Die Inszenierung des Krieges in Stanley Kubricks Filmen - Jochen Fischer - E-Book

Die Inszenierung des Krieges in Stanley Kubricks Filmen E-Book

Jochen Fischer

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  • Herausgeber: GRIN Verlag
  • Sprache: Deutsch
  • Veröffentlichungsjahr: 2003
Beschreibung

Magisterarbeit aus dem Jahr 2002 im Fachbereich Germanistik - Neuere Deutsche Literatur, Note: 1,3, Philipps-Universität Marburg (Institut für Neuere deutsche Litertaur und Medien), Sprache: Deutsch, Abstract: Der Regisseur Stanley Kubrick, 1928 in New York geboren und 1999 in Saint Albans (England) gestorben, befasst sich in sechs seiner dreizehn Spielfilme mit dem Thema Krieg unter verschiedenen Gesichtspunkten. Über dreißig Jahre hinweg sind Krieg und Gewalt immer wieder Themen in der filmischen Arbeit des Regisseurs, die Kubrick selbst mit dem narrativen Potenzial des Konflikts begründet: „Dramen erwachsen aus dem Konflikt; [...] Es ist keineswegs selten, daß Filme auf einer Situation beruhen, in der ein gewaltsamer Konflikt die treibende Kraft darstellt.“2 Sein erster Spielfilm Fear and Desire (1953), wie er selbst sagt, „a pretentious, inept and boring film“3, ist der Versuch, sich einem fiktiven Krieg allegorisch zu nähern. Paths of Glory (1957) thematisiert die Machtstrukturen in der französischen Armee des ersten Weltkrieges. Die Auftragsarbeit Spartacus (1960) handelt von der Rebellion der Sklaven zur Zeit des römischen Imperiums. Dr. Strangelove, or How I Learned to Stop Worrying and Love the Bomb (1964) wiederum ist eine satirische Farce über die verheerende Wirkung der Machtstrukturen während des Kalten Krieges. Barry Lyndon (1975) behandelt Krieg nur insofern, als er den Hintergrund für den Aufstieg des Protagonisten zur Zeit des Siebenjährigen Krieges bildet. Und schließlich Full Metal Jacket (1986), nach Ansicht mancher Kritiker „der beste aller Vietnamfilme“4, der das „Ende des Kriegsfilms“5 einläutet, ist ein Film über die militärische Ausbildung und deren Anwendung in Vietnam. 1 Stanley Kubrick zitiert nach: Gene Siskel: Candidly Kubrick. Chicago Tribune, 21. Juni 1987. Abgedruckt in: Gene D. Phillips: Stanley Kubrick: Interviews. University Press of Mississippi 2001, S. 177-188, hier S. 187. 2 Stanley Kubrick: Zweites Gespräch 1976. In: Michel Ciment: Kubrick. München 1982, S. 166-179, hier S. 172/173. Im Folgenden: Kubrick (1976). 3 Stanley Kubrick in einem unveröffentlichten Interview mit Terry Southern von 1962. Terry Southern: An Interview with Stanley Kubrick, director of Lolita (1962). Unter: http://www.terrysouthern.com/archive/SKint.htm Im Folgenden: Kubrick (1962). 4 Dietrich Kuhlbrodt: Bugs Bunny in Hue, Vietnam. In: Konkret, Nr. 11/1987, S. 60-62, hier S. 61. 5 Paul Virilio: Abrißgenehmigung. In: Die Tageszeitung (taz) vom 24.10.1987.

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Ähnliche


Inhaltsverzeichnis
1. Einführung
2. Die nüchterne Grausamkeit des Krieges: Paths of Glory
2.1. Das narrative Modell des Krieges
2.2. Der kalte Stil: Die Verschmelzung von Gehalt und Form
2.2.1. Die Ästhetik des Krieges
2.2.2. Filmsprache
2.2.3. Zynismus
2.3.1. Ein Krieg, zwei Welten: Raumstrukturen und
3. Die historische Schlachtendarstellung: Spartacus
4. Dr. Strangelove oder das Versagen der Kriegs-Maschine
4.1. Kriegs-Maschine: Logik und Mechanismen des Krieges
4.1.1. Spiel und Plan
4.2. Stilistische Perspektiven
4.2.1. Sarkasmus als Mittel der Abschreckung
4.2.2. Musik

