Die Geschichte der Israelis und Palästinenser - Martin Schäuble - E-Book

Die Geschichte der Israelis und Palästinenser E-Book

Martin Schäuble

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Beschreibung

Das Buch der Stunde – hochaktuell und neu überarbeitet. Das Standardwerk zum Nahost-Konflikt von der Staatsgründung bis zum Hamas-Angriff

Kenntnisreich und vor Ort recherchiert: Wer den Nahost-Konflikt verstehen will, muss die Geschichte der Israelis und Palästinenser kennen – und den Menschen zuhören, die sie erlebt haben. Martin Schäuble hat über viele Jahre mit Israelis und Palästinensern gesprochen. Sie berichten von einem Leben im Ausnahmezustand, von langen, erbitterten Kämpfen. Was sie aus dem Alltag erzählen, macht überdeutlich, dass es nicht die eine gültige Wahrheit gibt. Und der andauernde Konflikt keinen Raum mehr lässt, die Stimmen der anderen Seite zu hören. – Dieses „aktuelle und ergreifende Sach- und Geschichtsbuch“ (FOCUS) beleuchtet die Region und den Konflikt hautnah – von der Staatsgründung bis zum Hamas-Angriff auf Israel. Mit Karten, Zeittafel, vielen Medientipps und Originaldokumenten. Erhellend, nicht nur für junge Leser:innen.

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Das ist das Cover des Buches »Die Geschichte der Israelis und Palästinenser« von Martin Schäuble

Über das Buch

Kenntnisreich und vor Ort recherchiert: Wer den Nahost-Konflikt verstehen will, muss die Geschichte der Israelis und Palästinenser kennen — und den Menschen zuhören, die sie erlebt haben. Martin Schäuble hat über viele Jahre mit Israelis und Palästinensern gesprochen. Sie berichten von einem Leben im Ausnahmezustand, von langen, erbitterten Kämpfen. Was sie aus dem Alltag erzählen, macht überdeutlich, dass es nicht die eine gültige Wahrheit gibt. Und der andauernde Konflikt keinen Raum mehr lässt, die Stimmen der anderen Seite zu hören. — Dieses »aktuelle und ergreifende Sach- und Geschichtsbuch« (FOCUS) beleuchtet die Region und den Konflikt hautnah — von der Staatsgründung bis zum Hamas-Angriff auf Israel. Mit Karten, Zeittafel, vielen Medientipps und Originaldokumenten. Erhellend, nicht nur für junge Leser:innen.

Martin Schäuble

Die Geschichte der Israelis und Palästinenser

Der Nahost-Konflikt aus Sicht derer, die ihn erleben

Mit Medientipps, Original-Dokumenten, Karten und Zeittafel

Hanser

»Von klein auf sah ich Kriege. Ich selbst kämpfte im Unabhängigkeitskrieg, im Suezkrieg, im Sechs-Tage-Krieg, im Jom-Kippur-Krieg und in vielen weiteren Einsätzen. Mein Sohn kämpfte. Mein Enkel kämpfte. Er liegt verwundet im Krankenhaus. Und ich glaube, der Enkel meines Enkels wird auch kämpfen.«

Abraham Bar-Am, Israeli

»Meine Mutter kam während der osmanischen Besatzung auf die Welt. Ich wurde während der englischen Besatzung geboren, meine Kinder während der jordanischen, deren Kinder während der israelischen. Es gibt immer jemanden, der dieses Land will, aber nie jemanden, der uns will. Ist das keine Tragödie?«

Amelie Dschaqaman, Palästinenserin

Zum Buchumschlag — ein legendäres Plakat und seine Geschichte

Zu sehen ist die Altstadt von Jerusalem. Es handelt sich um ein Plakat, das Franz Krausz 1936 entworfen hat. Der österreichische Jude flüchtete vor den Nazis aus Europa. Das Plakat sollte die jüdische Einwanderung nach Palästina bewerben. Der darauf abgedruckte Spruch: »Visit Palestine«.

Nach der Staatsgründung Israels wurde das Plakat fast vergessen. Erst in den 1990er-Jahren, als viele von Frieden sprachen, kam es wieder in Umlauf. Mit dem Scheitern der Friedensverhandlungen wurde es schließlich zum Protest-Plakat der Palästinenser — mal mit hinzugefügtem Kampfjet oder mit der Mauer, die den Blick auf den Felsendom verstellt. Wer das Plakat ursprünglich anfertigte, blieb dabei oft unerwähnt.

Von uralten Zeiten bis zum Aufstand der Palästinenser 1936 bis 1939 — ein kurzer Überblick

Wer lebte zuerst im Heiligen Land, Israelis oder Palästinenser? Diese Frage ist kaum schlüssig zu beantworten. Denn bevor beide Begriffe irgendwo auftauchten, lebten bereits Menschen hier — schon in der Stein- und später Bronzezeit. Die Spuren der Urahnen beider Völker sind daher heute nicht einfach zu finden. Und religiöse Schriften sind keine historischen Quellen, die Fakten widerspiegeln. Sicher ist aber, dass die Sprachen der jüdischen Israelis (Hebräisch) und Palästinenser (Arabisch) die gleiche Herkunft haben.

Beide verbindet mit dem seit 3000 Jahren umkämpften Gebiet nichts weniger als die Geschichte ihres Volkes. Die Region erlebte kaum ein friedliches Jahrhundert. Das Zepter der Macht wechselte ständig den Besitzer. Die Assyrer fielen ein, die Babylonier, die Perser, dann Alexander der Große, die Ptolemäer, die Seleukiden und schließlich die Römer.

Um 600 nach Christus eroberten muslimische Araber das Gebiet. 400 Jahre später durchzogen Christen mit ihren blutigen Kreuzzügen das Land. Amos Elon verdeutlichte die ständig aufflammenden Konflikte am Beispiel der Stadt Jerusalem. Der israelische Schriftsteller zählte 50 große »Belagerungen, Plünderungen, Eroberungen und Zerstörungen« in den vergangenen 3000 Jahren.

Etwa 1000 vor Christus beherrschten israelitische Stämme erst unter König Saul, später unter David und Salomo das Gebiet. Ein ständiger Feind der Juden waren die Philister; von dem Namen des Seefahrervolkes leitet sich das Wort Palästina ab. Die Römer benannten ihre Provinz Judäa in Palästina um. Die Osmanen beherrschten das Gebiet ab 1516. Einen eigenständigen Staat Palästina gab es damals zwar nie, dafür aber kulturelle und soziale Eigenheiten, die die dort lebenden Menschen von anderen Bewohnern des Nahen Ostens unterschieden.

