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Mit Raoul Schrott entdecken, wie modern Euripides ist Liebe und Leidenschaft, Mord und Heimtücke, Zweifel und Verantwortung – Euripides' Tragödien sind Fundament der Weltliteratur und von verblüffender Aktualität: ›Alkestis‹ ist das erste feministische Drama der Weltgeschichte, seine ›Bakchen‹ analysieren das Sektenwesen und seine ›Orestie‹ – die hier erstmals seit der Antike wieder präsentiert wird – ist nach wie vor eines der besten Stücke über Terrorismus und Populismus. Raoul Schrott macht sie mit großer sprachlicher Virtuosität zu Dramen von heute: mitreißend, modern, monumental.
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Seitenzahl: 352
Euripides' Stücke zählen weltweit zum Grundrepertoire des Theaters. Er gilt als erster Psychologe, der die Ambivalenzen menschlichen Verhaltens meisterhaft darzustellen versteht, als brillanter Kritiker jeglicher Form von Macht, als antiker Ikonoklast und Skeptiker naiver Gottgläubigkeit. Deshalb sind seine Dramen auch von verblüffend zeitloser Aktualität, wurden sie immer wieder bearbeitet, kommentiert und aufgeführt.
›Alkestis‹ kann als erste feministische Tragödie bezeichnet werden. Sein berühmtestes Stück – ›Die Bakchen‹ – analysiert das Sektenwesen auf ebenso klare wie erschütternde Weise. ›Orestes‹ war einst das meistgespielte Drama im antiken Griechenland; zusammen mit ›Elektra‹ wird es hier zudem erstmals als Euripides‘ eigene ›Orestie‹ präsentiert, eines der treffendsten Schauspiele, das je über Populismus und Terrorismus geschrieben wurde.
Raoul Schrott macht die jahrtausendealten Dramen mit großer Ideentreue und sprachlicher Virtuosität wieder zu heutigen: mitreißend, modern, monumental.
SCHAUSPIELER
Apollon
Thanatos
Chor mit Sprechern A, B und C
Dienerin
Alkestis
Admetus
ihr Sohn Eumelos und ihre Tochter Periméle
Pheres
Herakles
Diener
APOLLONtritt auf mit bogen und köcher
APOLLON
Ah – haus des Admetus, diese bühne, die welt bedeutet, alpha und omega –
hier fristete ich meine tage, liess mich dazu herab als niederster aller freien
am tisch weit unter dem salz zu sitzen, um mit der milch und dem brot
eines gemeinen leibeigenen vorliebzunehmen – ich, Apollon, ein gott!
Niemals hätt ich herabkommen dürfen und dann noch so lang bleiben –
schuld daran ist Zeus. Er brachte meinen sohn ums leben – Asklepios
diesen wunderheiler, der selbst sterbende dem tod entreissen konnte
indem er herzen verpflanzte – weshalb Zeus bald ausholte und ihm
einen blitz in die brust fahren liess. Im zorn darüber rächte ich mich
an seinen handlangern, den Kyklopen, die ihm die blitze schmieden
und tötete sie – was mich der ach so erhabene Zeus büssen liess.
Unter seinem zwang musste ich mich bei diesen menschen hier
für einen hungerlohn verdingen: er verpflanzte nunmehr mich.
in dieses land, um für den hausherrn die rinderherden zu hüten –
so hab ich Admetus’ hof samt allem hab und gut bestens beschützt.
Er ist kein übler mensch; was die einhaltung der heiligen riten betrifft
ist er ein pedant. So etwas gefällt uns göttern – genauso wie dass er sich
fremden gegenüber mehr als korrekt verhält: er behandelte mich besser
als er es hätte müssen. Den blutzoll, den Admetus dem schicksal schuldet
versuchte ich deshalb herabzusetzen – sein leben hab ich bewahrt bis jetzt.
Dank des verstandes, den man mir zugutehält, brachte ich Zeus’ tochter
Tyche dazu, ihre tückische art für einmal nicht allzu offen zu zeigen –
sie ist ja die gesetzgeberin der welt, die über das los eines jeden
zu entscheiden hat. Diese sachwalterin des schicksals behauptete
dann zwar, ich hätte sie so geblendet, dass sie nicht mehr wusste
ob es hier nun eine komödie oder ein trauerspiel aufzuführen gäbe –
dabei schlug ich ihr bloss für beide seiten profitable konditionen vor.
Ich überredete sie, Admetus’ anstehenden tod noch einmal zu stunden
wenn er dafür einen anderen lebenden durch die falltür den mächten
dort unten in der finsternis zuführt – denn manchmal gibt das schicksal
in seinem blinden kalkulieren sich auch mit einem strohmann zufrieden.
An seiner krankheit zum tode laborierend, machte dieser mensch darauf
die runde unter all jenen, die etwas von ihm hielten, und prüfte ihr herz –
doch ob sein vater oder seine gebrechliche mutter, keiner war gewillt
ihm sein blut zu geben und zu Hades hinab ins ewige dunkel zu gehen
um an Admetus’ stelle zu sterben, niemand – ausser Alkestis, seine frau.
Ihr hilft er jetzt aus dem haus und versucht ihr dabei eine stütze zu sein –
noch aber klammert sie sich fest an dieser welt. Zu schwach geworden
die beine sie nicht mehr tragend, hält er sie mit einem arm um die hüfte
während sie ihre seele langsam herauswürgt: denn nun ist der morgen da
den Tyche für sie festgesetzt hat – der tag, an dem sie aus dem leben tritt.
Ich muss ebenfalls dieses haus lassen, an das ich mich inzwischen gewöhnte –
tod ist der makel an den menschen: ich will davon nicht beschmutzt werden.
Aber da ist er schon – ich seh ihn auftreten dahinten, diesen herrn der toten
pünktlich auf die minute, als hätte er bloss darauf gelauert, sie hinabzuführen
in die häuser der erde, als könnte ers nicht abwarten, bis der vorhang fällt.
THANATOStritt auf
THANATOS
Oh – Apollon? Was machst du beim palast?? Der gott des lichts
die stimme der vernunft – du leibhaftige fackel des fortschritts!
Weshalb schleichst du herum? Wem stellst du einen hinterhalt?
