DIE GEFÄHRLICHE LADY - George H. Coxe - E-Book

DIE GEFÄHRLICHE LADY E-Book

George H. Coxe

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Beschreibung

Am späten Nachmittag schlug der Wind, der bisher beständig aus Südwest geblasen hatte, nach Osten um, der Himmel bewölkte sich, und das schöne, warme Wetter, das die ganze vergangene Woche über angehalten hatte, schien vorüber zu sein. Gegen halb neun Uhr abends hatten sich die Wolken vollkommen zugezogen; sie sahen so aus, als ob es jeden Augenblick regnen könnte. Es war wie ein Omen für die düsteren Tage, die nun anbrechen sollten, dass gerade zu diesem Zeitpunkt Dean Fenton bei dem alten Fellhaven-Gasthof vorfuhr...

 

George H. Coxe (* 1901 in Olean, Cattaraugus County, New York; † 31. Januar 1984) war ein US-amerikanischer Schriftsteller.

Der Roman Die gefährliche Lady erschien erstmals im Jahr 1961; eine deutsche Erstveröffentlichung erfolgte 1962 (unter dem Titel Gefährliche Lady).

Der Apex-Verlag veröffentlicht eine durchgesehene Neuausgabe dieses Klassikers der Kriminal-Literatur in seiner Reihe APEX CRIME.

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Veröffentlichungsjahr: 2022

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GEORGE H. COXE

 

 

Die gefährliche Lady

 

Roman

 

 

 

 

Apex Crime, Band 277

 

 

Apex-Verlag

Inhaltsverzeichnis

Das Buch 

DIE GEFÄHRLICHE LADY 

Erstes Kapitel 

Zweites Kapitel 

Drittes Kapitel 

Viertes Kapitel 

Fünftes Kapitel 

Sechstes Kapitel 

Siebtes Kapitel 

Achtes Kapitel 

Neuntes Kapitel 

Zehntes Kapitel 

Elftes Kapitel 

Zwölftes Kapitel 

Dreizehntes Kapitel 

Vierzehntes Kapitel 

Fünfzehntes Kapitel 

Sechzehntes Kapitel 

Siebzehntes Kapitel 

Achtzehntes Kapitel 

Neunzehntes Kapitel 

Zwanzigstes Kapitel 

Einundzwanzigstes Kapitel 

Zweiundzwanzigstes Kapitel 

 

 

Das Buch

 

Am späten Nachmittag schlug der Wind, der bisher beständig aus Südwest geblasen hatte, nach Osten um, der Himmel bewölkte sich, und das schöne, warme Wetter, das die ganze vergangene Woche über angehalten hatte, schien vorüber zu sein. Gegen halb neun Uhr abends hatten sich die Wolken vollkommen zugezogen; sie sahen so aus, als ob es jeden Augenblick regnen könnte. Es war wie ein Omen für die düsteren Tage, die nun anbrechen sollten, dass gerade zu diesem Zeitpunkt Dean Fenton bei dem alten Fellhaven-Gasthof vorfuhr...

 

George H. Coxe (* 1901 in Olean, Cattaraugus County, New York; † 31. Januar 1984) war ein US-amerikanischer Schriftsteller.

Der Roman Die gefährliche Lady erschien erstmals im Jahr 1961; eine deutsche Erstveröffentlichung erfolgte 1962 (unter dem Titel Gefährliche Lady). 

Der Apex-Verlag veröffentlicht eine durchgesehene Neuausgabe dieses Klassikers der Kriminal-Literatur in seiner Reihe APEX CRIME.

   DIE GEFÄHRLICHE LADY

 

 

 

 

 

 

  Erstes Kapitel

 

 

Am späten Nachmittag schlug der Wind, der bisher beständig aus Südwest geblasen hatte, nach Osten um, der Himmel bewölkte sich, und das schöne, warme Wetter, das die ganze vergangene Woche über angehalten hatte, schien vorüber zu sein. Gegen halb neun Uhr abends hatten sich die Wolken vollkommen zugezogen; sie sahen so aus, als ob es jeden Augenblick regnen könnte. Es war wie ein Omen für die düsteren Tage, die nun anbrechen sollten, dass gerade zu diesem Zeitpunkt Dean Fenton bei dem alten Fellhaven-Gasthof vorfuhr.

Selten wohl war ein Urteil über einen Menschen so einstimmig wie das seiner Bekannten über Dean Fenton, nämlich – dass er ein Lump sei; wobei die temperamentvolleren und zungengewandteren es nicht mit Beispielen und Beweisen bewenden ließen, sondern ihre Charakteristik großzügig mit harten Worten ausschmückten.

Er selbst bezeichnete sich als Schauspieler, und er spielte den ersten Liebhaber auf Wanderbühnen und in zweitklassigen Theatern. Jetzt war er zweiunddreißig Jahre alt. Mit seinem wohleinstudierten strahlenden Lächeln, dem welligen blonden Haar, das er Sommer wie Winter unbedeckt trug, hätte er – wenn man ihn aus einiger Entfernung betrachtete – wohl auch in den nächsten zwanzig Jahren noch für dreißig gelten können.

An diesem Samstagabend entlohnte er nun sein Taxi, mit dem er vom Soundbrook-Bahnhof hierhergefahren war, und betrat die Halle der tiefgezogenen Decke aus Eichenbalken. In seinem gutgeschnittenen Gabardineanzug, mit dem kleinen Koffer aus hellem Schweinsleder in der Hand, sah er ohne Zweifel sehr elegant aus. Obwohl er auf die Situation, die er hier vorfand, unvorbereitet war, tat er sein Bestes, um zu beweisen, dass eine so einhellige Beurteilung, wie diejenige seiner Person, in den meisten Fällen berechtigt sei.

Fenton ging zum Empfang und fragte nach einem Zimmer. Sam, der Portier, erklärte, dass gerade noch ein einziges frei sei. Daraufhin füllte Fenton die Anmeldung aus und erkundigte sich, ob Miss Trumbull ebenfalls hier wohne. Sam erwiderte, dass sie einen von den Bungalows hinten im Garten gemietet hätte.

