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Charles Maurice Fleischhauer, Jahrgang 1987, ist ehemaliger Hochgradfreimaurer und Forscher im Bereich der Sternendeutung. In diesem Buch ergründet er den gnostischen Kern der freimaurerischen Geheimlehre und deckt deren Verbindung zur Astrotheologie auf. Seine Forschungen fördern mystische Sachverhalte zutage, die Eingeweihte wie auch Suchende verblüffen werden. Detailliert geht er auf die Hochgradrituale des York-Ritus ein und erklärt anhand relevanter Bibelstellen deren okkulte Bedeutung.
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Seitenzahl: 161
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DIE GNOSTISCHEGEHEIMLEHREDER FREIMAURER
Hochgrade und Astrotheologie
Charles Maurice Fleischhauer
»Religion ist die erlebnishafte Begegnung mit dem Heiligen und antwortendes Handeln des vom Heiligen bestimmten Menschen.«
Gustav Mensching
Vorwort
Danksagung
Prolog – Mein Weg in die Loge
Warum Lehrlinge alles wissen und Meister noch lernen
Die Schöpfung der Welt
Der Salomonische Tempel
Die beiden Säulen Jachin und Boas
Der Meistergrad
Die Hochgrade
Der Markmeistergrad
Der Grad des Sehr vortrefflichen Meisters
Hirams Geheimnis
Das letzte Abendmahl
Die Himmelspforte
Das verlorene Meisterwort
Das Ende der Freimaurerei
Der Knight Templar-Grad
Der Ritter Kadosch-Grad und Jacques de Molay
Die Präzession und das Weltenjahr
Der Spiegel der Zeit
Das Geheimnis von Avignon
Das astrale Kreuz
Erhöhungen der Planeten und die Geschichte der Religion
Die humanitäre Freimaurerei und der Materialismus
Epilog – Mein Weg aus der Loge
Grafik- und Illustrationsverzeichnis
Impressum
Die Arbeit an einem illustrierten Werk über die Verbindung zwischen freimaurerischen Hochgraden, Gnostizismus und Astrotheologie mutete immerhin ein wenig exotisch an, und so war es mir durchaus eine Freude, der Bitte des Autors, ihm bei der Umsetzung seines literarischen Herzensprojekts mit Rat und Tat zur Seite zu stehen, nachzukommen. Nach Wolfgang Starks Kompilation über das sagenreiche Kloster Loccum und den zu Papier gebrachten Gesprächen mit seiner brillanten Person, ist diese Publikation nun die dritte in Folge, welche die geistreiche Arbeit eines freimaurerischen Denkers aus der biblisch-mystischen Schule der interessierten Leserschaft näherbringt und die ich realisieren durfte, auf dass sie die Wellen der Zeit überdauern und künftige Generationen inspirieren möge. Gewiss, letzten Endes wurde ich keinesfalls enttäuscht, und ich glaube, auch Sie dürfen sich auf ein paar spannende Stunden auf geistigen Pfaden freuen, die gehaltvolle Gedanken furchten.
Die Sprache ist und bleibt ein Gewand des Denkens, und die Struktur ebendieses steht in Resonanz mit den niemals vollends auslotbaren Räumen, in die ein Autor kraft eines ihm anvertrauten Genius, seines Dämoniums oder der subtilen Schwingungen des wesenseigenen Suchens vorzudringen vermag. Er taucht ein und kehrt wieder …
Was er dabei zu bergen imstande ist, muss den trügerischen Schleier zwischen den Welten durchdringen, um sodann auf Notizzettel, Tagebuchseiten, in digitale Dokumente und endlich auf Papier, oder aber in die ewigwährende Verschwiegenheit gebannt zu werden. Auch der Verfasser dieses Buches ist eingetaucht, nicht zwangsläufig in die Gefilde der Anderwelt, doch aber in jene exklusiven einer enigmatischen Bruderschaft, deren tiefste Arkana ob der Unvermittelbarkeit des Unverwortbaren geheim bleiben werden – in aeternum. Daran werden jene unzähligen Bände aus den Skriptorien profaner Apologeten nichts ändern, und umso höher ist die Ihnen vorliegende Schrift zu schätzen, stammt sie doch aus der Feder eines Mannes, der tatsächlich weiß, wovon er schreibt und sich entschlossen hat, gewisse Erkenntnisse eben nicht einer ewigwährenden Verschwiegenheit überantwortet zu lassen.
