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Dieses eBook: "Tyll Ulenspiegel & Lamme Goedzak (Historischer Roman)" ist mit einem detaillierten und dynamischen Inhaltsverzeichnis versehen und wurde sorgfältig korrekturgelesen. Charles De Coster (1827-1879) war ein belgischer Schriftsteller. Sein Ulenspiegel, das Epos des Freiheitskampfes der Flamen gegen die spanische Unterdrückung, begründete die moderne französischsprachige Literatur Belgiens. Aus dem Buch: "Zu Damme in Flandern wurde, als der Mai dem Hagedorn die Blüten öffnete, Uilenspiegel geboren als Sohn von Klaas. Frau Katelijne, die Hebamme, hüllte das Kind in warme Wickel; als sie seinen Kopf besehn hatte, wies sie auf ein Häutchen: "Es ist behaubt," sagte sie fröhlich, "unter einem guten Stern geboren!" Schon deutete sie aber auch auf einen kleinen schwarzen Punkt auf der Schulter. "Weh," weinte sie, "das ist das schwarze Zeichen des Fingers des Teufels." "Da ist also der Herr Satan", versetzte Klaas, "wohl gar früh aufgestanden, daß er schon Zeit gehabt hat, meinen Sohn zu zeichnen?" "Er hat sich gar nicht niedergelegt gehabt," sagte Katelijne; "denn horch nur, eben erst weckt Krähehell die Hühner." Und sie legte das Kind Klaas in die Arme und ging. Nun zerriß die Dämmerung die nächtlichen Schatten, die Schwalben strichen zwitschernd über die Wiesen, und die Sonne zeigte am Horizonte purpurn ihr blendendes Antlitz. Klaas öffnete das Fenster und sagte zu Uilenspiegel: "Du mein Sohn mit der Haube, sieh die Mutter Sonne, die da kommt, das Land Flandern zu grüßen. Betrachte sie, wann du kannst; und wann du späterhin einmal in einem Zweifel befangen sein wirst und nicht weißt, was zu tun ist, um gut zu handeln, so bitte sie um Rat; sie ist klar und warm: sei so einfältig, wie sie klar ist, und so gut, wie sie warm ist." Da sagte Soetkin: "Klaas, mein Gatte, du predigst einem Tauben; komm trinken, mein Sohn." Und die Mutter bot dem Neugeborenen die schönen Trinkgefäße der Natur."
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Zu Damme in Flandern wurde, als der Mai dem Hagedorn die Blüten öffnete, Uilenspiegel geboren als Sohn von Klaas.
Frau Katelijne, die Hebamme, hüllte das Kind in warme Wickel; als sie seinen Kopf besehn hatte, wies sie auf ein Häutchen: »Es ist behaubt,« sagte sie fröhlich, »unter einem guten Stern geboren!« Schon deutete sie aber auch auf einen kleinen schwarzen Punkt auf der Schulter. »Weh,« weinte sie, »das ist das schwarze Zeichen des Fingers des Teufels.«
»Da ist also der Herr Satan«, versetzte Klaas, »wohl gar früh aufgestanden, daß er schon Zeit gehabt hat, meinen Sohn zu zeichnen?«
»Er hat sich gar nicht niedergelegt gehabt,« sagte Katelijne; »denn horch nur, eben erst weckt Krähehell die Hühner.« Und sie legte das Kind Klaas in die Arme und ging.
Nun zerriß die Dämmerung die nächtlichen Schatten, die Schwalben strichen zwitschernd über die Wiesen, und die Sonne zeigte am Horizonte purpurn ihr blendendes Antlitz. Klaas öffnete das Fenster und sagte zu Uilenspiegel: »Du mein Sohn mit der Haube, sieh die Mutter Sonne, die da kommt, das Land Flandern zu grüßen. Betrachte sie, wann du kannst; und wann du späterhin einmal in einem Zweifel befangen sein wirst und nicht weißt, was zu tun ist, um gut zu handeln, so bitte sie um Rat; sie ist klar und warm: sei so einfältig, wie sie klar ist, und so gut, wie sie warm ist.«
Da sagte Soetkin: »Klaas, mein Gatte, du predigst einem Tauben; komm trinken, mein Sohn.« Und die Mutter bot dem Neugeborenen die schönen Trinkgefäße der Natur.
Während Uilenspiegel bei ihr trank, erwachten alle Vögel im Felde. Klaas, der Wieden band, betrachtete die Mutter, wie sie Uilenspiegel die Brust reichte. »Weib,« sagte er, »hast du dich vorgesehn mit dieser guten Milch?«
»Die Krüge sind voll,« sagte sie, »aber das ist nicht genug, daß ich mich freuen könnte.«
»Bei einem so großen Glücke sprichst du gar kläglich.«
»Ich denke,« sagte sie, »daß kein falscher Plappart in der Tasche ist, die da an der Wand hangt.«
Klaas nahm die Tasche in die Hand; aber er hatte gut schütteln, er vernahm doch keinen klingenden Morgengruß. Er war bestürzt; immerhin wollte er seiner Frau Mut einsprechen: »Warum beunruhigst du dich? Haben wir nicht im Kasten den Kuchen, den uns gestern Katelijne gebracht hat? Sehe ich da nicht ein fettes Stück Fleisch, das wenigstens drei Tage lang gute Milch für das Kind schaffen wird? Dieser Sack mit Bohnen, so wohl geduckt in dem Winkel da, ist er ein Prophet des Hungers? Ist es ein Phantom, dies Tönnchen Butter? Sind das Gespenster, diese Wimpel und Fähnlein von Äpfeln, kriegerisch zu elfen in der Reihe geordnet, auf dem Boden? Ist sie nicht die Verheißung eines frischen Trunks, diese dicke, ehrliche Tonne voll Kuite von Brügge, die in ihrem Wanste unsere Erquickung birgt?«
Aber Soetkin sagte: »Wann das Kind zur Taufe getragen wird, müssen wir zwei Plappart dem Priester und für den Schmaus einen Gulden geben.«
In diesem Augenblicke trat Katelijne ein, einen großen Strauß in der Hand: »Ich bringe dem Kinde mit der Haube die Engelswurz, die den Menschen vor Üppigkeit bewahrt, den Fenchel, der Satan vertreibt. ...« »Hast du nicht«, fragte Klaas, »das Kraut, das die Gulden ruft?« »Nein.« »Dann«, sagte er, »gehe ich nachsehn, ob es nicht vielleicht im Kanal wächst.« Er nahm Schnur und Netz und ging weg, übrigens sicher, daß er niemand begegnen werde; denn es war eine Stunde vor der Oosterzon, wie in Flandern die Sonne um sechs Uhr früh heißt.
Klaas kam zum Kanal von Brügge, nicht weit von der See. Dort tat er den Köder an seine Schnur, warf ihn ins Wasser und ließ sein Netz sinken. Am andern Ufer war ein kleiner gutgekleideter Junge, der schlief auf einer Muschelbank wie ein Klotz. Auf das Geräusch, das Klaas machte, erwachte er und wollte ausreißen, in der Meinung, das sei einer von den städtischen Schergen, der gekommen sei, ihn aus seinem Bette zu treiben und ihn in den Steen zu führen wegen Landstreicherei. Aber seine Furcht verflog, als er Klaas erkannte, der ihn anrief: »Willst du sechs Heller verdienen? Dann jage die Fische hieher.«
Nun trat der Junge, dem sich schon ein kleiner Dickbauch wölbte, ins Wasser, bewaffnete sich mit einem Busche langen Schilfes und trieb die Fische Klaas zu. Als der Fang getan war, zog Klaas Schnur und Netz ein; über die Schleuse gehend, kam er zu dem Knaben. »Du bist der,« sagte er zu ihm, »den man Lamme nennt nach seinem Taufnamen und Goedzak wegen seines sanften Gemütes, und du wohnst in der Reigerstraat hinter Unserer Frau. Wieso mußt du denn, so jung und so gut gekleidet, im Freien schlafen?«
»Ach, Herr Kohlenträger,« antwortete der Junge, »ich habe daheim eine Schwester, um ein Jahr jünger als ich, die schlägt mich heftig aus dem geringsten Anlasse. Ich getraue mich nicht, an ihrem Rücken Vergeltung zu üben, denn ich würde ihr weh tun, Herr. Gestern beim Nachtmahl habe ich Großhunger gehabt und habe eine Schüssel Rindfleisch mit Bohnen ausgefingert, wovon sie gern ihren Teil gehabt hätte. Es war nicht gar viel für mich. Als sie dann sah, wie ich mich leckte wegen des Wohlgeschmacks der Brühe, wurde sie wie verrückt und prügelte mich mit beiden Händen so grimmig, daß ich, braun und blau geschlagen, vom Hause weggelaufen bin.«
Klaas fragte ihn, was sein Vater und seine Mutter getan hätten während dieser Prügelei, und Lamme Goedzak antwortete: »Mein Vater schlug mich auf die rechte Schulter und die Mutter auf die linke, und sie sagten zu mir: ›Wehre dich, Memme!‹ Ich aber wollte kein Mädchen schlagen und bin davongelaufen.«
Plötzlich erbleichte Lamme und begann an allen Gliedern zu zittern. Und Klaas sah eine große Frau kommen und an ihrer Seite ein kleines Mädchen, mager und von boshaftem Aussehn. »Ach,« sagte Lamme, indem er Klaas an den Hosen packte, »seht, meine Mutter und meine Schwester, die mich holen kommen. Nehmt mich in Schutz, Herr Kohlenträger.«
»Halt,« sagte Klaas, »nimm erst diese sieben Heller für deine Mühe, und nun gehn wir ihnen ohne Furcht entgegen.«
Als die zwei Weiber Lamme sahen, liefen sie auf ihn zu und wollten ihn beide prügeln: die Mutter, weil sie besorgt gewesen war, und die Tochter, weil sie dies in der Gewohnheit hatte. Lamme versteckte sich hinter Klaas und schrie: »Ich habe sieben Heller verdient, ich habe sieben Heller verdient, schlagt mich nicht.«
Aber schon schlang die Mutter die Arme um ihn, während die Tochter gewaltsam seine Hände zu öffnen versuchte, um ihm sein Geld zu nehmen. Jedoch Lamme schrie: »Es ist mein, du bekommst es nicht.« Und er schloß die Fäuste.
