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Mit seinen volkstümlichen Erzählungen hatte der Autor großen Erfolg. Nach fast zehnjähriger intensiver Arbeit, für die er seine Stellung bei den belgischen Staatsarchiven aufgab, gelang es De Coster, mit seiner Übertragung der Abenteuer Till Eulenspiegels in die Zeit des Achtzigjährigen Krieges den großen flämischen Malern ein ebenbürtiges literarisches Werk gegenüberzustellen.
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Seitenzahl: 837
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Die Mär von Ulenspiegel
Charles de Coster
Inhalt:
Charles De Coster – Biografie und Bibliografie
Die Mär von Ulenspiegel
Vorwort der Eule
Erstes Buch
Zweites Buch
Drittes Buch
Viertes Buch
Fünftes Buch
Die Mär von Ulenspiegel , C. de Coster
Jazzybee Verlag Jürgen Beck
Loschberg 9
86450 Altenmünster
ISBN: 9783849609177
www.jazzybee-verlag.de
Frontcover: © Vladislav Gansovsky - Fotolia.com
Belg. Schriftsteller, geb. 20. Aug. 1827 in München, Sohn eines Hausbeamten des päpstlichen Nunzius, des Grafen Charles Mercy d'Argenteau, gest. 7. Mai 1879, studierte, nachdem er kurze Zeit Beamter gewesen war, die Rechte in Brüssel, bestand 1855 das Advokatenexamen und war zuletzt Lehrer der französischen Literatur an der Kriegsschule in Ixelles. Er schöpfte die Anregung zu dichterischem Schaffen mit Vorliebe aus dem Geistesleben des 16. Jahrh. Als Dichter trat er zuerst in der »Revue trimestrielle« als Erzähler des »Uylenspiegel« auf. Es folgten: »Légendes flamandes« (1856–57, 2. Aufl. 1861); »Contes brabançons« (1861), eine farbenreiche Schilderung des Volkslebens; »La légende de Tiel Uylenspiegel et de Lamme Goodzak« (1867, 2. Aufl. 1869), sein aus Komik und Tragik gemischtes, farbenprächtiges Meisterwerk, das zum Nationalroman Belgiens wurde; »Le voyage de noce« (1872) und das kleine Lustspiel »Jeanne« (1865). Nach seinem Tod erschienen: »Un voyage en Zélande« und »Le mariage de Toulet«. Eine Anzahl andrer Werke sind Manuskript geblieben. Ein Denkmal wurde ihm in Brüssel errichtet.
Meine Herren Künstler, meine hochgeschätzten Herren Verleger und Sie, verehrtester Dichter! Ich habe Ihnen anläßlich Ihrer ersten Ausgabe dieses Buches einige Bemerkungen zu machen.
Wie? In diesem großen Buch, das in seinem Umfang einem Elefanten gleicht und das berühmt zu werden ihr, achtzehn Männer, euch zur Aufgabe gemacht habt, habt ihr auch nicht das kleinste Plätzchen für den Vogel der Minerva gefunden, für die weise, die kluge Eule? In Deutschland und in ebendiesem Flandern, das ihr so sehr liebt, reise ich ohn' Unterlaß auf Ulenspiegels Schulter, weshalb er auch so genannt wird, denn sein Name besagt: Eule und Spiegel, Weisheit und Possenspielerei, »Uyl en Spiegel«. Die Leute von Damme, dem Ort, an dem er, wie man sagt, geboren worden ist, sprechen seinen Namen »Ulenspiegel« aus, indem sie aus Bequemlichkeit U für Uy lesen. Aber das ist nur deren Sache.
Ihr habt euch eine andere Auffassung zurechtgelegt: Ulen für »Ulieden Spiegel« – Euer Spiegel – ihr Bauern und Edelleute, Herren und Herrinnen, der Spiegel der Gemeinheiten, Lächerlichkeiten und Verbrechen einer historischen Epoche. Das ist sinnig, aber unvernünftig. Man soll die Tradition nicht verletzen.
Vielleicht habt ihr den Einfall bizarr gefunden, die Weisheit durch einen Vogel zu symbolisieren, der, eurer Ansicht nach, ebenso traurig wie grotesk ist, durch einen Pedanten mit Brillengläsern, einen Jahrmarktskomödianten, einen Freund der Finsternis, der lautlosen Fluges daherkommt wie der Tod, daß man ihn nicht höre?
Dennoch gleicht ihr mir, ihr falschen Ehrenmänner, die ihr mich verlacht. Gedenket eurer Nächte, da das Blut unter mörderischen Schlägen rieselt und der Tod auf Filzschuhen daherschleicht, daß man ihn auch nicht kommen höre! Hat in der gesamten Geschichte eures Lebens sich ein einziges Morgenrot erhoben, dessen fahler Schein nicht Leichen von Männern, Frauen und Kindern beleuchtet hätte, die das Pflaster eurer Straßen bedeckten? Von was lebt eure Politik, seit ihr über die Erde herrscht? Vom Henken und Schlachten.
Ich, die Eule, die häßliche Eule, ich töte nur, um mich und meine Kinder zu ernähren, nicht, um nur zu töten. Wenn ihr mir etwa vorwerft, daß ich ein Nest voll kleiner Vögel verschlinge, könnte ich euch dann nicht aus dem Gemetzel einen Vorwurf machen, das ihr unter allem anrichtet, was da atmet?
Ihr habt Bücher geschrieben, worin ihr mit dem Ausdruck der Rührung von der Anmut der Vögel, von ihrem Liebesleben, ihrer Schönheit, von der Kunstfertigkeit ihres Nestbaus und der Sorgfalt der Mutterliebe sprecht, aber gleich darauf sagt ihr, mit welcher Soße sie am besten zu servieren sind und zu welcher Jahreszeit sie das fetteste Frikassee abgeben.
Ich schreibe keine Bücher, ich, die Eule, Gott beschütze mich davor, denn ich müßte schreiben, daß, wenn ihr den Vogel nicht essen könnt, ihr wenigstens sein Nest esset, aus Furcht, es könnte euch ein Bissen entgehen.
Nun zu dir, leichtfertiger Dichter, du hättest allen Grund gehabt, mir in deinem Werk wieder zu Ansehen zu verhelfen, da zumindest zwanzig seiner Kapitel von mir stammen, die übrigen lasse ich dir alle. Es ist schon etwas wert, unumschränkter Herrscher über alle Gemeinheiten zu sein, die gedruckt werden.
Dichter, der du so laut schreist, du schlägst zu Unrecht und ohne Besinnen auf jene ein, die du die Henker deines Vaterlandes nennst, auf Karl V. und Philipp II., die du an den Schandpfahl der Geschichte stellst. Du bist keine Eule, bist nicht klug. Weißt du denn, ob auf dieser Welt nicht noch ein Karl V. oder Philipp II. existiert? Fürchtest du nicht, daß aufmerksame Zensoren in dem Bauch deines Elefanten nach Anspielungen auf hochedle Zeitgenossen fahnden könnten? Was lassest du sie nicht in ihren Gräbern schlafen, diesen Kaiser und diesen König? Warum hast du solche Majestäten gelästert? Wer Schläge sucht, wird unter ihnen fallen.
Es gibt Leute, die dich nicht entschuldigen werden, und ich entschuldige dich gewiß nicht, denn du störst meine bürgerliche Verdauung. Was soll's mit dieser immerwährenden Gegenüberstellung eines verhaßten Königs, der schon in seiner Kindheit grausam war – deswegen ist er ja ein Mensch –, und des flämischen Volkes, das du als heldenmütig, frohsinnig, ehrenhaft und arbeitsam ausgeben willst? Wer sagt dir, daß dieses Volk gut und daß dieser König schlecht war? Ich könnte dich klüglich vom Gegenteil überzeugen.
Deine Hauptpersonen sind, keine einzige ausgenommen, Dummköpfe oder Narren: dein Possenspieler Ulenspiegel führt die Waffen zur Befreiung des Gewissens, sein Vater Claes stirbt freudig den Flammentod, um seine religiösen Überzeugungen zu behaupten, seine Mutter Soetkin opfert sich und stirbt an den Folgen der Tortur, die sie über sich ergehen läßt, um ihrem Sohn das Vatererbe zu bewahren, dein Lamme Goedzak wandelt so gerade seinen Lebensweg, als dürfte man auf dieser Welt nur gut und anständig sein, deine kleine Nele, die in der Tat sehr gut ist, liebt nur einen Mann in ihrem Leben ... Wo gibt's das noch? Brächtest du mich nicht zum Lachen, ich würde dich bedauern.
Jedoch muß ich zugeben, daß sich neben diesen grotesken Figuren auch welche finden, die ich gerne zu meinen Freunden zählen wollte: deine spanischen Haudegen, deine Mönche, die das Volk ins Feuer werfen, deine Gilline, die Spionin der Inquisition, dein geiziger Fischhändler, Denunziant und Werwolf in einer Person, dein Edelmann, der nachts den Teufel macht, um ein paar einfältige Mädchen zu verführen, und allen voran dieser weise Philipp II., der, wenn er Geld braucht, die Heiligenbilder in den Kirchen zertrümmern läßt, um eine Volkserhebung zu bestrafen, deren kluger Anstifter er selbst war! Es ist nicht übel, die zu beerben, die man getötet hat.