Dank seines analytisch-kombinatorischen Verstandes gelingt es ihm, Verbindungen historisch-ritueller sowie astral-religiöser Natur aufzuzeigen, die fraglos der Beachtung wert sind und darüber hinaus auf eine Kosmische Matrix deuten, deren mögliche Existenz ein bereicherndes Element für das Gedankengebäude des Bruder Freimaurers wie auch der logenunabhängigen Leserschaft darzustellen vermag. Ich denke, es ist nicht übertrieben, zu behaupten, dass Charles M. Fleischhauer als einer von wenigen in jüngster Zeit die Essenz der Königlichen Kunst auf hieb- und stichfeste Weise als eine Spielart der Gnosis erkannt und entsprechend beschrieben hat. Dabei ist der Gute keineswegs um ein paar spitze Bemerkungen verlegen. Sie seien ihm gegönnt, denn er möchte aufzeigen, möchte das Banner der Mysterien säubern, nicht verbrennen – sein Werk ist ein schöpferisches.
Er setzt das masonische Ritualgeschehen mit jenen den oberflächlichen Blicken verborgenen tieferen Bedeutungsinahlten der Bibel in einen sinnvollen Kontext und schafft es so, dessen Symbolik auf unterhaltsame und vor allem nachvollziehbare Weise zu entschlüsseln. Fraglos fördert seine Abhandlung selbst für altgediente Eingeweihte spannende Überraschungen beziehungsweise Denkanstöße zutage, und dies nicht zuletzt, da er aufgrund seines Steckenpferds, der Sternendeutung, mit einem ganz besonderen Blick auf die reiche freimaurerische Ritualistik begabt ist, welche sich im Lichte einer undogmatischen forschenden Betrachtung als eine nicht bloß terrestrische offenbaren wird – sic itur ad astra.
Robert Grains, Juli 2022
Zuallererst danke ich Gott, dem Vater allen Seins, dann meiner Frau und meinem Sohn, die in liebevollem Verständnis für mein Vorhaben, dieses Buch zu schreiben, viel zu oft auf mich verzichtet haben. An dritter Stelle danke ich Wolfgang Stark, der mich durch seine originellen Gedanken dazu inspiriert hat, mich dem Volk der schreibenden Forscher anzuschließen.
Viertens möchte ich Rafael Gil Brand erwähnen, dessen astrologisches Standardwerk »Himmlische Matrix: Die Bedeutung der Würden für die Astrologie« sowie die Fachdiskussionen, welche wir regelmäßig führen, für mich Quellen des Wissens darstellen, aus denen ich dankbar schöpfe. An fünfter Stelle danke ich meinen Eltern, in deren Ahnenreihe ich stehe und denen ich meine geistigen Fundamente zu verdanken habe. Meine Mutter legte mir die Leidenschaft für die Astrologie in die Wiege und mein Vater das tiefgehende Interesse an Geschichte.
Sechstens sei Frank Stoner Engelmayer erwähnt, dem ich meine öffentliche Bekanntheit verdanke, und an siebter Stelle mein Lektor, Robert Grains, der mir bei der Realisierung dieses Buches dankenswerterweise mit viel Geduld und Wissen zur Seite stand. An achter Stelle danke ich Lea Thater für das Erstellen der schönen Zeichnungen nach meinen Vorgaben und Ideen. Diese Aufgabe zu erfüllen war nicht einfach und erforderte ein hohes Maß an Einfühlung in die Materie.
