Panama Papers - Bastian Obermayer - E-Book

Panama Papers E-Book

Bastian Obermayer

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Beschreibung

Die Geschichte des größten Daten-Leaks aller Zeiten – die Quelle ist anonym, die Betroffenen sind alles andere als das Alles beginnt spät am Abend mit einer anonymen Nachricht: "Hallo. Hier spricht John Doe. Interessiert an Daten?" Bastian Obermayer, Investigativreporter der Süddeutschen Zeitung, antwortet sofort – und erhält Informationen, die ihn und seinen Kollegen Frederik Obermaier elektrisieren. Es sind die Daten hunderttausender Briefkastenfirmen. Sie bieten einen Einblick in eine bislang vollständig abgeschottete Parallelwelt, in der Milliarden verwaltet, verschoben und versteckt werden: die Gelder von großen Konzernen, von europäischen Premierministern und Diktatoren aus aller Welt, von Scheichs, Emiren und Königen, von Mafiosi, Schmugglern, Drogenbossen, von Geheimagenten, FIFA-Funktionären, Adligen, Superreichen und Prominenten. Um möglichst viele internationale Geschichten erzählen zu können, beschließen die beiden Journalisten, ein weltweites Netzwerk von Investigativreportern – das ICIJ – einzuschalten. Während sie selbst weiter nach Namen und Geschichten suchen, koordinieren sie gemeinsam mit dem ICIJ die Arbeit hunderter Journalisten. Fast ein Jahr arbeiten Reporter der wichtigsten Medien der Welt – etwa des Guardian, der BBC oder von Le Monde – unter höchster Geheimhaltung zusammen, um im Frühjahr 2016 die "Panama Papers" zu veröffentlichen. Dieses Buch ist die faszinierende Geschichte einer internationalen journalistischen Recherche, die aufdeckt, was bis jetzt verborgen war: Wie eine kleine Elite, die sich niemandem mehr verantwortlich glaubt, ungeheure Vermögen versteckt. Es ist, als würde man in einem dunklen Raum das Licht anknipsen: Plötzlich ist alles sichtbar.

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Bastian Obermayer / Frederik Obermaier

Panama Papers

Die Geschichte einer weltweiten EnthüllungWie wir die versteckten Milliarden von Premierministern, Diktatoren, FIFA-Funktionären, Konzernlenkern und Superreichen fanden – und die geheimen Gelder von Putins innerstem Zirkel

Kurzübersicht

Buch lesen

Titelseite

Über Bastian Obermayer / Frederik Obermaier

Über dieses Buch

Inhaltsverzeichnis

Impressum

Hinweise zur Darstellung dieses E-Books

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Über Bastian Obermayer / Frederik Obermaier

Bastian Obermayer, geboren 1977, ist stellvertretender Leiter des Ressorts »Investigative Recherche« der Süddeutschen Zeitung und Mitglied im »International Consortium of Investigative Journalists« (ICIJ). Er hat in München Politik studiert und die Deutsche Journalistenschule besucht. Für seine Reportagen und Recherchen erhielt er unter anderem den Theodor-Wolff-Preis, den Henri-Nannen-Preis und den Wächterpreis. Neben anderen Büchern veröffentlichte er bei Kiepenheuer & Witsch »Bruder, was hast Du getan?« über den systematischen Missbrauch im katholischen Kloster Ettal.

 

Frederik Obermaier, geboren 1984, ist Redakteur im Ressort »Investigative Recherche« der Süddeutschen Zeitung und ebenfalls Mitglied im ICIJ. Er hat in Eichstätt und Bogotá Politik, Wirtschaftsgeografie und Journalistik studiert. Seine journalistische Arbeit wurde unter anderem mit dem CNN-Award, dem Helmut-Schmidt-Preis sowie dem Wächterpreis ausgezeichnet.

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Über dieses Buch

Alles beginnt in München. Zwei junge Reporter erhalten die Daten hunderttausender Briefkastenfirmen. Darin finden sie die vermögendsten, mächtigsten und reichsten Menschen der Welt. Die beiden Journalisten folgen den Spuren – mithilfe von 400 Reportern aus 80 Ländern – und stoßen auf die versteckten Milliarden von Präsidenten, Verbrechern und ganz normalen Superreichen.

 

Die Geschichte des größten Daten-Leaks aller Zeiten beginnt spät am Abend mit einer anonymen Nachricht: »Hallo. Hier spricht John Doe. Interessiert an Daten?«

Bastian Obermayer, Investigativreporter der Süddeutschen Zeitung, antwortet sofort – und erhält Informationen, die ihn und seinen Kollegen Frederik Obermaier elektrisieren. Es sind die Daten hunderttausender Briefkastenfirmen. Sie bieten einen Einblick in eine bislang vollständig abgeschottete Parallelwelt, in der Milliarden verwaltet, verschoben und versteckt werden: die Gelder von großen Konzernen, von europäischen Premierministern und Diktatoren aus aller Welt, von Scheichs, Emiren und Königen, von Mafiosi, Schmugglern, Drogenbossen, von Geheimagenten, FIFA-Funktionären, Adligen, Superreichen und Prominenten.

Um möglichst viele internationale Geschichten erzählen zu können, beschließen die beiden Journalisten, ein weltweites Netzwerk von Investigativreportern – das ICIJ – einzuschalten. Während sie selbst weiter nach Namen und Geschichten suchen, koordinieren sie gemeinsam mit dem ICIJ die Arbeit hunderter Journalisten. Fast ein Jahr arbeiten Reporter der wichtigsten Medien der Welt – etwa des Guardian, der BBC oder von Le Monde – unter höchster Geheimhaltung zusammen, um im Frühjahr 2016 die "Panama Papers" zu veröffentlichen.

Dieses Buch ist die faszinierende Geschichte einer internationalen journalistischen Recherche, die aufdeckt, was bis jetzt verborgen war: Wie eine kleine Elite, die sich niemandem mehr verantwortlich glaubt, ungeheure Vermögen versteckt. Es ist, als würde man in einem dunklen Raum das Licht anknipsen: Plötzlich ist alles sichtbar.

Inhaltsverzeichnis

Prolog

[1.] Start

[2.] Wladimir Putins rätselhafter Freund

[3.] Schatten der Vergangenheit

[4.] Die Lügen der Commerzbank

[5.] Syriens Krieg und Mossack Fonsecas Beitrag

[6.] Von der Waffen-SS zur CIA nach Panama

[7.] Der geheimnisvolle Agent

[8.] Die Spur nach Nyon

[9.] Vom Fischen und Finden und von ganz großer Kunst

[10.] Das Weiße Haus im Rücken

[11.] Wie die Funken sprühen

[12.] Angst und Ängste

[13.] Die Siemens-Millionen

[14.] Helfer und Komplizen

[15.] Geheimtreffen mit Alpenblick

[16.] Die Kanzlei des Bösen

[17.] Spirit of Panama

[18.] Die Welt ist nicht genug

[19.] Die Ausbeutungsmaschine

[20.] Geheime Treffen im Komitèrom

[21.] In der Gewalt der Monster

[22.] Der rote Adel

[23.] Die Gasprinzessin und der Schokoladenkönig

[24.] Deutschland, deine Banken

[25.] Der Beutezug der Finanzwikinger

[26.] Spuren ins Nichts

[27.] Bund der Ehe, Bund des Geldes

[28.] Star, Star, Mega Star

[29.] Der vierte Mann und die FIFA

[30.] Die 99% und die Zukunft der Steueroasen

[31.] Das kalte Herz der Offshore-Welt

[ ] Epilog: Panama Papers und die Folgen

[ ] Das Manifest von John Doe

[ ] Dank

[ ] Glossar

Prolog

Von Bastian Obermayer

»Pling«.

Wir sind seit drei Tagen bei meinen Eltern zu Besuch, meine Frau, unsere Kinder und ich, und seit zwei Tagen sind alle krank. Alle außer mir. Es ist zehn Uhr abends, und nachdem der letzte Patient gestreichelt und der letzte Tee verteilt ist, setze ich mich an den Esstisch, klappe meinen Laptop auf und lege mein Smartphone daneben.

Dann macht es »pling«. Eine neue Nachricht.

[john doe]:

Hallo.

Hier spricht John Doe.

Interessiert an Daten? Ich teile gerne.[*]

»John Doe« ist so etwas wie die englische Entsprechung von Max Mustermann und wird in Großbritannien seit Jahrhunderten verwendet, auch in Kanada und den USA. In Gerichtsprozessen etwa werden Personen, deren wahre Identität nicht enthüllt werden darf, »John Doe« genannt. Oder unbekannte Tote, die irgendwo aufgefunden werden. Inzwischen gibt es aber längst auch Bands, Fernsehserien und Produkte, die »John Doe« heißen.

John Doe ist also eine Tarnidentität, ein Irgendwer. Ein Irgendwer, der offenbar geheime Daten anbietet.

it einem solchen Angebot macht man jeden Investigativjournalisten hellwach, und zwar auf der Stelle. Geheime Daten sind immer gut. Wir haben bei der Süddeutschen Zeitung in den vergangenen drei Jahren eine Menge Geschichten gemacht, die auf zugespielten – oder wie man auch sagt: geleakten – Daten basiert haben: mal ging es um Steuergeheimnisse in der Karibik (Offshore-Leaks), mal um geheime Schweizer Konten (Swiss-Leaks), ein andermal um Luxemburgs Steuertricks (Lux-Leaks). Das System ist immer das gleiche: Irgendwo fließt eine größere Menge geheimer Daten ab – und landet in den Händen von Journalisten. Bei größeren Mengen geheimer Daten ist rein statistisch die Wahrscheinlichkeit ziemlich hoch, dass gute Geschichten darin stecken.

Außerdem: Man sucht oft wochenlang nach einer bestimmten Quelle, manchmal sogar Monate. Wenn sich also schon mal eine potenzielle Quelle von selbst meldet, sollte man schnell antworten. Zumindest sollte man antworten. Kaum etwas wäre ärgerlicher, als im Spiegel oder der Zeit eine Geschichte zu finden, die uns zuerst angeboten wurde.

[obermayer]:

Hallo zurück. Ich bin sehr interessiert, natürlich.

