Die Hochzeitsreise - Charles de Coster - E-Book

Die Hochzeitsreise E-Book

Charles de Coster

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Beschreibung

Eine Geschichte von Liebe und Krieg. Die Serie "Meisterwerke der Literatur" beinhaltet die Klassiker der deutschen und weltweiten Literatur in einer Sammlung.

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Die Hochzeitsreise

Charles de Coster

Inhalt:

Charles De Coster – Biografie und Bibliografie

Die Hochzeitsreise

Vorwort

Erster Teil

Zweiter Teil

Dritter Teil

Die Hochzeitsreise, C. de Coster

Jazzybee Verlag Jürgen Beck

Loschberg 9

86450 Altenmünster

ISBN: 9783849609153

www.jazzybee-verlag.de

[email protected]

Frontcover: © Vladislav Gansovsky - Fotolia.com

Charles De Coster – Biografie und Bibliografie

Belg. Schriftsteller, geb. 20. Aug. 1827 in München, Sohn eines Hausbeamten des päpstlichen Nunzius, des Grafen Charles Mercy d'Argenteau, gest. 7. Mai 1879, studierte, nachdem er kurze Zeit Beamter gewesen war, die Rechte in Brüssel, bestand 1855 das Advokatenexamen und war zuletzt Lehrer der französischen Literatur an der Kriegsschule in Ixelles. Er schöpfte die Anregung zu dichterischem Schaffen mit Vorliebe aus dem Geistesleben des 16. Jahrh. Als Dichter trat er zuerst in der »Revue trimestrielle« als Erzähler des »Uylenspiegel« auf. Es folgten: »Légendes flamandes« (1856–57, 2. Aufl. 1861); »Contes brabançons« (1861), eine farbenreiche Schilderung des Volkslebens; »La légende de Tiel Uylenspiegel et de Lamme Goodzak« (1867, 2. Aufl. 1869), sein aus Komik und Tragik gemischtes, farbenprächtiges Meisterwerk, das zum Nationalroman Belgiens wurde; »Le voyage de noce« (1872) und das kleine Lustspiel »Jeanne« (1865). Nach seinem Tod erschienen: »Un voyage en Zélande« und »Le mariage de Toulet«. Eine Anzahl andrer Werke sind Manuskript geblieben. Ein Denkmal wurde ihm in Brüssel errichtet.

Die Hochzeitsreise

Vorwort

Der bis 1910 nur einem kleinen Kreise von Kennern bekannte Roman »Tyll Ulenspiegel« des Vlamen Charles de Coster (geb. in München 1827) ist durch meine Verdeutschung (bei E. Diederichs in Jena), der ein paar Konkurrenzausgaben nachgefolgt sind, zum Allgemeingut geworden und steht heute als klassisches Werk der Weltliteratur unter den nicht zahlreichen Schöpfungen, die das 19. Jahrhundert überdauern werden. Der Dichter hat diesen Weltruhm, den ihm Deutschland bescherte, nicht mehr erlebt; er ist 1879 in Brüssel im Elend gestorben. Literarische Pläne und Arbeiten beschäftigten ihn nach seinem großen Wurf (1867) zwar fortdauernd, zur Ausführung gelangten aber nur noch zwei Erzählungen, eine längere und eine kürzere, die in diesem Bande vereinigt sind: »Die Hochzeitsreise« und »Toulets Heirat«.

»Die Hochzeitsreise« erschien 1869 in Brüssel mit sieben Radierungen belgischer Künstler und 1870 in einer neuen Titelauflage ohne Bilder mit dem Untertitel »Eine Geschichte von Liebe und Krieg«. Beide Ausgaben sind heute auf dem Antiquariatsmarkte kaum mehr aufzutreiben. Die vorliegende Verdeutschung erfolgte nach dem Exemplar der 2. Ausgabe aus der Brüsseler Staatsbibliothek. Beiden Ausgaben blieb der ersehnte Erfolg versagt, und so gestaltete sich der Lebensabend des Dichters immer düsterer. Wer über de Costers Schicksal Näheres erfahren will, findet seinen Lebensabriß im Nachwort meiner Ulenspiegelausgabe. Nur auf eins möchte ich hier eingehen: das ist der schmerzvolle Aufschrei über die Not des verschämten Armen in Teil 2, Kap. 4, dieser Erzählung. Es ist ein ergreifendes Selbstbekenntnis dessen, der seinem Volke die »nationale Bibel« gespendet hatte und von diesem Volke ins Elend gestoßen ward.