Page 1

Fachbereich Germanistik und Kunstwissenschaften

Page 3

3

6.Full Metal Jacket- Die Armee als Ort des Individualitätsverlustes57

6.1. Konditionierung 61

6.2. Liebestrieb und Todestrieb (Eros und Thanatos) 65 6.2.1. Krieg als (triebgesteuerte) hermetische Männerwelt 71 6.2.2. Das Weibliche 74

6.3. Krieg und Wahrheit 78

6.3.1. Kommunikation und Sprache 80

7. Zusammenfassung: Filmübergreifende Merkmale84

8. Schlussbetrachtung: Der Krieg als fokussierter Gesellschaftszustand89

9. Filmographie95

10. Literatur99

10.1. Quellen 99

Page 4

1. Einführung

„Thewar was evil, and the soldiers and civilians were its victims[...]It obviously is emotionally intense and offers great visual possibilities. And

Der Regisseur Stanley Kubrick, 1928 in New York geboren und 1999 in Saint Albans (England) gestorben, befasst sich in sechs seiner dreizehn Spielfilme mit dem Thema Krieg unter verschiedenen Gesichtspunkten. Über dreißig Jahre hinweg sind Krieg und Gewalt immer wieder Themen in der filmischen Arbeit des Regisseurs, die Kubrick selbst mit dem narrativen Potenzial des Konflikts begründet: „Dramen erwachsen aus dem Konflikt; [...] Es ist keineswegs selten, daß Filme auf einer Situation beruhen, in der ein gewaltsamer Konflikt die treibende Kraft darstellt.“2

Sein erster SpielfilmFear and Desire(1953), wie er selbst sagt, „a pretentious, inept and boring film“3, ist der Versuch, sich einem fiktiven Krieg allegorisch zu nähern.Paths of Glory(1957) thematisiert die Machtstrukturen in der französischen Armee des ersten Weltkrieges. Die AuftragsarbeitSpartacus(1960) handelt von der Rebellion der Sklaven zur Zeit des römischen Imperiums.Dr. Strangelove, or How I Learned to Stop Worrying and Love the Bomb(1964) wiederum ist eine satirische Farce über die verheerende Wirkung der Machtstrukturen während des Kalten Krieges.Barry Lyndon(1975) behandelt Krieg nur insofern, als er den Hintergrund für den Aufstieg des Protagonisten zur Zeit des Siebenjährigen Krieges bildet. Und schließlichFull Metal Jacket(1986), nach Ans icht mancher Kritiker „der beste aller Vietnamfilme“4, der das „Ende des Kriegsfilms“5einläutet, ist ein Film über die militärische Ausbildung und deren Anwendung in Vietnam.

1Stanley Kubrick zitiert nach: Gene Siskel: Candidly Kubrick. Chicago Tribune, 21. Juni

1987. Abgedruckt in: Gene D. Phillips: Stanley Kubrick: Interviews. University Press of

Mississippi 2001, S. 177-188, hier S. 187.

2Stanley Kubrick: Zweites Gespräch 1976. In: Michel Ciment: Kubrick. München 1982, S.

166-179, hier S. 172/173. Im Folgenden: Kubrick (1976).

3Stanley Kubrick in einem unveröffentlichten Interview mit Terry Southern von 1962. Terry

Southern: An Interview with Stanley Kubrick, director of Lolita (1962). Unter:

http://www.terrysouthern.com/archive/SKint.htmIm Folgenden: Kubrick (1962).

4Dietrich Kuhlbrodt: Bugs Bunny in Hue, Vietnam. In: Konkret, Nr. 11/1987, S. 60-62, hier S.

61.

5Paul Virilio: Abrißgenehmigung. In: Die Tageszeitung (taz) vom 24.10.1987.

