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London zu Beginn des 19. Jahrhunderts: Der englische Kaufmann Rowland Epworth kauft jahrelang die Schuldscheine des verschwenderischen Lord Rupert auf, um sich schließlich spät für erlittenes Unrecht an ihm zu rächen. Jetzt hat er dessen Sohn in der Hand. Er zwingt den jungen Mann, seine Tochter Leonor zu heiraten. Leonor Epsworth, unter ihrem plumpen Äußeren eine feinsinnige, sensible, sehr schüchterne junge Dame, heiratet also auf Befehl ihres despotischen Vaters den verarmten Gervais Croyde, Earl of Wintash. Zur Ehe mit dieser unscheinbaren, völlig unpassenden jungen Frau gezwungen, weigert der junge Earl sich, die Ehe zu vollziehen. Nie wird er seinem Schwiegervater, auch wenn der bereits während des Hochzeitsmahls tot zusammengebrochen ist, den Triumph – und sei es aus dem Grab heraus – gönnen, dass die Nachfahren eines Kaufmannes rechtmäßige Erben des Earls von Wintash werden. Leonor, die sich auf den ersten Blick in ihren schönen Gatten verliebt hat, muss nicht nur mit dem Tod ihres Vaters, sondern auch mit der schroffen Zurückweisung ihres Gemahls und ihrer feindseligen Stief-Schwiegermutter fertig werden. Leonor lässt sich jedoch nicht unterkriegen, sie schließt Freundschaft mit ihrem jungen Schwager und übernimmt kompetent die Leitung des gräflichen Haushalts. Plötzlich erkrankt sie und wird immer schwächer, bis in ihr der schreckliche Verdacht reift und später zur Gewissheit wird, dass jemand - vielleicht sogar ihr eigener Mann - versucht, sie zu vergiften. Entschlossen wehrt sie sich, isst nur wenig und nichts mehr, was nicht auch die anderen essen. Gervais, der langsam Leonors wahren Wert erkennt, registriert überrascht, wie hübsch seine Frau eigentlich ist. Alles könnte sich zum Guten wenden, wäre da nicht jemand, der die junge Frau unbedingt loswerden möchte. „Ein fesselndes Buch von der ersten bis zur letzten Seite, wie fast alle von Marie Cordonniers Büchern.“ Selina Grasia
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Seitenzahl: 228
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London - 27. November 1821
1. Kapitel
2. Kapitel
3. Kapitel
4. Kapitel
5. Kapitel
6. Kapitel
7. Kapitel
8. Kapitel
9. Kapitel
10. Kapitel
11. Kapitel
12. Kapitel
13. Kapitel
14. Kapitel
15. Kapitel
16. Kapitel
17. Kapitel
Rowland Epworth war nach außen hin die Ruhe in Person. Die stämmigen Beine in den dunkelblauen Pantalons weit von sich gestreckt und den massigen Oberkörper in einen Hausmantel aus rubinrotem italienischem Samt gehüllt, saß er auf seinem Lieblingsplatz vor dem Kamin im Salon und las die Times. Von Zeit zu Zeit füllte er das Glas auf dem Tischchen neben sich aus der Brandy-Karaffe nach. Abgesehen vom Umblättern der Zeitungsseiten, war dies die einzige Bewegung, die seine statuarische Gelassenheit für kurze Augenblicke störte. Nicht einmal Mistress Peacock, die Köchin, die sonst für ihn durchs Feuer gegangen wäre, begriff diesen geradezu herausfordernden Gleichmut. »Kann ein Mann, der auch nur ein Quäntchen Herz besitzt, so ungerührt die Parlamentsberichte lesen, während seine arme Gattin sich quält?«, beschwerte sie sich bei Mister Stonehall, dem Butler. »Was sollte er Ihrer Meinung nach tun, meine Liebe?« gab dieser mit seiner gewohnten Arroganz zurück. »Sich betrinken? Die Hände ringen? Die Hebamme stören? Den Arzt aufhalten? Das Kinderkriegen ist nun einmal Frauensache, das steht seit Eva fest.« »Wahrhaftig, so viel Weisheit hätte ich Euch nicht zugetraut.« Mistress Peacock troff vor spöttischer Liebenswürdigkeit, und die beiden Küchenmädchen, die Zeugen dieser zufälligen Auseinandersetzung wurden, warfen sich einen versteckten, viel sagenden Blick zu. Der Kampf um die absolute Herrschaft im Hause Epworth fand zwischen der Köchin und dem Butler statt. Heute schien sich die Waagschale eher zugunsten der erbosten Kochkünstlerin zu neigen. Sie deutete mit dem Daumen nach oben, und ihr rundes, rötliches Gesicht wurde eine Schattierung dunkler. »Aber ich möchte wetten, dass es eine Menge weniger Kinder auf der Welt gäbe, müsste sich das Männervolk damit herumplagen, die armen Würmer zu gebären, Mister Stonehall!