Die wenigsten guten Quellen erkennt man sofort. Schlechte Quellen eher, jedenfalls durchgedrehte oder verwirrte – nämlich an ebensolchen Mails. Zwar können auch Durchgeknallte gute Geschichten kennen, es ist allerdings die Ausnahme.

Daten haben den Vorteil: Sie sind nicht wichtigtuerisch oder geschwätzig, sie haben keine Mission und keine Manipulationsabsichten. Sie sind erst mal nur da, und sie sind überprüfbar. Jeden guten Datensatz kann man an der Realität abgleichen – und genau das sollte man als Journalist auch tun, bevor man darüber schreibt. Außerdem muss man irgendwann genau überlegen, über welchen Teil der Daten man berichtet.

Das ist der Unterschied zu Wikileaks. Die Betreiber der Enthüllungsplattform stellen Datensätze oft einfach so ins Netz, ohne sie journalistisch zu filtern. Das ist die Idee dahinter. Keine ganz schlechte, übrigens.

[obermayer]:

Wie kommen wir an die Daten?

[john doe]:

Damit wäre ich gern behilflich, aber es gibt ein paar Bedingungen. Als Erstes müssen Sie verstehen, wie gefährlich und sensibel manche der Informationen aus den Daten sind. Mein Leben ist in Gefahr, wenn meine Identität offengelegt wird. Dann habe ich in den vergangenen Wochen darüber nachgedacht, wie das hier laufen kann. Wir werden verschlüsselt kommunizieren. Es wird kein Treffen geben. Was Sie am Ende veröffentlichen, ist Ihre Entscheidung.

Mit diesen Bedingungen kann ich leben. Natürlich lernt man jede Quelle lieber kennen, um sie einzuordnen, ihre Motivation zu verstehen. Aber für Informanten ist es oft besser, sich nicht zu zeigen. Auch in Deutschland sind Whistleblower nicht sonderlich gut geschützt, und jeder Einzelne, der die Identität eines Informanten kennt, ist eine potenzielle Gefahr. Auch oder besonders, wenn dieser Einzelne ein Journalist ist.

Aber die Quelle kommuniziert knapp und klar, dann kann ich das auch. Da hat jemand offenbar etwas, das er oder sie loswerden möchte. Gern hier, bei mir:

[obermayer]:

Okay. Wie machen wir die Übergabe?

Ich schicke meine Kontaktdaten für weitere Arten verschlüsselter Kommunikation.

Mit den nächsten Nachrichten einigen wir uns auf einen Übergabeweg, und wenig später soll über verschlüsselte Kanäle eine erste Probe folgen.

Ein gutes Zeichen: Die Quelle fragt nicht nach Geld. Ein paar Monate zuvor hatte sich jemand gemeldet, der behauptete, Aufzeichnungen über geheime Auslandskonten einer deutschen Partei zu besitzen. Kontostand angeblich: 26 Millionen Dollar. Die Sache ging eine Woche hin und her, schlechte Fotos von Bankdokumenten wurden geliefert, absurde Telefonate folgten – und dann verlangte dieser jemand am Telefon plötzlich Geld. Es ist aber so: Die Süddeutsche Zeitung bezahlt grundsätzlich nicht für Informationen. Nie. Nicht nur, weil wir das Geld nicht haben, sondern vor allem aus Prinzip. Damit sinkt gleichzeitig auch der Reiz, uns gefälschte Dokumente anzudrehen.

Man muss es nur aushalten können, in anderen Blättern dann die Geschichten zu lesen, die wir haben gehen lassen müssen. Die Geschichte des geheimen Parteikontos erschien aber weder im Spiegel noch im Stern – auch die Kollegen haben sie wohl als Fälschung eingeschätzt, wenn sie ihnen denn angeboten wurde.

»Pling«.

Die Probe ist da: eine gute Handvoll Dateien, vor allem PDFs. Ich öffne die Dateien auf dem Computer und gehe eine nach der anderen durch. Es sind Gründungsunterlagen von Firmen, Verträge und Datenbankauszüge. Ich brauche ein wenig, bis ich die Zusammenhänge verstehe, aber nach einer Internetrecherche erkenne ich den Fall, um den es geht. Schauplatz ist Argentinien. Ein Staatsanwalt, José María Campagnoli, vermutet, zwielichtige Geschäftsleute hätten den Kirchners, also der damals noch amtierenden Präsidentin Cristina Kirchner und ihrem verstorbenen Ehemann Néstor, geholfen, rund 65 Millionen Dollar Staatsgelder außer Landes zu bringen. Geschehen sei dies über ein weitverzweigtes Netz von 123 Briefkastenfirmen, allesamt gegründet von einer panamaischen Kanzlei namens Mossack Fonseca, und vorwiegend in der US-Steueroase Nevada. Die Vorwürfe sind allerdings allesamt nicht bewiesen, und Cristina Kirchner bestreitet, dass die Anschuldigungen zutreffen.

Was den Fall aktuell macht, ist eine Klage, die in USA anhängig ist. Der Investmentfonds NML hat unter der Regie seines Gründers Paul Singer Millionen argentinische Staatsschulden gekauft – und dann ging das Land pleite. Die meisten Gläubiger stimmten einem Schuldenschnitt zu. NML nicht. Der Fonds klagt rund um die Welt, um argentinisches Staatsvermögen dingfest zu machen. Vor der afrikanischen Küste ließ er sogar ein argentinisches Kriegsschiff beschlagnahmen. Kriegsschiffe sind wertvoll, man kann sie verkaufen.

Die Klage in den USA, in Nevada, zielt nun auf die Offenlegung dieses Briefkastenfirmennetzes. NML will von Mossack Fonseca alle Dokumente zu den 123 Briefkastenfirmen bekommen. Ein Teil davon ist jetzt vor mir auf dem Bildschirm – es sind jene Unterlagen, denen die NML schon seit Jahren erfolglos hinterherjagt. Und schnell wird klar: Es geht um Zahlungen in Millionenhöhe.

Sechs Millionen Dollar gehen laut der Unterlagen auf ein Konto der Deutschen Bank in Hamburg. Der Vertrag dazu wirkt auf den ersten Blick verdächtig, es geht um eine Provision im Glücksspielgeschäft.

Zwei weitere Dokumente zeigen die wahren Eigentümer von zweien der Firmen, deren Dokumente NML einklagen möchte. Diese Dokumente würden das Gerichtsverfahren auf einen Schlag einen großen Schritt weiterbringen.

Das Interessante ist: Alle Dokumente scheinen aus derselben Kanzlei zu kommen. Mossack Fonseca kenne ich, aber nur als unüberwindbare Wand. Als schwarzes Loch. Wann immer unsere Recherchen uns zu der Kanzlei geführt haben, war genau da Schluss. Mossack Fonseca ist einer der größten Anbieter anonymer Briefkastenfirmen, und nicht gerade berühmt dafür, sich seine Kunden zögerlich auszusuchen. Eher das Gegenteil.

Auf gut Deutsch: Einige der größten Drecksäcke dieser Welt haben anonyme Offshore-Firmen von Mossack Fonseca genutzt, um ihre Geschäfte zu verschleiern. Bei den Offshore-Leaks- und Swiss-Leaks-Recherchen sind wir unter anderem auf verurteilte Drogengroßhändler und mutmaßliche Blutdiamantenhändler gestoßen, die Mossack-Fonseca-Firmen zur Verschleierung eingesetzt haben. Und wer im Internet nach den Kunden von Mossack Fonseca sucht, findet die Helfershelfer brutaler Machthaber und Mörder wie Gaddafi, Assad oder Mugabe, die angeblich mit der panamaischen Rechtsanwaltskanzlei arbeiten.

Wohlgemerkt: angeblich. Denn Mossack Fonseca bestreitet diese Zusammenarbeit, und die Kundenliste ist nicht öffentlich. Bisher jedenfalls.

[obermayer]:

Das Material scheint gut zu sein. Kann ich mehr sehen?

Aber »John Doe« antwortet nicht mehr. Hat er oder sie es sich anders überlegt? Oder denkt nur nach?

Ich schicke noch eine Nachricht hinterher:

[obermayer]:

Geht es nur um den argentinischen Fall?

Als 20 Minuten später immer noch keine Antwort da ist, klappe ich den Laptop zu, packe das Smartphone weg und gehe ins Bett.

Am nächsten Morgen – das Krankenlager hat sich noch nicht gelichtet – ist die Antwort da. Und noch mehr:

[john doe]:

Ich schicke hier noch mehr Proben. Einige haben mit Russland zu tun. Ein Teil eines PDFs ist speziell für Deutsche interessant. Suchen Sie nach Hans-Joachim … Wo das herkommt, ist noch eine Menge mehr.

Am liebsten würde ich die Dokumente sofort durchschauen. Aber – so schwer es mir auch fällt – ich muss erst zur Apotheke und einkaufen, Zwieback, Obst und Tee. Außer mir ist niemand imstande, das Haus zu verlassen. Der Vorteil der Epidemie: Keiner im Haus möchte mit mir in den Wald, Fußball spielen oder spazieren gehen. Am späten Vormittag sind dann alle Betten im Haus wieder mit schlafenden Patienten belegt und ich kann zurück an den Laptop.

Auch die neuen Dokumente scheinen ausschließlich aus den Akten der panamaischen Kanzlei Mossack Fonseca zu stammen. Die Firma hat offenbar ein ernsthaftes Problem.

Ein Leak.

Als Erstes schaue ich mir ein viele Hundert Seiten langes Dokument an, das wer-auch-immer mit »records« betitelt hat. Es sind einige Hundert Seiten mit Überweisungen. Eine sticht hervor: Auf das Konto eines Mannes namens Hans-Joachim K. bei der Société Générale Bahamas geht am 19. November 2013 offenbar eine Summe von fast 500 Millionen Dollar ein, in Gold.[1]

500 Millionen Dollar. Eine halbe Milliarde. Ein Riesenhaufen Geld.

Ich habe noch nie von Hans-Joachim K. gehört, aber die Google-Suche zeigt mir einen hierzulande kaum bekannten ehemaligen Siemens-Manager, der CEO in Kolumbien und Mexiko war; das könnte eine Fährte sein. Bei Siemens in Südamerika gab es über viele Jahre schwarze Kassen, mit denen belohnt wurde, wer den Geschäften zuträglich war. Darüber finde ich Dutzende Artikel, auch internationale.