Entscheidend für den heutigen Konflikt zwischen Israelis und Palästinensern waren die Ereignisse am Anfang des 20. Jahrhunderts. Weit über 60 Millionen Soldaten aus den verschiedensten Staaten standen sich im Ersten Weltkrieg gegenüber — ein Krieg, der 17 Millionen Menschen das Leben kostete.

Palästina war zu diesem Zeitpunkt eine Provinz des Türkischen Reiches, das man nach seinem Begründer Sultan Osman auch Osmanisches Reich nannte. Die türkische Armee kämpfte an der Seite Deutschlands und Österreich-Ungarns. Dabei hatten die türkischen Machthaber schon genug Probleme im eigenen Land. Lokale Herrscher richteten sich immer weniger nach den Vorgaben der Regierung; sie verfolgten eigene Interessen.

Die Briten hatten von den Streitereien im Osmanischen Reich lange gewusst. In geheimen Gesprächen verhandelten sie mit Hussein ibn Ali. Der einflussreiche Mann herrschte über Mekka, die heiligste Stätte der Muslime. Der Ort liegt im heutigen Saudi-Arabien — hier kam ihr Prophet Mohammed um 570 nach Christus zur Welt. Und hier steht die Kaaba (Arabisch für Würfel). Das schwarze Gebäude ist nach dem Glauben der Muslime einst von Abraham und seinem Sohn Ismael errichtet worden. Muslime aus aller Welt wenden sich beim Gebet der Himmelsrichtung zu, in der Mekka liegt.

Das Angebot der Briten an den Herrscher über diesen Ort klang verlockend: Sie versprachen Hussein ibn Ali nichts weniger, als ihm beim Aufbau eines eigenen arabischen Reiches behilflich zu sein. Im Gegenzug müsse er allerdings eine Revolte gegen die osmanische Regierung anführen. Der britische Diplomat Sir Henry McMahon wechselte mit Hussein ibn Ali zahlreiche Briefe, in denen davon die Rede ist.

Hussein ibn Ali nahm das Angebot an und leitete den Aufstand gegen die Osmanen 1916. Dabei half ihm der britische Agent Thomas Edward Lawrence — besser bekannt als Lawrence von Arabien. Der Brite hatte bereits als Archäologe in Syrien gearbeitet. Lawrence beherrschte die arabische Sprache und gewann so schnell das Vertrauen der Einheimischen.

Die Hussein-McMahon-Korrespondenz

Der britische Diplomat Sir Henry McMahon schrieb am 24. Oktober 1915:

»Wenn die Lage es zulässt, wird Großbritannien (…) Ihnen helfen, in den verschiedenen Gebieten die Regierungsformen zu schaffen, die Ihnen am geeignetsten erscheinen. (…)

Ich bin überzeugt, dass diese Erklärung (…) zu einem festen und dauerhaften Bündnis führen wird, dessen unmittelbare Ergebnisse die Vertreibung der Türken aus den arabischen Ländern und die Befreiung der arabischen Völker von dem türkischen Joch sein werden, das seit so vielen Jahren schwer auf ihnen lastet. (…) Möge Gott bald einen dauerhaften Frieden und Freiheit für alle Völker bringen!« (gekürzt)

Hussein ibn Ali sollte aber enttäuscht werden. Er erhielt nicht das von den Briten zugesagte große Königreich. Zwar erklärte er sich selbst zum »König von Arabien«, doch die westlichen Staaten sprachen ihm nur Hedschas, ein Gebiet im heutigen Saudi-Arabien, zu.

Was der Anführer der Revolte nicht wissen konnte: Die Briten hatten bereits heimlich mit den Franzosen verhandelt. Beide Staaten hatten das Osmanische Reich für die Zeit nach dem Ersten Weltkrieg untereinander aufgeteilt — ohne die Menschen zu fragen, die dort lebten.

Die geheime Absprache über die zukünftige Gebietsaufteilung zwischen Briten und Franzosen hieß Sykes-Picot-Abkommen. Charles Georges Picot war französischer Generalkonsul in Beirut, Sir Marc Sykes Nahostexperte in der britischen Regierung.

Von all den Verträgen und Verhandlungen wussten die meisten Palästinenser nichts. Sahar Samha kam 1917 in einem kleinen Dorf bei Ramallah auf die Welt. Die Palästinenserin erinnert sich noch an die 1920er- und 1930er-Jahre. »Wir arbeiteten als Bauern. Das Leben war unkompliziert — wir säten und wir ernteten. Ich arbeitete jeden Tag auf dem Land. Ich begann mit der Arbeit zwischen vier und fünf Uhr in der Frühe. Und ich kam gegen 16 Uhr nach Hause. Wir ernteten Tomaten, Gurken und Feigen, die wir trockneten. Wir pflückten Oliven und stellten Olivenöl her. Unsere Erzeugnisse wurden in das ganze Land verkauft. An Ramadan war es schlimm, wir ernteten den ganzen Tag das Obst und Gemüse und durften erst spätabends essen.«

Ramadan ist der jährliche Fastenmonat. Für hart arbeitende Bäuerinnen wie Sahar Samha waren diese Tage ohne Essen und Trinken besonders anstrengend. Von Sonnenaufgang bis Sonnenuntergang nehmen gläubige Muslime für dreißig Tage keine Nahrung und keine Getränke zu sich. Erst beim Einbruch der Dunkelheit wird gemeinsam mit der Familie täglich das Fasten gebrochen.

Die britische Regierung hatte neben dem arabischen Revolutionär Hussein und den Franzosen einen weiteren Verhandlungspartner: Viele jüdische Einwanderer suchten damals ihr Glück in Eretz Israel, Hebräisch für »das Land Israel«. Hinter dieser Bezeichnung stand das damalige Palästina.

Die »Balfour-Erklärung«

Der britische Außenminister Arthur James Balfour schrieb am 2. November 1917:

»Die Regierung Seiner Majestät betrachtet mit Wohlwollen die Errichtung einer nationalen Heimstätte für das jüdische Volk in Palästina und wird ihr Bestes tun, die Erreichung dieses Zieles zu erleichtern, wobei, wohlverstanden, nichts geschehen soll, was die bürgerlichen und religiösen Rechte der bestehenden nicht-jüdischen Gemeinschaften in Palästina oder die Rechte und den politischen Status der Juden in anderen Ländern infrage stellen könnte.« (gekürzt)

Im November 1917 veröffentlichte die britische Regierung die Balfour-Erklärung, benannt nach dem britischen Außenminister Arthur James Balfour, der das Schreiben verfasste.