Aber ich glaube, ich rede da ins Leere. Du weißt vielleicht nicht, was eine Eule ist, ich will dich darüber belehren:
Eine Eule, das ist ein Geschöpf, das insgeheim Beschuldigungen über die Leute verbreitet, die ihm lästig sind, und das, wenn man es für seine Worte zur Rechenschaft zieht, vorsichtig ausruft: »Ich behaupte nichts. Man hat mir gesagt ...« Es weiß sehr wohl, daß Man unauffindbar ist.
Eine Eule ist ein Geschöpf, das sich in den Schoß einer ehrenhaften Familie einnistet, sich als Freier ausgibt, ein junges Mädchen bloßstellt, Geld borgt, hie und da seine Schulden bezahlt und sich davonmacht, wenn nichts mehr zu holen ist.
Eine Eule ist der Politiker, der sich der Freiheit, der Treue, der Liebe und der Humanität als einer Maske bedient und im gegebenen Moment ohne viel Federlesens einen Menschen oder eine ganze Nation mit größter Ruhe erwürgt.
Eine Eule ist ein Kaufmann, der seine Weine und Lebensmittel verfälscht, der Verdauungsstörungen statt nahrhafter Genüsse und Schrecken statt Frohsinn unter die Leute bringt.
Eine Eule ist, wer geschickt stiehlt, ohne daß man ihn am Kragen fassen kann, wer der Lüge gegen die Wahrheit das Wort redet, Witwen ruiniert, Waisen beraubt und im Fett triumphiert wie andere im Blut.
Eine »Eulin« ist die, welche ihre Reize verhandelt, die Herzen der edelsten jungen Männer verdirbt, indem sie vorgibt, sie zu bilden, und sie dann ohne einen Sou in dem Dreck steckenläßt, in den sie sie hineingezogen hat. Wenn sie hin und wieder traurig ist, sich erinnert, daß sie ein Weib ist und Mutter sein könnte, so verleugne ich sie. Wenn sie, dieses Daseins müde, sich ins Wasser stürzt, dann ist sie eine Närrin und unwert zu leben.
Schau um dich, Dichter aus der Provinz, und zähle, wenn du kannst, die Eulen in dieser Welt, überlege, ob es klug ist, die Macht und die List, diese Königinnen unter den Eulinnen, anzugreifen, wie du tust. Geh in dich, sag dein »Mea culpa« her und erflehe dir auf den Knien Verzeihung.
Trotz allem interessierst du mich durch deine zutrauliche Unbesonnenheit, deshalb sage ich dir, trotz meiner bekannten Gewohnheiten, voraus, daß ich es unverzüglich meinen Vettern von der Literatur hinterbringen werde, welch rauhen und ungebärdigen Tones deine Schreibweise ist, sie haben treffliche Federn, Schnäbel und Augen, sind kluge und genaue Menschen, die sich darauf verstehen, in liebenswürdigster Form und nach allen Regeln der Kunst, mit viel Gaze und Dessous, jungen Leuten Liebesgeschichten zu erzählen, die nicht gerade nur von Cythere kommen, und gestalten, ohne daß man's gewahr wird, in einer Stunde die tückischste Agnès.
Oh, verwegener Dichter, der du Rabelais und die alten Meister so sehr liebst! Diese Leute haben dir gegenüber den Vorteil, daß sie die französische Sprache verschwinden machen werden, weil sie ihr so glänzenden Schliff geben.
Zu Damme in Flandern, als der Mai die Blüten des Hagedorns entfaltete, wurde Ulenspiegel, der Sohn des Claes, geboren. Die Gevatterin, eine weise Frau namens Katheline, hüllte ihn in warme Windeln, besah seinen Kopf und zeigte auf ein Haarbüschel. »Behaart! Er ist unter einem guten Stern geboren!« rief sie freudig aus. Aber gleich darauf klagte sie und wies auf einen kleinen schwarzen Punkt auf der Schulter des Kindes: »Ach«, heulte sie, »das ist das schwarze Stigma der Klaue des Teufels!« Da antwortete Claes: »Sollte der Herr Satan schon so früh aufgestanden sein, daß er Zeit hatte, meinen Sohn zu zeichnen?« »Er hat sich gar nicht niedergelegt«, sagte Katheline, »denn Chanteclair weckt eben die Hennen.« Und sie ging hinaus, nachdem sie das Kind in Claesens Arme gelegt hatte. Nun zerriß das Morgenrot die nächtlichen Wolken, die Schwalben schossen schreiend über die Felder dahin, und die Sonne zeigte ihr purpurn strahlendes Antlitz am Horizont. Claes öffnete das Fenster und sprach zu Ulenspiegel. »Haarichter Sohn«, sagte er, »dies ist die ehrwürdige Sonne, die kommt, das Land Flandern zu begrüßen. Sieh sie dir an, wenn du kannst, und solltest du einmal nicht aus und ein wissen und, von Zweifeln erfüllt, nicht erkennen, was du tun sollst, um gut zu tun, so bitte sie um Rat, sie ist klar und warm. Deine Aufrichtigkeit gleiche ihrer Klarheit und deine Güte ihrer Wärme.«
»Claes, mein Mann«, rief da Soetkin, »du predigst einem Tauben, komm trinken, mein Sohn!« Und die Mutter reichte dem Neugeborenen ihre schönen Flaschen der Natur.
Während Ulenspiegel da trank, erwachten alle Vögel im Land. Claes, der Reisigbündel machte, sah seinem Weib zu, wie es Ulenspiegel die Brust reichte. »Frau«, sagte er, »hast du dir von dieser guten Milch Vorrat angelegt?« »Die Krüge sind voll«, sagte sie, »aber das allein bereitet mir noch nicht Freude.« »Du sprichst von dieser großen Stunde sehr kläglich.« »Ich denke daran, daß in dem Ranzen, der dort an der Wand hängt, nicht ein lumpiger Patard zu finden ist.«
Claes nahm den Ranzen zur Hand, aber er hatte gut schütteln – er vernahm kein Morgenständchen klimpernder Münzen. Und er schämte sich. Da er aber seine Frau trösten wollte, sagte er: »Weshalb bist du besorgt? Haben wir nicht den Kuchen im Schrank, den Katheline uns gestern brachte? Sehe ich dort nicht ein großes Stück Rindfleisch, das dem Kind zumindest für drei Tage gute Milch verschaffen wird ? Dieser Sack voll Bohnen, in jene Ecke geschmiegt, ist er ein Verkünder der Hungersnot? Ist es ein Phantom, dieses Fäßchen voll Butter ? Sind sie Gespenster, diese Kompanien und Eskadronen von Äpfeln, die zu elfen in der Reihe so kriegerisch in der Vorratskammer stehen ? Ist es nicht das Versprechen eines frischen Trunks, das die große, ehrwürdige Tonne Cuyte von Brügge in ihrem Bauch zu unserem Labsal birgt?« »Wir müssen«, sagte Soetkin, »wenn wir das Kind zur Taufe bringen, dem Priester zwei Patards geben und brauchen einen Gulden für den Festschmaus.«
In diesem Augenblick trat Katheline mit einem großen Blumenstrauß ein und sagte: »Ich bringe dem haarichten Kind Engelwurz, welche den Menschen vor Schlemmerei bewahrt, Fenchel, der den Satan verjagt...« »Hast du nicht das Kraut, das die Gulden herbeischafft?« fragte Claes. »Nein«, sagte sie. »So will ich denn nachsehen, ob es nicht im Kanal welches gibt.«
Er nahm Angelschnur und Netz zu sich und machte sich auf den Weg, sicher, dort bleiben zu können und niemand zu begegnen, denn es war erst eine Stunde vor der »oosterzon«, wie die Sonne in Flandern um sechs Uhr genannt wird.
Claes kam zum Kanal von Brügge, nicht weit vom Meer. Er befestigte den Köder an der Angel, schleuderte sie ins Wasser und ließ sein Netz sinken. Auf dem anderen Ufer lag ein kleiner, gut gekleideter Knabe und schlief wie ein Klotz auf einem Haufen von Muscheln. Er erwachte bei dem Geräusch, das Claes verursachte, und wollte sich aus dem Staube machen, da er fürchtete, es sei der Gemeindegendarm, der komme, um ihn von seinem Lager aufzustöbern und wegen unerlaubten Vagabundierens nach dem »Steen« zu führen. Seine Furcht schwand aber, als er Claes erkannte und sich von ihm also angerufen hörte: »Willst du sechs Heller verdienen ? Dann jag mir die Fische hierher.« Dem Knäblein war das sehr recht; es stieg ins Wasser mit seinem kleinen, schon aufgeblähten Wanst, bewaffnete sich mit einem Buschen großen Schilfrohres und jagte Claes die Fische zu.
