Die Ibiza-Affäre - Filmbuch - Bastian Obermayer - E-Book

Die Ibiza-Affäre - Filmbuch E-Book

Bastian Obermayer

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Beschreibung

Hinter den Kulissen: Die Ibiza-Affäre wird verfilmt und ab Oktober als Dokumentarfilm von Sky Studios sowie als Sky-Miniserie zu sehen sein. Die Ibiza-Affäre hat Österreich tief verändert. Dieses Buch erzählt die wahre Geschichte. Ibiza, Sommer 2017: Der FPÖ-Spitzenkandidat Heinz-Christian Strache und sein Parteifreund Johann Gudenus machen Urlaub. In einer luxuriösen Villa wird ihnen eine Falle gestellt: Eine angeblich steinreiche Russin behauptet, die Kronen Zeitung kaufen zu wollen. Mit ihrer Unterstützung könnte die FPÖ die Wahlen gewinnen – und Strache Kanzler werden. Sie will wissen: Was bekommt sie dafür? München, Frühsommer 2018: Die Investigativreporter Bastian Obermayer und Frederik Obermaier erfahren von einem Video, auf dem sich die beiden FPÖ-Politiker für Korruption offen zeigen sollen. Sie beginnen zu recherchieren: Was zeigen die Aufnahmen genau? Wer steckt dahinter? Und was bedeutet das für Österreich? Ein spannendes Lehrstück über Journalismus. Ein Blick hinter die Kulissen der Politik. Und eine spannende Geschichte über Vertrauen und Verrat.

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Seitenzahl: 298

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Frederik Obermaier / Bastian Obermayer

Die Ibiza-Affäre

Innenansichten eine Polit-Skandals, der Österreich erschütterte

Mit einem aktuellen Vorwort von Armin Wolf und einem aktuellen Nachwort der Autoren

Kurzübersicht

Buch lesen

Titelseite

Über Frederik Obermaier / Bastian Obermayer

Über dieses Buch

Inhaltsverzeichnis

Impressum

Hinweise zur Darstellung dieses E-Books

zur Kurzübersicht

Über Frederik Obermaier / Bastian Obermayer

Frederik Obermaier, geboren 1984, ist Leitender Redakteur im Ressort Investigative Recherche der Süddeutschen Zeitung und Mitglied im International Consortium of Investigative Journalists (ICIJ). Seine journalistische Arbeit wurde unter anderem mit dem Nannen-Preis, dem Deutschen Reporterpreis, dem CNN-Award, dem Wächterpreis und dem Pulitzer-Preis ausgezeichnet. Neben anderen Büchern veröffentlichte er bei Kiepenheuer & Witsch mit Bastian Obermayer den internationalen Beststeller »Panama Papers. Die Geschichte einer weltweiten Enthüllung«.

 

Bastian Obermayer, geboren 1977, ist Leiter des Ressorts Investigative Recherche bei der Süddeutschen Zeitung und ebenfalls Mitglied des ICIJ. Für seine Reportagen und Recherchen erhielt er unter anderem den Theodor-Wolff-Preis, den Nannen-Preis, den Deutschen Reporterpreis, den Wächterpreis sowie – für die »Panama Papers« – den Pulitzer-Preis. Neben anderen Büchern veröffentlichte er bei Kiepenheuer & Witsch »Bruder, was hast Du getan?« sowie »Panama Papers. Die Geschichte einer weltweiten Enthüllung«

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Über dieses Buch

Im Sommer 2017 reisen FPÖ-Spitzenkandidat Heinz-Christian Strache und sein Parteifreund Johann Gudenus nach Ibiza. In einer luxuriösen Villa tappen sie in eine Falle. Eine angeblich steinreiche Russin behauptet, gerade dabei zu sein, die Kronen-Zeitung zu kaufen. Mit ihrer Unterstützung könnte die FPÖ die Wahlen gewinnen – und Strache vielleicht Kanzler werden. Jetzt will sie wissen: Was bekommt sie dafür? Bei Champagner und Sushi stellt Strache staatliche Aufträge in Aussicht, er erzählt von einem System verschleierter Parteispenden und fantasiert davon, wie er Österreichs Presselandschaft nach Vorbild des ungarischen Autokraten Viktor Orbán massiv umbauen würde. Als die Pulitzer-Preisträger Frederik Obermaier und Bastian Obermayer das Video sehen, als erste Journalisten, sind die Hintergründe unklar – aber der Inhalt explosiv. Eine spektakuläre Recherche beginnt: In einem verlassenen Hotel werden USB-Sticks übergeben, spätnachts Informanten getroffen – und dann versucht sich plötzlich auch noch jemand, in die verschlüsselte Kommunikation der Journalisten zu hacken …

Das Buch zeichnet den Aufstieg von Österreichs Rechtspopulisten nach und enthüllt den ganzen Verlauf der Affäre, die an einem dramatischen Wochenende mit dem Sturz der Regierung ihren vorläufigen Höhepunkt findet.

Inhaltsverzeichnis

Motto

Vorwort

Prolog

15 Minuten

Sushi, Wodka und Red Bull

Play

Zack, zack, zack

Keine Bewegung

Mysteriöse Spender

Projekt »Weißer Bildschirm«

Machtfantasien

Weiter im Film

Die Orgien der anderen

Wir bekommen Konkurrenz

Das weiße Ibiza und die schwarzen Fußnägel

Helle Aufregung

Das Ende der Welt

Tag der Entscheidung

Finale auf Ibiza

Treffen mit der Oligarchennichte

»Joschi, mach das klar!«

Ohrenvergleich

Im Kammerl

WhatsApp an HC Strache

WhatsApp von HC Strache

Wir sind live

Wiener Wahnsinn

Jetzt erst recht

Kurz’ Schluss

Jagd auf die Fallensteller

Ermittlungsanordnung

Opfermythos

Epilog

Dank

Glossar

Whoah! We’re going to Ibiza

Whoah! Back to the island

Whoah! We’re gonna have a party

Whoah! In the Mediterranean sea

(Vengaboys, 1999)

Vorwort

von Armin Wolf

Am 18. Mai 2019, am Tag nachdem das Ibiza-Video online gegangen war, moderierte ich abends eine Sondersendung im ORF. Heinz-Christian Strache war gegen Mittag als Vizekanzler und FPÖ-Chef zurückgetreten, am Abend hatte Bundeskanzler Kurz das Ende der Koalition von ÖVP und FPÖ und baldige Neuwahlen verkündet. Unmittelbar nach Ende der Sendung erhielt ich eine SMS: »Haben Sie den Verein bereits gefunden, wohin gespendet wird?!!«