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Da sich immerhin etwa die Hälfte seines Werkes mit gewalttätigen Auseinandersetzungen und deren Begleiterscheinungen beschäftigt,6impliziert dies augenscheinlich ein besonderes „obsessives“7Interesse des Regisseurs und Autors8Stanley Kubrick an dieser Thematik. Kubrick selbst stimmt in einem Interview zu, dass der Krieg eine gewisse Faszination auf ihn ausübe, denn der „Kriegsfilm erlaubt also, die Entwicklung einer Haltung, eines Menschen mit einer außerordentlichen Prägnanz darzustellen. Auf diese Weise spitzen sich die Dinge schneller zu.“9Laut Alexander Walker, einem der ersten Kubrick-Biographen, besitzt der Krieg für Stanley Kubrick seine Faszination vor allem darin, dass er die menschliche Natur auf groteske, oft komische Weise hervortreten lasse. Für Walker sieht Kubrick in der pathologischen Situation des Krieges die Möglichkeit, verborgene Standpunkte des Menschen ans Licht zu zerren, die sich im Frieden wesentlich langsamer entwickeln und deshalb auf der Leinwand kaum realistisch dargestellt werden könnten.10Die Thematisierung des Krieges erlaubt es Kubrick zudem gesellschaftliche Prozesse und Problematiken anhand des soldatischen Subsystems der Gesellschaft11zu verdeutlichen, da laut des Regisseurs „der Krieg sehr dramatische und sehr spektakuläre Drehbuchsituationen [schafft]. Im Krieg machen die Menschen in einer kurzen Zeitspanne eine unglaubliche Streßperiode durch, was in einer Geschichte, die im Frieden spielt, sehr künstlich und sehr forciert erscheinen würde, denn alles würde sich viel zu

6In diesem Zusammenhang ist auch KubricksA Clockwork Orange(1971) hinzuzufügen, der

aber die individuelle Gewalt innerhalb der Gesellschaft behandelt und daher für das Thema der

Inszenierung von Krieg keine Rolle spielt.

7Robert Kolker: Die Struktur des mechanischen Menschen. Stanley Kubrick. In: Ders.: Allein

im Licht: Arthur Penn, Oliver Stone, Stanley Kubrick, Martin Scorsese, Steven Spielberg,

Robert Altman. München und Zürich 2001, S. 147-252, hier S. 153. Im Folgenden: Kolker

(2001).

8Bis aufSpartacushat Kubrick an sämtlichen, hier erwähnten Filmen am Drehbuch

mitgearbeitet.

9Stanley Kubrick im Interview mit Renaud Walter (1968). In: Renaud Walter: Entretien avec

Stanley Kubrick. In: Positif, Nr 100-101, Dezember 1968/Januar 1969, S. 19-39. Im

Folgenden: Kubrick (1968a). Deutsch zitiert nach: Kubrick über Kubrick und das Kino.

Zusammengestellt von Christoph Hummel. In: Peter W. Jansen/Wolfgang Schütte (Hrsg.):

Stanley Kubrick. München/Wien 1984, S. 205-246, hier S. 245/246.

10Vgl. Alexander Walker: Stanley Kubrick. Leben und Werk. Berlin 1999, S. 30. Im

Folgenden: Walker (1999).

11„Wir wissen aus der Militärpsychologie, dass das militärische System ein gesellschaftliches

Subsystem darstellt, dessen Organisationsgrundlagen und Werte denen der zivilen Gesellschaft

eklatant widersprechen.“ Manfred Jakob/Susanne Schuster: Semper fidelis - die

Soldatwerdung des Menschen. Beobachtungen zu Full Metal Jacket. In: Wilhelm Hofmann

(Hrsg.): Filmwelten. Beiträge zum Verhältnis von Film und Gesellschaft. Weiden 1993, S.

145-152, hier S. 146. Im Folgenden: Jakob/Schuster (1993).

Page 6

schnell abspielen, als daß man es glauben könnte.“12Es schließt sich daher nach der Analyse der einzelnen Inszenierungen des Krieges bei Stanley Kubrick die Frage an, ob Kubrick mit dem Krieg als Thema eines Films weniger eine pazifistische Grundhaltung ausdrücken, als vielmehr den Zustand einer Gesellschaft im Fokus des Krieges behandeln, oder wie manche Kritiker es deuten, die gesellschaftliche, politische und moralische Unreife des Menschen brandmarken möchte.13