Eines verwirrt mich allerdings: Diese unglaubliche Summe geht im Herbst 2013 auf das Konto des Siemens-Mannes. Die schwarzen Kassen der Konzerns in Südamerika wurden aber bereits 2007/2008 enttarnt, es kam zu Gerichtsverfahren, einige laufen noch immer. Das ist, vorsichtig ausgedrückt, mysteriös.

Aber man kommt nicht eben mal so an 500 Millionen Dollar. Woher stammt dieses Geld?

Eine Fehlbuchung?

Bevor ich mich weiter in Details verlieren kann, höre ich die Kinder rufen. Sie wollen mehr Salzstangen und Zwieback. Ich ergebe mich und klappe den Laptop zu. Die 500 Millionen werden nicht verschwinden.

Der Nachmittag wird mit Vorlesen, Teekochen und Wärmflaschenmachen verbracht.

Erst als es später Abend ist, komme ich dazu, mich dem neuen Material zu widmen. Auf den ersten Blick geht es vor allem um Briefkastenfirmen, die meist mit ein und demselben heimlichen Eigentümer verbunden zu sein scheinen: einem gewissen Sergej Roldugin. Viele der Dokumente sind Verträge, in denen es um hohe Millionensummen geht, mal um 8 Millionen Dollar, mal um 30 Millionen, um 200 Millionen oder 850 Millionen Dollar, es sind Aktiendeals oder Darlehen. Aber auch der Name Roldugin sagt mir nichts.

Ich recherchiere – und zucke kurz.

Sergej Roldugin ist »Wladimir Putins bester Freund« – jedenfalls wird er von Newsweek so bezeichnet. Und dafür gibt es gute Argumente: Roldugin ist der Taufpate von Maria, der ältesten Tochter des russischen Präsidenten.

Das allein wäre schon interessant genug: die Offshore-Geschäfte des Taufpaten. Aber dann lese ich etwas, das mich wirklich irritiert: Sergej Roldugin, der den Dokumenten zufolge mit Abermillionen US-Dollar hantiert, ist weder Investor noch Oligarch. Er ist Künstler. Ein bekannter Cello-Spieler und vormaliger Direktor des Petersburger Konservatoriums. Ich finde ein Interview in der New York Times von September 2014, in dem Roldugin ausdrücklich sagt, er sei kein Geschäftsmann, er habe keine Millionen.

Falls die Dokumente echt sind, woran ich im Moment kaum zweifele, hat er entweder gelogen – oder es ist nicht sein Geld. Wessen dann? Ist Roldugin nur ein Strohmann? Und wenn: für wen?

Für Wladimir Putin?

Wenn in diesen Firmen Putins Geld läge, und sei es nur ein Bruchteil davon, wäre das eine Geschichte, die weltweit Schlagzeilen machen würde.

Wer auch immer mir diese Dokumente zugespielt hat, er oder sie hat Roldugin auch entdeckt und ist deswegen beunruhigt. Wahrscheinlich zu Recht.

[obermayer]:

Wer sind Sie?

[john doe]:

Ich bin ein Niemand. Nur ein besorgter Staatsbürger.

Eine offensichtliche Anspielung: Staatsbürger heißt auf Englisch »citizen«. Der Whistleblower Edward Snowden nannte sich »citizen four« – Staatsbürger vier –, als er sich bei der Journalistin und Filmemacherin Laura Poitras meldete. Snowden sitzt seit seiner Flucht aus Hongkong in Moskau fest.

[obermayer]:

Warum tun Sie das?

[john doe]:

Ich will, dass über das Material berichtet wird und diese Verbrechen öffentlich werden. Diese Geschichte könnte von der Wichtigkeit an die Enthüllungen von Edward Snowden heranreichen. Da reicht eine deutsche Veröffentlichung nicht. Es braucht einen großen englischsprachigen Partner wie die New York Times oder ein ähnliches Kaliber.

Die Süddeutsche Zeitung ist nicht gerade der natürliche Partner der New York Times. Aber wir haben schon mit großen englischsprachigen Medien wie dem Guardian, der Washington Post oder der BBC zusammengearbeitet, etwa bei Offshore-Leaks und Lux-Leaks. Das erklärte ich »John Doe«, und offenbar ist er oder sie damit zufrieden:

[john doe]:

Okay. Dann sollten wir diskutieren, was der beste Weg für mich ist, eine große Menge Material zu schicken. Irgendwelche Ideen?

Ehrlich? Ich habe keine Ahnung. Ich hatte noch nie eine anonyme Quelle, die mir Gigabyte-weise Material überlassen wollte.

Und ich höre im ersten Stock meinen Sohn weinen.

[obermayer]:

Ich muss darüber nachdenken. Über wie viele Daten sprechen wir denn, wie groß wird es?

[john doe]:

Größer als alles, was Sie je gesehen haben.

Es wird am Ende nicht nur größer werden als alles, was ich jemals gesehen habe. Es wird größer werden als jedes Leak, das irgendein Journalist jemals sah. Und es wird der Beginn des größten grenzüberschreitenden Enthüllungsprojekts sein, das es je gab. Rund 400 Journalisten aus über 80 Ländern werden am Ende Geschichten aus diesen Daten recherchieren. Geschichten, die von den geheimen Offshore-Firmen Dutzender Staatschefs und Diktatoren erzählen, Geschichten, die erklären, wie mit Waffen, Drogen, Blutdiamanten und anderen verbrecherischen Geschäften Milliarden verdient werden, und Geschichten, die den Lesern die Steuervermeidung der Wohlhabenden und der Superreichen dieser Welt nahebringen.

Geschichten, die alle bei Mossack Fonseca beginnen, und in dieser ersten Nacht.

[1.]Start

Der beste Freund des russischen Präsidenten. Geschäftsmänner, die der argentinischen Präsidentin und ihrem verstorbenen Mann und Amtsvorgänger nahestehen. Ein mysteriöser Deutscher mit 500 Millionen Dollar? Eine Recherche kann schlechter beginnen.

Schon wenige Tage nach der ersten Kontaktaufnahme und nach einer Besprechung mit Ressortleiter Hans Leyendecker ist klar, dass daran das Team arbeiten wird, das schon etliche ähnliche Recherchen durchgeführt hat: also wir beide, die »Gebrüder Obermay/ier« – wie uns manche im Haus nennen, seit unser Chefredakteur Kurt Kister in einer Konferenz damit angefangen hat.

Ansonsten versuchen wir den Kreis derer, die von dem Projekt wissen, erst einmal klein zu halten. Wer weiß schon, ob die Daten echt sind? Ob sie verifizierbar sind? Und ob daraus je eine Geschichte wird?

Unser Plan ist, die Dokumente sauber aufzuarbeiten und dann zu überlegen, wie und wann wir die Ergebnisse veröffentlichen. Also lesen wir uns über Putins Geschäfte ein – schließlich haben wir inzwischen in den Daten den Namen seines besten Freundes in Verbindung mit gleich drei Offshore-Firmen gefunden –, besorgen uns Material zu dem Gerichtsverfahren des Hedgefonds NML gegen Argentinien und recherchieren zu unserem mysteriösen Ex-Siemens-Mann und den 500 Millionen US-Dollar in Gold. Nur: Wir werden ständig abgelenkt von neuen Firmen, neuen potenziellen Geschichten. Denn seit der Nacht der Kontaktaufnahme wächst das Material unaufhörlich weiter, und wir finden immer wieder Namen, die es wert sind, recherchiert zu werden. Südamerikanische Minister, deutsche Adelige, US-Banker. Schon nach kurzer Zeit haben wir, verteilt auf ein paar USB-Sticks, mehr als 50 Gigabyte Daten: ein paar Tausend digitale Ordner. Jeder Ordner trägt eine Nummer, die zu einer bestimmten Offshore-Firma gehört. Darin liegen offenbar Dokumente, die Mossack Fonseca für die jeweilige Firma erstellt hat: Urkunden, Passkopien, Listen der Anteilseigner und der Direktoren, Rechnungen, Mails. Ein praktisches und vor allem übersichtliches System – auch für uns.

Tausende Briefkastenfirmen. Tausende Menschen, die offenbar einen triftigen Grund sehen, ihre Geschäfte zu verschleiern. Tausende potenzielle Geschichten. Der »unique selling point« von Offshore-Firmen, ihre Kernkompetenz sozusagen, ist: Sie schaffen Anonymität. Ein nichtssagender Name ist das Schild nach außen, und niemand erfährt, wer eigentlich dahintersteckt.

Natürlich gibt es viele Gründe, Offshore-Firmen zu nutzen – und natürlich ist ihr Besitz nicht per se strafbar. Es kommt darauf an, was man damit macht. Aber es ist schon so: Meistens will man in einer anonymen Offshore-Firma etwas verstecken – vor dem Finanzamt, der Exfrau, dem ehemaligen Partner oder der neugierigen Öffentlichkeit. Dieses Etwas können Immobilien sein, Bankkonten, Gemälde, Beteiligungen, Aktien, Wertpapiere jeder Art.

Die Erfahrung zeigt, dass die Anonymität von Briefkastenfirmen oft von denen genutzt wird, deren Geschäfte auf Anonymität beruhen. Also von Waffenschiebern, Menschenhändlern, Drogenschmugglern und anderen Verbrechern. Von Investoren, die ihre wirkliche Identität und ihre wirklichen Absichten nicht offenbaren wollen. Von hochrangigen Politikern, die ihr Vermögen aus dem Land schaffen wollen – weil es möglicherweise nicht ganz sauber zusammengerafft wurde. Von Firmen, die damit Bestechungsgelder weiterleiten. Diese Liste könnte noch sehr lange fortgesetzt werden.

Und wir sitzen jetzt vor geheimen Daten, die möglicherweise Hunderte solcher Fälle ans Licht bringen können, vor digitalen Ordnern, in die noch nie ein Journalist schauen konnte. Wir könnten problemlos Wochen damit verbringen, uns darin treiben zu lassen. Nicht nur, weil wir immer nach der nächsten großen Geschichte suchen. Sondern weil einfach kein Detail uninteressant ist und wir mit jeder Firma, die wir uns ansehen, mit jeder E-Mail-Konversation, die wir lesen, mehr darüber lernen, wie die Kanzlei Mossack Fonseca funktioniert. Der Reiz, so tief in diese heimlichen Geschäfte zu blicken, in das gesamte Räderwerk der Verschleierung, von der Anbahnung bis zur Konteneröffnung bis zur Auflösung, ist unheimlich stark. Es ist fast wie eine Sucht, und hätten wir nicht beide Familien, wir würden wohl jeden Abend vor dem Laptop sitzen. Und klicken. Und klicken. Und klicken.