Juden wie der Einwanderer Mischelem Schächter kamen weniger aus politischen als vielmehr aus religiösen Gründen. »Ich besuchte eine jüdische Religionsschule in Polen. Dort lernte ich, dass jeder Jude nur ein Land hat, und dort soll er leben: Eretz Israel. Ich habe diese Idee akzeptiert. Als Kind hatte ich von einem Cousin meines Vaters gehört, der dorthin reiste. Ich sagte mir später, wenn er dort hingegangen ist und dort blieb, dann heißt das, man kann dort Arbeit finden und leben. Ich kam aber nicht, um Geld zu machen, davon war ich weit entfernt. Ich wollte Israel aufbauen. Es ist mein Land.«

Es ist mein Land. Ein Satz, den man bis heute sowohl von Israelis als auch von Palästinensern hören kann.

Juden wie der in Polen geborene Mischelem Schächter kamen aus religiöser Überzeugung ins Land. Zahlreiche jüdische Neuankömmlinge aber wanderten auch aus politischen Gründen ein. So waren viele russische Juden ab 1880 nach Palästina geflüchtet. In Russland war es zu brutalen Ausschreitungen gegen die jüdischen Einwohner gekommen. Die Gesetze machten aus den dort lebenden Juden Menschen zweiter Klasse. Bis zum Ausbruch des Ersten Weltkrieges 1914 hatten Millionen Juden ihre russische Heimat verlassen. Nur drei von 100 gingen nach Palästina. Der größte Teil versuchte in Amerika sein Glück.

Das hatte verschiedene Gründe: Die schlechten beruflichen Aussichten, die unsichere politische Lage, kaum ausgebaute Verkehrswege und zu wenig Wohnraum sprachen gegen Palästina. Auch bei später eingewanderten Juden wie Mischelem Schächter sollten die Umstände nicht viel einladender sein: »Ich reiste von Istanbul nach Haifa, vielleicht waren wir tausend Passagiere an Bord, alles junge Leute. In den ersten Tagen wurden wir in einem Camp untergebracht. Dann hieß es: ›Geht raus und sucht Arbeit!‹ Aber ich konnte zunächst keine finden, es gab so viele Leute. Am Anfang half ich beim Straßenbau, das war eine harte Arbeit. Aber ich hatte keine Illusionen. In Haifa lebte ich mit zehn Leuten in einer Wohnung, bis ich einen guten Job als Verkäufer fand. Dann konnte ich mir eine eigene Wohnung leisten.«

Nicht nur die schlechte wirtschaftliche, sondern auch die politische Situation bereitete den Einwanderern Sorgen. Viele hofften auf einen eigenen jüdischen Staat, wie ihn Theodor Herzl einst gefordert hatte. Der 1860 in Budapest geborene Jude schrieb als Journalist für eine Wiener Zeitung. Als Korrespondent beobachtete er im Jahr 1894 einen Prozess in Paris, der sein Leben verändern sollte. Der französische Hauptmann Alfred Dreyfus war angeklagt worden, für Deutschland spioniert zu haben. Doch nicht seine angebliche Tat stand im Vordergrund des öffentlichen Interesses, sondern seine Religionszugehörigkeit. Dreyfus war Jude, und das reichte vielen Franzosen aus, ihn für schuldig zu erklären. Zu Unrecht, wie sich Jahre später herausstellen sollte.

Theodor Herzl war entsetzt über das judenfeindliche Verhalten. 1896, zwei Jahre nach dem Prozess, veröffentlichte Herzl sein Werk »Der Judenstaat«. Darin erklärt er, warum, wie und wo Juden einen eigenen Staat gründen sollten. Denn für Herzl war klar: Nur ein eigener Staat schützt vor Verfolgung und vor Antisemitismus.

Theodor Herzl (1860—1904) wollte einen »Judenstaat« gründen. Im gleichnamigen Werk erklärte er 1896, wie das aussehen könnte.

»Der Judenstaat«

Theodor Herzl schrieb in seinem 1896 erschienenen Buch:

»Zwei Gebiete kommen in Betracht: Palästina und Argentinien. Bemerkenswerte Kolonisierungsversuche haben auf diesen beiden Punkten stattgefunden. (…) Die argentinische Republik hätte das größte Interesse daran, uns ein Stück Territorium abzutreten. (…)

Palästina ist unsere unvergessliche historische Heimat. Dieser Name allein wäre ein gewaltig ergreifender Sammelruf für unser Volk. Wenn seine Majestät der Sultan uns Palästina gäbe, könnten wir uns dafür anheischig machen [uns dazu verpflichten], die Finanzen der Türkei gänzlich zu regeln. Für Europa würden wir dort ein Stück des Walles gegen Asien bilden, wir würden den Vorpostendienst der Kultur gegen die Barbarei besorgen. Wir würden als neutraler Staat im Zusammenhange bleiben mit ganz Europa, das unsere Existenz garantieren müsste.« (gekürzt)

Der theoretischen Abhandlung folgte bald die Praxis. Theodor Herzl lud 1897 zum 1. Zionistischen Weltkongress ins schweizerische Basel ein. Zionisten nannten sich Juden, die in Palästina einen eigenen Staat gründen wollten. Der Ort Zion bezog sich auf einen gleichnamigen befestigten Hügel in Jerusalem, auf dem einst die jüdischen Tempel errichtet wurden. Ein symbolischer Name, denn die Zionisten wollten nicht nur Zion, sondern das gesamte biblische Israel bevölkern. Die Teilnehmer des Kongresses in Basel gründeten die Zionistische Weltorganisation und wählten Herzl zum Präsidenten.