Offensichtlich enthalten die Mechanismen und sozialen Strukturen des Krieges für Kubrick künstlerisches Potenzial. Trotz der unterschiedlichen auf den jeweiligen Film bezogenen Herangehensweise Kubricks an das Thema, offenbaren die Filme vor allem in der Art ihrer Inszenierung von Krieg eine Kubrick eigene Auseinandersetzung mit der Kriegsthematik, die sich in der Erzählhaltung und den filmischen Stilmitteln äußert. Dabei wird den Filmen Kubricks eine, durch die inszenierte emotionslose Distanz in der Erzählhaltung geschaffene Kälte unterstellt14: „Kubricks filmische Narration liefert keinerlei Sinn-Schlüssel: weder einen ideologiekritischen noch einen der faszinierten Bejahung. Was bleibt, ist die ratlose Kälte einer Wahrnehmung: comment c’est.“15Inwiefern sich dieser Erzählstil in den jeweiligen Filmen findet und welche Auswirkung er auf Intension und Haltung des Werkes hat, wird zunächst untersucht.

Das Thema Krieg wird in der Literatur über Kubrick bisher weitestgehend explizit an den jeweiligen Filmen behandelt. Film übergreifende Auseinandersetzungen zu der Inszenierung von Krieg im Werk Stanley Kubricks erscheinen nur ve reinzelt unter ausgewählten Gesichtspunkten.16Toffetti entdeckt in Kubricks Interesse am Thema Krieg lediglich „die

12Kubrick (1968a). Deutsch zitiert nach: Kubrick über Kubrick und das Kino.

Zusammengestellt von Christoph Hummel. In: Peter W. Jansen/Wolfgang Schütte (Hrsg.):

Stanley Kubrick. München/Wien 1984, S. 205-246, hier S. 245/246.

13Vgl. Charles Maland: Dr. S trangelove (1964). Nightmare Comedy and The Ideology of

Liberal Consensus. In: Hollywood as Historian. American Film in a Cultural Context.

Kentucky 1983. Deutsch in: Film und Fernsehen, Heft 9/1988, Berlin (Ost) 1988, S. 29-33 und

Heft 10/1988, Berlin (Ost) 1988, S. 41-45, hier Heft 9/1988, S. 31. Im Folgenden: Maland

(1988).

14Vgl. Kolker (2001), hier S. 151.

15Hans-Thies Lehmann: Das Kino und das Imaginäre. Über Stanley Kubricks ‚Full Metal

Jacket‘. In: Kino und Couch. Zum Verhältnis von Psychoanalyse und Film. Arnoldshainer

Filmgespräche Band 7. Frankfurt a. M. 1990, S. 75-98, hier S. 87/88. Im Folgenden: Hans-

Thies Lehmann (1990).

16Vgl. Jackson Burgess: The “Anti-Militarism” of Stanley Kubrick. In: Film Quarterly, Vol.

18, No. 1, Herbst 1964, S. 4-11. Im Folgenden: Burgess (1964); Robert Kolker vergleicht in

dem Kapitel über Stanley Kubrick seines Buches die FilmePaths of GloryundFull Metal

Jacketmiteinander. Vgl. Kolker (2001), hier S. 169ff.

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ehrgeizige Wahl eines weiteren Arbeitsfeldes“, das für den Regisseur die Möglichkeit „für Experimente auf einer allgemeineren Ebene“ gebe.17Georg Seesslen und Fernand Jung sehen eine Entwicklung in Kubricks Bild vom Krieg vonPaths of GloryüberBarry LyndonbisFull Metal Jacket,die sich in dem Verhältnis zwischen Krieg und Humanismus spiegelt. Dabei sei in Kubricks Filmen zu beobachten, dass es eine Unterscheidung zwischen diesen Punkten nicht gebe, sondern der „Gegensatz zwischen Krieg und Menschlichkeit“18sich als Illusion erweise. Kubrick legt in seinen Filmen ein besonderes Augenmerk auf Formen und Symmetrie, das von manchen Kritikern als eine Art Kubricksche Ästhetik wahrgenommen wird.19Inwieweit sich dieser durchstrukturierte Stil in den Kriegsfilmen findet und welche Auswirkungen er auf den jeweiligen Film hat, wird bei der Untersuchung vonPaths of Gloryund im BesonderenBarry Lyndonzu klären sein. Dabei sind vor allem die filmischen Elemente von Bedeutung, die Kubrick bei der Inszenierung von Krieg einsetzt. Denn Kubricks Filme sind, so formuliert es Nelson, zuallererst eindringliche Kinoerfahrungen, „die ein ganzes Netzwerk von emotionalen und intellektuellen Reaktionen auszulösen vermögen.“20Sergio Toffetti sieht in den Themenfeldern „Triebwerk, Mechanismus, aber auch Strategie, Organisation, Plan“21die primären Schlagwörter in Kubricks Kino. Dies gilt im besonderen Maße für die I nszenierung des Krieges. Kubricks Darstellung von Krieg beinhaltet eine intensive Auseinandersetzung mit den Mechanismen des Krieges und der Logik, die einem Krieg innewohnt. Kubricks Sicht des Krieges ist die eines entpersonalisierten Militärapparates, der einer Maschine gleich, seine programmierte Pflicht erfüllt. Dies wird vor allem dann deutlich, wenn das System außer Kontrolle gerät, wie in der SatireDr. Strangelove.Die Struktur der Kriegs-Maschine in diesem Film bietet daher für diese Problematik die Untersuchungsgrundlage.

