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Ein erschütternder Roman über Missbrauch im Breitensport ab 14 Jahren Lena liebt Fußball. Und den neuen Trainer Charly findet sie super: endlich einer, der was draufhat, endlich mal spannende Trainingseinheiten, endlich die Möglichkeit, sportlich etwas zu erreichen. Und er macht Lena zu seiner neuen Kapitänin! Aber er hält auch ihre Hand, als die Mannschaft in der Pizzeria ihren ersten Sieg feiert. Viel zu lange. Lena ist das unangenehm, aber sie traut sich nicht, die Hand wegzuziehen. Und vielleicht ist das ja auch alles ganz normal? - Basierend auf ausführlichen Gesprächen des Autors mit Betroffenen und Expert*innen - Der Autor zeigt, wie leicht es Tätern gemacht wird, weil alle schweigen: die Betroffenen aus Scham, die Beobachtenden aus Unsicherheit, die Vereine, um Skandale zu vermeiden. - Ein Buch, das einem die Augen öffnet und zutiefst erschüttert.
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Seitenzahl: 173
Martin Schäuble
Ein erschütternder Roman über Missbrauch im Breitensport
Lena liebt Fußball und irgendwie auch Tim, den einzigen Jungen an der Schule, der nicht total bescheuert ist. Aber für Tim hat sie wenig Zeit, denn der neue Trainer, Charly, will mit dem Team was erreichen. Und er macht Lena zu seiner neuen Kapitänin! Aber manchmal ist es schon komisch, was für Nachrichten Charly den Spielerinnen schickt. Als sie in der Pizzeria ihren Sieg feiern, hält er Lenas Hand viel zu lang. Sie will das nicht, doch sie sagt nichts. Und vielleicht ist das ja auch alles ganz normal?
Erzählt aus zwei Perspektiven: Lena, die betroffen ist, und Tim, der merkt, dass etwas nicht stimmt, aber Lenas Schweigen hilflos gegenübersteht.
Empfohlen von Safe Sport e.V.
Weitere Informationen finden Sie unter www.fischer-sauerlaender.de
Martin Schäuble ist für seine kritischen Jugendbücher bekannt, die von der Presse hochgelobt wurden und vielfach als Schullektüre eingesetzt werden. Nach »Endland« bei Hanser veröffentlichte er bei FISCHER SAUERLÄNDER die Dilogie »Die Scanner«/»Die Gesannten« sowie »Sein Reich«, »Cleanland«, »Godland« und »Alle Farben grau«. Als promovierter Politikwissenschaftler verfasst er auch Nahost-Sachbücher.
Vorwort
Widmung
TIM
DAVOR
LENA
TIM
LENA
TIM
LENA
TIM
LENA
TIM
LENA
TIM
LENA
TIM
LENA
TIM
LENA
TIM
LENA
TIM
LENA
TIM
LENA
TIM
LENA
TIM
LENA
TIM
LENA
TIM
LENA
TIM
LENA
TIM
LENA
TIM
LENA
TIM
LENA
TIM
LENA
TIM
LENA
TIM
LENA
TIM
LENA
TIM
LENA
TIM
LENA
TIM
LENA
TIM
LENA
TIM
LENA
TIM
LENA
TIM
LENA
TIM
LENA
DER VORSITZENDE
TIM
LENA
TIM
LENA
TIM
LENA
TIM
LENA
TIM
LENA
TIM
LENA
DER VORSITZENDE
TIM
LENA
Anmerkungen zum Buch und Danksagung
In diesem Roman geht es um sexualisierte Gewalt. Betroffene haben mit mir darüber gesprochen. Sie wollen nicht Opfer genannt werden, denn das würde sie hilflos machen – und die Täter nur noch stärker.
Sexualisierte Gewalt findet an vielen Orten statt. Sie reicht von verletzenden Sprüchen über das Zusenden von sexistischen Nachrichten und Fotos bis zu Vergewaltigungen.