Im sogenannten »Baseler Programm« formulierten sie ihr Ziel. Das war die »Schaffung einer öffentlich-rechtlich gesicherten Heimstätte für das jüdische Volk in Palästina«. Ein paar Tage nach dem Kongress schrieb Herzl in sein Tagebuch: »Fasse ich den Basler Kongress in ein Wort zusammen — das ich mich hüten werde, öffentlich auszusprechen —, so ist es dieses: In Basel habe ich den Judenstaat gegründet. (…) Wenn ich das heute laut sagte, würde mir ein universelles Gelächter antworten. Vielleicht in fünf Jahren, jedenfalls in fünfzig wird es jeder einsehen.«

Manche arabischen Großgrundbesitzer machten mit der jüdischen Einwanderung das Geschäft ihres Lebens. Sie verkauften ihre Ländereien zu stattlichen Preisen. Ohne Baron Lionel Walter Rothschild wäre das kaum möglich gewesen. Der wohlhabende Brite kaufte Land und investierte in jüdische Farmen in Palästina. Bis zum Beginn der 1930er-Jahre wechselten etwa sechs Prozent der gesamten Fläche Palästinas den Eigentümer.

Kein Mitspracherecht hatten die palästinensischen Bauern, die das Land der Großgrundbesitzer bis dahin bearbeiteten. Manche dieser Arbeiter fanden zwar Beschäftigung bei den jüdischen landwirtschaftlichen Betrieben, doch viele wurden arbeitslos und zogen in die Städte.

Anfang der 1920er-Jahre kam es zu ersten größeren Auseinandersetzungen. Die muslimischen und christlichen Palästinenser standen den jüdischen Einwanderern immer kritischer gegenüber. 1929 verschärfte sich die Lage ein weiteres Mal. In Hebron griffen Muslime ihre jüdischen Nachbarn an, mit denen sie zuvor über Jahrzehnte friedlich Seite an Seite gelebt hatten. Soldaten der britischen Mandatsverwaltung mussten eingreifen.

Vier Jahre nach den Unruhen von 1929 stand die größte Einwanderungswelle bevor. Von Anfang 1933 bis Ende 1935 reisten 130.000 Juden nach Palästina ein. Für viele ging es um ihr Leben — die Nationalsozialisten hatten in Deutschland die Macht ergriffen. Zwei Gründe machten Palästina bei den jüdischen Flüchtlingen zu einem beliebten Ziel: Zum einen sollte ein eigener Staat entstehen, womit judenfeindliche Übergriffe der Vergangenheit angehören würden. Andererseits hatten viele Länder ihre Gesetze verschärft und erschwerten damit die Einwanderung für Flüchtlinge.

Der Jude Josef Arnan floh mit seinen Eltern 1933 von Düsseldorf nach Palästina. »Ich bin mit neun Jahren hierhergekommen. In Deutschland wohnte ich in einem Haus mit drei Stockwerken und einem Weinkeller. Hier lebte ich mit meiner Familie zusammen in einem Zimmer. Vor allem für meine Eltern war das sehr schwer. Haupttransportmittel war das Kamel, Lastkraftwagen gab es kaum. Das exakte, pünktliche Leben gehörte zur Vergangenheit, wir lebten nun im Orient. Aber wir waren mit den anderen Einwanderern zusammen eine große Familie.«

Der Unmut bei den Palästinensern über die 1933 einsetzende Masseneinwanderung wuchs. In den Dörfern und Städten bildeten sich politische Gruppen. Aus ihnen entstand 1936 das »Hohe Arabische Komitee«. Die Mitglieder forderten ein Ende der Einwanderung und des Landverkaufs an Juden. Sie riefen zu einem Generalstreik der Palästinenser auf. Der Arabische Aufstand begann.

Die Palästinenserin Amelie Dschaqaman erlebte die Revolte in Bethlehem. »Die Menschen streikten sechs Monate lang. Die Busse fuhren nicht mehr nach Jerusalem. Alle Ladenbesitzer, selbst die Markthändler, schlossen sich dem Streik an. Aber wir mussten ja von etwas leben, wir waren fünf Kinder in der Familie, und mein Vater starb früh. Manche Händler verkauften dennoch Dinge wie Reis, Mehl oder Olivenöl. Meine Mutter schickte mich manchmal zum Einkaufen, und sie sagte immer nur: ›Warte nicht lange, renne!‹«

Auch Handwerker erschienen nicht mehr an ihrem Arbeitsplatz, Angestellte nicht mehr im Büro, Arbeiter blieben zu Hause. Nicht jeder schloss sich freiwillig dem Streik an — auch nicht in Bethlehem. Amelie Dschaqaman: »Auf den Straßen wurde geschossen. Die arabischen Revolutionäre bekämpften nicht nur die Briten, sondern auch Streikbrecher. So kam es auf dem Marktplatz oft zu Anschlägen, weil manche Händler den Streik beenden wollten.«

Ziel der Revolutionäre war es, die britische Mandatsmacht zu einem Umdenken zu bewegen. Nur die Briten hatten aus Sicht der Palästinenser die Macht, die Lage zu verändern. Auf der Konferenz von San Remo hatten die Siegermächte des Ersten Weltkrieges 1920 über die Aufteilung des Osmanischen Reiches gesprochen.

Frankreich und Großbritannien setzten ihre bereits während des Krieges gemachten Vereinbarungen durch. Die französische Regierung erhielt ein Mandat für Syrien und den Libanon. Die Briten verwalteten von nun an Palästina und Mesopotamien — das später Irak heißen sollte.

Verursachte der Arabische Aufstand in Palästina in den ersten Tagen erheblichen wirtschaftlichen Schaden, so gewannen die Briten bereits nach einigen Wochen die Oberhand zurück. Sie lösten das Problem auf provokante Art: Statt der streikenden palästinensischen Arbeiter und Angestellten stellte die britische Verwaltung verstärkt jüdische Bewohner Palästinas ein. Die Aufständischen waren gegenüber dem riesigen britischen Verwaltungsapparat machtlos. Viele der Streikenden standen vor dem wirtschaftlichen Ruin.

