Die Inselvogtin - Sandra Lüpkes - E-Book

Die Inselvogtin E-Book

Sandra Lüpkes

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Beschreibung

1717: Die Weihnachtsflut reißt tiefe Wunden ins Land - und besiegelt das Schicksal einer jungen Frau. Ein Unstern steht über der Heiligen Nacht im Jahre 1717, in der Maikea auf Juist zur Welt kommt. Eine große Flut erfasst die Insel und reißt die Hälfte der Bevölkerung mit sich in den Tod. Zur Frau herangewachsen will Maikea Inselvogtin werden, um genau solche Katastrophen zu verhindern. Nur hat sie nicht mit einem Widersacher aus vergangenen Tagen gerechnet. Der eifersüchtige Weert nutzt die politischen Unruhen am ostfriesischen Fürstenhof und zettelt eine Intrige gegen sie an. Aber gehört Maikea wirklich zu den Rebellen? Und was verbindet sie mit dem Anführer der Freiheitskämpfer, dem geheimnisvollen Weißen Knecht? Maikea wird hineingezogen in einen Strudel aus Machtgier, Neid und Unterdrückung – und gerät in Lebensgefahr ... Dieser Roman erzählt die fiktive Geschichte der Maikea Boyunga vor dem historischen Hintergrund der Weihnachtsflut von 1717. Ein Ereignis, dass sich 2017 zum 300. Mal jährt.

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Sandra Lüpkes

Die Inselvogtin

Historischer Roman

***

Kursive Namen und Begriffe sind im Anhang erläutert.

***

TEIL 1

***

24.Dezember 1717

1

«Sie stirbt!»

Eine große Gestalt füllte die Tür. Die blonden Haare hingen dem Mann nass in die Stirn, und er drehte seltsam verkrampft seine Strickmütze in den Händen. Es waren kräftige Hände, gewohnt, zuzupacken. Aber jetzt wirkten sie hilflos. Die Weste aus Schweinsleder mit den golden glänzenden Knöpfen und das feste Leinenhemd mochten im trockenen Zustand etwas hermachen, der Sturmregen hatte sie jedoch zu triefend nassen Lappen werden lassen, die schwer am Körper des Besuchers hingen.

Tasso Nadeaus war gerade dabei, die Glut im Herd zu schüren, damit seine Mutter das Abendessen bereiten konnte. Er erinnerte sich nicht daran, den Inselvogt jemals auch nur in der Nähe ihrer Kate gesehen zu haben. Männer wie er hatten keinen Grund, ein windschiefes Häuschen wie das ihre zu besuchen. Und nun trat Vogt Boyunga ausgerechnet heute, am Heiligen Abend, direkt zu ihnen in die feuerwarme Hütte. Fast schien der Raum, in dem Tasso und seine Mutter sowohl aßen, arbeiteten und schliefen, durch die Anwesenheit des Vogtes zu klein geworden zu sein. Einer seiner Söhne, es war der blasse Gerjet, war ihm gefolgt, und gleich dahinter versuchte auch der eiskalte Sturm in die Stube einzudringen.

«Schließt die Tür, Vogt Boyunga, sonst erfrieren wir hier.» Geesche Nadeaus blickte den Inselvogt streng an, woraufhin sich der Mann eilig gegen die Holzplanken stemmte, aus denen vor Jahren notdürftig eine Tür zusammengenagelt worden war. Dann schob er den Riegel vor. Sein Sohn krallte sich an das Hosenbein des Vaters. Es war nicht zu übersehen, dass er sich fürchtete. Wahrscheinlich hatte er von geschwätzigen Weibern oder deren Kindern gehört, dass Tassos Mutter ein Grund zum Fürchten sei.

«Geeschemöh…», begann der Inselvogt.

«Über Euer Anliegen braucht Ihr mir gar nichts sagen. Ich kann mir schon denken, weswegen Ihr Euch mit Eurem Erstgeborenen in der Weihnachtsnacht zu mir verirrt. Wohl kaum, um meinem Sohn und mir ein gesegnetes Fest zu wünschen.»

Tassos Mutter blieb am Tisch neben dem Feuer stehen, schaute nicht einmal auf, rieb nur weiter die kleinen Fleischstücke mit einem Mus aus Meerwasser und getrockneten Kräutern ein. Der schwere Topf hing bereits über dem Herd, und die Schwarte aus fettem Speck begann allmählich auf dem schwarzen, heißer werdenden Eisen zu zischen und saftige Blasen zu schlagen.

Tasso wagte kaum zu atmen. Der Mann, den er bislang immer nur aus der Ferne bewundert hatte, war der Inselvogt von Juist. Aber was wollte er hier?

Seine Mutter wendete die hellroten Brocken, die ihr im Tauschgeschäft für eine Fettsalbe gegen Gliederschmerzen von einem großzügigen Nachbarn gebracht worden waren. Fleischreste, Schlachtabfall, dachte Tasso, gerade noch zu schade für die Katzen, mehr nicht.

«Ich bitte dich, Geeschemöh, schau nach ihr!» Die Stimme des Inselvogts war jetzt erstaunlich leise. Tasso hatte ihn schon oft brüllen hören, wenn er seiner Aufsicht nachging und die Insulaner anhielt, den Strand nach einer Sturmflut aufzuräumen. Oder wenn er in Wut darüber geriet, dass sich unvernünftige Menschen wie Bauer Switterts trotz der vom Fürsten unterzeichneten Strandverordnung noch immer nicht an das strikte Weideverbot in den Dünen hielten.

Nun aber wirkte er blass und still, wie sein wortloser Sohn neben ihm, der einige Jahre jünger als der zwölfjährige Tasso war.

«Sie schreit schon seit Stunden. Ich kann ihr nicht helfen, beim besten Willen nicht.»

«Vor neun Monaten hättet Ihr die Finger von ihr lassen sollen, Vogt, das hätte ihr geholfen.»

«Ich weiß.» Er blickte zu Boden und seufzte schuldbewusst. «Du hast es mir ja gesagt, mehr als einmal. Was gäbe ich jetzt darum, auf dich gehört zu haben! Aber heute kommt das Kind, und ich mache mir solche Sorgen um Imke.» Nun schaute er auf. In seinen hellgrauen Augen sah Tasso den Widerschein des Kaminfeuers flackern, aber noch mehr flackerte die Angst in ihnen.

«Ich flehe dich an, Geesche Nadeaus. Ich weiß, der Sturm ist schlimm heute Abend, aber wir haben Ebbe, und der Hammrich ist noch trockenen Fußes zu überqueren. Wir werden dir helfen.»

«Ich brauche keinen Beistand von einem Schwächling wie Euch.»

Tasso erschrak. Wie konnte seine Mutter so reden? Der Pastor und der Inselvogt waren die mächtigsten Männer auf der Insel, sie machten die Gesetze. Beide unterstanden direkt dem Amtmann, und dieser wiederum korrespondierte mit dem Fürstenhaus. Jedermann kuschte vor ihren Predigten, die sowohl in der Kirche wie überall auf Juist gehalten wurden. Immer ging es darum, das sandige Eiland, auf dem sie alle lebten, zu erhalten.

Und nun redete seine Mutter, die kleine, gebeugte Geesche Nadeaus, von der alle behaupteten, sie sei eine Hexe mit einem vaterlosen Sohn, ausgerechnet seine Mutter redete in einem solchen Ton mit diesem Mann. Was, wenn sie für ihre Worte belangt würde? Niemand sprach ungestraft auf diese Weise mit dem Inselvogt.

Endlich schaute sie auf. «Geht in die Kirche und betet für Euer armes Weib. Und für das Kind, welches sie zu zerreißen droht. Ich habe Euch gewarnt, Imke ist zu schmal und zu schwach, um immer und immer wieder geschwängert zu werden. Sie ist nicht wie die anderen Insulanerinnen, die es an Kraft und Gestalt mit den meisten Mannsbildern aufnehmen können. Das müsste Euch klar sein.»

Das Nicken des Beschuldigten wirkte wie bei einem kleinen Jungen, der Schelte für einen üblen Streich bezog. Schuldbewusst wiegte er sich vor und zurück.

«Ihr erinnert Euch an die letzte Geburt?»

Der Vogt nickte.

«Das Kind war schon tot, als ich es aus ihr herausgezogen habe. Und Eure Frau wäre auch beinahe krepiert, blutleer, wie sie war. Die Möglichkeit, dass Euer Weib diese Nacht überleben wird, ist so groß wie die Wahrscheinlichkeit, dass bei Ebbe der Hammrich mit Wasser bedeckt ist.»

Die Augen des Mannes wurden groß. In ihnen waren gleichzeitig Angst und Hoffnung abzulesen. «Aber das kommt vor, nicht wahr? Manchmal bleibt auch bei Niedrigwasser das Meer auf dem Inseldurchbruch liegen. Sie kann es also schaffen?»

«Ihr solltet es wissen», gab Tassos Mutter zurück. «Die Höhe des Meeres und alles andere liegt in Gottes Hand. Also geht zu Eurem Freund Pastor Altmann und kniet nieder, wenn Ihr in der winzigen Kirche den Platz dafür findet. Dies ist das Einzige, was Ihr für Eure Frau tun könnt, Vogt Boyunga.»

Das Seufzen des Mannes klang gerade so wie die Jammerlaute, die das alte Haus bei einem Nordweststurm wie heute von sich gab. Seine eigentlich hochgewachsene Gestalt schien in sich zusammenzusinken.