17Sergio Toffetti: Stanley Kubrick. Moizzi, Contemoranea cinema Bd. 12, Mailand 1978.

Deutsch: Rolf Giesen (Hrsg.): Kino heute: Stanley Kubrick. Berlin-West 1979, S. 22. Im

Folgenden: Sergio Toffetti (1979).

18Georg Seesslen/Fernand Jung: Stanley Kubrick und seine Filme. Marburg 1999, S. 276. Im

Folgenden: Seesslen/Jung (1999).

19Vgl. dazu: Kay Kirchmann: Das Schweigen der Bilder. Bochum 2001, S. 64ff. Im

Folgenden: Kirchmann (2001); Michel Ciment: Kubrick. München 1982, S. 92ff. Im

Folgenden: Ciment (1982).

20Thomas A. Nelson: Stanley Kubrick. München 1984, S. 15. Im Folgenden: Nelson (1984).

21Sergio Toffetti (1979), S. 79.

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Eine wichtige Ebene für die Rezeption der Filme Stanley Kubricks ist die Auseinandersetzung mit den psychologischen Aspekten des Krieges. Da Kubrick sich mit Kulturtheorie und Psychoanalyse beschäftigte,22ist die Erforschung der psychologischen Gestaltungen in seinen Kriegsfilmen eine ergiebige Quelle für die Deutung seiner Filme. Siegmund Freud hat die Strukturen des Krieges und die Beziehungen der Soldaten untereinander mit tiefenpsychologischen Deutungsmustern zu erklären versuc ht. Für ihn ist „die Bereitwilligkeit zum Krieg ein Ausfluß des Destruktionstriebes [...]“ und daher läge es nahe, „gegen sie den Gegenspieler dieses Triebes, den Eros, anzurufen.“23Da alles, was Gefühlsbindungen unter den Menschen herstelle, Auswirkung auf die menschliche Gesellschaft habe, müssten Gemeingefühle durch Identifizierung und Gemeinsamkeit dem Krieg entgegenwirken. Freud erklärt somit das Trieb-Oppositionspaar Destruktion und Eros als Impuls für Kriege, die auch für gesellschaftsimmanente Beziehungen geltend zu machen sind.24

Kay Kirchmann, der das Gesamtwerk Kubricks in Filme „mit mehr oder weniger explizierter Kriegsthematik“25und in sogenannte „Familienfilme“ aufteilt, führt bei seiner auf die Ästhetik im Werk Kubricks aufbauenden Analyse den bereits von Sergio Tofetti26, Michel Ciment27und Thomas Allen Nelson28aufgenommenen Ansatz des Eros/Thanatos Motivs in den Filmen Kubricks fort.29Kirchmann weist darauf hin, dass Kubrick „an der Darstellung menschlicher Erotik überhaupt nicht interessiert ist. Vielmehr wird Erotik in seinen Filmen von der Subjekt- auf die Objektebene verlagert.“30Jedoch, so sein Fazit, erschöpfe sich Kubricks Visualisierung des Erotischen nicht in einer konventionellen Sexualsymbolik, vielmehr gehe es Kubrick darum, Bilder einer bürgerlichen Kultur zu schaffen, in der das Sexuelle definitiv aus dem

22James B. Harris, Kubricks Partner und Produzent beiThe Killing(1956),Paths of Glory

(1957) undLolita(1962) äußerte sich zu Kubrick: „Er betonte stets das Verhalten seiner

Personen. Er empfahl mir, FreudsEinführung in die Psychoanalyse[...] zu lesen [...]“. James

B. Harris, Produzent. Gespräch mit Michel Ciment, Cannes 1973. In: Michel Ciment: Kubrick.

München 1982, S. 200-202, hier S. 202.