Wes gesetz brichst du wieder, welche abmachung unterläufst du
welche natürliche grenze überschreitest du, um an dich zu reissen
was deines nicht ist? Willst du mich da unten denn schon wieder
um die angestammten rechte bringen? Dass deine arglistigkeiten
Admetus’ tod verhindern und das schicksal übervorteilen konnten
reicht dir wohl noch nicht – jetzt stehst du hier auch noch wache
mit pfeilen bewaffnet, um dich vor Alkestis zu stellen? Und das
obwohl sie ihr leben verpfändet hat? Als preis für das ihres gatten?
APOLLON
Immer mit der ruhe. Mir geht es um gerechtigkeit –
es gibt gute gründe, um mit dir in aller offenheit zu verhandeln.
THANATOS
Wenn es dir nun bloss um gerechtigkeit geht –
aus welchem grund zeigst du mir dann ganz offen deine waffen?
APOLLON
Den bogen trag ich seit eh und je – wie du wohl weisst.
THANATOS
Genauso wie ich wohl weiss, dass du seit jahr und tag
diesem haus versicherst, dass die naturgesetze hier nichts gelten.
APOLLON
Ich will es nur einem mann, den ich mag, vergelten
dass er mich hier gut aufnahm. Und weil ich durch Asklepios weiss
wie es ist, wenn sich jemand aufopfert. Ich teile Admetus’ schmerz.
THANATOS
Deshalb willst du mir nun das zweite opfer nehmen?
APOLLON
Habe ich dir etwa das erste genommen? Mit gewalt??
THANATOS
Warum ist Admetus dann, diese trauergestalt
noch immer nicht unter erde – wo er längst hingehört?
APOLLON
Weil er dir die frau zum tausch gab
die du dir nun holen willst.
THANATOS
Eben dieses handels wegen bin ich da:
ich hole mir was mir zusteht und bringe sie in die stadt der toten.
APOLLON
Nimm sie und geh. Ich kann dich wohl nicht überreden –
THANATOS
Um was zu tun? Den zu töten, den ich töten muss??
Aber sicher – das ist ja das geschäft, mit dem ich mein brot verdiene.
APOLLON
Nein. Ich meine, den todestag jener hinauszuschieben
die ohnehin viel zu schnell die brotfladen der toten essen müssen.
THANATOS
Ich habe schon verstanden, was du meinst –
ich seh genau, worauf du abzielst.
APOLLON
Heisst das, du siehst vielleicht irgendeine möglichkeit
wie Alkestis in den genuss eines privilegierten alters kommen kann?
THANATOS
Nein. Die sehe ich nicht. Schliesslich will auch ich
nach möglichkeit in den genuss meiner alten privilegien kommen.
APOLLON
Aber dir kann es doch egal sein, ob sie alt oder jung ist
wenn sie stirbt – du holst dir doch von ihr nicht mehr als eine seele.
THANATOS
Nicht nur. Je jünger sie ist, desto mehr hab ich davon –
umso besser steh ich da. Ich bin dann grösser. Gewaltiger und höher.
APOLLON
Ich versichere dir – erhöht sich ihre lebenserwartung
wird man bei Alkestis’ mausoleum für reiche grabbeigaben sorgen:
ein bonus, von dem du nur profitieren kannst.
THANATOS
Du redest wie ein politiker
der einer volksversammlung einen gesetzeszusatz mundig macht
von dem dann einzig und allein die reichen profitieren können.
APOLLON
Hört, hört! Ich wusste zwar, dass der tod sich gerne
als populist sieht – nicht aber, dass er auch ein richtiger sophist ist.
THANATOS
Und du ein zyniker. Wer immer es sich leisten kann
der sorge gegen den tod vor. O goldenes lebensalter – zu verkaufen!
APOLLON
Du willst mir also nicht diesen winzigen gefallen tun?
THANATOS
Ganz sicher nicht. Du weisst ja – so bin ich nun mal.
APOLLON
Ja – verhasst bei den menschen und verachtet von uns.
THANATOS lacht
Ich bin keiner von euch – du einfaltspinsel.
Mich hat noch niemand einen gott geschimpft – meine macht
ist von ganz anderer art.
APOLLON
Es gibt noch andere mächte.
THANATOS
Hört, hört! Damit meinst du wohl die macht
der illusion, der die menschen gern erliegen – und ihr götter
ihr seid wohl die grösste.
APOLLON
Selbst du wirst noch deinen meister finden – hier
und heute – warte nur ab …
THANATOS
Es ist das prinzip, um das es hier und heute geht.
APOLLON
Gleich was für ein prinzipienreiter du auch bist –
du wirst noch klein beigeben. Da ist bereits einer unterwegs
den man hinauf in die winterharten felder des nordens schickte
um sich ein rossgespann zu holen – der hier aber anderes einfährt.
Einen, den dieses haus auf seiner durchreise – ganz im unterschied
zu dir – willkommen heissen wird. Er wird dir die frau Admetus’
abspenstig machen; und du wirst nichts dagegen tun können
nur leeres stroh dreschen und keinen dank ernten – bloss hass.
geht ab
THANATOS
Red soviel du willst – deine orakelsprüche sind so leer wie der wind:
deine saat wird nicht aufgehen. Denn die frau wird hinab in das haus
des Hades gehen – und ich werd meines priesterlichen amtes walten
um mit der klinge den ritus zu beginnen und ihr opfer zu besiegeln.
Ich schneide ihr die locken ab und übergebe sie dem heiligen feuer
um sie dann kahlköpfig den mächten unter der erde vorzuführen.
geht ab ins haus
der CHORmit seinen drei sprechern A, B und C tritt aufum die trauerklagen anzustimmen
A
Weshalb herrscht in Admetus’ haus nur mehr stille?
Ist das die rücksichtsvolle ruhe an einem krankenlager?
Haben wir hier jetzt um Alkestis zu trauern – oder nicht?
B
Warum kommt keiner heraus, um uns mitzuteilen
ob wir die klagen anstimmen sollen – wie es brauch ist?
Müssen wir nun den tod der herrin des hauses beweinen –
C
Oder lebt sie noch und sieht das licht – unsere Alkestis
Pelias’ tochter, von der ich wie jeder andere hier weiss
dass kein mann je eine bessere frau zur gattin erhielt.