Aber auch mit halbwegs geregelten Arbeitszeiten haben wir das grundlegende Geschäftsmuster nach ein paar Wochen verstanden. Es läuft fast immer so: Der Kontakt zu Mossfon, wie sich Mossack Fonseca abkürzt, entsteht über einen Vermittler, etwa eine Bank, einen Rechtsanwalt oder einen Vermögensverwalter. Sie sind die eigentlichen »Kunden« von Mossack Fonseca, sie bestellen die Ware, sie kommunizieren, und sie bezahlen die Rechnungen. Die Ware sind meist Offshore-Firmen von der Stange. Mossfon bietet Firmen aus rund 20 Jurisdiktionen an, am häufigsten von den Britischen Jungferninseln oder aus Panama, aber auch von den Bahamas, aus Bermuda, Samoa, Uruguay oder Hongkong, aus den US-Steueroasen Nevada, Wyoming, Delaware und seit einiger Zeit aus Florida und den Niederlanden. Ganz neu auch: aus dem arabischen Emirat Ras Al Khaimah. Verkauft werden die Firmen aus den fast 50 Büros in aller Welt oder aus dem Hauptquartier im Zentrum von Panama-Stadt, den oberen Etagen eines geduckten Glasgebäudes, in dem sich das Wahrzeichen der Stadt spiegelt: der Revolution Tower.

Mossack Fonseca ist nicht der einzige Anbieter von Briefkastenfirmen, der seinen Hauptsitz in Panama hat, auch andere Größen – es gibt kaum offizielle Zahlen aus der verschwiegenen Branche – sitzen hier, zum Beispiel die Kanzlei Morgan y Morgan, vermutlich der größte Konkurrent von Mossfon. Es ist kein Zufall, dass sich die Offshore-Provider ausgerechnet in dem lateinamerikanischen Kleinstaat ballen, der eingeklemmt zwischen Costa Rica und Kolumbien genau da liegt, wo der amerikanische auf den lateinamerikanischen Kontinent stößt.

[ ]

Panama war immer ein Land mit starken Abhängigkeiten. Lange Zeit eine arme Provinz Kolumbiens, wurde das Land 1903 auch deshalb unabhängig, weil amerikanische Banker und Industrielle den damaligen US-Präsidenten Theodore Roosevelt überzeugen konnten, die panamaischen Separatisten zu unterstützen. Die US-Interessengruppen hofften darauf, an dem im Bau befindlichen Panamakanal mitverdienen zu können. Roosevelt schickte Truppen, besetzte Teile des neu ausgerufenen Staates und machte Kolumbien klar, dass es seine ehemalige Provinz abschreiben könne. Eine Nation von Amerikas Gnaden war geschaffen, und in der Kanalzone, wo das große Geschäft wartete, wehte tatsächlich die US-Flagge. Tausende amerikanische Soldaten wachten dort über die Hoheitsrechte, die den USA von der panamaischen Regierung 1903 zugestanden worden waren und erst Ende 1999 an Panama zurückgegeben wurden.

Grundlage für das einträgliche Geschäft mit den Briefkastenfirmen ist ein Gesetz, das am 26. Februar 1927 in Kraft trat. Dieses Gesetz, es trägt die Nummer 32, garantiert die Geheimhaltung von Vermögen, Überweisungen und vor allem Firmenbesitzern – und gewährt den sogenannten »Sociedades Anónimas« Steuerfreiheit. Das klingt geheimnisvoller, als es ist, denn eine »anonyme Gesellschaft« ist nichts anderes als eine Aktiengesellschaft. An der Geheimhaltung hat sich bis heute kaum etwas geändert, abgesehen von einigen eher kosmetischen Reformen, die dem Bemühen geschuldet waren, wenigstens von einigen schwarzen oder grauen Listen getilgt zu werden, auf denen Länder geführt werden, die Geldwäsche und Steuerhinterziehung fördern. Die Bedingungen für die Offshore-Branche blieben über die Jahre nahezu unberührt – und der Staat profitiert ja auch: zum Beispiel von den Gewerbesteuern der Kanzleien, den Lohnsteuern der Angestellten oder den Firmengründungsgebühren.

Das Geschäft ist auch deswegen so reizvoll, weil es nicht nur einträglich, sondern auch so einfach ist. Den Verkäufer kostet eine Standard-Briefkastenfirma fast nichts, und die Formalitäten sind rasch erledigt. Der Käufer hat im Handumdrehen seine Firma, er bezahlt nur ein paar Hundert US-Dollar und kann sie, wenn sie ausgedient hat, schnell und einfach wieder abstoßen. Und niemand erfährt je, wem sie überhaupt gehört hat. Ideal für dunkle Geschäfte.

Ideal für Siemens, stellen wir fest. Denn während wir uns zu Putin einlesen, gehen wir gleichzeitig den Spuren von Hans-Joachim K. nach, dem Deutschen mit den seltsamen 500 Millionen Dollar auf dem Bahamas-Konto. Wir recherchieren erst mal außerhalb der Daten, allein schon, weil uns noch ein geeignetes Programm fehlt, mit dem wir die 50 Gigabyte systematisch durchsuchen könnten. Wir finden K.s Namen in der Anklageschrift gegen einen früheren Siemens-Vorstand. Dort ist nachzulesen, dass K. jahrelang schwarze Kassen geführt hat, Geld, das aus den offiziellen Siemens-Kanälen herausgeschleust wurde, um schnell und unkompliziert darüber verfügen zu können. Etwa, um damit sogenannte »Berater« bezahlen zu können. Hans-Joachim K. nennt auch eine dieser Schwarzgeld-Firmen: Casa Grande soll sie geheißen haben. In einem Vernehmungsprotokoll finden wir sie mit vollem Namen: Casa Grande Development. So steht die Gesellschaft auch in der öffentlich zugänglichen Firmen-Datenbank Panamas – und zwar mit Mossack Fonseca als »registriertem Agenten«, als Verwalter. Aber in der Datenbank ist kein Bezug zu Siemens oder gar K. zu erahnen. Als Direktorinnen der Firma sind dort drei Frauen eingetragen, die mit großer Sicherheit nie im Leben für Siemens gearbeitet haben, Francis Perez, Diva de Donada und Leticia Montoya.[2] So funktioniert die Mechanik der Offshore-Firma: Die Anbieter solcher Firmen, Offshore-Provider wie Mossack Fonseca, sorgen für eine Schutzschicht um den wahren Eigentümer.

In diesem Fall bedeutet das, dass Mossack Fonseca die Direktorinnen stellt – Direktorinnen, die eigentlich keine sind. Francis Perez, Diva de Donada und Leticia Montoya würde man klassischerweise Strohmänner nennen, wären sie nicht Frauen. Sie arbeiten als Scheindirektorinnen für Mossack Fonseca. Ihr Job ist es, zu unterschreiben, was man ihnen vorlegt. Sie unterschreiben, wenn der wahre Eigentümer ein Konto auf den Namen seiner Briefkastenfirma eröffnen will – wie im Fall der Casa Grande Development für Siemens – oder wenn er etwas im Namen der Firma kaufen möchte: eine Wohnung, ein Haus, eine Yacht. Sie unterschreiben aber auch Verträge, Darlehen in Millionenhöhe oder andere Papiere. Das heißt, nach außen treten diese Scheindirektoren – in der Fachsprache »nominees« oder »nominee directors« – als offizielle Vertreter der Firma auf, und der wahre Eigentümer kann sich hinter dieser Fassade verstecken.[3]

Der wahre Eigentümer (oder, wenn er vorsichtiger ist: sein Anwalt) bekommt von den Scheindirektoren meist eine Vollmacht, mit der er Zugriff auf das Bankkonto oder den Safe hat. Von dieser Vollmacht aber wissen meist nur die Bank, die Scheindirektoren und Mossack Fonseca. Eine geheime, aber für sich genommen vollkommen legale Verabredung, die der Firma erst den eigentlichen Sinn gibt – geschlossen weitab von den Augen neugieriger Staatsanwälte, Steuerfahnder und Betrugsermittler.

[ ]

In einem Excel-Dokument, das wir in den Daten finden, stoßen wir auf die Ordnernummer der Casa Grande Development, und tatsächlich haben wir diesen Ordner. Das ist ein Glücksfall – in der Excel-Tabelle sind mehr als 200000 aktive und gelöschte Mossack-Fonseca-Firmen gelistet, wir haben zu diesem Zeitpunkt aber nur die Unterlagen weniger Tausend.

In dem Ordner finden wir eine Vollmacht für einen ehemaligen Siemens-Kollegen von Hans-Joachim K. Der Exkollege wird als wahrer Eigentümer der Firma genannt. Aber wenn die Casa Grande Development die Millionen aus den schwarzen Töpfen verteilte, wenn sie Verträge einging und Geschäfte machte, tauchten weder der Exkollege noch K. noch Siemens auf. Die Scheindirektorinnen unterzeichneten, und wer in Wahrheit dahinterstand, war von außen nicht ersichtlich. Die Firma war ein ideales Vehikel, um die Geschäfte der Südamerikasparte von Siemens anonym und unter Umgehung von Gesetzen und Dienstwegen anzuschieben.

Selbst wenn jemand erfahren hätte, wer die Anteile an der Casa Grande Development hält, wäre keine Verbindung zu Siemens entstanden. Es wurden nämlich anfangs nur sogenannte »bearer shares« ausgegeben, anonyme Inhaberaktien. Wem diese Aktien gehören, ist meist nirgendwo hinterlegt. Es ist ganz einfach so: Wer alle Inhaberaktien einer Firma in der Hand hält, also physisch, als Stück Papier, dem gehört auch die Firma. Eine Einladung für jene Art von Geschäften, die spurlos ablaufen sollen. Geld auf den Tisch, Inhaberaktien herübergeschoben, Transaktion gelaufen. Die Firma hat einen neuen Eigentümer.