Zu guter Letzt danke ich all den schlechten Lehrern, sämtlichen überheblichen und langweiligen Professoren an der Universität und allen unerträglichen Arbeitskollegen, denen ich in verschiedenen Berufsfeldern begegnen durfte. Ihr wart der Stachel in meinem Fleische, der mich stets dazu gezwungen hat, meinen eigenen Weg zu gehen.
Der Weg des Freimaurers beginnt mit einer Suche. Oft ist es ein vages, nicht greifbares Gefühl, welches diese Suche auslöst, eine innere Gewissheit, dass es noch mehr geben muss als die Realität, wie sie uns von den Sinnen vorgegaukelt wird. Es ist ein intuitives Streben nach Selbsterkenntnis und letzten Endes – was den meisten Brüdern nicht bewusst ist – nach Gott. In einem Freimaurerritual heißt es: »Er war von Finsternis umgeben und spürte ein Verlangen nach dem Licht.«
Was es mit der Finsternis und dem Licht tatsächlich auf sich hat, wird sich aus dem Inhalt dieser Schrift ergeben. Doch zuerst soll es um mich und meinen persönlichen Weg in die Loge gehen. In einem gewissen Sinne ist dieses Buch also auch ein Stück Autobiographie. Lassen Sie sich, liebe Leserin, lieber Leser, mitnehmen auf eine Reise in die geheimnisvollste Episode meines Lebens. Gemeinsam werden wir die Rituale und Mysterien der Freimaurerei, derer ich teilhaftig werden durfte, Revue passieren lassen. Wann also begann meine Suche? Wann verspürte ich »ein Verlangen nach dem Licht«?
Seit alters her ist es üblich, dass die Obrigkeit von ihren Handlangern und Schergen Wissen verbieten lässt, welches ihre Macht gefährden könnte. Das Volk soll dumm gehalten werden und auf keinen Fall die vorgegebenen Denkschablonen hinterfragen. Zu diesem Zweck werden immer wieder Bücher auf den Index gesetzt, zensiert und schlichtweg aus dem Verkehr gezogen. Das war im Mittelalter so und ist noch heute der Fall. Ich muss ungefähr vierzehn Jahre alt gewesen sein, da hörte ich zum ersten Mal von solch einem verbotenen Buch. Damals durchlebte ich eine Phase, in der ich mich – wie viele Deutsche irgendwann in ihrem Leben – intensiv mit der Geschichte des Nationalsozialismus auseinandersetzte. Wie konnte es sein, dass sich ein ganzes Volk im Taumel nationaler Begeisterung in einen Abgrund der Zerstörung stürzte? Wie konnte es zum Zweiten Weltkrieg kommen? Was hatte es mit der sogenannten Judenfrage und dem Antisemitismus auf sich? Das waren Fragen, die mein jugendliches Ich nicht mehr losließen. Die Antworten, die mir in der Schule und in den Medien präsentiert wurden, waren denkbar plump. Sie lassen sich in einer schlichten Erzählung ungefähr folgendermaßen zusammenfassen:
»Ein von Grund auf böser Mann namens Adolf Hitler hat sich nach dem Ersten Weltkrieg mit Hilfe von Lug und Trug zum Diktator aufgeschwungen. Das von ihm verführte deutsche Volk hat sich dann willfährig von ihm instrumentalisieren lassen, um den Zweiten Weltkrieg vom Zaun zu brechen und das schlimmste Verbrechen der Menschheitsgeschichte zu begehen. Ende der Geschichte.«
Dass ein junger forschender Geist mit solch einer simplen und eindimensionalen Erklärung nicht zufriedenzustellen war, ist nachvollziehbar. Leider gab es in meinem damaligen Umfeld keine anderen Antworten. Zumindest bis mir ein Schulkamerad beiläufig erzählte, dass Adolf Hitler selbst ein Buch mit dem Titel Mein Kampf verfasst habe und dieses in der Bundesrepublik verboten sei. Der Mann, der die mutmaßliche historische Schlüsselfigur zu all meinen Fragen war, hatte also ein Buch geschrieben, und ich sollte es nicht lesen dürfen, weil es allerhand verbotene und gefährliche Dinge enthielt? Das konnte ich als rebellischer Vierzehnjähriger nicht akzeptieren. Meine Neugierde war zu groß, ich musste dieses geächtete Buch lesen – koste es, was es wolle!