CHOR
Hört man etwa stöhnen und seufzen
das dumpfe pochen geballter fäuste
die sich auf brust und kopf schlagen
das durch das haus gellende schrillen
von zungen, die in klage ausbrechen
weinen – oder auch nur einen schrei
der zeigt, dass alles endlich vorbei ist?
B
Nicht einmal eine dienerin schicken sie uns heraus.
CHOR
Oh gott Apollon, du heiler, erscheine
inmitten der wogen des schicksals
und bewahre uns vor dem untergang:
lass den sturmwind sich wieder legen
stille die auf unser land brechende see!
A
Es wäre hier gewiss nicht so ruhig, wenn sie wirklich tot wär.
C
Sie muss aber jetzt gestorben sein.
B
Ihre leiche wurde sicher noch nicht aus dem haus getragen.
A
Wie kommst du drauf? Ich zumindest wär mir nicht so sicher.
B
Wie hätte Admetus denn seine gattin zu grabe tragen sollen?
Ganz allein? Ohne unser trauergeleit??
CHOR
Keine haarlocke hängt überm tor
die strähne, die man sich abschert
um dem toten trauer zu bezeigen –
kein becken mit klarem wasser
frischem wasser aus der quelle
wurde uns hingestellt wie sonst
vor ein haus in dem jemand starb
um sich hernach wieder den tod
von den händen waschen zu können –
Man hört auch nicht das klatschen
mit dem die jungen frauen sich
auf die nackten brüste schlagen.
C
Und doch ist heut der tag, an dem alle versammelt sein müssten …
A
Was willst du damit sagen??
B
Der tag, der ihr festgesetzt wurde; der tag, an dem sie hinab
in das dunkel der erde gehen muss.
C
Schon der gedanke daran – er trifft einen ins mark, nicht wahr?
A
Jedem anständigen menschen geht es doch ans herz
wenn eine vornehme familie wie diese vom gewicht des schicksals
erdrückt und völlig aufgerieben wird.
CHOR
Selbst wenn man nun ein schiff
zu den fernsten orakeln schickte
zum Apollontempel in Lykien –
oder durch ein sandmeer reiste
zu Zeus Ammon in der oase Siwa:
nirgendwo auf dieser weiten welt
bei keinem, fände man rat oder hilfe
um dieser vom unglück gezeichneten
die seele zu retten – das schicksal bricht
über sie herein, so schier wie eine welle.
B
In allen ecken der erde hat Admetus nach hilfe gesucht –
A
doch keiner konnte Alkestis helfen.
C
Gegen die tücken des schicksals, da hilft nun mal nichts.
CHOR
Zu welchem gott sich da noch wenden
auf wessen altar da denn noch opfern
wenn Thanatos, der priester der toten
sich erst einer seele bemächtigt hat?
Kennen wir einen? Gibt es einen?
C
Doch – einen einzigen gab es: Apollons sohn Asklepios.
Wäre er noch am leben, hätte er sie vor dem dunkel gerettet
und Alkestis gesund gebetet.
B
Seine heilkunst erweckte schliesslich jedoch gier in ihm:
gold überredete ihn, einen, den der tod bereits gepackt hatte
wieder auferstehen zu lassen.
A
Dafür streckte ihn Zeus nieder – als wäre er eifersüchtig
auf eine macht, die nicht einmal solch ein gott wie er besitzt.
eine DIENERINtritt auf
B
Aber da kommt eine dienerin, augen schwarz geweint.
A
Gute frau – dass man für seinen hausherren so mitzittert
ist völlig normal. Nun hör aber bitte auf zu weinen und sag:
ist Alkestis noch am leben? Oder ist sie schon gestorben?
DIENERIN
Sie lebt – und war dennoch schon lange tot.
C
Wie kann sie denn tot und gleichzeitig am leben sein?
DIENERIN
Ihr kennt wohl das haus und seinen herren nicht.
Aber jetzt kann sie es einfach nicht mehr länger ertragen.
Ihre arme hängen schlaff herab, vornüber gebückt, kopf
wie auf einen altar gelegt, mund weit offen, presst sie
das leben aus sich heraus – während er sie aufrecht hält.
C
Ach – unser armer herr! Was für ein guter ehemann –
und dann so eine frau zu verlieren! Seine ganze stütze!
DIENERIN
Wie gut sie wirklich ist, weiss er gar nicht.
Ich glaube, er erfasst überhaupt nicht, was da geschieht –
er wird es erst begreifen, wenn ers am eignen leibe spürt.
B
Es gibt also gar keine möglichkeit mehr, sie zu retten?
DIENERIN
Es ist zu spät. Sie trug diesen tag seit langem
mit sich herum – und irgendwie wirkt sie beinah erleichtert.
A
Heisst das, dass nun alles getan wird – wie es sich gehört?
DIENERIN
Das totenkleid, in dem ihr gatte sie bestatten wird
liegt samt all dem schmuck und den grabbeigaben für sie bereit.
A
Dann kannst du ihr ausrichten, dass ihr tod ihr ehre machen wird:
von allen frauen, die es auf der welt geben mag, ist sie weitaus die beste!
DIENERIN
Natürlich ist sie die beste! Das hat nie jemand in frage gestellt.
Oder kennt ihr etwa eine, die ihrem mann eine loyalere frau gewesen wäre?
Keine gattin hat mehr als sie bewiesen, dass sie den bund der ehe heiligt –
denn welche frau sonst ginge für ihren mann freiwillig in den tod??
Die ganze stadt weiss, was sie für ihn alles auf sich genommen hat –
aber erst wie sie die letzten stunden verbrachte, zeigt ihren charakter.
Heut, am tag ihres angekündigten todes, dem morgen ihres sterbens
ging sie beim ersten licht hinaus, um im fluss zu baden; sie tauchte
ihren so fahlen weissen körper in seinen klaren und breiten strom –
dann legte sie den schmuck um, den sie aus der zedergetäfelten
schatzkammer geholt hatte, und zog sich die schwere robe an
in der sie aufgebahrt werden wollte. Ruhige entschlossenheit
in ihrem gesicht, schritt sie darauf in die mitte des hauses
zum feuer, das nie ausgeht, die glut in die tiefe brennend
der rauch hoch zum himmel steigend, und betete am altar:
Hestia, herrin! Da ich heute unter die erde gehe
knie ich jetzt ein allerletztes mal vor dir und flehe:
nimm dich meiner kinder an, die nun waisen werden.