Und so telefonierte ich spätabends noch sehr lange mit einem bekannten, sehr wohlhabenden österreichischen Geschäftsmann, der mir von einem Treffen mit dem FPÖ-Vorsitzenden Strache und seinem damaligen Generalsekretär Herbert Kickl im Frühjahr 2017 erzählte, wenige Monate vor den anstehenden Parlamentswahlen und vor dem legendären Abend auf Ibiza. Die beiden Politiker fragten den Multimillionär damals, ob er bereit wäre, die FPÖ finanziell zu unterstützen. Er machte keine Versprechen, sagte aber auch nicht ab. Kurz darauf schickte ihm ein FPÖ-Funktionär eine Kontonummer und die Statuten eines in der Öffentlichkeit völlig unbekannten Vereins: »Austria in Motion«. Der Geschäftsmann spendete letztlich nichts, doch seine SMS an mich und unser Bericht darüber wurden die erste Spur zu mehreren fragwürdigen Vereinen im FPÖ-Umfeld, die damals zu erstaunlich viel Geld gekommen waren, ohne dass bis heute geklärt ist, wofür.

Seither erforscht eine Sonderkommission der Wiener Korruptions-Staatsanwaltschaft, ob über diese Vereine illegal die FPÖ finanziert wurde – bisher ohne klare Beweise. Und sie ermittelt, was von den vielen Wodka-Red-Bull-befeuerten Räubergeschichten, Versprechungen, Plänen und Angebereien aus der balearischen Finca einen realen Hintergrund hatte und möglicherweise strafbar war.

Im Zuge ihrer Recherchen hat die Staatsanwaltschaft mehrere Mobiltelefone sichergestellt, darunter eines, dessen Inhalt seither die österreichische Politik erschüttert. Das Handy gehörte Thomas Schmid, dem Vorstand der ÖBAG, einer Holding österreichischer Staatsbeteiligungen im Wert von mehr als 26 Milliarden Euro. Thomas Schmid ist kein FPÖ-Mann, sondern bewegt sich seit vielen Jahren im engsten Umfeld von Sebastian Kurz. Vom Pressesprecher im Außenministerium hatte er sich zum Generalsekretär und mächtigsten Mann im Wiener Finanzministerium hochgearbeitet.

Und Thomas Schmid liebte sein Mobiltelefon. Obwohl er es rechtzeitig vor einer Hausdurchsuchung der Polizei auf die Werkseinstellungen zurücksetzte, konnten die Ermittler aus dem Back-up-Speicher mehr als 323.000 Chat-Nachrichten rekonstruieren. Und weil Thomas Schmid ein einflussreicher, gut vernetzter Mann an sehr zentraler Stelle war, ging es in sehr vielen der häufig mit Emojis verzierten Nachrichten an Kanzler Kurz und dessen engste Mitarbeiter um heikle interne Fragen der damaligen ÖVP-FPÖ-Koalition, von Absprachen über Gesetzesvorhaben über Deals um Postenbesetzungen bis zum Gossip über Parteikollegen. Als sich Schmid etwa um seine Kompetenzen als künftiger Alleinvorstand der Verstaatlichen-Holding sorgte, versicherte ihm Kurz salopp via WhatsApp: »kriegst eh alles was du willst «. Die mittlerweile im ganzen Land berühmte Antwort Schmids: »Ich bin so glücklich :-))) Ich liebe meinen Kanzler «.

Die Auswertung der Nachrichten ist im Frühsommer 2021, als dieser Text entsteht, noch nicht annähernd abgeschlossen, und doch ermittelt die Justiz auf deren Basis bereits gegen Bundeskanzler Sebastian Kurz, seinen Kabinettschef, den amtierenden sowie zwei ehemalige ÖVP-Finanzminister, eine frühere Vize-Vorsitzende der Partei, einen Exjustizminister, zwei Spitzenbeamte im Justizministerium und gegen ÖBAG-Chef Thomas Schmid selbst. Die ÖVP reagiert darauf mit bisher beispiellosen Attacken auf eine angeblich parteipolitisch motivierte Justiz, in der sie – ohne jeden Beleg – »rote Netzwerke« vermutet. Unbestreitbar aber ist, dass die Volkspartei in ihrer tiefsten Krise steckt, seit Sebastian Kurz sie 2017 quasi handstreichartig übernommen, völlig neu aufgestellt und zu zwei spektakulären Wahlsiegen geführt hat.

Eine Anklage gegen den Bundeskanzler wegen mutmaßlicher Falschaussage vor dem Ibiza-Untersuchungsausschuss im Parlament scheint wahrscheinlich, ein Schuldspruch ist nicht ausgeschlossen. Kaum vorstellbar, dass die nunmehrige Koalition aus ÖVP und Grünen eine Verurteilung des Kanzlers überstehen würde. Vorgezogene Neuwahlen wären wohl unausweichlich.

Und die FPÖ? Die Partei von Heinz-Christian Strache und Johann Gudenus?

Auf Ibiza hat ja keineswegs Sebastian Kurz mit einer russischen Fake-Oligarchin über fragwürdige Staatsaufträge, den Kauf der Kronen-Zeitung und den Aufbau einer »Medienlandschaft ähnlich wie der Orbán« verhandelt, sondern der langjährige Vorsitzende der FPÖ gemeinsam mit seinem engsten Freund, damals freiheitlicher Vizebürgermeister in Wien.

Der FPÖ geht es zwei Jahre später – trotz interner Debatten – bemerkenswert gut. Im Frühsommer 2021 liegen die Freiheitlichen in Umfragen bei 18 bis 20 Prozent und damit nicht weit hinter den Sozialdemokraten auf Platz drei. Die Ermittlungen der Justiz konzentrieren sich auf die ÖVP. Und Norbert Hofer, Straches Nachfolger an der Parteispitze, träumte bereits von der nächsten Regierungsbeteiligung, bevor er im Juni 2021 überraschend zurücktrat, entnervt durch einen Machtkampf mit Herbert Kickl, dem ehrgeizigen Fraktionsvorsitzenden im Parlament.