»Arm sein, das heißt von jedermann und jederzeit ungestraft beschimpft, geschlagen, angegriffen, verunglimpft, geschmäht und verleumdet werden. Bleibt dem Armen etwas Stolz, und er sucht Arbeit, ohne sich zu erniedrigen, so macht man ihm ein Verbrechen aus dieser notwendigen Tugend, die man seinen Dünkel nennt. Liebt er weiße Wäsche und saubere Kleider, so sagt man von ihm, er solle lieber seinen Bäcker bezahlen, als so viel Geld für seine Wäsche ausgeben. Die Idioten, die über ihn herfallen, begreifen ja nicht, was dieser letzte Schein von Wohlstand bedeutet, der ihn noch von weitem mit der Welt der Glücklichen verbindet, aus der er so tief herabgesunken ist. Lebt er als Künstler oder Gelehrter von trockenem Brot und Wasser, um sein Werk zu vollenden, so sagen sie, er sollte sich lieber anwerben lassen und eine Flinte auf die Schulter nehmen. Du kannst dir gar nicht vorstellen, wie dumm und roh die Welt sich meist in das Leben derer mischt, die da leiden und nichts verlangen als Zeit, um sich aufzurichten. Sinken sie infolge von Mangel und fruchtlosen Kämpfen zu Boden wie Löwen, die vor Erschöpfung sterben und nicht mehr die Kraft zum Beißen haben, so kommen alle herbei und geben ihm den Eselsfußtritt.«

Obwohl in französischer Sprache geschrieben wie sein »Ulenspiegel«, ist auch dies Werk ganz unfranzösisch in seiner durchaus germanischen Liebesauffassung, ohne Süßlichkeit wie ohne Frivolität. De Coster selbst hatte eine ähnliche große Liebe durchlebt, nur mit traurigerem Schluß. Seine »Briefe an Elisa« sind das Bekenntnis dieser Liebe, über der noch der Schleier des Geheimnisses liegt. Wir wissen nur, daß ein »Opfer der Pflicht« den Herzensbund endgültig löste, nachdem er schon mehrfach zerrissen, aber immer wieder angeknüpft worden war. Diese Liebe hatte ihm die Dichterweihe gegeben, aber sie führte nicht zu dem Eheglück, das er in seiner Erzählung schildert. Erfüllung fand sein Liebestraum nur in seinem Werke. Was ihm selbst im Leben mißlungen, verwirklichte er an seinem jungen Paar. So leben seine Gestalten von seinem Herzblut.

»Die Hochzeitsreise«, deren irreführender Titel besser mit »Eine junge Ehe« zu fassen wäre (eine Hochzeitsreise findet gar nicht statt), läßt sich naturgemäß mit seinem Lebenswerk, dem »Tyll Ulenspiegel«, nicht vergleichen. Ein solches Werk steht nicht nur im Schaffen eines Einzelnen, sondern auch im ganzen belgischen Schrifttum einzig da. Wohl aber läßt auch sie die besonderen Vorzüge des Ulenspiegeldichters hervortreten. Eine feine, bald schalkhafte, bald wehmütige Lebensphilosophie, eine scharfe Beobachtungsgabe und eine starke satirische Ader, die sich besonders an dem alten Scheusal von Schwiegermutter, aber auch an der treuherzigen Folie ihrer plumpen Magd ausläßt, verbinden sich mit prachtvollen Naturschilderungen und unheimlicher Dramatik, wie sie besonders der starke Anfang der Erzählung zeigt. Der Schluß (Teil 3) ist zwar gleich stark dramatisch bewegt, nähert sich aber in seiner Technik den Abenteuerromanen der französischen Spätromantik (Dumas, Sue u.a.m.), worauf schon Tony Kellen im »Lit. Echo« vom 15.4.17 hingewiesen hat. Dort auch die Feststellung, daß die Szene, wo das junge Paar die Vorübergehenden auf der Landstraße beobachtet (Teil 2, Kap. II) »lebhaft an Belauschungsszenen erinnert, wie sie z.B. in den ›Mystères de Bruxelles‹, einem 1845 erschienenen Roman von Suau de Varennes, vorkommen«. Solche Rückfälle in den Zeitgeschmack sind in der Literaturgeschichte auch bei starken Begabungen keine Seltenheit. Erinnert sei nur daran, daß z.B. Beyle-Stendhals berühmter Roman »Rot und Schwarz« (Le Rouge et le Noir) nach einem dauernden, seiner Zeit (1831) weit vorauseilenden Aufgebot zergliedernder Psychologie, haarscharfer Gesellschaftskritik und naturalistischer Beobachtung zuletzt ganz in die Romantik des zeitgenössischen Abenteuerromans hinabgleitet, ohne daß der Autor sich dieses Stilbruchs bewußt wird, wie in Victor Hugos Romanen, in Balzacs jugendfrischem Naturalismus oder in Zolas »experimentellen« Romanen sich oft sogar ein kolportagemäßiger Einschlag zeigt, der sich nicht über die Dutzendwerke ihrer Zeit erhebt. Ob in solchen Fällen Konzessionen an den Zeitgeschmack der Wirkung zuliebe vorliegen, ob den Künstlern bisweilen der Atem ausgeht, oder schließlich, ob sie doch so sehr Kinder ihrer Zeit bleiben, daß sie hin und wieder in die Horizonte des Zeitgeschmacks zurückfallen – wer wollte es ergründen? Vielleicht kommt alles dreies in Anschlag. Für den rückschauenden Kritiker ergeben sich solche Erdenreste eines unbesiegten Zeitgeschmacks aus der verfeinerten Technik des modernen Romans ohne Mühe; den Künstlern selbst werden sie oft gar nicht bewußt. Bei de Coster werden sie zudem voll aufgewogen durch alles, was den Dichter des »Ulenspiegel« auszeichnet und ihm sein unnachahmliches Gepräge gibt.