«Ihr wisst, was der Vorgänger des Pfaffen einmal gesagt hat. Damals, bevor Ihr ihn von der Insel gejagt habt.»

«Elias Thielen, der Spökenkieker? Du meinst doch nicht etwa…» Der Vogt richtete sich so schnell auf, dass er sich den Kopf an einem der rauchgeschwärzten Balken stieß. Die Schnur mit den getrockneten Bohnen schwankte hin und her.

«Heute ist die Nacht, von der er sprach.»

«Er war ein falscher Prophet, Geesche Nadeaus. Was er voraussagte, entsprang seinem kranken Hirn.» Das Verhalten des eben noch so unterwürfigen Besuchers änderte sich mit einem Schlag. Er schien jetzt aufgebracht über die Worte der Mutter zu sein. Tasso konnte die Adern an der Stirn des Inselvogtes schwellen sehen.

Doch seine Mutter fuhr unbeirrt fort. Fast leierte sie die nächsten Sätze herunter wie ein tausendfach gesprochenes Gebet: «Das gottlose Streben der Insulaner, das Geifern nach dem Unglück der Schiffbrüchigen, der Neid und die Unbarmherzigkeit untereinander, es wird ein Urteil vollstreckt werden für die Sünden der Insulaner–»

«Hör auf, so zu reden, altes Weib!», rief der Vogt dazwischen.

«…in einer Nacht, die das Weltenheil verspricht, wird –»

«Ich habe gesagt, du sollst schweigen!»

«…Gott selbst gegen die Regeln verstoßen und–»

«Ich warne dich!»

«…sie alle verschlucken, als wären sie nichts weiter als Sandkörner im Fluge des Sturms.»

Es war nun still in der Kate. Der Vogt atmete heftig ein und aus, sein Sohn umklammerte angstvoll seinen Unterarm. Ein Holzscheit fiel Tasso aus der Hand und landete mit einem kurzen Knacken im Feuer. Niemand sagte ein Wort. Selbst der Orkan schien sich einen Wimpernschlag lang an ein unausgesprochenes Schweigegebot zu halten. Und obwohl sie zu viert auf engstem Raum und nah bei der Feuerstelle standen, lief Tasso ein frostiger Schauer über den Rücken.

Erst Tassos Mutter beendete den gespenstischen Augenblick. Sie wischte sich die feuchten Hände an ihrem Rock ab. «Gut, Vogt Boyunga, ich werde nach ihr sehen. Geht in die Kirche zu den anderen. Sagt ihnen, dass die Nacht, von der Elias Thielen sprach, gekommen ist. Vielleicht haben sie noch eine Möglichkeit, das Schicksal abzuwenden, ich weiß es nicht. Schließt mich und meinen Sohn Tasso in Eure Gebete ein.»

«Das werden wir, nicht wahr, Gerjet?» Er streichelte den Kopf des Jungen. «Und auch meine anderen Söhne, die bereits beim Pastor warten. Wir werden beten. Das schwöre ich bei meinem Leben!»

«Schwört lieber nicht, Vogt Boyunga, nicht heute Nacht.» Sie legte das Fleisch in ein Tuch und schlug die Zipfel fest darüber. Dann schwenkte sie den Topf mit der schon kross gebratenen Speckschwarte zur Seite, sodass die Flammen ihn nicht mehr weiter erhitzten. Tasso verstand, was dies zu bedeuten hatte: Den mit Vorfreude erwarteten Weihnachtsbraten würde es so bald nicht geben.

«Ich werde dir dankbar sein, solange ich lebe», sagte der Inselvogt, als seine Mutter nach ihrem Beutel griff. Jeder Inselbewohner wusste, dass dessen Inhalt für die Besitzerin zu Zeiten der Hexenverfolgung noch das Todesurteil bedeutet hätte.

«Gib mir die dicke Wolldecke, Tasso, und nimm das Fell. Wir müssen über den Hammrich, Junge. Du weißt, wie weit der Weg ist.»

2

Im Winter war der Hammrich ein Ort, den man nur schnell genug hinter sich lassen wollte.

Schon die ersten Schritte, die Tasso und seine Mutter aus dem Dorf an der Bill auf das Stück Niemandsland setzten, wurden vom Sand gebremst. Schwer hing der Brei aus Schlick und zermahlten Muschelschalen an den Sohlen, immer tiefer sank der Fuß. Kaum waren sie aus dem Windschatten der letzten Randdünen getreten, kam es Tasso vor, als säße dort unter der Insel ein Wesen und versuchte, ihn festzuhalten. Es zog an seinen Beinen und machte ihm das Gehen fast unmöglich.

«Mutter, ich schaffe das nicht.» Wenn Tasso daran dachte, dass sie erst den kleinsten Teil der Strecke hinter sich gebracht hatten, wuchs seine Angst. «Lass uns umkehren», flehte er.

Er musste schreien, um im tobenden Wind die Ohren seiner Mutter zu erreichen. Sie hatte ihre schwere Wolldecke fest um den Kopf gebunden und blickte stur geradeaus.

Tasso hielt sich die Hand vor den Mund, um noch atmen zu können. Denn obwohl der Sturm sie im Rücken anschob, wehten einige kalte Böen immer wieder mitten in sein Gesicht und erstickten ihn beinahe mit ihrer Gewalt.

Er versuchte, einen Zipfel ihres Umhangs zu greifen. Doch die Mutter verlangsamte noch nicht einmal den Schritt.

Der Regen war dicht wie ein Schleier, und die Nacht brach allmählich herein, auch wenn man den Unterschied kaum bemerkte, da der Sturm bereits alles verdunkelt hatte. Tasso verspürte schreckliche Angst, die Mutter aus den Augen zu verlieren.

Er schluckte ein paar Tränen herunter.

Plötzlich erfüllte ein dumpfes Krachen die Sturmnacht. Von der Seeseite her grollte es wie ein Donnerhall. Das konnte kein Gewitter sein, dachte Tasso, denn der Blitz, den er in weiter Entfernung ausmachte, flackerte direkt über der Wasseroberfläche und war zu klein, um aus den schweren Wolken zu stammen. Selbst seine Mutter blieb jetzt erschreckt stehen. Tasso näherte sich ihr.

«Eine Kanone, Mutter! Da draußen ist ein Schiff. Direkt auf dem Koper Sand!»

«Sie sind in Seenot, Tasso. Sie schießen mit ihren Kanonen, damit wir ihnen zu Hilfe eilen.»

Der Koper Sand, eine tückische Untiefe zwischen zwei scheinbar bodenlosen Seegatts, war nur knapp zwei Meilen entfernt. Es geschah nicht selten, dass hier Schiffe stecken blieben. Bei ruhiger See war dies auch kein Grund zur Aufregung. Doch bei einem Sturm wie an diesem Abend konnte das gewaltsame Zusammenspiel von Wasser, Wind und scheuerndem Meeresgrund den größten Dreimaster zu Kleinholz zerbersten.

Tasso ließ seine Augen dorthin wandern, wo er mit viel Anstrengung die schwachen Lichter der Inselkirche ausmachen konnte.

«Die Leute in der Billkirche haben den Kanonenschuss mit Sicherheit auch gehört. Gleich werden sie herausstürmen und die Boote klarmachen.»

Mutter schloss die Augen. Noch immer machte sie keine Anstalten, ihren Weg fortzusetzen. Tasso war verwundert, denn es war ganz und gar nicht ihre Art, sich von irgendetwas aufhalten zu lassen.

«Es ist die Prüfung, von der Elias Thielen sprach», flüsterte sie.

Tasso erinnerte sich, dass seine Mutter diesen Namen auch im Beisein des Inselvogtes ausgesprochen hatte. Fragend sah er sie an.

«Elias Thielen war ein weiser Mann, Tasso. Er hat den Juistern oft gepredigt, dass ihr scheußliches Handeln nicht ohne Strafe bleiben wird.»

«Was haben sie denn getan?»

«Nicht selten setzen die Leute hier falsche Lichter, damit es noch anderen so ergeht wie diesem Kriegsschiff da draußen. Sie eilen dann erst zum Strand, wenn es Zeit ist, sich um das Treibgut zu streiten. Elias Thielen wollte, dass seine Gemeinde damit aufhört. Sogar das Abendmahl hat er ihnen verwehrt, mit der Begründung, dass ein bisschen Brot und Wein die schweren Sünden der Insulaner ohnehin nicht vergeben könnten. Da haben sie ihn von der Insel gejagt.»

«Und von welcher Prüfung hat er denn gesprochen?»

«Er hat eine Sturmflut kommen sehen, zerstörerischer und mächtiger als ein Heer gerüsteter Soldaten, aber ebenso unberechenbar. In einer Heiligen Nacht sollen die Wasser hereinbrechen, wenn keiner damit rechnet. Und es wird eine Gottesstrafe sein.»

«Mutter…» Tasso stand steif vor Schreck, der Sand hatte ihn längst schon bis zur Mitte des Schienbeins verschluckt, doch es kümmerte ihn nicht.

Die Mutter strich ihm kurz über den Kopf, als wolle sie ihn beruhigen, doch er wusste, dass sie mit den Gedanken ganz woanders war.

Ein zweiter Kanonenschuss dröhnte.

Tassos Herz schlug schmerzhaft schnell und heftig, und er versuchte krampfhaft, seine Füße aus dem Sog des Untergrunds zu befreien. Doch er schlug der Länge nach ins Wasser. Die feuchte Kälte fraß sich sofort in seine Kleidung, sein Mund war voller Sand und Salz, und die Augen brannten. Seine Hände krallten sich in den Schlick. Er wollte die Ellenbogen gerade stemmen, aber es ging nicht, ihm fehlte die Kraft.