Der Peel-Bericht

Die britische Königliche Palästina-Kommission (Robert Peel war ihr Vorsitzender) schrieb im Juli 1937:

»Auf dem engen Raum eines kleinen Landes ist ein unüberwindbarer Konflikt zwischen zwei nationalen Gemeinschaften entstanden. Es gibt keine gemeinsame Basis zwischen ihnen. Ihre nationalen Bestrebungen sind unvereinbar. Die Araber wollen die Traditionen des goldenen arabischen Zeitalters wiederbeleben. Die Juden wollen zeigen, was sie erreichen können, wenn sie wieder in dem Land leben, in dem die jüdische Nation geboren wurde. Keines der beiden nationalen Ideale lässt sich im Dienste eines einzigen Staates vereinen. (…)

Die Schwierigkeiten sind immer größer geworden, bis sie jetzt fast unüberwindlich erscheinen. Die Teilung bietet die Möglichkeit, einen Ausweg zu finden, eine Möglichkeit, eine endgültige Lösung des Problems zu erreichen, die den Rechten und Bestrebungen sowohl der Araber als auch der Juden gerecht wird (…).« (gekürzt)

Im Oktober 1936 ging der Streik zu Ende. Wenn auch ohne konkrete Ergebnisse, so regte die erste Phase des Arabischen Aufstandes die Briten wenigstens zum Nachdenken an. Die britische Regierung wollte den Ursachen der Revolte auf den Grund gehen. Sie sandte eine Kommission unter der Leitung von Robert Peel nach Palästina. Dessen 1937 veröffentlichter Bericht schlug eine Teilung des Mandatsgebietes vor.

Die Peel-Kommission empfahl eine Teilung mit folgenden Grenzen: ein jüdischer Staat im Norden und weiten Teilen der Mittelmeerküste, ein arabischer Staat auf dem restlichen Gebiet. Die heiligen Stätten sollten im Zuständigkeitsbereich der britischen Mandatsmacht bleiben. Weder Juden noch Palästinenser waren begeistert von diesem Vorschlag. Vor allem der beiderseitige Anspruch auf die Altstadt Jerusalems sollte in den kommenden Jahrzehnten immer wieder zum Problem werden.

Wieso ist diese Stadt Juden, Christen und Muslimen so wichtig? Die Antwort darauf ist in den Heiligen Schriften der drei monotheistischen Weltreligionen (aus dem Griechischen monos für einzig und theos für Gott) zu finden. Alle drei Religionen haben nicht nur den Glauben an einen einzigen Gott gemeinsam; sie besitzen auch einen gemeinsamen Ursprung im Glauben der Juden. Der Name Abrahams findet sich sowohl in der Thora der Juden als auch im Alten Testament der Christen (das die Schriften der Thora enthält) und im Koran der Muslime.

Die Anhänger aller drei Religionen glauben daran, dass Gott Abraham aufforderte, einen seiner zwei Söhne auf einem Berg zu opfern. Nach jüdischem und christlichem Glauben handelte es sich um den Sohn Isaak, laut dem Koran um Ismael. Die Juden errichteten an dieser Stelle später zwei Tempel, daher ist heute vom Tempelberg die Rede. Den ersten Tempel zerstörten die Babylonier um 600 vor Christus. Heute beten Juden am Tempelberg vor der Klagemauer. Dabei handelt es sich um Reste ihres zweiten Tempels, den die Römer 70 nach Christus vernichteten. Die Klagemauer war früher die Stützmauer der Tempelplattform.

Muslime beten auf einem höher gelegenen Platz hinter der Klagemauer. Dort ist nach muslimischem Glauben ihr Prophet Mohammed in den Himmel aufgestiegen. Auf dem al-Haram asch-Scharif (Arabisch für ehrwürdiges Heiligtum) stehen der Felsendom mit seiner goldenen Kuppel und die al-Aqsa-Moschee (Arabisch für die ferne Moschee). Für Christen ist Jerusalem vor allem der Ort der Kreuzigung und Auferstehung Jesu.

Außer Jerusalem sollten nach dem Peel-Vorschlag von 1937 die zwei christlichen Pilgerziele Bethlehem und Nazareth in britischer Hand bleiben. Nach christlicher Überlieferung kam Jesus in Bethlehem auf die Welt und wuchs in Nazareth auf. In den beiden Orten wohnten Mitte der 1930er-Jahre vor allem christliche Palästinenser. Etwa 80 Prozent Palästinas wären nach der Peel-Kommission für einen arabischen Staat bestimmt gewesen. Allerdings gehörte zu diesem Gebiet die Negev-Wüste im Süden, während der jüdische Staat den fruchtbareren Norden erhalten sollte. Das größte Problem: Auf dem Gebiet des zukünftigen jüdischen Staates lebten 250.000 Palästinenser.

Auf jüdischer Seite war die Enttäuschung über das kleine Staatsgebiet groß. Dennoch stimmten die Mitglieder des 20. Zionistenkongresses in Zürich 1937 für den Peel-Plan. Die Antwort der Palästinenser auf den Peel-Bericht ließ nicht lange auf sich warten: Im September 1937 erschossen Aufständische einen hohen britischen Beamten in Nazareth. Es war der blutige Auftakt zur zweiten Phase des Arabischen Aufstandes. In den folgenden Monaten griffen Rebellen jüdische Siedlungen an, zerstörten die Schienen wichtiger Eisenbahnverbindungen, sprengten Brücken und überfielen britische und jüdische Konvois.

Die Briten reagierten mit aller Härte. Soldaten bestraften die Palästinenser oft kollektiv für die Taten der Aufständischen. Die Bäuerin Sahar Samha erinnert sich: »Eines Tages kamen Hunderte britische Soldaten und marschierten in unser Dorf ein. Ich sah die Panzer und Soldaten von dem Berg gegenüber, wo ich das Land bearbeitete. Die Briten trieben alle Dorfbewohner zusammen. Dann durchsuchten sie die Häuser.«

»Die britischen Soldaten suchten nach Revolutionären«, so der Dorfbewohner Scharif Hamida. »Dabei behandelten sie uns sehr schlecht. Bereits am ersten Tag töteten sie sechs Menschen aus dem Dorf, es gab mehrere Verletzte. Aber dafür gab es keinen Grund. Die Revolutionäre waren zuvor gegangen. Sie ließen uns alleine zurück.«

In einem Nachbarort durchsuchten die Soldaten das Haus der Familie von Mary Mansour. »Wir waren Tag und Nacht besorgt. Irgendwann nach Mitternacht sahen die britischen Soldaten unser Wohnzimmerlicht von der Straße aus. Sie klopften und durchsuchten unser Haus. Aber die Briten fanden nur meine Mutter, meine schlafenden Geschwister und mich. Mein Vater übernachtete in Haifa, wo wir ein Haus gemietet hatten und er als Rechtsanwalt arbeitete. Die Briten dachten, wir würden arabische Revolutionäre verstecken.«

