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Mit über 40 erschienenen Büchern gehört Albrecht Gralle zu den bekanntesten christlichen Autoren der Gegenwart. Anlässlich seines 70. Geburtstages veröffentlicht Brendow Gralles erstes Buch „Die grüne Wiese“ neu und in wertiger Ausstattung. Kenner schätzen den christlichen Gehalt der Erzählungen, die in dieser Ausgabe durch bislang unveröffentlichte ergänzt werden. Die sprachlich faszinierend geschilderten Geschichten berühren unter anderem Themen wie Geborgenheit, Vertrauen und Ewigkeit und sind ein Gewinn für jeden, der sich fantasievoll dem Wunder des Glaubens nähern möchte.
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Seitenzahl: 153
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Albrecht Gralle, Jahrgang 1949, studierte evangelische Theologie und arbeitete als Pastor und Dozent im In- und Ausland (Sierra Leone). Seit über vierzig Jahren schreibt Albrecht Gralle Kurzgeschichten; es folgten Romane und Kinderbücher. Der Schriftsteller wohnt mit seiner Frau in Northeim bei Göttingen, sie haben vier erwachsene Kinder.
ALBRECHT GRALLE
Die grüne Wiese
Erzählungen über Gott und die Welt
Cover
Über den Autor
Titel
Der Berg
Die grüne Wiese
Der Brieföffner
Das Geschenk
Die leise Stimme
Die Stadt
Der weiße Pullover
Das Zugabteil
Das Brot der guten Worte
Der Prophet
Das Bett
Impressum
Endnoten
Jonas Leithoff hatte die Hände in den Taschen und pfiff vergnügt vor sich hin. Schon morgens, als er anfing, seinen Rucksack zu packen, überkam ihn ein Glücksgefühl, das er kaum mit Worten beschreiben konnte. Ein Stück Freiheit, vermischt mit einer Art prickelnder Aufregung.
Er blieb stehen und atmete die Bergluft ein, die nach Quellwasser und frischem Heu roch.
Gestern hatte er die muffige Atmosphäre in seinem Quartier nicht mehr ausgehalten. Irgendwie roch es im Flur immer nach abgestandenem Wasser. Die letzten zwei Tage hatte es geregnet und morgens wurde er vom Prasseln der Regentropfen auf das Garagendach geweckt. Und dann seine Gastgeber! Sicher, sie waren freundlich und hilfsbereit, aber es ging etwas Bedrückendes von ihnen aus, und er hatte es vorgezogen, lieber auf seinem kleinen Zimmer zu bleiben, als in dem ungemütlichen Wohnraum zu sitzen.
Während er mit großen Schritten den Weg entlangging, schaute er nach oben: Da lag der Berg, den er besteigen wollte. Besteigen war etwas zu hoch gegriffen, dachte er und lächelte. Der Gipfel erreichte nicht einmal 3.000 Meter. Es würde eine schöne Wanderung werden, nicht zu anstrengend, aber so, dass man abends zufrieden ins Bett sinken konnte, mit dem Gefühl, etwas erreicht zu haben.
Der Berg hatte eigentlich gar keine Spitze, eher eine Hochebene, grünlich schimmernd, an den Seiten weiße Streifen, Bäche wahrscheinlich.
Gestern früh hatte er den Entschluss gefasst, diesen Berg anzugehen, ganz spontan, als er gerade dabei war, sich für einen Becher Instantkaffee heißes Wasser nachzugießen. Der Regen hatte aufgehört, und die Wolken hatten sich verschoben, da hatte Jonas, den Kessel in der Hand, zufällig nach draußen geblickt und war stehen geblieben. Für ein paar Sekunden war die Hochebene des mittleren Berges sichtbar geworden, eigenartig beleuchtet von der Sonne. Danach hatte sich der Berg wieder verhüllt. Aber es war für Jonas wie eine Einladung gewesen, eine Lockung. Und Jonas hatte die Einladung angenommen. Er hatte abends dann den Fehler begangen, seinen Gastgebern davon zu erzählen.
Der Bauer hatte den Bierkrug bedächtig auf den Tisch gestellt und mit dem Kopf geschüttelt. Ob er denn nicht wisse, dass der Berg nicht ganz geheuer sei, ja, er habe nicht einmal einen richtigen Namen, er hieße nur: der Berg oder der Mittlere. Der alte Schäfer habe ihm glaubhaft versichert, dass er hoch oben Stimmen gehört habe, keine Naturstimmen, sondern eigentümliche Geräusche. Und er, der alte Schäfer, habe schon manches erlebt und gehört, aber jetzt werde er nicht mehr da hinaufgehen.