«Mutter!», schrie er. Doch sie ging bereits weiter, und allmählich verschwand die umhüllte Gestalt aus seinem Blick. Würde sie ihn tatsächlich hier alleine lassen?

Tasso wusste, er durfte nicht länger im Schlick stecken bleiben und tatenlos die Flut abwarten. Er musste ein Mann werden, ein starker Mann wie der Inselvogt – mit dem Unterschied, dass er niemals vor einem Menschen kuschen würde, wie Boyunga es heute getan hatte. Wer Schwäche zeigte, der würde im Leben verlieren. Das hatte er selbst allzu oft erfahren müssen, wenn die anderen Insulaner ihn gehänselt, ihn ausgegrenzt hatten. Nur wer sich wehrte gegen die vermeintlich Stärkeren, der würde überleben.

Ein letztes Mal versuchte Tasso, die Muskeln in den Armen anzuspannen. Aber die Hände gehorchten ihm nicht mehr, denn seine Finger waren inzwischen steif vor Kälte und fühlten sich an wie aus Stein. Doch die Arme gaben noch etwas her, und mühsam bekam er die Beine frei. Langsam wanden sie sich im schmatzenden Schlick.

Tasso Nadeaus wusste, er würde es schaffen, und nach heute Nacht würde er auch alles andere im Leben schaffen. Nie wieder würde er dabei nach seiner Mutter rufen.

Ein weiterer Kanonenschuss fiel, und Tasso spürte die Schwingungen des Grollens. Im selben Moment kam er frei. Er stemmte sich hoch. Das Wasser lief als grauer Brei an ihm herunter.

Und mit einem Mal war auch die Angst weg, sie war in diesem Loch steckengeblieben. Er hatte sich nicht nur aus dem Schlick, sondern auch von seiner Feigheit befreien können.

3

Das Schreien der Frau klang fürchterlich. Es wechselte in regelmäßigem Abstand von kläglichem Jammern zu einem unerträglichen Geheule. Der Anblick der gequälten Imke Boyunga tat sein Übriges, damit Tasso bereute, der Mutter zum Vogthaus gefolgt zu sein.

Seine Kleider waren inzwischen wieder getrocknet, und jetzt juckte der salzige Sand auf seiner Haut. Doch das war nicht das Schlimmste, auch nicht der Hunger, der sich inzwischen wie ein wundes Loch in der Mitte seines Körpers ausbreitete. Nein, am schlimmsten war das lautstarke Leiden der Frau, die sich dort auf dem mit Stroh gepolsterten Bodenbett hin und her warf.

Tasso drückte sich ganz eng an die Wand, die hinter dem Bett lag. Er wollte nicht mit ansehen, was seine Mutter dort zwischen den gespreizten Beinen der Ärmsten verrichtete.

Die Frau stöhnte und stieß immer wieder Worte zwischen den trockenen Lippen hervor. Mal waren es Gebete, doch meistens Flüche, die Tasso lieber gleich vergessen wollte, so gottlos kamen sie ihm vor.

Tasso kannte die Frau des Inselvogts. Angeblich kam sie vom Fürstensitz der Cirksena in Aurich. Imke Boyunga war früher eine blonde, anmutige Frau mit rosigen Wangen gewesen und einem Lächeln, das von der Leichtigkeit des Lebens erzählte.

Doch heute Nacht stand ihr der Schweiß auf der weißen Stirn, und sie zitterte, dass ihre Zähne aufeinanderschlugen und die hohlen Wangen bebten.

Tasso glaubte nicht, dass Imke Boyunga und das Kind noch gerettet werden konnten.

Seine Mutter hingegen blieb wie immer ruhig und hantierte gelassen, wenngleich sie nicht zimperlich war im Umgang mit dem geschundenen Körper. Eine Hand tauchte jetzt tief in den Leib hinein, während die andere so fest auf den runden Bauch drückte, dass die Knöchel weiß hervortraten.

«Ich habe es gedreht, Imke, nun liegt es endlich richtig. Das Köpfchen ist in meiner Hand, ich fühle die langen Haare.»

Imke Boyunga stöhnte. «Du belügst mich doch. Es ist alles aus, das spüre ich. Ich sterbe!»

«So leicht stirbt es sich nicht. Reiß dich zusammen. Die Flut hat eingesetzt, hörst du, Imke? Fast alle Inselkinder werden bei auflaufendem Wasser geboren. Du musst pressen, mit all deiner Kraft, dann haben wir es bald.»

«Ich bin nicht stark genug, es wird mich zerreißen…»

«Unsinn, wenn du jetzt nicht presst, werdet ihr beide krepieren, das kann ich dir versprechen. Aber das Kind, Imke! Es muss leben! Gott hat einiges mit ihm vor! Elias Thielen hat es gesagt. In der Nacht wird ein Kind geboren–»

«Aber er meinte doch Weihnachten… Christus… und nicht dieses…» Der Rest des Satzes verlor sich in einem Schmerzensschrei.

Geesche Nadeaus schob sich weiter nach oben, legte ihren Arm unter die Brust der Frau und stemmte sich mit ihrem ganzen Gewicht nach unten. Imke Boyunga schrie erbärmlich.

Tasso hielt sich die Ohren zu, bis er am Gesicht der Liegenden ablesen konnte, dass die Wehe vorüber war. Am liebsten wäre er davongelaufen.

«Soll ich Wasser holen, Mutter?», fragte er hoffnungsvoll.

«Wasser? Wozu brauchen wir Wasser, wenn das Blut hier in Strömen fließt? Komm her, mein Junge, du kannst mir helfen.»

Um Gottes willen, dachte Tasso, bitte nicht das. Er rührte sich nicht.

«Ohne dich wird es nicht gehen. Der verdammte Winter hat mir das nötige Gewicht geraubt. Ich bin zu leicht, um das Kind allein herauszupressen. Komm her.»

Langsam schob Tasso einen Schritt vor den anderen. Ein widerlicher Geruch von Blut, saurem Schweiß und Exkrementen stieg ihm in die Nase, je näher er kam.

«Mach schon!», befahl seine Mutter unbarmherzig. Das aufflammende Stöhnen der Frau kündigte bereits die nächste Schmerzenswelle an. «Leg dich auf ihre Brust, Tasso. Du musst es tun!»

Übelkeit stieg in ihm auf. Warum quälte seine Mutter ihn so, warum ließ sie ihm nie die Möglichkeit, einer unerträglichen Situation zu entfliehen?

Hart umfassten ihre knochigen Finger seinen Nacken und schoben ihn dorthin, wo der säuerliche Atem der Schreienden zu riechen war. Tassos Hände ertasteten den Berg, unter dessen Oberfläche sich ein lebendiges Wesen verbarg. Ihm grauste, und doch folgte er den Anweisungen seiner Mutter. Er drückte und schob und wehrte sich gegen die Schläge der Frau, die wie von Sinnen versuchte, ihn loszuwerden.

Die Wehen folgten nun so kurz aufeinander, dass keine Zeit mehr zum Atemholen blieb. Tasso blickte in zwei schreckensstarre Augen, in denen das ehemals Weiße nun so blutrot war, dass man keinen Übergang mehr zur braunen Iris, zur schwarzen Pupille ausmachen konnte. Wie leblose, unergründliche Höhlen klafften die Augen in dem bleichen Gesicht, sie schauten ihn an und durch ihn hindurch.

Doch Imke Boyunga war nicht tot. Sie war nur stehengeblieben, auf dem Höhepunkt dieser Welle, ohne Luft und ohne Worte, bis endlich eine Abwärtsbewegung auszumachen war. Der Berg unter Tasso glitt plötzlich dahin, und kurz darauf war ein zarter Schrei zu hören. Ein leiser Schrei, fast ein Singen.

«Es ist ein Mädchen, Imke», sagte seine Mutter und wischte sich den Schweiß aus dem Gesicht.

«Ein Mädchen?», fragte die Frau des Inselvogts mit erschöpfter Stimme. «Siehst du, nichts hat es auf sich mit deinem Gerede von Elias Thielen. Ein Mädchen bedeutet nicht viel. Es kann keine Gottesaufgabe sein. Niemals!»

«Das werden wir sehen, Imke Boyunga.» Tassos Mutter saß noch immer zwischen den gespreizten Beinen und zog an der blutigen Schnur, die den Säugling mit der Mutter verbunden hatte. Ein Schwall dunkelroten Fleisches rutschte auf das Strohbett. Tasso musste würgen.

«Renn los, Junge, und such den Inselvogt. Sag ihm, wir haben unsere Aufgabe erfüllt. Das Kind ist da. Es lebt. Genau wie die Mutter.»

4

Tasso stemmte sich gegen den Sturm. Der Wind hatte weiter zugenommen, und es war, als hätte die Natur heute all ihre Kräfte mobilisiert, um es ihm besonders schwer zu machen.

Er versuchte zu rennen, doch er prallte gegen eine Wand aus Luft. Für die Strecke über den Inseldurchbruch würde er sicher mehr als doppelt so lange brauchen wie für den Hinweg. Zudem stand schon viel Wasser auf dem Hammrich, obwohl die Flut gerade erst eingesetzt hatte. Wenn er sich nicht beeilte, war der Weg gen Westen bald abgeschnitten.