Die umstrittenen Einsätze der britischen Soldaten waren das eine, das harte Vorgehen der Aufständischen gegen die eigene Bevölkerung das andere. Amelie Dschaqaman aus Bethlehem: »Ich hatte ständig Angst vor den Briten und vor den Revolutionären. Die Aufständischen waren komplett vermummt. Die Briten gingen brutal gegen sie vor und machten kaum Gefangene, sie töteten ihre Gegner. Britische Patrouillen-Fahrzeuge fuhren die Straßen auf und ab. Arabische Kämpfer gingen von Tür zu Tür und forderten Geld für den Kampf gegen die britischen Besatzer. Sie nahmen manchmal Geiseln, bis die Familie Geld bezahlte.«

Ein Teil der Bevölkerung stand den gewalttätigen Revolutionären kritisch gegenüber. Und bald zeigten sich weitere Probleme, die den Aufständischen Sorgen bereiteten. Sie kämpften nicht geschlossen gegen die britische Mandatsmacht. So gab es unter den einzelnen Gruppen oft keine Absprachen. Vielmehr kam es zu Rivalitäten untereinander. Die verschiedenen Großfamilien trugen eigene Konflikte aus. Die Kluft zwischen Landarbeitern und Stadtbewohnern sowie die unterschiedliche Religionszugehörigkeit waren weitere Probleme. Damals war jeder zehnte Palästinenser Christ, 90 Prozent waren Muslime. Zudem gab es noch die Palästinenser, die mit den Briten gemeinsame Sache machten und für deren Armee arbeiteten.

Die britischen Truppen waren den Aufständischen an erfahrenem Personal und modernen Waffen bei Weitem überlegen. Tag und Nacht durchstreiften britische Soldaten die Dörfer und Städte, verhafteten Aufständische und richteten sie öffentlich hin. Der Prediger Izz ad-Din al-Qassam gründete 1930 eine islamische Untergrundbewegung, fünf Jahre später töteten ihn die Briten. Al-Qassam hatte zum Heiligen Krieg gegen Juden und die britische Mandatsmacht aufgerufen. Nach ihm benannte eine radikale Palästinensergruppe 60 Jahre später die Kämpfertruppe Qassam-Brigaden und die Qassam-Rakete.

Trotz aller Streitigkeiten zwischen den lokalen Familien und Banden versuchte sich ein Mann an die Spitze des Arabischen Aufstandes zu stellen und ihr Anführer zu werden: Mohammed Amin al-Husseini. Die Briten kannten ihn nur zu gut. Sie waren es, die ihn 1921 zum Mufti von Jerusalem ernannt hatten. Als oberster islamischer Rechtsgelehrter im Mandatsgebiet hatte er Einfluss auf die Bevölkerung. 1936 ernannten ihn die Mitglieder des Hohen Arabischen Komitees zu ihrem Präsidenten.

Der Arabische Aufstand von 1936 bis 1939 versetzte das britische Militär in den Alarmzustand. Nicht nur, wie hier in Jerusalem, durchsuchten die Soldaten Palästinenser nach Waffen.

Nach dem Ausbruch der zweiten Phase des Arabischen Aufstandes im September 1937 standen alle Komiteemitglieder samt ihrem Vorsitzenden auf der britischen Fahndungsliste. Al-Husseini ergriff die Flucht, und aus dem Exil hatte er nur geringen Einfluss.

Nach anfänglichen Erfolgen der Aufständischen stockte die britische Mandatsmacht die Anzahl ihrer Soldaten weiter auf. Und die Briten standen in ihrem Kampf gegen die Palästinenser nicht allein: Sie gestatteten der jüdischen Organisation Haganah (Hebräisch für Verteidigung), sich mit Waffen auszurüsten. Bis dahin hatten Mitglieder der militärischen Gruppe jüdische Siedlungen bewacht, die arabischen Angriffen ausgesetzt waren; Waffen hatten heimlich beschafft werden müssen. Aus der nun offiziell anerkannten Haganah sollte später die Armee des Staates Israels hervorgehen.

Eine Schlüsselrolle beim gemeinsamen Kampf gegen den Aufstand spielte der britische Offizier Orde Charles Wingate. Er führte britisch-jüdische Spezialeinheiten an, die nachts palästinensische Aufständische aufspürten und bekämpften. Aus britischer Sicht war die Zusammenarbeit mit jüdischen Kämpfern von praktischem Nutzen. Beliebtes Anschlagsziel der Palästinenser stellte die britische Erdölleitung vom irakischen Mossul zur Raffinerie im palästinensischen Haifa dar. Offizier Wingates offizieller Auftrag lautete, die Pipeline der britischen »Irak Erdölgesellschaft« vor weiteren Zerstörungen zu bewahren.

Die jüdischen Kämpfer hatten ein anderes Ziel vor Augen — einen eigenen Staat oder, wie es die Briten in der Balfour-Erklärung genannt hatten: eine »nationale Heimstätte für das jüdische Volk«. Für die aufständischen Palästinenser war es in den 1930er-Jahren noch nicht der Kampf für einen eigenen, sondern gegen den geplanten jüdischen Staat.

Der palästinensische Nationalismus, also das Streben nach einem unabhängigen Palästinenserstaat, gewann erst Jahrzehnte später an Bedeutung. Bis dahin hofften viele palästinensische Politiker noch auf ein arabisches Großreich, das weit über die Grenzen Palästinas bis nach Syrien im Norden und Ägypten im Süden hinausreichen sollte.

Medientipps

Nur dort, wo keine deutschen Übersetzungen vorhanden sind, wird auf englischsprachige Medien verwiesen. Manche Titel sind leider nur noch im Antiquariat zu finden.

Sachbücher

Gradenwitz, Peter: Das Heilige Land in Augenzeugenberichten

Reisende aus dem 10. bis 19. Jahrhundert erzählen — bunte und kommentierte Sammlung.

Herzl, Theodor: Der Judenstaat. Versuch einer modernen Lösung der Judenfrage

Der Text aus dem Jahre 1896 ist ergänzt mit zahlreichen Anmerkungen und weiteren Materialien.

Herzl, Theodor: Vision und Politik. Die Tagebücher Theodor Herzls

Die persönlichen Einblicke Herzls in Auszügen.

Krämer, Gudrun: Geschichte Palästinas. Von der osmanischen Eroberung bis zur Gründung des Staates Israel

Eine 440 Seiten umfassende Darstellung der Ereignisse vor 1948.

Mejcher, Helmut: Die Palästina-Frage 1917—1948

Kompaktes Werk mit vielen hilfreichen Anmerkungen.