»Sind Sie mit ihr befreundet?«, wollte er dann höflich wissen. »Ich meine nur, weil es dann schade wäre, dass Sie nicht schon zeitiger angekommen sind.«

»Warum?«

»Weil Miss Trumbull heute eine Cocktailparty gegeben hat, um ihre Verlobung bekanntzugeben, Sir.«

»So? Mit wem?«

»Mit Mr. Reaburn – Bill Reaburn. Er ist so eine Art Assistent von Max Canfield, dem Produzenten. Er hat die Public Relations unter sich.«

Fenton murmelte, dass das ja außerordentlich interessant sei, und bat, seinen Koffer auf sein Zimmer zu stellen. Dann drehte er sich um, immer mit dem gleichen Lächeln, nahm eine Zigarette aus seinem Etui und sah sich in der spärlich möblierten Halle um. Er schien nichts Interessantes entdecken zu können; denn er zündete sich die Zigarette an, warf das Streichholz auf den Boden und schlenderte zur Verandatür hinüber. Einen Augenblick lang lehnte er sich lässig und auffällig gegen den Türrahmen und blickte die Uferstraße entlang. Dann überquerte er die Veranda, wobei er so tat, als ob er die Gäste, die dort im Schatten verborgen saßen, nicht bemerkte, ging den Weg hinunter und bog rechts auf die Hauptstraße ein. Er folgte ihr etwa hundert Meter weit und stieg dann die grasbewachsene Böschung zum Fellhaven Theater hinauf.

Das Theater war ein scheunenartiger, plumper Bau, mit weißgetünchten Mauern und verwitterten grauen Schindeln. Sein einziger Schmuck bestand in einer schmalen Veranda, die von einer selbstgemachten Marquise überdacht wurde. Nichts als seine Größe – es war größer als die meisten anderen Sommertheater – unterschied es von irgendeinem städtischen Versammlungssaal. Als Fenton die Treppe hinaufging, war die Vorstellung bereits im Gange, und er traf Canfield in seinem Büro an, wo er noch einige Anweisungen gab.

Canfield, ein gedrungener Mann mit glatt anliegendem Haar und kleinen, misstrauischen Augen, die ihn nicht gerade sympathischer erscheinen ließen, sagte kurz: »Guten Tag!«, und fragte dann in unfreundlichem Ton, was Fenton wünsche. Fenton sagte, dass er der Ansicht sei, Canfield könnte möglicherweise eine Rolle für ihn haben. Canfield lehnte ab. Für die noch verbleibenden zwei Wochen der Saison sei er voll besetzt. Das hätte Fenton allerdings genauso gut durch einen Telefonanruf erfahren können, meinte er abschließend.

Fenton hörte mit gelangweilter Miene zu. Sein Verhalten zeigte deutlich, dass diese Auskunft vollkommen bedeutungslos für ihn war. Ihm würde ein wenig Landluft guttun, warf er dann gleichgültig hin.

»Mir ist zu Ohren gekommen, dass Sie wegen Laura Garland mit der Pioneer Filmgesellschaft verhandeln«, bemerkte er. Er spielte damit auf ein Starlet an, das Canfield managte. »Ist der Vertrag schon unterschrieben?«

»Noch nicht. Aber er ist so gut wie perfekt.«

»Ich überlege mir, ob die Pioneer Film wohl an einem Foto interessiert wäre, das ich von Laura besitze.«

Fentons Stimme war gleichbleibend sanft und ruhig. Er unterbrach sich und zögerte. Sein unbestimmtes Lächeln schweifte über Canfield hinweg zum dunklen Fenster hinüber.

Canfield beobachtete ihn. Zorn verfinsterte sein Gesicht und ließ die kleinen Augen bösartig funkeln, während er abwartete, was Fenton noch zu sagen hätte.

»In der letzten Woche dieser Spielzeit geben Sie Die kurze Straße«, sagte der Schauspieler. »Ich hatte mir gedacht, dass ich den Philip darin spielen könnte. Es ist eine Rolle, die mir besonders gut liegt.«

Canfields Mund wurde schmal. »Wieviel verlangen Sie dafür?«, presste er dann heraus.

»Oh, nur die übliche Gage.«

Der Regisseur schien es abzuwägen. Er setzte zum Sprechen an, aber er hielt sich zurück, als ob er zu einem anderen Ergebnis gekommen wäre. »Also gut«, sagte er dann schließlich. »Ich werde versuchen, es zu arrangieren.«

»Danke. Ich habe mir gleich gedacht, dass wir einig würden, Max.« Fenton ging zur Tür, aber er kehrte noch einmal um und kam zurück. »Wie steht es eigentlich mit dem kommenden Jahr? Werden Sie das Theater wieder übernehmen?«

Canfield betrachtete den Zigarrenstummel in seiner Hand voll Ekel. Dann hatten seine Empörung und seine Gereiztheit einen Grad erreicht, bei dem er sich nicht länger beherrschen konnte, und er schleuderte den Stummel wütend in den Papierkorb.

»Nein«, grollte er.

»Nicht? Wie traurig!«

»Bill Reaburn ist mit einer Vorkaufsoption von Cary Reisner hier angekommen«, sagte Canfield voll Erbitterung gegen den abwesenden Besitzer des Theaters. »Fünfundsiebzig bar auf den Tisch des Hauses als Anzahlung. Und ich will verdammt sein, wenn er diese Summe nicht zusammenbekommt, und zwar von Ihrer geschiedenen Frau.«

Fenton vergaß zum ersten Mal, zu lächeln. Er sah Canfield scharf an. »Warum sollte sie ihm fünfundsiebzigtausend geben?«

»Ich habe es Ihnen doch gerade erklärt. Um das Theater zu kaufen.«

»Sie haben mich falsch verstanden. Aus welchem Grund sollte sie es ihm gerade geben?«

»Weiß ich? Möglicherweise als Verlobungsgeschenk – oder wissen Sie noch nicht...? Vielleicht liebt sie den Burschen. Warum fragen Sie sie nicht selbst?«

»Ich denke, das werde ich auch tun«, antwortete Fenton ruhig.

»Fragen Sie sie auf eine nette Art und Weise.« Canfields Augen funkelten immer noch, und sein Lächeln war provozierend. »Damit Sie keine Schwierigkeiten bekommen.«

»Mit Reaburn?« Der Schauspieler fuhr mit der Hand über seinen Nacken, und seine Finger berührten flüchtig eine schmale Narbe, die dort entlanglief. Die Narbe war mehr als zwölf Jahre alt und rührte nicht vom Krieg, sondern aus seiner Schulzeit her. »Ich habe früher schon Unannehmlichkeiten gehabt«, sagte er gedankenvoll und ging endgültig.