Als Claes mit dem Fischen zu Ende war, zog er Netz und Angel ein, ging über die Schleuse und näherte sich dem Knaben. »Du bist doch der«, sagte er, »den man mit dem Taufnamen ›Lamme‹ nennt und ›Goedzak‹ wegen seines sanften Charakters, und wohnst in der Rue d'Heron hinter Notre-Dame. Wieso muß ein gut gekleideter Junge unter freiem Himmel schlafen?« »Ach, Herr Kohlenträger«, antwortete der Knabe, »ich habe zu Hause eine Schwester, die ein Jahr jünger ist als ich und mich bei dem geringsten Streit mit mächtigen Schlägen dämpft. Aber ich wage nicht, an ihrem Rücken meine Rache zu nehmen, denn ich müßte ihr ja wehe tun, mein Herr. Gestern, beim Abendessen, hatte ich großen Hunger und faßte mit den Fingern in eine Platte mit einem Rest von Bohnen und Rinderbraten hinein, und sie wollte ihren Teil davon haben; doch es war nicht einmal für mich genug, mein Herr. Als sie sah, wie ich mich wegen des guten Geschmacks der Soße leckte, geriet sie in Wut, schlug mit beiden Händen auf mich los und versetzte mir so gewaltige Backpfeifen, daß ich halbtot aus dem Hause flüchtete.« Claes fragte, was sein Vater und seine Mutter zu dieser Schlägerei gesagt hätten, und Lamme Goedzak antwortete: »Mein Vater schlug mich auf die eine Schulter, meine Mutter auf die andre, und sie sagten: ›Setz dich zur Wehr, Feigling!‹ Ich wollte aber ein Mädchen nicht schlagen und nahm Reißaus.«
Plötzlich erbleichte Lamme und zitterte an allen Gliedern. Claes sah eine große Frau und ihr zur Seite ein mageres Mädchen von wildem Aussehen herankommen.
»Ach«, sagte Lamme und hielt sich an Claesens Kniehosen fest, »da sind meine Mutter und meine Schwester, die kommen, mich zu holen – beschützen Sie mich, Herr Kohlenträger!« »Schon gut«, sagte Claes, »nimm zuerst diese sieben Heller als Lohn, und nun wollen wir ohne Furcht deiner Mutter und deiner Schwester entgegengehen.« Als die beiden Frauen Lamme gewahrten, kamen sie auf ihn zugelaufen und wollten ihn alle beide schlagen, die Mutter, weil sie in Sorge um ihn gewesen war, und die Schwester aus Gewohnheit. Lamme verbarg sich hinter Claes und rief: »Ich habe sieben Heller verdient, ich habe sieben Heller verdient, schlagt mich nicht!« Aber die Mutter hielt ihn schon mit beiden Händen fest, während das Töchterchen Lammes Hände mit Gewalt öffnen wollte, um ihm das Geld wegzunehmen. Aber Lamme schrie: »Das gehört mir, und du wirst es nicht bekommen!« Und er ballte die Fäuste zusammen. Claes jedoch schüttelte das Mädchen heftig bei den Ohren und sagte zu ihr: »Wenn du dir noch einmal einfallen lassen solltest, mit deinem Bruder, der gut und sanft wie ein Lamm ist, Streit zu suchen, werde ich dich in eine schwarze Kohlenkammer sperren, aber dort werde nicht mehr ich es sein, der dich an den Ohren zieht, sondern der rote Höllenteufel, der dich mit seinen großen Tatzen und seinen Zähnen, die spitzig sind wie Gabeln, in Stücke reißen wird.« Auf das hin wagte das Mädchen weder Claes anzusehen noch sich Lamme zu nähern und verkroch sich hinter die Röcke ihrer Mutter. Als sie aber in die Stadt zurückkehrte, rief sie überall: »Der Kohlenträger hat mich geschlagen, und er hat den Teufel in seinem Keller!« Doch von nun an schlug sie Lamme nicht mehr. Als er aber groß war, ließ sie ihn ihre Arbeit tun. Und der gutmütige Einfaltspinsel tat sie willig.
Claes hatte seinen Fang auf dem Heimweg einem Landpächter verkauft, wie er gewöhnlich zu tun pflegte. Als er sein Haus betrat, sagte er zu Soetkin: »Hier – das habe ich in dem Bauch von vier Hechten, neun Karpfen und einem Korb voller Aale gefunden« und ließ dabei zwei Gulden und einen Patard auf den Tisch springen. »Warum gehst du nicht täglich fischen, lieber Mann?« fragte Soetkin. Claes antwortete: »Damit ich nicht einmal selbst zum Fisch werde für die Netze der Gemeindegendarmen.«
Man nannte Ulenspiegels Vater in Damme Claes, den Kooldraeger oder Köhler. Claes hatte schwarze Haare, hellblinkende Augen, und seine Haut war von der Farbe seiner Handelsware, ausgenommen an Sonn- und Feiertagen, wenn in seiner Hütte Überfluß an Seife war. Er hatte eine kleine, eckige Figur, war aber stark und trug ein fröhliches Gesicht zur Schau.
Wenn der Tag zu Ende war und der Abend sich niedersenkte, ging er in irgendeine Kneipe, die auf dem Wege nach Brügge lag, um seine Gurgel, die von Kohle geschwärzt war, mit Cuyte zu spülen, und die freundlichen Frauen traten unter ihre Türen und riefen ihm lachend zu: »Guten Abend, Köhler, und klares Bier!« »Guten Abend und einen Gatten, der nicht schläfrig ist!« antwortete Claes.
Die Mädchen, die gruppenweise von den Feldern heimkamen, stellten sich so vor ihn hin, daß sie ihn am Weitergehen verhinderten, und sagten zu ihm: »Was zahlst du, wenn wir dich durchlassen? Ein scharlachrotes Band, einen goldenen Ring, ein paar Schühlein von Samt oder einen Gulden zum Taschengeld?« Claes aber nahm eine um die Mitte, ließ seinen Mund gerade dorthin treffen, wo ihm dies junge Fleisch am nächsten kam, und küßte ihr die Wangen oder den Hals, dann sagte er: »Das übrige, meine Schätzchen, verlangt von eurem Liebsten.« Dann gingen sie hell auflachend ihres Weges.
Die Kinder erkannten Claes an seiner mächtigen Stimme und an dem Dröhnen seiner Stiefel schon von weitem, liefen ihm entgegen und sagten: »Guten Abend, Kohlenträger!« »Gott gebe auch euch einen guten Abend, meine Engelchen«, sagte dann Claes, »kommt mir aber nicht zu nahe, sonst mache ich Negerlein aus euch.« Die Kleinsten waren kühn und näherten sich dennoch, da faßte er eines bei seinem Wämslein und fuhr ihm mit seinen schwarzen Händen über das frische Mündchen, dann schickte er es, selbst lachend, wieder weg, zur großen Freude aller andern.
Soetkin, Claesens Frau, war ein gutes Eheweib, sie stand mit dem Morgenrot auf und war fleißig wie eine Ameise. Sie und Claes bearbeiteten zu zweit das Feld, das ihnen gehörte, und spannten sich wie Rinder vor den Pflug. Das war ein schweres Ziehen, aber noch weit schwerer war's, die Egge fortzubringen, jenes Ackergerät, dessen hölzerne Zähne die harte Erde aufreißen sollen. Trotzdem blieben ihre Herzen froh, und sie sangen sich ein Lied zur Arbeit, mochte da die Erde auch noch so hart sein. Vergeblich sandte die Sonne ihre heißesten Strahlen herab, vergeblich auch zog die Egge, beugte ihnen die Knie und bereitete ihren Schultern die heftigsten Anstrengungen, wenn sie anhielten und Soetkin wandte Claes ihr süßes Gesicht zu, das er, diesen Spiegel ihrer zärtlichen Seele, küßte, dann vergaßen sie aller großen Mühseligkeiten.
Tags zuvor war an den Schranken des Stadthauses verkündet worden, daß Madame, die Gemahlin Kaiser Karls, schwanger sei und daß für ihre bevorstehende Niederkunft Gebete gesprochen werden müßten.
Katheline trat bebend bei Claes ein. »Was erregt dich so, Gevatterin?« fragte der Gute. »Ach«, sagte sie, und die Worte kamen abgerissen aus ihrem Munde, »diese Nacht ... Geister mähen Menschen nieder wie die Schnitter das Gras ... lebendig begrabene Mädchen ... über den Leichen tanzt der Henker ... seit neun Monaten träufelt's aus dem Blutstein... diese Nacht ist er geborsten.«
»Hab Erbarmen mit uns, Herrgott«, seufzte Soetkin, »hab Erbarmen! Das ist eine schwarze Prophezeiung für das Land Flandern.«»Siehst du das mit deinen Augen oder im Traum?« fragte Claes. »Mit meinen Augen«, sagte Katheline und fuhr dann weinend und an allen Gliedern zitternd fort: »Zwei Kindlein sind geboren, das eine in Spanien, das ist der Infant Philipp, das andre in Flandern, das ist der Sohn von Claes, dem man in späterer Zeit den Namen Ulenspiegel geben wird. Philipp, von Karl V., dem Mörder unserer Lande, gezeugt, wird zum Henker werden. Ulenspiegel wird ein großer Gelehrter im Possenreißen und in jugendlichem Schnickschnack sein, aber er wird ein gutes Herz haben, denn sein Vater ist Claes, der wackere Arbeiter, der in Tugend, Ehrbarkeit und Sanftmut sein Brot verdient. Kaiser Karl und König Philipp werden, Unheil verbreitend, durchs Leben galoppieren, Schlachten schlagend, Wucher treibend und andere Übeltaten verrichtend. Claes wird die ganze Woche arbeiten, der Gerechtigkeit und den Gesetzen treu, statt über seine harte Arbeit zu klagen, wird er lachen und das Vorbild der braven Werkleute Flanderns sein. Ulenspiegel, der immer junge, der nie sterben wird, er wird die Welt durcheilen, ohne sich jemals an einen Ort zu binden. Er wird Handlanger sein, Edelmann, Maler, Bildhauer, alles in einem. Er wird die Welt durchwandern, das Schöne und Gute lobend und alles Niedrige aus tiefstem Herzen verachtend. Claes ist dein Mut, du edles Volk von Flandern, Soetkin deine sorgende Mutter und Ulenspiegel dein Geist, ein hübsches Mägdelein, mit Ulenspiegel als sein Schätzchen vereint und unsterblich wie er, wird dein Herz sein, und ein gewaltiger Dickwanst, Lamme Goedzak, wird dein Magen sein. Die Aussauger des Volkes werden obenauf bleiben und die Opfer unten, oben die habgierigen Hornissen, unten die arbeitsamen Bienen. Und im Himmel werden Christi Wunden bluten.«
Als sie das gesagt hatte, fiel Katheline, die gute Hexe, in Schlaf.
