Sein Reich - Martin Schäuble - E-Book

Sein Reich E-Book

Martin Schäuble

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Beschreibung

Ein Sommer unter Reichsbürgern Sommerferien, und alle verreisen – nur Juri nicht. Kurzerhand beschließt er, aufs Dorf zu seinem Vater zu fahren, zu dem er bisher kaum Kontakt hatte. Der vertritt zwar einige sonderbare Verschwörungstheorien, aber er führt mit seinen Freunden auch ein faszinierendes Leben: Es wird gejagt, geangelt und sie haben ein geheimes Projekt im Wald. Und dann ist da noch Jule, die Juri eines Abends am See kennenlernt … Aber sind sein Vater und dessen Kameraden wirklich nur harmlose Spinner? Als Juri sich endlich diese Frage stellt, ist es schon fast zu spät. Spannend, brisant und hochaktuell – vom Autor von »Endland«, »Die Scanner« und »Black Box Dschihad«

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Seitenzahl: 219

Veröffentlichungsjahr: 2020

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Martin Schäuble

Sein Reich

 

 

Über dieses Buch

 

 

Ein Sommer unter Reichsbürgern

 

Sommerferien, und alle verreisen – nur Juri nicht. Kurzerhand beschließt er, aufs Dorf zu seinem Vater zu fahren, zu dem er bisher kaum Kontakt hatte. Der vertritt zwar einige sonderbare Verschwörungstheorien, aber er führt mit seinen Freunden auch ein faszinierendes Leben: Es wird gejagt, geangelt und es gibt einen Bunker mit allen technischen Vorrichtungen – das ist schon krass! Und dann ist da noch Jule, mit der Juri die Abende am See verbringt … Aber sind sein Vater und dessen Kameraden wirklich nur harmlose Spinner? Als Juri sich endlich diese Frage stellt, ist es schon fast zu spät.

 

Spannend, brisant und hochaktuell – vom Autor von »Endland« und »Die Scanner«

 

 

Weitere Informationen finden Sie auf www.fischerverlage.de

Biografie

 

 

Martin Schäuble kam 1978 südlich vom Schwarzwald auf die Welt. Er studierte und promovierte in Berlin, Israel und Palästina. Für seine Bücher bereiste er unter anderem Äthiopien und den Iran und recherchierte in den Metropolen Südasiens. Entstanden sind viel beachtete Romane wie »Endland« und »Die Scanner« (unter Robert M. Sonntag), aber auch eine Reihe von Sachbüchern (»Black Box Dschihad«). »Sein Reich« führte ihn nicht in die Ferne, sondern in die eigene Heimat.

Inhalt

[Motto]

Prolog

1. Kapitel

2. Kapitel

3. Kapitel

4. Kapitel

5. Kapitel

6. Kapitel

7. Kapitel

8. Kapitel

9. Kapitel

10. Kapitel

11. Kapitel

12. Kapitel

13. Kapitel

14. Kapitel

15. Kapitel

16. Kapitel

17. Kapitel

18. Kapitel

19. Kapitel

20. Kapitel

21. Kapitel

22. Kapitel

23. Kapitel

24. Kapitel

25. Kapitel

26. Kapitel

27. Kapitel

28. Kapitel

29. Kapitel

30. Kapitel

31. Kapitel

32. Kapitel

33. Kapitel

34. Kapitel

35. Kapitel

36. Kapitel

37. Kapitel

38. Kapitel

39. Kapitel

40. Kapitel

41. Kapitel

42. Kapitel

43. Kapitel

44. Kapitel

Danksagung

Ich erzähle jetzt das, was ich wirklich erlebt habe. Es kommt also nicht vom Internet oder von Jule oder Diesel-Nora oder Jessy oder Aschenbecher (ihrem Freund). Und die Wahrheit geht mit dem Prolog schon los …

Prolog

Erst der Blitz.

Dann überall Rauch.

Oder eher Nebel?

Keinen Meter weit kann ich sehen. Da ist nur dichte, graue Luft.