« Ehe der Butler eine passende Antwort auf diese wahrhaft respektlose Bemerkung fand, teilte sich die Unruhe in den oberen Räumen des Hauses auch dem Souterrain mit. Ihren Streit vergessend, tauschten sie einen besorgten Blick und wandten sich beide gleichzeitig der Tür zu. Auch Rowland Epworth ließ die Times sinken und damit gleichermaßen den Leitartikel, der sich mit der Lage der Industriearbeiter in Sheffield beschäftigte, und den er nun zum fünften Male gelesen hatte, ohne seinen Sinn aufzunehmen. Mit einer Behändigkeit, welche die Fülle seiner gedrungenen Figur Lügen strafte, war er am Fuß der Treppe angelangt, noch ehe Dr. John May all die letzte Stufe erreicht hatte. Der Arzt sah müde aus, und die Falten auf seiner Stirn schienen sich in den letzten Stunden vertieft und vervielfacht zu haben. »Gratuliere, Sir! Sie haben eine wunderschöne, gesunde Tochter!« Die Erschöpfung in seiner Stimme passte nur schlecht zu der freudigen Nachricht. Epworth begriff. »Und meine Frau?« »Sie verlangt nach Ihnen, Sir. Es, es wäre besser, wenn Sie sich beeilen ...« Er hatte es geahnt, gefürchtet. Es war alles umsonst gewesen. Seine ganze Kraft, seine übergroße Liebe, nicht einmal sein Geld, das er in so enormen Maß besaß, waren fähig gewesen, Susannah Vergessen zu schenken. Dr. May- all hatte ihn gewarnt. Weder ihre Gesundheit, noch ihre körperliche Konstitution hatten eine leichte Geburt versprochen. Dass sie ihren Willen durchgesetzt hatte und dieses Kind überhaupt bekam, war ein Fehler, ein riesiger, verhängnisvoller, tödlicher Fehler gewesen! Die schmale durchsichtig blasse Gestalt der jungen Mutter verlor sich förmlich zwischen den geschnitzten Pfosten des mächtigen Bettes. Der zarte Alabasterton ihrer Haut hob sich wenig von der weißen Seide der Kissen ab, sogar der weiche Schwung ihrer Lippen war blutlos und fahl. Die feurigen Mahagonireflexe ihres dunklen Haares schienen erloschen, nur in den suchenden, hellen Augen, die unruhig hin- und herwanderten, glühte noch Leben. Als sie auf Rowland Epworth fielen, verharrten sie. Ein tiefer Seufzer weitete die schmale Brust der Sterbenden, als er langsam näher kam und neben ihrem Lager auf die Knie sank. »Es - tut mir Leid, Rowland - es - es ist nicht der Sohn, den du dir heimlich gewünscht hast ...«, hauchte sie mit versagender Stimme. »Ich wollte dir so gerne wenigstens diesen Gefallen tun ... « Sie hob mühsam eine Hand und berührte mit kühlen Fingern das kantige Männergesicht, das von einer viel zu großen Nase beherrscht wurde, die unter der breiten Stirn mit dem schütteren Haaransatz wie ein Erker hervorsprang. Ein schroffes Gesicht, das indes seinen eigenen Charme gewann, wenn wie jetzt verzweifelte Liebe und übergroße Sorge in den grauen, düsteren Augen standen. »Alles was ich mir vom Leben wünsche, bist du ... « Das heisere Geständnis zauberte den Abglanz eines fernen Lächelns in die zitternden Mundwinkel Susannahs. »Ich habe es nicht verdient - verzeih mir Rowland!« Und dann so laut, dass er zusammenfuhr: »Rupert! Oh Rupert!« Durch die eiskalten Fingerspitzen, die er schützend zwischen seinen Händen barg, ging ein unmerklicher Ruck, dann entspannte sie sich. Susannah Epworth Lider sanken herab, sie hatte die Geburt ihrer Tochter nicht überlebt. Als hätte das kleine, eben erst zur Welt gekommene Geschöpf diesen Verlust bereits gespürt, begann es im selben Augenblick bitterlich zu weinen. Das fremdartige, schrille Geräusch drang durch den Nebel aus Hass und Trauer, der sich erstickend über seinen Vater gesenkt hatte. Vorsichtig, als wäre sie aus venezianischem Kristall, legte er die leblose Rechte der Toten auf ihre Linke und faltete beide Hände über ihrer Brust. Dann wandte er sich um und betrachtete das geschnürte Bündel, das ihm die Hebamme tröstend entgegenhielt. Bis zum Kinn in feinstes Leinen gehüllt, das kahle Köpfchen mit einer Spitzenhaube bedeckt, sah er indes nur ein trauriges, rotes, verzerrtes Harlekingesicht, dessen weit aufgerissener zahnloser Mund eher einem zornigen Greis zu gehören schien. »Sie ist gesund Sir, und prachtvoll gewachsen. Ein großes Mädchen!