Du bist auch betroffen? Hier wird dir anonym geholfen:
TELEFONISCH
Deutschland: 0800 2255530 oder 0800 1122200
Schweiz: 143
Österreich: 142 oder 0800 222555
IM INTERNET
Deutschland:
www.ansprechstelle-safe-sport.de(auch Chat und Videochat)
www.hilfe-portal-missbrauch.de(Hilfe in deiner Nähe)
www.hilfetelefon.de (auch Chat)
www.anlauf-gegen-gewalt.org (Leistungssport)
Schweiz:
www.opferhilfe-schweiz.ch
www.onlineopferberatung.ch
Österreich:
www.rataufdraht.at
www.haltdergewalt.at
Für V., die weiß, wieso.
Lena zog Tim an der Hand durch den Flur. Sie war schon oft bei ihm zu Hause gewesen in den letzten Monaten. Er schwitzte an den Fingern. Lena spürte es bestimmt, sagte aber nichts.
Kaufst du Kondome?, hatte sie ihm geschrieben.
Tim hatte ewig nach einer originellen Antwort gesucht, es dann aber aufgegeben und ihr nur geschrieben: Klar.
Sie erreichten sein Zimmer, Lena öffnete die Tür und zog Tim hinein. Er ließ das mit sich geschehen, sie sollte jetzt alles bestimmen. Das war ihr wichtig – das hatte er gelernt. Egal, was passieren würde, es sollte von ihr ausgehen. Er durfte nicht zu viel nachfragen, drängen und bestimmen.
Wenn er in den letzten Monaten doch mal hatte weitergehen wollen, hatte Lena abgeblockt. »Wir haben Zeit«, hatte sie dann immer gesagt.
Tim versuchte, damit klarzukommen.
Wir haben Zeit.
Und noch etwas musste er akzeptieren: Es gab ein Tabu. Über ein Thema wollte sie nicht sprechen. Obwohl es am Anfang ihrer Beziehung das wichtigste für sie gewesen war, das wusste er.
Lena war die beste Fußballerin im Verein gewesen. Sie hatte bis zu drei Mal die Woche trainiert. Der Sportplatz war ihr zweites Zuhause gewesen, manchmal sogar ihr erstes.
Doch plötzlich ging sie einfach nicht mehr hin. Von heute auf morgen.
»Wieso …«, hatte Tim gefragt, immer wieder. »Wieso gehst du nicht mehr zum Training?«
Er hatte gefragt, bis er akzeptieren musste, dass Lena ihre Geheimnisse hatte.
Irgendwann würde sie ihm alles erzählen, hoffte er.
Wir haben Zeit.
Und nun standen sie auf dem Teppichboden in seinem Zimmer. Seine Eltern waren bei Verwandten und wollten erst spät nach Hause kommen. Sein kleiner Bruder übernachtete bei einem Freund. Tim und Lena würden die Wohnung ein paar Stunden für sich haben – so der Plan.
Lena stöberte in seiner Plattensammlung, wie immer. Sie entschied auch meistens, welches Album sie auflegten.
Der alte Plattenspieler war eigentlich mehr Deko. Tim hatte das Gerät nur, da alle Jungs in seiner Band so eins hatten.
Kiran, der Sänger, hatte damit angefangen (»Der Klang ist viel authentischer!«).
Tim hörte da überhaupt keinen Unterschied, außer diesem Knistern vielleicht. Ihn nervte das Geräusch eher. Doch das behielt er für sich.
Lena hob ein Album hoch. »Guns N' Roses?«
»Kennst du die?«
»Nee. Eben deswegen.«
»Wusste gar nicht, dass ich von denen was hab.«
»Du bist ja voll der Experte bei deiner Sammlung.« Sie schmunzelte und nahm eine der zwei Platten aus dem Album.