 Der Mißerfolg der »Hochzeitsreise« – trotz gelegentlicher Anpassung an den Zeitgeschmack – entwaffnete de Coster nicht: er rang weiter gegen sein unverdientes Schicksal an. Auf Reisen nach Holland sammelte er Eindrücke für eine Reisebeschreibung, die er für eine Zeitschrift schreiben sollte: der Anfang erschien 1878, der zweite Teil erst nach seinem Tode. Das gleiche Los traf seine letzte Erzählung »Toulets Heirat«. Ein junger belgischer Offizier, Edouard Meurant, schlug ihm vor, eine alte Legende mit ihm zu gestalten. Der Dichter nahm das Angebot gern an, und so entstand diese Novelle, die, noch bei seinen Lebzeiten gedruckt, erst nach seinem tragischen Tode (1879) veröffentlicht wurde. Auch diese Legende verfiel der Vergessenheit und ist heute nur sehr schwer aufzufinden. Diese Verdeutschung, ebenfalls nach dem Exemplar einer Brüsseler Bibliothek, ist die erste in Deutschland. Wie weit die Mitarbeit des jungen Offiziers sich erstreckt, ist unbekannt: die Hand des Ulenspiegeldichters und des Schöpfers der »Vlämischen Legenden« ist jedenfalls deutlich zu spüren: in der halb humorvollen, halb schwermütigen Lebensbetrachtung und dem schlichten Legendenstil, in den derbkomischen Einlagen, die an alte niederländische Maler gemahnen, wie in der satirischen Ausmalung eines gehässigen Charakters. Auch als Altersnovelle macht »Toulets Heirat« ihrem Schöpfer alle Ehre.

Fr. v. O. Br.

1

»Mein Gott, Herr Doktor, ist sie wirklich tot?«

»Ja, Frau.«

»Man dürfte sie doch nicht lebendig in die Erde legen. Das Kind hat nicht so starke Nägel, um ein Loch in die Sargbretter zu kratzen.«

»Sie ist tot, wie Sie sehen, und schon starr.«

»Ja ... starr ... ja! Sie gehen, Herr Doktor? Ach, ist da wirklich nichts mehr zu machen?«

»Nichts, Frau, leben Sie wohl.«

»Gute Nacht, Herr Doktor. Siska, wir wollen dem Kinde sein weißes Kleid mit den roten Tupfen anziehen, das sie neulich beim Tanzen anhatte, ihre Seidenstrümpfe und Saffianschuhe. Geh doch und sage dem Herrn, der da unten so lärmt, es wäre kein Beefsteak da, aber er würde bald ein Kalbskotelett kriegen. Er soll sich gedulden; wir sind doch nur zwei, um das Haus zu versorgen. Sag ihm das. Geh und komm schnell zurück.«

Siska gehorchte und kam wieder.

»Wo ist das Kleid mit den Tupfen, Siska?«

»Hier, Frau, unter dem Schal.«

»Gib her. Sind noch weiße Hemden von dem Kind übrig?«

»Ja, Frau.«

»Hilf mir, wir wollen sie anziehen.«

»Ja, Frau.«

»Zieh ihr die Jacke aus. Ich werde sie halten. Sonderbar, sie ist nicht schwer. Sachte beim Ausziehen der Ärmel. So. Jetzt den Rock, dann ihr armes Hemd. Zieh ihr rasch das andre über, sie soll nicht solange nackt liegen. Weine nicht, Siska.«

»Ach, Frau, wie schade ist das! Ich habe noch nie ein so schönes und so gutes Mädchen gesehen. Sie hätte einen braven Mann recht glücklich gemacht.«

»Sollen wir ihr ein Häubchen aufsetzen, Siska? Sie mochte nie eins tragen. Jetzt ist's was andres: Die Würmer werden ihr nicht so schnell in den Kopf kommen. Und das rote Halstuch unters Kinn geknüpft. Es steht ihr so gut, das Tuch. Nun ihr Kleid. Wickle jedes Bein in die Rockfalten. Das Mieder werde ich ihr zuhaken. Siska, hast du Grietje die Augen geschlossen?«

»Nein, Frau.«

»Seltsam, schließen die Toten denn jetzt von selber die Augen?«

Die Frau, die so sprach, war eine Mutter, eine alte Mutter. Sie war bisher ruhig geblieben, aber nun brach sie plötzlich in Schluchzen aus. Dann beugte sie sich über das Bett und gab ihrer Tochter mit ihrem närrischen Mund tausend Küsse, prüfte mit Lippen, Blick und Nase ihren Hals, ihre Kehle, ihre linke Brust, in der Hoffnung, einen Atemzug aufzufangen, eine Bewegung der Augen, der Lippen, des Körpers zu erhaschen, einen Herzschlag von der zu hören, die auf dem Bette lag. Das währte lange.