23Siegmund Freud: Warum Krieg? Brief an Albert Einstein 1932. In: Siegmund Freud:

Anwendungen der Psychoanalyse. Werkausgabe in zwei Bänden. Band 2. Frankfurt am Main

1978, Seite 483-493, hier S. 491.

24Vgl. ebd.

25Kirchmann (2001), S. 85.

26Vgl. Sergio Toffetti (1979), S. 74ff.

27Vgl. Ciment (1982), S. 66ff.

28Vgl. Nelson (1984), S. 124ff.

29Vgl. auch Seesslen/Jung (1999), S. 78ff.

30Kirchmann (2001), S. 100.

Page 9

Bereich des Lebendigen ausgegliedert, ritualisiert oder externalisiert worden sei.31Dort jedoch, wo der Eros nicht in die Objektwelt abgeschoben wurde, wird seine Energie in gesellschaftliche Bahnen umgelenkt. „Kubricks Kriegsfilme thematisieren die Umlenkung sexueller in destruktive Energie.“32Demnach, bilanziert Kirchmann, trete inFull Metal Jacketnur das zu Tage, was in den anderen Kriegsfilmen Kubricks schon angelegt wäre, nämlich die Sexualisierung des Krieges als Konsequenz der Ausgrenzung der Erotik aus der gesellschaftlichen Realität. Inwiefern bei Kubricks Auseinandersetzungen mit dem Thema Krieg auch die Themenfelder Erotik, Sexualität und die Rolle der Weiblichkeit im K rieg Einfluss finden und sich mit entsprechenden Freudschen Schemata decken, wird hauptsächlich in der Untersuchung zuFull Metal Jacketbehandelt.

Weil es sich bei den Kriegen, die Kubrick in seinen Filmen behandelt, um verschiedene Formen und Zeiten des Krieges handelt, ergibt sich daraus eine Beschäftigung mit den Intentionen Kubricks. Es ist zu untersuchen, inwiefern Kubrick die historisch-politischen Konflikte reflektiert, wie die Darstellungen der Kriegsparteien des jeweils dargestellten Krieges aussehen und inwieweit sich der Film mit ihnen auseinandersetzt. Dabei müssen die Filme aber zunächst geschlossen betrachtet werden, da jeder Film ein eigenes Thema behandelt und somit auch unter eigenen filmästhetischen und narrativen Gesichtspunkten zu untersuchen ist. DaSpartacussich als Historienfilm darstellt, wird hier speziell auf die Inszenierung von historischen Schlachten eingegangen.

Ziel dieser Arbeit ist es, die einzelnen Aspekte der Inszenierung von Krieg bei Kubrick herauszuarbeiten. Es wird zu diskutieren sein, inwieweit es eine formale und inhaltliche Verbindung zwischen den anfänglichen (Paths of Glory)und den letzten (Full Metal Jacket)Auseinandersetzungen mit dem Thema Krieg im Gesamtwerk Stanleys Kubrick gibt. Wenn es zutreffend ist, dass „jedes Werk Bezüge zum vorhergehenden schafft“33, so müsste sich letztlich eine bestimmende Form in der Inszenierung von Krieg bei Kubrick herausbilden, die Aufschlüsse über Konzeption und Haltung des Regisseurs gibt. Im Folgenden werden die jeweiligen Filme chronologisch bearbeitet und ihre spezifischen Merkmale für die Inszenierung des Krieges herausgestellt.

31Vgl. Kirchmann (2001), S. 100ff.

32Kirchmann (2001), S. 101.