Ich kann ihnen weder eine braut noch einen bräutigam
mehr erwählen und ihnen auch keine hochzeit ausrichten:
darum lass meinen sohn einmal eine liebevolle frau finden
und meine tochter einen ehemann, der sie in ehren hält –
damit sie nicht wie ihre mutter schon zeit ihres lebens
in ihrem haus erstickt, um so hinzusiechen wie ich …
Schenk ihnen, anders als mir, alles glück dieser welt!
Danach trat sie auch vor all die anderen ältäre im innenhof
schmückte sie mit immergrüner myrte, duftenden zweigen
voller heller blüten, die sie selbst vom ast gebrochen hatte
und betete – doch ohne dass ihr ein laut über die lippen kam.
Keine träne lief ihr über die wange – ihr antlitz blieb bleich
wie es war – regungslos; nichts darin verriet ihr seelenleid.
Dann jedoch lief sie plötzlich in ihr schlafzimmer
warf sich auf das lager und verkrampfte sich dort weinend:
Dieses bett hier sah, dass ich meinem mann zuerst
die jungfräulichkeit, schliesslich das leben opferte.
Dennoch hasse ich ihn nicht – ich habe ihn geliebt
obwohl mich diese ehe mit ihm gebrochen hat …
Die schönste tochter meines vaters war ich einmal;
er wollte mich keinem lassen: Admetus hielt zwar
um meine hand an, erhielt sie aber nur dank Apollon
diesem gott, der ihm schon damals so gewogen war.
Dafür aber fand ich am abend meines hochzeitstags
die kammer voller schlangen, schwarz sich ringelnd.
Bis der tod euch scheidet – ja; dieses schwurs wegen
werde ich meinen gatten nicht verraten und sterben.
Bald wird eine andere frau auf diesen laken liegen
und mit ihm fröhlich ihre zukunftspläne schmieden:
weniger aufrecht als ich, dafür aber wohl glücklicher.
Sie sank auf den boden herab auf die knie, küsste das ehebett
und weinte so bitter, finger in den leinenen überwurf gekrallt
dass es dunkel vor nass wurde. Als ihr die tränen ausblieben
riss sie sich wieder los, stand auf, versuchte ein paar schritte
taumelnd und den kopf auf der brust, sah zurück, drehte um
und begrub ihr gesicht erneut im lager. So ging es wieder
und wieder – und ihre kinder, an ihre robe geklammert
weinten mit ihr. Sie nahm jedes von ihnen in den arm
drückte es an sich und küsste es, um ihnen zu sagen
dass sie nun sterben werde.
Und überall im hause
zeigten auch wir diener anteil an ihrem schicksal
und weinten. Alkestis, sie reichte jedem von uns
ihre rechte hand – und da war keiner, für den sie
nicht ein nettes wort fand und bei ihm nachfragte:
selbst den niedersten noch zeigte sich ihre gütige art.
Ein schatten liegt jetzt über dem haus des Admetus.
Hätte er sich seinem tod gestellt, hätte er es längst
hinter sich – dafür aber ein ehrenhaftes andenken
bei seinen mitmenschen hinterlassen. So jedoch
rennt er seinem schicksal feig davon. Ein mann
der seinen posten im stich lässt, wird nur ein leben
in schande führen, um am ende trotzdem zu sterben –
wie auch Admetus von nun an gequält werden wird
von seinem gewissen. Die erinnerung daran, sag ich
sie wird ihn bis an das ende seines lebens foltern.
CHOR
Ja jammert er denn jetzt schon über sein los?
Schlimmer trifft ihn wohl, dass er seine frau verliert!
DIENERIN
Ja – weinen, das kann er. Doch sein verlust
ist grösser, als er weiss – blind und taub wie er sich stellt
dem unausweichlichen gegenüber. Er umschlingt sie
und bettelt sie hilflos an, ihn nicht im stich zu lassen
und das unmögliche zu versuchen – während Alkestis
dahinschwindet und das leben langsam aus ihr weicht.
Er hält sie in armen – aber sie ist bereits totes gewicht
die augen in die höhlen gesunken. Das blut kaum noch
fliessend, die haut kalt, ringt sie nach luft und ruft dann
nach licht – mehr licht! die sonne! Sie will nur ins freie
getragen werden, um einen letzten blick, den allerletzten
auf die sonne zu erlangen.
Admetus jedoch will, dass ihr
seine trauer mit ihm teilt. Nicht jeder mag meinen herrn
genug, um ihm in dieser bitteren zeit zur seite zu stehen –
ihr aber – ihr seid nun schon seit langem seine freunde.
geht ab
A
Im ganzen gesehen, ist das leben eines jeden eine tragödie –
einzeln besehen jedoch, ist das leben eines jeden eine komödie:
wie lächerlich ist doch der mensch – auch wenn ers selber nicht
zum lachen findet.
B
Doch erst seine tragik macht den menschen besser als er ist
denn gleich was ihm widerfährt – er gibt sein streben nicht auf:
er findet seine würde, indem er unterliegt – und glaubt dennoch
er kann obsiegen.
C
Seine komik aber liegt im streben danach, was nicht sein kann –
sie verlacht jede kreatur, die glaubt, sie könne zum gott werden –
denn in wahrheit ist er beides – und hat doch nichts von allem:
reinstes mittelmass.
CHOR
Ja ist denn gar keine erlösung von diesem leid denkbar?
Gibts denn wirklich keinen ausweg mehr für Admetus?
A
Wenn ihm jetzt keiner zuhilfe kommt
scheren wir uns besser das haar vom kopf
und legen uns die schwarzen mäntel um.
B
Es ist doch alles längst klar, völlig klar.
C
Beten wir trotzdem noch zu den göttern –
denn die macht der götter ist unermesslich.
B
Mächtiger als sie jedoch ist das schicksal:
es bleibt so unergründlich – wie ewig stumm.