Es klingt schwer vorstellbar, aber der bizarre Abend auf Ibiza hätte langfristig nicht einmal die Karriere von Heinz-Christian Strache beenden müssen. Während Gudenus alle Ämter aufgab und völlig aus der Öffentlichkeit verschwand, versprach Strache seinen 800.000 Facebook-Fans bereits am Tag nach seinem tränenreichen Rücktritt ein Comeback: »Jetzt erst recht!«

An Ibiza ist es nicht gescheitert. Unter der Devise »Wer war noch nie stockbetrunken und hat einen Blödsinn gesagt?« verteidigten FPÖ-Funktionäre ihren gefallenen Frontmann noch wochenlang als hilfloses Opfer von »Stasi-Methoden« politischer Gegner und linker Auslandsmedien. Bis durch eine anonyme Anzeige ans Licht kam, dass Strache seinen aufwendigen Lebensstil seit Jahren aus der Parteikasse finanzieren ließ: von der Miete seiner schmucken Villa samt Waffenschrank über die Reinigung des Swimmingpools bis zur Rechnung einer Wahrsagerin für »Kraft, Schutz, Schutzmantel bei Auftritten und Schutz für In- und Ausland« über 6000 Euro. Plus Umsatzsteuer.

Wenn das überaus großzügige Spesenkonto trotzdem nicht reichte, wurde ein Leibwächter losgeschickt, um bei Bekannten Restaurantrechnungen einzusammeln, die der FPÖ als »Bewirtungsspesen« des Vorsitzenden weiterverrechnet wurden. So erzählten es jedenfalls der Leibwächter und Straches langjährige Sekretärin der Ibiza-Sonderkommission. Und auch wenn Strache das alles bis heute vehement bestreitet – die FPÖ-Funktionäre, die ihn so viele Jahre anhimmelten, wollten ihm zwar Ibiza verzeihen, aber nicht das schamlose Spesenrittertum. Eine »Partei des kleinen Mannes«, deren Vorsitzender jeden Monat mehr Mietzuschuss kassiert, als viele ihrer Wähler verdienen, das war dann doch zu viel. Strache wurde aus der FPÖ ausgeschlossen und blamierte sich im Herbst 2020 bei der Wiener Kommunalwahl mit einer neu gegründeten Kleinpartei: Gerade mal 3,3 Prozent erreichte der frühere Wahlkampfstar ohne seine FPÖ.

Straches politische Karriere ist wohl für immer zu Ende. Heute lebt der Anfang Fünfzigjährige auf 55 Quadratmetern in der mütterlichen Wohnung, in der er einst aufgewachsen ist, arbeitet angeblich als Unternehmensberater und steht vor Gericht, weil er einem Freund und FPÖ-Spender eine Gesetzesänderung versprochen haben soll.

Seine ehemalige Partei, die von ihm ständig beschworene »freiheitliche Familie«, distanziert sich bei jeder Gelegenheit von ihrem Langzeitvorsitzenden: Ibiza, das war eine peinliche Privataktion von Strache und seinem Intimus Gudenus, mit der FPÖ hatte das alles rein gar nichts zu tun. Und es scheint, als würde ein Großteil ihres Publikums diese Erzählung glauben.

Zu verstehen ist das alles nur, wenn man die Geschichte der Freiheitlichen und ihr Erfolgsrezept kennt. Die zeitweise erfolgreichste rechtspopulistische Bewegung Europas war jahrzehntelang eine behäbige rechtsliberale Honoratiorenpartei aus Anwälten, Apothekern und deutschnationalen Burschenschaftern, gegründet von ehemaligen Nazis, die bei Parlamentswahlen nie mehr als fünf bis sieben Prozent erreichte. Bis 1986 ein junger, charismatischer Parteisekretär aus Kärnten in einem internen Putsch die Führung an sich riss: Jörg Haider.

Der rhetorisch brillante, ideologisch flexible und politisch skrupellose Demagoge formt aus der Altherrenpartei eine krawallige Protestbewegung für alle Unzufriedenen im Land. Die zentrale Botschaft: Ihr seid Opfer und wir sind die, die euch verstehen. Und wir wissen auch, wer schuld an allem ist: »das System« und »die Ausländer«.

Haider stürmt damit von Wahlerfolg zu Wahlerfolg, von drei auf fast dreißig Prozent Ende der 1990er. Sieben Jahre lang sitzt die FPÖ dann als Juniorpartner in einer Koalition mit der ÖVP, zweimal spaltet sie sich in dieser Zeit durch interne Konflikte, beide Male kommt es zu vorgezogenen Neuwahlen. Bevor Haider 2008 bei einem selbst verschuldeten Autounfall stirbt, gründet er mit dem freiheitlichen Regierungsteam und der Parlamentsfraktion eine neue Partei; die Restbestände der zertrümmerten FPÖ sammelt der junge Wiener Landesvorsitzende Heinz-Christian Strache hinter sich, kurz zuvor noch ein gläubiger Haiderianer.

Doch binnen eines Jahrzehnts führen der Rabiatrhetoriker Strache und sein fintenreicher Stratege Herbert Kickl die Partei auf alte Höhen zurück – mit unappetitlich-holprigen, ausländerfeindlichen Wahlkampfslogans wie »Daham statt Islam« und »Mehr Mut für unser Wiener Blut. Zu viel Fremdes tut niemandem gut«. Immer wiederkehrende rechtsextreme »Einzelfälle« – etwa Fotos aus Straches Jugend im Neonazi-Milieu – schaden bei den Anhängern kaum. Sie sind jener Teil der Bevölkerung, der sich von den »Altparteien« nicht mehr verstanden fühlt. Soziologen nennen sie »Modernisierungsverlierer«: ungelernte Arbeiter, Fachkräfte und Pensionisten ohne höhere Bildungsabschlüsse, die sich von Globalisierung, Migration und Beschleunigung ökonomisch bedroht sehen und kulturell ausgegrenzt von akademisierten, urbanen Eliten.