Ob denn sonst schon Leute oben gewesen wären, hatte Jonas gefragt. Ja natürlich, aber es seien irgendwie sonderbare Leute gewesen, oder vielleicht seien sie nach der Rückkehr so geworden.
Und außerdem, hatte der Bauer hinzugefügt, was er denn an dem Berg finde, die anderen Berge seien schöner und die Wanderwege besser ausgebaut. Und dann hatte er seine Schultern entschuldigend gehoben, er wolle ihm natürlich nichts ausreden, aber er wolle ihn warnen. Das sei er seinen Gästen schuldig.
Jonas Leithoff schnaubte verächtlich durch die Nase, als er sich wieder an das Gespräch erinnerte, und schüttelte den Kopf über diesen abergläubischen Unsinn.
Die Sonne schien, der Weg vor ihm schlängelte sich träge nach oben, und die Kühe auf der Wiese hoben ihre Köpfe, wenn er an ihnen vorbeikam. Voller Übermut warf er einen Stein in die Luft und sah zu, wie er den Abhang hinunterrollte.
Nach einer Biegung verschwand der Weg in einem Wald. Als Jonas durch das dunkle Tor der Bäume schritt, blieb er bewundernd stehen: Vor ihm tat sich ein Tunnel auf, angefüllt mit sattem, grünem Licht. Ab und zu floss von der Seite das Sonnenlicht wie ein kleiner Wasserfall herunter und verlor sich auf dem weichen Waldboden.
Der Himmel hing wie ein blaues Zelt über den Bäumen. Auf einem Ast sang ein Vogel. Langsam ging Jonas weiter, ganz vorsichtig, um den Frieden nicht zu stören.
Der Waldweg musste seit Jahren nicht mehr begangen worden sein. In der Mitte wuchs Waldmeister zwischen dem feinen Gras. Jonas hatte ein Gefühl, als betrete er ein Reich, das nicht für jeden bestimmt sei, eine paradiesische Schönheit und Stille, die sich einem nur in gewissen Augenblicken auftat.
Er ging wie verzaubert weiter und hätte sich nicht gewundert, wenn auf einer Waldlichtung Feen getanzt hätten. Ein vages Gefühl von Harmonie ergriff ihn, und die Grenze zwischen dem, was möglich und unmöglich war, verwischte sich wie Wasserfarbe auf einem Stück Löschpapier.
Ein Rascheln ließ ihn herumfahren. Er blieb regungslos stehen. Keine fünf Meter von ihm entfernt stand ein großer, stattlicher Hirsch und hob vorsichtig den Kopf. Jonas rührte sich nicht und hielt den Atem an. Der Wind kam ihm entgegen und so blieb er zunächst unbemerkt. Jetzt drehte das Tier seinen Kopf in Jonas‘ Richtung, und für ein paar Sekunden schauten sie sich an, jedenfalls kam es Jonas so vor. Obwohl nichts Besonderes passierte und zwischen ihnen eine unüberbrückbare Grenze lag, hatte Jonas das seltsame Gefühl, als finde eine Begegnung zwischen ihnen statt. Dann machte Jonas eine unwillkürliche Handbewegung und der Hirsch war mit einem Satz im Gebüsch verschwunden. Jonas schaute ihm nach und hätte es in diesem Augenblick für möglich gehalten, dass der Hirsch sich in einen Prinzen verwandelt hätte.
Während Jonas Leithoff noch nachdenklich weiterging, stieß sein Fuß gegen etwas Hartes, Metallisches. Er bückte sich und entdeckte zwischen den Tannennadeln eine zerbeulte Cola-Dose. Wie ein Missklang fiel diese Entdeckung in seine feierliche Stimmung. Mit einem Schlag waren Ruhe und Ergriffenheit verschwunden. Jemand war schon vor ihm da gewesen und hatte dieses Zauberreich durch seine Nachlässigkeit entweiht.
Immer noch hielt er die Dose in der Hand, und je länger er sie ansah, desto mehr kam ihm zu Bewusstsein, dass es auf dieser Erde keine ungetrübte Harmonie geben könne, dass jedes Paradies seine zerbeulte Dose habe, verborgen unter der Oberfläche.
Er schüttelte verwundert den Kopf über diese Gedanken. Es war sonst nicht seine Art, tiefsinnigen Grübeleien nachzuhängen. Es kam ihm vor, als sei ihm diese Erkenntnis von irgendwoher zugeflogen. Er blickte sich um. Der Wald hatte sein geheimnisvolles Aussehen verloren. Er war nun plötzlich zu einem ganz gewöhnlichen Wald geworden, etwas verkommen und vernachlässigt, und der Weg führte wahrscheinlich nirgendwohin.