Über die verschlungenen Wege des Internets kam ich schließlich an ein gedrucktes Exemplar aus den USA. Als ich es in den Händen hielt, war die Freude groß. Noch größer war die Enttäuschung, als ich es las. Der größte Teil des Machwerks beschäftigte sich mit den innen- und außenpolitischen Verwicklungen des Deutschen Reiches und der k. und k. Monarchie vor und nach dem Ersten Weltkrieg, garniert mit einer guten Portion Eugenik, Antisemitismus und autobiographischen Inszenierungen. Ergo, ziemlich schwieriger und trockener Stoff für einen Jugendlichen, dem das nötige Hintergrundwissen fehlte, um all die Themen richtig einzuordnen. Nur in einem Punkt war das Buch aufschlussreich und lieferte mir einige der heiß ersehnten Antworten, nach denen ich suchte, ermöglichte es doch Einblicke in die Denkweise und Motivation Hitlers – in seine Weltanschauung, wie er es selbst nannte.
Er glaubte an eine jüdisch-bolschewistisch-freimaurerische Weltverschwörung. Der Begriff jüdisch war selbsterklärend, und bolschewistisch bezog sich auf die kommunistische Bewegung Russlands, aber was um alles in der Welt sollte freimaurerisch bedeuten? Ich hatte diesen Begriff noch nie zuvor gehört und keinen blassen Schimmer, wer oder was die Freimaurer sein sollten.
Meine erste Anlaufstelle, um Licht in diese Angelegenheit zu bringen, war mein Vater, der eigentlich immer gut informiert war, wenn es um Politik oder Geschichte ging. Ich fragte ihn, ob er schonmal von sogenannten Freimaurern gehört habe. Die Antwort machte alles nur noch schlimmer. Er wisse nicht viel über sie, erklärte er mir, nur dass es sich bei ihnen um einen weltweiten mafiaähnlichen Geheimbund von Geschäftsleuten handele, die sich anhand von geheimnisvollen Zeichen erkennen und sich gegenseitig helfen. Ob sie harmlos oder gefährlich seien, könne er jedoch nicht beurteilen. Das klang nach wirklich heißem Stoff. Mein junger Forschergeist hatte ein neues Betätigungsfeld gefunden: Die Freimaurerei!
Schnell besorgte ich mir allerhand Bücher zum Thema und war, nachdem ich sie verschlungen hatte, genauso klug wie zuvor. Die ganze Thematik war sehr verwirrend. Einerseits gab es Bücher, die von Nicht-Freimaurern geschrieben waren und andererseits solche Schriften, die aus der Feder von tatsächlichen Mitgliedern der Bruderschaft stammten. In den Werken der Ersteren kamen die Brüder in der Regel nicht gut weg; ähnlich wie Hitler es in Mein Kampf tat, lastete man ihnen Verschwörungen und allerhand dunkle Machenschaften an. Ganz anders die Bücher aus den masonischen Federn: Dort war von schöngeistigen Themen die Rede, von der Veredlung des Menschen, von der Arbeit an sich selbst, Tugenden und nicht zu Letzt von esoterischen Inhalten. Je tiefer ich in die Materie einstieg, desto weniger wusste ich, was ich von den Freimaurern halten sollte. Ohne es zu ahnen, hatte ich längst den Kaninchenbau der Lichtsuche betreten …
Seit meinen jugendlichen Freimaurerforschungen waren gute zehn Jahre vergangen und das Thema in Vergessenheit geraten. Mittlerweile war ich Mitte zwanzig und steckte an der Universität in einem frustrierenden Studium der Philosophie fest, welches mit dem, was der namensgebende Begriff eigentlich bedeutet, nämlich Liebe zur Weisheit, ungefähr so viel zu tun hatte wie theoretische Sexualwissenschaft mit Tantra. Die überheblichen Professoren hatten mir mit dem trocknen Knüppel der analytischen Sprachphilosophie jede Begeisterung für das Fach nachhaltig aus dem Leib geprügelt. So kam es, dass ich mir in meiner Freizeit andere Interessengebiete suchte und für die Uni nur das allernötigste tat. Das Thema Astrologie hatte es mir angetan. Immer mittwochs besuchte ich bei einem Hamburger Astrologen einen Kurs über Sternendeutung. Er erlaubte mir auch, in seiner umfangreichen esoterischen Privatbibliothek zu stöbern. Wie der Zufall es wollte, entdeckte ich dort ein Buch über die Geschichte der Freimaurerei. Schlagartig war alles wieder da: die Begeisterung, die Neugierde, das geheimnisvolle Gefühl, etwas Großem auf der Spur zu sein!