C
Obwohl es uns jedes wort in den mund legt.
CHOR
Apollon, gott und heiler, spende unserm Admetus trost –
du hast ihm schon in der vergangenheit zweimal geholfen.
Nun erschein ein drittes mal und erlöse ihn von diesem tod.
der blutgier des Hades in seiner stadt der lebenden toten!
A
Welch schreckliches leid du erdulden musst, mit dem tod
deiner gattin jetzt – du, Admetus, der einzige sohn des Pheres!
B
Es ist schlimm – man möchte sich die kehle aufschlitzen
oder ein seil um den hals schlingen und sich dann aufhängen
um vor einem leeren himmel röchelnd im wind zu baumeln.
C
Du siehst deine frau, das liebste, das du auf der welt hast
heute sterben – ein leichnam dort bei den fliegen im schatten.
A
Es stirbt eine solch vornehme frau auf schreckliche weise.
C
Doch noch weit mehr, als sie selbst darunter zu leiden hat
lässt sie alle rings um sich leiden – sie zerstört damit das leben
all derer, die in diesem haus und der stadt hier zurückbleiben.
B
Ist das wirklich liebe? Oder nimmt sie jetzt dafür rache?
Sagt nicht, dass eine ehe mehr freuden bringt als schmerzen.
A
Jedenfalls nicht, wenn man sieht, wie es Admetus geht:
nach ihrem tod wird sein leben nicht mehr lebenswert sein.
CHOR
Schaut doch, schaut doch – da kommt sie!
Sie kommt heraus – und mit ihr ihr mann!
Weint, weint – und trauert um diese frau
die nun in das kalte dunkel der erde geht!
ALKESTISkommt aus dem haus, von ADMETUS gestütztdaneben ihr kleiner sohn EUMELUSund ihre tochter PERIMÉLE
ALKESTIS
Die sonne! Wie es blendet, das licht …
Hier in der wärme zu stehen
die wolken zu sehen
ihren endlosen zug nach westen
als würde alles noch vor mir liegen –
doch nun zirkeln die cirren wie möwen
um die mitte des himmels
in einem immer schneller werdenden wirbel –
mir schwindelts.
ADMETUS
Die sonne schaut auf uns herab
auf dich und mich, aber sie erblickt nur
zwei winzige figuren.
Die götter starren uns an mit harten augen
um sich an unseren leiden zu weiden –
obwohl wir ihnen nichts getan haben
wofür du jetzt sterben müsstest.
ALKESTIS
Die sonne zu schauen –
und wär es nur ein einziges mal gewesen
um dann dorthin zurückzukehren, woher man kam:
selbst in einem doppelt so langen leben
sähe man nichts heiligeres.
Es wird alles plötzlich so weit um mich –
da ist die erde, die dächer der häuser, iolkos im osten
wo ich geboren bin und meine jugend verbrachte –
bevor ich hier zur frau gemacht wurde.
ADMETUS
Richte dich wieder auf; gib nicht auf –
lass mich nicht allein.
Du musst nicht sterben – wenn du zu den göttern betest,
zeigen sie vielleicht mitleid mit uns.
ALKESTIS
Und da ist ein kahn – da: ich sehe ihn!
Den träge dahinziehenden strom, sein sumpfiges ufer
wasser breit und flach wie ein see
spiegelnd hell –
der fährmann hat die ruder schon beiseite gelegt
und schiebt seinen nachen mit der stange durchs schilf.
Er ruft nach mir – hörst du?
Worauf wartest du? Du hältst mich auf! Komm!
Er winkt mich her – siehst du es nicht?
ADMETUS
Beacht ihn nicht. Bete.
Bete mit mir. Bete mit mir.
ALKESTIS
Ich spür eine hand nach mir greifen –
sie zieht mich fort – merkst du es nicht?
Das ist einer, der mich am arm nimmt
um mich zu den hallen unter der erde zu geleiten –
und jetzt schaut er mir ins gesicht!
Er hat grosse dunkle brauen
schwarz glänzende augen
einen toten blick
und auf seinem rücken, da sind –
das ist der geflügelte gott, der mich zu Hades bringt.
zu ADMETUS, der sie zu sich zieht:
Was tust du da? Lass los –
da – ich sehe schon den weg hinunter.
ADMETUS
Wenn du diesen weg nimmst
ziehst du uns alle mit dir
alle, die dich lieben –
vor allem jedoch mich und die kinder.
ALKESTIS
Lasst mich los – ihr alle!
Nehmt eure hände weg. Redet mich nicht an.
Ich will mich hinlegen. Ruhen.
Bin schwer, so schwer.
Ich trage meine last schon viel zu lange –
das gewicht erdrückt mich.
Doch jetzt ist es nicht mehr weit –
da ist Hades’ bronzene schwelle
und das tor in die nacht.
Kinder – meine kinder!
Ihr habt nun keine mutter mehr.
Werft euer glück nicht fort –
lebt gut. Lebt in dieser sonne.
Lebt wohl!
ADMETUS
Nein – kein bitteres lebt gut,
lebt wohl!
Was du sagst, ist ein grösserer fluch als der tod.
Um gottes willen – ich bitte dich:
sei nicht so hartherzig!
Lass mich nicht im stich –
Denk doch an unsere kinder!
Willst du sie wirklich zu waisen machen?
Steh auf! Auch wenn du dich gehen lässt –
ich lass dich nicht einfach so gehen!
Stirbst du, weiss ich nicht weiter –
du hältst alles in deiner hand, leben und tod –
ich lebe und sterbe mit dir!
Deine liebe – sie war mir heilig!
ALKESTIS
Du siehst, wies um mich steht – Admetus.
Jetzt wo ich sterbe, will ich dir sagen, was meine wünsche sind.
Ich hab dich und deine wünsche stets vor meine eigenen gestellt –
und dies bis zum bitteren ende.
So behalt also weiter dein leben – um den preis des meinen.
Stück um stück bin ich gestorben –
der tod war das einzige, das mir jemals wirklich frei stand.
Ich hätte jeden mann bekommen können, den ich wollte
und vielleicht in einem anderen haus glücklich werden können –
aber ich hab mich dafür entschieden, an deiner seite zu bleiben:
ich wollte die kinder nicht ohne ihren vater lassen.