Ich könnte jetzt an die Schuldisco mit DJ Wodka denken. Die war vor zwei Wochen in der Aula, Abschiedsparty der Zehner. DJ Wodka hat den Raum ordentlich eingenebelt. Wobei allein der DJ-Name schon ein Witz ist. Weil, bei Schulpartys gibt es ja keinen Alkohol (offiziell zumindest). Aber DJ Apfelschorle hätte auch bescheuert geklungen.

Und Diesel-Nora! Die hat fast jeden angetanzt. Außer mich. Ist egal, Tanzen wird eh überschätzt. Und ich denke ja auch gar nicht an DJ Wodka oder an Diesel-Nora. Ich denke erst mal an nichts. Ich starre geradeaus ins unheimliche Grau. Und was hat da eben geknallt?

 

Im Nebel tut sich was. Eine Gestalt kommt auf mich zu. Sie brüllt mich an, und ich verstehe kein Wort. Nur so ein »WAARUUUNNNDAAA!« oder so. Ergibt nicht wirklich Sinn. Dafür piepst es. Ich schüttele den Kopf, aber es lässt sich nicht wegschütteln. Der Knall hat da was kaputt gemacht.

Die Umrisse im Nebel werden deutlicher. Und dann blicke ich in den Lauf einer Pistole. Wieder brüllt der Typ: »WAARUUUNNNDAAA!«

Links und rechts von ihm tauchen weitere Nebelwesen auf. Grelles Licht blendet mich.

Einer der Typen reißt mir die Axt aus der Hand. Stimmt, die hatte ich ganz vergessen. Sie fällt direkt in die Blutlache.

Aber jetzt mal ganz logisch und von Anfang an.

Am Anfang war nämlich nicht die Axt.

Am Anfang waren nicht der Blitz und nicht der Knall und nicht der Rauch und nicht einmal dieser Prolog.

Nein!

Am Anfang war die Trinkflasche.

1

»Juuuuriiiii, deine Trinkflasche steht noch hier!«

»Dein Bus fährt in sechs Minuten.«

»Wieso liegt dein Mathebuch im Wohnzimmer?«

»Kannst du das Bad bitte nur einmal sauber machen, wenn du aus der Dusche kommst?«

»Doch nicht die Schuhe zu den Jeans … Bist du fünf oder fünfzehn?«

Ich antworte auf nichts.

Zwecklos.

Mum fällt immer was ein. Was ich falsch mache oder was ich vergessen habe oder was ich einfach anders tue, als sie es tut.

»Juri, noch vier Minuten. Das schaffst du nie. Jetzt kommst du zu spät. Glückwunsch!«

Das war ein Kommentar zu viel.

»Der Einzige, der zu spät kommt, der liegt im Schlafzimmer.«

Mit einer Rolle entfusselt meine Mutter ihre schwarze Bluse. Sie schaut mich nicht einmal an. »Hauke schläft, weil er gestern lange gearbeitet hat.«

Schon klar. Gearbeitet. Der hat gesoffen, wie jede Nacht. Da muss ich nur die Bierflaschen in der Küche zählen. Man könnte meinen, wir haben einen Getränkehandel.

Zugegeben, heute Morgen stehen dort weniger leere Bierflaschen als sonst. Für einen Rausch müsste es dennoch gereicht haben.

»Tschüss.« Ich ziehe die Wohnungstür hinter mir zu.

Meine Mutter reißt sie wieder auf. »Schatz! Wenigstens eine Banane.«

Ich verdrehe die Augen. Zwei Minuten später stehe ich an der Haltestelle. Ohne Banane.

Und von wegen, ich komme zu spät. Eine Minute zu früh!

Also theoretisch.

Warnstreik, steht an der Anzeige. Bitte nutzen Sie alternative Verkehrsmittel.

Mit Peter wäre das einfach gewesen. Peter hatte einen schwarzen 3er Mazda. Er hatte extrem viel Zeit, und er war morgens nüchtern. Hauke, der neue Peter, hat kein Auto, nie Zeit und ist immer betrunken. Immerhin schlägt uns Hauke nicht. Genau das war nämlich das Problem bei Peter.