Wer ein noch stärker ausgeprägtes Anonymisierungsbedürfnis verspürt, kann auf Wunsch bei Mossack Fonseca neben den Scheindirektoren auch jederzeit Scheinanteilseigner, nominee shareholder, buchen. Das sind Menschen oder Briefkastenfirmen, die quasi treuhänderisch die Aktien halten. Wenn Mossack Fonseca, etwa im Zuge einer Ermittlung, den oder die Anteilseigner einer Firma benennen muss, heißt das in diesem Fall noch lange nicht, dass das auch der wahre Besitzer ist. Der kann sich hinter dieser zweiten Schutzschicht verstecken.

Damit ist die Firma endgültig ein vollkommen uneinsehbares Gebilde. Steuerfahnder oder Polizisten, Gläubiger oder betrogene Geschäftspartner, selbst Ehefrauen oder Kinder können nicht beweisen, dass die Firma mit dem seltsamen Fantasienamen zu irgendjemand Greifbarem gehört. Sie ist, jedenfalls nach außen, eine »black box«.

Aber nicht nach innen. Innen, in den digitalen Ordnern, die wir nun Tag für Tag – und immer wieder auch Abend für Abend – durchsehen, liegen nämlich Tausende interne E-Mails, die Mossack-Fonseca-Angestellte einander schreiben. Diese Nachrichten sind das Gold dieses Leaks, in ihnen finden wir immer mal wieder den entscheidenden Hinweis auf die wahren Eigentümer.

Leider hilft uns das im Fall des Hans-Joachim K. kaum weiter. Noch immer haben wir keinerlei Ahnung, wie er an die 500 Millionen US-Dollar gekommen ist – und ob. Wir wissen bislang nur, dass er Siemens spätestens 2009 verlassen hat.

Der Fall jedenfalls wird uns weiter begleiten, sobald neue Daten eintreffen, suchen wir nach Tarnfirmen von Siemens und nach K. Es ist wie ein Fieber, wir wollen dieses Rätsel lösen.

[2.]Wladimir Putins rätselhafter Freund

Es geht um unfassbar viel Geld: Das ist so ziemlich das Einzige, was wir auf Anhieb verstehen, als wir uns durch die Ordner der drei Offshore-Firmen kämpfen, in denen Sergej Roldugins Name auftaucht. In den Ordnern liegen Hunderte Dokumente, etliche davon beschreiben über viele Seiten Aktiendeals, die zu verstehen Wochen dauern wird. Aber die Summen lassen sich auch ohne dieses Verständnis herauslesen, und sie rauben uns den Atem. Hier werden mal eben ein paar Hundert Millionen US-Dollar verliehen und dort etliche Milliarden Rubel, es fließen »Beratungsgebühren« in Höhe von etlichen Millionen Dollar von Briefkastenfirma zu Briefkastenfirma, und innerhalb von 24 Stunden sollen den Dokumenten zufolge Aktienpakete mit Millionenwerten zweimal den Besitzer wechseln.

In den Verträgen zu den Aktiengeschäften lesen wir, dass es unter anderem um Aktien großer und wichtiger russischer Unternehmen geht. Dass ausgerechnet diese Firmen hier auftauchen, muss nichts bedeuten. Es kann aber. Nahezu alle Putin-kritischen Russlandexperten gehen davon aus, dass Putin sein Amt als vielfacher Milliardär verlassen wird. Wenn er es denn je verlässt. Aber wo liegt sein Vermögen? Es gibt unter Experten die These, dass er sich Firmenanteile zuteilen lässt, und zwar unter anderem von Unternehmen wie den eben genannten.

Aber wenn Putin tatsächlich Anteile an großen russischen Unternehmen besäße – würde er wollen, dass das bekannt wird? Würde er sie unter seinem Namen halten? Sicher nicht. Er würde also Leute brauchen, denen er vertraut.

Leute wie Sergej Roldugin?

Man weiß etliches über die Beziehung der beiden, auch weil Roldugin, der Cello-Virtuose, kein schüchterner Mann ist. Er spricht gerne mit Journalisten oder Buchautoren über Putin, und natürlich kommt der Präsident dabei durchgehend gut weg. Man möchte Roldugin auch nichts anderes raten.

Die beiden kennen sich seit den Siebzigerjahren. Roldugin gehört zu einem Freundeskreis, den Putin zu St. Petersburger Zeiten pflegte. Ein Freundeskreis, den Putin später sehr, sehr reich gemacht hat.

Deswegen ist es auch vorstellbar, dass Roldugin hier für Roldugin steht. Denn er besitzt seit den Neunzigerjahren einen kleineren Anteil an einer Petersburger Privatbank, der Bank Rossija. Mittlerweile ist die Bank durch Putins Protektion eine der größten und wichtigsten im Lande. Putin hat dafür gesorgt, dass etliche Staatsbetriebe ihr Geld zur Bank Rossija gebracht haben – die wiederum zum Großteil Putin-Vertrauten gehört, nicht nur Roldugin.

Die meisten dieser Vertrauten stehen übrigens auf der Sanktionsliste, die die USA nach der Annektierung der Krim durch Putin erlassen haben. Darauf steht auch die Bank Rossija selbst – als Bank »von Putins innerstem Zirkel«, wie es in der Begründung heißt. Manager genau dieser Bank verwalten einige Offshore-Firmen, die bei Mossack Fonseca geordert wurden, darunter auch zwei der drei Firmen, in denen Sergej Roldugin als Anteilseigner oder Eigentümer genannt wird. Was nebenbei bemerkt dazu führt, dass Mossack Fonseca Geschäfte mit Managern eines Unternehmens macht, das von den USA sanktioniert wurde. Ein Wagnis, das weitreichende Folgen haben kann: Stellen die US-Behörden einen Sanktionsbruch fest, könnten sie das Vermögen der Zweigstelle in den USA einfrieren, und die Besitzer und Geschäftsführer von Mossfon könnten nicht mehr in die Vereinigten Staaten einreisen, ohne fürchten zu müssen, festgesetzt zu werden. Im schlimmsten Fall könnte Mossfon selbst auf der US-Sanktionsliste landen.

Die genaue Konstruktion des Roldugin-Netzwerks ist offenbar diese: In den meisten Firmen hat ein Bank-Rossija-Vertreter eine Art Vollmacht und ist damit Ansprechpartner für eine Rechtsanwaltskanzlei mit Sitz in Zürich. Diese Kanzlei wiederum betreut all die Offshore-Firmen offiziell bei Mossack Fonseca und vermittelt jeweils die Wünsche ihrer Endkunden an Mossfon weiter. Die Genfer Niederlassung von Mossack Fonseca betreut die Züricher Kanzlei. Wenn also Mossack Fonseca in Panama eine Frage hat, wenden sie sich an ihren Ableger in Genf, die Genfer Mossfon-Leute fragen die Zürcher Anwälte, und die wiederum melden sich bei der Bank Rossija. Ein langer Weg. Aber ein praktischer: Würde der Fall jetzt in groben Zügen öffentlich werden, könnte Mossack Fonseca argumentieren, sie hätten doch nur mit einer renommierten Schweizer Kanzlei Geschäfte gemacht. Wenn man schon Schweizern nicht mehr trauen kann! Die E-Mails aus den vergangenen Jahren, die wir Tag für Tag lesen, zeigen: Mossack Fonseca wusste offenbar sehr genau, dass da am anderen Ende die Bank Rossija involviert ist.

Die entscheidende Frage ist für uns, ob Sergej Roldugin und die anderen Männer aus seinem Netzwerk wirklich auf eigene Faust handeln.

Immerhin: Er behauptet in einem Dokument, alleiniger und wahrer Eigentümer mindestens einer dieser Firmen zu sein, einer Firma namens International Media Overseas S.A., mit Sitz in Panama. So steht es in den Papieren, mit denen Roldugin im Mai 2014 – nur ein paar Wochen nach dem Erlass der US-Sanktionen gegen die Bank Rossija – ein Konto bei der Züricher Filiale einer russischen Bank beantragt.

In dem Fragebogen gibt Roldugin an, das Vermögen der Firma bewege sich im Rubelmilliardenbereich, die erste Überweisung belaufe sich auf fünf Millionen Franken, und langfristig erwarte er Einkünfte von mehr als einer Million Franken pro Jahr. Derselbe Roldugin wird ein paar Monate später der New York Times erzählen, er habe »keine Millionen«. Er sei kein Geschäftsmann.

Roldugin erklärt der Bank auch, woher das Geld jener International Media Overseas S.A. komme: Die Firma halte – was sie tatsächlich auch tut – alle Anteile einer gewissen Med Media Network Limited. Die Med Media wiederum wurde von der New York Times in ebenjenem Artikel ebenfalls erwähnt, in dem auch Roldugin zu Wort kam: Die Firma hält nämlich der Zeitung zufolge 20 Prozent der Anteile an einem großen russischen Medienunternehmen namens Video International. Nur dass die NYT-Reporter nicht ahnten, dass es da eine Verbindung gibt: dass Roldugin nämlich einer der Eigner ist. Jedenfalls auf dem Papier.

Wir nehmen uns vor, die Besitzverhältnisse der Video International genauer zu durchleuchten, schieben diese Aufgabe aber noch etwas auf. Zugänglicher und ungleich unterhaltsamer ist ein Kontoeröffnungsfragebogen der erwähnten Bank in der Schweiz, bei der eine von Roldugins Firmen ein Konto beantragt. Eine der Fragen lautet:

Ist der Eigentümer der Firma eine politisch exponierte Person (PEP) VIP)?

Roldugin antwortet mit: Nein.

Hat er irgendwelche Beziehungen zu PEPs oder VIPs?

Wieder schreibt Roldugin: Nein.

Die zweite Antwort ist eine glatte Lüge. Der beste Freund des russischen Präsidenten, der auch der Patenonkel der Präsidententochter ist, kann nicht ernsthaft abstreiten, »irgendwelche Beziehungen« zu VIPs oder einer politisch exponierten Person zu haben.