Das Thema ließ mich von da an nicht mehr los, und daran hat sich bis heute nichts geändert. Ich erinnerte mich an all das, was ich als Jugendlicher über die Freimaurer gelesen hatte, an die Verschwörungstheorien und auch daran, wie sich die Brüder selbst darstellten: als einen menschenfreundlichen Bund mit edlen Zielen. Was stimmte denn nun? Ich wollte endlich die Wahrheit erfahren. Um dieses Ziel zu erreichen, gab es nur einen Weg: Kontakt zu echten Brüdern musste hergestellt werden! Aber wie sollte ich das anstellen? Wie nimmt man Kontakt zu einem Geheimbund auf?
Zu meiner großen Überraschung erwies sich das ganze Unterfangen als wesentlich einfacher als gedacht. Im Internet stieß ich auf die Website einer Freimaurerloge, die angab, dass sich der Kreis ihrer Mitglieder aus allen Gesellschaftsschichten und Altersklassen zusammensetze. Dies weckte in mir die Hoffnung, dass man mir das Gespräch nicht aufgrund meines jungen Alters von vornherein verweigern würde. In meiner Vorstellung waren Freimaurer nämlich alte, ehrwürdige Herren, die nicht unbedingt darauf erpicht waren, gegenüber einem neugierigen Studenten aus dem Nähkästchen zu plaudern. Ich schrieb der Loge eine E-Mail, in der ich mein Interesse bekundete, und keine Stunde später erhielt ich eine Antwort, in der es hieß, dass am Folgetag ein Gästeabend stattfinden würde und ich herzlich dazu eingeladen sei. Das ging mir fast zu schnell und ich war hin- und hergerissen, ob ich tatsächlich hingehen sollte. Um ehrlich zu sein, hatte ich unheimlich Muffensausen, wie man so sagt, und ohnehin einen gehörigen Respekt vor dieser Geheimgesellschaft. Wie ich im Nachhinein erfahren sollte: Eine gute Einstellung für einen Suchenden …
Neugierde hatte über Ehrfurcht gesiegt und ich entschied mich, der Einladung zu folgen. Der Gästeabend fand im Logenhaus in der Hamburger Moorweidenstraße statt und sollte um 19:00 Uhr beginnen. Die Moorweide, wie das Gebäude von den hanseatischen Brüdern liebevoll genannt wird, ist ein imposanter, respekteinflößender Bau, dessen bloßer Anblick ein Verständnis für die hohe gesellschaftliche Stellung vermittelt, welche die Bruderschaft einst innehatte. Ich war schon um 18:30 Uhr vor Ort und ging die verbleibende halbe Stunde nervös die Straße auf und ab, bis endlich die volle Stunde schlug und ich die Stufen zum Eingang erklomm. Im Erdgeschoss befand sich ein Restaurant, welches fast ausschließlich von den Logenbrüdern genutzt wurde. In der Einladung hieß es, ich solle am Tresen einfach den Namen der Loge nennen, die mich eingeladen hatte. Bis ich mich traute, die Bedienung zu rufen und ihr mein Anliegen zu schildern, vergingen einige quälend lange Minuten, in denen mich zahlreiche Blicke von wichtig dreinschauenden Männern in schwarzen Anzügen musterten. Schließlich führte mich die Kellnerin an einen Tisch, an dem eine Handvoll Brüder der Loge speisten und mich höflich aber reserviert begrüßten. Da saß ich nun, wie bestellt und nicht abgeholt, inmitten von Geheimbündlern und sog wie ein Schwamm die Atmosphäre und ein paar Gesprächsfetzen auf. Nachdem immer mehr Brüder und auch einige Gäste erschienen waren, verlegte sich die Gesellschaft in einen der Clubräume neben dem Restaurant.