Ohne diesen letzten – soziokulturellen – Aspekt ist der Erfolg der FPÖ nicht zu erklären. Sie wettert gegen Rauchverbote, Radwege, »Gender-Wahn« und »Tugendterror« und kämpft für höhere Tempolimits auf Autobahnen und Schweinefleisch in Schulkantinen. Sie ist für jene da, die ohne schlechtes Gewissen das »N-Wort« benützen wollen, denn »es gibt Menschen in diesem Land, die das Wort verwenden, nicht bösartig, und das sollten Sie auch zur Kenntnis nehmen«, wie mir Strache einst in einem Interview erklärte. Und weil die FPÖ ihren Wählern keine Vorwürfe macht, dass sie so leben wollen, wie sie leben, sind diese auch großzügig bei Fehltritten ihrer Vertreter. Viel mehr noch: Brachial-populistische Bewegungen wie die FPÖ (oder Trump, Orbán, Johnson, Le Pen, Salvini und ihre Parteien) werden von vielen Menschen nicht trotz ihrer Entgleisungen, Tabubrüche oder Lügen gewählt, sondern weil sie sich genau so verhalten. Für nicht wenige – mehrheitlich männliche – Wähler scheinen ihre Führer eine Art Entlastungsfunktion zu erfüllen: Stellvertretend für den ohnmächtigen Wutbürger widersetzt sich der »starke Mann« dem angeblichen Diktat politischer Korrektheit und abgehobener Eliten.

Zwei Jahre nach Ibiza hat die FPÖ wieder einen »starken Mann«. Fraktionschef Herbert Kickl, ein intellektuell angehauchter Demagoge ohne Berührungsängste zum extrem rechten Rand und ohne erkennbare Skrupel im öffentlichen Auftritt, ist während der Pandemiemonate zum umjubelten Stargast auf »Querdenker«-Demos geworden. Im rasch wachsenden Lager der Coronaskeptiker und Verschwörungsgläubigen hat der 52-Jährige ein neues Hoffnungsgebiet für die Freiheitlichen erschlossen. Jahrzehntelang war Kickl der wichtigste Mann hinter Jörg Haider und Heinz-Christian Strache gewesen, der unverzichtbare Stratege und Spin-Doktor im Hintergrund. Doch im Jubel der Demonstranten für seine Brandreden gegen »Plandemie«, »Coronadiktatur« und »Impfapartheid« hat der Regisseur sein Potenzial als Hauptdarsteller entdeckt. So sehr, dass er im Frühling 2021 den vergleichsweise moderaten Strache-Nachfolger Norbert Hofer vom Parteivorsitz weggemobbt hat.

Kickl wird die FPÖ führen wie einst Haider und Strache, bevor sie sich als Regierungspolitiker im Auftritt etwas mäßigen mussten: als aggressiv-rechte, ausländerfeindliche Wutbürger-Front. Das ist in Österreich, wie die vergangenen Jahrzehnte zeigen, für zwanzig bis dreißig Prozent der Wählerstimmen gut. Trotz des vermeintlichen politischen Super-Gaus »Ibiza« könnte die FPÖ bald wieder zu einer der stärksten Rechtsaußen-Parteien in Europa werden.

Es ist fast paradox, aber der skandalöse Abend auf der Baleareninsel könnte letztlich der ÖVP und ihren Spitzenfunktionären im Visier der Justiz mehr Probleme machen als den Nachfolgern von Strache und Gudenus. Nur der Weg zurück in eine Regierung ist den Freiheitlichen für die nächsten Jahre verbaut. Unter dem verbindlichen Parteichef Norbert Hofer wäre eine weitere »türkis-blaue« Koalition nach allfälligen Neuwahlen nicht undenkbar gewesen – trotz Ibiza. Doch mit dem neuen starken Mann der FPÖ will niemand gemeinsam regieren, selbst Sebastian Kurz nicht mehr.

Auch wenn Herbert Kickl noch nie auf Ibiza war.

Prolog

Ibiza, am Abend des 24. Juli 2017.

Eine Villa auf einem der Hügel von Ibiza, in der Nähe des Örtchens Sant Rafel de Sa Creu. Vor dem weiß getünchten Gebäude liegt ein Pool, der auf den Werbebildern im Internet ferienblau leuchtet, dahinter ein Gästehaus. Mehrere Terrassen gruppieren sich um die Gebäude und den gepflasterten Innenhof; um das Schwimmbecken und sogar auf dem Dach des Haupthauses stehen Liegestühle bereit – mit dem wohl besten Blick auf die bewaldeten Anhöhen. Die Villa hat drei Schlafzimmer, drei Bäder, eine Küche und einen Kamin, in allen Zimmern stehen Designermöbel, an den Wänden, in Nischen und Ecken sind Kunstwerke.

Ein grobmaschiger Zaun, teils mit Bambusmatten verkleidet, und ein rostfarbenes Tor schützen das dreieckige Grundstück vor fremden Blicken und ungebetenen Gästen. Ein Concierge-Service ist im Preis inbegriffen, außerdem ein Solarium, natürlich WLAN, eine Audioausrüstung von Bose und eine Außendusche.

Es ist keine billige Unterkunft: Die Mieter, die an diesem Abend Gäste aus Österreich erwarten, haben die »Architect Country Villa« über ein Internetportal gebucht, sie werden für drei Nächte 2936 Euro bezahlen.

Hierher liefert ein Sushi- und Fusion-Cuisine-Restaurant aus einem Dorf ein paar Kilometer entfernt kurz nach 19 Uhr das Abendessen. In einer Art Parkbucht auf der Schotterstraße vor dem Anwesen, gegenüber der Einfahrt, stehen zu dieser Zeit ein sportlicher BMW M4 und eine elegante Maybach-Limousine. Jemand nimmt die Lieferung in Empfang, es macht genau 374 Euro für Sashimi, Gelbschwanzmakrelen-Carpaccio, Garnelensalat, Thunfischtartar, Doradentartar, gefrorenen Algensalat und Wolfsbarsch-Carpaccio.

In der Küche stehen Gläser und Eiswürfel bereit, im Kühlschrank warten Champagner, Weißwein, Wodka und Red Bull – sogar zuckerfrei.

Irgendwo im Haus läuft Popmusik, die Schritte von hochhackigen Schuhen sind zu hören. Alles ist vorbereitet.

Dann, gegen 20 Uhr an diesem Abend, hält ein Wagen vor dem Anwesen. Aus dem Fahrzeug steigt der österreichische Spitzenpolitiker Heinz-Christian Strache, begleitet von seinem Parteifreund Johann Gudenus und dessen Ehefrau Tajana. Am Steuer sitzt ein Fahrer, der den Wagen später wieder die Hügel hinunterfährt.