Enttäuscht und ärgerlich wollte Jonas Leithoff die Dose, die ihn aus seinem schönen Traum geweckt hatte, in die Büsche werfen. Aber er besann sich und stellte sie gut sichtbar mitten auf den Waldweg. Dann kämpfte er sich durch ein Brombeerdickicht und trat aus dem Wald.
Jonas keuchte beim Gehen. Der Gipfel vor ihm schien nicht näher zu kommen, obwohl Jonas sich verbissen nach oben arbeitete. Es war jetzt so heiß geworden, dass er die Regenjacke auszog und in den Rucksack steckte. Ohne richtigen Weg wurde das Klettern immer beschwerlicher. Die Büsche und Sträucher rückten dichter zusammen, und so sah er sich gezwungen, in einem Bach hochzuklettern. Als es steiler wurde, zog er sich mühsam an den Erlenzweigen, die den Bach säumten, nach oben. Mehrmals rutschte er auf den glatten Steinen aus und stand mit den Schuhen im eiskalten Gebirgswasser.
Er schwitzte und in den dichten Büschen am Wasser umschwärmten ihn Mücken und stachen ihn.
Als die Sträucher kleiner und spärlicher wurden, verließ er den Bach und stapfte durch das harte Gras. Oft musste er stehen bleiben, um Atem zu holen. Dann stand er da, die Hände in die Hüften gestemmt, und schaute keuchend zu Boden. Er hatte nicht mehr den Mut, nach oben zu blicken, weil er jedes Mal darüber enttäuscht war, wie wenig er vorwärtskam.
„Warum bin ich bloß auf diesen idiotischen Berg geklettert?“, stieß er zwischen den Zähnen hervor.
Allmählich wurde das Gras kürzer und ging in eine Art Flechte über. Steine und kleine Felsen kamen zum Vorschein. Jonas spürte, wie sein Puls gegen die Schläfen pochte; schließlich war er so erschöpft, dass er auf allen Vieren weiterkroch.
Die letzten Meter schleppte er sich mechanisch weiter und warf sich, oben angekommen, auf den Boden, wo er schwer atmend liegen blieb. Nach einigen Minuten stand er mühsam auf, ging einige Schritte hin und her und setzte sich auf einen Stein. Dann holte er ein Salamibrot und einen sauren Apfel hervor und begann zu essen. Langsam kehrten seine Kräfte zurück.
Irgendwie war Jonas enttäuscht. Sosehr er sich auch umschaute, es gab nichts Besonderes zu sehen, nur Felsen und grüne Flechten.
Tief unter ihm, im Dunst, erkannte er einige Häuser, die wie Farbtupfer durch den Nebel schimmerten.
Der Wind war kalt. Jonas merkte, dass er fröstelte. Er kramte in seinem Rucksack und zog sich die Nylonjacke über, die in der Stille ungewöhnlich laut knisterte.
Plötzlich blieb er regungslos sitzen und hörte mit dem Kauen auf. Das Knistern war immer noch zu hören, obwohl er sich nicht bewegte. Er sprang auf und schaute sich um.
Ungefähr dreißig Meter von ihm entfernt brannte ein großes Feuer; weißer Qualm drang an den Seiten hoch und wurde von den Flammen nach oben gerissen.
Das müsste ich doch vorhin gesehen haben, dachte er, oder hat es jemand in den letzten Minuten angezündet?
Umständlich nahm er seinen Rucksack auf und näherte sich zögernd dem Feuer.
Schon spürte Jonas die Hitze und sah auf seinen Ärmeln die Ascheteilchen, die wie feiner Schnee durch die Luft wirbelten. Das Knistern hatte sich in ein Prasseln verwandelt, ab und zu unterbrochen von dem Knacken und Krachen des Holzes oder von dem Geräusch zusammenfallender, ausgebrannter Stücke.
Jonas blieb stehen und streckte dem Feuer seine kalten Hände hin. Aus irgendeinem Grund war er froh, dass hier, auf der Spitze des Berges, ein Feuer brannte. Es gab dem Berg etwas Lebendiges, und gleichzeitig spürte Jonas, wie eine kräftig belebende Wirkung von den Flammen ausging, wie nach einem erfrischenden Schlaf.
Die Sonne warf den zuckenden Schatten des Feuers auf den welligen Boden, und der Schatten sah aus wie leuchtende Wellen, die über den Boden glitten und in der Ferne verebbten.
Jonas zog seine Windjacke wieder aus, breitete sie über einen Stein und setzte sich.