Angestrengt lauschte er in den Orkan hinein. Ob am Koper Sand noch immer Kanonenschüsse abgefeuert wurden? Doch Tasso hörte nur das Brausen des Meeres und die tausendfach variierenden Töne, die ein Sturm hervorbringen konnte.

Er lief bereits durch tieferes Wasser, als plötzlich etwas Hartes an sein Schienbein stieß.

Es war ein Stück gebrochenes Holz, eine zersplitterte Schiffsplanke. Nur eine Handbreit weiter schwamm ein ähnliches Stück Treibgut im breiten Priel. Tasso hob das Brett aus dem Wasser, die Fasern waren noch fest. Undeutlich erkannte er die Maserung, ebenso die Stellen, an der einst ein Schiffsbauer mit dem Hobel entlanggefahren war. Kein Zweifel, dieses Stück Holz hatte noch nicht lange im Wasser gelegen. Es war nicht unförmig aufgequollen, keine Seepocken hatten sich daran festgemacht. Nicht weit von hier musste ein Schiff gesunken sein.

Das Kriegsschiff? Ob es Überlebende gab?

Tasso watete weiter durch den Priel, ohne auf die Splitter zu achten, die vorbeitreibendes Holz in seine Haut rammte.

Und wenn die Seeleute nun nicht gerettet worden waren?

Die Leichen brachte das Meer immer erst ein paar Tage später, das wusste Tasso bereits. Menschenkörper verhielten sich anders als Holz, sie sanken erst auf den Grund, wurden dort von den Unterströmungen ergriffen und in unterschiedliche Richtungen auf Reisen geschickt. Erst später blähten sich die Bäuche, dann trieben die Ertrunkenen oben und folgten wieder den Wellen Richtung Strand.

In der Nähe meinte Tasso nun kleine, flackernde Punkte zu erkennen. Die Fackeln der Kirchgänger! Es mussten die Loogster sein, die sich nach der Messe gemeinsam auf den Weg über den Hammrich machten. War es vielleicht möglich, dass sie von den Kanonenschüssen gar nichts gehört hatten?

Tasso rannte los. Trotz der vorbeischwimmenden Trümmer ringsherum gab es ja noch eine winzige Hoffnung, dass einige Seeleute das Unglück überlebt hatten. Er wollte helfen. Er wollte beweisen, dass er eben doch falsch entschieden hatte, als er der Mutter gefolgt war, statt Alarm zu schlagen.

«Braucht ihr noch einen starken Mann?», schrie er gegen den Sturm an und versuchte, auf sich aufmerksam zu machen.

«Wer ist da? Bist du es, Hexenbastard?», antwortete eine dröhnende Männerstimme. Es war Bauer Switterts. Er trug eine Fackel und führte die Truppe an. Seine massige Gestalt war nun gut zu erkennen.

«Das Schiff! Am Koper Sand! Habt ihr die Kanonenschüsse nicht gehört?» Tasso bekam kaum noch Luft, so schnell war er den Insulanern entgegengerannt.

«Da kommen wir wohl schon zu spät», erwiderte der Fackelträger nur. «Die hat’s erwischt.»

«Warum habt ihr sie nicht retten können?»

Bauer Switterts lachte kurz: «Sind wir lebensmüde?»

«Aber… ihr hättet doch…»

«Tasso Nadeaus!» Die Stimme des Inselvogts klang sorgenvoll. Der Mann lief weiter hinten, er hielt seine jüngsten Söhne links und rechts an der Hand. Als er Tasso erkannte, ließ er die Jungen los und rannte auf ihn zu. «Erzähl, was ist mit meiner Frau? Ich habe gebetet! Wie ein Wahnsinniger habe ich gebetet!»

«Es ist ein Mädchen», fasste Tasso sich kurz. «Inselvogt, was ist mit dem Schiff? Da war ein Kriegsschiff in Seenot! Habt Ihr die Kanonen nicht–»

Der Inselvogt packte ihn am Kragen und zog ihn zu sich heran. «Ob meine Frau noch am Leben ist, will ich von dir wissen!»

«Vorhin hat sie noch geatmet.»

«Was heißt vorhin?»

«Bevor meine Mutter mich losgeschickt hat, um Euch zu holen.» War das wirklich das Einzige, was den Inselvogt interessierte? «Was ist mit den Schiffbrüchigen?», fragte er abermals, doch niemand schien es für nötig zu halten, ihm zu antworten.

«Ich muss zu Imke!», entgegnete der Inselvogt nur, und die Ungeduld war ihm anzumerken. «Gott gebe, dass sie noch lebt.»

Tasso hielt ihn am Ärmel fest. «Warum hat denn niemand geholfen?»

Boyunga seufzte gereizt. «Wir haben auch für die Männer da draußen gebetet. Aber wenn wir ins Boot gestiegen wären…» Er drängte weiter.

«Was dann?» Glaubte er wirklich, das reichte ihm aus?

«Wir wären ertrunken. Wir alle. Und was wäre dann aus Imke geworden? Und den Kindern? Manchmal muss man eben Entscheidungen treffen, die für den einen den Tod bedeuten können… und für den anderen das Leben. Wenn du groß genug bist, Junge, dann wirst du verstehen, wovon ich rede.» Mit diesen Worten riss er sich los und rief nach seinen beiden Söhnen.

Der ältere von ihnen starrte mit schreckensweiten Augen in die Richtung, in die sie zu gehen hatten. «Da ist gar kein Land mehr, Vater! Ich habe Angst.»

«Was sagst du?» Der Inselvogt lief weiter und stand wenige Schritte später im Priel. «Aber… wie kann das sein? Wir hatten doch gerade noch Ebbe!»

«Das Wasser steht schon sehr hoch, Vogt, wir hätten nicht so lang auf der Bill bleiben sollen.» Evert Janssen, einer der Schiffer, schien beunruhigt. Tasso konnte seine großgewachsene Gestalt vor dem Sturmhimmel ausmachen. Er trug ein kleines Mädchen auf den Schultern.

«Musst ausgerechnet du dich jetzt beschweren?», höhnte Bauer Switterts. «Du warst es doch, der die ganze Zeit gedrängt hat, zum Koper Sand zu fahren. Ohne dich wären wir längst schon zu Hause beim Weihnachtsbraten!» Auf Bauer Switterts’ feistem Gesicht lag der rotgelbe Schein der Fackel.

«Hier kommen wir mit den Kindern tatsächlich nicht rüber, das Wasser ist bereits zu tief», rief der Inselvogt und zeigte in die Richtung, aus der Tasso gekommen war. «Weiter nördlich wird es besser sein. Schaut nach!» Seine Stimme hatte wieder den üblichen Befehlston.

«Dort ist es nicht besser, das kann ich Euch erzählen! Ich stand eben schon bis zu den Knien im Wasser», warnte Tasso. Doch niemand hörte auf ihn.

«Bestes Holz, meine Herren», johlte Bauer Switterts und hob einen Balken in die Höhe. «So eine Bescherung lasse ich mir am Weihnachtsabend gern gefallen.»

«Lass es liegen, Switterts», mahnte Evert Janssen. «Was du hier machst, ist gottlos!»

«Wenn ich für meine Familie Feuerholz besorge, wird es Gott nicht großartig stören. Vergiss nicht, mein jüngster Sohn Weert wartet mit der Mutter zu Hause und–»

«Vor ein paar Stunden war es noch Teil eines Schiffes», erwiderte der Seemann. «Es klebt Blut daran!»

Bauer Switterts drehte und wendete das Holz. «Ich kann nichts sehen…»

«Verdammt!», erklang weiter entfernt der Fluch eines anderen Insulaners. «Das Wasser wird immer tiefer. Wie kann das sein?»

Eine der Frauen mischte sich jetzt ein: «Vogt Boyunga, wir hätten auf Pastor Altmann hören sollen. Es war falsch, die Hilferufe zu ignorieren. Wir sind…»

«Halt den Mund, Trientje. Wären wir hinausgefahren, dann wärst du jetzt Witwe und würdest über die Planken unseres Bootes stolpern!»

«Aber der Pastor hat gesagt, es sei unsere Christenpflicht!»

Bauer Switterts lachte laut. «Der Pastor bleibt auch immer fein in seiner Kirche. Sein Beitrag zur Rettung hätte sich auf Beten beschränkt, deswegen konnte er uns auch gefahrlos etwas über angebliche Christenpflichten erzählen. Seinen Anteil am Strandgut hingegen nimmt er dann aber doch ganz gern, möchte ich wetten!»

Niemand stimmte in Switterts’ schallendes Gelächter ein.

«Wenn man dich so reden hört, sollte man meinen, du hättest wieder einmal falsche Leuchtfeuer gezündet, Bauer Switterts.»

«Wo denkst du hin, Vogt Boyunga? Ich doch nicht!» Doch der Tonfall des Mannes konnte auch das Gegenteil bedeuten. Eifrig sammelte er weiter Treibgut ein, inzwischen trug er bereits so viel Holz im Arm, dass er bei jedem Schritt ächzte.

Evert Janssen wandte sich voll Verachtung ab und richtete sich an den Inselvogt, der in Richtung Norden laufen wollte. «Wir wären bereit gewesen, Vogt Boyunga. Wir wären da raus und hätten vielleicht noch ein paar arme Seelen retten können. Wenn du nicht darauf bestanden hättest, bis zum Morgen zu warten…»

Tasso schluckte. Konnte das wahr sein? Ausgerechnet der Inselvogt, den er bislang für so unerschrocken und stark gehalten hatte, ausgerechnet dieser starke Mann sollte eine Rettung verhindert haben?