Tim stellte sich neben Lena, nicht wissend, wohin mit seinen Händen. »Kiran ist Guns-N'-Roses-Fan …«
»Echt?«
»Wegen Axel Rose, der hat so eine krasse Stimme.«
»Wirklich?«
»Ja, die reicht von supertief bis ganz hoch.«
»Aha.«
»Von F1 bis B6.«
»Ach was?«, sagte Lena, die Klavier spielte, was Tim natürlich wusste, und die deswegen kaum weitere Erklärungen gebraucht hätte.
»Doch … äh … ja«, sagte er und hatte es endlich verstanden. Lena wollte offensichtlich nicht über die Platte reden und nicht länger herumlabern.
Die Nadel des Plattenspielers kam bei Don’t Cry an. Lena legte ihre Arme um Tim und küsste ihn.
So weit waren sie schon oft gewesen.
Sie lächelte, als er schon wieder am Öffnen ihres BHs verzweifelte, und half ihm dabei.
Als sie nackt im Bett lagen, holte Tim das Kondom aus der Schublade. Die Platte kreiste ein paar Sekunden stumm zwischen zwei Songs, da fiel ihm die Tür ein.
Natürlich.
Wer weiß, vielleicht würden seine Eltern doch früher nach Hause kommen?
Er stand auf und schloss die Tür ab.
KLICK.
Und noch einmal KLICK.
Sicher ist sicher.
Beim zweiten KLICK war Lena schon aufgesprungen. »Bist du bescheuert!«
Tim starrte sie mit offenem Mund an.
»Mach die Scheißtür auf!«, schrie Lena.
»Aber …«
Lena schlug ihm das Kondom aus der Hand. »Mach endlich!«
Keine Minute später stand sie komplett angezogen vor ihm.
Tim verstand nichts und war noch immer nackt.
Natürlich wollte er die Tür wieder aufschließen. Doch Lena war so laut und so panisch, dass ihm der Schlüssel runterfiel.
Er wusste einfach nicht, was er falsch gemacht hatte.
Endlich bekam er die Tür auf.
Lena weinte inzwischen – wieso weinte sie jetzt auch noch?
Sie schnappte ihren Rucksack und lief aus dem Zimmer. Keine drei Sekunden später hörte Tim, wie die Wohnungstür zuknallte.
Er rief sie an, ihr Handy war ausgeschaltet.
Sein Handy warf er aufs Bett. Er zog Jeans und T-Shirt an, rannte die Treppen runter, vorbei an den anderen Wohnungen. Schnell atmend stand er auf der Straße, doch Lenas Fahrrad lehnte nicht mehr an der Wand neben den Briefkästen.
Tim fror und wollte zurück, da knallte die Haustür hinter ihm zu. Der Schlüssel war noch in der Wohnung, so wie sein Handy. Und jetzt war er richtig wütend – auf Lena.
Was war nur los mit ihr?
»So, Mädels«, rief Mirco über den Sportplatz, »kommt mal alle her!«
Lena jonglierte den Ball von Fußspitze zu Fußspitze. Sie hatte keine Lust auf lange Reden, und Mirco war genau dafür bekannt. Manchmal verbrachten sie im Training mehr Zeit mit Zuhören als mit Trainieren.
»Das heute war wirklich das letzte Mal«, sagte er. »Muss kürzertreten, hat der Doktor gesagt.«
Lena hörte auf, mit dem Ball zu jonglieren, aber sie war nicht überrascht. Mirco war Ende sechzig, und seine Herzprobleme hatten sich im Team herumgesprochen.
»So schlimm?«, fragte Kim.
»Wird schon«, sagte Mirco und hob den Ball auf. Dazu brauchte er zwei Versuche. »Wir haben einen super Trainer für euch gefunden. Fährt extra eine halbe Stunde mit dem Auto hierher. Der hat schon mal ein Mädels-Team in die Landesliga geführt.«
Lena schaute zu Fatima, der Kapitänin, und die grinste.