Polkehn, Klaus: Damals im Heiligen Land. Reisen in das alte Palästina

Auswahl an Reiseberichten, ausgeglichen sortiert, aufwendig bebildert.

Roberts, David: Das Heilige Land gestern und heute. Lithographien und Reisetagebuch

Die Bilder des britischen Malers zeigen Städte wie Jaffa, Nablus und Jerusalem in den 1830er-Jahren.

Schipper, Bernd U.: Geschichte Israels in der Antike

Der preisgekrönte Experte blickt auf archäologische Funde und außerbiblische Quellen.

Segev, Tom: Es war einmal ein Palästina. Juden und Araber vor der Staatsgründung Israels

Der bekannte Historiker blickt auf die britische Mandatszeit zurück.

Romane

Agnon, Samuel Joseph: Gestern. Vorgestern

Tragische Geschichte eines jüdischen Einwanderers, vom Nobelpreisträger für Literatur erzählt.

Dschabra, Ibrahim: Der erste Brunnen. Eine Kindheit in Palästina

Autobiografisches über das Leben im Bethlehem der 1920er-Jahre.

Hilu, Alon: Das Haus der Rajanis

Anspruchsvoller Roman über jüdische Siedler, die Ende des 19. Jahrhunderts in Palästina eintreffen — im Wechsel auch aus arabischer Sicht verfasst.

Michener, James A.: Die Quelle

Mit Archäologen auf Entdeckungstour ins Heilige Land — ein historischer Roman.

Oz, Amos: Sehnsucht

Drei Erzählungen von jüdischen Einwanderer:innen aus der Zeit vor der Staatsgründung (die Titel: Der Berg des bösen Rates, Herr Levi, Sehnsucht).

Primor, Avi: Weit war der Himmel über Palästina

Drei Familien zwischen 1869 und 1947, die wider alle Konflikte zueinanderfinden: aschkenasische Juden aus Odessa, Protestanten aus Württemberg und Muslime in Jaffa.

Internet

http://www.zionistarchives.org.il/en (englisch)

Das Archiv der Zionistischen Weltorganisation mit Sitz in Jerusalem zeigt auch Fotos und Dokumente online.

Der Holocaust und die Flucht nach Palästina

»Meine Mutter reiste nach Palästina, denn sie wollte sehen, ob unsere Familie dort leben könnte. Sie kam zurück und sagte nur: ›Das ist nichts für uns.‹ Auch mein Vater wollte in Deutschland bleiben. Er hatte keine Angst vor den Nazis. Mein Vater und mein Großvater waren Soldaten im Ersten Weltkrieg gewesen — deutsche Soldaten. Ich habe sogar ein Foto von meinem Großvater, wie er das Eiserne Kreuz trägt. Beide haben sich als Deutsche mit jüdischem Glauben verstanden. Mein Vater sagte immer: ›Uns wird nichts passieren.‹ Viele Juden dachten das.«

Karla Pilpel lebte mit ihren Eltern und Geschwistern in Berlin. Bei der Machtergreifung Adolf Hitlers war sie zwei Jahre alt, bei der Verabschiedung der judenfeindlichen Nürnberger Gesetze vier. Für die kommenden Ereignisse war sie alt genug, um sie bis heute nicht mehr vergessen zu können. Jahre später sollte es für Karla Pilpel nur noch ein Ziel geben: die Auswanderung nach Palästina.

Die brutalen Übergriffe auf Juden in Deutschland nahmen zu. Von Anfang der 1930er-Jahre bis Ende 1937 verließen weit über 100.000 der 500.000 dort lebenden Juden das Land. Doch die Mehrheit von ihnen suchte nicht in Palästina Zuflucht — beliebtestes Ziel waren die Vereinigten Staaten. Die größte Gruppe der jüdischen Einwanderer in Palästina kam aus Polen.

Die Zahl der jüdischen Bevölkerung Palästinas stieg von Anfang der 1930er-Jahre bis Ende 1939 stark an. 1940 lebten auf dem Gebiet rund 450.000 Juden und etwa eine Million muslimische und christliche Palästinenser. Zwanzig Jahre zuvor waren es 60.000 Juden und über 500.000 Muslime und Christen gewesen.

Karla Pilpel hat einen Ordner gefüllt mit Dokumenten aus dieser Zeit: ein Kinderausweis mit einem roten »J« für Jude, Briefe und Schwarz-Weiß-Bilder. Auf einem Foto sitzt sie als kleines Mädchen auf einer Bank im Berliner Zoo. Die Benutzung der meisten Bänke war laut Hinweisschilder »für Hunde und Juden verboten«. Es ist eines der letzten Bilder, das sie aus ihrem Leben in Deutschland besitzt.

Obwohl Juden im nationalsozialistischen Deutschland um ihr Leben fürchten mussten, konnten sich die Delegierten auf der Flüchtlingskonferenz im französischen Evian 1938 nicht einigen.

Der Antisemitismus nahm immer gefährlichere Ausmaße an, und die Flüchtlingszahlen stiegen weiter. US-Präsident Franklin D. Roosevelt berief eine internationale Konferenz ein. Im Juli 1938 debattierten die Vertreter von 32 Ländern im französischen Evian über die Möglichkeiten einer Aufnahme weiterer Flüchtlinge. Die aus zwei Seiten bestehende Resolution der Evian-Konferenz sprach für sich. Es gab keinerlei Zusagen. Für Hilfe suchende Juden war das ein herber Rückschlag.

Ein halbes Jahr später war die Situation für Juden in Deutschland lebensbedrohlich geworden. In einer einzigen Novembernacht 1938 verwüsteten die Nationalsozialisten etwa 7500 jüdische Geschäfte und Wohnungen, schändeten 1400 Synagogen und zahlreiche Friedhöfe. »Nach der Reichskristallnacht in Deutschland wusste ich Bescheid«, erinnert sich Wolf Factor. Er lebte damals im polnischen Lodz. Auch in Polen standen antijüdische Ausschreitungen auf der Tagesordnung. »Mein Vater fing an, mich zur Schule zu begleiten. Bald stand auf den Schaufenstern der Geschäfte in polnischer Sprache: ›Kaufe nicht bei Juden‹, ›Juden unerwünscht‹ oder ›Die Juden nach Palästina‹.« Die Hetze richtete sich gegen über drei Millionen Polen, die jüdischen Glaubens waren.