« Rowland Epworth kam es vor, als wolle ihm die Hebamme die eigene Tochter schmackhaft machen wie eine Ware, deren offensichtliche Mängel man mit fadenscheinigen Argumenten wegzudiskutieren versucht. Als Kaufmann wusste er um derlei Tricks Bescheid. Und wenn es auch das erste Mal war, dass er Vater wurde, dass Susannahs und seine Tochter von ausgesuchter Hässlichkeit war, konnte nicht einmal ihm entgehen. Aber vielleicht war das gut so. Vielleicht sogar sehr gut. Er war versucht, der Kleinen über die Wange zu streichen, aber ehe er sie erreicht hatte, packte eine fuchtelnde Babyhand seinen ausgestreckten Finger und hielt ihn mit überraschender Energie fest. »Bewahr sie dir, diese Kraft«, murmelte er heiser. »Du wirst sie brauchen können, denn du musst deine Mutter rächen, Lady Wintash!« »Sir?« Die Geburtshelferin beugte sich neugierig vor. »Wie, sagten Sie, soll das Mädchen getauft werden?« »Ich sagte gar nichts. Kümmern Sie sich lieber um eine Amme für das Kind«, wies er sie barsch zurecht. »Nachdem der Himmel es so eilig hatte, seine Mutter abzuberufen, wird er sich mit der Taufe noch gedulden müssen. Und jetzt lassen Sie mich allein mit meiner Frau ...« Er bewahrte seine Haltung, bis dieser Befehl erfüllt war, dann wandte er sich wieder der Toten zu und gestattete sich endlich, den Schmerz zu fühlen, der ihm fast den Atem nahm. Der Friede, der nun von ihr ausging, hatte die tiefen Linien des Schmerzes in ihren Mundwinkeln gemildert. Jetzt glich sie wieder der schönen jungen Frau, die sie einmal gewesen sein musste. Vor langer Zeit, ehe sie von einem gewissenlosen Schurken zerstört worden war. Einem Schurken, den sie im Grunde ihres Herzens trotz allem noch immer geliebt hatte. Welches Beweises bedurfte es noch dafür, da sie mit seinem verfluchten Namen auf den Lippen gestorben war? Rupert Croyde, der 10. Earl of Wintash, verheiratet mit der bezaubernden Lady Amanda. Ein gewissenloser Schurke, ein Spieler, ein Lügner! Dieser Mann trug die Schuld daran, dass Susannah ihr Lachen und ihre Lebensfreude verloren hatte. Er würde dafür bezahlen müssen! Jede Träne, jeden Schmerz, jeden einzelnen, verzweifelten Seufzer ... »Ich werde dich rächen, Susannah! Ich schwöre es dir! Ich werde ihn und die Seinen demütigen, schlimmer, als er es mit dir getan hat, und unsere Tochter wird mein Werkzeug dafür sein!«
»Und so frage ich dich, Leonor Elizabeth Prudence Epworth, im Namen des Herrn, willst du diesen Mann zu deinem rechtmäßigen Ehegatten nehmen?« Im Bruchteil einer Sekunde schoss es Leonor durch den Kopf, dass dies das erste Mal in der ganzen Heiratsangelegenheit war, dass sie tatsächlich jemand um ihre Meinung dazu befragte. Niemand hatte sich bisher dieser Mühe unterzogen. Weder ihr Vater, noch ihr künftiger Ehemann. Nicht, dass sie auch nur den Hauch einer Chance gehabt hätte, diese Verbindung abzulehnen. Es war lediglich ein Rest kindlichen Aufbegehrens, das sie wünschen ließ, sie wäre an diesem Tag in der Schlosskapelle von Wintash wenigstens willkommen, ja sogar erwünscht gewesen. »Es würde die Zeremonie verkürzen, wenn du dem Pfarrer jetzt antwortest, meine Liebe!« Eine unverzügliche Ermahnung, die jedoch nicht von ihrem ungeduldigen Bräutigam ausgesprochen wurde, sondern von ihrem Vater. Rowland Epworth stand neben ihr und kämpfte plötzlich mit dem unbehaglichen Empfinden, Leonor würde im letzten Moment seine sorgfältig ausgearbeiteten Pläne scheitern lassen. Ein merkwürdiger Verdacht, denn in den bisherigen zwanzig Jahren ihres Lebens war Leonor eine so gehorsame, stille und zurückhaltende Tochter gewesen, dass ihn niemals auch nur der kleinste Zweifel an ihrer Fügsamkeit beschlichen hatte. »Ich will!«, flüsterte jetzt endlich die Braut mit kaum hörbarer Stimme. Der Geistliche nickte befriedigt und wandte seine Aufmerksamkeit dem Bräutigam zu. »Und so frage ich auch dich, Gervais Rupert James Peregrine Croyde, willst du dieses Mädchen zu deiner rechtmäßigen Gattin nehmen und es lieben und ehren, bis dass der Tod euch scheidet?« »Ja, ich will!