Landesliga? Beide träumten seit Jahren davon, endlich aus der Kreisklasse rauszukommen. Allein das wäre schon Erfolg genug.
Lena blieb zwar realistisch. Sie war fünfzehn, der große Durchbruch würde nicht mehr kommen. Aber ein kleiner Aufstieg müsste doch noch möglich sein, oder?
Mit Mirco war selbst das chancenlos, da waren sich Fatima und Lena in vielen Gesprächen einig gewesen. Der war zu alt, zu unmotiviert. Alle guten Trainer des Vereins trainierten sowieso immer die Jungs, fand Lena.
Fatima stellte sich zu ihr und flüsterte: »Hauptsache, der Neue labert nicht so viel wie Mirco.«
Lena nickte. »Es kann nur besser werden.«
Sie schaute zu den anderen Spielerinnen und fragte sich, wer von ihnen überhaupt Lust auf ein besseres Training hatte.
Sophie fehlte oft.
Hatice erschien total verpennt zu den Spielen am Wochenende, obwohl die oft erst mittags waren.
Johanna wärmte sich nicht mal richtig auf oder machte bei den Übungen oft nur halbherzig mit.
Viele im Team zeigten einfach keinen Einsatz, dachte Lena. Sie gaben nicht alles, waren oft unmotiviert. Und sie hatten die falsche Einstellung.
Für Lena waren sie trotzdem beste Freundinnen. Mit keinem Menschen verbrachte sie so viel Zeit außerhalb der Schule. Und genau deswegen beschwerte sie sich auch nie.
Aber für Lena war Fußball einfach mehr als für die anderen. Sie freute sich riesig auf den neuen Trainer.
In der Woche darauf war sie deswegen eine halbe Stunde früher als sonst beim Training.
»Schon da?«, fragte der fremde Mann mit der Trainingshose und dem Vereinstrikot. Es sah für Lena so aus, als wäre er schon seit Monaten hier.
Der Neue war vielleicht zwanzig Jahre jünger als Mirco. Lena schätzte ihn auf Ende vierzig, so alt wie ihre Mutter.
»Du bist Lena!«, stellte der Mann fest, reichte ihr die Hand und drückte kräftig zu. »Charly, nenn mich einfach nur Charly.«
Lena wunderte sich, woher Charly ihren Namen kannte.
Der merkte das offenbar und wischte über sein Tablet. Er tippte auf das Teamfoto mit allen Namen.
»Welche Position doch gleich?«, fragte er.
»Abwehr.«
»Stimmt, von dir hat mir Mirco erzählt. Du hast was drauf!«
»Na ja, weiß nicht.«
»Weißt du nicht? Na, dann zieh dich schnell um! Dann sag ich’s dir.«
»Wie denn … jetzt?«
»Klar, will mal sehen, ob du wirklich so gut bist, wie der Alte behauptet.«
Erst dachte Lena, Charly würde nur Spaß machen. Doch er holte schon einen Ball aus dem Netz und kickte ihn mitten aufs Feld.
Sie verschwand in der Umkleidekabine, zog ihre kurze Hose an, ihre Schienbeinschoner, die Stutzen, das Trikot, die Schuhe mit den Noppen und band sich die langen Haare zu einem Zopf.
Fünf Minuten später jagten sie gemeinsam über den Platz. Sie war Charly auf den Fersen, versuchte, ihm den Ball abzunehmen, ranzukommen, ohne ihn zu foulen. Kurz berührte sie den Ball, da hatte ihn Charly schon zurückerobert und schoss das Tor.
»Eingeschlafen unterwegs?«, fragte er und zog ihr kurz am Zopf, aber nicht so, dass es ihr weh getan hätte.
Sie versuchte, seinen neuen Angriff abzuwehren, immer und immer wieder. Doch Charly kam jedes Mal bis zum Tor durch.