Er trat ins Freie und ging an einer Seite des Gebäudes entlang, bis zu einer Tür im Souterrain. Aus dem dahinterliegenden Flur fiel ein schwacher Lichtschein. Sie führte zu dem kleinen, gesondert liegenden Raum, der Bill Reaburn als Pressebüro diente. Fenton sah hinein, aber es war niemand dort. Also kehrte er um und wandte sich an der großen, weißen Scheune an der Rückseite vorbei, die den Schauspieleleven, die jedes Jahr hierherkamen, um zu volontieren, als Garderobe diente. Dann ging er den Pfad hinunter, der durch das kleine Wäldchen zu den vier Bungalows führte, die wenige Meter hinter dem alten Gasthaus lagen.

Zwei der vier Holzhäuschen waren jeden Sommer für den Theaterleiter und die jeweiligen Hauptdarsteller reserviert. Die anderen beiden, die zwar etwas kleiner waren, sonst aber genauso aussahen, konnten von zahlungskräftigen Gästen gemietet werden. In diesem Sommer bewohnte Patricia Trumbull den einen. Den anderen hatte Alan Hathaway übernommen, der zwar noch kein Star war, aber dafür Geld hatte. Fenton ging zu Patricia Trumbulls Bungalow und sah nach, ob sie zu Hause war. Er war noch dort, als wenige Minuten später Bill Reaburn eintrat.

Bill stürzte herein und bemerkte erst, als er die Tür hinter sich geschlossen hatte, dass das Mädchen Besuch hatte. Sein freudiges Lächeln war wie weggewischt, und seine Augen wurden hart, als er Fenton erkannte.

»Servus, Reaburn!«, begrüßte Fenton ihn lässig und winkte mit der Hand zu ihm hinüber.

Bill antwortete nicht. Er wandte seinen Blick von Fenton ab und sah Patricia an. Aber was er sah, machte ihn erschrocken und unsicher. Denn dieses Mädchen war ein anderes als das, das er nach Tisch verlassen hatte. Dieses Mädchen, das dort vor ihm saß, war eine Fremde. Sie war vollkommen eingeschlossen und abgekapselt in ihrer Welt der Verzweiflung und Mutlosigkeit. Sie schien nicht einmal mehr die Kraft zu haben, ihn zur Begrüßung anzulächeln. Trotz ihrer tiefen Sonnenbräune konnte er die Blässe erkennen, die um den weichen Mund lag, und ihre Augen starrten ihn weitgeöffnet und trostlos an.

»Pat hat mir von eurem Verlobungscocktail erzählt«, sagte Fenton mokant. »Es ist schade, dass ich nicht etwas zeitiger angekommen bin. Ich hätte euch sonst einige Verlegenheit ersparen können.«

Bill schwieg weiter. Er brauchte eine Weile, um sich an Fentons Anwesenheit zu gewöhnen und den Sinn seiner Anspielung in sich aufzunehmen. Er wollte nicht sprechen, ehe er sich nicht vollkommen wieder in der Hand hatte. Er sah sich in dem Raum um, den er schon hundertmal vorher gesehen hatte, als ob er ihm völlig neu wäre. Er musterte die Fichtendielen, die darauf verstreuten, verschlissenen Brücken, die billigen Möbel aus Ahornfurnier und das Sofa mit den Ahornarmlehnen, das man in ein Bett verwandeln konnte, wenn es nötig war. Dann war sein Blick wieder bei Pat Trumbull angekommen und blieb an ihr hängen. Er wartete, dass sie etwas sagen würde. Und er hatte das Gefühl, dass sie es wollte, aber nicht konnte.

»Was ist los, Pat?«, fragte er, um ihr zu helfen. »Ist etwas passiert?«

Er sah, wie sie schluckte, und ihre Lippen sich öffneten, aber da erklang schon Fentons unangenehme Stimme.

»Ich werde es Ihnen erklären. Sie sind ein wenig voreilig gewesen. Ich hatte unter anderem eine kleine Unterhaltung mit Max Canfield. Er hat mir erzählt, dass Sie beabsichtigen, nächste Woche das Theater zu kaufen und eine Anzahlung von fünfundsiebzigtausend zu machen. Fünfundsiebzigtausend Dollar-vom Geld meiner Frau.«

Endlich gelang es Pat, zu sprechen. Hastig und gequält stieß sie die Worte hervor, als sie den Zweifel in Bills Augen sah und bemerkte, wie seine Kiefer sich zusammenpressten.

»Dean behauptet, die Scheidung nicht bekommen zu haben.«

Fenton nickte lächelnd. Pat wandte sich zu ihm um.

»Aber ich habe doch die Papiere unterzeichnet?«

»Ja«, sagte Fenton.

»Du hast geschrieben, dass du das Scheidungsurteil am ersten August bekommen würdest.«

»Da war etwas in Hollywood, was ich dringend erledigen musste.« Fenton machte abermals eine gleichgültige Handbewegung. »Man muss sechs Wochen in Nevada gewohnt haben, und ich bin schon früher abgereist. Ich hatte vor, es diesen Winter noch einmal zu versuchen, falls du es nicht lieber selbst erledigen willst.«

»Oh«, sagte Bill, und seine Stimme war ebenso frostig wie seine Gedanken. »So liegen die Dinge also.«

»Ich fürchte, ja. Wenn ich geahnt hätte, dass es so eilig ist, würde ich...«

»Aber ich habe dir Geld dafür gegeben!«, schrie das Mädchen. Sie schleuderte ihm noch andere Sachen an den Kopf, die Bill nicht mehr hörte. Er sah nur, wie ihre Augen sich mit Tränen füllten. Er fühlte, wie die Wut in ihm hochstieg, und er begann zu zittern. Er musste sich entscheiden, ob er darüber diskutieren wollte oder handeln. Aber irgendetwas musste er tun, um das widerwärtige Lächeln aus Dean Fentons Gesicht zu wischen und seine ironische Stimme zum Schweigen zu bringen. Es wurde ihm gar nicht klar, dass sein Entschluss kindisch war und zu nichts führen konnte; es war nur ganz einfach etwas, was er tun wollte, und was plötzlich eine ungeheure Bedeutung für ihn annahm.

»Wir gehen besser nach draußen, um das zu erledigen«, sagte er.

Fenton sah ihn an. Nüchtern und prüfend. Dann zuckte er die Achseln und drückte seine Zigarette aus. Ein Feigling war er nicht. Er straffte sich, und das Lächeln lag wieder um seinen Mund.