Wie bei jedem großen Feuer, das er gesehen hatte, war er auch jetzt überwältigt von der geballten Energie, die hier frei wurde, von den Flammen, die aussahen wie Feuerwesen in ekstatischem Tanz.
Von hinten waren Schritte zu hören. Jonas hatte im Stillen damit gerechnet, dass jemand hier oben bei dem Feuer sein musste, und so war er nicht erstaunt, als er einen Mann in einem grauen Rollkragenpullover und mit einem ebenso grauen Vollbart auf sich zukommen sah. Er trug Stiefel und hatte eine Ledertasche umgehängt.
Jonas stand auf und bemühte sich, einen ungezwungenen Eindruck zu machen, aber er hatte das unbehagliche Gefühl, als sei er bei irgendetwas ertappt worden.
Der Fremde, der nur einen undeutlichen Gruß gebrummt hatte, stand jetzt neben Jonas am Feuer und rieb sich die kalten Hände. So blieb es ein paar Sekunden ganz still zwischen ihnen; sie schauten beide in die Flammen.
Dann wandte sich der Bärtige an Jonas und sagte mit einer überraschend freundlichen Stimme: „Es ist schön, dass Sie die Einladung angenommen haben und gekommen sind.“
Jonas war verblüfft und fragte: „Was für eine Einladung?“
Der Fremde lachte kurz auf und sah Jonas zwinkernd an: „Nun tun Sie mal nicht so, als wüssten Sie von nichts!“ Und nach einer Pause fragte er: „Hatten Sie gestern früh nicht den Eindruck, Sie seien eingeladen worden?“
„Ja schon“, antwortete Jonas, „aber …“
„Sie möchten wohl wissen, woher ich das weiß, was?“, unterbrach ihn der Fremde und steckte seine Hände in die Taschen.
Jonas war zu überrascht, um darauf etwas zu erwidern. Außerdem hörte sich die Frage mehr rhetorisch an.
„Und vielleicht“, fuhr der Mann fort, „erinnern Sie sich noch an das kurze Erlebnis mit der Dose, die unter den Nadeln lag?“
„Wieso? Was hat das alles …?“, begann Jonas, verstummte aber wieder, weil er nicht weiterwusste. Allmählich fand er das Gespräch sehr merkwürdig. Er fühlte sich zunehmend unbehaglicher und verschränkte seine Arme.
Der Bärtige, dem das nicht entgangen war, versuchte, einen versöhnlichen Ton anzuschlagen: „Ich weiß, es kommt Ihnen alles etwas eigenartig vor, aber glauben Sie mir, was Ihnen begegnet ist, war notwendig.“
Und dann wandte er sein Gesicht Jonas ganz zu und sagte mit veränderter Stimme: „Ich habe Ihnen eine wichtige Mitteilung zu überbringen.“
Mit diesen Worten griff er in die Ledertasche und wollte etwas herausholen, als plötzlicher Hufschlag beide herumfahren ließ.
Keine zehn Meter von ihnen entfernt galoppierte ein Pferd auf sie zu. Eine Gestalt in einem hellen Mantel saß darauf. Sie hielt etwas Längliches in der linken Hand und mit der rechten versuchte sie das Pferd zu zügeln. Es kam schnaubend vor ihnen zum Stehen.
Sein Fell war feucht von Schweiß und dampfte.
Die Gestalt glitt herunter, warf die Zügel über den Rücken des Pferdes und neigte den Kopf vor Jonas. Als sie sich aufrichtete, fiel die Kapuze nach hinten, und man konnte sehen, dass sie eine Frau war. Ihr langes, braunes Haar war in der Mitte gescheitelt und fiel in Wellen herunter.
Sie nahm den Gegenstand in beide Hände und hielt ihn Jonas hin. Er sah ein Schwert mit Lederhülle; der Gürtel war um die Waffe gewickelt. Jonas schaute die Frau wortlos an und nahm das Schwert, das gar nicht so leicht war, ebenfalls in beide Hände.
Dann drehte die Dame sich um und sagte dem Bärtigen mit eindringlicher Stimme, er müsse mitkommen und es sei keine Zeit zu verlieren. Worauf sie, ohne seine Antwort abzuwarten, auf das Pferd stieg und der Fremde ebenfalls.
„Und was ist mit der Botschaft, die ich ihm übergeben sollte?“, fragte er, während das Pferd unruhig mit den Hufen stampfte.
Die Frau drehte sich noch einmal um und antwortete so laut, dass Jonas es hören konnte: „Er wird es selbst merken.“
Und dann schaute sie Jonas an und rief ihm zu: „Tu es für mich!“
Ohne auf ein Zeichen zu warten, setzte sich das Pferd in Bewegung und trabte los, bis es nicht mehr zu sehen war.