Dafür habe ich auf meine jugend verzichtet
auf das erfüllte leben, auf das ich sonst anrecht gehabt hätte.
Darin unterscheide ich mich auch von deinen eltern –
die liessen dich im stich: obwohl es sie in ihrem alter
weit weniger gekostet hätte, für ihren sohn zu sterben –
ein solcher tod hätte ihnen sogar noch ruhm und ehre eingebracht.
Aber ich kann sie verstehen: du bist ihr einziger sohn;
und nach deinem tod konnten sie nicht mehr hoffen
einen anderen zu zeugen, der sie auf ihre alten tage versorgen könnte:
wir sind ja alle ersetzbar – bloss du offenbar nicht.
Hätten sie sich geopfert, hätte unsre ehe bis ans lebensende bestanden
müsstest du nicht als einsamer mann um deine frau trauern
und deine kinder nun alleine grossziehen – ich weiss.
Und auch die götter wissen, warum. Darum nimms hin. Es ist wie es ist.
Doch dafür, was ich für dich erlitten habe –
dafür schuldest du mir dank.
Deshalb verlange ich von dir – bild dir aber nicht ein, dass das
was du für mich tun musst, nur annähernd aufwiegt, was ich für dich tat:
denn nichts ist so kostbar wie ein leben:
was ich will, ist das mindeste, das mir zusteht –
das wirst selbst du zugeben müssen.
Du wirst meinen beiden kindern nicht weniger liebe zeigen als ich –
und dich bemühen, ein guter vater zu sein.
Deshalb will ich, dass keine andere frau jemals meine stelle einnimmt.
Ich will die einzige sein – hörst du?
Versprich mir, dass meine kinder dieses haus einmal erben –
ich möchte nicht, dass du nach meinem tod wieder heiratest
und sie eine stiefmutter bekommen
die bloss auf ihre vornehme abstammung neidisch wäre
und ihre eifersucht an ihnen auslässt
indem sie sie schlägt – es sind ja deine kinder so gut wie meine.
Das will ich nicht haben, Admetus – hast du verstanden?
Eine stiefmutter wird stets zum racheengel
an den kindern aus der ersten ehe –
keine viper könnte giftiger und heimtückischer sein.
Eumelos, der hält das vielleicht aus – er kommt ja nach dir;
Periméle aber? Wie sollte sie ihr glück finden – wo sie doch bald
aus dem mädchenalter heraus ist?
Eine neue frau an deiner seite wäre eine züngelnde schlange
glatt und falsch – sie verspritzt ihr schleichendes gift
und setzt die schlimmsten gerüchte über sie in die welt
sodass sie keinen mann mehr findet;
oder aber sie schlägt mit ihrem giftzahn zu
dass Periméles ehe schon vor ihrer blüte zu verfaulen beginnt.
zu PERIMÉLE
Denn ich werde dir ja nicht mehr den hochzeitsschleier zurechtzupfen
und dir bei der geburt dann die hand halten;
ich werde nicht mehr da sein, wenn du mich am meisten brauchst:
ich sterbe – und es wird keine stunde mehr dauern
bis man auf mich die nachreden hält.
Du, Admetus, kannst dich rühmen, eine gute frau geheiratet zu haben –
und ihr, meine kinder, die beste aller mütter gehabt zu haben.
Den toten nur gutes: darum lebt wohl.
Lebt gut – und seid glücklich.
CHOR
Du kannst beruhigt sein: wir sprechen in seinem namen.
Admetus ist ein guter mann – er tut, was du von ihm verlangst.
ADMETUS
Ich verspreche es dir – ja, ich werde tun, was du sagst:
du musst dir keine sorgen machen.
Ich hab dir meinen namen gegeben – und ein leben im wohlstand dazu;
du bist meine frau und wirst selbst noch im tod meinen namen tragen.
Keine andere wird je deinen platz einnehmen können
und mich ihren gatten nennen –
es gibt für mich keine frau, die schöner wäre als du
oder aus einem besseren haus kommt.
Und die kinder, die ich von dir habe, genügen mir –
ich bete zu den göttern, dass ich in ihnen weiterleben darf
sie mir viel freude bereiten und im alter dann meine liebe vergelten:
jetzt, wo mir deine liebe versagt bleibt.
Trauern werde ich um dich, Alkestis – nicht nur ein volles jahr lang
nein, den rest meines lebens – und alles leid stoisch ertragen.
Jetzt, wo mir auch vater und mutter ihre zuneigung versagt haben
sind sie mir zum feind im eigenen haus geworden:
ich empfind nur mehr hass und verachtung für sie.
Es war doch alles bloss ein lippenbekenntnis:
sie liebten mich nur mit worten, nicht mit taten.
Du aber gabst dein kostbares leben im tauschhandel gegen das meine:
dafür steh ich in deiner schuld – ja, ja!
Darum habe ich allen grund zu klagen –
jetzt, wo ich eine frau wie dich verliere.
All die grossen einladungen, die wir gaben, und das leben, mit dem sie
unser haus erfüllten – sie wird es nun nicht mehr geben.
Ich werde nie mehr für unsere gäste spielen
und in der ausgelassensten stimmung
unsere alten lieder für sie singen.
Mir ist das leben vergällt – alle lust;
es ist so leer und tot wie meine sammlung alter flöten an der wand –
all diese stücke aus lotusholz, auf denen niemand mehr spielen wird:
du hast mir die ganze freude daran genommen.
Ich werde einen unserer bildhauer bitten
einen torso von dir anzufertigen, um ihn neben mir ins bett zu legen.
Aus stein soll er dich meisseln – vielleicht darf ich dich dann ja endlich
im arm halten und mit dir reden, deinen namen flüstern.
Und jetzt kannst dus nicht mehr erwarten, zum tod ins boot zu steigen:
War denn unsere ehe wirklich nicht mehr als ein leck geschlagenes schiff
bei der wir die brackige bilge über bord schöpften
um es flott zu halten – nur um es nun jetzt untergehen zu sehen?
Doch vielleicht erscheinst du mir ja in meinen träumen
so weiss und marmorn wie unsere statuen –
als die illusion einer besseren gegenwart?