»Bitte, wenn Sie es wünschen.«

»Nein!«, fuhr Pat Trumbull dazwischen.

»Ich finde eigentlich, dass ich in dieser Angelegenheit derjenige bin, der beleidigt worden ist, Reaburn. Schließlich sind Sie derjenige, der...«

»Oh, Schluss damit!« Das Mädchen war auch aufgestanden. Ihre Stimme klang wie geborsten.

Sie hörten sie nicht. Sie standen sich gegenüber und musterten sich abschätzend. Sie waren etwa gleich groß und gleich schwer. Vielleicht war Bill zwei, drei Zentimeter größer und außerdem durchtrainierter, dafür war er aber auch schlanker. Sein Gesicht war kantig und scharf geschnitten und hatte nichts von Fentons Charme und Hübschheit. Jetzt im Zorn erschien seine tief gebräunte Haut fast so dunkel wie seine Augen und Haare.

Er öffnete die Tür und hielt sie auf. Fenton knöpfte an seinem Jackett und ging an ihm vorbei nach draußen. Bill vernahm Pats Einwände nur verschwommen, bis sie seinen Arm ergriff, als er auf der untersten Treppenstufe angelangt war.

»Das ist albern!«

»Und wie!«, stimmte Fenton zu.

Bill versuchte, ihr seinen Arm wegzuziehen. Die Wahrheit ihrer Worte begann ihm aufzugehen, und sein blinder Zorn verwandelte sich langsam in kalte Vernunft. Gegenüber öffnete sich die Tür von Hathaways Bungalow, und seine mächtige Gestalt stand einen Augenblick als dunkle Silhouette vor dem hellen Licht, das aus dem Inneren strömte. Dann schloss sich die Tür, und er kam durch die Dunkelheit auf sie zu.

»Hallo!«, rief er. »Ist irgendetwas nicht in Ordnung?«

»Wir bekommen hier eine Schlägerei«, sagte Pat. »Du kannst auf meiner Seite stehen, Alan.«

Ihr Tonfall war nicht länger erschrocken und ängstlich, sondern sarkastisch und entschieden. Und er hatte den gewünschten Erfolg bei Bill. Plötzlich stieg Bewunderung für ihren Mut und ihre Weisheit in ihm auf. Sie übertönte seine Erbitterung. Er griff nach ihrer Hand, die noch auf seinem Arm lag, und streichelte sie leicht.

»Gut, Baby«, sagte er. »Ein anderes Mal.« Seine Anspannung ließ nach. Fenton trat zurück und wandte sich Hathaway zu.

»Schön!«, murmelte er. »Guten Tag, Alan.«

Hathaway war inzwischen nah herangekommen. »Oh«, sagte er nur. Seine Art und Weise zu sprechen, legten die meisten Leute als Affektiertheit aus. Und jetzt sprach er ungewöhnlich langgezogen und akzentuiert. »Oh – Dean Fenton. Wann« – er schien tief Atem holen zu müssen, ehe er weitersprechen konnte – »wann sind Sie denn angekommen?«

Bill merkte, wie er vorwärtsgeschoben wurde, und ging automatisch, von Pat geführt, auf das Gasthaus zu. Ihre Bemerkung machte es ihm unmöglich, zu verstehen, was Fenton antwortete.

»Wir wollen zu Onkel Greg gehen«, erklärte sie. »Er weiß sicher, was wir tun können.«

Gregory Elwood war ein eleganter Mann Anfang Fünfzig mit graumeliertem Haar und gesunder Gesichtsfarbe. Sein Schwung und seine auffallend schönen Züge ließen ihn ausgesprochen distinguiert und gleichzeitig jünger erscheinen, als er war. Als Pats Onkel – um genau zu sein, Stiefonkel – hatte er ihre geschäftlichen Interessen die letzten zwei Jahre hindurch wahrgenommen. Diesen Sommer über war er fast jedes Wochenende nach Fellhaven herausgekommen, um mit ihr in der Jacht, die sie für diese Saison gemietet hatte, zu segeln. Diesmal allerdings hatte Pat ihn gebeten, von New York herüberzukommen, und er war heute Nachmittag rechtzeitig für ihre Party eingetroffen.

Jetzt hörte er ihr in seinem Zimmer, das in der zweiten Etage des Gasthauses lag, zu, während sie ihre Geschichte erzählte. Hinter seiner randlosen Brille betrachteten seine Augen sie sehr aufmerksam.

Als sie geendet hatte, starrte er verdrießlich zur Decke empor, die Hände tief in den Hosentaschen vergraben. Er saß noch einige Minuten schweigend da, den Kopf zurückgelegt und die Beine weit von sich gestreckt. Schließlich zog er sie an und setzte sich auf.

»Eine Schweinerei! Es war ein Fehler, ihm zu vertrauen.« Er sah Pat an, aber sie blickte nicht in seine Richtung. So zuckte er nur die Achseln und begnügte sich damit, laut zu seufzen. »Es wird dir wohl kein anderer Weg bleiben, Liebes, als dich selber um die Scheidung zu kümmern. Du wirst dich erinnern, dass ich das von Anfang an vorgeschlagen habe. Aber du wolltest ja hier im Osten bleiben.«

»Oh ja, ich weiß«, sagte Pat.

»Stattdessen hast du Dean hingeschickt und ihn für seine Bemühungen bezahlt. Recht großzügig, wie ich bemerken möchte. Nun sind wir gerade so weit wie vorher.«

»Es wäre möglich, dass er uns anlügt«, meinte Bill.

»Das werden wir Montag wissen, wenn ich mit Reno telefoniert habe.« Elwood stand auf und strich seine Hosen glatt. »Obwohl ich nicht recht einsehe, was er dabei gewinnen sollte.« Er ging zum Fenster und sah hinaus.

»Es ist ihm vollkommen unwichtig, ob er etwas dabei gewinnt«, sagte Pat erbittert. »Wenn er in der Stimmung dazu ist, tut er, was ihm gerade einfällt, nur um dich recht elend zu machen. Ich habe das in dem einen Monat, den ich mit ihm zusammengelebt habe, mehr als genug zu spüren bekommen.«

Bill sah zu ihr hinüber. Sie hatte sich mit hinaufgezogenen Beinen auf das Bett gekauert, den Kopf in die Hand ihres aufgestützten Armes gelegt. Das kastanienbraune Haar fiel lose über ihr Gesicht. Die Blässe war daraus gewichen, und ihre Haut schimmerte wieder warm und sonnengebräunt. Aber ihr Mund war noch schmerzlich verzogen, und ihre grünen Augen schauten brütend vor sich hin. Während er sie betrachtete und die sanft geschwungene Linie ihres Halses wahrnahm, die Form ihrer kleinen, hohen Brust und ihrer langen Schenkel, die sich klar unter dem gelben, taillierten Sportkostüm abzeichneten, wurde ihm plötzlich klar, dass er einen großen Teil dieses Sommers vergeudet hatte.