Immerhin zog Klaas das Mädchen tüchtig bei den Ohren und sagte zu ihr: »Wenn du dich noch einmal unterstehst, Streit zu suchen mit deinem Bruder, der gut und sanft ist wie ein Lamm, werde ich dich in ein schwarzes Kohlenloch stecken, und dort werde nicht mehr ich dich an den Ohren ziehen, sondern der rote Höllenteufel, der dich mit seinen großen Krallen in Stücke reißen wird und mit seinen Zähnen, die wie Gaffeln sind.« Auf diese Rede hin wagte es das Mädchen nicht mehr, Klaas anzusehn oder sich Lamme zu nähern, sondern suchte Zuflucht hinter den Röcken ihrer Mutter. Als sie aber in die Stadt kamen, schrie sie allenthalben: »Der Kohlenträger hat mich geschlagen! Er hat den Teufel in seinem Keller.«
Gleichwohl schlug sie Lamme von nun an nicht mehr. Als sie aber groß war, ließ sie ihn ihre Arbeit tun; der gute Tropf tat es willig.
Klaas verkaufte seinen Fang auf dem Wege an einen Pächter, der auch sonst seine Kundschaft war. Bei der Heimkehr sagte er zu Soetkin: »Da, was ich im Bauche von vier Hechten und neun Karpfen und in einem vollen Korb Aale gefunden habe.« Und er warf zwei Gulden und einen Plappart auf den Tisch. »Warum gehst du nicht tagtäglich fischen, Mann?« fragte Soetkin.
Klaas antwortete: »Um nicht am Ende selbst zum Fische zu werden für das Netz der Gemeindeschergen.«
Man nannte in Damme den Vater Uilenspiegels Klaas den Kooldrager. Klaas hatte schwarzes Haar und blitzende Augen; seine Haut war von der Farbe seines Geschäftes, außer an Sonn- und Festtagen, wo es in seiner Hütte Seife im Überflusse gab. Er war klein, vierschrötig und stark und blickte fröhlich in die Welt. Wann das Tagwerk getan war und der Abend einfiel, ging er wohl in irgendein Wirtshaus auf der Straße nach Brügge, um sich seinen von den Kohlen geschwärzten Schlund mit Kuite zu waschen; dann riefen ihm die Frauen, die auf den Schwellen ihrer Türen die Abendluft schlürften, freundschaftlich zu: »Guten Abend und klares Bier, Kohlenträger!« Und Klaas antwortete: »Guten Abend und einen Mann, der nicht schläft!«
Die Mädchen, die schwarmweise von den Feldern heimkehrten, stellten sich allesamt vor ihn hin, um ihm den Weg zu verlegen, und sagten zu ihm: »Was zahlst du, damit wir dich durchlassen: ein Scharlachband, eine Goldspange, Samtschuhe oder einen Gulden für den Beutel?« Aber Klaas nahm eine um die Mitte und küßte sie auf die prallen Wangen oder den frischen Hals, wohin eben sein Mund näher hatte; dann sagte er: »Das übrige, Kinder, das übrige verlangt von euern Liebhabern.« Und sie gingen weg, sich vor Lachen schüttelnd.
Die Kinder kannten Klaas an seiner grölenden Stimme und an seinen schweren Stiefeln; sie liefen zu ihm und sagten: »Guten Abend, Kohlenträger!« »Auch euch möge Gott ihn bescheren, meine Engelchen,« sagte Klaas; »aber kommt mir nicht zu nahe, sonst mache ich Negerlein aus euch.« Immerhin kamen die Kleinen in ihrer Kühnheit näher; dann nahm er eins beim Wams und rieb seine schwarzen Hände an dem frischen Mäulchen, worauf er es entließ, ebenso lachend wie das Kind, zum größten Vergnügen der andern.
Soetkin, die Gattin Klaasens, war eine gute Frau, früh wie das Tageslicht auf den Beinen und emsig wie die Ameise. Sie und Klaas bestellten gemeinsam ihr Feld und spannten sich wie die Ochsen vor den Pflug. Beschwerlich war dieses Ziehen, beschwerlicher noch das der Egge, wenn das ländliche Kunstwerk mit seinen hölzernen Zähnen die harte Erde aufreißen sollte; doch sie taten es fröhlichen Herzens und sangen ein Lied dazu. Und der Erde nützte es nichts, daß sie hart war, und die Sonne schoß vergebens ihre heißesten Strahlen auf die beiden herab; krümmten sich ihnen auch die Knie, mußten sie sich auch den Rücken blutig schinden, um die Egge vergeblich zu ziehen – wann bei der Rast Soetkin ihr süßes Antlitz Klaas zuwandte und Klaas diesen Spiegel einer zärtlichen Seele küßte, dann vergaßen sie die große Mühsal.
Tags zuvor war auf den Wehren des Stadthauses ausgerufen worden, daß die Kaiserin, die Gemahlin Kaiser Karls, schwanger sei und daß man Gebete sprechen solle für ihre nahe Entbindung.
Katelijne trat bei Klaas ein, am ganzen Körper zitternd. »Was hast du, Gevatterin?« fragte der Biedermann.
»Ach,« antwortete sie und sprach weiter nur abgerissene Worte: »Diese Nacht, Gespenster, die Männer niedermähend wie die Schnitter das Gras. – Mädchen, lebendig begraben! und auf ihren Leichnamen tanzte der Henker. – Ein Stein, Blut schwitzend seit neun Monaten, heute nacht geborsten.«
»Hab Mitleid mit uns,« wimmerte Soetkin, »hab Mitleid, Herrgott; das sind schlimme Vorzeichen für Flandern.«
Klaas fragte: »Hast du das mit deinen Augen gesehn oder im Traume?« »Mit meinen Augen,« sagte Katelijne.
Und totenblaß und unter Tränen sprach Katelijne weiter: »Zwei Kindlein sind geboren, das eine in Spanien, das ist das Kind Philipp, das andere in Flandern, das ist der Sohn Klaasens, der späterhin Uilenspiegel zubenannt werden wird. Philipp, gezeugt von Karl dem Fünften, wird zum Henker werden, zum Mörder unsers Landes. Uilenspiegel, wird ein großer Meister sein in fröhlicher Rede und Jugendtollheit, aber sein Herz wird gut sein, da er Klaas zum Vater hat, den wackern Werkmann, der es versteht, in aller Rechtschaffenheit, Ehrlichkeit und Schlichtheit sein Brot zu verdienen. Kaiser Karl und König Philipp werden durch das Leben sprengen, als Missetäter durch Schlachten, Bedrückungen und andern Frevel. Klaas, arbeitend die ganze Woche, lebend nach Recht und Gesetz und bei seiner harten Plage, anstatt zu weinen, lachend, wird das Sinnbild der tüchtigen Arbeiter Flanderns sein. Uilenspiegel, der, immer jung, niemals sterben wird, wird durch die Welt eilen, ohne sich jemals an einem Orte sässig zu machen. Und er wird Bauer, Edelmann, Maler, Bildner sein, alles miteinander. Und so wird er durch die Welt wandern, preisend das Schöne und Gute, über die Dummheit spottend mit vollem Munde. Klaas ist dein Mut, du edels Volk von Flandern, Soetkin ist deine tüchtige Mutter, Uilenspiegel ist dein Geist; ein liebes und schmuckes Mädchen, die Gefährtin Uilenspiegels und unsterblich so wie er, wird dein Herz sein, und ein Dickwanst, Lamme Goedzak, wird dein Magen sein. Hoch oben werden die Schinder des Volkes stehn, unten die Opfer, oben die diebischen Drohnen, unten die arbeitsamen Bienen, und im Himmel werden die Wunden Christi bluten.«
Nach diesen Worten entschlief Katelijne, die gute Hexe.
Man trug Uilenspiegel zur Taufe; plötzlich ging ein Regenguß nieder, der ihn ordentlich durchnäßte. So wurde er zum ersten Male getauft.