Strache ist zu der Zeit der Chef der Freiheitlichen Partei Österreichs (FPÖ), und der Spitzenkandidat der drei Monate später anstehenden Nationalratswahl. Bald beginnt die heiße Phase des Wahlkampfes. Für die rechtspopulistische FPÖ bietet sich nach allen Umfragen die Chance, zweitstärkste oder gar stärkste Partei im österreichischen Parlament zu werden. Wenn es perfekt läuft, könnte Strache im Herbst österreichischer Bundeskanzler werden.

Johann Gudenus ist zu dieser Zeit amtierender Vizebürgermeister von Wien. Er ist, seit vielen Jahren, einer von Straches engsten politischen Weggefährten.

Strache und Gudenus fahren oft nach Ibiza in den Urlaub. Heinz-Christian Strache – den die meisten HC nennen – besuchte die Baleareninsel zum ersten Mal Mitte der Achtzigerjahre, nach seinem Hauptschulabschluss, seither kommt er immer wieder. Ibiza sei sein »Kraftort«, sagt er in einem Interview nur ein paar Wochen zuvor, sein »Ruhepol«. Seit Jahren ist Österreich an die sommerlichen Meldungen gewöhnt, dass sich Strache auf Ibiza von den politischen Strapazen erholt. Im Juli 2017 fliegt er, so wird es seine Ehefrau später in einem Bunte-Interview erzählen, mit seiner Mutter und den Kindern aus erster Ehe auf die Insel.

An diesem Abend unterbricht er seinen Urlaub jedoch für ein Treffen, bei dem es dezidiert um Politik gehen wird. Heinz-Christian Strache und das Ehepaar Gudenus, das zur gleichen Zeit auf Ibiza urlaubt, treffen nämlich eine Frau, die Gudenus im Vorfeld bei Begegnungen in Wien als schwerreiche Nichte eines Putin-nahen Oligarchen vorgestellt wurde. Mit ihr haben die beiden Politiker, das wird sich herausstellen im Laufe des Abends, große Pläne.

An der Seite der Russin ihr Begleiter, ein Deutsch sprechender Mann: blaues Hemd, weiße Jeans, Lederslipper. Er erzählt Strache, er kenne die Russin seit etlichen Jahren, weniger geschäftlich, eher freundschaftlich.

Johann Gudenus, in Jeans, T-Shirt und Sneakers, und seine Frau, weißer Minirock, goldenes Oberteil, dunkle Jacke und schwarze Riesensonnenbrille, setzen sich auf eine Polsterbank auf der überdachten Terrasse. Der Vertraute der Russin bringt Weißwein und vier Gläser, die er auf einem niedrigen weißen Loungetisch vor der Polsterbank verteilt. »Sehr gut«, sagt Gudenus, »brauchst du Hilfe?« Der Mann lehnt dankend ab und verschwindet wieder im Haus. Gudenus nimmt die Flasche und schenkt ein.

Dann tritt die angebliche russische Oligarchennichte aus dem Haus – in High Heels und schwarzem Kleid, die langen Haare zum Pferdeschwanz gebunden. »Hallo!«, rufen die beiden Frauen, umarmen und küssen sich zur Begrüßung, als würden sie einander kennen. Auch von Johann Gudenus gibt es für die Russin Küsschen zur Begrüßung. Die Russin setzt sich gegenüber von Gudenus und seiner Frau auf einen Sessel, ihr Begleiter kommt zurück, holt sich einen Stuhl und nimmt zu ihrer Rechten Platz. Der Sessel am Kopfende des Tisches bleibt frei. Gudenus und die Russin beginnen, sich auf Russisch zu unterhalten.

Man stößt an, dann verschwindet der Begleiter der Russin wieder im Haus. Johann Gudenus sieht, dass Heinz-Christian Strache, der wahrscheinlich noch telefoniert hat, über den Hof zur Terrasse kommt. Gudenus erhebt sich, und auch die Russin steht auf – die Hauptperson ist da. Johann Gudenus stellt die beiden einander vor. »Hello Aljona, nice to meet you«, sagt Strache, leger im weit ausgeschnittenen grauen T-Shirt und in Jeans, am Arm ein geschätztes Dutzend Freundschaftsbänder, und stellt sich vor, »Christian«, sagt er, englisch ausgesprochen.

»Der Parteichef«, sagt Gudenus und deutet auf Strache.

Der Begleiter der Russin kommt mit einem weiteren Glas zurück auf die Terrasse und stellt es auf den Tisch. Heinz-Christian Strache setzt sich ans Kopfende des Tisches, Gudenus und dessen Frau links neben ihn, die Russin und ihr Begleiter rechts. Er zündet sich die erste Zigarette an.

Der Abend kann beginnen. Er wird sehr lang werden, und nicht nur die fünf Beteiligten werden ihn nicht wieder vergessen. Sondern ein ganzes Land. Was an diesem Abend gesprochen und versprochen wird, wird in Österreich die größte politische Krise seit dem Zweiten Weltkrieg auslösen.

Die angebliche Oligarchennichte nämlich ist nur ein Lockvogel und die Villa samt Terrasse verwanzt. Ein halbes Dutzend Kameras wird jede Bewegung aufzeichnen, und vor allem: fast jedes gesprochene Wort.

Das Treffen in der Villa ist eine Falle.

15 Minuten

Ein Hotel irgendwo in Deutschland, Sommer 2018, abends.

Auf dem Weg zu dem geheimen Ort fragen wir uns, ob es eine gute Idee war, uns auf dieses Treffen einzulassen. Unser Kontakt hat uns immer weiter vertröstet, inzwischen ist es deutlich nach 22 Uhr. Wir wissen nicht, wen wir treffen. Wir wissen nicht, worum es genau geht. Wir wissen nicht, was man von uns will. Und den Namen des Hotels, in dem wir uns treffen, haben wir erst vor ein paar Minuten erfahren.

Trotzdem haben wir das Gefühl, wir sollten da jetzt hin.

Im Vertrauen auf eine große Geschichte? Sicher nicht. Eher gespannt darauf, was wir erfahren werden, und neugierig, ob daraus eine Geschichte werden könnte. Mit dieser Hoffnung gehen wir durch die Tür des Hotels.

Manche Recherchen fangen mit einem Paukenschlag an: ein Paket voller Akten vor der Tür, ein Stick voller Daten, ein Insider, der auspackt. Oder ein leises »Ping«, wie man es vom Eingang einer elektronischen Nachricht kennt. So war es bei den Panama Papers, als sich der Whistleblower mit dem Künstlernamen »John Doe« bei uns meldete.