Ulenspiegel wurde zur Taufe getragen, plötzlich ging ein Platzregen nieder, der ihn tüchtig durchnäßte. Also ward er das erstemal getauft. Als man in die Kirche eintrat, wurden Paten und Patinnen, Vater und Mutter vom Schoolmeester, der das Amt des Küsters versah, aufgefordert, sich rund um das Taufbecken zu stellen, was sie auch taten. Aber in dem Kreuzbogen über dem Becken hatte ein Maurer ein Loch gemacht, um eine Lampe an einem Stern von vergoldetem Holz aufzuhängen. Als der Maurer von seiner Höhe aus die Paten und Patinnen bemerkte, wie sie so feierlich um das Taufbecken herumstanden, das noch mit seinem Deckel verschlossen war, schüttete er durch das Loch in der Decke einen vollen Eimer Wassers hinab, das zwischen den Leuten hindurch auf den Deckel des Beckens klatschte und gewaltig nach allen Seiten auseinanderspritzte. Und Ulenspiegel bekam das meiste ab. Solcherart ward er zum zweitenmal getauft. Der Dechant kam, und man beschwerte sich bei ihm. Aber er sagte, man solle sich beeilen, und das wäre nur ein Zufall gewesen. Ulenspiegel zappelte, weil das Wasser auf ihn gespritzt war. Der Dechant gab ihm Salz und Wasser und nannte ihn Thylbert, was soviel heißt wie »reich und lebhaft«. So ward er zum drittenmal getauft. Nachdem sie Notre-Dame verlassen hatten, gingen sie in die gegenüberliegende Rue Longue und betraten den Rosaire des Bouteilles (den Rosenkranz der Flaschen), dem ein Krug zum Wahrzeichen diente. Dort tranken sie siebzehn Humpen Doppelkuyt und noch darüber. Denn es ist ein trefflicher Brauch in Flandern, daß man, um nasse Leute wieder trocken zu machen, mit Bier ein Feuer in ihrem Wanst entzündet. Ulenspiegel wurde also zum viertenmal getauft. Als man mit Köpfen, die schwerer waren als die Leiber, im Zickzackweg nach Hause zurückkehrte, passierte man eine Brücke, die über einen kleinen Tümpel führte. Katheline, die als Patin das Kind trug, machte einen Fehltritt und stürzte mit Ulenspiegel in den Schlamm, wobei dieser das fünftemal getauft wurde. Als man ihn aber, in Claesens Haus zurückgekehrt, mit warmem Wasser vom Kot rein wusch, war das seine sechste Taufe.
An diesem Tage beschloß Seine geheiligte Majestät Karl, großartige Festlichkeiten zu geben, um die Geburt seines Sohnes würdig zu feiern. Er nahm sich vor, auf Fischzug auszugehen, wie Claes es getan hatte, aber nicht etwa im Kanal, sondern in den Pfründbeuteln und Ranzen seines Volkes. Was die hochherrschaftlichen Angeln da herauszogen, waren Cruzados, Silbertaler und Goldstücke, und all diese wunderbaren Fische verwandelten sich auf Wunsch des Fischers in Samtkleider, kostbare Geschmeide, erlesene Weine und feinste Köstlichkeiten für den Gaumen. Denn die fischreichsten Flüsse sind nicht die, in denen das meiste Wasser ist.
Im Einvernehmen mit den Mitgliedern seines Rates beschloß Seine geheiligte Majestät, daß der Fischfang in folgender Form vor sich gehen solle: Der hochherrliche Infant sollte zwischen neun und zehn Uhr zur Taufe getragen werden. Die Einwohner von Valladolid sollten, um ihre große Freude zu bekunden, die ganze Nacht Umzüge veranstalten, Feste feiern und auf dem Großen Platz ihr Geld für die Armen ausstreuen. An fünf Straßenkreuzungen sollten aus großen Fontänen bis zum Morgengrauen Weinwellen fließen – natürlich von der Stadt bezahlt. An fünf anderen Kreuzungen sollten, auf Holzgerüsten aufgereiht, Würstchen, Zervelatwürste, Botarga, Leberwürste, Ochsenzungen und andere Fleischspeisen hängen, gleichfalls auf Kosten der Stadt. Die Bewohner von Valladolid sollten aus eigenem Geld auf den Wegen, die der festliche Zug berühren würde, zahlreiche Triumphbogen aufstellen, die den Frieden, den Reichtum, den Überfluß, das Glück und alle anderen Herrlichkeiten versinnbildlichen sollten, womit sie der Himmel unter der Regierung Seiner geheiligten Majestät überschüttet hatte. Schließlich sollten außer den Friedensbogen auch noch einige andere aufgestellt werden, auf denen in lebhaften Farben die weniger friedfertigen Dinge gemalt sein sollten, wie Adler, Löwen, Lanzen, Hellebarden, Spieße mit weithin leuchtenden Klingen, Arkebusen, Kanonen, Falkonette, großmäulige Mörser und sonstige Waffen, welche die kriegerische Kraft und Macht Seiner geheiligten Majestät bildlich darzutun vermochten.
Um die Kirche im Lichterglanz erstrahlen zu lassen, wurde der Innung der Kerzenmacher gestattet, mehr als zwanzigtausend Kerzen umsonst anzufertigen, deren übriggebliebene Stümpfe dem Ordenskapitel überwiesen werden sollten. Was die übrigen Ausgaben betraf, so wollte sie der Kaiser auf sich nehmen, um dadurch den guten Willen zu zeigen, seinem Volke nicht zu große Kosten zu verursachen.
Als das Volk diese Befehle ausführen wollte, trafen aus Rom betrübliche Nachrichten ein. Oranien, d'Alençon und Frundsberg, Kapitäne des Kaisers, waren in die heilige Stadt eingedrungen, hatten Kirchen, Kapellen und Häuser geplündert und zerstört und niemand geschont, weder Priester noch Nonnen, weder Frauen noch Kinder. Und den Heiligen Vater hatten sie gefangengenommen. Die Verwüstungen dauerten fort, und seit einer Woche durchzogen Reiter und Landsknechte die Stadt Rom, vollgefressen, angesoffen und ihre Waffen schwingend, fahndeten sie nach den Kardinälen und schrien, daß sie ihnen die Haut aufschlitzen würden, um sie zu verhindern, jemals Päpste zu werden. Andere, die diese Drohung schon wahr gemacht hatten, stolzierten in der Stadt umher, trugen Rosenkränze von achtundzwanzig und mehr Kugeln über der Brust, die groß wie Nüsse und über und über blutig waren. Einige Straßen waren in rote Bäche verwandelt, in denen ausgeplünderte Leichen umherlagen. Etwelche sagten, daß der Kaiser, der Geld brauchte, in dem kirchlichen Blut habe fischen wollen und daß er, nachdem er von dem Vertrag erfahren habe, den seine Kapitäne dem päpstlichen Gefangenen aufgezwungen hatten, diesen genötigt habe, ihm alle befestigten Plätze seines Staates abzutreten und ihm vierhunderttausend Dukaten zu bezahlen; überdies solle er so lange in Gefangenschaft bleiben, bis diese Bedingungen erfüllt seien.
Dennoch, der Schmerz Seiner Majestät war groß, er bestellte alle Vorbereitungen zu den Freudenfesten und Belustigungen ab und ordnete an, daß die Herren und Damen in seinem Palast Trauer anlegen sollten. Und das Kind wurde in seinen weißen Windeln getauft, welche die Windeln königlicher Trauer sind. Das wurde von den Herren und Damen als düsteres Vorzeichen gedeutet. Ungeachtet dessen präsentierte die Frau Amme den Infanten den Herren und Damen des Hofes, damit diese ihm, wie das üblich war, ihre Wünsche und Gaben übermitteln konnten. Madame de la Coena hing ihm einen schwarzen Stein gegen Gift von der Form und Größe einer Haselnuß und in eine Goldkapsel gefaßt um den Hals. Madame de la Chauffade befestigte an einem Seidenfaden, der über seinem Magen hing, eine Lambertsnuß zur Förderung der Verdauung; Messire van der Steen de Flandre überreichte ihm eine Genter Wurst, die fünf Armlängen lang und eine halbe breit war, und wünschte Seiner Hoheit untertänigst, daß allein der Geruch dieser Wurst ihm auf den Genter Clauwaert Durst machen möge, und fügte hinzu, wer erst das Bier einer Stadt liebe, könne auch ihre Brauer nicht hassen. Der Herr Stallmeister Jacques Christophe de Castille bat Seine Hoheit den Infanten, auf seinen lieblichen Füßen grünen Jaspis tragen zu wollen, damit er gut laufen könne. Jan de Paepe, der Narr, der auch anwesend war, sagte: »Hochedle, gebt ihm lieber das Horn des Josua, bei dessen Klang alle Städte in raschem Lauf vor ihm her eilen sollen, um ihre Habe samt allen ihren Bewohnern, Männern, Frauen und Kindern, in Sicherheit zu bringen. Denn Hochwohlgeboren soll nicht lernen zu laufen, sondern die andern laufen zu machen.« Die verweinte Witwe des Floris van Borsele, der Herr van Veere im Lande Zeeland gewesen war, gab Herrn Philipp einen Stein, der, wie sie sagte, die Männer verliebt machen sollte und die Frauen untröstlich. Aber das Kind grölte wie ein Kalb.