« War das alles, damit die Ehe Gültigkeit hatte? Zwei wildfremde Menschen, die im Angesicht des Pfarrers »Ich will« sagten? Genügte das, um von der schlichten Tochter eines Londoner Kaufmannes zur noblen Lady Wintash zu werden? Leonor blinzelte durch den dichten Schleier. Weniger weil sie zu Tränen gerührt war, als wegen der üppigen Spitzenfalten, die von dem juwelenbesetzten Diadem auf ihrem Kopf herabrieselten. Sie verwehrten ihr die Sicht auf das Antlitz ihres Gatten. Sie sah nur die Hand, die von der Seite kam und nach der ihren griff, um den schweren Goldreif über den Mittelfinger zu streifen. Eine sehnige, braune Männerhand. Kräftig und zugleich schmal und edel. Eine Hand für ein Schwert, einen Degen. Sie fühlte ihre Berührung kaum, aber umso mehr das Gewicht des breiten, ziselierten Ringes. Schwer und klobig stach er an ihrer kleinen runden Hand ins Auge. Heidnisch fast, in seiner großen Pracht. Später sollte sie erfahren, dass dieses Schmuckstück zu den kostbarsten Erbstücken der Wintash gehörte. Angeblich war es dem ersten urkundlich bekannten Wintash von Wilhelm dem Eroberer für seine tapferen Dienste in der Schlacht von Hastings verliehen worden. Sie zwang sich, auf die weitere Ansprache zu hören, in der Gott um seinen Segen für das neu vermählte Paar gebeten wurde, und faltete die Hände mit dem ungewöhnlichen Ehereif. Obwohl nach außen hin ein Bild der innigsten Frömmigkeit, machten sich ihre rebellischen Gedanken erneut selbstständig. Wie typisch von Papa, ihr sogar bei ihrer Hochzeit zu befehlen, wann sie den Mund aufzumachen hatte. Für ihn waren diese Minuten vor dem Altar die Krönung langjährigen Ehrgeizes. Für Leonor nur das Ergebnis unermüdlicher Arbeit. Rückblickend hatte in ihrem Leben eine Gouvernante und Lehrerin der anderen die Tür ihres Elternhauses in die Hand gegeben. Vom ersten Begreifen ihres Lebens an, war sie auf die Aufgaben als künftige Lady Wintash vorbereitet worden. Nein, das war falsch. Dass es Gervais Croyde sein würde, der dieses Musterexemplar einer umfassend gebildeten, häuslichen, jungen Frau heimführte, wusste sie selbst erst seit wenigen Tagen. Bis dahin war nur von den selbstverständlichen Dingen die Rede gewesen, die für jedes junge Mädchen unerlässlich waren, das einmal seinem eigenen Haushalt vorstehen sollte. So hatte sie denn gehorsam Französisch und Italienisch gelernt, sich bei Klavier- und Zeichenstunden gelangweilt und bei Geographie und Mathematik interessierter gelauscht. Nicht ohne Erfolg. Heute konnte sie sich mit den ausländischen Kunden ihres Vaters unterhalten, die komplizierten Zahlen einer Bilanz begreifen und vom intimen Diner bis zum großen Ball so gut wie jede Festlichkeit organisieren. Theoretisch, wohlgemerkt. Denn weder hatte ihr Vater jemals Kunden in das Haus am Kensington Square mitgebracht, noch hätte sich die tüchtige Mistress Peacock jemals die Zügel des großen Haushaltes aus der Hand nehmen lassen. Zudem wäre sie in Wirklichkeit viel zu befangen gewesen, um mit einem Menschen zu sprechen, den sie nicht kannte. Weder in ihrer Muttersprache, noch in den angelernten Idiomen fand sie dafür Worte. Aufregung machte sie schüchtern, brachte sie gar ins Stottern. Das Harmonium setzte ein, und die Stimmen der Hochzeitsgäste vereinten sich zu einem Choral. Die Schlosskapelle von Wintash war gnädigerweise ziemlich klein, sodass sie von den wenigen Familienangehörigen, Bediensteten und neugierigen Dorfbewohnern gefüllt werden konnte, die diesem feierlichen Ereignis, der Eheschließung des 11. Earls, beiwohnten. Eine energische Hand an ihrem Ellbogen half ihr, sich aus der knieenden Stellung aufzurichten. Das leise, aber unverkennbare Geräusch einer reißenden Naht hätte sie fast wieder auf den gepolsterten Hocker sinken lassen. Herr im Himmel, auch das noch! Hoffentlich war das Malheur wenigstens an einer Stelle passiert, wo es nicht gleich jemandem ins Auge stach. Aber sie hatte gleich so ein ungutes Gefühl gehabt, als ihr das Mädchen, das ihr im Schloss als Zofe diente, an diesem Morgen in das Gewand half. Seit es von der Londoner Schneiderei geliefert worden war, hatte sie viel zu oft hungrig in die großen Pralinenschachteln und Bonbondosen gegriffen, die zu Hause überall für sie bereitstanden. Der Geschmack des süßen Zuckers auf ihrer Zunge beruhigte sie seit jeher. Den Blick angestrengt auf den roten Teppich gerichtet, der den Gang der Schlosskapelle bedeckte und auf den die Wiesenblumen regneten, welche die Dorfkinder über sie warfen, schritt sie an der Seite ihres Gatten hinaus. Sie hätte wahrhaftig einiges darum gegeben, die folgenden Gratulationen bereits hinter sich zu haben. Aber