Soll sie mir trost schenken, solange sie währt.
Ach – besässe ich doch Orpheus’ seltene gabe
der mit seiner stimme selbst steine zum leben erwecken konnte
um dich aus deinem schattenreich zu holen –
mich hätte weder ein Cerberos noch dein fährmann Charon dort
abhalten können, um dich aus diesem dunkel ins licht zu holen!
Aber so hat es ja nicht sein sollen.
Darum wart da unten auf mich, bis auch ich dann sterben werde:
richte doch dort das haus für uns ein!
Ich werde unsere kinder bitten, mich neben dir
in deinem zedernsarg zu beerdigen, auf ewig umfangen vom tod.
Verstehst du denn nicht, dass ich mich von dir nie trennen wollte?
Nie trennen konnte? Weil mein leben nur mit dir wahr gewesen ist?
CHOR
Du bist nicht allein. Wir werden deinen schmerz mit dir teilen –
als freunde für einen freund. Alle zusammen trauern wir um Alkestis.
ALKESTIS
Meine kinder – ihr habt es nun gehört:
euer vater hat mir versprochen, sich keine andere frau zu nehmen
die euch zur stiefmutter wird und uns alle nur entehrt.
ADMETUS
Ja – das habe ich versprochen; ich werde wort halten.
ALKESTIS
Damit übergebe ich meine kinder nun in deine obhut.
ADMETUS
Ich werde deinen letzten willen respektieren.
ALKESTIS
Du musst meine stelle einnehmen, so gut du es kannst.
ADMETUS
Das ist meine pflicht – aber du weisst
dass ihnen nichts und niemand die mutter ersetzen kann.
ALKESTIS
Meine kinder – verzeiht mir, dass ich in den tod gehe –
jetzt, wo ihr mich doch am bittersten nötig habt.
ADMETUS
Wie soll ich nur weiterleben, wenn du tot bist –
völlig allein und von dir im stich gelassen?
ALKESTIS
Die zeit wird alles heilen – die toten, sie bedeuten nichts:
sie existieren nur als leere inmitten der lebenden.
ADMETUS
Aber ich hab dir doch dein leben zu erfüllen versucht –
ich gab dir alles, was ich besass; mein ganzes herz.
Warum nimmst du es denn selbst jetzt nicht an?
Du hast doch gehört – ich tu alles, was du willst!
In gottes namen, so nimm mich doch!
Oder nimm mich mit dir.
ALKESTIS
Deinetwegen zu sterben genügt:
das ist bereits ein tod zu viel.
ADMETUS
Oh gott – wie kannst du nur so eine kalte seele haben.
ALKESTIS
Ah – es tropft schon herab und fliesst mir über die lider;
es rinnt mir in die augen, schwarz – und schwer wie quecksilber.
ADMETUS
Warum willst du nur die wahrheit nicht hören?
Mein leben ist zu ende ohne dich – ohne dich bin ich nichts!
ALKESTIS
Die wahrheit ist, dass ich nichts bin, niemand –
ich hab nie gelebt.
ADMETUS
So schau doch – da sind deine kinder!
verlass wenigstens sie nicht! Leb weiter – für sie!
Vermag denn gar nichts mehr einen lebenswillen in dir zu wecken?
ALKESTIS
Sie waren das einzige, was mich so lang am leben hielt;
aber jetzt – lebt wohl, meine kinder.
ADMETUS
Schau sie an – schau ihnen ins gesicht!
ALKESTIS
Ich sehe – nichts – mehr.
ADMETUS
Geh nicht! Gib uns nicht auf! Gib uns doch noch einmal –
ALKESTIS
Lebt gut. Lebt wohl.
ADMETUS
Das ist mein tod.
CHOR
Admetus’ frau ist gestorben. Alkestis ist nicht mehr.
EUMELOS
Mutter, mutter! Schaut –
ihre augen! Und wie sie die arme ausstreckt!
Wie schlaff sind deine hände!
Mutter – so sag doch etwas! Ich bin es –
hörst du mich nicht? Ich knie doch vor dir!
Ich bin es, dein Meli!
küsst sie
ADMETUS
Sie hört dich nicht, Eumelos –
sie sieht uns nicht mehr.
PERIMÉLE zu EUMELOS
Unsere mutter hat uns verlassen –
sie sieht die sonne nicht mehr –
sie lässt uns als waisen zurück.
Ich bin noch zu jung, um schon allein ins leben zu gehen –
aber es kommt jetzt auf mich zu.
Euch hielt der wunsch zusammen, gemeinsam alt zu werden.
Doch jetzt, wo sie von uns geht
bricht alles über uns zusammen.
CHOR
Du musst nun dieses unglück zu ertragen versuchen – Admetus!
Du bist nicht der erste, der seine frau verloren hat –
und du wirst auch nicht der letzte sein. Denk dran:
unser tod ist der preis, den wir für das leben zahlen.
Wir schulden ihn den göttern: selbst du, nicht wahr – Admetus?
ADMETUS
Ich hab es kommen gesehen und seit jahr und tag darunter gelitten.
Doch jetzt ist nicht der moment, sich gehen zu lassen:
jemand muss sich um ihr begräbnis kümmern.
zum CHOR
Ich danke auch euch allen sehr, dass ihr so frühzeitig gekommen seid –
und da ihr hier versammelt steht, bitte ich euch
kein lamento anzustimmen und kein einziges trankopfer darzubringen:
wir werden dem unerbittlichen gott der toten ein dankeslied singen –
ihm den chor seines sieges ins gesicht schmettern.
Den knechten aber, die bei mir angestellt sind –
allen, die mein brot essen, denen befehle ich
am trauergeleit für die leiche meiner frau teilzunehmen:
sie sollen sich die köpfe scheren und die schwarzen mäntel anziehen.
Holt meinen wagen, schirrt das gespann an
und schneidet auch den pferden die lange mähne ab:
ich will in der ganzen stadt keinen ton hören, weder flöten noch leiern –
und dies ganze zwölf monate lang.
Noch nie ist jemand zu grabe getragen worden, der mehr geliebt wurde
der mehr ehre verdient hätte: ich schulde ihr alles –
denn nicht sie hat sich das leben genommen
und gab es mir – ich war es, der es nahm.