Während dies geschah, fertigte Claes seinem Sohn eigenhändig eine Klapper aus Weidenzweigen mit Schellen an und sagte, während er ihn auf seiner Hand tanzen machte: »Schellen, klingende Schellen, mögest du sie immer an der Mütze tragen, kleiner Mann, denn zu guter Letzt werden's die Narren sein, denen das Königreich gehört.« Und Ulenspiegel lachte.
Claes hatte einen großen Lachs gefangen und verzehrte ihn eines Sonntags mit Soetkin, Katheline und dem kleinen Ulenspiegel, aber Katheline aß nicht mehr als ein Vogel. »Gevatterin«, sagte Claes zu ihr, »ist die Luft in Flandern jetzt so gehaltvoll, daß du sie nur einatmen mußt, um von ihr satt zu sein wie von einer Schüssel Fleisch? Wie lebt man so? Die Regentropfen würden gute Suppe abgeben, die Hagelkörner Bohnen und die Schneeflocken, in himmlisches Frikassee verwandelt, würden die armen Wanderer wieder zu Kräften bringen.« Katheline nickte mit dem Kopf und ließ kein Wort hören. »Seht doch«, sagte Claes, »die bekümmerte Gevatterin, was ist's, das sie so betrübt?« Katheline sprach mit einer Stimme, die wie Hauch klang: »Der Böse... schwarze Nacht bricht herein... Ich höre, wie er sein Nahen anzeigt... schreiend wie der Seeadler... Schaudernd flehe ich zur Heiligen Jungfrau – es ist vergebens... Für ihn gibt's keine Zäune, keine Mauern, weder Türen noch Fenster braucht er... er dringt überall ein wie ein Schemen... die Leiter knarrt... Er packt mich mit seinen kalten Armen, hart wie Marmor... Starres Gesicht... Küsse, feucht wie Schnee... Hütte schwankt, neigt sich zur Erde... schaukelt wie Barke auf stürmischer See...«
Claes sagte: »Du mußt jeden Morgen zur Messe gehen, damit der Herr Jesus dir die Kraft gibt, dieses Phantom zu verjagen, das aus den Tiefen kommt.« »Er ist so schön«, sagte sie.
Als Ulenspiegel der Mutterbrust entwöhnt war, schoß er auf wie eine junge Pappel. Claes küßte ihn nun nicht mehr so häufig, um ihn nicht zu verziehen, aber er liebte ihn auf männliche Art. Kam Ulenspiegel nach Hause und beklagte sich, daß er bei irgendeiner Zänkerei Prügel bekommen habe, so schlug Claes ihn, weil er die andern nicht geschlagen hatte, so erzogen, wurde Ulenspiegel mutig wie ein kleiner Löwe.
Wenn Claes abwesend war, erbat sich Ulenspiegel von Soetkin einen Heller, um zu spielen. Soetkin ärgerte sich und sagte: »Mußt du spielen? Du tätest besser, hierzubleiben und Reisig zu binden.« Sah Ulenspiegel nun, daß sie ihm nichts geben wollte, so schrie er wie ein Adler, aber Soetkin machte mit ihren Kesseln und Näpfen, die sie in einem Holzbottich wusch, großen Lärm, um sich das Ansehen zu geben, als höre sie nichts. Nun weinte Ulenspiegel, und seine sanfte Mutter ließ die Maske der Strenge fallen, kam auf ihn zu, liebkoste ihn und sagte: »Hast du mit einem Silberling genug?«
Und man bedenke, daß ein Silberling sechs Heller wert war. So übertrieb sie ihre Liebe, wenn Claes nicht da war, und Ulenspiegel war König im Haus.
Eines Morgens gewahrte Soetkin Claes, wie er mit gesenktem Kopf in der Küche auf und ab ging wie einer, der in Betrachtungen verloren ist. »Was brütest du, lieber Mann?« sagte sie, »du bist bleich, zornig und zerstreut.« Claes antwortete mit tiefer Stimme wie ein knurrender Hund: »Sie wollen die grausamen Kundmachungen des Kaisers erneuern. Der Tod wird von neuem über das Land Flandern streichen. Die Angeber werden die Hälfte des Vermögens der Opfer bekommen, wenn es hundert Karlsgulden nicht überschreitet.« »Wir sind arm«, sagte sie. »Arm«, erwiderte er, »aber nicht arm genug. Es gibt niedrige Menschen, Geier und Raben, die von Leichen leben und die uns ebensogut denunzieren würden, um sich mit Seiner heiligen Majestät in einen Korb voll Kohlen zu teilen, als handelte es sich um einen Sack voll Karlsgulden. Was besaß denn die arme Tannelen, die Witwe von Sis, dem Schneider, der in Heyst starb, und die lebendig begraben wurde? Eine lateinische Bibel, drei Goldgulden und etliche Wirtschaftsgeräte aus englischem Zinn, auf die es ihre Nachbarin abgesehen hatte. Johanna Martens wurde als Hexe verbrannt, weil ihr Körper, als man sie vorher ins Wasser geworfen hatte, obenauf schwamm und man daran ihr Hexentum erkannte. Sie hatte einige dürftige Möbel und sieben Goldstücke in einem Beutel, der Angeber wollte die Hälfte haben. Ach, ich könnte bis morgen erzählen, aber gib zu, liebe Frau, diese Plakate machen das Leben in Flandern nicht mehr lebenswert. Bald wird der Karren des Todes allnächtlich durch die Stadt fahren, und wir werden das hohle Klappern der Knochen seines Skeletts hören, wenn er sich hier umtut.« Soetkin sagte: »Du sollst mir nicht Angst einjagen, lieber Mann, der Kaiser ist der Vater von Flandern und Brabant und als solcher mit Langmut, Sanftheit, Geduld und Barmherzigkeit begabt.« »Dabei würde er zuviel verlieren«, antwortete Claes, »denn er erbt die konfiszierten Güter.«
Plötzlich schallte die Trompete und klingelten die Zimbeln des Stadtherolds. Claes und Soetkin liefen, Ulenspiegel abwechselnd in den Armen tragend, auf das Geräusch hin mit dem Haufen des Volkes mit. Sie kamen vor das Gemeindehaus, vor dem die Herolde hoch zu Roß hielten, in die Trompeten bliesen und die Zimbeln schlugen, der Profos, den Richterstab haltend, und der Bürgermeister zu Pferde, der mit beiden Händen einen Erlaß des Kaisers hielt und sich anschickte, ihn der versammelten Menge vorzulesen. Claes hörte aufmerksam, daß es neuerlich verboten war: ganz oder teilweise zu drucken, zu lesen, zu besitzen oder in der Herstellung zu fördern die Schriften, Bücher und Lehren des Martin Luther, des Johannes Wycleff, Johannes Hus, Marcilius de Padua, Aecolampadius, Ulricus Zwinglius, Philippus Melanchthon, Franciscus Lambertus, Johannes Pomeranus, Otto Brunselius, Justus Jonas, Johannes Puperis und Gorcianus, desgleichen das Neue Testament, gedruckt von Adriaen de Berghes, Christoph de Remonda und Johannes Zel, die voll von lutherischen und andern Ketzereien, von der theologischen Fakultät der Universität zu Löwen überprüft und verdammt worden seien. Desgleichen das Malen oder Nachbilden schmähender Bilder oder Figuren von Gott, der heiligen Jungfrau Maria oder der Heiligen und das Veranlassen, daß solche gemalt oder nachgebildet würden, zu zerbrechen, zu zerstören oder auf sonstige Art zu vernichten die Bilder und Darstellungen, die zu Ehren und als Denkmal Gottes errichtet waren und zur Mahnung, seiner zu gedenken wie auch der Jungfrau Maria und der von der Kirche anerkannten Heiligen.
Überdies, besagte das Plakat, dürfe niemand, wer immer er auch sei, sich unterfangen, über die Heilige Schrift Untersuchungen anzustellen oder Streitreden zu führen, selbst über unklare Stellen nicht, sofern er nicht ein wohlberufener und von einer berühmten Universität anerkannter Theologe sei.
Seine Majestät setzte unter anderen Strafen auch die fest, daß die Verdächtigen nie mehr ein Ehrenamt bekleiden dürften. Solche, die in den Irrglauben zurückverfielen oder auf ihm beharrten, sollten verurteilt werden, an kleinem oder großem Feuer verbrannt zu werden, in einem Strohhäuschen oder an einen Pfahl gebunden, je nach dem Befinden des Richters. Die andern sollten, wenn sie Edelleute oder Patrizier wären, durch das Schwert hingerichtet werden, wenn sie Arbeiter wären, durch den Galgen und Frauen durch Lebendigbegraben. Zum abschreckenden Beispiel sollten ihre Köpfe auf einen Pfahl aufgepflanzt werden. Auch sollten die Güter der Hingerichteten zugunsten des Kaisers eingezogen werden, soweit sie in seinem Machtbereich lägen. Seine heilige Majestät sprach den Angebern die Hälfte alles dessen zu, was die Hingerichteten besessen, wenn das Vermögen des einzelnen nicht mehr als hundert Livres in flandrischem Gelde betrug. Der Kaiser behalte sich vor, seinen Teil zu frommen und barmherzigen Werken zu verwenden, wie er das auch mit den Geldern von Rom gemacht habe. Und Claes, Soetkin und Ulenspiegel waren darob gar traurig.
