« Eine Antwort brauchte er ganz offenbar nicht, denn er nickte.

Sie rührten beide in ihren Tassen und hingen ihren Gedanken nach.

»Woran merkt man eigentlich, dass man verliebt ist?«, fragte er sie nach einer ganzen Weile.

»Das fragst du ausgerechnet mich? Oder willst du mir etwa doch einen Antrag machen?«, scherzte sie. Als Kinder hatten sie sich versprochen, irgendwann zu heiraten, sollten sich keine geeigneteren Kandidaten finden.

»Es geht um Paula, die Tochter unseres Hausarztes«, sagte er nach einer Weile. »Erinnerst du dich noch an sie?«

»Paula Johannsen.« Ada nickte. Sie hatte ein ausgezeichnetes Namensgedächtnis. Als Kinder hatten sie gelegentlich mit Paula gespielt, wenn sie bei ihren Großeltern in Lübeck gewesen waren. »Ist sie noch immer so pummelig?«

»Nein, ganz im Gegenteil.«

»Beim Versteckenspielen hat sie geheult, weil sie nicht in den hohlen Eichenstamm passte, in den sie sich zwängen wollte.«

»Daran erinnerst du dich noch?«, fragte er ungläubig.

»Ich fürchte, ich habe das Gedächtnis eines Elefanten. Du bist also in Paula Johannsen verliebt. Ist es was Ernstes?«

»Wenn ich das wüsste.«

»Das wirst du schon noch herausfinden.«

»Und du wirst es hoffentlich nicht bereuen, nach Berlin zu gehen.«

»Das werde ich herausfinden müssen. Ich wünsche mir einfach, auf eigenen Füßen zu stehen. Und das kann ich nicht, solange die durch den Laden meiner Mutter laufen.«

4.

Hamburg am Tag vor Silvester

Vielleicht war es ein Omen, dass ausgerechnet an diesem Morgen ihr Vater vor ihrer Mutter aufgestanden war. Ada hatte nämlich am Abend zuvor beschlossen, endlich mit ihren Eltern zu sprechen.

Ihr Vater saß in der Küche und trank Kaffee. »Schon wieder so früh auf den Beinen?«, fragte er, als sie hereinkam.

»Ich konnte nicht schlafen.« Sie setzte sich ihm gegenüber und knetete ihre Finger. Sie stand wieder auf, stellte Butter und Marmelade hin, schnitt Rosinenbrot und setzte Teewasser auf.

Als alles fertig war, saß sie eine Weile da und überlegte, wie sie anfangen sollte. Ihr Vater hatte sie nur hin und wieder angeschaut, aber nichts gesagt oder gefragt. Er kannte sie und ahnte vermutlich, dass sie aufgewühlt war und Zeit schinden wollte.

»Ich muss mit euch reden, Papa.« Sie schenkte ihm Kaffee nach. »Und ich glaube, es ist gut, wenn ich es dir zuerst sage.«

»Bist du sicher? Sollte deine Mutter nicht …?«

Sie schluckte schwer. »Ich werde auch nach Berlin gehen.«

Er stellte seine Tasse ab und schaute sie entgeistert an. »Wie bitte? Nach Berlin? Ich verstehe nicht …«

»Ich weiß, dass mein Platz eigentlich im Laden ist, aber es fühlt sich einfach nicht mehr an, als sei es auch meiner. Es ist Mamas Laden, sie trifft die Entscheidungen, sie bestimmt alles. Ich will auf eigenen Füßen stehen, ich weiß schon lange nicht mehr, wer ich bin, Papa. Ich fühle mich seit Langem …« Sie fasste sich unbewusst an den Hals. »Kribbelig und angespannt. Und unzufrieden.« Sie hatte so viel und so schnell wie selten zuvor gesprochen und war ganz außer Atem. »Mama wird das wahrscheinlich nicht verstehen, sie …«

»Du willst also auch nach Berlin«, hörte sie ihre Mutter sagen und fuhr erschrocken herum. Wann war sie hereingekommen? Ada hatte sie nicht bemerkt. Sie setzte sich an den Tisch, schenkte sich Kaffee ein und trank einen Schluck. Ihre Hand zitterte dabei ein wenig. »So unglücklich bist du also? Und statt mit mir darüber zu reden, flüchtest du lieber nach Berlin.«

Ada wusste nicht, was sie erwidern sollte. Es stimmte ja nur zum Teil, aber ihr fehlte mit einem Mal die Kraft, es richtigzustellen.

»Wann, Ada? Wann wirst du nach Berlin gehen?«

»Im Januar.«

Ihre Mutter stand auf und verließ die Küche.

»Im Januar schon?« Ihr Vater schaute sie fassungslos an.

»Ich wusste nicht, wie ich es anstellen sollte, Papa. Es tut mir wirklich leid.« Ihr Magen zog sich zusammen.

Er schüttelte nur den Kopf und zwirbelte seinen Bart, wie er es oft machte, wenn er nachdachte oder verwirrt war.

»Es tut mir so leid, Papa«, sagte sie nach einer ganzen Weile. »Ich weiß, ich hätte es euch längst sagen sollen. Immer, wenn ich dachte, jetzt wäre eine gute Gelegenheit, hat mich wieder der Mut verlassen.«

Er schwieg, erst nach einer weiteren Weile fragte er: »Willst du nicht nach deiner Mutter sehen?«

»Nein. Ich kann jetzt nicht.« Ada stand auf und ging hinaus.

Ihre Mutter war allein zum Laden gefahren, sie hatte ihr nicht mal Bescheid gegeben. Vielleicht wollte sie ihr demonstrieren, dass sie in Zukunft ohnehin täglich allein fahren würde.

Ada saß in ihrem Zimmer auf dem Bett, die Hände im Schoß. Selten zuvor hatte sie sich so schäbig gefühlt. Sie verfluchte ihr Zögern, ihre erbärmliche Feigheit. Sie hätte klipp und klar sagen sollen: »Mama, Papa, ich glaube, ich muss einen anderen Weg gehen, meinen eigenen. Vielleicht werde ich auf die Nase fallen und komme mit wehenden Fahnen zu euch zurück, aber ich muss es wenigstens ausprobieren. Ich muss es erleben, fühlen. Selbst wenn ich scheitern werde.«

Das wäre erwachsen, verantwortungsvoll gewesen. Sie aber hatte den Kopf in den Sand gesteckt und versucht es auszusitzen.

Sie weinte, wahrscheinlich aus Selbstmitleid. Und als sie an den Punkt kam, wütend auf sich zu sein, verließ sie das Haus, stieg in die Straßenbahn und fuhr zur Deichstraße.

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I. Teil

1925–1926