niemand kümmerte sich um ihre Wünsche, ja es hätte die neue Lady Wintash sogar äußerst verwundert, wenn das der Fall gewesen wäre. Von Kind auf daran gewöhnt, einem strengen, despotischen Vater über jede Sekunde des Tages Rechenschaft abzulegen, hatte sie vom ersten eigenständigen Gedanken an gelernt, dass ihre Pflicht darin bestand, zu gehorchen und zu arbeiten. Sie hatte sie erfüllt, alle diese an sie gestellten Anforderungen, bis hin zu einem Eheschwur mit einem wildfremden, schweigsamen, stolzen Adeligen, der sie nun in die große Halle von Wintash führte, wo das glanzvolle Hochzeitsmahl auf sie wartete. Trotzdem hatte sie Mühe, einen erneuten Anflug von Panik zu unterdrücken. Ausgerechnet an ihrem Hochzeitstag von einem so alltäglichen und missliebigen Ungeschick wie einer platzenden Naht heimgesucht zu werden, machte sie noch nervöser, als sie es ohnehin schon war. Gervais Croyde, der 11. Earl of Wintash, hatte zwar das verräterische Geräusch des reißenden Stoffes nicht gehört, aber die merkliche Unruhe seiner soeben angetrauten Gattin fühlte er deutlich. Er warf einen schnellen Blick auf die in cremefarbene Seide und kostbare Spitzen gehüllte Gestalt. Ihr perlenbestickter Rock war eine gewaltig gewölbte Kuppel, und der Wert des dicht gefältelten französischen Spitzenschleiers, der vom Diadem bis zur Schleppe fiel, reichte vermutlich problemlos aus, um eines der Pachtdörfer von Wintash einen Winter lang zu ernähren. Aber was hatte er von der Tochter eines Kaufmannes anderes erwarten können, als plumpe Zurschaustellung des väterlichen Reichtums? Ja, er hatte überdies Mühe, zwischen all den Stickereien, dem Gefunkel und den hochmodischen Rüschen jene kleine, rundliche, völlig reiz- und farblose Person zu entdecken, die vorgestern von ihrem Vater wie ein Bündel bestelltes Handelsgut in Cornwall abgeliefert worden war. In der Tat ein Mädchen, nach dem sich kein Mann ein zweites Mal umdrehen würde. Und schon gar nicht seine Lordschaft, der Earl of Wintash. Nicht ahnend, dass sie der Gegenstand seiner Gedanken war, beschäftigte sich auch Leonor mit Lord Wintash. Sie hatte nicht den Mut besessen, ihrem Vater zu widersprechen, als er sie von der bevorstehenden Eheschließung informierte. Aber realistisch, wie sie sich selbst einschätzte, hatte sie erwartet, einem Mann angetraut zu werden, dessen äußere Erscheinung und Alter ihn für eine Braut aus seinen eigenen Kreisen offensichtlich nicht mehr akzeptabel machten. Keine Bemerkung Rowland Epworths hatte sie auch nur im Entferntesten darauf vorbereitet, dass Lord Wintash durchaus noch im Vollbesitz seiner körperlichen Kräfte war und eben erst das einunddreißigste Lebensjahr begonnen hatte. Ganz davon abgesehen, dass er aufs Haar jenen ritterlichen Helden glich, welche die Romane bevölkerten, die sie heimlich las, wenn niemand die Auswahl kontrollierte, die sie in der Leihbibliothek traf. Einen guten Kopf größer als ihr Vater, hatte er ebenso breite Schultern wie dieser. Seine schlanke Figur indes verjüngte sich zur Taille hin, und die eng anliegenden Pantalons, die er zum tiefschwarzen Frack trug, zeichneten sportlich muskulöse Männerbeine nach. Miss Mcintosh, ihre nun nutzlos gewordene Gouvernante, würde sie zwar darauf hinweisen, dass eine Lady Männerbeine nicht zur Kenntnis nahm, aber Leonor war es gewöhnt, eine Bilanz gründlich zu machen, wenn sie dieselbe schon einmal in Angriff nahm. Neben seiner beeindruckenden Figur war es jedoch der dunkelhaarige Kopf mit den intensiv blauen Augen, der durch ihre Gedanken spukte, seit sie ihn zum ersten Mal erblickt hatte. Von schwarzen Brauen beschattet, standen Letztere in einem markanten Gesicht, dessen edle Züge so ungerührt und beherrscht waren, dass sich die junge Frau an eine Marmorstatue erinnert fühlte. An einen griechischen Gott, dem sich ihr schönheits- und liebebedürftiges Herz beim ersten Beben zugewandt hatte. Womit hatte sie diese unverhoffte Gunst des Schicksals verdient? »Meinen allerherzlichsten Glückwunsch, Lady Wintash! Erlaubst du trotzdem, dass ich dich auch weiterhin ganz einfach Leonor nenne, wenngleich mir Mama natürlich eingeschärft hat, dass ich dich mit ausgesuchter Höflichkeit zu behandeln habe!