Dann setzte sie sich verzweifelt auf einen Stuhl.

»Der Doktor hat recht,« sagte sie, »Grietje ist tot.«

Dann ergriff sie ihre Hand, ließ dicke Tränen langsam darauf tropfen und klopfte ihr mechanisch auf die Handfläche, wie einst, als ihre Tochter klein war und Nervenanfälle hatte.

2

Diese Szene fand in einem großen gotischen Haus in der St.-Peters-Straße zu Gent statt.

Der Doktor war eben gegangen. Er war einer jener dicken Menschen mit rotem Gesicht, die ihr Brot mit der Heilkunst verdienen, es aber als Schuhmacher nicht verdient hätten. Die vierzig Arten, gute Biersuppe zu machen, kannte er gründlich, aber seine Studien hatte er seit seinem letzten Examen eingestellt. Beobachten und Nachdenken war für ihn eine Ausnahme, Essen und Trinken die Regel. Man hielt ihn für einen Biedermann, weil er gleichgültig war, für klug, weil er wenig sprach, für einen ausgezeichneten Arzt, weil es ihm selber vorzüglich ging.

Die Frau, die mit ihm gesprochen hatte, war klein, alt und blond und trug, wie in vorweggenommener Trauer, ein dünnes schwarzes Wollkleid, das sich auf ihrer flachen Brust bauschte und auf ihrem mageren Rücken spannte. Der Gesichtsausdruck Roosjes – so hieß die Alte – gemahnte in ruhigem Zustand an den der Buschelster. In diesem Augenblick war ihr kleines, böses Gesicht nur vom Schmerz belebt.

Die Magd, der sie Aufträge gab, hatte ein plattes Gesicht, eine Stumpfnase, kleine, schwarze, tiefliegende Augen unter dichten Brauen, breite Schultern und rote, kaum ausgebildete Hände mit langen, mißgestalteten, stumpf auslaufenden Fingern. Durch schwere Feldarbeit hatte Siska Hüften wie ein Mann bekommen und ihr ganzes Wesen war noch schwerfälliger und einfältiger geworden. Sie ließ sich schwer in Wallung bringen, und doch hatte sie feuchte Augen, wenn sie Grietje ansah.

»Siska,« sagte die alte Roosje plötzlich in ruhigem Tone, »wir brauchen den Sarg heute noch nicht zu bestellen.«

Mit diesen entschiedenen Worten setzte sie sich an das Bett, sichtlich entschlossen, einen neuen Kampf mit dem Tod aufzunehmen, als wäre Grietje noch nicht in seinem Bann. Mit einer herausfordernden Gebärde, die dem Sensenmann galt, ergriff sie von neuem den Arm des jungen Mädchens, hob ihn auf und wollte ihn beugen – er bog sich nicht. Sie hob die Beine, eins nach dem andern, aber sie blieben steif und lagen ihr wie Blei in den Händen. Nun bekam sie Angst, richtige Angst; dennoch blickte sie ihre Tochter fest an, mit einem Blick wie Christus, da er den Lazarus erwecken wollte, einem Blick, in dem alles lag, was eine Menschenseele an Willen aufbieten kann. Das währte lange, aber nach und nach schwand die Kraft, der Wille, die Härte des Ausdrucks aus ihrem Gesicht; die Muskeln entspannten sich, die Augen wurden feucht, die Lippen zuckten und die alte Roosje warf sich auf ihr Kind.

3

Über eine Stunde weinte Roosje jene Tränen, die den Körper krümmen, schütteln und beben lassen, wie der Sturmwind mit seinen Flügelschlägen die einzelnen Bäume auf den weiten Ebenen beugt und krümmt.

Sie liebte ihre Tochter mit eifersüchtiger Liebe, aber ihr Herz schlug fast ebenso lebhaft für ihre Geldtruhe, die am Fußboden ihres Schlafzimmers angeschraubt war. Bisweilen hatte sie diesem andern Gegenstand ihrer Zuneigung ein, zwei Goldstücke entrissen, um ein Kleid für Grietje zu kaufen.