ALKESTIS wird ins haus getragen; ADMETUS geht ab
CHOR
O tochter des Pelias
mögest du die stadt der toten bald erreichen
um in Hades’ dunklem haus aufgenommen zu werden
möge er dir darin den rang zuweisen, der dir gebührt.
O tochter des Pelias
gehab dich wohl auf der reise in die unterwelt;
auf welchem fluss wird Charon dich zu Hades bringen?
auf welchem der vier ströme wirst du zu ihm geführt?
Der fluss des hasses
die Styx, entspringt mit alles zersetzenden fluten
im grau der gebirge, sammelt sich und stürzt schliesslich
als wasserfall durch ein schwalgloch hinab in den grund.
Der fluss des vergessens
der Lethe, mit dem silbern sich spiegelnden wasser
er mäandert träge und breit in immer engeren schleifen:
wen er benetzt, verliert alle erinnerungen an sein leben.
Der fluss der tränen
der Kokytos, auch er führt seine fracht im kreise
unter die erde, ohne sich mit den anderen zu vermischen:
und wen er benetzt, erinnert sich auf ewig an sein leben.
Der fluss des feuers
der Phlegeton, führt kein wasser – er wälzt sich
voller siedendem schlamm und glühenden steinen hinab
flammend rot wie kochendes blut und alles verbrennend.
Sie alle winden sich
wie schlangen um die totenstadt, sie alle münden
in den see Acheron, an dessen ufer hohe mauern aufragen:
einlass beim tor findet nur, wer seine vergehen zuvor büsste –
einlass beim tor findet nur, wer seine reinigung zuvor erfuhr.
O tochter des Pelias
du gingst ins dunkel hinab, ohne dich umzudrehen
deine augen einzig noch auf die klaffende leere gerichtet:
dein tod, er war gross – du hast uns alle mit ihm beschämt.
O tochter des Pelias
du gingst mit einem schritt für immer aus der sonne;
wär es nur in unserer macht, dich zurückzubringen ins licht!
So jedoch werden in hinkunft chöre dein schicksal besingen
und dichter sogar stücke über dich schreiben, im ganzen land.
O tocher des Pelias
möge die erde leicht auf dich in deinem grab fallen
möge dein mann seine versprechen an dich nicht brechen
seine kinder nicht darunter leiden und sich an ihm rächen.
Admetus’ mutter und vater
sie weigerten sich, für ihren sohn in den tod zu gehen
und zu seiner geisel zu werden.
Die tochter des Pelias aber
sie gab sich in der blüte des lebens hin für ihren mann.
Denn das ist das los jeder liebe und der sinn jeder ehe –
durchs leben zu gehen und die last des anderen zu tragen.
HERAKLEStritt auf
HERAKLES
Hallo! Seid mir gegrüsst, ihr bürger.
Wozu dieser volksauflauf? Sagt mir – Admetus:
wo ist der? Ist er da?
A
Herakles! Was machst du …?
Natürlich ist Admetus da – er ist drinnen im haus.
Was bringt dich denn hierher??
HERAKLES
Hat sich das noch nicht bis zu euch herumgesprochen?
Ich soll Eurystheus, dem herrscher von Mykene, die arbeit erledigen …
B zum CHOR tuschelnd
Ja – als strafe dafür, dass Herakles seine frau
und seine drei kinder erschlagen hat.
C
Und woher kommst du gerade? Du riechst etwas … streng.
HERAKLES
Na – ich hab die vögel vom Stymphalischen See vertrieben
diesem stinkenden sumpf. Und den Augiasstall ausgemistet –
den ganzen dreck, den ein haufen ochsen jahrelang angehäuft haben.
B
Und vor welchen karren hat dich Eurystheus jetzt gespannt?
Welches joch hat er dir auferlegt?
HERAKLES
Ich soll hinauf in den norden –
der Thraker Diomedes hat dort vier pferde:
die soll ich zähmen und anschirren.
C
Du weisst wohl nicht, womit du es da zu tun kriegst!
Hast du denn nicht gehört, was man dort unter gastfreundschaft versteht?
HERAKLES
Nein – da oben war ich noch nie.
C
Diomedes wirft jeden fremden, der sich zu ihm verirrt
seinen stuten zum frass vor – die sind derart wild
dass man sie an ihre eisernen krippen gekettet hat:
B
Ohne einen kampf wirst du da nicht davonkommen.
HERAKLES
Was solls? Ich komm auch um meine zwölf arbeiten nicht herum.
CHOR
Entweder du tötest ihn und kommst zurück –
oder aber du stirbst und wirst dort begraben.
HERAKLES
Das ist nicht das erste mal, dass ich mein leben aufs spiel setze.
A
Selbst wenn du Diomedes besiegen kannst –
was bringt es dir denn ein?
HERAKLES
Was die mir einbringen? Ich bin doch kein rosstäuscher!
Ich muss bloss Diomedes’ vier pferde nach Mykene bringen.
Dafür soll ich einmal unsterblich werden – hat es geheissen.
B
Ihnen zaumzeug anzulegen, das wird nicht leicht werden.
HERAKLES
Wieso – glaubt ihr etwa auch noch, dass die feuer spucken??
C
Nein – aber die reissen dich mit ihren zähnen in stücke;
die fressen nämlich nur menschenfleisch.
HERAKLES
Erzählt keine märchen – nur löwen gehen auf menschen los.
C
Du wirst schon sehen – ihre krippen, die sind von blut ganz schmierig.
HERAKLES
Schon gut.
Aber jetzt sagt – der mann, der sich solche pferde hält, wie ihr behauptet:
was ist denn das für einer?
CHOR
Er ist ein sohn des kriegsgottes Ares.
Und er befehligt ein heer von söldnern
die allesamt rundschilde aus gold tragen.
HERAKLES
Ewig das gleiche – warum erwischt es dauernd mich?
Ich habe ja wirklich grosses glück mit all meinen arbeiten: obwohl –
andere, die ich kenne, rollen auch ihren stein steil den berg hinauf.
Ich muss anscheinend gegen jeden einzelnen sohn ins feld ziehen
den Ares jemals gezeugt hat: zuerst musste ich mit Lykaon kämpfen