« Der junge Mann, der Leonor aus ihren Träumen riss, war Fennimore Croyde, der Viscount Feversham. Siebzehn Jahre alt und ebenso offen, strahlend und charmant, wie sein Stiefbruder Gervais verschlossen, kalt und abweisend war. Leonor schenkte ihm ein scheues Lächeln. Die Freundlichkeit des Viscount war so ungekünstelt und echt, dass sie für einen Herzschlag lang alle Fragen und Probleme vergaß. »Ich - würde mich f-freuen, wenn du weiterhin bei L- Leonor bliebest ...«, flüsterte sie kaum hörbar, doch immerhin laut genug, dass sich ihr Vater über das andeutungsweise Stottern ärgerte. »Du bist jetzt die neue Herrin dieses Hauses, Leonor«, sagte er laut und ohne sich um die nötige Diskretion zu bemühen. »Es ist an der Zeit, dass du dieses kindische Geflüster ablegst!« Auch ohne die unmerkliche Anspannung des Armes unter ihrer Hand, hätte Leonor instinktiv gefühlt, dass ihr Gatte sich nur mühsam beherrschte. Er mochte Rowland Epworth nicht. Ja, er verachtete ihn geradezu. Jede Pore seiner Haut strömte diese Geringschätzung aus. Die hochfahrende Arroganz eines Mannes, der sich seiner Herkunft und seines Namens nur zu bewusst ist. »Welch ein Glücksfall, meine liebe Leonor, dass Sie mir diese Aufgabe jetzt abnehmen«, zwitscherte in diesem Moment eine kultivierte, hohe Stimme liebenswürdig in das unheilvolle Schweigen. »Ich kann gar nicht sagen, wie dankbar ich dafür bin, dass ich die Last dieses großen Hauses endlich auf jüngere Schultern legen kann. Meine angegriffene Gesundheit hindert mich seit geraumer Zeit daran, mich hier so um die Dinge zu kümmern, wie es notwendig wäre! Gervais, Liebling, führst du bitte deine Gattin zu Tisch? Fennimore, deinen Arm!« Wäre Leonor in diesem Moment nicht so unglaublich erleichtert über das diplomatische Eingreifen von Lady Amanda gewesen, der Unterschied zwischen auffällig demonstrierter Schwäche und präzise ausgeteilten Anweisungen, wäre ihr sicher aufgefallen. So schenkte sie ihrer Retterin nur ein zitterndes Lächeln. Einen Dank, der auch die Bewunderung enthielt, die sie für sie empfand. Mit ihren siebenunddreißig Jahren wirkte Amanda Croyde, die verwitwete Lady Wintash, keinen Tag älter als Ende zwanzig. Dass der hoch gewachsene, schlaksige Fennimore ihr Sohn sein sollte, war beinahe unglaublich. Sie wäre ohne weiteres als seine ältere Schwester durchgegangen. Das schwarzschattierte Burgunderrot ihres Samtkleides betonte eine zerbrechliche winzige Taille, und im Gegensatz zur Braut, war die Mode der weiten Röcke und schmal geschnürten Oberteile ausgesprochen von Vorteil für sie. Bis zum silberblonden Haar, von einem perlenbestickten Spitzenhäubchen eher geschmückt als verborgen, war sie das Ebenbild der vollendeten Lady, dem Leonor vergeblich nacheiferte. Dass sich ihr frisch angetrauter Gatte mit einer Liebenswürdigkeit um sie kümmerte, die er sonst für keinen anderen Menschen an den Tag legte, verstand sie vollkommen. Auch sie beeilte sich, der Bitte nachzukommen, und dem exzellenten Essen jene Aufmerksamkeit zu schenken, die es verdiente. Da sich Lord Wintash nicht um Konversation bemühte, hatte sie sowohl Zeit zum Kauen, wie auch, sich unter gesenkten Lidern genauer umzusehen. Die Anzahl der geladenen Gäste war bescheiden. Die Familienmitglieder, ihr Vater, Sir Basil Conolly, der Anwalt des Hauses, der gestern Abend den Ehevertrag besiegelt und der Priester, der vorhin die Trauung vollzogen hatte. Ob es daran lag, dass die Adelssitze in diesem Teil des Landes weit voneinander entfernt lagen oder weil die Hochzeit in unziemlicher Eile angesetzt worden war, wusste sie nicht. Lediglich Lady Amandas Arzt, der seine Praxis in St. Agnes hatte, war der Einladung noch gefolgt. Das Tischgespräch wurde von Rowland Epworth beherrscht, dem die Genugtuung über diese Eheschließung ins Gesicht geschrieben stand. Rupert Croyde hatte sich seinen Plänen entzogen. Man munkelte sogar, dass der Herzanfall, der seinen plötzlichen Tod herbeigeführt hatte, in Wirklichkeit eine Kugel gewesen war. Ein letzter Ausweg aus Spielschulden, Skandalen und Fehlinvestitionen. Wie schade, dass er nicht mehr miterleben durfte, wie sein kostbarer, stolzer Erbe sich an eine Kaufmannstochter wegwerfen musste, um den Familienbesitz zu retten. Es war der einzige Schatten, der sein Wohlbefinden