Vielleicht wäre alles anders gekommen, hätte ich einen Bruder oder eine Schwester oder am besten gleich zehn Brüder und Schwestern. Vielleicht ist ein Kind für meine Mutter einfach zu wenig. Vielleicht verliebt sie sich deswegen immer in so Typen, die eigentlich eine Mum brauchen.

Das ist nicht meine Theorie, sondern die von Oma, also Mums Mutter. Die andere Oma kenne ich nicht. Denn ich kenne die Eltern meines Vaters so wenig wie ich meinen Vater kenne.

 

Und wie komme ich jetzt zur Schule?

Mein Magen knurrt. Wenigstens die Banane hätte ich mitnehmen sollen. Bei Bäcker Katz hole ich mir eine Butterbrezel. Ist auf Dauer auch keine Lösung. Zu Hause ist das Essen kostenlos, außerhalb der Wohnung kostet es Millionen. Langfristig gerechnet.

Ich pule die dicken Salzkörner ab und denke über alternative Verkehrsmittel nach. Mein Mountainbike? Negativ. Es hat einen Achter und zwei Platten.

Das Taxi? Negativ. Zu teuer. Und sowieso wollen jetzt alle eins.

Zu Fuß? Positiv. Dauert zwar dreißig Minuten bis zur Schule, aber zu spät kommen heute auch andere. Ausgenommen die Elterntaxi-Fraktion: Noah (Opel Zafira), Finni (5er BMW), Sümi (Renault Zoe) und Diesel-Nora (VW Passat TDI).

3

Mum ist sauer auf Hauke. Die Sache mit den Bierflaschen ging ihr zu weit. Weil, es hatte ja was mit der Schule zu tun. Wenn er sich zu Hause danebenbenimmt, drückt sie fünfzig Augen zu. Aber Schule geht gar nicht!

Ich liege auf meinem Bett und zocke. Meine Tür ist angelehnt, die Küchentür ist zu. Doch meine Mum redet laut genug.

»SPINNSTDU? Sollen die in der Schule denken, er ist auch ein Alki?«

»Mooooooment. Ich trink gern mal ein Bierchen. Okaaaaay. Aber ich war das nicht. Echt nicht.«

»Hauke! Hör auf zu saufen. Noch so ein Ding, und ich schmeiß dich raus.«

Ich werfe ein Kissen an die Tür, und sie knallt zu. Die leeren Drohungen von Mum hab ich mir oft genug angehört. Sie macht es sowieso nicht. Sie hängt an Hauke, als wären sie aneinandergekettet. Nicht nur mit Stahl, sondern mit so einem Supermaterial von einem anderen Planeten. Als hätten sie keine Wahl.

Offenbar ist nicht geschlagen zu werden für meine Mutter schon Grund genug, mit Hauke zusammenzubleiben. Ich verstehe es einfach nicht.

 

Nach einer Viertelstunde will ich mir ein Wurstbrot machen. Meine Mutter sitzt auf Haukes Schoß, er streichelt ihr über den Bauch, sie kichert.

»Jurischatz, komm her, Hauke hat sich entschuldigt.«

Nicht bei mir, denke ich. Ist aber auch egal. Hauke und mich verbindet keine Kette, nicht mal ein Faden!

Mir wird immer klarer: Ich will nicht hierbleiben. Nicht in den Sommerferien. Meinen Ferien!

»Mum, ich will irgendwohin für ein paar Wochen.«

Sie steht auf und geht zum Kühlschrank. Sie holt Butter und eine Packung Salamischeiben. Stimmt, ich hab ja Hunger. Meine Gedanken konnte sie schon immer lesen.

Mum belegt zweischichtig, immerhin spart sie nicht bei der Wurst, auch wenn das kein Flugticket ersetzt.

»Ich kann nicht schon wieder freinehmen. Und finanziell … also gerade …«

Gerade … wann ist gerade eigentlich vorbei?

Eine Brothälfte verschwindet in meinem Mund, reden kann ich trotzdem. »Ich kann ja irgendwo allein hin.«

»Kostet auch Geld, Schatz.«

Ich schlucke den letzten Bissen runter, schaue zu Hauke, und mir fällt was anderes ein. Weil, so viele Alternativen gibt es eigentlich nicht. »Ich könnte doch zu Papa.«

Meine Mutter steckt das Messer in das Butterstück, als wäre es der Endgegner von Doom. Die kühlschrankharte Masse kippt mit der Klinge zur Seite. Gewonnen! Also, so leicht war das mit dem Höllenwächter nicht. Da musste ich erst minutenlang mit dem Plasmagewehr reinfeuern.