Dann hatte sie, zärtlich und brummig zugleich, zu ihrer Tochter gesagt: »Geh und hole mir den Kaufmann. Er soll kommen und uns die neuen Stoffe zeigen; du sollst bei der nächsten Kirmeß schöner sein als die anderen.«

Grietje gehorchte freudig. Der Kaufmann kam. Roosje erbebte, wenn sie ihn nur eintreten sah. Er war für sie ein Räuber mit einem Messer in der Hand; sie erlaubte ihm, ihr ein Stück Fleisch abzuschneiden. Er legte die Stoffe vor; Roosje brauchte eine Stunde, um ihre Wahl zu treffen und sich über den Preis zu einigen, den sie mürrisch bezahlte. War der Kaufmann fort, so beruhigte sie sich wieder und hielt, so gut sie konnte, die kalten Tränen zurück, die sonst auf den Stoff hätten fallen und ihn verderben können.

Dann sagte sie zu Grietje: »Komm her, mein Lamm.« Sie legte den Stoff um den Rücken ihrer Tochter, streichelte ihn, raffte ihn in der Sonne und im Schatten und begann ihn zu lieben, weil er ihrer Tochter Freude machte, und auch, weil er Grietjes wirkliche Schönheit zur Geltung brachte. Ebenso ging es mit den feinen Baumwollstrümpfen, die sie ihr kaufte und ihr selbst anziehen wollte, wobei sie die Schönheit ihrer Beine lobte; ebenso mit Grietjes Kopfputz, einem großen, weißen Kaschmirtuch mit hellblauen, von gelber Seide durchwirkten Palmenmustern.

Bei jedem neuen Opfer sagte sie zu ihr: »Du wärest nichtswürdig, wenn du mich nicht liebst. Ich zapfe mir Blut ab, um dich schön zu machen. Küsse mich.

Grietje gab ihrer Mutter einen langen Kuß. Sie liebte sie, war aber spröde und wenig für äußere Kundgebungen. Allzu lebhafte, ausgedrückte Leidenschaften, wie rein sie auch sein mögen, erschrecken die Kinder.

Nach solchen kurzen Augenblicken der Zärtlichkeit ging Roosje wieder an ihren Zahltisch, in ihren Keller oder in ihre Küche, tat Spiritus, Zucker und gekochtes Wasser in ihren Wein, beschnitt die Ränder der Fleischstücke im Speiseschrank, um das Fleisch für die Frikandellen zu erübrigen, und schickte sich an, die Bauern zu schröpfen und die Reisenden auszusaugen: sie schenkte das Bier rasch ein, damit es kräftig schäumte, tat Kokkelskörner und Strychnin hinein, damit es bitter war und den Durst reizte, trocknete die Schnapsgläser nicht aus, so daß stets ein Drittel Wasser oder mehr zurückblieb und sie auf neun Flaschen eine ersparte. Durch solche unlauteren Machenschaften gewann sie so viel frisches Blut, daß sie sich, ohne zu sterben, wieder zur Ader lassen und ihre Tochter von neuem beschenken konnte. So war Roosje gut und edel in ihrer Liebe, selbstsüchtig und schlecht in ihrem schmutzigen Geiz. Darum liebte sie ihre Tochter auch so, und darum hatte sie, schluchzend und gebrochen, Grietje mit ihren Tränen benetzt und die Zähne in ihre Stirn, ihre Wangen und ihren Nacken gedrückt.

4

Besorgt richtete sie sich auf und sagte zu Siska: »Du hast doch nicht das Wirtshaus geschlossen?«

»Aber ... doch ... Frau.«

»Wie? Weil der liebe Gott mich in meinem Kinde geschlagen hat, brauchst du mich doch nicht zu hindern, meinen Unterhalt zu verdienen. Geh runter, öffne und sage, ich käme gleich.«

»Jawohl, Baasin,« antwortete Siska und ging gehorsam hinunter.

Roosje horchte aufmerksam, was ihre Magd tat. Sie hörte, wie die Fensterläden aufgingen und gegen die Wand schlugen; wie ein Bauer in die Wirtsstube trat und ein Glas Wacholder verlangte, ein anderer eine Pintje Bier, dann ein dritter, ein vierter und so weiter allerlei Leute, die, je nach Hunger oder Durst, einen Speckeierkuchen, ein Kotelett, Bier oder Schnäpse bestellten.

An dem ungeduldigen Ton von Siskas Stimme merkte Roosje, daß die Magd den Kopf verloren hatte und somit im Begriff war, gegen den Vorteil der Wirtschaft zu handeln, das heißt zu viel Speck in die Eierkuchen zu tun, die Biergläser zu voll zu schenken, die Schnäpsgläser zu gewissenhaft zu reinigen und die Pumpe, die das Bier aus einem großen Faß Uitzet im Keller emporhob, unbeaufsichtigt zu lassen.

Die Bauern strömten in die Wirtschaft, um die Nacht dort zu verbringen. Roosje hörte, wie Siska sie, einen nach dem andern, in alle Stuben und alle Stockwerke bis unter das Dach führte. Sie lächelte. Siska kam an ihr vorbei; sie hielt sie an und fragte sie, ob alle besetzt wären.