Denn bis zur vergangenen Nacht hatte er gewartet, ehe er sie fest in seine Arme genommen und wirklich geküsst hatte. So, wie er es damals vor sechs Jahren getan hatte, als sie verlobt gewesen waren. Und er konnte nicht verstehen, dass er so lange hatte vergessen können, wie wundervoll sie war. Nach allgemeinen Begriffen gemessen, war sie weder schön noch hübsch. Aber es ging von ihr eine unerschöpfliche Vitalität aus, eine nie versiegende gute Laune, sodass es eine Freude war, mit ihr zusammen zu sein. Und für Bill gab es noch anderes, was niemand sonst kannte und was sie so liebenswert für ihn machte. Ihre Herzenswärme, ihre Aufrichtigkeit, die ihren Augen diese ausdrucksvolle Tiefe verliehen. Und ihr Lächeln, in dem all dies lag, und das sie nur für ihn lächelte. Jetzt, als er sie so eingehend musterte, wurde es ihm klar, dass sie sein Mädchen war und dass nichts, was Dean Fenton auch immer machen würde, sie ihm wieder nehmen könnte.

»Komm«, forderte er sie schließlich auf. »Hören wir auf, Trübsal zu blasen, ja?«

Die grünen Augen wanderten langsam zu ihm herüber, trafen die seinen, weiteten sich – und plötzlich lag wieder dieses strahlende Lächeln in ihnen, das er so liebte. Mit einem Schwung setzte sich Pat Trumbull auf, ließ ihre braungebrannten, schlanken Beine auf den Boden gleiten und fischte dort nach ihren weiß-braunen Pumps. Dann schüttelte sie ihr volles Haar zurück.

»Gut!«, stimmte sie zu. Dann wandte sie sich an Elwood. »Wirst du diese Woche das Geld für mich bereit haben?«

Elwood kicherte. »Ich versuche ja schon lange nicht mehr, mit dir zu diskutieren. Es ist nicht gerade der günstigste Augenblick, Papiere zu verkaufen. Aber du hast schon zu viele Bühnenstücke finanziert, die ein Reinfall, und zu viele Produzenten, die ein Versager waren. Deswegen gebe ich mir keine Mühe mehr, dir zu erklären, wie du mit deinem Geld umgehen solltest... womit ich natürlich nicht sagen will, dass der Kauf des Fellhaven Theaters eine schlechte Anlage wäre, verstehst du?« Er sah zu Bill hinüber und lächelte Pat dann an. »Um ehrlich zu sein, könnte es eines der besten Geschäfte sein, die du je gemacht hast.«

»Wir haben einen Vertrag miteinander abgeschlossen«, strahlte Pat, ging zu Bill hinüber und schlang einen Arm um ihn. Als er bemerkte, wie stolz sie aussah, schwoll ein neues Gefühl in seiner Brust und stieg ihm in die Kehle. »Wir haben ihn mit einem Kuss besiegelt«, fuhr sie fort. »Bill bekommt die Anzahlung für sein Theater, und ich bekomme ihn dafür.«

»Du hast es mir schon berichtet«, sagte Elwood trocken.

Bill Reaburn schwieg. Er schluckte und lächelte auf sie hinunter. Er war etwas außer Fassung geraten, aber er wusste, dass es nicht notwendig war, zu erklären, wie es dazu gekommen war, und was ihn veranlasst hatte, Pats Angebot anzunehmen, noch bevor sie verheiratet waren.

Sie drückte ihn ein bisschen und sah glücklich zu ihm auf. »Ich muss eben nur ein wenig Geduld haben, jetzt. Anstatt im September zu heiraten, werde ich nun selber nach Reno gehen.«

  Zweites Kapitel

 

 

Nachts hatte es geregnet. Und wenn es auch gegen Morgen wieder aufgehört hatte, so war der Himmel dennoch grau und wolkenverhangen, als Bill gegen neun Uhr aufwachte. Er dehnte und streckte sich, dann drehte er sich auf den Bauch, um aus dem Fenster an der Rückseite seines Zimmers, das im zweiten Stock am Ende des Ganges lag, das Wetter zu inspizieren. Die Blätter der Eichen vor den Bungalows tropften vor Nässe. Das Gras glitzerte feucht, und der Kiesweg, der vom Hintereingang des Gasthauses fortführte, sah schwarz und modrig aus. Es schien noch niemand auf zu sein, und Bill überlegte sich, dass seine Laune keineswegs besser sei als das Wetter. Er kroch wieder unter die Decke und schlief noch einmal ein.

Als er um elf Uhr fertig angezogen war, ging er hinunter und erkundigte sich zunächst an der Rezeption, ob Pat schon zum Frühstück dagewesen sei. Der Portier bejahte und erklärte, dass Miss Trumbull schon früher gefrühstückt habe und dann, soweit ihm bekannt, mit Mr. Elwood in dessen Wagen fortgefahren sei.

Bill kaufte sich eine Zeitung und ging in den Speisesaal. Dieser hatte eine tiefgezogene Decke, genau wie die Halle. Auf dem Holzfußboden lag kein Teppich, und der ganze Raum schien mit einem Minimum von Geschmack eingerichtet worden zu sein. An einer Seite der langen Tische saßen die Schauspielschüler und schwatzten Unsinn, während sie ihr Frühstück 'herunterschlangen. Und an einem kleineren Ecktisch verschwendete Dean Fenton seinen Charme an zwei junge Mädchen, ebenfalls Schauspielelevinnen, die von Zeit zu Zeit laut aufkicherten, und die dann dafür mit finsteren Blicken von dem Sextett am großen Tisch bedacht wurden.

Bill ignorierte Fentons überflüssigen Gruß, suchte sich einen Tisch und faltete seine Zeitung auseinander. Er ließ sich reichlich Zeit mit seinem Frühstück, das aus Fruchtsaft, Schinken mit Spiegeleiern, Blaubeerpfannkuchen und Kaffee bestand.