Das Jahr war gut, und Claes kaufte für sieben Gulden einen Esel und neun Scheffel Erbsen.
Eines Morgens setzte er sich auf das Tier und ließ Ulenspiegel hinter sich auf die Kruppe steigen. In dieser Aufmachung ritten sie davon, um einen Onkel, Claesens älteren Bruder Josse Claes, zu besuchen, der, nicht weit von Meyborg, im Deutschen wohnte. Josse war in seinen Mannesjahren einfach und gutherzig gewesen, doch hatte ihn mancherlei Unrecht, das er erduldet hatte, mürrisch gemacht; sein Blut hatte sich in schwarze Galle verwandelt, er war von Haß gegen die Menschen erfüllt und lebte einsam.
Er vergnügte sich nun damit, zwei sogenannte gute Freunde zu einer Prügelei aufzuhetzen, und zahlte dem von den beiden, der den andern heftiger verprügelt hatte, drei Patards. Auch liebte er es, in einem stark geheizten Saal eine große Zahl der ältesten und bissigsten Vetteln zu versammeln und ihnen geröstetes Brot zu essen und Hypocras zu trinken zu geben. Sodann gab er denen, die mehr als sechzig Jahre alt waren, Wolle, die sie in einer Ecke verstricken sollten, und empfahl ihnen, sich nur immer die Fingernägel wachsen zu lassen. Und es war wunderlich anzuhören, wie diese Regentraufen und Springbrunnen, diese boshaften Plaudertaschen und alten Uhus, den Strickbeutel unter der Achselhöhle, vereint an der Ehre des Nächsten nagten.
Wenn sie dann in angeregtester Stimmung waren, warf Josse Borsten ins Feuer, die beim Verbrennen die Luft mit Gestank erfüllten. Die Weiber, alle zu gleicher Zeit schwatzend, beschuldigten sich nun gegenseitig, diesen Geruch verursacht zu haben. Jede bestritt, es gewesen zu sein, und bald fuhren sie sich in die Haare, während Josse weiter Borsten ins Feuer warf und zerschnittenes Roßhaar auf den Boden streute. Wenn er dann in dem tobenden Handgemenge, dem dichten Rauch und dem hochgewirbelten Staub nichts mehr sehen konnte, ließ er zwei seiner Diener, als Gemeindegendarmen verkleidet, herbeiholen, welche die alten Weiber mit langen Stangen mächtig schlugen und wie eine Herde von tollen Gänsen aus dem Saal jagten.
Josse inspizierte dann das Schlachtfeld und fand da Fetzen von Röcken, Strümpfen, Hemden und alte Zähne. Und tief melancholisch sprach er zu sich: »Mein Tag ist verloren; keine von ihnen hat in dem Handgemenge ihre Zunge gelassen.«
Im Stadtkreis von Meyborg durchkreuzte Claes ein kleines Wäldchen, und der Esel weidete im Traben die Disteln ab; Ulenspiegel warf mit seiner Kappe nach den Schmetterlingen und fing sie wieder auf, ohne den Rücken des Esels zu verlassen. Claes aß gerade eine Schnitte Brot und gedachte sie in einer nahen Schenke tüchtig zu begießen, als er von fern Glockengeläut und das Geräusch einer großen Menge gleichzeitig sprechender Menschen vernahm. »Das ist«, sagte er, »irgendein Pilgerzug, und die Herren Pilger sind, ohne Zweifel, zahlreich. Halte dich also fest auf dem Esel, damit sie dich nicht herunterstoßen. Nun werden wir sehen. Und du, Esel, folge meinen Sporen.«
Und das Grauchen begann zu laufen. Als sie den Saum des Waldes verließen, kamen sie auf ein breites Hochplateau, das, wo es nach Westen zu abfiel, von einem Fluß begrenzt war, auf der östlichen Seite hatte man eine kleine Kapelle errichtet, deren Giebel von einem Bild Unserer Lieben Frau überragt war, zu deren Füßen zwei Figuren standen, deren jede einen Stier darstellte.
Auf den Stufen der Kapelle stand ein verschmitzt lächelnder Einsiedler, der die Glocke läutete, und neben ihm fünfzig Dienstleute, die brennende Kerzen hielten, Musikanten, Spielleute, Glöckner und Trommelschläger, Trompeter, Pfeifer, Flötenspieler und Dudelsackpfeifer, und eine Menge fröhlicher Gesellen, die mit beiden Händen eiserne Kassetten voll metallener Gegenstände hielten; aber in diesem Moment verhielten sich alle still. Fünftausend Pilger, oder noch mehr, wanderten, sieben zu sieben, in enggeschlossenen Reihen daher, mit Helmen bedeckt und Stecken von grünem Holz tragend. Wenn neue behelmte Waffenträger, gleich den andern, ankamen, schlossen sie sich diesen gewaltig lärmend an. Sodann zogen sie in Siebenerreihen vor der Kapelle vorbei, ließen ihre Stecken segnen und empfingen jeder aus den Händen der Dienstleute eine Kerze, die sie gegen einen halben Gulden eintauschten, den sie dem Einsiedler gaben. Diese Prozession war so lang, daß die Kerzen der ersten bis zum Ende des Dochtes herabgebrannt waren, während die der letzten noch vor zu großer Menge Talgs zu verlöschen drohten.
Claes, Ulenspiegel und der Esel, alle drei gleichermaßen verblüfft, sahen also eine ungeheure Menge verschiedenartigster Leute an sich vorbeiziehen, dickwanstige, hochragende, lange, hagere, stolze, aufrechte und solche, die mit kraftlosen Beinen dahintorkelten. Und alle diese Pilger trugen Helme. Welche schienen aus Troja gekommen zu sein und glichen phrygischen Mützenträgern oder hatten einen Buschen roter Roßhaare als Kopfschmuck, andere wieder, obgleich sie feist und dickwanstig waren, trugen Helme mit ausgebreiteten Flügeln, hatten aber keine Idee von der Beizjagd. Dann kamen welche, die sich mit Salatkraut aufgeputzt hatten, das so verdorrt war, daß es selbst die Schnecken verschmäht hätten. Die meisten aber trugen so alte und verrostete Helme, daß sie von Gambrinus, dem König Flanderns und des Bieres, zu stammen schienen, welcher König neunhundert Jahre vor unserem Heiland lebte und sich mit einem Kruge krönte, um nicht gezwungen zu sein, aus Mangel an einem Becher das Trinken zu lassen.
Mit einem Male klingelten, quiekten, donnerten, klapperten, kreischten, heulten und rasselten die Glocken, Dudelsäcke, Flöten, Trommeln und Eiseninstrumente.
Auf dieses Getöse, das ein Signal für die Pilger war, wandten sie sich in Siebenertrupps, Angesicht gegen Angesicht, einander zu und stießen sich, als Herausforderung, die brennenden Kerzen gegenseitig ins Gesicht. Das rief eine große Nieserei hervor, und die grünen Stecken kamen in Bewegung. Sie schlugen sich auf die Füße, den Kopf, die Sohlen und überallhin. Einige stürzten sich wie Widder auf ihre Gegner, den behelmten Kopf vorgebeugt, wobei sie sich den Helm bis auf die Schultern herabdrückten, so daß sie nichts mehr sehen konnten und in eine Siebenerschar zorniger Pilger hineinrannten, die sie recht unzart empfing. Andere, Schreihälse und Memmen, jammerten über die Schläge, während sie aber schmerzbewegt vor sich hin murmelten, stürzten sich, rasch wie der Blitz, zwei Siebenerschwärme von Pilgern auf sie, überrannten sie, warfen die armen Schreier zu Boden und stürmten mitleidslos über sie hinweg. – Und der Eremit lachte.
Andere Siebenertrupps wieder hängten sich wie die Beeren einer Traube aneinander, kollerten von der Höhe des Plateaus bis in den Fluß hinunter und hieben auch dort noch mit gewaltigen Schlägen aufeinander ein, ohne ihre Kampflust abzukühlen. – Und der Eremit lachte.
Die, welche auf dem Plateau geblieben waren, schlugen sich die Augen blau, zerschmetterten sich die Zähne, rissen sich die Haare aus und die Wämser und Hosen vom Leib. Und der Eremit lachte und rief: »Mut, Freunde, je besser einer schlägt, um so besser liebt er! Denen, die am meisten schlagen, gehört die Liebe ihrer Schönen! Heilige Maria von Rindbisbels, hier sieht man, wer nichts taugt!« Und die Pilger schlugen freudigen Herzens aufeinander los.