Banken fragen inzwischen standardmäßig nach derartigen Verbindungen, weil die Erfahrung der vergangenen Jahrzehnte gezeigt hat, dass die meisten korrupten Politiker ihre heimlichen Konten nicht auf ihren eigenen Namen laufen lassen. Sondern auf den Namen eines Familienmitglieds oder Freundes, dem sie vertrauen. Das Risiko für die Bank, als Helfershelfer diebischer Staatsoberhäupter dazustehen, ist aber ähnlich groß, deswegen wollen die Banken im Rahmen der Geldwäschebekämpfung und der damit verbundenen »Know-Your-Customer«-Politik (KYC-Politik) inzwischen mehr über den Kunden wissen. Am Ende können sie natürlich auch einen Kunden annehmen, der der beste Freund eines Politikers ist. Aber sie müssen wissen, was sie da tun – auch weil sie sich später vielleicht dafür rechtfertigen müssen.

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Während wir versuchen, den russischen Pfaden zu folgen, wachsen die Daten immer weiter an. Gigabyte für Gigabyte.

Der Transfer solcher Datenmengen ist nicht einfach. Noch aufwendiger wird es, wenn man die Informationen auch noch verschlüsseln möchte. Nun haben wir noch dazu das Problem, dass die Quelle auf absoluter Anonymität besteht, das macht die Sache kompliziert.

Die Lösung, die wir nach etlichen Wochen finden, ist umständlich, aber ziemlich sicher. Beschreiben können wir sie nicht, aus Gründen des Quellenschutzes. Die Daten finden ihren Weg. Langsam, aber stetig.

Während wir uns mit den technischen Aspekten quälen, treibt uns eine Frage um: Warum setzt sich jemand dem Risiko aus, solch sensible Daten weiterzugeben, ohne davon etwas zu haben?

Es gibt ja kein Geld. Es gibt aber auch keinen Ruhm für jemanden, der anonym bleibt. Was es gibt, ist die Gefahr.

[sz]:

Warum gehen Sie dieses Risiko ein?

[john doe]:

Ich kann den Grund nicht erklären, ohne meine Identität offenzulegen. Aber allgemein gesprochen habe ich das Gefühl, es tun zu müssen, weil ich in der Lage dazu bin. Es ist zu wichtig. Dort geht eine irrsinnige Menge krimineller Aktivitäten vor sich – ich versuche noch immer das alles irgendwie zu fassen.

[sz]:

Haben Sie keine Angst?

[john doe]:

Definitiv. Aber ich versuche vorsichtig zu sein.

An manchen Tagen schreiben wir uns – über verschiedene anonyme und verschlüsselte Chats – fast rund um die Uhr. Meistens geht es um Fachfragen: Haben wir den Ordner XY bekommen? Kennen wir dieses oder jenes Dateiformat? Dazwischen sprechen wir über Politik, über Angela Merkel und Griechenland, über Chávez, Putin, Obama oder China. Oder über die Ängste der Quelle. Dann wieder über Gigabytes.

Was uns in den ersten Wochen nicht klar ist: So wird es weitergehen. Über Monate. Viele Monate.

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Die argentinischen Dokumente legen wir nach erster Sichtung zur Seite: Der Staatsanwalt hat 123 Firmen identifiziert, die alle von Mossack Fonseca gegründet worden sein sollen. Das ist eine Menge, die von uns nicht zu schaffen ist. Ganz sicher nicht im Augenblick, womöglich überhaupt nicht. Denn so interessant die Geschichte auch ist: Unser Augenmerk muss naturgemäß auch darauf liegen, große deutsche Geschichten zu finden.

Gleichzeitig wollen wir nicht, dass Geschichten unerzählt bleiben oder in den Ländern, in denen sie vielleicht wichtig sind, untergehen.

Auch das ist ein Argument dafür, eine größere internationale Kooperation anzustreben, wie wir sie etwa bei Offshore-Leaks, Lux-Leaks oder Swiss-Leaks erlebt haben.

Dass wir das versuchen, haben wir der Quelle ja längst versprochen – auch wenn wir wohl nicht auf Anhieb die New York Times an Bord bekommen werden.

Wir rufen Gerard Ryle an, den Direktor des International Consortium for Investigative Journalists (ICIJ) in Washington D.C., um ihn für unsere Daten zu begeistern. Das ICIJ ist eine Art internationaler Verein für investigative Journalisten, in dem man nur auf Empfehlung und Einladung Mitglied werden kann. Ihm gehören mittlerweile etwa 200 Kollegen auf der ganzen Welt an, seit 2013 auch wir. Genauer genommen ist das ICIJ ein Projekt des Center for Public Integrity (CPI), einer US-amerikanischen Non-Profit-Organisation für Investigativjournalismus. Der Gründer des CPI ist Charles Lewis, einer der wichtigsten Recherchejournalisten der USA, mit unzähligen Erfolgen in den vergangenen 30 Jahren. CPI und ICIJ werden aus Spendengeldern finanziert, einer der Großspender ist der linksliberal ausgerichtete Milliardär George Soros.

Das ICIJ leitet seit seiner Gründung 1997 grenzüberschreitende Teamrecherchen, zum weltweiten Tabakschmuggel, zum internationalen Handel mit Leichenteilen oder zu fragwürdigen Projekten der Weltbank. Die Idee des ICIJ ist, dass Journalisten weiter kommen, wenn sie ihr Material teilen, sobald es international relevant wird. Das Ergebnis sind mehr und bessere Geschichten, weil sich die jeweiligen Spezialisten, oft die besten investigativen Reporter des Landes, damit befassen. Beispielsweise sind die Kollegen von La Nación aus Argentinien tief im Thema bei NML, jenem Hedgefonds, der Argentinien verklagt. Im Internet haben wir gesehen, dass die Zeitung seit Jahren darüber schreibt – während wir bei null anfangen.

Das Telefonat mit Gerard Ryle läuft gut. Nach einer Viertelstunde ist er entschlossen, aus dem Material eine ICIJ-Geschichte zu machen – obwohl wir am Telefon keine Namen nennen und auch Mossack Fonseca nur vorsichtig umschreiben können.

Dazu muss man wissen, dass Gerard Ryle ein Faible für Briefkastenfirmen hat: Als er 2011 seine Stelle als Direktor des ICIJ antrat, hatte er in seinem Gepäck eine Festplatte mit dem größten Leak, das bis dahin jemals in den Händen von Journalisten war. Ihm waren 260 Gigabyte zugespielt worden, und zwar aus dem Innersten zweier Firmen namens Portcullis TrustNet und Commonwealth Trust Limited. Das Kerngeschäft dieser beiden Firmen war – exakt wie das von Mossack Fonseca –, Briefkastenfirmen zu verkaufen. Aus diesen Daten machte Gerard Ryle einen weltweiten Scoop, anders kann man es nicht sagen: Unter dem Schlagwort »Offshore-Leaks« deckten im April 2013 fast 100 Journalisten aus rund 50 Ländern auf, wie die Mächtigen, die Reichen und die Bösen dieser Welt Offshore-Firmen nutzen, um ihre Spuren zu verwischen und ihr tatsächliches Vermögen zu verschleiern. In Deutschland waren wir für die Süddeutsche Zeitung dabei, gemeinsam mit Kolleginnen und Kollegen des Norddeutschen Rundfunks. Das Grundmuster unserer Daten ähnelt also denen von Offshore-Leaks. Nur haben wir, als wir Ryle anrufen, weit weniger, etwa 50 GB. Allerdings haben wir das Gefühl, dass die Daten zu den einzelnen Firmen vollständiger sind. Und vor allem: Sie sind aktueller. Bei Offshore-Leaks veröffentlichten wir 2013 Informationen aus Daten, deren aktuellste aus dem Jahr 2010 waren. Jetzt finden wir immer wieder aktuelle E-Mails. Wir registrieren das mit einem Schaudern, heißt es doch, dass die Quelle bis gerade eben Zugang zu den internen Daten von Mossack Fonseca hatte. Vielleicht, oder eher wahrscheinlich, hat sie diesen Zugang noch immer.

Am Ende des Gesprächs verspricht Gerald Ryle, in den nächsten Wochen nach München zu kommen, um sich die Daten anzusehen.

Quasi nebenbei, beim abendlichen Stöbern, stoßen wir auf etwas, das wir bisher übersehen hatten: Es gibt zu sehr vielen der Vermittler – also der Banken oder Vermögensberater – eigene Dokumente mit Notizen für den internen Gebrauch. Zwar deutet schon die Heimlichtuerei der Mossfon-Mitarbeiter – abgekürzte Kundennamen und Codewörter – darauf hin, dass hier möglicherweise wissentlich Illegales befördert wird.[4] Aber was wir dort lesen, hat dann doch eine andere Qualität. Da ist von Vermittlern mit »großen Mengen von Kunden mit undeklarierten Konten« die Rede, von einer Kanzlei, die »eine eigene Abteilung nur für Schwarzgeld« habe und davon, dass Mossack Fonseca »Lösungen anbietet« für die europäische Zinsabschlagsteuer.

Wenn wir so etwas lesen, wissen wir, dass wir auf einem guten Weg sind. Wenn wir nachweisen können, dass Mossack Fonseca wissentlich Beihilfe zur Steuerhinterziehung geleistet hat, hat die Kanzlei ein Problem.

An dieser Stelle stellen wir uns die Frage, ob Mossack Fonseca eigentlich je belangt wurde für ein ähnliches Delikt.

Wir finden keinen Beleg für irgendein Verfahren gegen die Kanzlei. Sie scheint bislang immer davongekommen zu sein.

Ungefähr zu dieser Zeit wird uns ein Umstand bewusst, der unsere Aufmerksamkeit von allem anderen abzieht. Es geht um den Mann, der all die heimlichen Geschäfte erst ermöglicht und damit Abermillionen verdient haben muss. Der Mann, der die Kanzlei Mossack Fonseca gegründet hat, die seit Jahrzehnten offenbar mit allen möglichen Verbrechern Geschäfte macht.

Es geht um Jürgen Mossack. Er ist Deutscher.

[3.]Schatten der Vergangenheit

Jürgen Mossack verheimlicht seine Herkunft nicht, im Gegenteil. Wer seinen Namen bei Google eingibt, landet schnell bei einer Website, auf der sich Tausende Anwälte mit ihren Spezialgebieten präsentieren. Dort steht in Jürgen Mossacks Profil: »Geboren in Fürth, Bayern, Deutschland«.

Und dennoch ist Jürgen Mossack in Deutschland ein vollkommen unbeschriebenes Blatt, keine Zeile ist in deutschen Zeitungen über ihn erschienen – obwohl er eine der fragwürdigsten Firmen in einer der heikelsten Branchen leitet. Als Deutscher.