Ich weiß, was Mum von meinem Vater hält. So in etwa das, was ich von Hauke halte, minus drei Milliarden.

»Du willst in den Schwarzwald?«, fragt sie.

»Wieso nicht?«

»Glaubst du, dein Vater macht dir die Tür auf?«

»Mum …«

»Nein, ich meine es ernst. Macht er dir die Tür auf?«

»Das ist ewig lang her.«

»Vor zehn Jahren. Vor genau zehn Jahren standen wir zusammen vor seiner Tür. Du warst fünf Jahre alt.«

»Ich geh dieses Mal allein.«

Meine Mutter zieht das Messer aus der Butter. Sie putzt es an einer Brotscheibe ab und schaut zu Hauke. Der hebelt sich mit einer leeren Bierflasche eine volle auf. Der Kronkorken fliegt wie eine Frisbeescheibe durch den Raum. Dann knallt das Ding gegen den Backofen.

Mum muss das Gleiche denken wie ich. Alles im Sommer ist für mich besser als Hauke.

»Und?«, frage ich.

»Wie kommst du hin?«

Ich schaue ins Handy und grinse, weil, ihre Frage ist schon eine halbe Zusage. »Mit dem Zug sind es dreieinhalb Stunden.«

Mum schaut auf mein Handy. »Fünf Stunden, ich kann dir kein ICE-Ticket kaufen.«

»Fünf Stunden. Kein Problem. Ich kann unterwegs für Mathe lernen.«

Meine Mutter schmunzelt und wird schnell wieder ernst. »Was, wenn dein Vater nicht da ist?«

»Du kannst ja vorher anrufen und …«

»Nein«, sagt sie.

»Okay. Ich kann vorher anrufen.«

Sie schüttelt den Kopf. »Dann redet der sich raus, lügt dir was vor. Ausreden findet dein Vater immer.«

»Ich fahre einfach hin, und wenn er nicht da ist, komm ich wieder hierher.«

»Und wenn er dich reinlässt, was machst du die ganze Zeit bei ihm?«

Ich ziehe die Schultern hoch, ich weiß es ja selbst nicht so richtig. Papa kenne ich nur von Fotos. Auf denen liege ich im gestreiften Strampler im Kinderwagen.

Doch selbst wenn ich nur ein paar Wochen auf seinem Sofa penne, ist es dort draußen immer noch besser als sechs Wochen hier drinnen. Der Schwarzwald ist groß, und da sind ja auch andere Lebewesen in meinem Alter. Hoffe ich.

Hauke glotzt auf sein Handy und lacht. Er hält es Mum hin. Sie findet es nicht witzig, also ist es kein Super-Süß-Katzen-Filmchen. Hauke leert seine Flasche und rülpst. Und irgendwie ist dann auch Mum endgültig klar, dass sie keine Wahl hat.

Sie umarmt mich und spricht leise in mein Ohr. »Ich hoffe, dein Vater enttäuscht dich nicht.«

Nicht mehr als du mich mit deinem Hauke. Das will ich sagen, lasse es aber doch lieber.

4

Bäume fliegen am Fenster vorbei, komplett blauer Himmel, direkter Blick ins All. Die Klimaanlage ist kaputt, und es riecht nach Leberwurst. Hauptsache keine Störung im Betriebsablauf.

Nach zehn Tunneln höre ich auf zu zählen. Mum meinte, es seien genau sechzehn. Sie hätte sie damals mit mir zählen müssen. Ich wollte das unbedingt, und Fünfjährige können wohl ziemlich nerven. Sechzehn Tunnel. Das hat sie sich echt gemerkt.

Der Zug fährt nah an einem Steinhang vorbei. Ein Metallnetz sichert den Felsen. Mein Kopf lehnt am heißen Fenster, und ich übe schon mal.