Claes hatte sich inzwischen dem Eremiten genähert, während Ulenspiegel der Schlägerei lachend und schreiend Beifall zollte. »Mein Vater«, sagte Claes, »welches Verbrechen haben diese armen Biedermänner denn begangen, daß sie gezwungen werden, sich so grausam zu prügeln?« Aber der Eremit rief, ohne ihn anzuhören: »Faulenzer, ihr verliert den Mut! Wenn eure Fäuste müde sind, sind's auch gleich eure Füße? Leibhaftiger Gott! Ich sehe unter euch welche, die ihre Beine nur dazu benutzen, um wie Hasen davonzulaufen! Wer macht, daß aus dem Stein Feuer sprüht? Das Eisen, das ihn schlägt. Was ist's, das die Mannbarkeit der alten Leute neu belebt, wenn nicht eine tüchtige Portion Hiebe, gut gewürzt mit hellem Zorn?«
Auf das hin fuhren die Pilger fort, sich gegenseitig auf die Helme, Hände und Füße zu schlagen. Das Handgemenge war so toll, daß auch Argus mit seinen hundert Augen nichts anderes gesehen hätte als aufgewirbelte Staubwolken und einige Helmspitzen.
Plötzlich begann der Eremit die Glocke zu läuten, Pfeifen, Trommeln, Trompeten, Dudelsäcke, Flöten, Klappern unterbrachen ihr Lärmen: das war das Zeichen zum Frieden. Die Pilger lasen ihre Verwundeten auf. Unter diesen sah man mehrere, denen die Zungen vor lauter Schimpfen geschwollen aus dem Munde hingen. Aber sie zogen sich von selbst in ihre gewohnte Behausung zurück. Am schwierigsten war es, denen die Helme abzunehmen, die sie sich bis auf den Hals hinabgedrückt hatten und die nun den Kopf schüttelten, ohne jedoch die Helme besser abfallen zu machen als grüne Pflaumen. Inzwischen sagte der Eremit zu ihnen: »Sprechet jeder ein Ave und kehrt sodann zu euern Gattinnen heim. In neun Monaten wird es in diesem Bezirk um so viel Kinder mehr geben, als es heute tapfere Kämpfer in der Schlacht gab.« Und der Eremit sang das Ave, und alle sangen mit ihm. Und die Glocke läutete. Dann segnete der Eremit die Pilger im Namen Unserer Lieben Frau von Rindbisbels und sagte zu ihnen: »Ziehet hin in Frieden!« Und sie gingen schreiend, sich stoßend und singend bis Meyborg.
Alle Frauen, alte und junge, erwarteten sie auf den Schwellen der Häuser, die sie betraten wie Helden eine Stadt, die sie im Sturm genommen haben. Die Glocken von Meyborg läuteten mit aller Macht, die Knaben pfiffen, johlten und spielten Rommelpott. Die Humpen, Becher, Gläser, Flaschen und Krüge klangen wundervoll. Und Ströme Weins flössen in die Kehlen.
Während jeder Windstoß diese Geräusche der singenden Männer, Frauen und Kinder Claes zutrug, sprach er wieder mit dem Eremiten und fragte ihn, welches der himmlische Dank sei, den diese guten Leutchen durch solch rauhes Gebaren zu ernten hofften. Lachend antwortete der Eremit: »Du siehst auf dieser Kapelle zwei Figuren, die zwei Stiere darstellen. Sie sind zum Andenken an ein Wunder hier aufgestellt, das der heilige Martin vollbrachte, der zwei Ochsen in Stiere verwandelte, indem er sie mit den Hörnern aufeinander losgehen ließ. Dann rieb er ihnen das Maul länger als eine Stunde mit einer Kerze und mit grünem Holz. In Kenntnis dieses Wunders und mit einer Vollmacht Seiner Heiligkeit versehen, die ich hoch bezahlt habe, ließ ich mich hier nieder. Seitdem sind die alten Spuckhänse und Dickwänste von Meyborg und Umgebung sicher, unter meinem väterlichen Schutz die Gunst Unserer Lieben Frau zu erringen, nachdem sie sich mit den Kerzen, dem Sinnbild der Salbung, und mit den Stecken, dem Sinnbild der Kraft, mächtig geprügelt haben. Die Kinder, die dank der Wallfahrt geboren werden, sind stark, mutig, wild und lebhaft und werden tüchtige Haudegen.« Plötzlich sagte der Eremit zu Claes: »Erkennst du mich?« »Ja«, antwortete Claes, »du bist mein Bruder Josse.« »Der bin ich«, erwiderte der Eremit, »wer ist aber dieser kleine Mann, der mir da Grimassen schneidet?« »Das ist dein Neffe«, sagte Claes. »Welchen Unterschied machst du zwischen mir und Kaiser Karl?« »Einen großen«, sagte Claes. »Der Unterschied ist klein«, gab Josse zurück, »denn wir lassen alle beide zu unserem Nutzen und Vergnügen die Menschen aufeinander losgehen, er, damit sie einander töten, ich, damit sie einander prügeln.«
Sodann führte er sie in sein Einsiedlerhäuschen, wo er ihnen elf Tage lang, ohne Waffenstillstand, Schmausereien und Gelage bereitete.
Als Claes seinen Bruder verließ, bestieg er wieder seinen Esel und ließ Ulenspiegel sich hinter ihm auf die Kruppe setzen. Als er den Großen Platz von Meyborg überquerte, sah er eine Menge von Pilgern, die in Gruppen beieinanderstanden und beim Anblick der beiden in hellen Zorn gerieten, ihre Stecken schwangen und plötzlich »Taugenichts!« riefen, wobei sie Ulenspiegel meinten, der seine Hose geöffnet, sein Hemd gelüftet hatte und ihnen so sein hinteres Gesicht zeigte.
Als Claes sah, daß diese Drohungen seinem Sohn galten, sagte er zu ihm: »Was hast du denn getan, daß sie sich so über dich erzürnen?« »Lieber Vater«, antwortete Ulenspiegel, »ich sitze auf meinem Esel, sage zu keinem Menschen ein Wort, und trotzdem heißen sie mich einen Taugenichts.« Da setzte Claes ihn vor sich, und Ulenspiegel streckte den Pilgern in dieser Stellung die Zunge heraus, sie zeterten, zeigten ihm die Fäuste und erhoben ihre Holzstecken, um auf Claes und den Esel loszuschlagen. Aber Claes spornte den Esel, um ihrem Zorn zu entgehen, und während sie ihm nachliefen, daß ihnen der Atem ausging, sagte er zu seinem Sohn: »Du mußt doch an einem recht unglücklichen Tage geboren sein, denn während du vor mir sitzest und niemand ein Leid zufügst, wollen sie dich totschlagen.« Ulenspiegel lachte.
Als sie durch Lüttich kamen, hörte Claes, daß unter den armen Küstenbewohnern Hungersnot ausgebrochen sei und daß man sie der Gerichtsbarkeit eines »Officium« unterstellt habe, das heißt einem Gerichtshof, der aus geistlichen Richtern zusammengesetzt war. Sie veranstalteten einen Aufruhr, um Brot und weltliche Richter zu bekommen.
Die Milde des Monsignore von der Mark, des gütigen Herrn Erzbischofs, war so groß, daß etliche von den Aufrührern geköpft oder gehängt wurden, während man die übrigen des Landes verwies. Claes sah unterwegs die Verbannten, die das liebliche Tal von Lüttich verließen, und auf den Bäumen vor der Stadt die Körper der Menschen, die ihres Hungers wegen gehängt worden waren. Und er beweinte sie.
Mit einem Sack voll Patards, die ihm sein Bruder Josse nebst einem Humpen von englischem Zinn mitgegeben hatte, kehrte er auf seinem Esel nach Hause zurück. Nun gab's in der Strohhütte häusliche Gelage und tägliche Feste, denn sie aßen an jedem Tage Fleisch und Bohnen. Claes füllte den großen Humpen von englischem Zinn mit Dobbelkuyt und trank nicht selten. Ulenspiegel aß für drei und machte sich über die Schüsseln her wie ein Spatz über einen Teller voll Hirse.
»Sieh einer an«, sagte Claes, »er ißt auch noch das Salzfaß auf.« Ulenspiegel antwortete: »Wenn das Salzfaß aus einem Stück ausgehöhlter Brotrinde gemacht ist wie bei uns, so muß man's manchmal essen, damit sich nicht die Würmer darüber hermachen, wenn es alt wird.« »Warum wischst du deine fettigen Hände an den Hosen ab?« fragte Soetkin. »Damit meine Schenkel nie naß werden«, antwortete Ulenspiegel.
Da tat Claes einen großen Schluck Bieres aus seinem Humpen, und Ulenspiegel sagte zu ihm: »Warum hast du einen so großen Humpen, und ich habe nur einen kleinen Becher?« »Weil ich dein Vater und der Herr des Hauses bin«, antwortete Claes. Ulenspiegel erwiderte: »Du trinkst seit vierzig Jahren, ich erst seit neun, deine Trinkzeit ist um, die meine ist gekommen, und an mir ist es, den Humpen zu haben, an dir, aus dem Becher zu trinken.« »Sohn«, sagte Claes, »wer den Inhalt einer Tonne in ein kleines Fäßchen gießen will, wird sein Bier in den Rinnstein schütten.« »So wird es gut sein, wenn du dein Fäßchen in meine Tonne schüttest, denn ich bin größer als dein Humpen«, antwortete Ulenspiegel.
Claes war erfreut und ließ ihn aus dem Humpen trinken; und solcherart lernte Ulenspiegel, um einen Trunk zu reden.
Soetkin trug das Zeichen neuer Mutterschaft unter dem Gürtel, auch Katheline war schwanger, wagte aber nicht, das Haus zu verlassen, denn sie hatte Furcht.