trübte. Dies und die Tatsache, dass ihm das üppige Essen mehr zusetzte, als er sich selbst eingestehen wollte. Verstohlen versuchte er das kompliziert geschlungene Gebilde seiner blütenweißen Halsbinde ein wenig zu lockern. Eine Geste, welche die unmerklichen Falten der Anspannung in Lord Wintashs Mundwinkeln vertiefte. Rowland Epworth hatte sich von der ersten Sekunde ihres Kennenlernens an nie die Mühe gemacht, seine einfache Herkunft zu verleugnen. Der Ehrgeiz, seine Tochter mit einem der ältesten Adelsgeschlechter des Landes zu verheiraten, war ihm nicht einmal die Mühe wert gewesen, die eigenen Manieren ein wenig zu korrigieren. Er würde froh sein, wenn er diesen, seinen Schwiegervater nach der Hochzeit nie wieder sehen musste. Welch ein Jammer, dass er die gleiche Hoffnung nicht auch in Bezug auf seine angetraute Gattin hegen durfte. Es fiel ihm schwer, auch nur einen Hauch von Zuneigung für sie zu empfinden. Sogar das natürliche Mitleid, das er normalerweise jeder gequälten Kreatur entgegengebracht hätte, wurde von jenem rasenden Zorn erstickt, der ihn bis in die Fingerspitzen erfüllte. Zwar musste er fairerweise eingestehen, dass dieses rundliche Nichts von einem furchtsamen Mädchen sicher keine große Chance gehabt hatte, den Plänen seines Vaters Widerstand zu leisten, aber er vermisste auch empfindlich die Intelligenz oder das Rückgrat, die für eine solch eigenständige Handlung erst einmal vonnöten gewesen wären. Er griff nach seinem Weinglas und trank es in einem hastigen Zug ganz aus. Das dritte innerhalb kürzester Zeit, wie Leonor, noch nervöser werdend, registrierte. Sie selbst nippte nur an den Getränken, konnte indes den raffinierten Delikatessen auf ihrem Teller nur schwer widerstehen. Obwohl ihr Miss Mcintoshs Ermahnungen im Ohr hallten, aß sie mit ihrem üblichen maßlosen Appetit. Mochte sich eine Lady bei Tisch auch noch so damenhaft zurückzuhalten haben, nur mit dem beruhigenden Gefühl eines vollen Magens war dieser Tag überhaupt zu bewältigen. Schon als Kind hatte sie die trostreiche Eigenschaft des Essens entdeckt. Sattheit verschaffte ihr eine angenehme Müdigkeit, die Einsamkeit, Kummer und Tadel weniger wichtig erscheinen ließ. Auch die unterdrückte Angst vor dem, was diese Ehe für sie bringen würde, gehörte auf diese Liste. Selbst wenn ihr Vater mit keinem Wort über die Umstände gesprochen hatte, die zu Wintashs verblüffendem Heiratsantrag geführt hatten, dass er nicht freiwillig gemacht worden war, lag auf der Hand. Es bedurfte keiner großen Fantasie, in der Höhe ihrer Mitgift ein wichtiges Argument zu suchen. Obschon sich der Tisch unter den oppulenten Speisen bog, Lady Amanda einem Modejournal entstiegen zu sein schien und die Eleganz des Bräutigams ihr Herz aus dem Takt brachte, sie war realistisch genug, die unmerklichen Anzeichen eines dezent vernachlässigten Hauses zu erkennen. Unübersehbar fehlte in vielen Ecken das Geld für dringend notwendige Instandsetzungsarbeiten. Schloss Wintash, das im Kern die Mauern einer mittelalterlichen Festung barg, war eine beeindruckende Ansammlung von verschiedenen Bauten, die sowohl den Reichtum, wie auch die Bedeutung vergangener Croydes widerspiegelte. Generation für Generation hatte vergrößert, geschmückt oder modernisiert und somit eine Mischung aus Burg und Herrenhaus geschaffen, die in ihrer massigen Gesamtheit für die Leute aus den umliegenden Fischerdörfern und Marktflecken >Das Schloss< war. Dank der Lehrstunden bei Mistress Peacock, die nicht nur eine vorzügliche Köchin, sondern auch eine tüchtige Haushälterin war, bemerkte Leonor die verborgenen Stockflecken in den schweren Samtportieren. Sie sah, dass die nachgedunkelten Gemälde in der Familiengalerie gereinigt werden sollten und dass geschickt gestellte Schränkchen im Damensalon fadenscheinige Stellen im Teppich verdeckten. Generationen von Staub auf unbenutzten Möbeln erbrachten den Beweis, dass Lady Amanda nicht die Kraft oder den Wunsch hatte, den Dienstboten mit dem entsprechenden Nachdruck auf die Finger zu klopfen. Nun, auf diesem Gebiet würde der Schlendrian auf Wintash schnell ein Ende finden. Während sie zerstreut ein Erdbeertörtchen nach dem anderen aß, verlor sich Leonor, so weit es ihr nüchternes Gemüt zuließ, in die ersten romantischen Träume ihres Lebens. Sicher, der Earl wirkte kühl und zurückhaltend, aber wenn sie erst allein miteinander lebten, wenn es ihr gelungen war, aus diesem vernachlässigten Mausoleum ein Heim zu machen, musste er ihr dann nicht dankbar sein? Wäre es ihnen vielleicht möglich, irgendwann zu einer freundschaftlichen, auf gegenseitiger Sympathie beruhenden Gemeinschaft zu kommen? Sicher konnte ein Mädchen, das so aussah wie sie, nicht mit Leidenschaft und Liebesschwüren rechnen, aber ... »Mein lieber Mister Epworth, ist Ihnen nicht gut? Möchten Sie sich einen Moment zurückziehen?