»Alle außer dieser,« antwortete Siska und ging eilig hinunter.

Roosje horchte weiter und hörte sie sagen: »Glauben Sie etwa, ich könnte Sie hier bedienen und zugleich unten einen Eierkuchen für Sie machen?«

»Gehen wir wo anders hin,« lautete die Antwort.

Das wiederholte sich dreimal mit drei verschiedenen Leuten. Dreimal klang an Roosjes Ohren das schreckliche Wort »wo anders.«

Ein seltsamer Kampf fand in ihrer Seele statt: die liebende Mutter wollte bei der Leiche ihrer Tochter bleiben; die Geizige mit den Krallenfingern wollte hinuntergehen und Geld verdienen. Roosje hüpfte in ihrem Stuhl.

Bei jedem ungeduldigen Wort, jeder Ungeschicklichkeit Siskas stand sie auf und setzte sich wieder, ging an die Tür, um zu horchen, kehrte zurück, um die Stirn ihrer Tochter oder ihre bleichen Wangen zu küssen, horchte von neuem und setzte sich abermals, um über Grietjes Antlitz zu weinen und zu schluchzen.

Unterdessen gingen die Stammgäste, die Siska schlecht bediente oder ganz vergaß, einer nach dem andern fort und sagten: »Gehen wir wo anders hin.« Ein bewegliches Bleigewicht schloß die Tür hinter den Gehenden und Kommenden. Jedesmal, wenn ein Gast die Tür öffnete, um zu gehen, schlug das Blei mit Gewalt gegen den Türrahmen und die Füllung, und jedesmal fuhr Roosje zusammen, als hätte sie einen Faustschlag aufs Herz bekommen.

Schließlich hielt sie es nicht mehr aus, stand wirklich auf, bedeckte das Gesicht ihrer Tochter mit dem Bettlaken und ging hinunter, die Augen voller Tränen und die Kehle voller Schluchzen, aber fest entschlossen, all das schöne Geld, das ihr zu entgehen drohte, festzuhalten.

Die Bauern begrüßten ihr Erscheinen mit Hurrageschrei und Beifall. Mehrere, die schon die Hand an der Türklinke hatten, um fortzugehen, kehrten zurück.

Vriendjes,« fragte Roosje, »was wollt ihr haben?«

»Butterbrot mit Käse, Schinken, Eierkuchen, Ballekes, ein Kotelett, Gerstenbier, Uitzet, Absinth, einen Bittern, Punsch!« schrien sie alle durcheinander.

Roosje versuchte zu scherzen, um Zeit zu gewinnen: »Trinkt, eh ihr eßt, das reizt die Eßlust. Wer bekommt Absinth? Wer Punsch? Den Bittern? Uitzet? Gerstenbier?«

»Hier. Mir den Punsch, Wacholder, Gerstenbier, Uitzet und so weiter!« riefen die Bauern.

»Hilf mir, Siska!« sagte Roosje, »und spute dich!«

Siska, die in Roosjes Abwesenheit den Kopf verloren hatte, fand sich sofort wieder, als Roosje eintrat, und bediente die Bauern ordnungsgemäß und schnell. Nach Verlauf einer Stunde hatten alle getrunken, gegessen und bezahlt.

Wiewohl mit dem Einnehmen und Herausgeben des Geldes vollauf beschäftigt, verschwand Roosje oft, um hinaufzugehen und Grietje zu küssen, dann ging sie wieder hinunter, die Kehle voll Schluchzen, und bediente schweigend ihre Gäste. Es wurde Abend.

5

Allmählich leerte sich die Gaststube. Roosje kehrte zu ihrer Tochter zurück. Ein junger Mann betrat das Wirtshaus und sagte zu Siska, die am Zahltisch geblieben war: »Ich möchte hier übernachten, führen Sie mich in mein Zimmer.«

»Es ist keins mehr frei,« antwortete die dicke Magd traurig.

Roosje hatte nicht aufgehört, auf alles, was im Erdgeschoß vorging, zu horchen. Im selben Augenblick kam sie, vier Stufen auf einmal nehmend, die Treppe herunter und sagte: »Du bist dumm und weißt nicht, was du tust.«

»Aber, Frau, es ist doch nur noch das Zimmer da, wo ...«

»Schweig!«

Der Ankömmling blickte die beiden Frauen abwechselnd an. Er hatte einen aufmerksamen, guten und sicheren Ausdruck, der sofort für ihn einnahm. Er war ziemlich mager, über mittelgroß, mit starker Brust, breiten Schultern und schlanken Hüften; seine Stirn war hoch, die Nasenflügel weit geöffnet, der Mund fein, ziemlich groß, von einem leichten braunen Schnurrbart beschattet, das Kinn kräftig und wohlgeformt, sein Lächeln sanft und fröhlich. Alles verriet die Kraft und Biegsamkeit des Körpers, die Klarheit, Schärfe und Ehrlichkeit des Geistes.