Gegen Mittag, als er nach draußen ging, hatte es sich etwas aufgehellt. Er überzeugte sich, dass Pat inzwischen nicht nach Hause gekommen war, und ging den Weg zum Theater und zu seinem Büro im Souterrain hinunter.

Er musste ein Manuskript für eine Rundfunkübertragung bearbeiten, in dem Robert Jerome, der junge Hollywoodstar, besprochen wurde, der in dem Stück, das diese Woche hier auf dem Programm stand – Der Herr im Haus –, die Hauptrolle spielte. Bill korrigierte etwa eine halbe Stunde lang in dem Manuskript herum.

Für diesen Sommer hatte er mit der Rundfunkstation Hartfort ein Übereinkommen getroffen, dass einmal wöchentlich eine fünfzehn Minuten dauernde Sendung gebracht wurde, in der jeweils die bekannteren der im Fellhaven Theater auftretenden Schauspieler interviewt wurden. Am kommenden Nachmittag war nun eine Reportage über Robert Jerome fällig. Als er jetzt den Entwurf des Manuskriptes durchsah, wurde ihm klar, dass er noch nicht genügend Material beisammen hatte. Also nahm er die Bogen unter den Arm und machte sich auf den Weg zum Bungalow des Schauspielers.

Robert Jerome war ein auffallend großer junger Mann. Er war nicht hübsch, aber es ging ein gewisser schlaksiger Charme von ihm aus, den die Frauen anziehend fanden, und der den Männern lag, weil er natürlich wirkte. Er war eine Art Gary-Cooper-Typ, behaupteten manche, nur jünger, mit schwarzem Haar, das meist lang und unfrisiert war. Er hatte tiefliegende Augen und eine langsame, persönliche Art zu sprechen. Im Kreise seiner engsten Freunde war es bekannt, dass er manchmal zu viel trank. Aber das lag weniger an einer Leidenschaft für den Alkohol als daran, dass seine Frau vor einem Jahr bei einem Autounfall ums Leben gekommen war. Die Tragik dieses Ereignisses hatte sich auch in seiner Arbeit niedergeschlagen. Sein Spiel war tiefer geworden und verständnisvoller. Und manchmal erinnerte er jetzt an Abraham Lincoln.

»Hallo!«, sagte er, als er seine Tür öffnete und Bill draußen stehen sah. »Kommen Sie herein. Schmeißen Sie die Zeitschriften vom Sessel und setzen Sie sich.«

»Haben Sie ein paar Minuten Zeit für mich? Es geht um diese Radioreportage.«

»Ich habe reichlich Zeit«, antwortete Jerome und schob ein Frühstückstablett zur Seite, um auf dem Tisch ein freies Fleckchen für die Papiere zu schaffen, die Bill ihm übergeben hatte. Er wirkte riesig in diesem Raum, wenn er sich bewegte. Er hatte sich noch nicht angezogen und trug einen dunkelblauen Seidenpyjama und einen hellen Bademantel darüber. »Was wollen Sie denn noch von mir wissen?«

Bill überflog den Entwurf und gab dem Schauspieler eine kurze Zusammenfassung, wie er sich das Interview dachte. Er erklärte, er wolle es gerne unkonventionell aufziehen. Und weil sie sich nicht genau an das Manuskript halten wollten, hätte er gerne noch ein paar Punkte, auf die er zurückgreifen könnte, wenn die Unterhaltung ins Stocken geraten sollte.

Er fragte zunächst ein paar allgemeine Fragen. Dann knüpfte er, im Bestreben, ein oder zwei kleine Anekdoten zu erfahren, die er verwenden könnte, an die ihm bereits bekannten Tatsachen an und fasste noch einmal kurz die Etappen von Jeromes kometenhaftem Aufstieg zusammen. Er versuchte, das ihm Bekannte zu erweitern, und machte sich Notizen, denn diese Karriere war ganz ohne Ausschmückung schon ein Roman. Und sie war es wert, im Radioprogramm gebracht zu werden.

Jerome war, ebenso wie Gary Cooper, eigentlich eine Art Cowboy gewesen. Er war auf der Ranch seines Vaters in Colorado aufgewachsen, dort zur Schule gegangen und würde sich wohl dort niedergelassen und eine Familie gegründet haben, wenn nicht der Krieg dazwischengekommen wäre. Als der Krieg ausbrach, meldete er sich freiwillig zur Luftwaffe. Er wurde Marinepilot. Und es war auf irgendeinem Urlaub, dass er auf irgendeiner Cocktailparty in Hollywood einen der berühmten jungen Regisseure der Jupiter-Filmgesellschaft kennenlernte, und dieser überredete ihn, ein paar Probeaufnahmen von sich machen zu lassen.

Der Regisseur, Perry Marks, drehte damals einen Kriegsfilm, in dem ein Pilot vorkam, der gerade auf Heimaturlaub war. Nachdem er den Probestreifen gesehen hatte, änderte er den Drehplan für seine Aufnahmen, sodass er zunächst die Szenen mit Jerome abdrehen konnte, bevor dieser zur See zurück musste.

Jerome fasste das Ganze mehr als einen Scherz auf, als eine günstige Gelegenheit, ein paar Leute vom Film kennenzulernen. Er wurde von seinen Freunden dazu angetrieben, und nach zwei Tagen hatte er seinen Part abgedreht,-ohne allerdings selber Zeit zu haben, den Streifen anzusehen. Aber die großen Bosse taten es, und wie es manchmal kommt, trafen geschäftlicher Scharfblick und ein gesundes Urteil an diesem Tag zusammen – und Jerome erhielt einen Vertrag und Unterzeichnete ihn, bevor er auf seinen Flugzeugträger zurückkehrte.

Alles basierte auf einer Szene, die drei Minuten lang lief, in einem Film, der hundertvierunddreißig Minuten dauerte. Die Kritiken brachten eine kurze Zeile, dass Jerome unbekannt sei, aber zu Hoffnungen berechtige – oder ein paar ähnliche, verbindliche und nichtssagende Worte. Es war die einsetzende Briefflut, die der Jupiter-Film zeigte, was sie da für einen Fisch an der Angel hatte. Der Posteingang war einfach überwältigend. Briefe kamen aus allen Teilen des Landes, von allen Gesellschafts- und Altersschichten. Und als Robert Jerome ein paar Monate nach Kriegsende die Uniform auszog, wurde er sofort nach Hollywood geholt und in einem neuen Film eingesetzt, in einer Rolle, die ihm speziell auf den Leib geschrieben worden war.