Als sie mit ihm die Kirche betraten, sagte der Küster, der Schoolmeester, dem Paten und der Patin, dem Vater und der Mutter, sie müßten sich rings um das Taufbecken aufstellen; und das taten sie. An der Deckenwölbung, gerade über dem Becken, war von einem Maurer ein Loch gemacht, wo an einem Sterne aus vergoldetem Holze eine Lampe aufgehängt werden sollte. Der Maurer, der von oben den Paten und die Patin stocksteif um das Becken, das zugedeckt war, stehn sah, goß nun tückisch durch das Loch in der Wölbung einen Eimer Wasser aus, und das gab auf dem Deckel des Beckens ein großes Spritzen. Aber Uilenspiegel bekam das meiste. Und so wurde er zum zweiten Male getauft.
Der Dechant kam. Sie beklagten sich bei ihm, aber er sagte ihnen, sie möchten sich beeilen, und das sei ein Zufall gewesen. Uilenspiegel zappelte heftig wegen des Wassers, das ihn getroffen hatte. Der Dechant gab ihm Salz und Wasser und nannte ihn Thijlbert, was besagen will »Voller Unruh«. So wurde er zum dritten Male getauft.
Aus der Frauenkirche gingen sie gegenüber in der Langestraat in den »Rosenkranz der Flaschen«, wo das Credo von einem Kruge gebildet wurde. Dort tranken sie siebzehn Kannen Doppelbier und noch mehr. Denn um durchnäßte Leute trocken zu machen, ist es die richtige Art in Flandern, im Wanst ein Feuer mit Bier zu entzünden. So wurde Uilenspiegel zum vierten Male getauft.
Als sie bei der Heimkehr den Weg im Zickzack gingen, den Kopf schwerer als den Körper, kamen sie zu einem Stege, der über eine kleine Pfütze gelegt war; Katelijne, die als Patin das Kind trug, tat einen Fehltritt und fiel in den Schlamm samt Uilenspiegel, der also das fünfte Mal getauft wurde.
Man zog ihn aus der Pfütze und wusch ihn in Klaasens Hause mit lauem Wasser, und das war seine sechste Taufe.
An demselben Tage beschloß Seine Heilige Majestät Kaiser Karl, prächtige Feste zu geben, um die Geburt seines Sohnes zu feiern. Wie Klaas beschloß auch er, fischen zu gehn, jedoch nicht in einem Kanale, sondern in den Beuteln und Taschen seiner Völker. Das sind die Stellen, wo die Fischschnüre der Fürsten Cruzados, Silbertaler, Löwengulden und all die wundersamen Fische fangen, die sich nach dem Willen des Fischers in samtene Kleider, kostbare Kleinode, erlesene Weine und leckere Bissen umwandeln. Denn die fischreichsten Bäche sind nicht die, die das meiste Wasser haben.
Als er den Rat versammelt hatte, setzte Seine Heilige Majestät fest, daß der Fang auf folgende Weise vor sich gehn solle: Der Herr Infant wird um neun oder zehn Uhr zur Taufe getragen. Die Einwohner von Valladolid werden, um ihre große Freude kundzutun, die ganze Nacht hindurch Feste und Schmause abhalten auf eigene Kosten und werden auf dem Großen Platze ihr Geld den Armen auswerfen. An fünf Straßenecken werden große Brunnen sein, aus denen bis zum Morgen Fluten schweren Weines, den die Stadt bezahlt, fließen werden. An fünf andern Straßenecken werden auf hölzernen Ständern Schlackwürste, Brägenwürste, Fischrogen, Kalbswürste, Ochsenzungen und andere Fleischgerichte ausgelegt sein, ebenfalls auf Kosten der Stadt. Die von Valladolid werden aus eigener Tasche in den Straßen, wo sich der Zug bewegen wird, Triumphbogen in großer Zahl errichten, sinnbildlich darstellend den Frieden, die Freude, den Überfluß, das Glück und alle möglichen Geschenke des Himmels, womit sie unter der Regierung Seiner Heiligen Majestät überschüttet worden sind. Endlich werden außer diesen friedlichen Bogen noch einige andere aufgestellt werden, wo man gemalt in lebendigen Farben weniger milde Schildereien sehn wird, als da sind Adler, Löwen, Lanzen, Hellebarden, Flammenspieße, Donnerbüchsen, Feldstücke, Falkonetten, weitgähnende Mörser und andres Zeuggerät, die die kriegerische Gewalt und Stärke Seiner Heiligen Majestät im Bilde dartun. Was die Lichter für die Beleuchtung der Kirche betrifft, so wird der Gilde der Wachszieher erlaubt sein, mehr als zwanzigtausend Kerzen umsonst zu erzeugen, deren nichtverbrannte Stümpfe dem Kapitel zufallen sollen. Wo es sich um andere Ausgaben handelt, wird diese der Kaiser gern machen und so seinen guten Willen, das Volk nicht zu sehr zu belasten, bezeugen.
Als die Stadt daranging, diese Befehle zu vollziehen, kam aus Rom eine traurige Zeitung. Der von Oranien, der von Alençon und Frundsberg, die Feldherrn des Kaisers, waren in die heilige Stadt eingedrungen und hatten dort Kirchen, Kapellen und Häuser verwüstet und geplündert, ohne irgend jemand zu schonen, nicht Priester, nicht Nonnen, weder Frauen noch Kinder. Der Heilige Vater war gefangen gesetzt worden. Nach einer Woche war die Plünderung noch nicht zu Ende, und die Reiter und Landsknechte schwärmten durch Rom, angefressen, betrunken und mit blanken Waffen: sie suchten nach den Kardinälen und sagten, sie würden sie ordentlich ins Leder schneiden, um es ihnen unmöglich zu machen, daß sie jemals Päpste würden; andere, die diese Drohung schon wahr gemacht hatten, schweiften trotzig in der Stadt herum, auf der Brust Rosenkränze von achtundzwanzig und mehr Kugeln, groß wie die Nüsse und ganz blutig. Manche Straßen waren rote Bäche, wo die nackt ausgeplünderten Leichen lagen. Etliche behaupteten, der Kaiser habe in seiner Geldnot im kirchlichen Blute fischen wollen und den gefangenen Papst, nachdem er erfahren hatte, was für einen Vertrag ihm seine Feldherren aufgedrungen hatten, gezwungen, ihm alle festen Plätze seiner Staaten abzutreten, 400 000 Dukaten zu bezahlen und so lange in Haft zu bleiben, bis dies ausgerichtet sei. Immerhin war der Schmerz Seiner Majestät groß; er sagte alle Veranstaltungen, Feste und Lustbarkeiten ab und befahl den Herren und Damen seines Hofes, Trauer anzulegen. Und der Infant wurde in seinen weißen Wickeln getauft; so sind die Wickel bei königlicher Trauer.
Dies erklärten die Herren und Damen für ein düsters Vorzeichen.
Nichtsdestoweniger präsentierte die Frau Amme den Infanten den Herren und Damen des Hofes, damit sie ihm nach der Gepflogenheit ihre Wünsche und Geschenke darbrächten. Frau von der Coena hängte ihm einen schwarzen Stein um den Hals zum Schütze vor dem Gifte; der hatte die Gestalt und Größe einer Haselnuß, und die Schale war von Gold. Frau von Chauffade band ihm an einem Seidenfaden, der über den Magen herabhing, eine Lambertsnuß an, die die gute Verdauung der Speise beschleunigen sollte. Messire van den Steen aus Flandern bot ihm eine Schlackwurst aus Gent, fünf Ellen lang und eine halbe dick, und wünschte Seiner Hoheit in Ehrfurcht, daß sie auf ihren Geruch allein Durst nach gentischem Klauwaart bekomme, wobei er sagte, wer das Bier einer Stadt liebe, könne die Brauer nicht hassen. Junker Jakob Christoph von Castilien bat den gnädigsten Herrn, den Infanten, an seinen kleinen Füßen einen grünen Jaspis zu tragen, der ihn gut laufen machen werde. Jan de Paepe, der Narr, der da war, sagte: »Messire, schenkt ihm lieber das Horn Josuas, bei dessen Schalle alle Städte im tüchtigen Trabe vor ihm laufen sollen, um ihre Örtlichkeit zu wechseln, samt allen Einwohnern, Männern, Weibern und Kindern; denn der gnädigste Herr soll nicht lernen zu laufen, sondern die andern laufen zu machen.«
Die verweinte Witwe von Floris van Borsele, der der Herr von Veere in Seeland gewesen war, schenkte dem gnädigsten Herrn Philipp einen Stein, von dem sie sagte, er mache die Männer liebenswürdig und die Frauen trostlos. Aber der Infant wimmerte wie ein Kalb.
Zu derselben Zeit gab Klaas seinem Sohne eine Klapper aus Weidenholz mit Schellen in die Hände und sagte, indem er Uilenspiegel auf seiner Hand tanzen ließ: »Schellen, klingende Schellen, könntest du sie nur immerdar an deinem Hute tragen, du kleiner Mann; denn es sind die Narren, die allzeit die Welt beherrschen.« Und Uilenspiegel lachte.