Hallo, Dad. Ich bin’s.

Nee, so nicht.

Paketpost!

Auch Quatsch, da reicht ein Blick durch den Spion, und ich bin enttarnt. Hat seine Haustür überhaupt einen Spion? Garantiert, sonst hätte er sie ja vor zehn Jahren aufgemacht. Wir haben damals im Haus nur etwas rumpeln gehört.

Vielleicht mache ich es so: Hier ist Juri! Ich geh auch wieder. Wollte dich nur was fragen.

Oder ich sag einfach gar nichts. Ich klingle. Er sieht mich und macht auf. Oder er lässt es eben bleiben. Vielleicht öffnet er aus purer Neugierde. Ist mein Vater neugierig? Damals war er es nicht.

 

Meine Fahrkarte will keiner sehen. Den Bahnmenschen ist es auch zu heiß im Abteil. Der Regionalexpress bremst.

Endstation.

Zehn Leute steigen aus, verschwinden in Autos, die auf sie warten. Ein schwarzer 3er BMW, ein silberner Škoda Octavia und ein Toyota irgendwas.

Aber was will ich mit einem Auto? Für mich stehen rund 400 PS bereit, den Fahrzeugtyp weiß ich nicht. Mit Bussen kenne ich mich nicht so gut aus.

Der Fahrer klemmt mit seinem Bauch vor dem Lenkrad fest. Er winkt mich durch, ohne von seinem Handy aufzuschauen. Im Bus sitzen außer mir vier Leute, alles Rentner, jeder mindestens zwei Reihen vom anderen entfernt. Als könnte keiner die Knoblauchpastillen der anderen aushalten.

Die Türen schließen sich, da rennt ein Mädchen auf den Bus zu. Sie ruft was, aber das hört keiner bei dem Motorenlärm. Ich springe auf und drücke den Türknopf, der Fahrer vorne brummt vor sich hin.

»Danke«, sagt sie schweratmend. Sie lässt sich auf den Sitz neben mir plumpsen. »Der Nächste kommt erst in drei Stunden.«

Ihr schwarzer Zopf schaut aus einem uralten Jägermeister-Basecap heraus. Sie trägt zerrissene Jeans, ein schwarzes Shirt und Turnschuhe, auf denen nur adid steht. Das as fehlt offenbar schon eine Weile. Ist irgendwie nicht klar, ob bei ihr alles so gewollt oder einfach nur kaputt ist. Sie ist aber sicher nicht viel jünger als ich. Und ihre Sommersprossen sind der Hammer!

Sie klopft auf den Schlafsack, der auf meinem Rucksack festgebunden ist. »Lass mich raten: Ferien auf dem Land?«

Wir grinsen uns beide an. So wie sie es sagt, klingt es wie: Willkommen im Club. Wir haben auch kein Geld für Sommerurlaub.

»Ich besuche meinen Vater.«

»Und wer ist das?«

Ich sage den Namen, und sie steckt sich einen Stöpsel ins Ohr.

»Kennst du ihn?«, frage ich.

Ihr Kopf wippt im Takt mit Rammstein, was selbst die Rentner hören müssen. »Hier kennt jeder jeden.«

»Wohnst du in der Nähe von meinem Vater?«

»Ziemlich«, sagt sie.

»Dann haben wir die gleiche Haltestelle.«

»Mhm … mich holt ein Freund ab.«

Ein Freund, okay. Sie will sich den zweiten Stöpsel reinstecken und schaut noch mal kurz zu mir. »Wie lang bleibst du?«

»Entweder bis heute oder die ganzen Ferien. Entscheidet mein Vater.«

Sie nickt allwissend, und ich überlege, ob sie einfach nicht zugehört hat.

Der Bus schlängelt sich durch Dutzende Kurven den Berg hoch. Links grasende Kühe, rechts ein Abhang, der im dunklen Wald endet. Zwischen den Bäumen glitzert ein steiniger Bach.

Ich muss mich auf die Straße vor uns konzentrieren, sonst wird mir schlecht. Fünf Motorradfahrer überholen uns, und dann sehe ich das Reh. Es streckt den Kopf zwischen den Bäumen durch. So nah an der Straße – es hat nicht einmal Angst vor dem Bus und dem Lärm.