Damit ist diese Geschichte für uns eine Kategorie nach oben gesprungen. Oder zwei? Egal. Jedenfalls haben wir jetzt einen Teaser, der sich ziemlich gut liest:

»Ein Deutscher hilft einigen der schlimmsten Verbrechern und Diktatoren unserer Zeit, ihre Spuren zu verschleiern.«

[john doe]:

Kennt man Jürgen Mossack eigentlich in Deutschland?

[sz]:

Nein, niemand kennt ihn hier.

[john doe]:

Das wird sich vermutlich bald ändern …

Wir wollen mehr herausfinden über den Mann im Zentrum unseres Leaks und beginnen zu recherchieren, zuerst im Netz und dann in internationalen Pressedatenbanken. Das Ergebnis ist fast gleich null.

Jürgen Mossack, heute Ende sechzig, wird zwar hier und da erwähnt, aber es gibt kein Porträt, keine größere Geschichte. Im Internet finden sich bis auf einen dürren Lebenslauf bei der erwähnten Anwaltsseite nur Banalitäten, etwa dass Mossack Mitglied sei im Rotary-Club Panama, in der International Maritime Association und in diversen Berufsverbänden, die sich mit Steuerrecht und Ähnlichem befassen. Außerdem stoßen wir auf ein paar Fotos, die ihn bei verschiedenen Anlässen zeigen, etwa bei einem Treffen mit dem Premier- und Finanzminister der Britischen Jungferninseln – eine der wichtigsten Steueroasen, und damit ein natürlicher Partner für Mossack Fonseca.

Jürgen Mossack scheint kein Interesse an einer größeren Öffentlichkeit zu haben, in unserem Archiv jedenfalls finden sich keine Interviews. Gleichzeitig hält er aber Vorträge und schreibt Fachartikel, in denen er sich vehement gegen tief greifende Reformen der Offshore-Industrie wendet.

Wir beschließen, systematisch vorzugehen und besorgen uns eine Kopie seiner Geburtsurkunde. Darin finden wir schon mal die amtliche Bestätigung dafür, dass Jürgen Mossack in Deutschland geboren wurde: Er kam am 20. März 1948 in Fürth zur Welt, im Rathausstift, und zwar genau um 6.25 Uhr. Sein Geburtsname ist Jürgen Rolf Dieter Herzog, als Mutter wird eine Verkäuferin namens Luise Herzog eingetragen, als Vater ein Maschinenbauer namens Erhard Peter Mossack.

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Erhard Mossack scheint in den Nachkriegsjahren von Maschinenbauer auf Journalist umgestiegen zu sein. So wird 1951 im Spiegel ein Sportjournalist namens Erhard Mossack erwähnt, der für die Nürnberger »8-Uhr-Nachrichten« über einen mysteriösen, maskiert kämpfenden Freistilringer schrieb, dem die Zuschauer den Kampfnamen »Würger von Wien« verpassten. Dieser Erhard Mossack spekulierte, der »Würger von Wien«, dessen Spezialität eine Würgezange von hinten war, könne in Wahrheit der »Henker von Prag« sein – ein Tscheche, der während der Nazibesatzung »einen Haufen Tschechen an deutsche Galgen« geliefert haben soll. Allerdings kommt der Spiegel-Autor zu dem Schluss, dass Mossack falschgelegen habe.

Offenbar derselbe Erhard Mossack trat auch als Autor einiger Bücher in Erscheinung, eines davon aus dem Jahr 1952 mit dem martialischen Titel »Die letzten Tage von Nürnberg«. Das Buch ist antiquarisch problemlos erhältlich, es ist ein sachliches Werk über die letzten Kriegstage in Nürnberg, also bevor die Alliierten die Stadt endgültig einnahmen. Anders als der Titel es hätte erwarten lassen, spricht aus dem Buch keinerlei Gesinnung, kein Revanchismus, keine Glorifizierung der Zeit der Nationalsozialisten. Unterhaltsamer ist ein 1955 erschienenes Büchlein im Groschenheftformat: »Schmuggelgut für Tanger«. Darin erzählt der Autor Erhard Mossack, er habe als Journalist im Jahr 1954 in Zusammenarbeit mit der internationalen Kriminalpolizei – der Interpol-Zentrale in Paris – an der Aufdeckung eines internationalen Autoschmugglerrings mitgearbeitet, der in den Nachkriegsjahren in Westeuropa sein Unwesen getrieben habe. Im Klappentext des Büchleins heißt es: »Mossack war zu diesem Zweck selbst in Frankreich und Spanien und hat die anfangs kaum entwirrbaren Spuren der Banditen verfolgt.« Einen der gestohlenen Wagen, einen Mercedes 300, hat Mossack angeblich sogar selbst nach Deutschland zurückgebracht.

Die Autorenbeschreibung in »Schmuggelgut für Tanger« enthält auch das Geburtsdatum jenes Erhard Mossack, es ist der 16. April 1924, dasselbe Datum, das auch auf Jürgen Mossacks Geburtsurkunde für Erhard Mossack vermerkt ist. Es ist also ohne Zweifel derselbe Mann. Welch Ironie, dass sein Sohn ein paar Jahrzehnte später weit schlimmeren Figuren als Schmugglern hilft, über anonyme Offshore-Firmen ihre Spuren zu verwischen.

Drei Jahre nach Veröffentlichung des Groschenromans, im Oktober 1958, zieht Erhard Mossack laut Melderegister ins rheinland-pfälzische Lutzerath. Dort wiederum meldet er sich im Juli 1961 ab und teilt mit, er werde auswandern – »wahrscheinlich in die USA«, so ist es im Melderegister vermerkt. Die ersten 13 Jahre seines Lebens verbrachte Jürgen Mossack also offenbar noch in Deutschland.

Das bestätigt uns ein Artikel, der Anfang Januar 2012 in einer Lokalausgabe der Frankfurter Rundschau erscheint, es ist ein Porträt eines gewissen Peter Mossack. Der Anlass für den Text ist, dass dieser Peter Mossack, IT-Manager und Gründer des Lions Clubs Justus von Liebig Darmstadt, um 2010 zum Honorarkonsul der Republik Panama ernannt wurde, und zwar für die Bundesländer Hessen, Nordrhein-Westfalen, Rheinland-Pfalz, Saarland und Baden-Württemberg.

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Mossack und Panama? Genau. Peter Mossack trägt nicht nur denselben Nachnamen, er ist Jürgen Mossacks jüngerer Bruder. In der Frankfurter Rundschau erzählt er, die Familie sei nach Panama ausgewandert, als er etwa sechs Jahre alt gewesen sei. Das deckt sich mit der Angabe seines Vaters im Melderegister. Er sei, erzählt er der FR, nach dem Studium in Panama nach Deutschland zurückgekehrt, besuche aber »etwa alle zwei Jahre« seinen Bruder. Der habe eine Anwaltskanzlei in Panama und sei »gut vernetzt«.

Warum haben die Mossacks Anfang der Sechzigerjahre Deutschland verlassen? Wer nach dem Krieg sein Glück in Südamerika suchte, tat das oft genug, um seiner eigenen Vergangenheit im Dritten Reich zu entkommen. Wir stellen einige Anfragen an Datenbanken und Archive in Deutschland und den USA, und warten. Oft dauert es Wochen und Monate, bis Antworten kommen. Bislang wissen wir nur, dass Erhard Mossack zurück nach Deutschland kam und 1993 in Aichach, nicht weit von München, starb.

Sicher ist, dass Erhard Mossack mit seinem Sohn Jürgen Anfang der Sechzigerjahre in Panama landet. Einem Lebenslauf von Jürgen Mossack, den wir in unseren Daten finden, entnehmen wir, dass er nach der Schulzeit am Instituto Pedagógico in Las Cumbres an der Universität Santa María La Antigua in Panama-Stadt studierte. Während des Studiums arbeitete er nebenher bei einer Kanzlei, die man heute ebenfalls aus dem Geschäft der Offshore-Firmen kennt: Arosemena Noriega & Castro. Dort ist Mossack etwa ab 1970 offenbar erst als Assistenzanwalt und später, nach seinem Examen 1973, als richtiger Anwalt beschäftigt. Danach arbeitet er zwei Jahre in London, bevor er 1977 in Panama, mit nicht einmal 30 Jahren, seine eigene Kanzlei gründet.

Das große Geschäft beginnt. Zu der Zeit herrscht eine Militärjunta unter dem korrupten General Omar Torrijos. Für eine Anwaltskanzlei, die sich auf Firmengründungen spezialisiert hat, muss ein solches Regime keine Belastung darstellen. Wir suchen im Firmenregister Panamas nach Jürgen Mossack und finden etliche Dokumente, die Geschäfte schon kurz nach der Gründung der Kanzlei bezeugen. Darin wird die Kanzlei als »registered agent« genannt, was in etwa mit »betreuende Kanzlei« zu übersetzen ist, und Jürgen Mossack selbst als Direktor zahlreicher Offshore-Firmen. Was wohl schon damals bedeutet: Scheindirektor.

Als 1983 Diktator Manuel Noriega die Macht übernimmt, laufen die Geschäfte der »Jürgen Mossack Lawfirm« weiter, jedenfalls ist an den Eintragungen im Unternehmensregister kein Rückgang der Firmengründungen zu erkennen. Unter Noriega – der, wie sich später herausstellt, auf dem Gehaltszettel diverser Drogenhändler steht – wird Panama zum Bankenzentrum des kolumbianischen Medellín-Kartells. Eben weil man dort ganz hervorragend seine Geschäfte im Dunkeln abwickeln kann.

Mindestens einem der großen Drogenbosse dieser Zeit ist Jürgen Mossack behilflich: dem so grausamen wie geschäftstüchtigen Caro Quintero aus Mexiko. Quintero lässt im Februar 1985 den US-Drogenfahnder Enrique »Kiki« Camarena Salazar töten, daraufhin starten die USA eine wütende Jagd auf den Drogenboss. Im April 1985 wird Quintero in Costa Rica verhaftet. Nur ein paar Tage zuvor hat ein Mittelsmann bei Jürgen Mossacks Kanzlei eine Firma gründen lassen, in die Vermögen von Caro Quintero fließt. Eine weitere Firma folgt kurz darauf. Diese hält eine Villa in Costa Rica, die später konfisziert und dem Nationalen Olympischen Komitee (NOK) Costa Ricas zur Nutzung überlassen wird – die der Form nach aber noch immer jener Briefkastenfirma Quinteros gehört, in der Jürgen Mossack als Scheindirektor agiert.