Klaas hatte einen großen Salm gefangen, und diesen Salm aß er eines Sonntags mit Soetkin, Katelijne und dem kleinen Uilenspiegel; aber Katelijne aß nicht mehr als ein Vogel. »Gevatterin,« sagte Klaas zu ihr, »ist denn die Luft Flanderns derzeit so stark, daß du nur zu atmen brauchst, um ebenso satt zu sein wie von einer Schüssel Fleisch? Wird man denn jemals so leben können? Der Regen gäbe eine gute Suppe, hageln würde es Bohnen, und der Schnee würde als himmlisches Hackfleisch den armen Wanderer erquicken.«
Katelijne schüttelte den Kopf und gab keinen Laut von sich. »Seht nur,« sagte Klaas, »die Gevatterin ist traurig. Was ist es denn, was sie härmt?«
Aber Katelijne sprach mit einer Stimme, die einem Hauche glich: »Der Böse, schwarz fällt die Nacht ein. – Ich höre ihn, wie er sein Kommen anzeigt – schreiend wie ein Adler. – Erschauernd flehe ich zu Unserer Frau – vergebens. – Für ihn gibts keine Mauer, keinen Zaun, nicht Tür noch Fenster. Er dringt allerorts durch wie ein Geist. – Die Leiter knarrt. – Er ist bei mir auf dem Boden, wo ich schlafe. Er packt mich mit seinen kalten Armen, hart wie Marmor. – Das Antlitz eisig, die Küsse feucht wie Schnee. – Die Hütte schwankt auf der Erde und bewegt sich gleich einem Kahne auf stürmischer See. ...«
Und Klaas sagte: »Du mußt allmorgendlich zur Messe gehn, damit dir der Herr Jesus die Kraft gebe, dieses Gespenst zu verjagen, das aus der Unterwelt kommt.«
»Er ist so schön!« sagte sie.
Uilenspiegel wuchs, als er entwöhnt war, wie eine junge Pappel. Klaas küßte ihn jetzt nicht mehr so häufig, aber er liebte ihn in einer herben Art, um ihn ja nicht zu verzärteln. Wann Uilenspiegel beim Nachhausekommen klagte, er habe bei einem Raufhandel Püffe bekommen, schlug ihn Klaas, weil nicht er die andern geschlagen habe; und bei dieser Erziehung wurde Uilenspiegel stark wie ein junger Leu. Wann Klaas abwesend war, verlangte Uilenspiegel von Soetkin einen Kreuzer, um spielen zu gehn. Unwillig sagte Soetkin: »Was hast du not, spielen zu gehn? Bleib lieber daheim und binde Wieden!«
Wann nun Uilenspiegel sah, daß sie ihm nichts gab, schrie er wie ein Adler; aber Soetkin schlug mit den Pfannen und Schüsseln, die sie in einem hölzernen Troge wusch, einen mächtigen Lärm, als ob sie ihn nicht mehr anhören wollte. Nun begann Uilenspiegel zu weinen, und die süße Mutter ließ ab von ihrer verstellten Härte, trat zu ihm, liebkoste ihn und sagte: »Hast du genug mit einem Silbergroschen?« Nun müßt ihr wissen, daß der Groschen sechs Kreuzer galt. Also liebte sie ihn allzusehr, und wann Klaas nicht da war, war Uilenspiegel König im Hause.
Eines Morgens sah Soetkin, daß Klaas, den Kopf gesenkt, in der Küche herumirrte, wie ein Mensch, der in Gedanken verloren ist. Sie sagte: »Was hast du für einen Kummer, Mann? Du bist bleich, unmutig und zerstreut.«
Klaas antwortete mit dumpfer Stimme, wie ein Hund, der greint: »Sie wollen die grausamen Plakate des Kaisers erneuern. Der Tod wird von neuem über Flandern schweben. Die Angeber werden die Hälfte des Gutes der Opfer erhalten, außer das Gut ist größer als hundert Karlsgulden.«
»Wir sind arm,« sagte sie.
»Arm wohl,« antwortete er, »aber doch nicht arm genug. Es gibt solche jämmerliche Menschen, Geier und Raben, die von Leichen leben, die uns, um mit Seiner Majestät einen Korb Kohlen zu teilen, geradeso angeben werden, wie wenn es sich um einen Sack Karlsgulden handelte. Was besaß denn das arme Tanneken, die Witwe von Sies dem Schneider, die in Heist versterben mußte, lebendig begraben? Außer einer lateinischen Bibel und drei Gulden noch ein wenig Geschirr aus englischem Zinn, wonach ihre Nachbarin lüstern war. Joanna Martens ist ins Wasser geworfen, dann aber als Hexe verbrannt worden; denn ihr Körper hatte oben geschwommen, und darin sah man Zauberei. Sie besaß einen armseligen Hausrat und in einem Beutel sieben Karlsgulden, und der Angeber wollte die Hälfte haben! Ach, bis morgen, Weib, könnte ich dir so erzählen, aber laß nur, Weib, das Leben in Flandern ist nicht mehr lebensmöglich wegen dieser Plakate. Bald wird allnächtlich der Karren des Todes durch die Stadt fahren, und wir werden das Gerippe sich tummeln hören mit dem dürren Klirren seines Gebeins.«
Soetkin sagte: »Du brauchst mir keine Angst zu machen, Mann. Der Kaiser ist der Vater von Flandern und Brabant und als Vater begabt mit Langmut, Milde, Duldsamkeit und Erbarmen.«
»Er würde dabei zu viel verlieren,« antwortete Klaas; »er erbt ja das eingezogene Gut.«
Plötzlich erklang die Trompete des Stadtherolds, und seine Zimbeln schrillten. Klaas und Soetkin, die abwechselnd Uilenspiegel trugen, liefen auf den Lärm mit der Volksmenge hin. Als sie zum Stadthause kamen, hielten dort die Herolde zu Pferde, die Trompete blasend und die Zimbeln schlagend, und der Profoß, den Stab der Gerechtigkeit in der Hand; und der Stadtprokurator, hoch zu Roß, hielt eine Verordnung des Kaisers in beiden Händen und schickte sich an, sie vor der Volksmenge zu verlesen.
Klaas verstand gar wohl, daß darin von neuem allen, allgemein und einzeln, verboten wurde, zu drucken, zu lesen, zu besitzen oder zu bewahren die Schriften, Bücher und Lehren von Martin Luther, Johannes Wiclif, Johannes Huß, Marsilius von Padua, Oecolampadius, Ulricus Zwingli, Philippus Melanchthon, Franciscus Lambertus, Johannes Pomeranus, Otto Brunfelsius, Justus Jonas, Johannes Puperis und Gorcianus, ferner die Drucke des Neuen Testaments von Adriaan van Bergen, Christoffel van Remonda und Joannes Zel, voll lutherischer und anderer Irrlehren, verworfen und verdammt von der theologischen Fakultät der Universität zu Löwen. »Gleichfalls das Malen oder Konterfeien oder das Bestellen des Malens oder Konterfeiens von schmählicher Schilderei oder Afterbildern Gottes und der heiligen Jungfrau Maria oder seiner Heiligen und das Zerbrechen, Vernichten oder Verwischen von Bildern oder Konterfeien, die gemacht worden sind zur Ehre, zur Erinnerung oder zum Gedächtnis für Gott und die heilige Jungfrau oder die von der Kirche anerkannten Heiligen.« Überdies, besagte das Edikt, sollte sich niemand, wes Standes er immer sei, unterstehn, in der Heiligen Schrift zu unterrichten oder über sie zu streiten, dies nicht einmal bei zweifelhaften Stellen, außer er sei ein wohlberufener Theologe, anerkannt von einer namhaften Universität.
Unter andern Strafen setzte Seine Heilige Majestät fest, daß die Verdächtigen nie und nimmer sollten ein Ehrenamt bekleiden dürfen. Leute, die in ihren Irrtum zurückfielen oder widerspenstig seien, die sollte man verurteilen, verbrannt zu werden an einem linden oder einem lebhaften Feuer, in einem Strohgehäuse oder an einen Pfosten gefesselt, je nach dem Gutdünken des Richters. Die andern sollten gerichtet werden durch das Schwert, wenn sie Edelleute oder gute Bürger seien, gemeine Mannsleute aber am Galgen und die Frauen durch Eingraben. Ihre Köpfe sollten zum abschreckenden Beispiele auf Pfählen aufgepflanzt werden. Dazu hatte noch, zum Vorteile des Kaisers, die Einziehung aller Güter zu erfolgen, die an Plätzen lagen, welche der Einziehung unterworfen waren.
Seine Heilige Majestät bewilligte den Angebern die Hälfte alles dessen, was die Toten besessen hatten, wenn nicht ihre Habe alles in allem den Betrag von hundert Pfund Groschen flandrisches Geld überstieg. Für seinen Teil behielt sich der Kaiser vor, ihn auf Werke der Frömmigkeit und Barmherzigkeit anzuwenden, wie ers beim Sacco di Roma getan hat.
Traurig ging Klaas mit Soetkin und Uilenspiegel weg.
Da das Jahr gut gewesen war, kaufte Klaas um sieben Gulden einen Esel und neun Scheffel Erbsen. Eines Morgens bestieg er sein Tier, und Uilenspiegel hielt sich hinter ihm an der Kruppe. In diesem Aufzug reisten sie Uilenspiegels Oheim, Klaasens ältern Bruder, besuchen, Judocus Klaas, der in Deutschland wohnte, nicht weit von Meiborg.