Karla Pilpel sah als jüdisches Kind die Aufmärsche der Nationalsozialisten in Berlin. »Einmal in einer Freistunde bin ich mit einem Freund zum Kurfürstendamm gelaufen. Da gab es eine große Parade. Ich sah Adolf Hitler, Waffen, Militärfahrzeuge. Die Leute riefen ›Sieg Heil‹. Ich sagte meinem Freund, er solle auch den Hitlergruß zeigen. Es war gefährlich, das nicht zu tun. Aber ich habe nie zu Hause erzählt, wo ich in dieser Freistunde war.«

Die Flucht nach Palästina war inzwischen fast unmöglich geworden. Die britische Mandatsregierung verhinderte die Einreise, die aus Sicht der Briten und der arabischen Nachbarstaaten illegal war. Um den Streit zwischen Juden und Arabern zu schlichten, berief die Mandatsregierung im Februar und März 1939 die Saint-James-Konferenz ein. Das Treffen im gleichnamigen Palast des britischen Königshauses blieb ohne Ergebnis.

Im Mai 1939 veröffentlichten die Briten daraufhin ein Weißbuch, eine Art Regierungserklärung zur Außenpolitik.

Aus der Sicht Zuflucht suchender Juden war das Weißbuch eine Enttäuschung. Nur 75.000 Juden sollten innerhalb der kommenden fünf Jahre einwandern dürfen. Doch Hunderttausende waren auf der Flucht vor den Nationalsozialisten. Für die arabischen Regierungen war das britische Dokument ebenso unakzeptabel. Die arabischen Staaten verurteilten eine jüdische Immigration. Das Weißbuch regelte die Einwanderung zwar streng, stimmte ihr aber offiziell in einem gewissen Umfang zu.

An Flucht war für viele Juden bald kaum noch zu denken. Der Zweite Weltkrieg stand bevor, und viele Länder schlossen endgültig ihre Grenzen. In Berlin fanden die Eltern von Karla Pilpel eine rettende Lösung für ihre Tochter. »Als ich sieben Jahre alt war, sagten mir meine Eltern, dass ich mit meinen Geschwistern Ferien in England machen werde. Ich war überrascht und habe mich darauf gefreut. An einem Maimorgen fuhren wir zum Bahnhof. Dort hat jeder geweint, und ich konnte das nicht verstehen. Wieso sind alle so traurig? Wir gehen doch in die Ferien.«

Der sogenannte Kindertransport rettete 10.000 Menschen das Leben. In Großbritannien warteten Pflegeeltern auf die jüdischen Kinder, denen selten jemand sagte, dass es sich nicht um einen Urlaub handelte. Karla Pipel: »Wir wurden in England alle voneinander getrennt, aber ich blieb mit meiner Schwester und meinem Bruder in Kontakt. Ich wechselte mit meinen Eltern Briefe. Irgendwann bekam ich keine mehr.«

Das Weißbuch

Dieses Dokument veröffentlichte die britische Regierung am 17. Mai 1939:

»Das Ziel der Regierung seiner Majestät ist die Errichtung eines unabhängigen Staates Palästina innerhalb von zehn Jahren mit derartigen vertraglichen Beziehungen zum Vereinigten Königreich, welche die wirtschaftlichen und strategischen Verhältnisse beider Staaten in der Zukunft befriedigend berücksichtigen. (…) Der unabhängige Staat sollte einer sein, in dem Araber und Juden derart an einer Regierung beteiligt sind, dass die wesentlichen Interessen jeder Gemeinschaft gewahrt bleiben.« (gekürzt)

Im September 1939 marschierten deutsche Truppen in Polen ein. Für die Familie von Wolf Factor im polnischen Lodz war es der Beginn einer Katastrophe. »Mit dem deutschen Militär kam ein ganzer Apparat, der dafür bestimmt war, sich mit jüdischen Angelegenheiten zu beschäftigen. Schon am zweiten Tag der Besatzung waren bereits ganz präzise Bekanntmachungen an den Wänden, wie sich ein Jude zu benehmen habe. Es hat mit einer Reihe von Schikanen angefangen, die unglaublich waren. Nach fünf Uhr abends zum Beispiel durfte sich kein Jude mehr auf der Straße aufhalten.«

Mit Beginn des Zweiten Weltkrieges veränderte sich auch in Palästina die Lage. Die Briten übten sich im Spagat: Die Gunst der Araber war wichtig, weil ein Aufstand wie 1936 zum Chaos führen würde. Das jüdische Wohlwollen war ebenso vonnöten, weil Juden als Freiwillige in der britischen Armee dienten. Die Briten brauchten jeden Soldaten — das Deutsche Afrikakorps sollte sich schon bald Ägypten nähern, dem südlichen Nachbarland Palästinas.

Die britische Mandatsmacht weitete ihre Truppenstärke in Palästina massiv aus. Das enorme Aufgebot von Soldaten und Waffen war für die Briten ein teures Unterfangen. Die Einwohner Palästinas profitierten davon, denn die britischen Soldaten konsumierten und brachten Devisen in Umlauf. Die Region stand dank der Militärpräsenz vor einem wirtschaftlichen Aufschwung.

Die Palästinenserin Amelie Dschaqaman erlebte in Bethlehem, wie sich die Lage ihrer Familie verbesserte. »Die Briten hatten nun einen neuen Feind: Hitler. Palästina entwickelte sich zum Militärlager. Das war gut für die einheimischen Händler, die Soldaten kauften bei ihnen ein. Auch die wirtschaftliche Situation meiner Familie verbesserte sich. In Jerusalem arbeiteten viele Palästinenser für die britische Militärverwaltung. Keiner sprach mehr wie damals beim Arabischen Aufstand davon, dass sich Frauen verhüllen müssen. Es ging nur noch um Geld.«

Der Kriegsausbruch zwang die jüdische Bevölkerung in Palästina zu Kompromissen. Die Briten stellten sich zwar mit dem Weißbuch gegen eine freie jüdische Einwanderung, kämpften aber zugleich gegen das judenfeindliche Deutschland. David Ben Gurion leitete die Vertretung der Zionistischen Weltorganisation in Palästina. Der Politiker gab folgende Parole aus: »Wir müssen den Briten in ihrem Krieg helfen, als ob es kein Weißbuch gäbe, und wir müssen uns gegen das Weißbuch zur Wehr setzen, als ob es keinen Krieg gäbe.«