« Leonor fuhr zusammen. Die ängstliche Frage Lady Amandas galt zwar ihrem Vater, der zu ihrer Rechten saß, aber der besorgte Tonfall riss auch sie aus allen Illusionen. Tatsächlich, ihr Vater rang deutlich sichtbar, angestrengt nach Atem. Seine normalerweise eher kräftig rote Gesichtsfarbe war einem alarmierend kalkig grauen Ton gewichen. Er riss unbeherrscht an den Knöpfen seiner Weste, in vergeblicher Anstrengung, sich Erleichterung zu verschaffen. Lady Amanda betrachtete ihn ängstlich, machte aber keine Anstalten, ihm zu helfen. Auch Leonor zögerte. Mister Epworth schätzte es gar nicht >von Weibsleuten betütelt< zu werden, wie er es gerne ausdrückte. Lediglich Lord Wintash, dem derartige Skrupel fremd waren, schob entschlossen seinen Sessel zurück und rief, noch während er zu dem Kaufmann eilte, nach Dr. Fieldings ärztlichem Beistand. Sie kamen beide zu spät. Beim Versuch, Leonors Vater zu stützen, damit dieser sich im Salon auf eine Chaiselongue legen konnte, brach der massige Mann stöhnend in den Armen des Mediziners zusammen. Im letzten Moment gelang es diesem gerade noch, zu verhindern, dass er mit dem Gesicht nach vorn in seinen Teller fiel. Mit einem Schlag erstarb jede Unterhaltung an der Tafel. Alle Aufmerksamkeit war auf Rowland Epworth gerichtet, der in völlig unnatürlicher Haltung zwischen den Lehnen des gepolsterten Stuhles hing. Sein starrer Blick fixierte ohne Unterlass das geschnitzte, rotgold eingelegte Familienwappen derer von Wintash, das, von historischen Schildern flankiert, über dem Kamin an der Stirnseite des Raumes hing. Leonor konnte nicht begreifen, was ihr Verstand bereits als Tatsache registrierte. Ihr Vater kämpfte um sein Leben! Nein, er durfte sie nicht allein lassen! »Vater! Vater, was ist mit dir?« Zum ersten Male sah Gervais Croyde seine junge Frau bewusst an, ohne sofort die Augen abzuwenden. Die überladene Pracht ihres Hochzeitskleides erdrückte sie, nun da ihre Wangen exakt den Elfenbeinton des Schleiers angenommen hatten, noch mehr als zuvor. Nur die dunklen Pupillen, umkränzt von heller Iris verrieten Leben in ihrem Gesicht. Die Hand vor den erschreckt geöffneten Mund geschlagen, war sie aufgesprungen, und das Poltern des hinter ihr umstürzenden Stuhles drang erst jetzt, mit Verzögerung, an sein Ohr. Er straffte die Schultern und ließ das Handgelenk sinken, dessen Pulsschlag er soeben überprüft hatte. Auch Dr. Fielding blieb nichts mehr zu tun. Er schüttelte bedauernd den Kopf. »Es tut mir Leid, Mylady. Ihr Vater ist tot! Dem Anschein nach ein plötzlicher, tragischer Herzanfall. Es ist nur zu oft der Fall, dass Männer seines Schlages die Alarmzeichen eines kranken Herzens ignorieren. Die verständliche Aufregung dieser Hochzeit scheint zu viel für ihn gewesen zu sein ...« »Aber mein Vater ist nicht krank!«, schoss es durch Leonors Kopf. »Er war noch nie einen einzigen Tag seines Lebens krank!« Sie wollte es schrill hinausschreien, protestieren, alles ungeschehen machen, indes sie brachte keinen Ton über die bebenden Lippen. »Tot!« Sind Sie sicher, Doktor? Oh, mein Gott, wie schrecklich ...« Lady Amandas Worte waren kaum mehr als ein entsetzter Seufzer. Später, wenn sich Leonor an diese gespenstische Szene erinnerte, sollte sie sich ganz besonders darüber wundern, dass der Viscount Feversham, der neben seiner Mutter saß, keinen Finger rührte, um diese zu halten. Fennimore saß da und sah mit geradezu wissenschaftlichem Interesse dabei zu, wie sie in anmutigster Weise, einem bunten Paradiesvogel gleich, in Ohnmacht sank. Sie hätte es ihr am liebsten nachgetan.
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