Judocus, der in seinen guten Jahren einfältig und weichherzig gewesen war, hatte vielerlei Ungerechtigkeit erleiden müssen und war verbittert geworden: sein Blut hatte sich in schwarze Galle verwandelt, er hegte Haß gegen die Menschen und lebte fürder einsam. Nun war es ihm ein Vergnügen, zwei sogenannte treue Freunde zum Raufen zu bringen; und er gab drei Plappart dem, der den andern bitterer puffte.
Auch liebte er es, in einem wohlgeheizten Saale Weiber zu versammeln, in großer Zahl und gerade die ältesten und giftigsten, und er gab ihnen geröstetes Brot zu essen und Hippokras zu trinken. Denen, die mehr als sechzig Jahre hatten, gab er Wolle, damit sie in einem Winkel strickten, und er schärfte ihnen allzeit ein, sie sollten ihre Nägel lang wachsen lassen. Und es war wundersam, dies Poltern, Zungenplätschern, böse Tratschen, Husten und heisere Ausschleimen dieser alten Hexen zu hören, die, ihre Nadelhälter unter den Achseln, gemeinschaftlich an der Ehre des Nächsten knapperten. Wann dann Judocus sah, daß sie so recht im Gange waren, warf er Borsten ins Feuer; durch ihr Verbrennen ward die Luft sofort mit Gestank erfüllt.
Nun warfen sich die Weiber, alle auf einmal redend, gegenseitig vor, die Ursache des Geruches zu sein; da sie es aber durch die Bank leugneten, rissen sie einander bald an den Haaren, und Judocus warf weiter Borsten ins Feuer und auf die Erde abgeschnittenes Pferdehaar. Wann endlich das Getümmel so wild, der Rauch so dick und der Staub so hoch aufgewirbelt war, daß er nichts mehr sehn konnte, holte er zwei seiner Diener, die als Stadtschergen verkleidet waren, und die mußten die Alten mit mächtigen Gertenhieben aus dem Saale jagen wie eine Herde wild gewordener Gänse.
Und bei der Besichtigung der Walstatt fand Judocus Fetzen von Röcken, von Strümpfen und von Hemden und alte Zähne. Und ganz traurig sprach er zu sich: »Der Tag ist verloren; keine hat im Getümmel die Zunge gelassen.«
In der Vogtei von Meiborg kam Klaas durch ein Wäldchen; trottend weidete der Esel die Disteln ab, und Uilenspiegel warf seine Mütze nach den Schmetterlingen und erhaschte sie wieder, ohne den Rücken des Grautiers zu verlassen. Klaas aß eine Schnitte Brot mit der Absicht, sie in der nächsten Schenke tüchtig zu befeuchten. Von der Ferne hörte er den Klang eines Glöckleins und den Lärm eines großen Haufens durcheinander sprechender Menschen. »Das ist«, sagte er, »irgendeine Wallfahrt, und die Herrn Wallfahrer sind zweifellos zahlreich. Halte dich nur, mein Sohn, auf dem Hengste, damit sie dich nicht herunterstoßen. Gehn wir schauen. Vorwärts, Grauchen, friß mein Fersen!«
Und das Grauchen setzte sich in Trab.
Als sie über den Rand des Waldes hinaus waren, ging es abwärts gegen eine weite Hochebene, die an ihrem westlichen Hange von einem Flusse eingesäumt wurde; an der Seite des östlichen Hanges war eine kleine Kapelle erbaut: der Giebel trug das Bild Unserer Frau, ihr zu Füßen zwei kleine Figuren, deren jede einen Stier darstellte. Auf den Stufen der Kapelle standen grinsend ein Einsiedler, der das Glöckchen läutete, fünfzig Büttel mit brennenden Kerzen, Trommler, Zinkenisten, Pfeifer, Schalmeien- und Dudelsackbläser und ein Troß fröhlicher Gesellen, die eiserne Kästchen voll alten Eisenzeugs in der Hand hielten; aber in diesem Augenblicke war alles ruhig.
Fünftausend und mehr Wallfahrer kamen daher in geschlossenen Reihen zu sieben Mann; auf dem Haupte hatten sie Helme, und in den Händen trugen sie Stöcke von grünem Holze. Und wenn neue also behelmte und gewappnete dazukamen, so ordneten sie sich mit großem Getöse hinter die andern. Zu sieben und sieben bei der Kapelle vorbeiziehend, ließen sie ihre Stöcke segnen, erhielten jeder eine Kerze aus den Händen der Büttel und zahlten dafür Mann für Mann dem Einsiedler einen halben Gulden. Und ihr Zug war so lang, daß die Kerzen der vordersten mit ihrem Dochte zu Ende waren, bevor die der letzten anbrennen konnten vor der Fülle des Talges.
Mächtig verdutzt sahen also Klaas, Uilenspiegel und der Esel eine große Mannigfaltigkeit von Wanstträgern, Trägern von weiten, hohen, langen, spitzigen, trotzigen, festen oder schlaff auf die natürliche Unterlage fallenden Wänsten. Und all diese Wallfahrer trugen Helme. Sie hatten solche von Troja und ähnlich den phrygischen Mützen oder gekrönt von einem Busche roten Haars; manche, obgleich pausbackig und panstig, trugen Helme mit ausgespannten Vogelflügeln, ohne auch nur eine Ahnung von der Voglerei zu haben, und dann kamen einige mit Pickelhauben, die den Heringen zu schlecht gewesen wären. Aber die meisten trugen so alte und verrostete Helme, daß sie auf die Zeiten von Gambrinus zurückzugehn schienen, dem Könige Flanderns und des Bieres, der neunhundert Jahre vor Unserm Herrn lebte und sich, damit er nicht wegen des Mangels eines Bechers aufs Trinken verzichten müsse, eine Kanne aufs Haupt setzte.
Plötzlich läuteten, wimmerten, donnerten, hämmerten, kläfften, brausten, klirrten die Glocken, Dudelsäcke, Schalmeien und Eisenstücke. Auf dieses Getöse, das ein Signal für sie war, kehrten die Wallfahrer um, stellten sich in Rotten zu sieben einander gegenüber und stießen sich gegenseitig, statt einer Herausforderung, die brennenden Kerzen unter die Nase. Da gabs denn ein mächtiges Niesen. Und das Grünholz regnete. Und sie schlugen einander mit den Fäusten, den Köpfen, den Absätzen und allem. Manche stürzten sich auf ihre Gegner wie die Widder, den Helm voran, rannten in diesen hinein bis an die Schultern und fielen, blind geworden, auf eine Siebenerrotte wütender Wallfahrer, von denen sie ohne Milde empfangen wurden. Andere, Greiner und Memmen, klagten über die erhaltenen Schläge; während sie aber ihren traurigen Rosenkranz murmelten, stürzten, wild wie der Wetterstrahl, zwei Siebenerrudel kämpfender Wallfahrer über sie und warfen die armen Greiner zur Erde und rasten mitleidslos über sie hinweg. Und der Einsiedler lachte.
Andere Siebenerrudel, die einander festhielten wie die Traube den Schuß, rollten den Hang hinunter in den Fluß, und auch dort prügelten sie sich, ohne daß sich ihre Wut gekühlt hätte. Und der Einsiedler lachte.
Die, die oben geblieben waren, schlugen sich die Augen dick, zerstießen sich die Zähne, rissen sich die Haare aus und zerfetzten sich Wams und Hosen. Und der Einsiedler lachte und sagte: »Mut, Freunde, je besser einer schlägt, desto stärker ist seine Liebe. Den tüchtigsten Kampen die Liebe ihrer Schönen! Unsere Frau von Rindbisbels, hier ist es, wo man sieht, wer ein Mann ist!«
Und die Wallfahrer gaben sichs nach Herzenslust.
Inzwischen hatte sich Klaas dem Einsiedler genähert, während Uilenspiegel lachend und schreiend den Hieben Beifall klatschte. »Mein Vater,« sagte Klaas, »was für ein Verbrechen haben denn diese armen Schlucker begangen, daß sie sich so grausam schlagen müssen?« Aber ohne auf ihn zu hören, schrie der Einsiedler: »Ihr Bärenhäuter, ihr verliert den Mut! Wenn die Fäuste müde sind, sind es deswegen auch die Füße? Gott verdamm mich! Da gibts Leute, die die Beine haben, um davonzulaufen wie die Hasen! Was läßt das Feuer aus dem Steine spritzen? Das Eisen, das ihn schlägt. Was ists, was die Manneskraft der alten Leute belebt, wenn nicht eine tüchtige Tracht Prügel, gewürzt mit männlicher Wut?«
Auf diese Worte hin fuhren die braven Pilger fort, aufeinander loszugehn mit den Helmen, den Händen und den Füßen. Es war ein so wildes Getümmel, daß Argus samt seinen hundert Augen nichts hätte unterscheiden können, als den aufwallenden Staub und dann und wann eine Helmspitze.