Wieder zog er am Zopf, was sie eigentlich hasste, aber sie sagte nichts. Er sollte nicht denken, sie wäre kompliziert oder schnell eingeschnappt oder empfindlich. Das hier war Fußball und keine Ethikstunde bei Frau Kramer. Und außerdem freute sich Lena über das Einzeltraining. Es war ihr erstes überhaupt!
»Schon besser, aber immer noch viel zu vorsichtig!«, sagte Charly und kickte den Ball vor ihrem Fuß weg. »Los, geh rein! Greif endlich an!«
Er stürmte zum Tor und sie hinterher. Kurz vor dem Strafraum hatte sie ihn fast eingeholt. Sie warf sich schräg auf den Boden, schlitterte über den Kunstrasen, erreichte den Ball mit dem ausgestreckten Fuß und schoss ihn ins Aus. Charly stolperte und rutschte ein paar Meter auf den Knien.
Lena wusste, das zog ordentlich und tat weh, vor allem wenn der Kunstrasen so trocken war.
Sie hörte das Klatschen am Spielfeldrand. Ihr Team stand dort und jubelte: »Lena! Lena! Lena!«
Fatima streckte ihr zwei ausgestreckte Daumen entgegen.
Lena schaute auf die große Uhr über der alten Tribüne. Sie hatte schon fast zwanzig Minuten mit ihrem neuen Trainer gespielt.
Charly trat zu ihr, und Lena überlegte, ob er jetzt wütend auf sie war. Hatte sie ihn vor allen blamiert? War das zu viel Einsatz gewesen, zu riskant? Aber sie hatte ja keine Blutgrätsche gemacht, sondern den Ball gespielt, oder?
Geh rein! Greif endlich an!
Und so sauber, wie sie das gemacht hatte, hätte sie auch keine Karte von einem Schiri gesehen. Das war alles korrekt, da war sie sicher. Doch sah Charly das auch so? Was war das überhaupt für ein Typ?
Er reichte ihr beide Hände, zog sie hoch, klopfte ihr auf den Rücken. »Genau so, Lena. Hörst du? Genau so! Super gemacht!«
Sie strahlte und freute sich wirklich über die Anerkennung.
Charly rief über den Platz: »So, Mädels, genug geglotzt! Jetzt seid ihr dran!«
Die Idee war nicht so genial, das hatte er schnell verstanden. Doch Tim trieb die pure Verzweiflung dazu. In der Schule hatte er seit Wochen versucht, Lena anzusprechen. Doch nie hatte sich eine richtige Möglichkeit ergeben. Da hatten einfach immer zu viel Leute zugeschaut.
Also stand er hier, an einem Mittwochabend, am Rande der Kleinstadt, auf dem Parkplatz vom Sportgelände. Lenas Fahrrad hatte er schon entdeckt, nun fehlte nur noch sie selbst. Das Training ging bis halb acht, so stand es auf der Seite des Vereins.
Es war bereits Viertel vor acht, doch alle rannten noch über den Platz. Tim konnte Lena aus der Entfernung nicht entdecken. Er hoffte nur, sie würden nicht alle gleichzeitig nach dem Training hier langlaufen. Dann würden ja wieder so viele Leute dabei sein, und die Aktion wäre totaler Quatsch gewesen. Und auf keinen Fall sollte es für Lena peinlich sein.
Auf dem Parkplatz standen drei Autos. In zwei saßen Mütter, im dritten ein Vater. Zumindest vermutete das Tim, wer sollte sonst hier abends im Auto sitzen und warten?
Eine der Frauen ließ die Scheibe runter. »Und, sind die endlich fertig?«
»Nee.«
»Charly übertreibt es wieder.«
»Charly?«
»Der Neue! Der trainiert die seit drei Monaten.«
»Ach so, der.«
Tim vermutete, dass das nicht sehr überzeugend geklungen hatte. Woher sollte er wissen, wer Lenas Trainer war? Auf der Homepage hat er nur nach ihr gesucht.