Als der Film beendet war – Es gibt immer wieder ein Morgen, lautete der Titel –, erneuerte Jupiter den Vertrag und gab ihm wieder eine Hauptrolle, diesmal neben Lydia Graham. Als er sich bald darauf mit einem unbekannten jungen Mädchen verheiratete, das er kurz zuvor kennengelernt hatte, ernannten die Film-Magazine sie zu seiner einzigen, langjährigen Jugendliebe, und die Post strömte weiter. Der tragische Tod seiner Frau versah die Legende mit einem neuen Glorienschein, und das Publikum trauerte und litt mit ihm, während er sich für sechs Monate zurückzog.

»Verzeihung«, sagte Bill, als er bemerkte, dass Jerome eine Bemerkung gemacht hatte, die mit seiner Vergangenheit nichts zu tun hatte. »Ich habe an etwas anderes gedacht«, fuhr er fort und konzentrierte sich wieder auf seine Arbeit.

»Ich sagte, dass ich von der Geschichte mit Fenton gehört habe.«

»Oh«, erwiderte Bill, und seine deprimierte Stimmung vom frühen Morgen kam zurück. »Von ihm persönlich?«

»Nein, von Canfield. Pat hat es Max erzählt. Er hat gerade hereingeschaut.«

Bill wartete ab. Sein Blick war neugierig. In des Schauspielers Stimme hatte etwas mitgeklungen, was er noch nie zuvor darin gehört hatte. Er zerbrach sich den Kopf darüber, was es sein konnte. Er versuchte, ein Wort dafür zu finden. Er probierte es mit Empörung, mit Wut, mit Hass; und er fand dieses letzte Wort noch am besten, aber es traf die Sache auch nicht ganz. Bis heute hatte er nie die geringste Spur von Erregtheit oder Wildheit an Jerome wahrnehmen können. Aber jetzt schien ihm eine derartige Rachsucht in seinem Tonfall zu liegen, dass es sich um irgendwelche verborgenen, aber nicht zu unterdrückenden Gefühle handeln musste. Als er nichts weiter mehr sagte, fragte Bill weiter: »Kannten Sie ihn schon? Fenton meine ich?«

»Ich habe ihn nie getroffen, aber ich kenne seine Art.« Jerome rieb seine Handflächen langsam gegeneinander – seine Stimme war unverändert. »Wenn auf Mord nicht die Todesstrafe stünde, würde ein Kerl wie er schon lange nicht mehr leben.«

Bill suchte seine Bogen zusammen. Draußen war die Sonne wieder hinter den Wolken verschwunden, und das Zimmer sah düster und trübe aus. Plötzlich fühlte er sich hier nicht mehr wohl und wünschte sich fort. Als Jerome unverändert blicklos aus dem Fenster starrte, stand er auf und erklärte, dass er nun wohl alle Informationen beisammen hätte, die er benötigte. Jerome nickte, ohne ihn dabei anzusehen. Er saß noch genauso regungslos da und starrte vor sich hin, als Bill ihn verließ.

Nachdem Bill in sein Büro zurückgekehrt war, beschäftigte er sich ungefähr eine halbe Stunde mit dem Manuskript. Dann scheuchte ihn seine Unrast wieder hoch, und er wanderte noch einmal zu Pats Bungalow hinunter, um nachzusehen, ob sie inzwischen zurückgekommen wäre. Die Tür war unverschlossen, aber es war niemand da. So ging er zum Gasthaus hinüber, um sich beim Empfang nach ihr zu erkundigen. Man sagte ihm, dass Pat und Elwood inzwischen dagewesen, aber wieder fortgegangen seien. Der Portier wusste es nicht sicher, aber er nahm an, dass sie segeln wollten.

Bill dankte und ging auf die Veranda hinaus. Im selben Augenblick kamen Alan Hathaway und Laura Garland die Treppe vom Garten herauf. Was sie ihm erzählten, bestärkte seine Überzeugung, dass Dean Fenton ein Schuft sei.

Laura, jung, blond und atemberaubend hübsch, war eine Entdeckung von Max Canfield. Sie war ursprünglich Fotomodell gewesen und hatte dann Schauspielunterricht genommen. Bisher war sie zwar noch eine Anfängerin auf der Bühne und beim Film, aber Probeaufnahmen hatten sowohl ihre als auch Max Canfields große Erwartungen geweckt. Canfield hatte einen Personalvertrag mit ihr, der ihm fünfunddreißig Prozent ihrer Gagen für die nächsten fünf Jahre garantierte. Dafür managte er sie und nahm ihre Karriere sehr ernst.

Zu Beginn des Sommers hatten Bills Gedanken sich viel mit Laura beschäftigt. Aber nicht lange, da sie sich schnell für Alan entschied, der bei seinen Bemühungen um sie zwei Millionen Dollar im Rücken hatte, als kleine Reserve, falls er eines Tages herausfinden sollte, dass er niemals ein großer Schauspieler werden würde.

Im Augenblick war Laura ganz freundschaftliche Anteilnahme. Sie sagte ihm, wie sehr sie es bedaure und wie scheußlich sie es fände, dass Fenton solch ein Schuft sei, der alles kaputt machte, indem er Pat zwinge, ihre Hochzeit aufzuschieben und selber nach Reno zu gehen.

»Dean fand es verdammt komisch«, erklärte Hathaway in seiner akzentuierten Sprechweise. »So etwas ist genau das, was ihm Spaß macht«, fuhr er fort, und es klang ein seltsamer, bitterer Unterton in seinen Worten mit, der Bill aufhorchen ließ. Er musste dabei an Robert Jerome denken.

»Ich hatte keine Ahnung, dass Sie Fenton schon vor gestern Abend kannten«, sagte er zu Hathaway.

Dieser nickte. Er blickte Bill mit seinen hellbraunen Augen ruhig an. Sein dichtes, krauses Haar, das er sehr kurzgeschnitten trug, erinnerte Bill an das Fell eines irischen Terriers. Aber das war auch die einzige Ähnlichkeit. Das Gesicht glich mehr dem Kopf einer Dogge, flächig und plump, wie es war – ebenso wie sein Körper –, ohne scharfe Konturen. Er wirkte bedeutend jünger als die Dreiunddreißig, die er tatsächlich war. In einem Land wie Amerika, das seine Jugend überschätzt, war diese Tatsache von Vorteil.