Die Vorgeschichte zu dem Treffen in diesem Hotel begann mit einer etwas verschwurbelten Vorwarnung. Jemand, den wir schon seit Jahren kennen und dem wir vertrauen, sendete uns eine Nachricht, die seltsam wirkte: Es werde sich bald jemand melden, auf einem sicheren Kanal. Wir sollten uns das auf jeden Fall anhören. Vielleicht stecke dahinter eine gute Geschichte – es gehe um einen Mann an der Spitze eines europäischen Landes.

Welcher Journalist würde eine solche Geschichte nicht hören wollen? Also warteten wir, auch wenn dieser Umweg seltsam anmutete, weil wir uns fast alles erst mal anhören. Das ist Teil unseres Jobs. Aber nicht allen Spuren können wir nachgehen. Einige der Geschichten, die uns angetragen werden, sind schlicht unrecherchierbar – etwa, wenn uns jemand am Telefon von einem Bestechungsfall erzählt, der schon Jahre zurückliegt, ohne Dokumente, ohne Zeugen und Belege. Bei so etwas kommen wir nicht weiter. Manche Tipps basieren nur auf Gerüchten, andere stellen sich nach kurzer Recherche als falsch heraus. Und sehr viele Hinweise können wir nicht verfolgen, weil wir schlicht nicht die Ressourcen dafür haben. Das gilt vor allem für die Schilderungen von Einzelfällen. Wenn jemand beim Hausbau von seinen Handwerkern gelinkt wird, oder der langjährige Finanzberater der Großmutter plötzlich der Adoptivsohn ist und ordentlich erbt, ist das sicherlich ärgerlich, oft tragisch für die Betroffenen. Es ist aber nichts, was wir bei der Süddeutschen Zeitung (SZ) mit einer guten Handvoll Reporterinnen und Reportern in unserem Ressort »Investigative Recherche« aufklären könnten.

Und klar: Manches ist einfach Unsinn. Die Erfahrung nach etlichen Jahren besagt: Je länger die Briefe, je mehr Fettungen und grellgelbe Markierungen, je mehr unterstrichene Zeilen – umso größer die Wahrscheinlichkeit, dass es keine Geschichte für die Zeitung ist. Aber auch dafür gibt es keine Garantie, und deswegen ist das oberste Gesetz immer: erst mal anhören.

Dafür muss jedoch jemand kommen, der reden möchte. Es vergingen einige Tage, und wir hatten die Vorwarnung fast wieder vergessen, als sich tatsächlich jemand bei uns meldete – und wir wenig später über eine sichere Leitung sprechen konnten.

Nur: Es war alles vage. Es gehe um jemanden, der höchste Regierungsverantwortung trage – aber die Position könne man nicht sagen. Jemanden, der sehr wichtig sei. Gegen den man einiges in der Hand habe, der anfällig für Korruption sei – aber sehr mächtige Verbündete und Geldgeber habe. Jemanden, vor dem man Angst habe. Und es sei nicht nur einer, sondern sogar zwei. Aber dazu könne man jetzt tatsächlich nicht mehr sagen.

Kurzum: Es war mühsam. Es war seltsam. Aber es klang interessant. Und immerhin erfuhren wir irgendwann, kurz bevor das Gespräch zu Ende war, das Land, um das es ging.

Österreich.

Das war eine ziemlich gute Nachricht, jedenfalls aus Sicht der Süddeutschen Zeitung. Noch lieber wäre uns natürlich Deutschland gewesen. Aber immerhin: Österreich liegt dem durchschnittlichen SZ-Leser wahrscheinlich näher als die meisten anderen europäischen Länder.

Natürlich ist ein Skandal, der bis hoch in die Regierungsspitze reicht, in jedem europäischen Land interessant für uns. Aber, nicht ganz unwichtig für ein deutsches Medium: In Österreich sprechen die Menschen deutsch, sie können also die SZ lesen. Wenn wir etwas aufdecken, muss nichts übersetzt werden. Wir schreiben für unsere eigenen Leser.

Und, das geben wir an dieser Stelle gern zu: Auch wir haben zu Österreich eine engere Beziehung als zu anderen europäischen Ländern. Wir sind beide in der Nähe der österreichischen Grenze aufgewachsen, als Kinder waren wir zum Fußballtrainingslager am Neusiedler See, als Jugendliche fuhren wir über die Grenze, um das damals in Deutschland noch verbotene Red Bull zu kaufen, als Erwachsene machen wir regelmäßig Urlaub in Österreich, im Salzburger Land, Kärnten und immer wieder in Wien. Kurzum: Das Land war uns immer nah und ist es bis heute, deswegen beobachten wir genauer als in anderen Ländern, was die Menschen bewegt.

Von der Affäre um die vermuteten Kriegsverbrechen des österreichischen Präsidenten Kurt Waldheim bis zu Jörg Haiders unheimlichem Siegeszug – aus Deutschland schauen wir seit langer Zeit sehr genau auf die österreichische Politik. Auch weil sie möglicherweise einen Fingerzeig auf das gibt, worauf wir uns in Deutschland einstellen müssen.

Österreich wird zur Zeit des Treffens von einer Koalition der konservativen Österreichischen Volkspartei (ÖVP) und der rechtspopulistischen Freiheitlichen Partei Österreichs (FPÖ) regiert, unter Führung von Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) und Vizekanzler Heinz-Christian Strache (FPÖ). Die Koalition setzt sich seit einiger Zeit betont von den westlichen Nachbarländern ab, was Themen wie Migration und offene Grenzen angeht. Die FPÖ ist, dazu dürfte es keine zwei Meinungen geben, auch deswegen in der Regierung, weil sie mit fremdenfeindlichen Sprüchen wie »Daham statt Islam« Proteststimmen abholt.

Wir rätseln, um wen es gehen könnte. Um Kurz oder Strache selbst – oder nur um jemanden aus der zweiten Reihe? Und: Was würde ein Skandal bedeuten?

Aber erst einmal können wir nichts tun. Die Quelle hat uns am Ende des Telefonats keine weiteren Hinweise gegeben. Wir müssen warten.

Bald nach dem ersten Gespräch meldet sich unser Kontakt – oder unsere Kontaktleute, das wollen wir in diesem Buch bewusst offenlassen, um unsere Quellen zu schützen – wieder zurück, und wenig später steht der Vorschlag für ein Treffen im Raum.