Mit ruhiger, vielleicht etwas gebieterischer Gebärde winkte er Roosje herbei, die vor ihn trat, bestellte ein Glas Bier und zog seinen Geldbeutel, um es zu bezahlen. Dabei zeigte er ihren gierigen Augen Silber, Gold und Banknoten.

»Frau,« sagte er, »haben Sie wirklich kein Zimmer frei?«

»Herr,« antwortete Roosje, etwas beschämt vor Siska, »wir haben noch eins mit zwei Betten, aber in dem einen schläft jemand.«

»Dann werde ich anderswo einkehren,« sagte der junge Mann und stand auf.

»Anderswo, nein, mein Herr!« rief Roosje und nötigte ihn, wieder Platz zu nehmen. Dann wies sie zur Decke: »Die dort liegt, wird Sie nicht im Schlafe stören.«

Und Roosje weinte still.

Der junge Mann ergriff die Hand der Alten, eine fiebernde Hand, die zuckend in der seinen lag. Er blickte Roosje mit dem herzlichen, ehrerbietigen Mitleid an, das man vor dem Leid des Alters empfindet, sah ihre rotgeweinten Augen, die stumme Verzweiflung, die mit tiefen Furchen in dies verfallene Gesicht eingegraben war, sah ihre zitternden, verzerrten Lippen. Er dachte an die Worte: »Die dort liegt, wird Sie nicht im Schlafe stören,« und begriff, daß diese Frau etwas Unersetzliches verloren hatte, zweifellos eine Tochter, und daß ihr folglich nichts übrig blieb als Lästerung, Wahnsinn oder bleiche Ergebung.

Der Ankömmling war jung, und die Jugend wirkt in ihren Lebensfaden gern die goldnen Maschen der Hoffnung ein.

Er war nicht überzeugt und wollte es nicht sein, daß die, die dort lag, ihn nicht im Schlafe stören könnte. Er sagte zu Roosje: »Zeigen Sie mir das Zimmer, von dem Sie sprechen.«

Roosje zündete eine kleine Lampe an.

»Kommen Sie,« sagte sie, indem sie vorausging und die ersten Stufen der Wendeltreppe hinaufstieg.

Die Lampe verbreitete gerade so viel Licht, daß er auf dem rötlichen, rauchigen Grunde den mageren Schattenriß der Alten erkannte, die bisweilen, von Schluchzen erstickt, stehen blieb und mit schweren Schritten hinaufstieg.

Sie kamen auf den Flur. Zwischen den Pfosten und der Füllung einer schmalen, niedrigen, alten Eichenholztür drang ein Lichtstrahl hervor. Roosje stieß sie auf.

6

Roosjes Gast trat ein. Er sah sich in einem großen Zimmer mit hoher Decke, die auf gekreuzten Balken ruhte und aus dem 14. Jahrhundert stammte. Die hohen Fensternischen durchbrachen eine vier Fuß dicke Mauer; die zu beiden Seiten aufgemauerten Fenstersitze erinnerten an die schlichten Sitten jener fernen, von Poesie verklärten Zeiten. Es fehlten die Bänke, die früher rings um den Saal liefen, und die Truhen, die zugleich als Sitze und Reisekoffer dienten und den ganzen Reichtum der Familie bargen. Die naiven Skulpturen an den hohen Pfosten des breiten Kamins verschwanden fast unter den zahllosen Tüncheschichten, mit denen unbewußte Vandalen sie seit vier Jahrhunderten immer wieder bedeckt hatten.

Draußen schien der Mond, die Fenster waren ohne Vorhänge. Den Ersatz bildeten die Stämme und Äste entblätterter Linden, die sich schwarz vom blauen, tiefgestirnten Himmel abhoben, aber dem hellen Mond nicht verwehren konnten, den rauhen Fußboden des Zimmers mit lichtem Geäder zu sprenkeln.

Zwei Betten standen darin, das eine am Fenster, das andre bei der Tür und ohne Vorhänge. Am Kopfende dieses Bettes stand ein Tisch und auf ihm ein Kasten, der mit einem Tuche bedeckt war und ein großes Kruzifix aus Mahagoni trug; der Christus und der Totenschädel waren aus Buchsbaumholz geschnitzt. Zwei dicke gelbe Kerzen brannten in hohen Holzleuchtern und beschienen das Bett, auf dem eine völlig angekleidete weibliche Gestalt unter den schweren Falten eines groben Bettlakens den letzten Schlaf zu schlafen schien. Auf dem Stück des Lakens, das die Brust bedeckte, lag ein verdorrter Buchsbaumzweig mit verhärteten Blättern. Das schräge Kerzenlicht warf lange Schatten und ließ die Gegenstände scharf hervortreten. Der Ankömmling bat Roosje mit einer Gebärde um Erlaubnis, das Bettuch zu lüften, mit dem Grietje bedeckt war.