»Ach«, sagte die schmerzvoll Tragende, als Soetkin kam, sie zu besuchen, »was soll ich mit dieser armen Frucht meines Schoßes beginnen? Soll ich sie ersticken? Lieber stürbe ich. Wenn mich aber die Gendarmen fassen, weil ich ein Kind habe, ohne verheiratet zu sein! Sie werden mich, wie ein Freudenmädchen, zwanzig Gulden Strafe zahlen lassen und mich auf dem Großen Markt auspeitschen.« Soetkin sagte ihr gute Worte, um sie zu trösten, dann verließ sie sie und kehrte nachdenklich in ihre Hütte zurück.
Eines Tages sagte sie dann zu Claes: »Wenn ich statt eines Kindes zwei hätte, lieber Mann, würdest du mich dann schlagen?« »Das weiß ich nicht«, antwortete Claes. »Wenn aber«, sagte sie, »das zweite nicht aus meinem Leib käme und wie das Kathelines die Frucht eines Unbekannten, vielleicht des Teufels wäre?« »Die Teufel«, sagte Claes, »machen Feuer, Tod und Rauch, aber Kinder – nein. Ich werde das Kind Kathelines als meines annehmen.« »Das wirst du tun?« sagte sie. »Ich habe es gesagt«, gab Claes zur Antwort.
Soetkin ging zu Katheline, um ihr die Neuigkeit zu überbringen. Als sie diese hörte, konnte sie sich nicht halten vor Freude und rief begeistert aus: »Er hat gesprochen, der Gute, er hat gesprochen zum Heil meines armen Leibes. Er wird von Gott gesegnet sein und auch vom Teufel – wenn es wahr ist«, sagte sie, an allen Gliedern zitternd, »daß er ein Teufel war, der dich gezeugt hat, armes Kleines, das sich in meinem Schoß regt.«
Soetkin und Katheline brachten jede ein Kind zur Welt, die eine einen Knaben, die andre ein Mädchen. Alle beide wurden als Claesens Kinder zur Taufe getragen. Soetkins Sohn bekam den Namen Hans, aber er blieb nicht am Leben. Kathelines Tochter ward Nele genannt und entwickelte sich gut. Sie trank das Lebenselixier aus vier Flaschen, und das waren die zwei von Katheline und die zwei von Soetkin. Und die Frauen gerieten des öfteren in liebevollen Wettstreit darüber, welche von ihnen dem Kind zu trinken geben sollte.
Aber Katheline war, ihrem Wunsch entgegen, gezwungen, ihre Milch versiegen zu lassen, damit man sie nicht frage, woher sie diese habe, ohne Mutter zu sein. Als die kleine Nele, ihre Tochter, der Brust entwöhnt war, nahm sie sie zu sich und ließ sie nicht mehr zu Soetkin gehen, bis sie »Mutter« zu ihr sagte.
Die Nachbarn sagten, es sei gut von der vermögenden Katheline, daß sie das Kind von Claes ernähre, der ein ärmliches und beschwerliches Leben führe.
Ulenspiegel war eines Morgens allein im Hause; da er sich langweilte, zerschnitt er einen Schuh seines Vaters, um sich ein kleines Schiff daraus zu machen. Er hatte schon den Hauptmast in der Sohle festgemacht und das Oberleder durchlöchert, um das Bugspriet daran zu befestigen, als über der Schwelle der Oberkörper eines Reiters und der Kopf eines Pferdes erschien.
»Ist jemand hier?« fragte der Reiter. »Jawohl, ein Mensch, und noch ein halber, und ein Pferdekopf«, antwortete Ulenspiegel. »Wie das?« fragte der Reiter wieder, und Ulenspiegel gab zurück: »Weil ich einen ganzen Menschen sehe, das bin ich, die Hälfte eines andern, das ist Euer Oberkörper, und den Kopf eines Pferdes, das ist der Eures Reittieres.« »Wo ist dein Vater und deine Mutter?« fragte der Mann. Ulenspiegel erwiderte: »Mein Vater ist gegangen, das Schlechte noch schlechter zu machen, und meine Mutter befaßt sich damit, uns Schande und Schaden zu bereiten.« »Erklär dich näher«, sagte der Reiter. Ulenspiegel fuhr fort: »Mein Vater macht zur Stunde die Löcher in seinem Feld noch tiefer, damit die Jäger, die das Korn zertrampeln, besser stürzen. Meine Mutter ist gegangen, Geld zu borgen; bekommt sie zuwenig, wird es uns zur Schande gereichen, bekommt sie zuviel, wird es uns Schaden bringen.«
Sodann fragte der Mann nach dem Weg, den er einschlagen sollte. »Dort, wo die Gänse marschieren«, antwortete Ulenspiegel. Der Mann ging seines Weges, kam aber bald wieder, und zwar in dem Augenblick, als Ulenspiegel aus Claesens zweitem Schuh eine Rudergaleere machen wollte. »Du hast mich irregeführt«, sagte er, »wo die Gänse sind, ist nichts als Schlamm und Sumpf, in dem sie umherpatschen.« »Ich habe dir nicht gesagt, du sollst gehen, wo die Gänse umherpatschen, sondern wo sie marschieren.« »Zeige mir wenigstens einen Weg, der nach Heyst geht.« »In Flandern sind's die Leute, die gehen, und nicht die Wege«, antwortete Ulenspiegel.
Soetkin sagte eines Tages zu Claes: »Lieber Mann, meine Seele ist betrübt, denn drei Tage ist es her, daß Thyl das Haus verlassen hat; weißt du nicht, wo er ist?« Claes antwortete traurig: »Er ist, wo die umherstreichenden Hunde sind, auf irgendeiner Landstraße, mit irgendwelchen Taugenichtsen seiner Art. Es war grausam von Gott, uns so einen Sohn zu geben. Als er geboren wurde, sah ich in ihm die Freude unserer alten Tage, einen Schaffenden mehr im Haus. Ich zählte darauf, einen Handwerker aus ihm zu machen, aber das böse Schicksal hat einen Spitzbuben und Faulenzer aus ihm gemacht.«
»Sei nicht so hart, lieber Mann«, sagte Soetkin, »unser Sohn zählt erst neun Jahre und ist voll kindischer Possen. Muß er nicht, wie die Bäume, erst seine Knospenhüllen über die Straße streuen, ehe er seine Blätter treibt, die bei den Menschen Ehrbarkeit und Tugend bedeuten? Er ist ein Schalk, das weiß ich wohl, aber seine Schalkhaftigkeit wird ihm später einmal zum Vorteil gereichen, wenn er sich ihrer nicht zu schlimmen Streichen bedient, sondern sie zu irgendeinem nützlichen Beruf braucht. Er liebt es, den Nachbar zu foppen; auch das kann einmal, in lustiger Brüderschaft, wohl am Platze sein. Er lacht ohne Unterlaß, aber Mienen, die sauer sind, ehe sie reif sind, sind ein übles Vorzeichen für die Gesichter der Zukunft. Wenn er läuft, so tut er's, um zu wachsen, wenn er nicht arbeitet, so kommt das daher, daß er noch nicht in dem Alter ist, in dem man weiß, daß Arbeit Pflicht ist, und wenn er sich des öfteren draußen umhertreibt, Tag und Nacht, eine halbe Woche lang, so weiß er nicht, welchen Schmerz er uns bereitet, denn er hat ein gutes Herz und liebt uns.«
Claes schüttelte den Kopf und antwortete nicht, und als er schlief, weinte Soetkin allein.
Am Morgen dachte sie, daß ihr Sohn vielleicht in irgendeinem Straßenwinkel krank läge, und trat vor die Tür, um auszuschauen, ob er nicht wiederkäme. Aber sie sah nichts; da setzte sie sich an das Fenster und blickte auf die Straße. Des öfteren hüpfte das Herz in ihrer Brust, wenn sie das Geräusch der leichten Tritte irgendeines Knaben hörte, wenn er dann vorbeikam und sie sah, daß es nicht Ulenspiegel war, dann weinte sie, die gequälte Mutter.
Indessen war Ulenspiegel mit seinen nichtsnutzigen Kameraden in Brügge auf dem Samstagsmarkt. Da sahen sie Schuster und Flickschuster in getrennten Buden, Schneider, die mit Kleidern handelten, die »Miesevangers« von Antwerpen, die bei Nacht mit einer Eule die Meisen fangen, Geflügelhändler, Spitzbuben, die Hunde fingen, Verkäufer von Katzenfellen, aus denen man Handschuhe, Brustlätze und Schürzen fertigt, dann sahen sie Käufer aller Art, Bürger und Bürgerinnen, Knechte und Diener, Bäcker, Kellermeister, Köche und Köchinnen, allesamt Kaufleute und Kunden, die, ihrer Eigenschaft entsprechend, riefen und schalten und die Waren anpriesen oder herabsetzten.
In einer Ecke des Marktes war ein schönes Leinwandzelt auf vier Pflöcken aufgespannt. Am Eingang dieses Zeltes stand ein Bauer aus der Tiefebene von Alost neben zwei Mönchen, die da waren, um das Geld einzunehmen, und zeigte den neugierigen Frommen für einen Patard ein Stück vom Schulterknochen der heiligen Maria Ägyptiaca. Mit zerbrochener Stimme brüllte er die Verdienste der Heiligen heraus und unterließ nicht, in seiner Erzählung zu berichten, wie sie, aus Mangel an Geld, einen jungen Fährmann mit der schönen Münze der Natur bezahlt hatte, um nicht gegen den Heiligen Geist zu sündigen, indem sie ihm seinen Lohn für die Arbeit verweigerte.