Page 10

Abschließend wird dann nach Film übergreifenden Tendenzen in der Inszenierung von Krieg im Werk Stanley Kubricks gefragt. Gegenstand der Untersuchung sind die FilmePaths of Glory,eingeschränktSpartacus,da Kubrick bei diesem Film im Gegensatz zu seinen anderen Werken nur als Regisseur fungierte und keinerlei Einfluss auf das Drehbuch hatte,Dr. Strangelove, or How I Learned to Stop Worrying and Love the Bomb, Barry LyndonsowieFull Metal Jacket.Da Kubricks erster SpielfilmFear and Desirenicht frei zugänglich ist und Stanley Kubrick sich von ihm distanzierte34und er daher für eine weiterführende Auseinandersetzung mit dem Thema Krieg bei Kubrick keine Grundlage bietet, findet dieser Film in der vorliegenden Arbeit keine Berücksichtigung. WährendPaths of Gloryaus organisatorischen Gründen in der deutschen Synchronfassung zitiert wird, werdenSpartacus(in der restaurierten Fassung aus dem Jahr 1991),Dr. Strangelove, or How I Learned to Stop Worrying and Love the Bomb, Barry LyndonundFull Metal Jacketin ihrer Originalfassung als Quelle genutzt.

33Ciment (1982), S. 61.

34Stanley Kubrick: „Spartacus est le seul film sue lequel je n’ai pas eu un contrôle absolu. […]

J’ai pense que beaucoup de choses dans le scénario gagneraient à être changées en cours de

tournage, mais ça ne s’est pas fait.“ Kubrick (1968a), S. 33.

Page 11

2. Die nüchterne Grausamkeit des Krieges: Paths of Glory

„[...]the basic purpose of a film, which I believe is one of illumination, of showing the viewer something he can’t see any other way.”35Stanley Kubrick (1970)

Die Aufklärung des Zuschauers ist eine der Triebfedern für das filmische Wirken Kubricks. Bezogen auf die Inszenierung v on Krieg beinhaltet diese Maxime eine sowohl durch filmische als auch durch narrative Elemente zu Tage tretende Darstellung der Machtstrukturen und den damit zusammenhängenden Problematiken innerhalb einer kriegführenden Partei. Sei dies nun eine staatliche Armee, wie im Fall der französischen beiPaths of Glory,oder eine Armee von Sklaven beiSpartacus.Dabei, so wird im Folgenden zu beweisen sein, kommt es Kubrick in erster Linie auf die Mechanismen innerhalb des Krieges und deren Auswirkungen auf die ha ndelnden Figuren an. Ihm geht es darum, den Zuschauer über die Natur des Menschen in einer Grenzsituation aufzuklären. Deshalb sind die Filme Kubricks, die den Krieg zum Thema haben, auch nicht nur Kriegs- oder auch Antikriegsfilme36, sondern sie sezieren die Macht- und Konfliktstrukturen innerhalb von Gruppen. In diesen Gemeinschaften, so zeigt es Kubrick, werden Gefühle unterdrückt, sie sind „kalt, so kalt wie seine Beobachtung.“37Paths of Glory,1957 nach dem gleichnamigen Roman von Humphrey Cobb38entstanden, bietet einige Beispiele dafür, wie Kubrick den Krieg „beängstigend realistisch“39zur Schau stellt. Mit seiner distanzierten Sichtweise, die „nichts von Aufbegehren, von Revolte“, sondern „nur Vollzug“40, also Machtintrigen, Hinrichtungen und die Schlacht als solches zeigt, liefert der Film eine detaillierte Beschreibung der Konflikte in und zwischen den Hierarchieebenen des Militärapparates. Das Zentrum des Films liegt nicht etwa im Kampf

35Stanley Kubrick in einem Interview mit Joseph Gelmis (1970). In: Joseph Gelmis: The Film

Director as Superstar. New York/Hammondsworth 1970. S. 381-411, hier S. 391. Im

Folgenden: Kubrick (1970).

36Die Frage, ob man Kubricks Filme als Antikriegsfilme bezeichnen kann, wird später

diskutiert. Zunächst werden deshalb die Filme Kubricks, die den Krieg thematisieren, als

Kriegsfilme bezeichnet.

37Kolker (2001), hier S. 160.

38Humphrey Cobb: Paths of Glory. New York 1935. Deutsch übersetzt von Margret Haas:

Wege zum Ruhm. Bern 1959.

39Curt Müller: Wege zum Ruhm (Paths o f Glory). In: Film-Dienst, Nr. 46/1957 vom

14.11.1957.