Die Frau stieg aus und drehte sich auf dem Autodach eine Zigarette. »Charly will es echt wissen.«
Tim nickte nur und hoffte, kein Gespräch über Fußball führen zu müssen. Er kannte sich überhaupt nicht aus. Und daran musste er natürlich bald etwas ändern, das hatte er schon kapiert. Wer in eine Fußballerin verknallt war, musste ja zumindest ein bisschen Basiswissen haben.
Die Frau steckte sich die Zigarette in den Mund und klopfte ihre Jacke ab. »Mist. Hast du Feuer? Rauchst du überhaupt?«
»Nee.«
»Ist besser!«
Sie fand ein Feuerzeug im Auto und kam wieder raus. »Samstagfrüh, da ist doch das Spiel!«
»Gegen?«
»Na, die Tabellenführer!«
»Und wer sind die Tabellenfü…«
»Hi, Mum!«
Tim drehte sich um und sah eine der Spielerinnen. Sie war nicht auf seiner Schule wie Lena. Aber er kannte sie natürlich vom Sehen. Die Stadt war klein. Viel zu klein, fand Tim.
Die Frau blies noch einmal Rauch in den Himmel und ließ die angefangene Zigarette auf den Boden fallen. »Wir sehen uns beim Spiel, oder?«
Tim nickte und war sich ziemlich sicher: bestimmt nicht. Was sollte er an einem Samstagmorgen hier draußen? Er würde niemals auf das Ausschlafen verzichten! Und wo blieb eigentlich Lena?
Im Spiel am Ende des Trainings hielt Kim alle Torschüsse. Charly klatschte die Keeperin als Erste ab, umarmte sie kurz und klopfte ihr noch mal auf den Rücken. »Nächsten Samstag machst du es genauso! Hörst du? Genau so!«
Lena wollte gar nicht daran denken. Das Spiel gegen die Tabellenführerinnen machte ihr Sorgen. Sie hatten schon einige Spiele mit Charly gehabt und fast alle knapp gewonnen. Doch keine der Gegnerinnen stand an der Spitze der Tabelle! Lena würde in der Abwehr ziemlich viel zu tun haben.
»Schau nicht so besorgt«, sagte Fatima. »Wird schon.« Die Kapitänin drehte sich zu den anderen. »Wer kommt noch mit auf ein Eis?«
»Bin dabei«, sagte Sophie, und Kim: »Ich auch!«
Lena schüttelte den Kopf. »Muss Mathe lernen.«
Das hatte sie ihrer Mutter versprochen. Sie stand zwischen einer Vier und einer Fünf, und die nächste Klassenarbeit war entscheidend. Erst beim Frühstück war es deswegen schon wieder zum Streit gekommen.
Der Standpunkt ihrer Mutter: »So viel Zeit fürs Kicken geht nur, wenn du auch Mathe lernst.«
»Wir haben bald unser wichtigstes Spiel!«
»Und deswegen eine Fünf?«
»Ich könnte auch mit Klavier aufhören«, hatte Lena vorgeschlagen, auch nicht zum ersten Mal. »Dann hab ich mehr Zeit.«
»Auf keinen Fall! Üben musst du nicht jeden Tag, aber einmal die Woche gehst du hin.«
Es war eines ihrer klassischen Mutter-Tochter-Gespräche gewesen.
Lena beeilte sich in der Umkleide und wollte nach Hause. Sie war noch nicht bei ihrem Fahrrad angekommen, da bekam sie eine Nachricht von Charly.
Du warst mega heute!
Mega sagte zwar keiner mehr, aber Lena freute sich und suchte auf dem Sportplatz nach ihm. Er winkte ihr auf der alten Tribüne mit dem Tablet sitzend zu. Sie winkte zurück.
Du warst mega heute!