»Oh, ja. Ich kannte ihn allerdings schon!«, sagte er, zog Lauras Arm durch den seinen und führte sie die letzten Stufen hinauf. »Ich hatte das Vergnügen, mit ihm zusammen im College zu sein.«

Bill ging über die Uferstraße zum Pier, immer noch verwundert über den befremdenden Klang in Hathaways Stimme.

Der Pier war eine kleine private Anlegestelle, die zum Gasthaus gehörte. Pats Boot – ein auf Marconi aufgetakeltes Segelboot mit Hilfsmotor –, das sie für diesen Sommer gemietet hatte, lag normalerweise dort vertäut, wenn nicht eine Sturmwarnung sie zwang, es weiter draußen in der Bucht zu ankern.

Jetzt war es, ebenso wie eine Anzahl anderer Boote an diesem Sonntagnachmittag, draußen auf See. Bill konnte es aus den unzähligen weißen Pünktchen, die den Fluss und die Mündung sprenkelten, nicht herausfinden. Also wanderte er den halbmondförmigen Strand entlang, bis zum äußersten Ende. Hier streckte er sich auf dem weißen Sand aus und schlief sofort ein.

Als er aufwachte, war es schon nach fünf. Er hielt noch einmal auf dem Pier an. Diesmal meinte er, Pats Boot die Mündung hereinkreuzen zu sehen. Aber er wusste, dass es noch mehr als eine halbe Stunde dauern konnte, bis sie an der Mole festmachte, also ging er zum Gasthaus zurück. Auf der Veranda ließ er sich in einen Schaukelstuhl fallen. Kurz darauf trat ein muskulös aussehender Mann aus der Halle und setzte sich direkt neben ihn.

Der Mann hieß Carl Altmann. Während der vier Wochen, die er jetzt schon im Gasthaus wohnte, war er für die Dauergäste so etwas wie ein Rätsel geworden. Kein Mensch hatte eine Ahnung, was Altmann eigentlich tat. Angeblich machte er Urlaub, so behauptete er jedenfalls. Und auf Fragen nach seinem Beruf pflegte er zu antworten, dass er Geschäfte in New York hatte. Irgendjemand hatte die Idee aufgeworfen, dass Altmann ein Privatdetektiv oder so etwas Ähnliches sei. Da sich jedoch nichts fand, was diese Theorie bestätigte, hatte man sich daran gewöhnt, ihn als das hinzunehmen, -wofür er sich ausgab: als einen Feriengast, der es nicht liebte, viel über sein Privatleben zu sprechen.

Bill saß ruhig da. Aber Altmann begann sofort, in seinem Stuhl zu schaukeln. Außerdem kaute er Kaugummi. Und sehr schnell hatte er den Rhythmus des Kauens und des Schaukelns aufeinander abgestimmt. Es war eine Angewohnheit von ihm, ununterbrochen Kaugummi zu kauen – es war schon allen Gästen aufgefallen. Wenn er darauf angesprochen wurde, pflegte er grinsend zu sagen, dass er mit drei Streifen Kaugummi am Tag auskäme – einen Streifen nach dem Frühstück, der bis zum Mittagessen vorhielt, einen nach dem Mittagessen und einen nach dem Abendessen, den er erst zum Zähneputzen vor dem Schlafengehen herausnahm. Bill sagte gerade etwas zu seinem rhythmischen Nachbarn, als die Pendeltür aufschwang und Fenton erschien.

Altmann wandte den Kopf und sah hinüber, aber Fenton schien ihn nicht zu bemerken. Er überflog die Veranda mit einem Blick und ging zurück in die Halle.

»Wer ist der Bursche?«, fragte Altmann, als die Tür hinter Fenton zurückschwang.

»Dean Fenton«, erklärte Bill. »Wieso?« Er verstand nicht, warum es Altmann interessierte.

»Er war vorhin drüben in der Schenke. Dort hat es vor ein paar Minuten eine kleine Auseinandersetzung gegeben. Was macht er eigentlich? Ist er ein Schauspieler?«

»Ja«, sagte Bill, und ihm fiel ein, dass er den Streit vielleicht miterlebt haben würde, wenn er nicht am Strand eingeschlafen wäre. Da das Gasthaus keine Schanklizenz hatte, gingen die Gäste, wenn sie Durst auf ein Glas verspürten, meist hinüber in die Schenke. Sie war nur etwa hundertfünfzig Meter weit entfernt. Man brauchte nur die Uferstraße hinunterzugehen und an der ersten Kreuzung links einzubiegen. Oder man konnte auch den Hinterausgang des Gasthauses benutzen und den Pfad entlanggehen, der an der Rückseite der Häuser vorbeiführte, welche die Straße flankierten. Dann kam man bei der rückwärtigen Tür der Schenke an.

»Worum ging der Streit?«

»Weiß ich nicht.«

Altmann hatte sein Schaukeln wieder mit seinem Kauen in rhythmischen Einklang gebracht.

»Mit wem hat er gestritten?«

»Mit Robert Jerome.«

Bill fuhr herum. Er war plötzlich neugierig. Altmann sah mit halbgeschlossenen Augen auf die Bucht hinaus. Sein kantiges Gesicht mit den hochliegenden Backenknochen war ausdruckslos. Doch plötzlich begann er zu sprechen. In einem seltsam monotonen Tonfall und mit kurzen, abgerissenen Sätzen.

»Ich trank gerade ein Bier«, begann er. »Jerome saß in einer Nische – mit Hathaway und Miss Garland. An der Bar stand etwa ein Dutzend Leute. Jedermann war mit sich selbst beschäftigt. Plötzlich kommt dieser Fenton herein. Er hebt einen an der Bar – allein. Ich sehe, wie er die Nische beobachtet und denke mir: Gleich geht er da rüber.«

Altmann schob seinen Kaugummi mit der Zunge in eine andere Ecke des Mundes. »Richtig, er tut es. Er bestellt weitere Drinks, und kurz darauf setzt er sich hin. Ich konnte nicht hören, worüber sie sprachen – es war zu viel Lärm – oder was los war. Ich sah nur, wie Jerome plötzlich aufstand. Dieser Fenton springt auch auf, ein Stückchen von Jerome entfernt. Er steht am Ausgang der Nische und hat dadurch mehr Bewegungsfreiheit. Jerome holt aus, um ihn niederzuschlagen.«

Altmann schaukelte jetzt heftiger, seine Kiefer traten scharf hervor. Bill wartete fünf, sechs Sekunden lang ab. »Und dann?«, fragte er schließlich.