Das offizielle Rahmenprogramm bildete eine Diskussionsrunde über ein philosophisches Thema. Was mir sofort positiv auffiel, war der warmherzige und respektvolle Umgang der Brüder untereinander. Jeder durfte ausreden, keiner fiel dem anderen ins Wort und jede Meinung wurde gelten gelassen. Solch einen wertschätzenden und toleranten Umgang hatte ich in einer Männergruppe noch nie zuvor erlebt. Es schien kein Konkurrenzgehabe zu herrschen, zugleich das Verhalten der Anwesenden weder gekünstelt noch affektiert wirkte. Es war authentisch und kam aus dem Herzen, das konnte ich deutlich spüren. Bis heute ist mir keine andere Organisation bekannt geworden, deren Mitglieder so brüderlich miteinander umgehen. In diesem Aspekt stellt die Freimaurerei tatsächlich etwas Schöngeistiges dar, von dem unsere kalte Gesellschaft viel lernen könnte, würde es nicht nur hinter geschlossenen Logentüren gelebt werden. Auch ich meldete mich einmal zu Wort und gab mir große Mühe, etwas Intelligentes zum Thema beizutragen. Trotz der sicherlich bescheidenen Qualität meines Redebeitrages schien dieser gut angekommen zu sein. Nach Beendigung des offiziellen Teils des Abends bat mich nämlich einer der Brüder sehr freundlich darum, mit ihm ein »Kaltgetränk« im Restaurant einzunehmen.
Was er damit meinte, war, gemeinsam ein Bier zu trinken, und ich weiß noch genau, wie ich mich über die verschrobene Wortwahl wunderte. Er war ein besonderer Mann, das fühlte ich sofort. Die anderen anwesenden Brüder schienen ihn ein wenig zu hofieren. Sein exotisch klingender Vorname stammte aus der jüdischen Tradition seiner Familie, wie er mir erklärte. Er war Anfang fünfzig, Kunsthistoriker mit Doktortitel (auf den er aber keinen großen Wert zu legen schien), Maler und arbeitete als Bildredakteur bei einem namhaften Printmedium. Die Aura, die ihn umgab, hatte etwas Intellektuelles und Mystisches. Jahre später erfuhr ich, dass der Doktortitel selbst ausgestellt und auch die jüdische Herkunft fraglich war. Zumindest in diesen Bereichen war er also ein Hochstapler. Böse bin ich ihm trotz der Unwahrheiten nie gewesen, viel zu sehr erinnerte er mich an die sympathische Figur des Schelms, die in unzähligen Varianten unsere Prosa bevölkert. Solche Schelme und Hochstapler zeigen uns mit ihren Geschichten eigentlich immer nur einen Spiegel, in dem wir unsere eigenen Unzulänglichkeiten erkennen können. Man glaubt ihnen das, was man glauben will. Trotz allem ist er eine Persönlichkeit mit Tiefgang und ein unheimlich interessanter Gesprächspartner. Er sorgte dafür, dass ich noch zu mehreren Gästeabenden einer anderen Loge eingeladen wurde und führte mich in den folgenden Monaten mehr und mehr in die Welt der Freimaurerei ein.