Wobei »Vorschlag« beinahe zu präzise klingt. Der »Vorschlag« lautet: Man würde uns einen Tag nennen. An dessen Vorabend dann: eine bestimmte Stadt in Deutschland. Dort sollten wir dann gegen Abend sein. Vor Ort würde man uns den Treffpunkt mitteilen: ein gut erreichbares Hotel.

Solche mysteriösen Verabredungen kennen wir vor allem aus Filmen und Serien. Selbst wenn die »heiße Story«, wie Geschichten im Fernsehen immer heißen, alles andere als heiß ist, müssen die Reporter unbedingt nachts jemanden in einer Tiefgarage treffen. So wie bei »Deep Throat«, dem wohl berühmtesten Whistleblower der Geschichte des Journalismus, der 1972 durch die Weitergabe von geheimen Informationen an die Washington Post den Watergate-Skandal ins Rollen gebracht hat. Normalerweise verabreden wir uns mit Informanten in einem Café, einer Anwaltskanzlei oder sogar in der Redaktion der Süddeutschen Zeitung.

Aber die Quelle ist König. Also zucken wir mit den Schultern und sagen: Okay. Wir haben auch schon Quellen im Park getroffen und einen Kinderwagen als Tarnung mitgebracht. Wir saßen im Dunklen unter Deck in einem schunkelnden Boot in Malta, in Oben-ohne-Bars im Ruhrpott und in einem bayerischen Ausflugslokal beim Kuchen. Warum also nicht mal eine Last-Minute-Verabredung?

Wir würden eine Menge Fragen mitbringen zum Treffpunkt, das war klar, und eine der ersten würde lauten: Warum wir?

Österreich ist gesegnet mit einer Unzahl von Qualitätsmedien, und etliche von ihnen leisten sich hartnäckige Investigativjournalisten. Da wir beide in den vergangenen Jahren selten über österreichische Themen geschrieben haben, wird es mit schon veröffentlichten Artikeln nichts zu tun haben.

Die Frage muss wohl eher lauten: Warum deutsche Journalisten?

Vielleicht, weil Österreich ein kleines Land ist, in dem sich fast alles von nationaler Bedeutung in Wien abspielt – wo man sich kennt und viel und gern redet? Diese Erklärung mutet ein wenig einfach an, zugegeben. Vielleicht stimmt sie trotzdem.

Gut möglich aber auch, dass wer-auch-immer diese Geschichte schon der gesamten österreichischen Medienlandschaft angetragen hat – und keiner sie wollte. Oder dass irgendwo ein Problem begraben liegt, das wir, die deutschen Journalisten, unkundig in den nationalen Besonderheiten, möglicherweise übersehen? Darauf werden wir achten müssen.

Neben den inhaltlichen Fragen stellen wir uns vor einem solchen Treffen – unbekannter Ort, ausgesucht von unbekannter Quelle – natürlich auch diese: Kann es gefährlich sein?

Nun mag man spotten: Österreich? Gefährlich?

Aber bis vor Kurzem hätten wir auch nicht gedacht, dass das EU-Land Malta – ein beliebtes Urlaubsziel – für Journalisten gefährlich sein könnte. Doch dann wurde im Oktober 2017 unsere Kollegin Daphne Caruana Galizia mit einer Autobombe in die Luft gesprengt – vermutlich wegen ihrer Recherchen zu Korruption im Land. Und Österreich wird immer wieder von Korruptionsskandalen erschüttert, die mitunter brutal enden können. Erst 2012 wurde ein Anwalt, der für russische Klienten im großen Stil Geld gewaschen hatte, tot in einem Wald im Wiener Umland gefunden.

Davon vollkommen abgesehen: Es kann immer gefährlich sein, wenn man sich zu den Bedingungen anderer zu einer bestimmten Zeit an einem bestimmten Ort trifft. Aber oft heißt es: so oder gar nicht. Wenn der Ort des Treffens von einem konspirativen Hauch umweht wird, kann es dafür gute Gründe geben. Etwa, dass Menschen in Gefahr sind, oder sich in Gefahr wähnen. Oder dass es reine Wichtigtuerei ist, und das ist – ehrlich gesagt – meistens der Fall.

Es kann aber auch eine Falle sein, für uns Journalisten.

Seit den Panama Papers gibt es ein paar Menschen, die auf uns nicht gut zu sprechen sind – Menschen aus Wladimir Putins Umfeld zum Beispiel, oder radikale Fans des pakistanischen Expräsidenten Nawaz Sharif, gegen den wegen der Panama Papers ein Verfahren eingeleitet wurde und der inzwischen im Gefängnis sitzt. Etliche der Kolleginnen und Kollegen, mit denen wir die Panama Papers recherchiert haben, erhielten seither Morddrohungen. Aber würden sich solche Leute so viel Mühe geben, sich über einen Vertrauensmann melden, eine Geschichte erzählen, einen konspirativen Treffpunkt auswählen? Würden sie uns nicht einfach hier in München Plutonium ins Bier mischen?

Während wir noch über solche und andere Fragen nachdenken, erfahren wir, in welcher Stadt wir unseren Kontakt treffen können – und dass das Treffen am nächsten Tag stattfinden soll, am frühen Abend.

Und so sind wir am ausgemachten Tag vor Ort, wo wir am späten Nachmittag per Kurznachricht auf einem verschlüsselten Kanal den Namen des Hotels erfahren. Es ist ein größeres Haus, das wir leicht finden werden.

Eine gute halbe Stunde, bevor wir dorthin aufbrechen wollen, wird das Treffen um eine Stunde nach hinten verschoben. Dann noch einmal, und noch einmal. In der Zwischenzeit beantworten wir E-Mails, schauen auf Twitter nach den Nachrichten des Tages und lenken uns ab. Es wird zwar später und später, aber dann, kurz nach 22 Uhr, kommt endlich die Nachricht, dass es jetzt losgehe; mit einem leicht mulmigen Gefühl machen wir uns auf den Weg. Je näher wir dem Ziel kommen, umso mehr weicht das Gefühl einer konzentrierten Anspannung.

In der Hotellobby werden wir angesprochen, unsere Gesichter kann man googeln, und sitzen wenig später in der Hotelbar bei Bier, Oliven und Nüssen einer oder mehreren Personen gegenüber – die Anzahl der Menschen nennen wir bewusst nicht.