«Und wenn es die Prüfung ist, von der Elias Thielen sprach?», fragte Tasso irritiert.

«Unsinn!» Der Inselvogt sah ihn drohend an. «Thielen war verrückt! Das habe ich schon deiner Mutter gesagt!» Die Adern auf der Stirn des Inselvogtes schwollen bedrohlich an. «Und jetzt geh aus dem Weg, sonst…»

«Sonst was?»

Plötzlich wurde Tasso von hinten gepackt und in die Höhe gehoben. In seinen Schultern knackte es, und er jaulte auf.

«Sonst brechen wir dir alle Knochen, du Bastard!»

Tasso erkannte die Stimme von Bauer Switterts. «Aber meine Mutter hat gesagt, es ist alles prophezeit worden: … in einer Nacht, die das Weltenheil…»

Bauer Switterts gab wieder sein dröhnendes Lachen von sich und verstärkte den Griff, mit dem er Tasso hielt.

«Deine Mutter war das Liebchen des verrückten Pfaffen. Und du bist das kleine Andenken, das er ihr hinterlassen hat, bevor er abgehauen ist! Kein Wunder, dass du ebenso wirres Zeug daherredest.»

Tasso schwindelte. Er hatte höllische Schmerzen und konnte einen kurzen Schrei nicht unterdrücken.

«Lass ihn los, sofort!», befahl der Inselvogt. «Er ist doch noch ein Junge!»

Bauer Switterts gehorchte nicht ohne Widerwillen.

Als Tasso den Boden unter den Füßen spürte, rannte er los. Nicht Richtung Norden, wie die anderen, nein, er wollte zur Kirche, er wollte schauen, ob er dort vielleicht noch einen Menschen fand, der mutig genug wäre, zum Koper Sand zu fahren. Und wenn nicht, dann würde er es eben allein versuchen. Aber er wollte keinen Moment mehr mit diesen Feiglingen hier verbringen. Und er wollte keine Lügen mehr hören über seine Mutter und diesen Elias Thielen, der angeblich sein Vater sein sollte. Diese Insulaner waren bösartig und gemein. Aber vor allem waren sie feige. Er wollte nie wieder zu ihnen gehören.

5

«Bleibt nicht stehen, Kinder!» Die Befehle des Inselvogtes wurden vom Tosen des Sturmes verschluckt. «Männer, lasst das Treibholz liegen, wo es ist. Wir können es morgen sammeln. Wir müssen uns beeilen! Das Wasser steigt schnell.»

Aus der Entfernung hörte Tasso noch die Kinder schreien. Tatsächlich hatte sich die Flut weiter vorgearbeitet. Vor wenigen Minuten hatte das Salzwasser ihm erst bis zum Knöchel gestanden, und nun umspielten die Wellen, die von Norden heranrollten, bereits fast seine Knie. Eine solche Geschwindigkeit der Fluten hatte er noch nie erlebt. Als könne man dem Wasser beim Ansteigen zuschauen! Was für ein Spiel trieb das Meer heute bloß mit der Insel?

Die Kälte stieg immer weiter hinauf. Tasso zitterte am ganzen Körper. Das Wasser war im Dezember unbarmherzig eisig, und der nasse Stoff seiner Hose saugte die Feuchtigkeit auf und erschwerte jeden Schritt. Trotzdem rannte Tasso jetzt, als ginge es um Leben und Tod.

Von den anderen Juistern vernahm er nur noch die Rufe, die immer gellender und schriller klangen, und es war nicht mehr auszumachen, ob sie einer kindlichen oder einer erwachsenen Kehle entsprangen.

Doch mit einem Mal spürte Tasso, wie sich das Meer beruhigte. Es stieg nicht weiter an, im Gegenteil. Es erschien Tasso, als hätte die Flut ihr Versehen bemerkt und versuchte nun, ihr zu schnelles Auflaufen wieder rückgängig zu machen. Das ablaufende Wasser versickerte im Sand, das Treibholz um ihn herum knirschte, als es tiefer in den Boden sackte. Tasso blieb stehen.

Obwohl der Wind weiterhin wehte, war es still, fast unheimlich still. Die Bedrohung schien so plötzlich verschwunden, wie sie aufgetaucht war. Selbst der breite Priel war leer gelaufen. Aber nicht mal bei Niedrigwasser zeigte sich der Hammrich so unbedeckt und trocken.

Das war seltsam. Das war teuflisch, fand Tasso.

Weiter entfernt waren auch die Kirchgänger stehen geblieben. Sie hatten vorhin ein gutes Dutzend Fackeln dabeigehabt. Nun trugen nur noch zwei Männer ein Feuer, der Rest stand im Dunkeln.

«Es ist vorbei!», rief eine Frau schließlich aus, und in der plötzlichen Stille waren ihre Worte zu hören, als stünde sie neben Tasso. «Was immer das auch war, es ist wieder ins Meer zurückgeflossen.»

Doch Tasso mochte sich nicht mit ihr freuen. Er überlegte kurz, ob er zu den anderen zurückkehren sollte. Aber irgendetwas hielt ihn zurück. Es war Zeit, von hier zu verschwinden.

Dann hörte er das Donnern. Erst dachte er, das Dröhnen säße nur in seinem Kopf, denn es war ein Geräusch, wie er es noch nie vernommen hatte. Es schien nicht von dieser Welt zu kommen, war tausendfach gewaltiger als die Kanonenschüsse und breitete sich plötzlich aus wie das Brüllen eines Ungeheuers. Der Boden vibrierte, die Insel erbebte unter seinen Füßen.

Tasso blickte aufs dunkle Meer. Und plötzlich sah er etwas Großes, etwas Mächtiges, von dem er keine Ahnung hatte, was es sein konnte. Er spürte, wie sich die Angst in seinen Armen und Beinen breitmachte.

Wenn das, was da heranrollte, die Strafe Gottes war, dann durfte sie ihn nicht treffen. Die feigen Juister, die nur an ihren eigenen Vorteil dachten, ihnen galt der Zorn des Allmächtigen. Aber er, Tasso Nadeaus, wollte der Gefahr trotzen. Er hatte ein solches Todesurteil nicht verdient.

Das Meer hatte sich zu einer Mauer erhoben. Und mit einem Mal verstand Tasso: Diese Welle hatte in den stillen Minuten alles Wasser gesammelt, hatte es an sich gerissen, um so gewaltig, so groß und furchteinflößend zu werden, deswegen war der Hammrich plötzlich so trocken gewesen.

Tasso hörte die Schreie der anderen, die jetzt in Panik auseinanderstoben, doch er konnte sie kaum noch verstehen. Er blickte sich um. Wohin sollte er rennen? Er war mitten auf dem Hammrich, es gab nichts, woran er sich hätte festhalten können.

Da erblickte er einen Kasten aus Holz. Es war eine riesige Kiste, die weiter südlich im Priel schaukelte. Tasso lief darauf zu. Als er näher kam, erkannte er in der Dämmerung die schmuckvollen Ornamente und Verzierungen im Holz.

Das unheimliche Grollen war jetzt ganz nah. Wenn er dieses Ding erreichte, dann… vielleicht… Er musste es schaffen!

Tasso streckte die Hände aus und erkannte, was es war. Am liebsten hätte er geheult vor Glück, denn es war ein Kapitänsstand. Der Kapitänsstand des gesunkenen Schiffs!

Mit aller Kraft krallten sich seine Finger in die Fugen. Seine Füße stemmte er gegen die Wand. Von allen Seiten schoss jetzt Wasser hinein. Alles geriet in Bewegung. Der Unterstand erzitterte, löste sich kurz vom Boden und prallte wieder zurück in den Sand.

Fast fühlte Tasso sich hochgehoben, als würde eine unsichtbare Hand unter ihn greifen, unter das Holz, an welchem er wie festgewachsen hing. Schemenhaft nahm er seine Arme wahr, erkannte an der langsamen, unwirklichen Bewegung, die sein schwebendes Hemd machte, dass er bereits im grauen Wasser schwamm.

Das Meer wirbelte alles herum. Tasso schluckte, saugte gierig nach Luft und bekam wieder Salzwasser in den Hals.

Der Kapitänsstand hatte sich gewendet, und was vorhin noch ein Dach gewesen war, befand sich nun unten. Es dauerte wertvolle Augenblicke, bis Tasso begriff, dass er nun darin schwamm.

Vorsichtig blickte er über den Rand, so als zwinge ihn diese übermenschliche Macht, die ihn eben in seinem Versteck gehalten hatte, nun dem Schicksal ins Auge zu blicken.

Ringsherum war nichts als Schaum, weiß glänzende Gischt vor einem tiefen, grauschwarzen Abgrund. Der Kapitänsstand schwebte auf dem höchsten Kamm einer Welle, eine Welle, die ihn über die Insel trug.

Vor sich erkannte Tasso plötzlich die Kate seiner Mutter mit dem faserigen Strohdach, daneben die Kirche aus Stein. Doch noch nie hatte er die vertrauten Gebäude aus diesem Winkel gesehen. Von oben, wie eine Möwe sein Zuhause sonst betrachtet haben mochte, konnte er für einen kurzen Moment alles überblicken.

Dann sah er, wie das Wasser sein Zuhause fraß, wie es das Dach der Kate verwirbelte, als wäre es ein federleichtes Nichts. Er erkannte ein paar menschliche Gestalten, beobachtete ein verzweifelt strampelndes Rind. Alles wurde verschluckt.