Plötzlich läutete der Einsiedler die Glocke. Die Pfeifen, die Trommeln, die Trompeten, die Dudelsäcke, die Schalmeien und das Eisenzeug verstummten. Und das war das Zeichen des Friedens.
Die Wallfahrer lasen ihre Verwundeten zusammen. Unter diesen sah man manche, denen die vor Wut geschwollenen Zungen zum Maule heraushingen; aber die Jungen kehrten von selbst in ihre gewohnte Pfalz zurück. Das Schwierigste war, die von den Helmen zu lösen, die sie sich bis an den Hals hinaufgerannt hatten und nun den Kopf schüttelten, freilich ohne daß die Helme anders gefallen wären als grüne Zwetschen. Unterdessen sagte ihnen der Einsiedler: »Sprecht jeder ein Ave und kehrt heim neben euere Weiber. In neun Monaten wirds in der Vogtei um so viel Kinder mehr geben, als es heute auf der Walstatt tüchtige Kämpen gab.« Und der Einsiedler sang das Ave, und alle sangen mit ihm. Und das Glöcklein läutete.
Dann segnete er sie im Namen Unserer Frau von Rindbisbels und sagte zu ihnen: »Ziehet hin in Frieden!«
Sie zogen von dannen nach Meiborg, schreiend, sich stoßend und singend. Und die Weiber, alte und junge, erwarteten sie auf der Schwelle der Häuser, wo sie eindrangen wie die Kriegsknechte in eine im Sturme genommene Stadt. Die Glocken von Meiborg dröhnten im vollen Schwunge; die Buben pfiffen, schrien und spielten auf dem Rommelpot. Die Kannen, Humpen, Becher, Gläser, Flaschen und Schoppen klingklangelten wunderbar. Und der Wein floß in Strömen in die Kehlen.
Während dieses Geläutes und während der Wind die Stimmen der singenden Männer, Frauen und Kinder stoßweise zu ihm herübertrug, sprach Klaas abermals mit dem Einsiedler und fragte ihn, was das für eine himmlische Gnade sei, die die braven Leute durch dies rauhe Gehaben zu erlangen hofften.
Lachend antwortete ihm der Einsiedler: »Du siehst auf dieser Kapelle zwei Bildwerke, die zwei Stiere darstellen. Sie sind hier angebracht zum Gedächtnis des Wunders, das der heilige Martin verrichtet hat: er hat nämlich zwei Ochsen in Stiere verwandelt, indem er sie einander mit den Hörnern stoßen ließ, ihnen dann mit einer Kerze übers Maul strich und sie mit grünem Holze eine Stunde lang und noch länger schlug.
In Kenntnis dieses Wunders und ausgestattet mit einem Breve Seiner Heiligkeit, das ich teuer bezahlt habe, habe ich mich hier niedergelassen. Von Stund an waren auf meine Predigten hin alle alten Hustriche und Wanstträger von Meiborg und dem Lande herum sicher, daß sie sich nach einer tapfern Schlägerei mit der Kerze, das ist die Salbung, und mit dem Stocke, das ist die Stärke, Unsere Frau günstig stimmen würden. Die Weiber schicken ihre alten Männer her. Die Kinder, die durch die Kraft der Wallfahrt geboren werden, sind ungeschlacht, kühn, wild und behend und geben vollkommene Soldaten.«
Gählings sagte der Einsiedler zu Klaas: »Kennst du mich?«
»Ja,« antwortete Klaas; »du bist mein Bruder Judocus.«
»Der bin ich,« erwiderte der Einsiedler; »wer ist denn aber der kleine Kerl da, der mir Fratzen schneidet?«
»Das ist dein Neffe.«
»Was ist bei dir für ein Unterschied zwischen mir und Kaiser Karl?«
»Der ist groß,« antwortete Klaas.
»Er ist klein,« versetzte Judocus; »denn wir tun beide dasselbe zu unserm Vorteile und Vergnügen: er läßt die Menschen einander töten und ich sie einander schlagen.« Dann führte er sie in seine Einsiedelei, und dort zechten und schmausten sie elf Tage lang ohne einen Waffenstillstand.
Als Klaas Urlaub nahm von seinem Bruder, bestieg er wieder seinen Esel; Uilenspiegel saß hinter ihm auf der Kruppe. Sie kamen über den großen Platz von Meiborg, und dort sah Klaas eine große Anzahl von Wallfahrern, in Haufen zusammengerottet, die bei ihrem Anblicke plötzlich in Wut kamen und, ihre Stöcke schwingend, allesamt schrien: »Nichtsnutz!«; die Ursache war Uilenspiegel, der, die Hosen offen, das Hemd geschürzt hatte und ihnen sein andres Gesicht zeigte. Klaas sah, daß ihr Drohen seinem Sohne galt, und fragte ihn: »Was hast du getan, daß die so ungehalten sind über dich?«
»Lieber Vater,« antwortete Uilenspiegel, »ich sitze ganz ruhig auf dem Esel, und derweil schelten sie mich einen Nichtsnutz.«
Nun setzte ihn Klaas vor sich. In dieser Stellung reckte Uilenspiegel die Zunge auf die Wallfahrer; die zeigten ihm wütend die Fäuste und wollten mit erhobenen Stöcken auf Klaas und den Esel los. Aber Klaas ferste seinen Esel, um ihrem Grimme zu entrinnen; während sie verfolgt wurden, sagte er, schon halb außer Atem, zu seinem Sohne: »Du bist doch an einem richtigen Unglückstage geboren: du sitzt vor mir, du tust niemand was zuleide, und sie wollen dich erschlagen.«
Uilenspiegel lachte.
Als sie durch Lüttich kamen, erfuhr Klaas, daß die armen Teufel von Rivage Hungersnot litten und daß man sie der Rechtsprechung des Offizials, eines Tribunals von geistlichen Richtern, unterworfen hatte. Sie erhoben sich, um Brot und weltliche Richter zu bekommen. Einige wurden enthauptet oder gehenkt und die andern des Landes verwiesen; so groß war damals die Güte des Herrn von der Mark, des milden Erzbischofs.
Klaas sah auf dem Wege die Verwiesenen, fliehend aus dem süßen Tale von Lüttich, und an den Bäumen nahe der Stadt die Leichname der ihres Hungers wegen gehenkten Menschen. Und er weinte über sie.
Auf seinem Esel reitend, kam er nach Hause, ausgestattet mit einem Sacke voller Plapparte, den ihm samt einem schönen Humpen aus englischem Zinn sein Bruder Judocus geschenkt hatte; nun lebten sie in der Hütte Sonntags und Wochentags in Saus und Braus und aßen alltäglich Fleisch und Bohnen.
Klaas goß sich immer wieder Doppelbier ein und leerte gar oft den großen Humpen aus englischem Zinn. Uilenspiegel aß für drei und weidete in den Schüsseln wie ein Spatz im Kornschober.
»Schau,« sagte Klaas, »er ißt auch das Salzfaß.«
Uilenspiegel antwortete: »Wenn das Salzfaß, so wies bei uns zutrifft, ein gehöhltes Stück Brot ist, so muß man es manchmal essen, damit nicht Würmer drin wachsen, wann es alt wird.«
»Warum«, fragte Soetkin, »wischst du dir die fetten Hände an den Hosen ab?«
»Das geschieht,« antwortete Uilenspiegel, »damit mir die Nässe nicht an die Beine kann.« Daraufhin tat Klaas einen tiefen Schluck Bier aus seinem Humpen.
Uilenspiegel sagte zu ihm: »Warum hast du eine so große Kanne, wo ich nur ein winziges Becherlein habe?«
Klaas antwortete: »Weil ich dein Vater bin und der Herr im Hause.«
Uilenspiegel entgegnete: »Du trinkst seit vierzig Jahren, ich erst seit neun; deine Zeit ist vorbei, die meine ist gekommen: daher ists an mir, den Humpen zu haben, und an dir, den Becher zu nehmen.«
»Sohn,« sagte Klaas, »wer in ein Fäßlein das Maß einer Tonne gießen wollte, würde das Bier in die Gosse schütten.«
»Du wirst doch vernünftig sein,« antwortete Uilenspiegel, »und dein Fäßlein in meine Tonne gießen; ich bin ja größer als dein Humpen.« Und fröhlich gab ihm Klaas den Humpen, auf daß er ihn leere. Und so lernte Uilenspiegel ums Trinken zu reden.
Soetkin trug unter dem Gürtel das Zeichen einer neuen Mutterschaft. Auch Katelijne war schwanger; doch getraute sie sich vor Angst nicht aus dem Hause. Wann Soetkin sie besuchen kam, sagte Katelijne ganz traurig: »Ach, was werde ich mit der armen Frucht meiner Lenden anfangen? Soll ich sie ersticken? Lieber möchte ich sterben. Wenn mich aber die Schergen greifen, weil ich als Ledige ein Kind habe, werde ich wie eine Hübscherin zwanzig Gulden zahlen müssen und werde gestäupt werden auf dem Großen Markte.«
Nun sagte ihr Soetkin, um sie zu trösten, ein paar liebe Worte; sie verließ sie und kam versonnen heim. Endlich sagte sie eines Tages zu Klaas: »Mann, wenn ich so anstatt eines Kindes zwei hätte, würdest du mich schlagen?«
»Ich weiß nicht,« antwortete Klaas.