Wir sind davon ausgegangen, dass wir uns zum Abendessen treffen, und da die Verschiebungen immer kurzfristig kamen, haben wir noch nichts gegessen. Die Oliven und Nüsse sind schnell weg.

Nach ein wenig Small Talk sagen wir, wie wir arbeiten. Wir – also die SZ – schauen uns alles an. Wir können aber nur berichten, wenn wir etwas in die Hand bekommen, was die Geschichte belegt, seien es Aufzeichnungen, Rechnungen, Verträge oder andere Dokumente. Aber auch dann behalten wir die Hoheit darüber, ob wir berichten, was wir berichten, wie groß wir berichten und wann wir berichten. Alle redaktionellen Entscheidungen treffen wir selbst, das ist nicht verhandelbar. Das mag selbstverständlich klingen, für viele Menschen, die nicht mit Medien arbeiten, ist es das aber nicht, das haben wir in den vergangenen Jahren gelernt. Und noch etwas ist wichtig: Wir bezahlen nicht für Informationen. Andere Medien mögen das tun. Wir nicht – nicht nur in diesem Fall nicht, sondern: nie.

Damit, finden wir, könnte es jetzt losgehen.

Das Gegenüber muss jedoch erst einmal nachdenken, wie es weitergehen soll.

Nach einer kurzen Unterbrechung werden wir schließlich auf ein Hotelzimmer geleitet – und die Show beginnt. Alle Telefone werden ausgeschalten, eingesammelt und ins Badezimmer gebracht. Wir werden abgetastet, vermutlich nach Mikrofonen. Offenbar ist die Angst, dass jemand zuhören könnte, groß. Wir sprechen anfangs kaum, die Anspannung im Raum wird dadurch nicht kleiner. Aber wir haben das Gefühl, dass die andere Seite wesentlich nervöser ist.

Dann erfahren wir, warum: Der Mann, um den es gehen wird, ist tatsächlich der österreichische Vizekanzler Heinz-Christian Strache. Er ist, das kann man mit einiger Berechtigung sagen, der zweitmächtigste Mann im Land.

Auf einem Tisch in dem Hotelzimmer stehen allerlei technische Geräte, Kabel, Laptops und Tablets. Eines davon wird nun vorbereitet, denn darauf, erfahren wir, sei das besprochene Material. Es gehe hauptsächlich um ein Video.

Während Steckdosen gesucht und Kabel gesteckt werden, hoffen wir, dass es nicht um Straches Vergangenheit in der rechten Szene geht. Seit Längerem kursieren Videos und Bilder aus Straches frühen Jahren: Damals traf er sich mit Gleichgesinnten zu Wehrsportübungen im Wald und fuhr zu mindestens einer Neonaziveranstaltung in Deutschland. All das ist lange her und darüber wurde oft berichtet. Es wäre, wie man im Journalismus sagt: »more of the same«. Neue Details zu einer alten Geschichte – die Strache allerdings vehement bestreitet. Er sagt: »Ich war nie ein Neonazi.«

Hier gehe es nicht um Strache als Neonazi, erklärt man uns, es gehe um Strache als FPÖ-Chef und um möglicherweise strafbares Verhalten. Es sei wie folgt: Jemand habe Strache und den FPÖ-Klubobmann – was in Deutschland dem Fraktionsvorsitzenden entspricht – Johann Gudenus in eine Falle gelockt. Man habe ihnen, schon 2017, im Wahlkampfsommer vor den österreichischen Nationalratswahlen, eine Frau als steinreiche Russin vorgestellt, als Nichte eines Oligarchen, der angeblich Wladimir Putin nahestehe. Diese Frau habe erklärt, sie wolle sehr viel Geld nach Österreich bringen, das nicht auf eine Bank dürfe, also Schwarzgeld sei. Bei einem Treffen der Frau mit Strache und Gudenus auf Ibiza sei die Sache dann eskaliert. Die Russin habe Wahlkampfhilfe zugesagt, indem sie die Kronen-Zeitung, Österreichs bei Weitem mächtigstes Medium, zur Hälfte kaufen und auf FPÖ-Kurs bringen würde. Und Heinz-Christian Strache habe im Gegenzug Dinge in Aussicht gestellt, die entweder illegal oder zumindest hochbrisant seien.

Und all das, erklärt man uns, habe man hier auf Video.

Das wäre in der Tat eine gute Geschichte.

Wie viel Videomaterial gibt es denn?, fragen wir.

Kommt drauf an, wie man es zählt, lautet die Antwort. Es sei zum Teil doppelt aufgezeichnet worden, aus verschiedenen Perspektiven. Deswegen liege nun sehr viel Material vor, insgesamt mehr als zwanzig Stunden.

Was man jetzt zeigen wolle, sei ein etwa viertelstündiges »Best-of-Strache«.

Wir werden vorsichtig. Was hier, in diesem schummrigen Hotelzimmer, geschieht, ist kein normales Gespräch zwischen Journalisten auf der einen und einer Quelle oder einem Whistleblower auf der anderen Seite. Hier hat jemand offenbar mit bedenkenswerter Energie und mindestens kreativen Methoden gearbeitet.

Natürlich: Auch Journalisten setzen manchmal ähnliche Mittel ein, wenn sie undercover recherchieren. Allerdings ist die Haltung der SZ dazu sehr klar: Wir gehen nicht undercover. Wir filmen niemanden heimlich, wir legen niemanden herein und locken niemanden in eine Falle.

Das bedeutet nicht, dass es journalistisch grundsätzlich verwerflich wäre, im Gegenteil: Es gibt zahlreiche Undercover-Recherchen, die wichtig sind für die Gesellschaft. In Deutschland vor allem die Recherchen von Günter Wallraff. Ihm ist es zu verdanken, dass die Methoden der Bild-Zeitung einer breiten Öffentlichkeit bekannt wurden. Wallraff hatte sich 1977 in Hannover in die Boulevardzeitung eingeschleust und die menschenverachtende Praxis des Redaktionsalltags detailliert nachgezeichnet. Ein Super-Gau für den Springer Verlag, der wenig überraschend gegen Wallraff vor Gericht zog. Das Bundesverfassungsgericht entschied im sogenannten Wallraff-Beschluss, dass die »Veröffentlichung rechtswidrig beschaffter oder erlangter Informationen« vom »Schutz der Meinungsfreiheit (Art. 5 Abs. 1 GG