Und auf einmal klangen die Worte seiner Mutter in seinen Ohren wider, die Prophezeiung des Predigers, das leiernde Gebet:

«…in einer Nacht, die das Weltenheil verspricht, wird Gott selbst gegen die Regeln verstoßen und sie alle verschlucken, als wären sie nichts weiter als Sandkörner im Fluge des Sturms.»

Sie würden alle sterben. Auch er.

Und obwohl er dem Tod so nah war, graute Tasso mit einem Mal nicht mehr davor. Plötzlich war er stark. Doch seine Mutter würde dies wohl nie erfahren. Es würde keinen Moment mehr geben, in dem sie stolz auf ihn sein könnte. Denn er würde sie nie wieder sehen.

Die Welle spülte ihn fort, die Insel lag bereits hinter ihm. «Mutter», dachte er noch einmal.

Dann ritt Tasso Nadeaus auf der Welle und vergaß alles, was ihm bislang wichtig erschienen war. Er war oben. Ganz oben.

TEIL 2

***

Frühjahr 1729

1

Mit zehn Schritten Anlauf wollte sie es schaffen. Maikea Boyunga atmete tief durch. Zehn Schritte mussten reichen für den Sprung über den Priel. Sie hatten gewettet, Weert Switterts und sie. Wenn es ihr gelang, mit einem Satz über das Wasser zu kommen, musste er zurücknehmen, was er über Geesche Nadeaus gesagt hatte.

Sie lief los.

Der Priel war breiter, als sie groß war. An den Rändern verästelt wie ein Baum. Das hereinströmende Wasser formte Wellen in den graubraunen Sand. Weert Switterts selbst hatte sich nasse Füße geholt, als er vorhin gesprungen war. Maikea hatte lachen müssen. Über seine triefende Hose, aber in erster Linie über seinen schweren, breiten Körper, der bei dem missglückten Versuch ausgesehen hatte, als versuche sich des Pastors dickste Milchkuh im Weitsprung. Leider hatte Maikea nicht heimlich und leise lachen können, so etwas lag ihr einfach nicht, es war aus ihr herausgeplatzt. Und Weert Switterts hasste es, ausgelacht zu werden.

Er hatte sich vor Maikea hingestellt, sich aufgeplustert – und dabei noch mehr nach einem Rindvieh ausgesehen. Sie hatte weiter lachen müssen. Selbst als er an einem ihrer langen, blonden Zöpfe zog, konnte sie nicht aufhören. Im Gegenteil, ein Schluckauf gesellte sich dazu. Und da hatte er behauptet, sie sei von einer verfluchten Hexe großgezogen worden und habe vor ihm zu kuschen.

So etwas wollte Maikea sich nicht sagen lassen, von niemandem, auch nicht von einem Kerl, der fast drei Jahre älter und einen guten Kopf größer war als sie.

«Das nimmst du zurück!»

«Einen Teufel werde ich tun!» Weerts Tritt verfehlte knapp ihr nacktes Schienbein, und das auch nur, weil Maikea flink zur Seite gesprungen war. Das hatte ihn nur noch ärgerlicher gemacht. Und es war nicht gut, wenn Weert Switterts ärgerlich war, denn er schien nicht zu wissen, wohin mit seiner Wut. Er trat und schlug dann stets um sich wie ein wildes Pferd, das man in die Enge getrieben hatte.

Die anderen Kinder ringsum hatten sich schnell vor ihm geduckt, die meisten hatten mehr als nur Respekt vor dem Ältesten in ihrer Runde. Sie hatten vor allem Angst vor Weert Switterts.

«Wenn ich es schaffe, mit nur zehn Schritten Anlauf über den Priel zu springen», hatte Maikea zu ihm gesagt, «dann lässt du uns in Ruhe und nimmst zurück, was du über Geesche Nadeaus gesagt hast.»

Da war Weert es gewesen, der lauthals lachte. «Mit deinen Stummelbeinchen? Die Flut läuft auf, das Ding wird immer breiter. Du wirst dir dein Lumpenkleidchen nass machen.»

«Ich schaffe das.»

Wie gern hätte Maikea ihn Düllkopp genannt. Aber sie schluckte das Schimpfwort herunter. Er sollte sich nicht weiter aufregen. Sie wollte hier auf dem Hammrich einfach mit den anderen Kindern weiterspielen, und zwar in Ruhe.

Also maß sie die zehn Schritte vom Rand des Wasserstroms ab, atmete tief durch und rannte los. Sie konnte schnell rennen, und ihre Beine waren nicht so dünn und staksig wie die der anderen Kinder. Nicht, dass sie und ihre Mutter mehr zu beißen gehabt hätten als der Rest der Inselbewohner. Aber Maikea hatte ihre Beine gestärkt bei den langen Wegen, die sie jeden Tag am Strand, in den Dünen und an der Wattseite zurücklegte, wenn sie auf Erkundungsreise ging, wie Pastor Altmann es nannte.

Die letzten drei Schritte stieß sie sich vorwärts, drückte ihren Fußballen mit ganzer Kraft in den feuchten, festen Sand, als wolle sie jetzt schon zum Sprung ansetzen. Und dann war es so weit. Nur eine Handbreit neben dem fließenden Meerwasser trat sie mit dem rechten Fuß ein letztes Mal auf, streckte ihr Knie in die Gerade und nutzte den Schwung der Bewegung, um sich vom Boden abzustoßen, als wolle sie gleich in den hellblauen Himmel über sich gelangen. Ein paar Kinder konnten sich einen aufgeregten Schrei nicht verkneifen, aber niemand sagte ein Wort. Fast kam es Maikea vor, als fliege sie.

Hätte sie Flügel wie eine Silbermöwe, dann müsste sie nur ein paarmal damit schlagen, schon wäre sie in den Lüften, ganz weit oben über der Insel. Doch auch ohne Federkleid kam sie weiter, als sie es selbst für möglich gehalten hatte. Ihr linker Fuß fand wieder festen Boden, und tatsächlich hätte der Priel noch fast eine Elle breiter sein können, sie hätte ihn auch dann bewältigt.

«Du hast gewonnen!», jubelte ein kleines Mädchen. Die anderen klatschten. Nur Weert Switterts stand regungslos da und verzog keine Miene. Stattdessen spuckte er in den Sand.

Maikea wurde übermütig. Sie machte noch im Laufen eine Kehrtwende, rannte zurück und wagte einen zweiten Sprung. Als sie direkt vor Weert landete, war ihr Kleid noch immer so trocken wie zuvor. Sie stemmte die Hände in die Hüften und schaute zu dem missgelaunten Jungen auf.

«Und? Hast du mir nicht was zu sagen?»

«Ich wüsste nicht, was. Außer vielleicht, dass Mädchen, die von einer verfluchten Hexe großgezogen worden sind, mir überhaupt nichts zu befehlen haben.»

Maikea konnte sich nicht zurückhalten, und obwohl sie wusste, dass er ihr an Größe und Kraft überlegen war, ballte sie die Fäuste und trommelte auf seine breite Rindviehbrust. Doch er hatte ihre Handgelenke umfasst und bereitete der energischen Bewegung ein jähes Ende.

«Welcher Hahn kräht denn schon danach, was ich über die alte Hexe sage? Sie ist seit einem Jahr tot und schmort wahrscheinlich dort, wo sie hingehört: in der Hölle! Und außer dir weint ihr kein Mensch eine Träne nach.»

«Du bist so hundsgemein. Wie kann man nur so bösartig sein? Warum beschimpfst du Geeschemöh und brichst sogar ein Versprechen, das du per Handschlag besiegelt hast? Sie hat dir doch nichts getan.»

«Nichts getan?», höhnte Weert. «Wegen ihr sind sie alle ersoffen vor fast zwölf Jahren. Dein Vater, mein Vater, deine Brüder, meine Brüder…»

«Das war doch nicht Geeschemöhs Schuld!» Maikea schrie jetzt beinahe.

«Doch. Sie war eine Hexe. Sie hat damals einen Fluch über die Inselbewohner gesprochen. Sie und dieser verdammte Elias Thielen.»

«Das ist nicht wahr!» Maikea schüttelte den Kopf hin und her, wobei sich einer ihrer Zöpfe löste und ihr das blonde Haar ins Gesicht fiel.

«Und wenn ich dich so anschaue, Maikea Boyunga, dann könnte ich glauben, du bist auch eine von der Sorte. Pass auf, dass du nicht eines Tages…»

«Hör damit auf, Weert Switterts!», unterbrach ihn eine tiefe Stimme, die vom Dünenrand herüberschallte. Es war Pastor Altmann, der auf einen Stock gestützt mit mühsamen Schritten auf sie zukam.

Sofort ließ Weert sie los. Schnell nutzte Maikea die Gelegenheit, ihrem Widersacher einen kräftigen Tritt gegen das Schienbein zu verpassen.

«Und du auch, Maikea Boyunga! Ihr sollt augenblicklich voneinander ablassen!» Obwohl der Inselpastor schon beinahe achtzig Jahre alt war und sich nur noch krumm und schwerfällig bewegen konnte, hatte seine Stimme nichts von ihrer Gewaltigkeit eingebüßt. Seine Worte waren für alle Insulaner nach wie vor Gesetz.

«Maikea, dich suche ich. Du musst sofort nach Hause kommen.»

«Was? Aber warum?»

«Es ist wegen deiner Mutter.»