Jonas stand noch wie betäubt da, beide Hände ausgestreckt, auf denen das Schwert lag. Dann besann er sich, legte die Waffe auf den Boden, schüttelte den Kopf und murmelte: „Das ist das Verrückteste, was ich je erlebt habe.“
Inzwischen war es auf dem Berg dämmerig geworden. Die Umrisse der Hochebene bildeten eine gezackte Linie gegen den fahlen Himmel. Die blasse Scheibe des Mondes leuchtete schwach. Mit ungebrochener Energie brannte das Feuer, und der kalte Wind blies in die Flammen, die sich fauchend zurückwarfen.
Jonas saß auf einem Stein und hatte sich das Schwert auf die Knie gelegt. Er fand es erstaunlich, dass die Klinge nicht ebenmäßig und glatt war. Man konnte deutlich die Spuren des Hammers erkennen. Es muss zu einer Zeit gemacht worden sein, dachte er, als es noch keine Maschinen gab. Die Schneide wies einige Unregelmäßigkeiten und Scharten auf, doch rostig war sie nicht.
Immer noch rätselte Jonas über die Worte „Er wird es selbst merken“ und „Tu es für mich“ nach.
Was sollte er für sie tun?
Er merkte, dass es ihm gar nicht unangenehm war, etwas für diese Frau zu tun. Der kurze Moment, in dem sich ihre Augen getroffen hatten, war nicht ohne Wirkung geblieben und hatte ihn berührt. Obwohl ihr Gesicht keinem Schönheitsideal entsprach, war es trotzdem schön und anziehend gewesen.
Er stand auf, schnallte sich den Gürtel mit dem Schwert um die Hüften und ging auf und ab. Er war es von seinem Beruf her gewohnt, Maschinen zu bedienen, Kostenvoranschläge für seine Firma aufzustellen und Kunden zu beraten, aber mit einem solch alten, handgeschmiedeten Schwert umzugehen, das kam ihm sehr fremd vor.
Einem plötzlichen Impuls nachgebend zog er das Schwert und hielt es drohend gegen das Feuer gerichtet. Er ließ es ein paarmal über seinem Kopf kreisen, und da überfiel ihn jäh der Gedanke, dass man normalerweise ein Schwert benutzt, um zu kämpfen. Er erinnerte sich an sein Holzschwert, das er als kleiner Junge getragen hatte, und ein Gefühl von zurückhaltender Freude stieg in ihm auf und die Ahnung, dass irgendein entscheidender Kampf bevorstünde.
Er steckte das Schwert zurück in die Hülle und stellte sich mit dem Rücken zum Feuer, weil ihm kalt war.
Die ersten Sterne waren zu sehen.
„Aber gegen wen soll ich denn kämpfen?“, fragte er sich selbst halblaut. „Ich habe doch keine Feinde in dieser Gegend, und ich habe auch keine Lust, hier herumzuspringen und irgendwelche Leute mit diesem halb fertigen Eisenprügel anzugreifen.“
Er verschränkte die Arme und murmelte: „Was ich jetzt brauche, wäre etwas Warmes zum Essen.“ Er dachte an ein saftiges Stück Fleisch mit Bratkartoffeln und grünem Salat und schimpfte leise vor sich hin, weil es jetzt zu spät war, den Abstieg zu wagen. Er musste versuchen, die Nacht hier oben auf dem Berg zu verbringen, was ihn nicht gerade aufmunterte. Das Feuer würde gegen 1 oder 2 Uhr allmählich ausgehen, gerade dann, wenn die Kälte des neuen Tages in die Kleider kroch. Vielleicht würde es schneien; dann müsste er die Nacht auf und ab gehen, um nicht zu erfrieren.
Er stellte sich das plastisch vor: Er allein auf dem Berg, ein vorsintflutliches Schwert an der Seite, auf und ab gehend und leise vor sich hin schimpfend.
Er musste unwillkürlich auflachen.
Aber dann schlug seine Stimmung plötzlich um. „Warum bin ich nur auf diesen Berg gestiegen?“, presste er zwischen den Zähnen hervor.
Um sich abzureagieren und ein wenig Bewegung zu haben, zog er das Schwert und hieb so kräftig in die Luft, wie er nur konnte. Ich muss ja schließlich für den großen Kampf trainieren, dachte er bitter.
Es war genauso, wie er es sich vorgestellt hatte. Die Kälte und der scharfe Wind zwangen ihn, in Bewegung zu bleiben, und so ging er auf und ab wie ein Löwe im Käfig.