»Aber,« sagte sie, »wenn das zweite nicht von mir käme, sondern so wie das Katelijnens das Werk eines Unbekannten wäre, vielleicht des Teufels?«
Klaas antwortete: »Die Teufel erzeugen Feuer, Mord und Rauch, aber Kinder, nein. Ich werde Katelijnens Kind als meines annehmen.«
»Das würdest du tun?«
»Ich habe es gesagt.«
Soetkin ging zu Katelijne, um ihr diese Neuigkeit zu berichten. Die konnte sich auf diese Botschaft hin kaum halten vor Freude und rief in Verzückung: »Er hat gesprochen, der Biedermann, gesprochen für das Heil meines Leibes. Er wird gesegnet sein von Gott und wird gesegnet sein vom Teufel, wenn es«, sagte sie erschauernd, »ein Teufel war, der dich gezeugt hat, dich armes Ding, das sich unter meinem Herzen rührt.«
Soetkin brachte einen Sohn zur Welt, Katelijne eine Tochter. Beide wurden als Kinder Klaasens zur Taufe gebracht. Der Sohn Soetkins, der Hans genannt worden war, blieb nicht am Leben; die Tochter Katelijnens, Nele geheißen, geriet gut.
Nele trank den Lebenssaft aus vier Flaschen, das waren die zwei Katelijnens und die zwei Soetkins. Und die beiden Frauen stritten liebreich, wer dem Kinde zu trinken geben solle. Ihrem Herzenswunsche zum Trotze war aber Katelijne gezwungen, ihre Milch versiegen zu lassen, damit man sie nicht einmal frage, woher sie sie habe, ohne Mutter zu sein.
Als ihre Tochter, die kleine Nele, entwöhnt war, nahm sie sie zu sich und ließ sie nicht zu Soetkin gehn, bevor sie sie Mutter genannt hatte. Die Nachbarn sagten, von Katelijne, die vermögend war, sei es schön, daß sie das Kind von Klaas erziehe, der mit seiner Familie ärmlich wie stets sein dürftiges Leben führte.
Eines Morgens fühlte Uilenspiegel Langeweile, da er sich allein zu Hause befand; da zerschnitt er einen Schuh seines Vaters, um daraus ein Schiffchen zu machen. Schon hatte er den Hauptmast in der Sohle befestigt und das Oberleder zerlöchert, um das Bugspriet anzubringen, als er halb in der Tür den Oberleib eines Reiters und einen Pferdekopf erscheinen sah.
»Ist jemand da?« fragte der Reiter. »Ja,« antwortete Uilenspiegel; »ein und ein halber Mensch und ein Pferdekopf.« Der Reiter fragte: »Wieso?« Uilenspiegel antwortete: »Nun, ich sehe herinnen einen Menschen, der bin ich, einen halben Menschen, das ist dein Oberleib, und einen Pferdekopf, das ist der deines Tieres.«
Und der Mann fragte: »Wo sind deine Eltern?« Uilenspiegel antwortete: »Mein Vater ist gegangen, es immer schlimmer zu machen, und die Mutter beschäftigt sich damit, uns Schande oder Schaden zu machen.«
»Wie das?« sagte der Reiter. Uilenspiegel antwortete: »Mein Vater gräbt zur Stunde die Löcher in seinem Felde tiefer, damit die Jäger, die sein Korn zertreten, einen schlimmern Fall tun sollen. Die Mutter ist Geld borgen gegangen; wenn sie zu wenig heimbringt, wird das eine Schande für uns sein, wenn sie aber zu viel bringt, dann schadet es uns.«
Nun fragte ihn der Mann, wo er reiten solle. »Dort, wo die Gänse gehn,« antwortete Uilenspiegel.
Der Mann schied und kam gerade zurück, als Uilenspiegel aus dem andern Schuh Klaasens eine Rudergaleere machte. »Du hast mich gefoppt,« sagte er; »dort wo die Gänse sind, gibts nichts als Dreck und Schlamm, und drin patschen sie herum.« Uilenspiegel antwortete: »Ich habe dir ja nicht gesagt, du sollest dort reiten, wo die Gänse herumpatschen, sondern dort, wo sie gehn.«
»So zeig mir wenigstens den Weg, der nach Heist geht.« Und Uilenspiegel sagte: »In Flandern sind es die Leute, die gehn, und nicht die Wege.«
Soetkin sagte eines Tages zu Klaas: »Mann, mein Herz ist bekümmert: nun sind es drei Tage, daß Thijl vom Hause weg ist; weißt du nicht, wo er ist?«
Klaas antwortete traurig: »Dort ist er, wo die herumstreichenden Hunde sind, auf irgendeiner Landstraße mit andern Taugenichtsen von seiner Gattung. Es war grausam von Gott, uns einen solchen Sohn zu bescheren. Bei seiner Geburt sah ich in ihm die Freude unserer alten Tage, ein nützliches Werkzeug mehr im Hause, und ich dachte aus ihm einen arbeitsamen Menschen zu machen; und das Verhängnis macht aus ihm einen Spitzbuben und Tagedieb.«
»Sei nicht so hart. Mann,« sagte Soetkin; »unser Sohn, der doch erst neun Jahre ist, steckt mitten in der Kindertollheit. Muß er es denn nicht so machen wie die Bäume, die den Spelz auf den Weg fallen lassen, bevor sie ihre Blätter hervorbringen? Und was bei den Bäumen die Blätter, das sind bei den Menschen Ehrbarkeit und Tugend. Er ist ja übermütig, ich weiß es sehr wohl, aber sein Übermut wird später zu seinem Vorteile ausschlagen, wann er ihn einmal, anstatt wie jetzt zu schlimmen Streichen, in irgendeinem nützlichen Handwerke verwendet. Er macht sich ja gerne über die Leute lustig, aber dafür wird er späterhin seinen Platz in einer fröhlichen Brüderschaft trefflich ausfüllen. Er lacht ja ohne Unterlaß; aber diese sauertöpfischen Gesichter bei unreifen Kindern sind ein schlimmes Vorzeichen für ihr künftiges Aussehn. Wenn er herumtollt, so ists deswegen, weil er wachsen muß, wenn er nichts arbeitet, so ist er noch nicht in dem Alter, wo man begreift, daß es notwendig ist zu arbeiten, und wenn er manchmal Tag und Nacht, ja eine halbe Woche nicht heimkommt, so weiß er eben nicht, was für einen Schmerz er uns antut: denn sein Herz ist gut, und er hat uns lieb.«
Klaas schüttelte den Kopf und antwortete nichts; als er dann schlief, weinte Soetkin allein. Am Morgen ging sie in dem Gedanken, ihr Sohn liege am Ende krank an irgendeiner Straßenecke, zur Türschwelle, sehn, ob er denn nicht zurückkomme; da sie aber nichts sah, setzte sie sich ans Fenster, um die Straße zu überblicken. Und gar oft hüpfte ihr das Herz in der Brust, wann sie den leichten Tritt eines kleinen Jungen hörte; kam er aber vorbei, so sah sie, daß es nicht Uilenspiegel war, und dann weinte sie wieder, die bekümmerte Mutter.
Unterdessen war Uilenspiegel mit seinen nichtsnutzigen Kameraden auf dem Samstagsmarkte in Brügge.
Dort sahen sie die Schuster und die Schuhflicker in getrennten Buden, die Schneider und Kleiderhändler, die Meezenvangers von Antwerpen, die die Meisen des Nachts mit dem Uhu fangen, die Geflügelhändler, die Verkäufer zusammengestohlener Hunde, die Händler mit Katzenfellen, woraus Handschuhe, Westen und Wämser verfertigt werden, Einkäufer aller Art, Bürger und Bürgerfrauen, Diener und Mägde, Brotmeister, Schaffner, Köche und Küchenmädchen und alle miteinander, Kaufleute und Kunden, je nach ihrem Geschäfte die Ware ausschreiend oder verschreiend, preisend oder schlechtmachend.
In einem Winkel des Marktes war ein schönes Leinwandzelt, aufgespannt an vier Pflöcken. Beim Eingange dieses Zelts zeigte ein Bauer aus dem Niederlande von Aalst, ihm zur Seite zwei Mönche, die des Gewinns halber da waren, den neugierigen Frommen für einen Plappart ein Stück Knochen aus der Schulter der heiligen Maria von Ägypten. Mit heiserer Stimme plärrte er die Verdienste der Heiligen her, ohne in seinem Singsang zu vergessen, wie sie, als es ihr an Geld gebrach, einen jungen Fährmann mit der liebenswürdigen Münze der Natur bezahlt hat, um nicht durch die Verweigerung des Arbeitslohnes wider den Heiligen Geist zu sündigen.
Und die zwei Mönche neigten ihr Haupt zum Zeichen, daß der Bauer wahr sprach. Dicht an ihrer Seite war ein derbes rotbackiges Weib, üppig wie Astarte, die einen schlechten Dudelsack mit Ungestüm aufblies, während neben ihr ein kleines Mägdlein sang wie ein Rotkehlchen; aber niemand achtete auf das Mägdlein. Über dem Zelteingange schaukelte an durch die Henkel gezogenen Stricken, die an zwei Stangen befestigt waren, ein Kübel mit Wasser, das in Rom geweiht war; so sang nämlich das dicke Weib, während die zwei Mönche mit den Köpfen nickten, um ihre Rede zu erhärten. Als Uilenspiegel den Kübel sah, begann er zu sinnen.