Als das NOK Costa Ricas vor wenigen Jahren Mossack Fonseca darum bittet, ihnen die Villa offiziell und endgültig zu überlassen, stellt sich Jürgen Mossack quer. Verglichen mit Caro Quintero sei selbst der legendäre Drogenbaron Pablo Escobar »ein Baby«, schreibt Mossack, er wolle auf keinen Fall »zu denen gehören, die Quintero nach seiner Freilassung besucht«.[5]

Tatsächlich kommt Quintero 2013 frei, nach fast 30 Jahren im Gefängnis. Er hat Jürgen Mossack offenbar bisher nicht besucht. Dafür ist Quintero inzwischen wieder einer der meistgesuchten Kriminellen der Welt.

Am 1. März 1986 verschmelzen Jürgen Mossack und der panamaische Anwalt Ramón Fonseca ihre Geschäfte. Die Anwaltskanzlei Mossack Fonseca, wie wir sie heute kennen, ist in der Welt, und sie wird auch dreißig Jahre nach ihrer Entstehung noch immer von den beiden Männern geführt, die ihr den Namen gaben.

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Wer zu Mossacks Kompagnon recherchiert, hat keinerlei Probleme, an Informationen zu kommen – es ist eher so, dass sich die Fülle von Informationen kaum verarbeiten lässt. Denn Ramón Fonseca Mora, so sein voller Name, ist nicht nur einer der wichtigsten Politiker Panamas, sondern auch ein bekannter und preisgekrönter Schriftsteller. Fonseca ist derzeit Berater des panamaischen Präsidenten Juan Carlos Varela, mit eigenem Sitz im Kabinett, und gleichzeitig einer der stellvertretenden Vorsitzenden der Regierungspartei Panameñista.[6] Auf Deutschland übertragen wäre er ein politisches Schwergewicht wie Volker Bouffier, Julia Klöckner oder Ursula von der Leyen, allesamt stellvertretende Vorsitzende der CDU – nur dass keiner der CDU-Größen auch als erfolgreicher Schriftsteller eine Stimme hat. Kurzum: Ramón Fonseca ist ein sehr einflussreicher Mann in dem kleinen Land.

In der panamaischen Presse wurde sogar spekuliert, Präsident Varela habe Fonseca zum Minister für öffentliche Sicherheit machen wollen, aber auf Druck der USA davon abgesehen. Die US-Regierung habe klargemacht, dass man einen mutmaßlichen Unterstützer von Geldwäsche nur sehr ungern als Minister sehe. Offenbar wissen die Amerikaner ganz gut Bescheid über die Geschäfte von Mossack Fonseca.

Ramón Fonseca gehört augenscheinlich zu dem Typus Politiker, die die Öffentlichkeit und das Scheinwerferlicht lieben, es gibt Unmengen Fotos, die ihn auf Veranstaltungen zeigen, er kommentiert in Zeitungen, er postet häufig auf Facebook und Twitter, wo er Tausende Follower hat. Gleichzeitig scheint er jemand zu sein, der keinem Streit aus dem Weg geht – er bietet seinen politischen Kontrahenten via Twitter schon mal an, einen Streit so zu regeln, wie echte Männer das vorgeblich tun, nämlich mit den Fäusten.

Vielleicht hat sein politischer Einfluss auch damit zu tun, dass Ramón Fonseca ein sehr reicher Mann ist. Sein Unternehmen ist über die Jahre immer weiter gewachsen. »Wir haben ein Monster erschaffen«, sagte Fonseca 2008 in einem TV-Interview – und meinte damit eigentlich wohl nur die Größe seines Unternehmens, schon damals hatte Mossfon einige Hundert Mitarbeiter in Dutzenden Büros rund um die Welt.[7]

Dieses Monster hat allerdings, ganz anders als sein deutscher Besitzer, auch in der Presse seine Spuren hinterlassen. Vor allem in lateinamerikanischen Medien wird Mossack Fonseca sehr direkt mit einer erheblichen Anzahl von Korruptions- und Geldwäscheskandalen in Verbindung gebracht. Meist beziehen sich die Artikel auf den schon im Prolog beschriebenen Verdacht jenes argentinischen Staatsanwalts, die frühere argentinische Präsidentin Cristina Kirchner und ihre mutmaßlichen Geschäftspartner hätten über insgesamt 123 von Mossfon gegründete Offshore-Firmen mehr als 60 Millionen US-Dollar außer Landes gebracht. Je nach Land und Veröffentlichungszeitpunkt werden noch weitere Verdachtsmomente hinzugefügt und Auffälligkeiten berichtet. Immer wieder fallen auch die Namen der Diktatoren Baschar al-Assad und Muammar al-Gaddafi, meist jedoch ohne detaillierte Beschreibung, wie genau die Verbindungen zu Mossack Fonseca sein könnten – die von der Kanzlei stets vehement dementiert werden.

Den längsten und prägnantesten Artikel über Mossfon finden wir auf dem Internetportal des Vice-Magazins. Das Medium ist eigentlich bekannt für so randständige wie unterhaltsame Geschichten wie Brieffreundschaften mit Serienmördern, Kiffen in Palästina oder Methkonsum in Nordkorea, veröffentlicht aber immer wieder auch sehr genau recherchierte Geschichten. Anfang Dezember 2014 veröffentlicht Vice einen Text über Mossack Fonseca. Es ist eine wütende und faktenreiche Tirade, eine Abrechnung mit der panamaischen Kanzlei, die der Autor »Evil LLC« nennt. Frei übersetzt: Das Böse GmbH.

Wir machen daraus unseren Arbeitstitel: Die Kanzlei des Bösen.

Mossack Fonseca ist über derartige Aufmerksamkeit verständlicherweise nicht erfreut. Wie sehr sie die Artikel im Internet stören, zeigt uns E-Mail-Verkehr aus dem Jahr 2012. Darin beauftragen Mossfon-Mitarbeiter eine Firma namens Mercatrade mit etwas, das Experten »Online Reputation Management« nennen: Die Kanzlei soll in der Google-Suche weißgewaschen werden. Wer nach »Mossack Fonseca« sucht, soll offenbar nicht gleich auf den ersten Ergebnisseiten negative Artikel finden.

Die Geschäftsbeziehung wird allerdings nach nur wenigen Monaten von Mercatrade abgebrochen und der Vertrag aufgelöst. Die Google-Suche-Spezialisten geben entnervt auf, es ist offenbar nicht möglich, Mossack Fonsecas ramponierten Ruf im Internet zu korrigieren.

Vielleicht ist es wie beim Lackieren. Wenn eine Stelle zu dreckig ist, hält auch der schönste Lack nicht.

Wer sich auf der Homepage von Mossack Fonseca umsieht, erfährt dort, dass Mossfon seit Jahren eine eigene Compliance-Abteilung hat. Diese achtet angeblich darauf, dass auch wirklich alle nationalen und internationalen Gesetze und Bestimmungen eingehalten werden.

Das ist die Theorie. Ein spektakulärer Fall, den wir aus den Daten sehr genau rekonstruieren können, zeigt uns, wie Mossfon in der Praxis mit Compliance umgeht.

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Es geht um den aktuellen isländischen Premierminister Sigmundur Davíð Gunnlaugsson. Er taucht 2007 als Aktionär der Briefkastenfirma Wintris Inc. auf den Britischen Jungferninseln auf, gemeinsam mit seiner späteren Frau, der in Island bekannten Anthropologin Anna Sigurlaug Pálsdóttir. Ende 2009, als seine Politkarriere gerade an Fahrt aufnimmt, »verkauft« Gunnlaugsson seine Hälfte der Anteile an der Firma – mit offiziellem Vertrag – für den wohl eher symbolischen Preis von einem US-Dollar an seine Frau. Seither wird Anna Sigurlaug Pálsdóttir in den Mossack-Fonseca-Unterlagen als alleinige Eigentümerin, als Direktorin und als Anteilsinhaberin geführt – selbst ein gescannter Personalausweis liegt im digitalen Ordner der Firma, die laut dem Firmenregister der Britischen Jungferninseln noch aktiv ist.[8]

Nun wird Sigmundur Davíð Gunnlaugsson zwar erst im Mai 2013 Premier, also lange nach der Firmengründung im Jahr 2007. Aber schon damals ist er Politiker, und als er im Januar 2009 Vorsitzender der isländischen Fortschrittspartei wird, ist der Oxford-Absolvent noch immer Anteilseigner der Wintris.[9]

Das wäre schon jetzt eine ziemlich gute Geschichte: Ganz Europa kämpft gegen Steuerflucht und Offshore-Firmen, und in Island hat der aktuelle Premierminister heimlich eine Offshore-Firma laufen. »Ausgerechnet Island«, würde man schreiben, denn beim Staatsbankrott des Landes haben Offshore-Firmen eine entscheidende Rolle gespielt, über sie wurden illegale Darlehen verschoben, einige der involvierten Personen kamen dafür ins Gefängnis.

Unsere Tageszeitungsreflexe springen an. Noch haben wir mit Gerard Ryle und dem ICIJ keine Vereinbarung getroffen. Was spricht dagegen, die Geschichte über den isländischen Premierminister auf der Stelle zu veröffentlichen?

Jetzt ist der Mann noch im Amt, wer weiß, ob er das noch ist, wenn wir ein paar Monate warten?

Jetzt haben wir die Geschichte exklusiv, wer weiß, ob nicht ein anderer Journalist diesen Tipp bekommt?

Aber der Fall würde uns natürlich sehr helfen, europäische Partner für eine gemeinsame ICIJ-Recherche zu interessieren. Wir fänden eine internationale Teamrecherche großartig. Und wenn wir den besten Fall schon vorher publizieren, wird daraus nichts werden.

Am Ende ist der Recherchestand der entscheidende Grund, die Geschichte zurückzuhalten. Im Moment haben wir keine Ahnung, was Sigmundur Davíð Gunnlaugsson mit seiner Briefkastenfirma