Während sie auf den alten Mann zulief, hatte Maikea das Gefühl, ihre Arme und Beine seien mit schwerem Sand gefüllt. War der Moment gekommen? Der Augenblick, den sie schon seit Tagen fürchtete? Vielleicht sogar seit Wochen, Monaten. Im Grunde genommen hatte sie schon, seit sie denken konnte, damit gerechnet, dass eines Tages der Pastor nach ihr rief, um ihr zu sagen, dass es mit ihrer Mutter zu Ende ging.

Von den Menschen auf Juist wusste Maikea, dass Imke Boyunga einmal eine schöne, edle Frau gewesen sein musste. Doch seit Maikeas Geburt in dieser schicksalhaften Nacht wäre sie nur noch ein Schatten ihrer selbst. Bleich wie der Muschelkalk, mit dem man ihre Kate verputzt hatte.

Ihre Mutter sprach nur selten, und wenn, dann waren ihre Worte fast unhörbar. Sie wollte etwas gegen den Durst oder den Hunger, bat darum, gewaschen zu werden, oder fragte nach Maikeas Vater und ihren Brüdern, die vor elfeinhalb Jahren ebenfalls ums Leben gekommen waren. Kein Mensch in der Gemeinde hatte damit gerechnet, dass die Frau des Inselvogtes so lange leben würde. Und doch hatte sie so manchen eiskalten Winter überstanden, mehreren Sturmfluten und Krankheitswellen getrotzt. Maikea war sich sicher: Den Verdienst daran trugen Geeschemöh und ihre Kräuter.

Seit jener Weihnachtsflut hatte die Alte bei ihnen im Haus gelebt. Mit ihrem Tod war auch aus Imke Boyunga das Leben verschwunden. Ein paar Frauen halfen Maikea zwar bei der Pflege, aber seit dem letzten Sommer hatte das Mädchen jeden Tag damit gerechnet, den Pastor rufen zu müssen – oder von ihm gerufen zu werden.

Jetzt stand er ihr gegenüber und legte seine Hand auf ihre Schulter. Maikea verbrachte gern ihre Zeit bei dem alten Gottesmann, der gleichzeitig auch ihr Schulmeister war. In der kleinen Pastorei brachte er den Kindern der Insel das Lesen der Bibel bei. Und denjenigen, die es sich leisten konnten, auch das Rechnen und Schreiben. Maikea war bei diesem Zusatzunterricht das einzige Mädchen, denn die meisten glaubten, dass sich das Lernen nur bei den Jungen lohnen würde. Wären Maikeas Brüder noch am Leben, hätte sie wahrscheinlich auch keinen Tag länger als nötig die Schulbank drücken dürfen. Mit ihren fast zwölf Jahren war sie ohnehin eines der ältesten Kinder. Doch Pastor Altmann wollte ihre Wissbegierde nicht unbefriedigt lassen. Immerhin war ihr Finger am häufigsten oben, und im Gegensatz zu einem Weert Switterts hatte sie schon längst verstanden, wie man die Flächen von Kreisen und den Umfang von Dreiecken ermitteln konnte. Es war nicht zu übersehen, dass Maikea des Pastors Lieblingsschülerin war. Häufig ging er mit ihr über die Insel, um ihre Fragen zu beantworten.

Weil sie ihn so gut kannte, konnte sie auch den Blick seiner grauen Augen deuten. Die Falten in seinem Gesicht schienen heute noch tiefer in der ledrigen Haut zu liegen, die buschigen, fast weißen Brauen zogen sich über der Nase zusammen.

«Deiner Mutter wird nicht viel Zeit bleiben. Aber ich habe soeben eine ganze Weile mit ihr reden können.»

«Worüber, Pastor?»

«Ich mache mir schon lange Gedanken, was mit dir gesehen soll, wenn sie einmal nicht mehr ist.»

Maikea wusste nicht, was sie sagen sollte. Wortlos folgte sie seinen langsamen Schritten Richtung Loog.

«Maikea, du weißt schon, dass du mir besonders ans Herz gewachsen bist?»

Die Stimme des Pastors hatte denselben Klang, den sie an Feiertagen in der Kirche annahm. Das gefiel Maikea nicht. Sie war es gewohnt, dass er auf den gemeinsamen Inselrundgängen mit ihr sprach wie zu einer Tochter. Auch wenn Maikea ihren leiblichen Vater nie kennengelernt hatte, malte sie ihn sich so aus wie Pastor Altmann, nur jünger und stattlicher natürlich. Ein Mann, der ihr das Leben erklärte, der von der Vergangenheit sprach und seine Lehren für das Heute daraus zog.

Was hatte er ihr nicht alles beigebracht! Warum die Inseln bei Sturmfluten so angreifbar und welche Dünen besonders gefährdet waren. Zudem hatte er sich ein paar holländische Schriften kommen lassen, in denen von neuen Ideen für den Inselschutz die Rede war: Angeblich sollten gezielte Pflanzarbeiten und geflochtene Zäune aus Reisig dabei helfen, die Insel zu schützen. Gern hätte der Pastor dies auch auf Juist ausprobiert, aber kein Insulaner war zu überzeugen gewesen. Niemand wollte sich im Frühjahr und Sommer mit solch mühsamer Plackerei quälen, wenn das Meer doch nur im Herbst und Winter zu wüten begann.

Eigentlich war dies ohnehin die Aufgabe des Inselvogtes, doch der Nachfolger ihres Vaters war, was den Inselschutz anging, ein Taugenichts. Das jedenfalls behauptete Pastor Altmann immer. Er fühlte sich daher für den Inselschutz zuständig und vernachlässigte sogar öfter seine Pflichten als Gottesmann. An manchem Sonntag gab es keine Predigt, weil er damit beschäftigt war, die Sturmschäden der letzten Nacht zu flicken. Oder er predigte statt aus der Heiligen Schrift die wichtigsten Regeln zur Inselsicherung. Mit seinen Schülern suchte er den Lobpreis auf Gottes Schöpfung nicht in den Psalmen, sondern lieber an der Westseite der Insel, wo neuer Strandhafer gepflanzt werden musste. Der Strandhafer war eine seltsame Pflanze, die es liebte, wenn der Wind wehte und der Boden nur Sand, Salz und Wasser hergab. Der Pastor setzte den Strandhafer bündelweise in kleine Dünensenken in der Nähe des Hammrichs. Maikea schaute ihm dabei über die Schulter und beobachtete jeden seiner Handgriffe. Und obwohl sie noch keine zwölf Jahre alt war, leistete sie schon gute Arbeit. Während die anderen Mädchen davon träumten, eines Tages Mutter oder vielleicht auch die wohlhabende Frau eines Schiffers zu werden, verfolgte Maikea ein anderes Ziel: Sie wollte die Insel erhalten. Nicht, indem sie das Meer bekämpfte, sondern vielmehr, indem sie es zu überlisten versuchte. Wäre das nicht eine erfüllende Aufgabe?

Als sie gerade die höheren Randdünen erklommen hatten, blieb Maikea stehen.

«Warum kann denn nicht alles so bleiben, wie es ist?»

«Nichts bleibt, wie es ist. Das wäre gegen die Natur.» Pastor Altmann atmete schwer. Das Erklimmen der Dünen bereitete dem alten Mann immer größere Schwierigkeiten. Ein Rasseln und Summen kam aus seinem Hals. «Können wir uns einen Moment setzen?»

Vorsichtig ließ er sich im Sand nieder. Maikea setzte sich neben ihn und rückte nach kurzem Zögern dicht an ihn heran, so wie sie es schon immer gern getan hatte.

«Schau dich um, Maikea. Das Leben bedeutet Veränderung. Jetzt haben wir auflaufendes Wasser, und der Sand wird von Stunde zu Stunde schmaler, bis unsere Insel wieder in zwei Teile geteilt ist. Dann setzt die Ebbe ein und gibt den Weg an die Bill wieder frei. Wenn man die Zeit hätte, sich einen ganzen Tag hier niederzusetzen, dann würde man die Veränderung, die dieser Ort immer und immer wieder erfährt, genau beobachten können.»

«Ja, aber das sind doch die Gezeiten, Pastor. Die kann jedes Kind ausrechnen. Je nachdem, wie der Wind steht und der Mond bei Nacht in Erscheinung tritt, weiß man, wie es auf dem Hammrich aussieht. Da verändert sich was für kurze Zeit, aber für die Ewigkeit gesehen bleibt es eben doch so, wie es ist.»

«Du bist wirklich die klügste Elfjährige, die mir je die Welt erklärt hat.» Pastor Altmann musste lachen. «Was du hier siehst, hat vor hundert Jahren auch noch nicht so ausgesehen. Bis zur schrecklichen Petriflut war die Insel noch aus einem Stück. Hier ganz in der Nähe stand ein Kirchturm, der so hoch war, dass die Schiffer sein Leuchtfeuer bis in die Emsmündung sehen konnten und es ihnen den Weg entlang der Küste wies.»

«Das ist doch schon fast achtzig Jahre her.» Maikea zupfte einen Halm vom Strandhafer heraus und kaute das Ende, so wie sie es immer tat, wenn Pastor Altmann ein bisschen Zeit für eine Unterhaltung fand.

«Dir mag das wie eine Ewigkeit vorkommen. Aber ich bin im Jahr der Petriflut geboren worden.»

«Woher weiß man das denn alles, wenn es schon so lange Vergangenheit ist?»

«Die Insulaner haben diese Geschichten von ihren Eltern und Großeltern erzählt bekommen.»