An einem Zeltpflock war ein Esel angebunden, der mehr mit Heu genährt war als mit Hafer; den Schädel gesenkt, starrte er auf die Erde ohne jedwede Hoffnung, hier Disteln wachsen zu sehn. Uilenspiegel deutete mit dem Finger auf das dicke Weib, die zwei Mönche und den Schwermut brütenden Esel und sagte zu seinen Kameraden: »Wenn die Herrenleute so schön singen, so muß der Esel tanzen.« Mit diesen Worten lief er in die nächste Krambude, und dort kaufte er für sechs Heller Pfeffer; er hob dem Esel den Schwanz und steckte den Pfeffer darunter.
Als der Esel den Pfeffer verspürte, guckte er unter seinen Schwanz, um zu sehn, woher diese ungewohnte Wärme komme. In dem Glauben, er habe dort den feurigen Teufel, wollte er laufen, um ihm zu entrinnen, begann zu brüllen und auszuschlagen und riß mit aller Kraft an dem Pfosten. Beim ersten Ruck ergoß der Kübel zwischen den zwei Stangen sein ganzes geweihtes Wasser über das Zelt und die, die drinnen waren. Das Zelt sank zusammen und bedeckte die, die der Geschichte von der ägyptischen Maria zuhörten, mit einem feuchten Mantel. Und Uilenspiegel und seine Gesellen vernahmen unter der Leinwand her einen ziemlichen Lärm von Wimmern und Wehklagen, weil die Frommen, die dort waren, einander beschuldigten, den Kübel ausgegossen zu haben, und sich in gelber Wut gegenseitig mit grimmigen Streichen verprügelten. Und die Leinwand hob sich unter der Wucht der Kämpfenden. Sooft Uilenspiegel sah, daß sich auf ihr eine runde Form abzeichnete, stach er mit einer Nadel hinein; dann verstärkten sich die Schreie und die Spendung der Streiche.
Er war baß vergnügt, wurde es aber noch mehr, als er sah, wie der Esel ausriß, hinter sich schleppend die Leinwand, den Kübel und die Pflöcke, während sich der Baas des Zeltes, sein Weib und seine Tochter an ihren Besitz hängten; der Esel konnte nicht weiter, hob das Maul in die Luft und unterbrach seinen Gesang nur, um unter dem Schwanze nachzusehn, ob nicht das Feuer, das ihn dort brannte, bald verlöschen werde.
Während die Frommen ihre Schlacht fortsetzten, sammelten die Mönche, ohne sich um sie zu kümmern, das Geld, das von den Tellern gefallen war, und Uilenspiegel half ihnen dabei ehrfürchtig und nicht zu seinem Schaden.
Derweil der nichtsnutzige Sohn des Kohlenträgers in fröhlichem Mutwillen wuchs, welkte der klägliche Sprößling des erhabenen Kaisers in dürrer Trübseligkeit. Damen und Herren sahen ihn, wie er sich durch die Zimmer und Gänge von Valladolid jämmerlich schleppte, der Leib gebrechlich und die wackelnden Beine nur mit Mühe die Last seines dicken Kopfes tragend, der bedeckt war von blonden borstigen Haaren. Ohne Unterlaß suchte er die dunkeln Gänge auf, und dort saß er ganze Stunden lang mit ausgespreizten Beinen. Wenn ihm ein Diener versehentlich drauftrat, ließ er ihn peitschen und hatte sein Vergnügen dran, ihn schreien zu hören; aber niemals lachte er. Und am nächsten Tage legte er die Schlinge wo anders; wieder setzte er sich in einen Gang, die Beine ausgespreizt. Die Damen, Herren und Pagen, die dort im Lauf oder anderswie vorbeikamen, stolperten über ihn, fielen hin und verletzten sich. Auch daran hatte er sein Vergnügen; aber niemals lachte er. Wenn aber einer trotz dem Anpralle nicht niederfiel, heulte er, als ob man ihn geschlagen hätte, und freute sich, den Schrecken des Armen zu sehn; aber niemals lachte er. Seine Heilige Majestät wurde von dem Betragen des Infanten verständigt und befahl, man solle auf ihn nicht achten, und sagte, wenn er nicht wolle, daß man ihm auf die Beine trete, so dürfe er sie nicht dorthin strecken, wo die Füße liefen. Das mißfiel Philipp, aber er sagte kein Wort; jedoch sah man ihn nicht mehr, außer wann er an einem klaren Sommertage in den Hof ging, um seinen fröstelnden Körper an der Sonne zu wärmen.
Eines Tages sah ihn Karl, der vom Felde heimkehrte, wie er so Trübsal brütete. »Mein Sohn,« sagte er, »wie verschieden bist du von mir! In deinen jungen Jahren war es meine Freude, auf die Bäume zu klettern und den Eichhörnchen nachzujagen; oder ich ließ mich von einer senkrechten Felswand am Stricke herunter, um ein Adlernest auszunehmen. Bei dem Spiele hätten meine Knochen draufgehn können; sie wurden nur noch härter. Auf der Jagd, da floh das Rotwild vor mir in die Dörner, wenn sie mich kommen sahen mit meinem guten Feuerrohre.«
»Ach, Herr Vater,« seufzte der Infant, »ich habe Bauchweh.«
Und Karl sagte: »Der Wein von Paxaret ist ein unbedingtes Heilmittel.«
»Ich liebe den Wein nicht; ich habe Kopfweh, Herr Vater,«
»Mein Sohn, du mußt laufen, hüpfen und springen, wie es die Kinder in deinem Alter tun.«
»Ich habe steife Beine, Herr Vater.«
»Ja, wie sollte es denn anders sein,« sagte Karl, »wo du sie nicht anders gebrauchst, als ob sie von Holz wären. Ich will dich auf ein leichtbeiniges Pferd binden.«
Der Infant weinte: »Bindet mich nicht, Herr Vater; mich schmerzt der Rücken.«
Und Karl sagte: »Du hast also überall Schmerzen?«
Der Infant antwortete: »Ich würde sie nicht fühlen, wenn man mich in Ruhe ließe.«
»Gedenkst du denn,« versetzte der Kaiser erzürnt, »dein königliches Leben zu verträumen wie die Gelehrten? Die brauchen, um ihr Pergament mit Tinte zu beschmieren, Schweigen, Einsamkeit und Sammlung; du, du Sohn des Schwertes, du brauchst heißes Blut, das Auge des Luchses, die Schlauheit des Fuchses und die Kraft von Herkules! Warum bekreuzigst du dich? Gottsblut! Dem jungen Löwen ziemt es nicht, die rosenkranzbröckelnden Weiber nachzuäffen.«
»Das Angelus, Herr Vater,« erwiderte der Infant.
Mai und der Juni waren in diesem Jahre die wahren Blütenmonde. Niemals hatte man in Flandern so balsamisch duftenden Hagedorn gesehn, niemals so viel Rosen, Jasmin und Geißblatt in den Gärten. Wann der Wind von England her wehte, jagte er die Düfte dieses blumigen Landes nach Osten; jedermann, sonderlich aber in Antwerpen, hob die Nase fröhlich in die Luft und sagte: »Spürt ihr den guten Wind, der von Flandern kommt?« Und die emsigen Bienen saugten Honig aus den Blüten, machten Wachs und legten ihre Eier in die Körbe, die zu klein waren, um die Schwärme zu fassen. Was für eine Musik der Arbeit unter dem blauen Himmel, der sich strahlend über die reiche Erde wölbte!
Man verfertigte Bienenkörbe aus Binsen, aus Stroh, aus Wieden, aus geflochtenem Grase. Den Korbmachern, den Böttchern, den Küfern wurde das Werkzeug schartig. Und die Trogner konnten seit langer Zeit ihrer Arbeit nicht genügen. Schwärme waren da von dreißigtausend Bienen und von zweitausend? siebenhundert Hummeln. Die Waben waren so ausgezeichnet, daß der Dechant von Damme ihrer außergewöhnlichen Güte halber elf dem Kaiser sandte, um seinen Dank für die neuen Edikte abzustatten, die die Inquisition wieder in Kraft setzten. Philipp war es, der sie aß, aber sie schlugen ihm nicht im mindesten an. Die Tagediebe, Bettler, Landstreicher und diese ganze Sippe müßiger Taugenichtse, die ihre Faulheit auf den Straßen herumschleppen und sich lieber henken lassen, als zu arbeiten, kamen, angelockt durch den Duft des Honigs, um ihren Teil zu erhalten. Und sie schlichen des Nachts in Haufen herum.
Klaas hatte Körbe verfertigt, um die Schwärme zu sammeln; manche waren schon voll, manche aber warteten noch auf die Bienen. Klaas wachte die ganze Nacht, um dieses süße Gut zu hüten. Wann er müde war, ließ er sich von Uilenspiegel vertreten. Der tat das gerne.