»Ja, ja,« sagte Roosje, »nehmen Sie das Tuch fort, dann wird sie weniger tot aussehen.«

Langsam nahm er das Laken ab, mit jener taktvollen Sanftheit, die man Toten gegenüber hat, als fürchte man, ihnen wehe zu tun. Nach und nach erblickte er ein weißes Häubchen, das eine niedrige, kluge Stirn umschloß, schwarze, schön geschwungene Brauen, Lider mit langen Wimpern, eine gerade Nase, die sich zwischen den Brauen und über den großen, durchsichtigen Nasenflügeln rundete. Der Abstand vom Mund war klein. Die vollen, etwas großen, aber feingeschwungenen Lippen stellten das dar, was die Alten den Bogen Amors nannten. Das Gesicht war bräunlich getönt und hatte edle, stark ausgeprägte Züge, die einen sanften, entschlossenen, geduldigen, schlichten und naiven Charakter verrieten. Kleine, feste, runde Brüste hoben sich unter dem Musselinmieder ab. An den Füßen trug sie feine weiße Strümpfe und Ballschuhe aus Goldkäferleder.

»Sehen Sie, Herr,« sagte Roosje, »sehen Sie meinen schönen Schatz, der morgen in die Erde muß. Sehen Sie ...«

Doch der Schmerz erstickte sie; sie barg ihren Kopf in der Schürze, aus der ihre Klagelaute unwillkürlich wie ein Röcheln hervordrangen. Dann wieder fielen ihre Arme am Körper herab und die Schürze, die mit ihnen herabfiel, enthüllte ihr fieberheißes Gesicht und die großen starren Augen, aus denen stille Tränen rannen.

Paul Goethals – so hieß der Ankömmling – glaubte Grietjes Leiche wieder bedecken zu sollen.

Roosje ließ es nicht zu; sie riß das Tuch wütend fort, soweit sie konnte, und richtete sich drohend auf: »Wer hat Ihnen gesagt,« schrie sie, »daß Sie sie vor mir verbergen sollen? Wenn's mir gefällt, das Tuch wegzunehmen, werden Sie mich wohl nicht hindern, meine Tochter anzusehen? Ich will sie sehen, sehen, bis sie fort muß! Die Polizei wird mir's nicht verbieten, denke ich.«

Dann wies sie auf das Gesicht ihrer Tochter, nahm ihr behutsam die Haube ab und strich eine Flut brauner Haare zurück, die in dem Lichtschein rötlich schimmerten.

»Welches Mädchen in Gent,« sagte sie mit zunehmender Rührung, »hat solches Haar, eine so glatte Stirn und einen so festen Geist unter diesem Marmor! Arme Grietje! Und die schönen großen Augen, die ihre arme alte Mutter so gut und so schalkhaft anblickten! Du warst ein verzogenes Kind, nicht wahr, Grietje? – Wirst du mich nie mehr umarmen, mein Kind, mein Kind, mein Kind?« – Roosje heulte und warf sich zurück. – »Nie mehr, Grietje!« Und sie rief sie: »Grietje! Du mußt zurückkehren. Grietje, ich bin ganz allein! Grietje!«

Aber die auf dem Bett Liegende blieb unbeweglich.

»Ja, ja,« sagte Roosje wie eine Irre, die mit jemandem redet, der nicht da ist, »ja, ja, mein Mann ist vorausgegangen, um im Reiche der Würmer Quartier zu machen. Sie ist unverheiratet gestorben und hat mir nichts hinterlassen, was ich nach ihr lieben könnte. Und doch hätte meine Brust und mein Blut einem Kinde Milch gegeben, stärker als Wein. Und dies Bein – gibt es in Gent ein Mädchen, das dergleichen zu zeigen hätte? Das war gemacht wie die Standbilder, und das muß unter die Erde, und das häßliche Gelichter bleibt droben. Sagen Sie doch,« wandte sie sich wieder an ihren neuen Gast, »Sie mögen ja ein sehr feiner Herr sein, aber hätten Sie nicht solch ein Mädchen als Dame in Ihrem Hause haben mögen?«

»Das will ich meinen,« antwortete er.

»Ja,« sagte Roosje, »aber Sie hätten sie nicht gekriegt.«

Und sie streichelte sanft die Haare und das Gesicht ihrer Tochter.

Roosjes Gast blickte Grietje unablässig an, mit der gespannten Aufmerksamkeit eines Beobachters, der an die Wirklichkeit dessen, was er vor Augen hat, nicht zu glauben scheint.

Sie sah, wie er aufstand, einen Spiegel nahm, ihn dicht vor Grietjes Mund hielt, ihren Puls fühlte, seine Hand unter ihre linke Brust legte, auf den Handrücken klopfte und horchte.

»Was tun Sie da, und wer sind Sie?« sagte sie mit unbestimmter Hoffnung.

»Ich bin Arzt,« antwortete er.