Für Maikea war das alles unvorstellbar, so als wäre eigentlich von einem fremden Ort die Rede und nicht von ihrer Heimatinsel, die sie seit ihrer Geburt kein einziges Mal verlassen hatte.

Pastor Altmann hatte in der Schulstunde von zwei weiteren Inseln erzählt, die damals noch das Eiland einrahmten. Buise im Osten und Bant im Westen, letztere sei so nah gewesen, dass einige Bauern bei Niedrigwasser ihr Vieh zum Grasen dorthin geführt hatten. Doch als Maikea jetzt an diese Stelle schaute, wo die Abendsonne in den Spiegel des Wattenmeeres eintauchte, war von alledem nichts zu erkennen. Nicht die leiseste Ahnung einer Insel. Und von Buise konnte man nur noch ein paar armselige Grashalme sehen, dabei sollten dort vor einigen Jahren noch Menschen gelebt haben. Das stimmte Maikea traurig.

Zum Glück hatte Juist bislang den Sturmfluten getrotzt, auch wenn die Insel erheblichen Schaden hatte erleiden müssen. Im ehemaligen Billdorf waren noch die verwitterten Grundrisse von Brunnen und Häusern zu erkennen. Geeschemöh hatte Maikea einmal mit hinübergenommen auf das ausgestorbene Stück Insel. Sie hatte ihr die Narben der Weihnachtsflut, wie sie sich ausdrückte, gezeigt. Die Stelle, an der damals ihre Hütte gestanden hatte, in der sie mit ihrem Sohn Tasso lebte. Geeschemöh hatte zuvor nie geweint, aber als sie an jenem Tag in einer Sandkuhle einen alten Topf fand, rußgeschwärzt an der Unterseite, da waren der alten Frau die Tränen gekommen. Sie hatte alles verloren bei dieser Flut. Ihr Haus und ihren Sohn würde sie nie wieder sehen. Und sie selbst hatte nur deshalb überlebt, weil sie Maikea in dieser Nacht auf die Welt geholfen hatte.

Seit jener Sturmflut lebten nun alle Insulaner in der östlichen Siedlung, im Loog.

Die Wunde zwischen den beiden Inselteilen klaffte seitdem immer breiter, und schon bei einer gewöhnlichen Flut wurde der Hammrich kniehoch überspült. Ein Besuch an der Bill musste also gut überlegt und dem Takt der Gezeiten angepasst sein. An Sommertagen, so wie heute, war dies ein fröhliches Spiel. Doch wenn es ab Oktober kalt und stürmisch wurde, war es zu gefährlich.

Pastor Altmann setzte sich aufrecht hin, stemmte seinen Stock in den Sand und legte die Arme darauf, als müsse er sich beim Sitzen festhalten.

«Wie gesagt, ich habe mir schon vor Wochen Gedanken gemacht, was mit dir geschieht, wenn deine liebe Mutter nicht mehr unter uns weilt.»

Maikea stemmte die Fäuste in die Hüften. «Was mit mir geschehen soll? Was meint Ihr damit?»

«Du vergisst, dass auch ich nicht ewig leben werde. Wenn man so alt ist wie ich, kann es jeden Tag geschehen, dass der Herrgott einen zu sich holt.»

«Bis dahin bin ich groß genug, um alleine zurechtzukommen.» Es war eine Mischung aus Trotz und Überzeugung, mit der Maikea den letzten Satz ausgesprochen hatte.

«Und wovon willst du dann leben?»

«Ich… Ich werde einfach Inselvogtin.» Dieser Satz war schneller über Maikeas Lippen gesprungen, als sie ihn in Gedanken hatte wahrnehmen können.

Pastor Altmann legte seine Hand auf ihre Schulter. «Frauen können nicht Inselvogt werden.» «Können nicht? Oder dürfen nicht?»

«Ein Vogt ist immer der wichtigste Mann auf der Insel.»

«Nach dem Pastor, denke ich», warf Maikea ein und gab sich keine Mühe, den Spott in ihrer Stimme zu verbergen.

«Vorlaute Mädchen werden es sowieso nicht weiter bringen als zum Schillsammeln am Strand. Dafür sorgen die Männer schon.»

Ein wenig beleidigt legte Maikea die Lippen aufeinander und schwieg.

«Inselvogt kann man nicht einfach so werden, wie man vielleicht Schiffer oder Bauer oder Pastor werden kann. Das Wort Vogt kommt aus dem Lateinischen und bedeutet so etwas wie Der vom Fürsten Berufene. Ein Vogt bekommt seinen Lohn ja direkt vom Fürsten, er ist sein Stellvertreter, also derjenige, der sich um die Einhaltung der fürstlichen Erlasse kümmert. Und dass ein Fürst sich von einem Weib vertreten lässt, davon habe ich wirklich noch nie gehört.» Pastor Altmann schüttelte den Kopf und lachte, als fände er die Vorstellung wirklich sehr komisch.

Maikea war anderer Meinung: «Aber im Sommer, wenn die Männer auf See sind, da kümmern sich doch auch die Frauen um die Insel. Sie bestellen die Felder, sorgen für das Vieh, sammeln Schill…»

«Doch nur, weil der Inselvogt ihnen sagt, was zu tun ist.»

«Aber der Inselvogt, den wir jetzt auf Juist haben, ist ein Faulpelz. Das habt Ihr selbst gesagt. Er taugt zu nichts, außer sich seinen Anteil in die Taschen zu stopfen, wenn es Strandungen gegeben hat. Dies sind Eure eigenen Sätze, Pastor, die habe ich mir nicht ausgedacht!»

«Frauen brauchen eine starke Hand, damit sie nicht aus dem Ruder laufen, Maikea.»

«Nicht alle Frauen sind gleich. Meine Mutter hat sich niemals so aufgeführt!»

«Deine Mutter kommt aus einem ganz anderen Stall. Sie war Kammerfräulein am Auricher Fürstenhof. Sie hat in Federbetten geschlafen und sich jeden Tag das Gesicht mit Seife gewaschen, bis dein Vater sie kennengelernt und auf die Insel gebracht hat.» Pastor Altmann kramte in seiner Jackentasche ein Stück Papier hervor. «Wir haben großes Glück, Maikea. Ich habe einen Brief an die Fürstin Sophie Caroline von Ostfriesland geschickt. Deine Eltern scheinen am Auricher Hof noch in guter Erinnerung zu sein, jedenfalls…»

Maikea entriss ihm das Schreiben. Buchstaben, so steil und gerade wie die Zinnen der Festlandskirchen, die sie nur von Bildern kannte, füllten das Blatt.

«Ein Waisenhaus in Esens?», schrie sie. Das durfte nicht wahr sein.

«Eine gute Schule. Und die Einrichtung wird seit Jahren von hochgeachteten Pastoren geleitet, ein sehr gottesfürchtiges Haus!»

«Aber was soll ich da? Ich will die Insel nicht verlassen!»

«Es wird nicht so schwer sein, wie du denkst. Immerhin kam deine Mutter auch vom Festland, dort gibt es bessere Kleidung, bequemere Betten, und das Essen ist abwechslungsreicher. Vielleicht bist du sogar eines Tages ganz froh, ein bisschen mehr von der Welt gesehen zu haben als nur diese schmale Sandbank, auf der wir leben.»

«Das wird nicht passieren! Niemals!»

Es war kaum zu glauben, aber auf dem Gesicht des Pastors breitete sich ein Lächeln aus. «Du bist wie dein Vater», sagte er und legte ihr wieder seine Hand auf die Schulter. «Diese Ader an der Stirn, wie sie anschwillt… Wie haben die Juister deinen Vater gefürchtet, wenn bei ihm dieses Zeichen unter dem Scheitel erschien!»

«Mein Vater würde es sicher nicht zulassen, dass seine Tochter in ein Waisenhaus gesteckt wird. Ganz bestimmt nicht! Er war immer tapfer, er wusste stets eine Lösung für alle Probleme. Niemals hätte er mich fortgegeben!»

«Weißt du, Maikea, es passiert manchmal, dass wir die Toten besser machen, als sie zu Lebzeiten gewesen sind.»

«Was wollt Ihr damit sagen? Dass mein Vater kein Held gewesen ist?»

«Er war vor allen Dingen ein Mensch.»

«O nein, er war mehr als das! Er war, er war…» Sie konnte keinen Satz mehr aussprechen. Die Gemeinheit des Pastors ließ sie aufschluchzen, so heftig, dass ihre Stimme nach jedem Wort zerrissen wurde. Maikea schob seine Hand von ihrer Schulter, stand auf und rannte die Düne herunter. Er sollte nicht sehen, dass sie weinte.

2

Das Sterben war leise geschehen. Eines Morgens, als Maikea bereits das Feuer im Kamin schürte und sich anschließend auf den Weg zur Schule machen wollte, traf ihr Abschiedskuss eine eiskalte Wange. Die Augen der Mutter waren geschlossen.

Zahlreiche Nachbarn hatten versucht, Maikea zu trösten, doch ihr Herz war trotzdem nicht leichter geworden.

Und nun war der Moment gekommen. Unausweichlich. Sämtliches Bitten und Flehen hatte nichts genützt, sie musste die Insel verlassen.

Maikea saß in den Dünen in der Nähe der Schiffsanlegestelle und wartete auf das Boot, das heute zur Insel segeln würde, um ein paar Säcke Getreide, etwas Tuch und Garn zu liefern. Die Masten waren bereits am Horizont auszumachen. Der Wind stand günstig, und schon bald würde die Schaluppe an der Wattseite der Insel anlanden.