Der alte Trainer hatte nie so etwas geschrieben – keiner Spielerin im Team, das hätte Lena gewusst,darüber hätten sie geredet.
Charly verschickte nach jedem Training kurze Nachrichten, das hatte sich schnell im Team herumgesprochen. Aber nur an die, die gut waren. Wer nichts bekam, der wusste, er hatte nur halbe Leistung gebracht oder gepennt.
Lena fand das persönliche Lob von Charly motivierend und ehrlich gesagt auch gerecht. Heute zum Beispiel: Die Pässe waren sauber gewesen, beim Ausdribbeln war sie unschlagbar, und die Flanke am Ende, über die staunte sie selbst. Vom eigenen Strafraum über das Mittelfeld bis genau vor Fatimas Füße, die ein Tor geschossen hatte!
Lena ging zu den Fahrradständern. Kaum saß sie auf dem Sattel, bremste ein Mountainbike vor ihr.
Tim grinste sie an.
Er war der einzige Junge in ihrer Stufe, der nicht komplett bescheuert war – fand Lena. Tim war in Ordnung, auch wenn sie nicht besonders viel über ihn wusste.
Er lernte Schlagzeug in der gleichen Musikschule wie sie Klavier. Und er spielte in der Schulband. Von der Band hatte sie bisher nur Plakate gesehen, und das waren keine Ankündigungen für Konzerte.
Da stand stattdessen: Band sucht neuen Proberaum! Oder: Band sucht E-Gitarrist*in! Oder: Suchen Mischpult für …
Kurzum, seine Band suchte immer etwas.
»Hey, Lena!«
»Was machst du denn hier draußen?«
»War zufällig in der Nähe.«
Lena schaute über den Sportplatz, bis auf die alten Fabrikhallen war hier nichts. Aber Tim war nicht bescheuert, und sie wollte nett sein, also wies sie ihn nicht darauf hin.
»Ich hab mir überlegt, ob …«
Sie klopfte auf sein Lenkrad. »Ihr sucht eine Pianistin, stimmt’s? Ich hab leider keine Zeit.«
»Was? Nee. Joel spielt doch Keyboard und …«
»War auch nicht ernst gemeint.«
»Ach so, also … Ich hab mir überlegt, ob wir …« Tim unterbrach sich und schaute zu den Spielerinnen, die aus der Umkleidekabine kamen. Alle mussten natürlich an den beiden vorbei. Und manche ließen sich extra viel Zeit, so kam es ihm vor.
Fatima zwinkerte Lena zu, und Tim konnte es sehen. Johanna kannte Tim aus der Schule und lächelte.
Als sie endlich vorbei waren, machte Tim weiter. »Also ob wir mal was zusammen machen wollen … vielleicht … also vielleicht …«
»Okay«, sagte Lena, dabei hatte er noch gar nichts Konkretes vorgeschlagen.
»Wir könnten …«, fing Tim an, da kam noch eine der Spielerinnen und blieb vor beiden stehen. Und in dem Augenblick war Tim klar, er hätte Lena genauso gut in der Schule ansprechen können.
Anna blieb stehen, und das nervte gerade. Sie hätte gern eine Sekunde mit Tim allein gesprochen. Anna streckte Lena ihr Handy entgegen. Auch sie hatte von Charly eine Nachricht bekommen. Extrem laufstark heute! Klasse, echt!
Lena klopfte ihr übertrieben auf die Schulter, zeigte Anna ihre Nachricht von Charly. Und irgendwie klang Du warst mega besser als Klasse, echt!
Anna streckte die Zunge raus, klatschte sich mit Lena ab und ging.
Tim kapierte offenbar nichts, schaute Anna nach und machte weiter mit seinem Text. »Wir könnten …«
»Ich hab auch eine Idee«, sagte Lena. »Am Samstag haben wir ein Spiel und …«
»Weiß ich doch«, sagte Tim.