»Schau mal!«

»Was denn?«, fragt das Mädchen neben mir und zieht sich einen Stöpsel aus dem Ohr.

»Da war ein Reh, also direkt neben der Straße!«

Sie steckt sich den Stöpsel wieder rein. »Du bist nicht so oft hier, oder?« War nicht wirklich eine Frage, sonst hätte sie ja mit dem Einstöpseln gewartet.

Am alten Rathaus hält unser Bus. Wir steigen beide aus. Ein Typ kommt auf uns zu, er ist mindestens fünf Jahre älter als ich. Er schaut mich an und runzelt die Stirn. Bevor er was fragen kann, umarmt sie ihn und bohrt ihre Zunge in seinen Mund.

Ein Freund … somit wäre das auch geklärt.

Ich stehe doof daneben, bis sie fertig sind.

Dann sage ich: »Juri.«

Er sagt nichts, hält mir die Hand zum Abklatschen hin und zieht eine Packung Zigaretten aus der Hose. Er klopft sie auf seine Faust, bis eine Kippe zur Hälfte rausschaut. »Willste?«

Ich schüttele den Kopf, das Mädchen nimmt sich die Zigarette.

Er zündet sie mit einem Sturmfeuerzeug an. »Hat der sich verfahren oder was?«

Das Mädchen inhaliert, wartet zwei Sekunden und antwortet beim Ausatmen: »Der besucht seinen Vater.«

Extrem nett, wie die über einen sprechen, vor allem wenn man direkt daneben steht.

Ihr Typ lässt die Schachtel wieder in der Hose verschwinden. »Wir sind jeden Abend am See. Kannst ja mal vorbeikommen.«

»Klar«, sag ich und denke: garantiert nicht. Das Gesabber von eben hat mir gereicht.

Er zwinkert mit einem Auge. »Wir sind immer so fünf, sechs Leute dort.«

Das klingt schon besser.

Wir laufen ein paar Meter nebeneinanderher. Alles ist menschenleer. Nicht mal Kinder, die draußen spielen oder so. Obwohl in jedem zweiten Garten ein Trampolin steht. Alles reglos. Als hätte der US-Präsident über Twitter den Atomkrieg verkündet.

Keine fahrenden Autos. Nichts. Wieso dieses Dorf einen Gehweg braucht, verstehe ich nicht. Hier geht doch gar keiner.

Bei der Amselgasse biege ich ab. »Bis dann!«

»Hoffe für dich, du kannst bleiben«, sagt das Busmädchen und wirft die Kippe auf den Boden.

Immerhin hat sie im Bus zugehört. Trotz Rammstein.

Aschenbecher (so nenne ich jetzt mal ihren Freund) sagt nichts dazu. Er hat sowieso andere Pläne. Er streichelt ihr durch die Haare. »Wollen wir beide ’ne Runde Auto fahren?«

Scheiß Angeber!

5

Das Grübeln in der Bahn hätte ich mir sparen können. Von wegen, wie komme ich bei meinem Vater rein. Seine Haustür steht offen. Das Tor vom Gartenzaun auch.

Etwas bewegt sich in meinem Bauch, und so richtig wohl fühle ich mich nicht. Ich denke an das Frühlingsfest und den Highflyer. Achtzig Meter hoch habe ich da oben mit Diesel-Nora geschwebt, wir waren festgeschnallt wie Kampfpiloten. Dann sind wir in die Tiefe gesaust.

Das Gefühl jetzt im Bauch ist so wie kurz davor, vor dem Fall. So ein Kribbeln, bei dem man nicht weiß, ob es schön ist oder nervt. Es gibt nur einen großen Unterschied zwischen Papas offener Tür und dem Frühlingsfest: Bei dem Highflyer hatte ich keine Wahl. Wir konnten ja nicht ewig da oben in der Luft bleiben. Andere hatten ebenfalls Tickets gekauft und warteten bereits unten, und irgendwann wollten die den Turm ja auch wieder abbauen und zum nächsten Fest schleppen. Also ist der Highflyer wieder runtergesaust.